Labyrinth der Ängste von Ange_de_la_Mort (Sherlock Holmes/Tom Hiddleston, Loki/Tom Hiddleston?) ================================================================================ Prolog: -------- Am ersten Tag vom Ende der Welt, einem kalten Wintermorgen, erwachte Tom aus einem unruhigen Schlaf. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, was bedeutete, dass er mit offenen Augen in der Dunkelheit lag, den Blick auf die Wand gerichtet, auf die die Schatten der Bäume vor dem Fenster grausame Illusionen und verzerrte Schatten warfen, die ihn an groteske Monster und unheimliche Wesen erinnerten; denen aus seinem Traum nicht unähnlich. Ein Schweißtropfen rann seine Stirn hinab, brachte ihn zum Schaudern als die Fragmente seiner Erinnerung sich zusammenfügten, um wenigstens einen Bruchteil dessen zu rekonstruieren, was er gesehen hatte: In seinem Traum beherrschten Feuer und Eis die Welt. Flammen verschlangen die Erde, zerstörten und vernichteten allen, was ihnen in den Weg kam, ließen nichts zurück außer totem und verbranntem Land und einsamer Ödnis. Eis überzog die Meere und schloss alles Leben darin ein. Er konnte noch immer die Schreie hören – zahllose Schreie zahlloser Kreaturen, voller Schmerz und Leid und Qual in einem letzten, aussichtslosen Kampf gegen ein unausweichliches Schicksal –, konnte in den hintersten Winkeln seines Bewusstseins immer noch Dinge sehen, die ihm die Tränen in die Augen trieben. Mit zitternden Fingern knipste er das Licht seiner treuen Nachttischlampe an, um sich den Weg durch den schwach beleuchteten Raum zum Badezimmer zu bahnen. Eine lange Dusche – nicht zu kalt, nicht zu heiß – vertrieb auch die letzten traurigen und erschreckenden Gedanken an Albträume und Dystopien und ein Armageddon, das in dieser Form mit Sicherheit nicht passieren könnte. Das Leben ist zu schön für dumme Träume, dachte er, als er sich langsam anzog und Teewasser aufsetzte. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, schritt er aus der Haustür und in die allgemeine Richtung seines Briefkastens, atmete die kalte Luft mit einem Lächeln ein, hörte und spürte den Schnee unter seinen Füßen knirschen. Er summte eine Melodie – irgendeine Art Jingle ohne Bedeutung –, während er den Briefkasten öffnete. Er sah die obligatorische unnötige Werbung und verzog das Gesicht – er sollte wirklich einen 'Keine Werbung, bitte, danke!'-Sticker anbringen –, als ihm etwas ins Auge fiel: ein schmaler, weißer Umschlag, auf dem weder Absender noch Empfänger standen. Er legte die Stirn in Falten und griff danach, drehte ihn in den Händen. Auch nichts auf der Rückseite. Wie unnötig geheimnistuerisch, dachte er und öffnete den Umschlag, entfaltete das Stück Papier, das sich darin befand. Und wünschte sofort, er hätte es nie getan. In schmaler, säuberlicher Handschrift – seiner eigenen nicht unähnlich – war ein einzelner Satz auf das marmorierte Papier geschrieben: Bist du dazu bereit, unterzugehen, Thomas? Die Kälte, die Tom plötzlich verspürte, hatte nichts mit dem Winter zu tun. - Am dritten Tag vom Ende der Welt erhielt Sherlock Holmes einen Anruf. Leider war er zu beschäftigt, um ihn anzunehmen (im Moment saß er in dem engen und vollen Raum seines improvisierten Labors – auch bekannt als 'Küchentisch' –, wo er eines seiner kleineren Experimente durchführte), aber nicht zu beschäftigt, um John zu sagen: „Wenn es Mycroft ist, habe ich kein Interesse. Außerdem braucht er mich nicht. Es war seine Assistentin. Der rechte Absatz ihres Schuhs ist unecht“, was gleichzeitig alles und nichts bedeuten konnte. Glücklicherweise war der Anruf nicht von Mycroft, wie John herausfand, als er die unbekannte Nummer betrachtete. Die Erleichterung, die er darüber verspürte, war jedoch nur von kurzer Dauer, als alles, was er vom anderen Ende der Leitung hören konnte, eine unheimliche Stille war, nur durchbrochen von schwerem, unregelmäßigem Atem. John blinzelte einmal, zweimal, sagte dann: „Hallo?“ „Ist da Sherlock Holmes?“ Eine Männerstimme. Tief, nicht unangenehm, aber die Worte klangen erstickt, so als stünde er kurz davor, in Tränen auszubrechen. „Nein. Sein Kollege.“ „Ich muss mit ihm sprechen. Bitte.“ Jetzt sprach er schneller, klang dringender, sog zittrig den Atem ein. „Sind Sie ein Klient? Wollen Sie nicht einfach vorbeikommen und - “ „Ich fürchte um mein Leben.“ Oh. Das bedeutete wohl, ja, er war ein Klient. Der sein Haus aus irgendwelchen Gründen nicht verlassen konnte. Na dann. John bat ihn, einen Augenblick zu warten, und stellte den Lautsprecher an, legte das Handy auf das kleine bisschen freie Fläche neben Sherlock und dessen Mikroskop. „Ein Klient“, raunte er ihm zu. Sherlock schnaubte. „Sie haben genau so viel Zeit, wie Salzsäure braucht, um sich durch das Gewebe eines Auges zu ätzen, also beeilen Sie sich.“ „Es ist übrigens nicht direkt sein Auge“, fügte John hinzu; versuchte wie immer, hilfreich zu sein. Vom anderen Ende der Leitung erklang nur eine schockierte Stille, und Sherlock schnaubte wieder, diesmal ungeduldig. „Um Himmels Willen, jetzt sagen Sie mir schon Ihren Namen und Ihr Problem. Und bitte seien Sie dabei schnell und nicht langweilig.“ „... mein Name ist Tom Hiddleston. Und ich fürchte, ich werde gestalkt.“ Kapitel 1: ----------- Dieses Mal seufzte Sherlock und schüttelte sacht den Kopf. „Dann gehen Sie zur Polizei, statt mich mit solchen Trivialitäten zu belästigen.“ Er legte auf, ohne dem Mann Zeit zu lassen, sich eine Antwort auszudenken, mit der er sich und seinen Fall verteidigen konnte. Danach richtete er seine komplette Aufmerksamkeit wieder auf sein Experiment. „Sherlock … " „Was? Ich hab ihm gesagt, er soll nicht langweilig sein!" Und damit setzte er seine Arbeit in aller Stille fort, während John nur die Augen verdrehte und die Finger um das Handy schloss – genau in dem Moment, in dem es wieder klingelte. Da er die Nummer erkannte – wie auch nicht, er hatte sie erst vor zwei Minuten das letzte Mal gesehen – musste John schmunzeln, und er hob die Augenbrauen. Du gibst nicht so einfach auf, wie?, dachte er und drückte noch einmal auf den Lautsprecherknopf. „In zwei Tagen habe ich genau zweihundert Briefe erhalten, die in sehr elaborierter und bildreicher Sprache beschreiben, was mit mir passieren wird und wie ich sterben werde. Beigefügt sind einige ziemlich private Dinge, die niemand – außer mir – wissen kann. Zweihundert Briefe ohne irgendeine Information über den Absender. Keine Briefmarken. Keine Adresse. Nicht einmal meine. Er muss sie persönlich abgegeben haben.“ Er atmete tief durch und sprach weiter: „Und jetzt, Mister Consulting Detective, kommt das Allerbeste: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass irgendjemand an meinem Haus vorbei gelaufen ist. Die Briefe tauchen einfach auf. Und die Polizei kann mir nicht helfen. Also, ist das spannend genug für Sie, oder muss ich an mein Testament ein Post-It kleben, das sagt, dass der berühmte Sherlock Holmes einfach nur zu faul war, um sich um so einen einfachen Fall zu kümmern?“ Der Mann klang ruhig und gefasst, beinahe kalt in seinem beißenden Zynismus (oder war das eher Galgenhumor?), und John konnte sehen, wie Sherlocks linker Mundwinkel langsam nach oben wanderte, was nur eine Sache bedeuten konnte … Also griff John nach dem Handy und sagte: „Mr. Hiddleston? Geben Sie uns bitte Ihre Adresse durch. Wir sind in einer Minute bei Ihnen.“ - Westminster war nicht sonderlich weit entfernt. Zehn, höchstens fünfzehn Minuten, wenn sie ein Taxi nahmen. Was sie auch taten. Hauptsächlich, damit Sherlock seinen überaus beschäftigten Geist von unnötigen Ablenkungen fernhalten konnte, um sich komplett auf den Fall zu konzentrieren (sollte er ihn annehmen. Er war sich noch nicht hundertprozentig sicher, aber er entschied sich dafür, seine Zweifel beiseite zu schieben und einen näheren Blick zu riskieren). Und – natürlich – um ihm Zeit zu geben, Tom Hiddleston zu googlen. „Ein Schauspieler“, sagte er und legte die Stirn in Falten. „Ist das schlecht?“ „Ich habe bereits einige Schauspieler getroffen“, meinte Sherlock nachdenklich, tippte mit einer Fingerspitze gegen sein Smartphone. „Ein Haufen von Lügnern und kaputten Menschen. Alle von ihnen. Sie kommen aus unwirtlichen Verhältnissen, hatten Eltern, die sie nicht genug geliebt haben, und kommen nicht mit dem klar, was sie sind, also versuchen sie jemand Anderer zu sein. Lügen liegt ihnen im Blut, in den Genen, und du kannst nie sicher sein, wann sie dir das Blaue vom Himmel herab lügen oder dir etwas erzählen, das sie in ihrer verdrehten Wahrnehmung auch noch für die Wahrheit halten. Ich kann nicht behaupten, dass ich sie sonderlich mag.“ „... na ja, wir können nicht alle deine charmante und ehrliche Persönlichkeit haben.“ „Sehr witzig, John.“ Sie mussten beide lächeln und schwiegen dann den Rest der Fahrt über. - Die Ehre, das Taxi zu bezahlen, wurde John überlassen (wie immer. Wenn er es nicht besser wüsste, würde John denken, dass Sherlock absolut keine Ahnung davon hatte, dass man in dieser Welt für die kleinen Dinge im Leben – wie Taxis und Essen und eine Internet-Flatrate – bezahlen musste), also tat er genau das mit einem Seufzen und beeilte sich, Sherlock zu folgen, da der sich bereits auf den Weg zu dem Haus gemacht hatte, das die Adresse trug, die Hiddleston ihnen gegeben hatte. John schloss zu ihm auf, als er an der Tür klingelte. „Hübsches Haus“, sagte John und sah sich um. Das war es wirklich. Es ähnelte einem der Häuser die man immer in der Werbung sehen konnte. Du willst ein Haus wie dieses, deutete die Werbung immer an, also lass uns dir einfach eine große Summe Geld leihen, die du niemals zurückzahlen können wirst, und wenn wir dann die Schulden eintreiben wollen, wanderst du nicht nur in den Knast, sondern wir bekommen auch noch dein tolles Haus, um es an den nächsten Idioten weiterzuverkaufen. Oder möchtest du lieber Lotto spielen? Für einen übertriebenen Preis erhältst du die Chance, ein Zehntel von einem so tollen Haus wie diesem hier zu gewinnen. Denk doch an deine Kinder. Es hat sogar einen Garten, in dem die kleinen Burschen spielen können. Hiddlestons Haus hatte auch einen Garten, darauf würde John wetten. „Vielleicht ein wenig … groß für eine Person.“ „Er hat es geerbt.“ Sherlock verschränkte die Arme hinter dem Rücken, wartete ungeduldig darauf, dass sich die Tür endlich öffnete. „... oh. Woher weißt du … ach, vergiss es.“ Es war sinnlos zu fragen, das wusste er selbst. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, wurde die Tür geöffnet. Langsam. John konnte die Hälfte eines Gesichts erkennen, blutunterlaufene blaugraue Augen mit dunklen Ringen darunter. „Äh. Mister Hiddleston? Wir sind die Privatdetektive. Sie haben uns angerufen“, fügte er hinzu, weil er nicht vollkommen sicher war, ob der Mann sich in der mentalen Verfassung befand, sich von selbst daran zu erinnern. Sherlock warf ihm einen seltsamen Blick zu; einen, den er a) als 'Nein, wirklich, John?' identifizierte und b) gekonnt ignorierte. „Dürfen wir reinkommen?“, fragte er stattdessen. „Oh. Ja, natürlich.“ Zitternde Finger arbeiteten an der Kette, die die Tür halb geschlossen hielt, und sobald sie aufschwang, stammelte Hiddleston eine Entschuldigung. „Ich bin dieser Tage nicht ganz ich selbst.“ „Offensichtlich“, sagte Sherlock, als er in den Hausflur stürmte. „Jetzt sagen Sie uns, was passiert ist. Lassen Sie die unnötigen Dinge aus und - “ Er zeigte mit dem Finger auf ihn. „- beeilen Sie sich.“ „Lassen Sie sich Zeit“, sagte John gleichzeitig, als er den flüchtigen Schimmer von Verunsicherung auf Hiddlestons Zügen bemerkte. „Bitte.“ Das Haus war von innen noch viel hübscher, wie John merkte, als sie das Wohnzimmer betraten. Große Fenster umrahmten den Blick auf einen kleinen Garten – Ha!, dachte er. Wusst ich's doch! – ließen dabei genug Sonnenlicht herein, um den Raum hell zu erleuchten. Es gab kaum Möbel, aber die wenigen Möbelstücke waren sorgsam ausgewählt und platziert. Ein Sessel und ein Sofa, beides in einer freundlichen beigen Farbe, eine Landschaftsmalerei hing an einer der Wände. Es stand sogar eine Blumenvase auf dem schmalen Tisch neben der Tür. Und, natürlich, war da noch der auffallende, aber aus dramaturgischen Gründen zuletzt erwähnte Couchtisch in der Mitte des Raumes. Er war ein echter Blickfang. Nicht wegen seiner Schönheit, sondern wegen des enormen Stapels an Briefen darauf. „Sind das … ?“ Hiddleston nickte ernst. „In all ihrer Pracht.“ Zu behaupten, Sherlock würde sich auf die Briefe stürzen wie ein Raubtier auf seine Beute, wäre übertrieben, wenn auch nur ein wenig. Er schnappte sich einen der Umschläge, betrachtete ihn von allen Seiten. „Dieser hier ist ungeöffnet.“ „Das sind die meisten“, gab Hiddleston zu und setzte sich auf das Sofa, schlug ein Bein über das andere. „Nach zehn, zwanzig, fünfzig von denen hab ich es nicht ausgehalten, mir auch nur einen weiteren anzusehen.“ Ganz im Gegensatz zu Sherlock, offensichtlich. Er öffnete einen Brief, und dann noch einen, las die wenigen Zeilen immer und immer wieder. John konnte sehen, wie er die Stirn in Falten legte, und griff selbst nach einem dieser vermaledeiten Dinger, um seine bizarre und morbide Neugierde zu befriedigen, die seinen Geist mit ihren kraftvollen Klauen gepackt hatte. Er entfaltete das marmorierte Papier und betrachtete die verschnörkelte Handschrift. Ich werde meine Finger um deine Kehle legen und jedes bisschen Leben aus dir heraus pressen. John schauderte, legte das Papier beiseite. Einen Moment lang zögerte er, griff dann doch nach einem anderen Briefumschlag. Und nach noch einem. Und noch einem. Bald wirst du mir gehören. Ich stelle mir schon vor, wie du für immer die Augen schließt. Vielleicht bin ich genau hinter dir. Kannst du fühlen, wie mein Atem deinen Nacken streift? John schauderte einmal mehr und schluckte hörbar, lugte über seine Schulter, wobei er halb erwartete, dass jemand zu ihm herunter blickte, ihm ein breites, unheimliches Grinsen schenkte, bei dem er alle Zähne zeigte. Da war nichts hinter ihm. Natürlich nicht. Er schüttelte den Kopf über sich selbst und teilte einen mitfühlenden Blick mit Hiddleston. Ganz ehrlich, bei solchen Dingen war es absolut einfach, absolut paranoid zu werden. „Lächerlich.“ Es sei denn, man war Sherlock Holmes mit seinem nicht vorhanden Taktgefühl und Selbsterhaltungstrieb. Hiddleston schien davon ebenfalls verstört zu sein, denn er hob die Brauen und neigte den Kopf zur Seite. „Wie bitte?“ „Diese Drohungen sind lächerlich und nun wirklich nicht ernst zu nehmen. Sagen Sie mir bitte nicht, dass das der Grund ist, aus dem Sie den Rest Ihres Hauses meiden, inklusive Ihrem Schlafzimmer.“ Hiddlestons Augen weiteten sich und er lehnte sich nach vorn, betrachtete Sherlock mit einem Ausdruck von Verwirrung, die sich in seinen Augen spiegelte. „Woher wissen Sie das?“ Ein Hauch von Amüsement huschte über Sherlocks Züge und sein linker Mundwinkel zuckte, so wie er es immer tat, wenn ihn jemand darum bat – wissentlich oder nicht –, doch bitte anzugeben. „Ist das nicht offensichtlich?“, fragte er und John verdrehte die Augen, denn 'Jetzt geht’s los'. Ganz egal, wie sehr er Sherlock mochte, und ganz egal, wie beeindruckend seine Intelligenz und sein Wissen doch waren, musste er das jedes Mal machen? Wenn man bedachte, dass es sich um Sherlock Holmes handelte, dachte John, dann ja, er musste angeben. Sonst würde er eines Tages platzen. „Unter dem Sofa liegt eine Decke, was bedeutet, dass Sie nicht wollten, dass wir sie sehen, was wiederum bedeutet, dass die Decke nicht in diesen Raum gehört. Ich kann immer noch schwache Abdrücke einer rauen Textur auf Ihrem Gesicht erkennen -“ Hiddleston blinzelte und rief sich über die Wange. „- die zufälligerweise mit der Textur des Sofas übereinstimmen. Außerdem tragen Sie Ihre Kleidung den dritten Tag hintereinander – erkennbar an dem verblassten Teefleck auf Ihrem rechten Ärmel –, und da ein Kleiderschrank sich normalerweise im Schlafzimmer befinden, nehme ich an, dass Sie seit Samstag nicht einen Fuß dort hinein gesetzt haben. Ich würde jetzt fragen, ob ich richtig liege, aber wir beide wissen, dass ich das tue. Die wichtigere Frage ist“, sagte er und drückte seine Fingerspitzen aneinander, stützte das Kinn darauf, „vor was fürchten Sie sich so sehr, dass Sie den ersten Stock und Ihr Schlafzimmer meiden?“ Erstaunen spiegelte sich einige Momente auf Hiddlestons Gesicht, dann senkte er den Blick und atmete durch, leckte über seine spröden Lippen, suchte offensichtlich nach einem passenden Anfang für seine Geschichte. Sherlock starrte ihn ungeduldig an, während John versuchte, die unbehagliche Stille zu vertreiben, indem er die Briefe in die dazugehörigen Umschläge steckte. Schließlich nickte Hiddleston und sah auf. „Es war so … “ Wieder und wieder ertappte er sich dabei, wie er auf die geschriebenen Worte starrte, wie er sie mit den Lippen formte, sie auf seiner Zunge schmeckte. Sie schmeckten wie Tod und Verderben und er erschauderte, biss sich auf die Unterlippe. War er bereit, unterzugehen? Natürlich nicht. Wie sollte er? Wer hatte das geschrieben? Und warum? Hatte er jemanden ernsthaft verärgert, etwas Schlimmes getan, jemanden auf eine Art und Weise verletzt, von der er nichts bemerkt hatte? Irgendwo in dem Teil seines Gehirn, der nicht starr vor Angst war, hörte er, wie der Teekessel um Aufmerksamkeit rief. Mit langsamen, unsicheren Schritten ging er zurück ins Haus und verzog das Gesicht. Irgendwie hatte er gar keine Lust mehr auf Tee. Er blieb lange Zeit am Küchentisch sitzen, die Teetasse noch in der Hand, auch wenn ihr Inhalt längst kalt geworden war. Noch immer starrte er den Brief an als wäre er ein bizarres und widerliches Insekt. Ein Scherz, sagte er sich selbst. Nicht mehr. Ein taktloser Witz. Das musste es sein. Und Tom hatte sich nur so erschreckt, weil ihm sein Albtraum noch im Gedächtnis geblieben war. Das klang gut, klang plausibel, klang – oh Gott, bitte lass es so sein.Er nickte sich selbst zu, richtete einen letzten vernichtenden Blick auf den Umschlag und den Brief und zerriss schließlich beides. Und als das Papier sich in zwei, in vier, in tausend Stücke teilte, spürte Tom, wie ihm die Last der Welt von den Schultern genommen wurde. Er warf die Schnipsel in seinen Mülleimer und stand auf, ließ die Tasse in der Spüle stehen. Alles, was er brauchte, sagte Tom sich, als er die Treppenstufen zu seinem Schlafzimmer hinaufstieg, als er das Fenster öffnete, um die kalte, klare Luft hereinzulassen, war noch ein wenig Schlaf. Und der Schlaf kam. Nicht in erhoffter Menge, aber wann hatte er schon jemals genügend geschlafen? Er lächelte über sich selbst und rieb sich den Nacken, öffnete die Augen und … sah, dass das Fenster geschlossen worden war. Er legte die Stirn in Falten. Hatte er es nicht offen gelassen? Sofort schreckte er hoch und eilte zum Fenster. Dort lag ein Brief auf dem Fensterbrett. Nein, dachte er, als er ihn aufhob und öffnete. Nein, nein, nein. „Du solltest das Fenster nicht offen lassen, Thomas. Ich möchte nicht, dass du eine Erkältung bekommst, deswegen habe ich es geschlossen. Sei in Zukunft ein wenig achtsamer, ja?“ „Der Typ“, sagte John, als Hiddleston den Mund schloss, „ist nicht nur fünfzig, sondern eine Million Stufen von durchgedreht.“ „Beeindruckend ausgedrückt, John“, sagte Sherlock, wobei er die Anspielung ganz offensichtlich nicht verstanden hatte, und tippte mit einem Fingernagel gegen seine Wange. „Ich sollte mir das Obergeschoss genauer ansehen.“ „Tun Sie, was immer Sie für nötig halten“, sagte Hiddleston und zuckte mit den Schultern, „aber ich komme nicht mit. Nichts und niemand kriegt mich da jemals wieder hoch.“ „Sehr gut. Dann stehen Sie mir nicht im Weg, wenn ich die feine Wissenschaft der Daktyloskopie anwende.“ Hiddleston blinzelte. „Sie machen was in meinem Schlafzimmer?“ „Fingerabdrücke nehmen. Also wirklich, bei Ihrem Hintergrund hatte ich erwartet, Sie besäßen ein größeres Allgemeinwissen.“ Sherlock stand auf und bahnte sich seinen Weg zu der Treppe, während John und Hiddleston einen Blick tauschten und John auf telepathische Art und Weise zu vermitteln versuchte, dass, ja, Sherlock immer so war, und ja, daran musste man sich gewöhnen, und oh ja, er würde den Fall im Handumdrehen gelöst haben. „Da fällt mir ein“, begann Sherlock und betrachtete die beiden. „Wenn Ihr Stalker dazu in der Lage ist, in Ihr Schlafzimmer einzudringen, während Sie schlafen, was zum Teufel bringt Sie dann auf den abstrusen Gedanken, im Wohnzimmer seien Sie sicher?“ Und damit verschwand er außer Sichtweite und ließ einen überaus beschämten und entsetzten Tom Hiddleston vollkommen alleine. „Ich werde nie wieder einschlafen können“, flüsterte er und sank starr vor Schock zurück ins Kissen; und John konnte nicht mehr tun als sanft die Hand auf seine Schulter zu legen. Kapitel 2: ----------- Im ersten Stock fand Sherlock einige Türen vor, die in verschiedene Räume führten. Der erste davon entpuppte sich als schmale Besenkammer. Nichts Wichtiges also. Dann ein Gästeschlafzimmer mit einem bequem erscheinenden Bett, einem kleinen Schrank und zwei Bücherregalen. Als Sherlock ihnen einen näheren Blick schenkte, erkannte er verschiedene Ausgaben von Shakespeares Werken. Was für ein Klischee. Aber irgendwie von einem Schauspieler zu erwarten. Neben Shakespeare standen Fitzgerald, Hornby, ein paar Biographien von historischen Persönlichkeiten und eine handvoll Comics. Zugegeben, das kam unerwartet. Er streckte die Finger nach einem der Comicbände aus, betrachtete das Cover. Thor. Ach ja, natürlich. Er hatte das Poster eines stilisierten Hammers im Flur hängen gesehen. Die nächste Tür führte zu einem zweiten Badezimmer; größer als das, das er unten gesehen hatte. Es hatte eine Badewanne und einige Regale, in denen sich mehr persönliche Hygieneartikel befanden, als ein normaler Mensch in fünf Leben benutzen könnte. Außerdem fand er einen elektrischen Rasierer – den Hiddleston jetzt gerade wirklich brauchen könnte, er sah aus, als hätte er sich tagelang nicht rasiert – was er natürlich auch nicht getan hatte – und eine Schachtel mit grünen Kontaktlinsen darin. Hmm. Und dann war da noch Hiddlestons Schlafzimmer. Der Inhalt der feuchten Träume weiblicher Teenager, falls ein Blick auf die IMBD-Seite des Mannes die Wahrheit sagte. Der Raum wirkte vollkommen gewöhnlich. Dennoch nahm Sherlock sich die Zeit, jede Schublade zu öffnen, einfach nur, weil a) er es konnte und b) er seinen Klienten so gut wie möglich kennenlernen musste, um sicherzugehen, dass er jede Lüge erkennen könnte, die Hiddleston ihm möglicherweise auftischen wollte. Nichts Außergewöhnliches in seinem Kleiderschrank (auch wenn normale Menschen sich möglicherweise wundern würden, warum zum Teufel ein Mensch vier verschiedene Lederjacken benötigte, aber Sherlock gehörte nicht gerade zu den normalen Menschen). Der Wecker war auf 6:30 Uhr morgens gestellt. Ein Frühaufsteher, auch am Wochenende. Hm. Der Inhalt einer Schublade brachte ihn dazu, die Augenbrauen zu heben und daran zu denken, wie enttäuscht die armen weiblichen Fans wären, wenn sie das hier herausfinden würden, aber Sherlock war niemand, der darüber urteilte. Er war auch niemand, den es interessierte. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Fenster und überlegte. Es konnte nur von innen geöffnet oder geschlossen werden. Könnte der Stalker die Wand hinaufgeklettert und durchs Fenster gekommen sein? Könnte er es geschlossen, den Brief geschrieben und auf das Fensterbrett gelegt haben und dann das Haus durch die Vordertür verlassen haben? Aber Hiddleston hätte ihnen gesagt, wenn die Vordertür nicht mehr verschlossen gewesen wäre. Das war etwas, dem er später nachgehen sollte, aber im Moment griff er in seine Manteltaschen, holte ein Notizbuch hervor, genau wie einen winzigen Pinsel und ein kleines Glas, das Aluminiumpuder enthielt, welches er an den Stellen anbrachte, an denen er vermutete, dass der Stalker Fingerabdrücke hinterlassen haben könnte – dem Griff, dem unteren Teil des Rahmens, dem Fensterbrett und einem verdächtig wirkenden Fleck auf dem Fensterglas. Alles lief wie erwartet und das Puder sorgte dafür, dass einige wenige feine Abdrücke für das Auge sichtbar wurden. Sherlock lächelte, holte sein Handy hervor, um von jedem einzelnen Fingerabdruck Fotos zu schießen. Dann sah er sich um. Glücklicherweise fand er eine Rolle Tesafilm auf Hiddlestons Schreibtisch, den er benutzen konnte, um die Fingerabdrücke in sein Notizbuch zu übertragen. Das war zwar nur ein kleiner Erfolg, aber immerhin war es überhaupt einer. - Als er die Treppe herunterstieg, hörte er, wie die beiden Männer sich unterhielten, während sie am Küchentisch saßen. Der Geruch von frisch aufgebrühtem Tee lag in der Luft, brachte Sherlock dazu, wider Willen zu lächeln. „Also“, sagte John, „warum haben Sie ihren Briefkasten um halb sechs an einem Samstag geleert? Ist ein bisschen arg früh, finden Sie nicht?“ „Na ja … “ Das dumpfe Klirren einer Teetasse, die auf den Tisch gestellt wurde. „Ich war die Nacht zuvor gerade erst von einer Promotour zurückgekommen und war zu müde gewesen – und ganz ehrlich gesagt nicht mehr nüchtern genug –, um das noch am Abend zu tun.“ „Bedeutet, wir können uns nicht sicher sein, wann genau der erste Brief angekommen ist“, überlegte John laut und fasste damit Sherlocks Gedanken in Worte. Und wir können es auch nicht herausfinden, weil Hiddleston ihn weggeworfen hat. Es sei denn … Sherlock betrat die Küche. „Ich nehme an, Sie haben Ihren Mülleimer seit Samstag nicht geleert, nicht wahr? Oh, hören Sie auf, mich so verwirrt anzusehen, das ist enervierend. Beantworten Sie einfach die Frage.“ Hiddleston warf John einen Blick zu. Der zuckte nur die Schultern, und Sherlock hätte sie am liebsten beide erwürgt, aber dann sah Hiddleston wieder zu ihm und sagte nein, hatte er nicht, und endlich kamen sie wenigstens ein bisschen voran. Er steckte die Hand in den Mülleimer, wühlte darin herum und – ha! – fand irgendwo zwischen den Überresten eines Apfels und einigen Karottenschalen zwei Fetzen Papier, die zu dem Brief gehört hatten. „Wofür brauchen Sie die?“ „Dank der Wissenschaft und dem gesunden Menschenverstand kann ich herausfinden, wann der Brief geschrieben wurde. Wenn Sie so freundlich wären und mir ein dutzend oder mehr der Liebesbriefe Ihres Stalkers zu bringen, kann ich die Handschrift und die Tinte vergleichen. Dann wissen wir, ob wir es mit einer einzelnen Person oder eine Gruppe zu tun haben.“ Hiddleston verzog das Gesicht und hob die Brauen verunsichert. „Sie meinen … es könnte mehr als eine Person hinter der Sache stecken?“ „Das habe ich doch gerade gesagt!“, fauchte Sherlock ihn an. Die Ungeduld war in seiner Stimme hörbar. „Also würden Sie bitte tun, was ich Ihnen sage?“ Er wartete, bis der Mann aufgestanden war und den Raum verlassen hatte, murmelte dann ein leises „Na endlich!“ und nahm schnell die Fingerabdrücke von der Teetasse. „Du hättest ihn auch einfach fragen können,weißt du?“, sagte John mit einem Seufzen. „Das hier geht schneller und ich muss mich nicht mit seinen dummen Fragen aufhalten.“ „Sherlock, sei nicht so streng mit ihm! Er ist halb verrückt vor Angst!“ „Das ist kein Grund für – oh, das ging schnell“, sagte er mit einem falschen Lächeln auf den Lippen, während er sich wegdrehte und sein Notizbuch und den Pinsel hinter seinem Rücken versteckte, innerlich erleichtert aufseufzte, als er spürte, dass John beide Objekte nahm und einsteckte. „Nun, danke.“ Er nahm die Briefe mit einer einen Hand und klopfte mit der anderen auf Hiddlestons Schulter. „Sie hören bald von uns.“ „Was?“ Der Mann wirkte niedergeschlagen. „Aber was soll ich in der Zwischenzeit machen?“ „Nun, da es bisher eine ganz erfolgreiche Strategie war, sich unter der Bettdecke zu verstecken und zu hoffen, dass man Sie nicht sieht, solange Sie niemanden sehen, sollten Sie das beibehalten. Bis bald, Mr. Hiddleston.“ - Als sie zurück zur 221B kamen („Guten Abend, Mrs. Hudson. Wie geht es der Hüfte heute, Mrs. Hudson? Oh, das klingt wunderbar, Mrs. Hudson.“), ging Sherlock seiner Lieblingsbeschäftigung nach: John herumzuscheuchen. „Informier' dich über ihn. Geh auf Google, auf Youtube, mir ganz egal. Sieh dir seine Interviews an, lies seine Tweets. Ich will wissen, was er denkt, was seine Hobbies sind, sein Lieblingsessen, mit wem er vögelt, mit wem er befreundet ist, einfach alles!“ Und während Sherlock selbst die nächste Stunde damit verbrachte, am Küchentisch zu sitzen und die Tinte und die Handschrift und die Fingerabdrücke zu analysieren (mithilfe seiner bewährten Kombination aus einem Mikroskop, drei verschiedenen Arten von Chemikalien, einer Spritze, einem Glas Wasser und natürlich seinem überaus brillanten Verstand), bekam John die schlimmste Migräne seines Lebens. Was einiges zu sagen hatte, wenn man bedachte, dass er mit Sherlock Holmes zusammenlebte. „Ich verstehe diesen Typen nicht“, sagte er und rieb sich die Schläfen, als Sherlock zu ihm kam und ihm über die Schulter schaute. „Im einen Moment ist er kultiviert und redet über Shakespeare und die Schauspielerei, im nächsten Moment wirft er mit Bandenzeichen um sich und rennt herum und schreit 'LOKI'D' und versucht jeden davon zu überzeugen, dass er nicht nur ein Witzbold, sondern auch der echte und einzige Gott des Schabernacks ist.“ "Hm." „Was? Was ist? Ich kenne diesen Laut und es ist kein glücklicher Laut." Sherlock setzte sich und lehnte sich nach vorne, wobei eine schmale Falte zwischen seinen Augenbrauen erschien. „Möglicherweise wird hier wirklich jemandem ein Streich gespielt. Aber nicht Hiddleston.“ Als John ihn fragend ansah, 'hm'te er noch einmal und sagte: „Keine Fingerabdrücke außer seinen eigenen. Natürlich kann der Stalker Handschuhe getragen haben, aber das erklärt nicht, wie Hiddlestons Fingerabdrücke auf die Briefe kommen, die er angeblich nicht geöffnet hat.“ „Aber … aber warum sollte er lügen? Er sah wirklich so aus, als hätte er Angst, als fürchte er um sein Leben.“ John hatte gesehen, wie seine Finger gezittert hatten, wie sein Blick unstet von links nach rechts gehuscht war. Das … konnte natürlich alles nur gespielt gewesen sein, ja. Aber warum? „Was ist mit der Tinte?“ „Jetzt wird es spannend: Alle Briefe müssen zwischen Freitag und Samstag geschrieben worden sein. Gleiche Handschrift, gleiche Tintensorte. Es scheint sich um eine Designermarke zu handeln. Hoher Eisengehalt. Sogar ein bisschen Schwefel. Wir müssen später nachsehen, welche Hersteller Schwefel in ihrer Tinte benutzen, ob sie ihr Produkt in London verkaufen und ob irgendjemand Hiddleston als Kunden wiedererkennt.“ Er schwieg einen Moment lang. „Du erinnerst dich, dass er sagte, er sei aufgewacht und hätte einen Brief auf seinem Fensterbrett gefunden?“ John nickte und Sherlock seufzte. „Er will uns glauben machen, ein Stalker ist die Bäume vor seinem Haus hochklettert, ohne dabei ein Geräusch zu verursachen, kommt durchs Fenster, schließt es und steht dann neben Hiddleston, nur um einen Brief darüber zu schreiben, was bedeutet, dass er Papier, Füller, Briefumschlag und Tinte bei sich haben müsste. Und dann verschwindet unser Stalker einfach so? Wie denn? Durch die Vordertür? Das ist … das ist einfach unmöglich.“ „Also glaubst du, man spielt mit uns?“ „Ich glaube es nicht, ich weiß es. Wir müssen nur herausfinden, warum.“ „Ein PR-Stunt?“ „Dann wäre er sofort an die Presse gegangen, anstatt sich in seinem Haus zu verbarrikadieren. Nein, es muss noch einen anderen Grund geben … einen, den ich herausfinden werde.“ Er erhob sich wieder, ging mit schnellen Schritten zur Tür und schnappte sich seinen Mantel. „Lass uns gehen, John.“ „Was? Wohin?“ „Zu Hiddlestons Haus, natürlich. Heute Nacht finden wir heraus, ob es wirklich einen Stalker gibt, der nachts seine Post zustellt.“ - Vier Augen sahen mehr als zwei, das war klar. Das verstand John sehr, sehr gut. Er verstand auch, dass es Sinn ergab, sich zu trennen, damit sie beide jeweils andere Teile des Hauses beobachten konnten. Was er nicht verstand, war allerdings, warum er es sein musste, der sich in den Büschen hinter Hiddlestons Haus versteckte, während Sherlock einen warmen, netten Sitzplatz in einem Café auf der anderen Straßenseite in Beschlag genommen hatte. Nicht, dass John neidisch wäre. Absolut nicht. Er vermutete, dass es seine Vorteile hatte, Sherlock Holmes zu sein; und die Möglichkeit zu haben, jemand anderem – also John – die beschissenen Aufgaben zu erteilen, war ein sehr guter Vorteil. Also nein … er war nicht neidisch. Überhaupt nicht. Vielleicht ein bisschen. Aber das auch nur, weil es nach kurzer Zeit anfing zu schneien. - Die Nacht stellte sich als vollkommen ereignislos heraus. Sherlock rief ihn alle knappe Stunde auf seinem Handy an, um zu fragen, ob irgendetwas passiert war, was sie natürlich beide verneinen mussten. Nichts war geschehen. Nichts geschah Und im Morgengrauen rief Sherlock wieder an, um ihm zu sagen, dass höchstwahrscheinlich auch überhaupt nichts geschehen würde. Seine Muskeln schmerzten und er fror und hatte Hunger und war vielleicht ein kleines bisschen unglücklich darüber, die Nacht damit verschwendet zu haben, ein Haus zu beobachten (vor allem, weil er in Kürze zur Arbeit gehen musste), aber er musste zugeben, dass Sherlock Holmes ein wirklich guter Freund war. Wenn auch nur, weil Sherlock ihm befahl, sich hinzusetzen, sich einen Kaffee zu bestellen und irgendetwas Warmes zu frühstücken. Zu dumm nur, dass er nie die Chance hatte, auch nur eines dieser Dinge zu tun und zu genießen, denn direkt nachdem er die Speisekarte weggelegt und etwas bestellt hatte, klingelte Sherlocks Handy. - Am vierten Tag vom Ende der Welt erwachte Tom Hiddleston durch ein seltsames und unbekanntes Geräusch. Er stöhnte auf, drehte sich auf die andere Seite und kuschelte sich tiefer unter seine Decke, legte im Halbschlaf die Stirn in Falten, als das Geräusch – und der Geruch – nicht verschwand, sondern an Intensität zunahm. Es war ein knisternder, zischender Lärm und es roch nicht unähnlich einem Lagerfeuer, das über Holz und Papier und Asche züngelte. … Moment. Das sollte nicht möglich sein. Er hatte nicht einmal einen Kamin. Langsam öffnete Tom die Augen und blinzelte. Seine Augen weiteten sich vor Unglauben und er schreckte hoch. Mit zitternden Fingern umklammerte er sein Handy, wählte einmal mehr eine bestimmte Nummer. „Mr. Holmes?“, sagte er, wobei seine Stimme brach und zitterte. „Könnten Sie vorbeikommen? Ich … “ Die Worte verließen ihn und der einzige Laut, der ihm über die Lippen kam, war er ein ersticktes Schluchzen, als sein Blick noch immer zwanghaft auf die Wand gerichtet war. Ein Wort, ein einzelnes Wort hatte sich in den Beton gebrannt. Heute. Kapitel 3: ----------- Wie? Das war die Frage, die John durch den Kopf schoss. Wie war das möglich? Sie hatten das Haus die ganze Nacht lang überwacht. Sie hatten nicht einmal eine Sekunde lang weggesehen. Ja, gut, vielleicht doch. Vielleicht während der fünf Minuten, in der sie sich endlich entschlossen hatten, doch nach Hause zu gehen, aber niemand konnte in diesen fünf Minuten in Hiddlestons Haus eingebrochen sein. Außerdem gab es gar keine Anzeichen dafür, dass irgendjemand eingebrochen war. Keine zerbrochenen Schreiben, keine geknackten Schlösser. Entweder hatte der Stalker seinen eigenen Schlüssel oder … Sein Blick huschte von Sherlock zu dem Mann, der auf dem Sofa saß – die Decke war in seinen Schoß gefallen, seine Brust und Füße waren nackt und seine Augen rot vom Weinen, seine Haut blass vor Angst. Niemand könnte das vortäuschen. Niemand war so gut im Schauspielern. Aber Sherlock hatte Recht – was hier geschah war ganz einfach und ganz sicher unmöglich. Er muss es selbst getan haben, flüsterte seine innere Stimme ihm zu. Aber er sieht nicht aus wie ein schizophrener Verrückter (oder politisch korrekt ausgedrückt: wie ein Mensch mit dissoziativer Identitätsstörung) oder als wäre er so scharf auf PR. Er sieht so … nett aus. Also wieso? Wenn er es selbst war, wieso tut er das? Und wenn er es nicht war … John schauderte, sah wieder zu der verbrannten Wand. Sollte die winzige Möglichkeit, dass es wirklich einen durchgedrehten Stalker gab, sich als Wirklichkeit herausstellen, dann war das anders als alles, was sie je zuvor gesehen und bekämpft hatten. „Was für eine Art von Säure tut das?“, fragte sich Sherlock, der sich näher zu der Wand lehnte, sie untersuchte ohne sie dabei anzufassen (John würde gerne sagen, er hätte endlich gelernt, dass Sicherheit an oberster Stelle stand, aber das war schließlich immer noch Sherlock 'Sicherheit ist was für ordinäre Menschen' Holmes). „Es sieht aus, als wäre die Schrift schon vor Tagen in die Wand geätzt worden. Aber wir waren erst gestern hier. Wie kann das -“ „Wen interessiert das?“ Hiddleston – noch immer weiß wie ein Gespenst – sah mit wütendem Blick zu ihm hoch. „Sie – Sie haben das langweilig genannt! Trivial! Sie haben damit angegeben, wie schnell Sie diesen Irren doch aufspüren könnten, und dabei haben Sie noch überhaupt nichts getan!“ Die letzten Worte schrie er und krallte sich so fest in die Decke, dass John befürchtete, er könnte sie in Stücke reißen. Er funkelte Sherlock wütend an; dessen Blick wiederum wurde kalt. John war schon bereit, einzuschreiten, sollte der Anstarr-Wettbewerb in etwas Gravierendes, etwas Brutaleres ausarten, aber da sah Hiddleston schon zu Boden. „Tut mir Leid. Ich hätte nicht ausflippen sollen. Es ist nur … Ich bin in meinem eigenen Haus nicht mehr sicher … “ „Ja“, sagte Sherlock. „Sie sollten einige Zeit lang ausziehen.“ „Sie können bei uns bleiben“, schlug John schnell vor. „Wer auch immer das getan hat, kennt uns nicht, weiß nicht, wo wir wohnen. Sie wären bei uns sicher.“ Und außerdem, fügte er stumm hinzu, tauschte einen Blick mit Sherlock, der knapp nickte, können wir Sie im Auge behalten. - „Sie können mein Zimmer haben“, sagte John, als er Hiddleston dabei half, seinen Koffer die Stufen zu 221B hinaufzutragen. „Nein. Das geht nicht. Vielen Dank für das Angebot, aber -“ „Es ist kein Problem. Wirklich nicht. Außerdem bestehe ich darauf.“ Er lächelte breit. „Machen Sie sich keine Sorgen deswegen, Sie machen wirklich keine Umstände, Mr. Hi-“ „Tom.“ „Wie bitte?“ Der Mann brachte ein verlegenes Lächeln zustande. „Sie lassen mich für unbestimmte Zeit Ihr Bett stehlen. Ich denke, das ist Grund genug, uns mit Vornamen anzusprechen. Finden Sie nicht auch?“ John lächelte einmal mehr und nickte. „John. Es ist nett, Sie … nun ja, 'kennenlernen' kann man es nicht ganz nennen.“ „Wenn ihr damit fertig sein solltet, Höflichkeiten auszutauschen“, rief Sherlock ihnen ungeduldig vom Kopf der Treppe aus zu, „könnten wir uns dann wieder um den Fall kümmern? Ihr wisst schon – den Wichtigen?“ Er verschwand in der Wohnung, das Smartphone bereits in der Hand, und tippte verschiedene Schlüsselwörter ein, murmelte dabei leise vor sich hin. Hiddles- Tom brachte seinen Koffer die zweite Treppe hinauf, und Sherlock vollführte eine knappe Geste, um John näher zu sich zu winken. „Da“, sagte er, „das ist unser Hersteller. Die einzige Firma in ganz England, die Schwefel für ihre Tinte benutzt.“ Er drückte auf die Tasten. „Und das hier sind die Papeterien, die sie beliefern. Wir können die zwei hier ausschließen, die sind in der Zwischenzeit pleite gegangen.“ Was bedeutete, dass es ganz genau einen Laden in ganz London gab, in dem sie Antworten auf ihre Fragen finden konnten – oder zumindest Hinweise auf die Antworten auf ihre Fragen. Wie praktisch. Es schien ein wenig weit hergeholt, ausgerechnet dort auf Hinweise zu stoßen, aber nun ja … in der Zeit, die sie schon miteinander verbracht hatten, waren schon seltsamere Dinge geschehen. Und das erst recht in den letzten zwei Tagen. „Du willst also, dass ich zu 'Smug' gehe und herausfinde, wie 'smug' sie da wirklich sind?“ Auf Sherlocks 'Du bist nicht witzig, also hör bitte auf, so zu tun'-Blick hin zuckte er mit den Schultern. „Und was hast du vor?“ „Ich gehe zurück zu Hiddlestons Haus. Wenn wir Glück haben, finde ich unser ganz eigenes Morddrohungsbastelset.“ Er sah zum Treppenabsatz. „Mr. Hiddleston“, sagte er laut, „wir machen mit den Nachforschungen weiter. Fühlen Sie sich ganz wie Zuhause und fassen Sie ja nichts an!“ „Und Sie müssen keine Angst vor dem Kühlschrank haben“, fügte John – hilfreich wie immer – hinzu. - Das Erste, zu dem Tom sich entschied, nachdem er damit fertig war, sich in seinem neuen Schlafzimmer umzusehen, war es, eine Dusche zu nehmen. Er brauchte dringend eine. Also faltete er sorgsam seine Kleider (wäre er jetzt Zuhause, hätte er sie einfach in den Wäschekorb geworfen, aber er wusste schließlich weder, ob John überhaupt einen besaß, noch ob es ihm recht war) und stieg unter den wunderbar warmen Wasserstrahl. Laut seufzend schloss er die Augen, genoss, wie die zahllosen Wassertropfen auf ihn herabregneten, um die Verspannung in seinen Schultern zu lösen. Sein schwarzes Haar fiel ihm ins Gesicht und er lächelte darüber, nass und beinahe wieder sauber zu sein, als er nach einer Flasche Shampoo griff. Ungefähr dreißig Minuten später schaltete er das Wasser ab und schauderte wegen der plötzlichen Kälte, wickelte sich in einen Bademantel und stieg aus der Dusche. Rasieren kam als Nächstes. Die war auch bitter nötig. Als er in den Spiegel schaute, schnitt er eine Grimasse und nickte seinem Spiegelbild zu. Ja. Bitter nötig. Er griff nach seinem Rasierapparat (glücklicherweise hatte er daran gedacht, ihn mitzunehmen), betrachtete sich selbst im Spiegel, betrachtete die Art und Weise, wie seine Bartstoppeln einen verdienten Tod starben. Und dann zwinkerte sein Spiegelbild ihm zu. Tom zuckte zusammen, schnitt sich dabei an der Wange. „Scheiße!“, fluchte er, obwohl er eigentlich sagen wollte: „Was zur gottverdammten Hölle war das?“ Er blinzelte, beugte sich nach vorn, betrachtete sein Spiegelbild mit ernstem Blick und legte eine Hand auf den Spiegel. Nichts geschah. Natürlich nicht. Was hatte er denn erwartet? Dass sein Spiegelbild seine Hand beiseite schlug und ihn ausschimpfte? Sicherlich nicht … Du bist nur ein wenig schreckhaft, Tom, dachte er. Nun, wie auch nicht? Er schloss einen Augenblick lang die Augen und nickte dann langsam. Ja. Das muss es sein. Ich bilde mir alles nur ein, nichts weiter. Halbwegs beruhigt griff er nach seinem Handy, einfach nur zur Sicherheit, falls John oder Sherlock anrufen sollten, und wagte sich hinab in die Küche, wo er sehr schnell herausfand, dass er eigentlich doch überhaupt keinen Hunger hatte („Oh mein Gott!“, rief er. „Ist das ein Fuß?“), und betrat stattdessen das Wohnzimmer, um sich auf das Sofa zu setzen und sich umzusehen, wobei er die Stirn in Falten legte. War da ein Cluedobrett an die Wand genagelt? Und dann auch noch mit einem Messer? Zugegeben, er hatte gewusst, dass Sherlock Holmes ein wenig exzentrisch sein konnte, aber er hätte nie für möglich gehalten, wie exzentrisch er wirklich war. Dennoch war Sherlock Holmes ein interessanter Mann, und wenn man ihn ein wenig besser kannte, war er möglicherweise sogar ein sehr liebenswerter Mann. Hm. Wollte er ihn besser kennenlernen? Er dachte darüber nach, und dann dachte er an seine langen, schmalen, beinahe knochigen Finger, dachte an sein seltsam schiefes Lächeln, dachte an helle und intelligente Augen, die sich niemals entscheiden konnten, welche Farbe sie nun hatten. Und dann dachte er daran, dass, ja, er ihn wirklich gerne besser kennenlernen würde. Später. Wenn diese ganze Sache vorbei war. Aber erst einmal dachte er daran, dass er sich irgendwie ablenken sollte. Mit dem Fernsehprogramm zum Beispiel … Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, piepste sein Handy, um ihm zu sagen, dass er eine SMS bekommen hatte. - 'Smug' war ein Laden, der nicht ganz am anderen Ende von London, aber dennoch ziemlich weit weg und noch besser versteckt lag. John musste zugeben, dass er schmale, braune Tür komplett übersehen hätte, wenn er nicht bereits von der Existenz des Ladens im Klaren gewesen wäre. Vielleicht hätte er die Tür auch für den Eingang zum Haus irgendeines Ladenbesitzers gehalten. Im Inneren fand er nicht nur eine größere Auswahl an Geburtstagskarten als er jemals zu sehen gewünscht hätte, sondern auch einen älteren Herren, sein Haar an den Schläfen bereits ergrauend, seine Augen freundlich und warm. Ein Verkäufer, falls seinem weißem Hemd mit dem Schriftzug 'I feel smug' Glauben zu schenken war. Sehr gut. Genau der Mann, den John brauchte. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte der Verkäufer, verzog die Lippen zu dem üblichen Lächeln, das man eben lächelte, wenn man glaubte, einen Kunden vor sich zu haben. „Oh ja.“ John beobachtete den Mann, als er ihm sein Problem und seinen Beruf erklärte (Es war nicht gelogen, als er sagte, er wäre ein Privatdetektiv. Zumindest war es keine ganze Lüge. Er war mit einem befreundet, galt das auch?), sah zu, wie er seine Schläfe in einer Geste der Verwirrung und des Nachdenkens kratzte, sah ihm zu, wie er die Arme vor der Brust verschränkte. „Also, erinnern Sie sich an jemanden, der eine große Menge an dunkelgrüner Tinte und marmoriertem Papier gekauft hat?“ „Es gab da einen Gentleman, der unsere gesamten Vorräte aufgekauft hat, ja“, sagte der Mann nach kurzer Zeit. „Das war letzten Donnerstag, glaube ich.“ „Klasse! Können Sie … können Sie ihn mir beschreiben?“ Und so tat der Verkäufer genau das und erzählte John alles über einen großen Mann – etwas über einen Meter Achtzig – mit schmalem Körperbau und langen Gliedmaßen, hohen Wangenknochen und hoher Stirn, sowie schwarzem Haar, das ihm bis auf die Schultern reichte. Der Blick, mit dem John ihn bedachte, lag irgendwo zwischen Überraschung und Horror. Das … klang genau wie Tom. Also hatte er das alles getan. Aber hatte er nicht gesagt, er wäre bis Freitag spät nachts außer Landes gewesen? Natürlich konnte das eine Lüge gewesen sein, aber … „Ist das der Mann, den Sie gesehen haben?“, fragte er, rief auf seinem Handy ein Foto von Tom auf, um es dem Verkäufer zu zeigen. „Ja! Das ist er! Nur … “ „Nur was?“ „Die Augen stimmen nicht. Sie waren nicht blau. Sondern grün.“ John legte die Stirn in Falten. „Sind Sie sicher?“ „Oh ja“, sagte der Verkäufer. „Ich habe noch immer Alpträume von diesen Augen.“ - 1 SMS von eigener Nummer Tom blinzelte verwirrt. Er hatte sich keine SMS geschickt. Oder hatte er doch? Nein. Sicherlich nicht. Vielleicht war sein Handy kaputt. Verwirrt und mit sehr schlechtem Gefühl im Magen öffnete er die Nachricht. Lass den Fernseher aus. Es läuft sowieso nichts Gutes. Eine plötzliche Kälte erfasste seinen Körper wie eine eisige Hand, die sein Herz und seine Kehle umklammerte. Er starrte das Telefon geschockt an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch nur ein Wimmern entkam seinen Lippen. Wie macht er das? Werde ich langsam verrückt? Mit zitternden Fingern griff er nach der Fernbedienung, schaltete den Fernseher an. Der Bildschirm blieb schwarz, und gerade, als Tom den Kopf schüttelte und sich fragte, ob das Ding kaputt war, erschienen weiße Buchstaben, einer nach dem anderen, formten einen einzigen Satz: Ich sagte doch, es läuft nichts Gutes. Dieses Mal schrie Tom auf, schaltete den Fernseher aus Reflex wieder aus. Und dann blieb er genau so, blieb still, wagte nicht, sich zu bewegen. Er hätte nie gedacht, dass er die Anwesenheit von Sherlock Holmes so schnell herbeisehnen würde. - Er musste nicht sehr lange warten. Schon zehn, zwanzig Minuten später stürmte Sherlock in die Wohnung; in seinen Augen funkelte ein Zorn, den er sofort auf den Mann richtete, der sich wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa zusammengekauert hatte. „Wir müssen reden.“ „Haben Sie etwas herausgefunden?“, fragte Hiddleston mit einem hoffnungslosen Blick, der genauso falsch war wie der Rest seiner Lügengeschichte. „Sicher doch.“ Sherlock baute sich vor ihm auf. „Ich habe herausgefunden, dass Sie ein Lügner sind.“ "Was?" Er atmete tief durch, setzte sich in seinen Sessel und schloss die Augen. Schrei ihn nicht an. Bleib ruhig, sagte er sich. „Sie“, begann er noch einmal, „sind ein Lügner. Eigentlich keine große Überraschung. Das seid ihr Schauspieler alle. Aber das hier ist eine ganz andere Geschichte.“ Er öffnete die Augen, beobachtete den Mann. „Ein Verkäufer in einer Papeterie hat sie identifiziert. Er hat gesehen, wie Sie letzten Donnerstag die gesamten Zutaten für Ihren kranken, kleinen Scherz gekauft haben.“ "Was? Ich war am Donnerstag nicht einmal in England, geschweige denn in London!" „Natürlich nicht. Sie haben einen bösen Zwilling mit etwas längeren Haaren und unnatürlich grünen Augen. Was mich zu der Frage bringt, warum Sie sich überhaupt die Mühe gegeben haben, Kontaktlinsen zu tragen, ohne sonst etwas an Ihrem Aussehen zu verändern.“ „Ich … “ „Sie haben Kontaktlinsen in Ihrem Badezimmer.“ „Ich … “ Hiddleston blinzelte. „Die waren für einen Film. Aber ich vertrage keine Linsen. Ich bin nur noch nicht dazu gekommen, sie wegzuwerfen.“ „Aber ja doch.“ Sherlock schnaubte, schlug mit der Hand auf den Tisch, brachte nicht nur Hiddleston sondern auch John dazu, zusammenzuzucken. „Hören Sie auf!“, rief er. „Es reicht! Sie hatten Ihren Spaß. Selbst jetzt, wo ich die Wahrheit schon herausgefunden habe, bestehen Sie darauf, weiter zu lügen? Hören Sie einfach auf und sagen Sie uns, warum Sie so scharf auf unsere Aufmerksamkeit waren! Haben Ihre Eltern Sie nicht genug geliebt, als Sie noch ein Kind waren? Ist es das?“ Hiddleston hatte die Augen vor Unglauben aufgerissen und öffnete den Mund, aber kein Ton entkam seinen Lippen. Als Sherlock ihn anschreien wollte, damit er endlich aufhörte, ihre Zeit zu verschwenden, geschah etwas Unerwartetes: Sein Handy klingelte. Und es war Hiddlestons Nummer, die auf dem Display angezeigt wurde. Sherlock blinzelte verwirrt und nahm ab. „Ja?“ „Hallo, Mr. Holmes.“ Eine Stimme, die genauso klang wie die des Mannes auf dem Sofa, nur mit einer kalten, harten Note darin. Selbst diese kurze Begrüßung war mehr geknurrt als gesagt. „... wer ist da?“ „Verlassen Sie das Zimmer und machen Sie die Tür hinter sich zu. Ich möchte, dass nur Sie das hier hören.“ Oh, willst du das?, dachte Sherlock und drückte den Lautsprecherknopf, sah nickend zu John. „Schon erledigt.“ Der Mann legte auf. Sherlock fluchte laut und stand auf, verschwand in seinem Schlafzimmer. Er knallte die Tür hinter sich zu. Komm schon, komm schon, komm schon! Das Telefon klingelte wieder. „Lügen Sie mich nie wieder an, Sherlock Holmes. Es ist unklug und wird nicht ungestraft bleiben.“ „Mich bestrafen? Was wollen Sie denn tun? Wieder auflegen?“ „Nicht doch. Ich werde einfach verschwinden, ohne Ihnen zu verraten, wer ich bin und wie ich die Dinge tun konnte, die ich getan habe. Und möglicherweise werde ich es für notwendig halten, Ihren netten Klienten in den endgültigen Wahnsinn zu treiben.“ „Hm.“ Sherlock nickte. Natürlich. Das hatte er erwartet und befürchtet. „Und was tun Sie, wenn ich mich benehme?“ Der Mann lachte. „Ich könnte sagen 'Sie kennen mich nicht, aber ich kenne Sie, und ich möchte ein Spiel spielen', aber ich fürchte, die Anspielung würde meilenweit an Ihnen vorbeigehen. Also … “, sagte er, wobei seine Stimme wieder ernst wurde. „Ich schlage einen Handel vor. Sie tun, was ich sage, Sie erfüllen meine Wünsche und ich geben Ihnen Tipps dazu, wer ich sein könnte und warum ich unsren lieben Freund Thomas so ärgere.“ „Und was sind Ihre Wünsche?“ „Der Ort, an dem sich jeder sieht und doch niemand selbst erscheint, wo man der Wirklichkeit entflieht, ist nun mit dem Tod vereint. Mr. Holmes, ich möchte, dass Sie diesen Ort finden, dass Sie heute Nacht dorthin gehen. Sie werden ein kleines Päckchen finden, das etwas enthält, was mir lieb und teuer ist. Ich möchte, dass Sie den Inhalt an sich bringen und gut darauf aufpassen, bis ich Ihnen anderweitige Anweisungen gebe.“ „Was befindet sich darin?“ „Nichts Gefährliches. Das verspreche ich.“ „Ich glaube nicht, dass Ihre Versprechen viel wert sind.“ Der Mann lachte leise. „Damit liegen sie nicht unbedingt falsch.“ - Als Sherlock zurückkam, hatte Tom sich bereits wieder angezogen, denn wenn er es schon ertragen musste, angeschrien zu werden, wollte er dabei wenigstens nicht nackt sein müssen. Aber Sherlock schrie nicht. Er sah ihn nicht einmal an. Er sank einfach in seinen Sessel, die Augenbrauen erhoben, die Fingerspitzen aneinandergedrückt. „Der Ort, an dem sich jeder sieht und doch niemand selbst erscheint, wo man der Wirklichkeit entflieht, ist nun mit dem Tod vereint“, murmelte er wieder und wieder. „Sherlock? Bist du in Ordnung?“, fragte John. „Hm.“ Sherlock blickte zu Tom. „Der Mann, der hinter all dem hier zu stecken scheint, hat mich angerufen.“ Auf Toms geschockte Miene hin hmmte er noch einmal, erklärte dann die Anweisungen und Versprechungen. „Ich muss nur herausfinden, wo dieser Ort ist.“ Er schloss die Augen, tief in Gedanken versunken. „Vielleicht … “ „Seien Sie still, Mr. Hiddleston.“ „Aber ich … “ „Nein, Sie können nicht helfen.“ Wow. So viel zu 'Vielleicht wäre es nett, ihn besser kennenzulernen.' Arschloch. „Eine Club?“, überlegte John. „Das würde passen. Man sieht sich dort, aber niemand kennt einen und man kennt auch selbst niemanden. Deswegen erscheint man dort nicht wirklich.“ Sherlock öffnete nachdenklich ein Auge. „Es gibt zu viele Clubs in London. Wie sollten wir wissen, welchen er meint?“ „Einen, der schon vor Jahren geschlossen wurde“, sagte Tom und zuckte zusammen, als Sherlock ihm einen kühlen Blick schenkte. „Aber … ich glaube nicht, dass er einen Club meint. Man erscheint dort, auch wenn einen niemand persönlich kennt.“ „John, Laptop. Such nach allen verlassenen Gebäuden in London.“ Laptop, dachte Tom. Laptop. Internet. Jeder geht heutzutage ins Internet, jeder ist auf Facebook oder ähnlichen Seiten. Anderen sozialen Netzwerken. Jeder … trifft sich dort, ohne das Haus überhaupt verlassen müssen. Ohne körperlich zu erscheinen. Ein Ort, an dem man ins Internet kommt … oh. „Ein Internetcafé.“ „... natürlich“, murmelte Sherlock leise. „John, such nach -“ „Bin dir schon einen Schritt voraus. Das stand heute Morgen in der Zeitung.“ John holte selbige. Auf Seite zwanzig fand sich ein winziger Artikel über ein örtliches Gebäude, das einmal ein Internetcafé gewesen war und dessen Überreste jetzt eine kleine Firma gekauft hatte, um dort ein Bürogebäude zu errichten. Sherlock betrachtete den Artikel einige Sekunden lang, nickte dann. „Hol deinen Mantel, John. Sie auch, Mr. Hiddleston. Gehen wir.“ Tom konnte ein erleichtertes Seufzen nicht unterdrücken, als er begriff, dass er nicht noch einmal alleine gelassen werden würde. - Es fühlte sich an wie eine außergewöhnlich dunkle und kalte Nacht, als sie das Taxi verließen und die letzten Meter in Richtung des alten Gebäudes liefen. Tom schauderte. Er fühlte sich, als würde ihn jemand beobachten, jeden seiner Schritte verfolgen. Eigentlich, vermutete er, beobachtete ihn sogar höchstwahrscheinlich jemand in diesem Augenblick. Wäre nicht das erste Mal. Stalker taten so etwas eben. Als sie endlich vor dem Gebäude standen, dachte Tom, dass er es alles andere als einladend fand. Die Vordertür war aus den Angeln gerissen, die Fenster zerschlagen. Mehr oder weniger jeder Zentimeter der Außenwände war mit Gangzeichen und Graffiti vollgeschmiert. „Wie nett“, sagte John. „Man hat uns die Tür offen gelassen.“ „Dann lass uns hoffen, dass unser Päckchen noch da ist“, antwortete Sherlock und betrat das Café. John folgte ihm und Tom blieb noch einen Moment lang draußen stehen, bis er all seinen Mut zusammengenommen hatte, um hineinzugehen (Es war nicht so, als hätte er Angst. Ehrlich. Er hatte nur bereits am helllichten Tage genügend unheimliche Sachen gesehen, er brauchte wirklich nicht noch mehr davon mitten in der Nacht.) Die schwachen Lichtkegel, die aus Sherlocks und Johns Taschenlampen kamen, beleuchteten den Raum teilweise, gaben ihm eine unangenehme Atmosphäre, glitten über alte Tische, die von Staub bedeckt waren, über einen kaputten Stuhl, einige Regale an der Wand und eine Theke, die davor stand. Sherlock war gerade unter einen Tisch gekrochen, während John die Regale durchwühlte, leere Kartons zur Seite schob. „Ich hab es!“, rief John nach einigen Minuten Stille, was Sherlock dazu brachte, zu ihm herüber zu hasten. Tom schaute in ihre Richtung. Und erstarrte. Jemand stand dort, direkt neben den beiden. Der schwarze Schatten eines Mannes, dessen Züge Tom nicht erkennen konnte. Die Gestalt drehte sich um, sah Tom, der eine panische Grimasse schritt und langsam rückwärts stolperte, direkt an. Noch immer konnte er kein Gesicht erkennen, nichts außer einem breiten Grinsen, das haifischartige, weiße Zähne entblößte. Tom stieß gegen einen Tisch; ein verängstigter Laut kam über seine Lippen. Sherlock wirbelte herum, das Päckchen bereits in der Hand. „Was ist los?“ „Ich … “ Siehst du das nicht?, wollte er fragen, aber genau da verblasste die Gestalt mit einem weiteren Grinsen, winkte ihm dabei zu. „... nichts. Es ist nichts. Mein Hirn hat mir nur einen Streich gespielt.“ „Keine Sorge, wir sind hier, um auf Sie aufzupassen“, beruhigte John ihn. Ich fürchte, ich brauche wirklich jemanden, der auf mich aufpasst. Es ist offensichtlich, dass ich nicht mehr dazu in der Lage bin, es selbst zu tun. - „Ich habe es“, sagte Sherlock wie aus der Pistole geschossen, als sein Handy klingelte. „Ich lag richtig in der Annahme, Ihnen zu vertrauen, Mr. Holmes“, antwortete der Mann. Sherlock konnte ihn beinahe lächeln hören. „Haben Sie es geöffnet?“ „Nein.“ „Tun Sie es.“ Einen Moment lang zögerte Sherlock. Was, wenn es eine Bombe war, eine chemische Waffe, irgendetwas anderes Gefährliches? Dann würde er nicht nur sich selbst verletzen, sondern auch jeden anderen im Haus. Aber zugegebenermaßen, wann hatte ihn das je gehindert? Sherlock öffnete das Päckchen, war überrascht, etwas zu finden, mit dem er wirklich nicht gerechnet hätte. „Eine Schmuckschachtel.“ Er öffnete auch diese und legte die Stirn in Falten. Dort lag ein Ring, ein filigranes, aus Silber geschmiedetes Ding, das einer Schlange mit smaragdgrünen Augen ähnelte. Als er den Ring aus der Schachtel nahm, sah er, dass das Schmuckstück größer war als auf den ersten Blick angenommen. Sollte er ihn tragen, würde der Schwanz der Schlange seinen gesamten Handrücken verdecken und der Kopf die ganze Länge seines Fingers. „Sind Sie ein Schmuggler?“ „Nein. Der Ring gehört mir. Er wurde vor sehr, sehr langer Zeit gestohlen. Und er ist nicht der einzige Gegenstand, von dem ich wünsche, dass Sie ihn mir zurückbringen.“ „Warum sollte ich das tun?“ „Weil Sie wissen möchten wer ich bin und was ich von Ihnen will.“ „Wo wir gerade davon sprechen; Sie haben mir einen Hinweis versprochen.“ „Ah. Natürlich. Schlagen Sie die nordische Mythologie nach, Mr. Holmes.“ Sherlock blinzelte. „Das ist alles?“ „Oh, möchten Sie bereits eine nächste Bitte hören?“ Als Sherlock nicht antwortete, sagte er: „Der arme Thomas erscheint mir sehr gestresst in letzter Zeit. Sie sollten ihm ein wenig zur Hand gehen.“ „Sollte ich? Und wie?“ „Vielleicht sollten Sie … “ Er lachte. „Sie sollten statt Ihrer Wissenschaft der Deduktion einmal ausprobieren, wie es um ihr Talent in der Kunst der Seduktion bestellt ist.“ „Und was habe ich davon?“ „Möglicherweise treffe ich mich persönlich mit Ihnen und erläutere Ihnen meine Motive.“ Verdammt. Das klang vielversprechend. „Sie haben den ganzen morgigen Tag. Nutzen Sie ihn weise.“ Und dann legte er auf. Sherlock starrte sein Handy noch einige weitere Augenblicke an. Das … schien wohl doch der komplizierteste Fall zu werden, den er jemals angenommen hatte. - In dieser Nacht verlor Sherlock Holmes sich in seinen Gedanken. Er hatte die Augen geschlossen, den Rücken gegen den Tisch gelehnt, die Violine in seinen Händen haltend. Er spielte verschiedene Töne, dachte sich die Melodie aus, während er spielte. Wie immer half es ihm nachzudenken. Dieser Fall war ein einziges Durcheinander. So sehr es ihm auch missfiel, es zuzugeben: Er hatte sich geirrt. Es war unmöglich für Hiddleston, sein eigener Stalker zu sein, nicht nach der Aktion mit dem Handy, denn es gab keine Möglichkeit, dass Hiddleston sein Handy auf magische Art und Weise dazu gebracht hatte, Sherlocks Nummer zu wählen. Außerdem – so vermutete er – mochte der Mann vielleicht ein Schauspieler sein, aber doch sicherlich kein Ventriloquist. Das bedeutete, sie mussten nach jemandem suchen, der fast genauso klang und aussah wie Tom Hiddleston höchstselbst. Ein Bruder vielleicht? Einer, von dem Hiddleston selbst überhaupt nichts wusste? Ein uneheliches Kind, das neidisch war auf den frisch gewonnenen Ruhm und Erfolg seines Bruders? Das klang … vernünftig. Er sollte das im Hinterkopf behalten und - Er blickte auf, als jemand die Treppe herunterkam. „Sie sollten wieder ins Bett gehen.“ Hiddleston sah ihn schuldbewusst an und zuckte mit den Schultern. „Kann nicht schlafen“, sagte er, als ob das als Entschuldigung dafür ausreichte, dass er Sherlocks Gedanken störte. „Ich habe Sie spielen gehört.“ „Das meine ich nicht.“ Der Mann rollte sich auf dem Sofa ein und schwieg einige Sekunden lang. „Ich … mag es.“ „Ach, wirklich?“ Da war er wohl der Erste. Alles, was er bisher erlebt hatte, waren Johns laute Beschwerden oder sein stilles Ertragen. „Lassen Sie sich von mir nicht stören. Machen Sie ruhig weiter. Wenn … wenn Sie möchten.“ Nun, genau das war seine Absicht, vielen lieben Dank für die Erlaubnis. Er schloss die Augen wieder, konzentrierte sich nur auf die Violine und den Bogen in seinen Händen. Die Zeit verging zusammen mit den flüchtigen Melodien, den Klängen der Violine, und als Sherlock die Augen wieder öffnete, sah er, dass der Mann auf dem Sofa eingeschlafen war. Sherlock konnte ein schmales Lächeln nicht unterdrücken, als er das Instrument langsam senkte und und eine Decke über Toms schlafenden Körper legte. ____ Erstmal vielen lieben Dank für die Klicks, Kommentare und Favoriteneinträge. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass das hier überhaupt jemand liest. Die deutschen Fandoms sind ja nicht sooo crossoverfreundlich. xD Dann ... wow, ich bin furchtbar. I'm so sorry. Es hat so lange gedauert und ich bin so ein schlimmer Mensch, der viel zu selten auf Kommentare antwortet, weil ich nie weiß, was ich sagen soll außer "OMG, danke fürs Lesen, hallo, ich mag dich. ;w; !!!" Ab sofort wird es schneller gehen, ich hab immerhin keine Uni mehr und krieg das mit meinem Job alles unter Dach und Fach. Yay. Uuuund ... eine letzte Sache. "Smug" gibt es wirklich. In London. Das ist ein kleiner, netter Laden in 13 Camden Passage. (In den nächsten Kapiteln folgen noch weitere Orte, die es auch alle wirklich so in London gibt, und die auch alle so aussehen.) Wer auf die Seite von "Smug" gehen möchte, kann das unter http://www.ifeelsmug.com/ machen. Kapitel 4: ----------- Der fünfte Tag vom Ende der Welt beinhaltete keine Grausamkeiten, und Tom erwachte ohne böse Überraschungen. Abgesehen vielleicht von einem Moment voller Orientierungslosigkeit, weil er zuerst keine Ahnung hatte, wo er denn war, auch wenn es ihm sehr schnell wieder einfiel. Er stöhnte leise auf, als er verstand, dass die letzten paar Tage sich doch nicht als ziemlich schlimmer Alptraum entpuppten. Leider. „Sie sind wach“, sagte die Stimme von Sherlock Holmes, und als Tom aufsah, sah er den Körper von Sherlock Holmes neben dem Sofa stehen, wobei er ein Lächeln auf den Lippen hatte (was, auf gewisse Art und Weise, sehr, sehr unheimlich wirkte). „Guten Morgen.“ „Guten Morgen“, wiederholte Tom, lächelte unsicher. „Tut mir Leid, dass ich Sie letzte Nacht gestört habe.“ „Oh, aber nicht doch.“ Sherlock neigte den Kopf zur Seite. „Ich komme nicht oft in den Genuss eines willigen Publikums.“ „Oh.“ Er blinzelte und setzte sich auf, rieb sich die Augen. „Ich denke, ich sollte duschen.“ Und mir die Zähne putzen. Ich fühl' mich, als wäre mir etwas in den Mund geklettert und gestorben. „Lassen Sie sich Zeit. Ich bereite das Frühstück vor.“ Frühstück. Oh. Das erinnerte Tom daran, dass er in den letzten zwei Tagen eigentlich kaum etwas gegessen hatte. Fast wie auf Kommando begann sein Magen, laut zu knurren, was Tom ein Seufzen entlockte. „Frühstück klingt wunderbar. Danke.“ - „Warum haben Sie einen Fuß in ihrem Kühlschrank?“, fragte Tom später, als er sich an den Küchentisch setzte. Seine Haare waren noch feucht und hingen ihm ins Gesicht, am Körper trug er nur ein Paar Shorts und einen Morgenmantel. Es wartete wirklich ein Frühstück auf ihn, komplett mit Toast und Eiern und Marmelade (auch wenn er fast befürchtet hatte, das Essen würde eher nach verschiedensten Körperteilen schmecken als nach Essen). „Es ist für ein Experiment.“ „Oh. Ich verstehe.“ „Nein, tun Sie nicht.“ „Nein, tue ich nicht“, wiederholte Tom pflichtbewusst, schmierte sich einen Toast und nahm einen Bissen, von dem er sehr sicher war, dass er schmeckte wie das Paradies. Wenn das Paradies einen Geschmack hätte. … hatte das Paradies einen Geschmack? Er runzelte die Stirn über sich selbst. „Wollen Sie nichts essen?“ „Ich esse nie während eines Falles.“ „Nie?“ Er schüttelte überrascht den Kopf. „warum nicht?“ „Unnötige Ablenkung.“ … oh. Er verschlang einen weiteren Bissen, griff währenddessen nach der nächsten Scheibe Toast, was Sherlock dazu brachte, leise zu lachen. „Was ist?“ „Nichts, nichts.“ Tom betrachtete ihn skeptisch, aber zuckte dann mit den Schultern, wandte sich wichtigeren Dingen zu: seinem Essen. „Ich wollte mich entschuldigen.“ „Wofür?“ „Dafür, Ihnen nicht geglaubt und Sie wie einen Kriminellen behandelt zu haben.“ Er winkte ab. „Ich nehme es Ihnen nicht übel. Das kann jedem mal passieren.“ „Kann es das?“ Tom blinzelte, als er Sherlocks Blick auf sich spürte. „Was ist?“ „Ich wollte Sie etwas fragen.“ „Ja?“ Oh je. Das konnte nichts Gutes sein. „Haben Sie einen festen Freund?“ Tom verschluckte sich beinahe an seinem Toast. „Was? Nein, ich habe keine Zeit für … Moment, wie kommen Sie darauf, dass ich einen Freund haben sollte?“ „Ich habe gewisse Dinge in Ihrem Schlafzimmer gefunden. Der Rest war eine einfache Schlussfolgerung. Liege ich etwa falsch?“ Scheiße. Warum hatte er nicht daran gedacht, alles zu verstecken? Ach ja, weil er vor Todesangst beinahe durchgedreht wäre. Was keine Entschuldigung war. Wenn die Presse das herausfände, stünde er sehr bald ohne Job da. Wer würde schon einen schwulen Superschurken haben wollen? Die Comicfans sicher nicht. „Nun ja, ich … “ „Ich liege nicht falsch, oder?“ Er nickte einfach nur und vermied es, aufzusehen. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich verurteile Sie nicht.“ „Na ja, das sollten Sie auch nicht. Wenn man das mit Ihnen und John bedenkt.“ Sherlock blinzelte. „Was ist mit mir und John?“ „Sind Sie nicht zusammen?“ „... nein? Sollten wir es sein?“ Scheiße. Nochmal. Gut gemacht, Thomas, warum kannst du nicht einmal deine verdammte Klappe halten? „Tut mir Leid. Tut mir wirklich Leid. Ich wollte nichts andeuten.“ „Das haben Sie nicht.“ „Oh. Gut.“ „Sie haben ganz offen behauptet, John und ich wären ein Paar.“ Er seufzte noch einmal und lächelte hilflos, entschuldigte sich immer wieder wortreich, auch wenn ein kleiner Teil von ihm am liebsten vor Freude tanzen würde. Kein Pärchen. Offensichtlich nicht schwul. Aber trotzdem nicht verurteilend. Das kam nicht allzu oft vor. „Eigentlich habe ich aus einem anderen Grund gefragt.“ „Und was für einer soll das sein?“ Sherlock lächelte, sah ihn durchdringend an und lehnte sich nach vorn. „Ich wollte wissen, ob Sie noch verfügbar sind.“ „... hä?“ Oh ja, noch einmal gut gemacht, Thomas. Sherlock Holmes flirtet mit dir und du starrst ihn an wie ein Fisch mit offenem Mund. Wie intellektuell du gerade wirst, er ist sicher beeindruckt von dir. „Nein. Ich meine ja. Bin ich. Verfügbar.“ „Das ist nett“, sagte Sherlock, und bevor Tom protestieren konnte – wozu er nun eigentlich wirklich keinen Grund hatte –, beugte sich Sherlock so nah zu ihm, dass er seinen Atem auf der Haut spüren konnte. „Sehr nett sogar.“ Tom schauderte, seine Augen weiteten sich. Ohne es wirklich zu bemerken, leckte er sich über die Lippen. „Sie … sind sehr direkt.“ „Ich sehe keinen Grund, mich mit Trivialitäten aufzuhalten.“ Oder damit, zumindest mal einen Crashkurs in Sachen Flirten zu belegen. Offensichtlich. Irgendwie passte es, dass – so schlau Sherlock auch war – er keine Ahnung hatte, wie man mit Leuten umging. Abgesehen davon war das ganze Gespräch absolut peinlich. „Wissen Sie, es ist schön, dass Sie Interesse an mir haben, aber sollten wir uns nicht auf den Fall konzentrieren?“ „Wir können im Augenblick nichts tun. Unser Freund hat mir befohlen zu warten.“ „Sollten wir dann nicht warten?“ „Wir warten doch.“ „Während Sie mich mit den Augen ausziehen.“ „Würden Sie es bevorzugen, wenn ich Sie mit den Händen ausziehe?“ „Ich würde es bevorzugen, wenn dieser Moment weniger seltsam wäre.“ „Hören Sie. Tom. Ich darf Sie doch Tom nennen, oder?“ Er berührte Toms Wange mit einer Hand, strich mit dem Daumen über Toms Lippen – und es brachte Tom dazu, vor verzwickter und verquerer Vorfreude zu schaudern. Er war viel zu lange her, seit ihn jemand berührt hatte. „Wir stehen im Moment alle unter Stress. Und ich weiß, dass die Chemikalien, wie während und nach dem Sex ausgeschüttet werden, den Stress abflauen und Sie ihn für ein paar Stunden vergessen lassen.“ „Ihnen ist klar, dass das der seltsamste Dirty Talk ist, den ich jemals erlebt habe?“ „Nun, es ist der erste Dirty Talk, den ich jemals erlebt habe.“ „Oh“, sagte Tom und war sich nicht sicher, ob er lachen oder den Mann bemitleiden sollte. Aber er musste sich überhaupt nicht entscheiden, denn genau das war der Moment, in dem Sherlock seinen Mund auf den von Tom legte, ihn auf eine Art und Weise küsste, die sich sehr gut anfühlte, wenn sie auch absolut unerfahren war. Als Sherlock sich zurückzog, ertappte Tom sich bei dem Versuch, sich ihm entgegenzustrecken, bei dem Versuch, ihn noch einmal zu küssen, also streckte er eine Hand aus, legte sie in Sherlocks Nacken und zog ihn näher. Ein weiterer Kuss folgte, und dann noch einer und noch einer, und Tom seufzte und schloss die Augen, genoss die Wärme des Mannes vor ihm. Langsam vertiefte er den Kuss, schmeckte Kaffee und Tee und sogar ein wenig Nikotin – um ehrlich zu sein, hatte er keine Ahnung gehabt, dass Sherlock rauchte –, was ihn überhaupt nicht störte, im Gegenteil; es machte den Moment nur realer. Als er sich schließlich von ihm löste und die Augen öffnete, Sherlock dabei unsicher anlächelte, bemerkte er, dass der Mann aussah, als würde er über etwas nachdenken. „... was ist los?“ „Ich überlege noch ob wir Johns oder mein Schlafzimmer beschmutzen sollten.“ Dieses Mal lachte Tom wirklich und nahm Sherlocks Hand in seine eigene. - Sie schafften es gerade noch so zum Bett – Sherlocks Bett, ganz nebenbei –, als Sherlock eine Hand in Toms Haare krallte, seinen Kopf nach hinten riss, um seine Zähne in Toms Hals versenken zu können, ihn gleichzeitig zum Zusammenzucken und zum Stöhnen zu bringen. Seine Hände waren überall, schoben den Morgenmantel von Toms Schultern, berührten seinen Bauch und seine Brust. Tom küsste ihn wieder, biss ihn in die Unterlippe. Seine eigenen Hände hatte er in Sherlocks Locken vergraben, ließ sie dann tiefer gleiten, über seinen Nacken und Rücken, zupfte ungeduldig an dem violetten Hemd. Er hörte Sherlocks tiefes Lachen, als er mit zitternden Fingern die Knöpfe bearbeitete, einen nach dem anderen öffnete, jedes Bisschen an Haut berührte, das er erreichen konnte, als er daran arbeitete, sie beide auszuziehen. Nicht dass er überhaupt sehr viel trug. Eine Hand schlich sich zwischen seine Beine, rieb ihn durch seine Shorts hindurch, und er stöhnte in den Kuss hinein, zuckte ganz automatisch mit den Hüften. Atemloses Keuchen entkam seiner Kehle und er biss und knabberte an Sherlocks Unterlippe, seinem Kiefer, seinem Hals. „Aus mit dem Ding“, befahl er, zog wieder an Sherlocks Hemd. Sherlock lachte nur, streichelte Toms Schwanz weiter durch den Stoff hindurch. „Nicht heute. Vielleicht nächstes Mal.“ „Aber!“ Ein Laut, halb Stöhnen, halb Winseln, entkam ihm, während er mit dem Becken zuckte, sich an Sherlocks langen Fingern rieb. „Es geht hier nicht um mich. Es geht darum, dass Sie sich besser fühlen.“ Sherlock grinste und machte sich wieder über seine Kehle her, schob die Hand in Toms Shorts, um ihn ohne lästige Kleidung dazwischen zu berühren. Er zuckte und wand sich unter ihm, wimmernd und zwischen zusammengepressten Zähnen fluchend, klammerte sich an Sherlocks Hemd und seinen Rücken als würde es um sein Leben gehen. Er schrie auf, als ein Daumen über seine Spitze glitt, und und stöhnte laut und atemlos, als starke Finger sich um seine gesamte Länge schlossen. „Ganz ruhig“, flüsterte Sherlock ihm ins Ohr, pumpte ihn fest, entlockte ihm heiseres Stöhnen und Keuchen und Fluchen, als Tom den Rücken durchbog, um sich enger an die Berührungen zu drängen, an diese geschickte Hand, die ihn sprachlos zurückließ. Mehr oder weniger. „Mehr“, keuchte er, hob die Hüften an, sodass Sherlock ihn von seinen Shorts befreien konnte, was auch prompt geschah. Sherlock spreizte Toms Beine ein wenig, rieb ihn noch immer. Mit einem Grinsen auf den Lippen hielt er die freie Hand vor Toms Lippen, befahl ihm zu lecken. Was Tom auch sofort tat: Er leckte über zwei der Finger, saugte an den Fingerspitzen, ließ sie vor Speichel glänzen. Er gab einen enttäuschten Laut von sich, als Sherlock ihm die Finger entzog; ein enttäuschter Laut, der sich sehr schnell in einen ungeduldigen verwandelte. Eine Fingerspitze drückte sich in ihn, entlockte ihm ein Stöhnen, halb vor Schmerz, halb vor Gier, und er bewegte sich dem Finger entgegen, schob sich darauf, um ihn komplett in sich spüren zu können, und stöhnte laut und heiser. Ein zweiter Finger folgte kurz darauf und zusammen spreizten sie ihn, bewegten und krümmten sich, rieben und quälten seine Innenseiten. Tom sah Sterne vor den Augen und biss sich auf die Unterlippe, um nicht aufzuschreien. Stattdessen bewegte er sich hin und her, vor und zurück zwischen den wundervoll langen Fingern in ihm und denen um seine Länge herum. Er kam mit einem lautlosen Schrei, zitterte dabei krampfhaft und sackte schließlich ins Kissen zurück, schwer atmend, den Blick auf Sherlock und dessen faszinierten Gesichtsausdruck gerichtet. Er grinste wie ein Vollidiot und flüsterte ein zittriges: „Oh, verflucht, ja.“ Sherlock lachte und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Leg dich schlafen. Du kannst später nochmal duschen.“ Das musste er nicht zweimal sagen, denn Toms Augen schlossen sich schon ganz von selbst. Kapitel 5: ----------- Sherlock war alles andere als überrascht davon, eine neue Nachricht auf seinem Handy zu finden. Ein Bild, zur Abwechslung. Er öffnete es und legte die Stirn in Falten, da es nicht das war, was er erwartet hatte. Anhängend fand er das Bild einer silbernen Brosche, die einen angreifenden Wolf darstellte, die Klauen ausgestreckt, die Zähne gebleckt. War es das, was er als Nächstes zu suchen hatte? Sein Handy piepste wieder und zeigte ihm an, dass er eine SMS erhalten hatte. Sehr gut. Ich hatte nichts Anderes erwartet. Ich könnte Sie jetzt fragen, ob Sie auch Spaß hatten, aber um ehrlich zu sein interessiert mich das nicht. Reden wir lieber über wichtigere Dinge. Sie haben zwölf Stunden, um mir meinen Besitz zurückzubringen. Na wenn das nicht sehr genau war. Eine Brosche konnte überall sein. Wie sollte er etwas so kleines in so kurzer Zeit finden? Er trommelte die Fingerspitzen gegen seine Wange und betrachtete sein Telefon noch einmal. Der Kerl hatte ihm befohlen, sich mit der Nordischen Mythologie auseinanderzusetzen, nicht wahr? Eine schnelle Suche auf Google und Google Images später erfuhr er, dass, nein, es kein spezifisches Schmuckstück gab, das als religiöses Artefakt gesehen werden konnte und auf genau die Beschreibung des Ringes oder der Brosche zutraf. Es gab aber eine ganze Sparte über Hochzeitsringe, die Sherlock jedoch für vollkommen irrelevant im Bezug auf ihren Fall hielt. Zwölf Stunden, um nach einer Nadel im Heuhaufen zu suchen. Es sollte eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein, aber aus irgendeinem Grund glaubte Sherlock nicht, dass der Mann mit ihm ein Spiel spielen wollte. Nein, halt, so stimmte das nicht. Natürlich spielte er mit ihm. Das war offensichtlich. Aber er brauchte Sherlocks Hilfe, brauchte Sherlock, um das zu finden, was er selbst nicht finden konnte. Man konnte diesem Mann nicht vertrauen, aber er würde ihm kein Rätsel aufgeben, das er nicht lösen konnte. Hinter ihm gähnte Tom und öffnete die Augen, blinzelte einige Male, ehe er Sherlock ansah, ihm ein Lächeln schenkte, das heller strahlte als die Sonne. „Zieh dich an“, sagte Sherlock nur. „Wir haben viel zu tun.“ Denn er hatte etwas herausgefunden, dass sich als durchaus nützlich herausstellen könnte. - In der Nähe von Cambridge gab es ein Postfach, in dem jeder einzelne Brief für Londons ganz eigenen Odinkult abgeliefert wurde. Sherlock glaubte, sie wären in der Lage, dort weitere Informationen zu finden. Und er sollte Recht behalten: Nach einem kurzen Gespräch mit dem Rezeptionisten erhielten sie eine weitere Adresse, bei der es sich um das Hauptquartier des Kultes zu handeln schien. Nachdem sie einmal mehr ein Taxi genommen hatten, standen Tom und Sherlock vor einem großen Gebäude, das schon fast an eine Schule erinnerte. „Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte Tom, als sie zum Vordereingang gingen. Als Sherlock schwieg, seufzte Tom und klingelte. Bald darauf wurde die Tür geöffnet und sie standen einer jungen blonden Frau gegenüber, gekleidet in einem schlichten Kostüm und einer weißen Bluse. „Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. „Wir sind Ermittler und suchen nach einige Antworten“, antwortete Sherlock, ehe er ihr die Hand schüttelte und sich vorstellte. „Ah, Sherlock Holmes. Ich habe schon von Ihnen gehört. Aber wer hat das nicht? Bitte, kommen Sie rein.“ Sie folgten ihr ins Gebäude und durch einen Korridor, in dem einige Gemälde und stilvolle Tapeten die Wände schmückten. „Wie können wir Ihren Ermittlungen helfen?“ „Wir suchen einen Verbrecher, der von der Nordischen Mythologie sehr fasziniert zu sein scheint“, sagte Sherlock ihr, während Tom ein leises „Tun wir?“ murmelte. Davon wusste er nichts. Natürlich nicht, Sherlock sagte ihm ja nie etwas. Er seufzte und untersuchte ein Gemälde, das Thor und die Midgardschlange Jörmungandr darstellte („Emil Doepler, 1905“). „Ist er das? Wie kommen Sie darauf?“ „Er hat mir befohlen, mir alle erhältlichen Informationen zu besorgen.“ Sherlock lächelte süßlich. „Und was wäre ein besserer Ort, um nach Informationen zu suchen, als hier? Sie sind immerhin die Experten.“ Die Frau kicherte. „Also soll ich Ihnen die Kurzfassung erzählen?“ „Das könnte man so sagen, ja. Allerdings – da ich wissen will, wie unser Verbrecher denkt – würde ich gern zuerst wissen, wie man darauf kommt, an die Nordischen Götter zu glauben. Das ist nicht gerade eine offensichtliche erste Wahl, wenn Sie verstehen.“ „Glaube ist Glaube, Mr. Holmes, und an den Weltenbaum und die Neun Welten zu glauben ist nicht viel seltsamer als daran zu glauben, dass die Erde von einem Mann mit langem Bart in sieben Tagen erstellt wurde, oder?“ „Touché.“ Sie kamen an der Tür zu einem Büro an und sie bat sie beide herein, bat sie, sich zu setzen. „Wir glauben an die Religion unserer Vorfahren“, begann sie. „Das ist Teil unserer Geschichte, unserer Kultur, ein Teil von dem, was wir sind, nichts, was wir uns geliehen haben. Es ist ein Teil von uns.“ Sherlock nickte nachdenklich. „Unser Verbrecher scheint sich sehr für Juwelen zu interessieren. Gibt es irgendwelche speziellen Schmuckstücke, die mit der Nordischen Mythologie zu tun haben?“ „Sicher. Der Ring Andvaranaut oder die Kette Brísingamen, die der Göttin Freya gehört. Draupnir, der Ring Odins. Der Bernstein ist auch ein immer wiederkehrendes Element, denn es heißt, Freyas Tränen wurden zu Bernstein. „Irgendwas mit einer Schlange und einem Wolf?“ Sie wiegte den Kopf von einer Seite zur anderen, als sie sagte: „Es gibt da eine Schlange – die Midgardschlange – und einen Wolf, die durchaus wichtige Rollen einnehmen.“ „Bitte fahren Sie fort.“ Tom legte die Stirn in Falten, denn er kannte diese Geschichten. Er hätte das alles Sherlock selbst erzählen können, wenn der gute Mann ihn nur einmal gefragt hätte. Trotzdem hörte er ihrer Geschichte über Lokis vier monströse Kinder zu – Sleipnir, der achtbeinige Hengst; Jörmungandr, die Midgardschlange, der riesige Wolf Fenrir und Hel, Herrscherin über die Toten – und auch der Geschichte, wie die letzten drei Ragnarök an dem Tag beschwören würden, an dem Loki aus der Höhle entkäme, in der er gefangen war. „Warum sollten sie die Welt zerstören wollen?“, fragte sich Sherlock. „Sind Götter nicht dafür dazu, gütig und hilfreich zu sein?“ „Es geht nicht um gut und böse. Sondern mehr um Ordnung und Chaos. Loki ist der Gott vieler Dinge: Des Schabernacks, der Lügen und des Chaos, des Feuers und all der Dinge, die magisch sind und damit als 'unmännlich' gesehen werden.“ „Also ist Loki ein verrückter Gott, der seinen Fesseln auf keinen Fall entkommen sollte?“ Sherlocks Blick huschte zu Tom, als ob der irgendetwas dafür könnte. „Von allen Göttern, an die man glauben könnte, glauben Sie ausgerechnet an den, der die Welt zerstört?“ Sie lächelte. „Christen glauben an den Tag des Jüngsten Gerichts, den Tag des Endes der Welt, an dem Menschen entweder in den Himmel oder zur Hölle fahren, je nachdem, ob sie 'gut' oder 'böse' waren. Wir glauben nicht an gut und böse, wir glauben an einen Neuanfang, an die Wiedergeburt der Welt. Unsere Götter sind viel nachsichtiger mit uns, weil sie wissen, dass es kein Licht ohne Dunkelheit gibt und keine Ordnung ohne Chaos.“ „Verstehe.“ Sherlock trommelte mit den Fingerspitzen auf der Armlehne seines Stuhls herum. „Eine Frage hätte ich noch.“ „Gerne.“ „Haben Sie diese Brosche schon einmal gesehen?“ Er holte sein Telefon aus seiner Manteltasche, zeigte es ihr (und Tom beugte sich vor, verrenkte sich beinahe den Hals, weil er das auch sehen wollte), sah zu, wie sie die Stirn in Falten legte und schließlich nickte. „Sie gehört zu unseren Besitztümern, auch wenn sie jetzt gerade nicht hier verwahrt wird.“ „Wo ist sie?“ „Das British Museum hält eine Ausstellung ab, und wir haben sie nur zu gerne gespendet.“ Das war der Moment, in dem der Fragebogen abgehandelt war, denn Sherlock bedankte sich knapp und zog Tom mit sich aus dem Gebäude und ins nächste Taxi. - Er hatte vieles erwartet. Wirklich. Was er aber nicht erwartet hatte, war es, D.I. Lestrade vor dem Museum anzutreffen. Und wenn er ganz ehrlich war, gab es da eine andere Sache, die er auch nicht erwartet hatte. „Was soll das heißen, die Brosche des Fenrir ist gestohlen worden?“ „Na, raten Sie mal“, sagte Lestrade sarkastisch und lehnte sich mit dem Rücken ans sein Polizeiauto. „Es ist seltsam, wenn man darüber nachdenkt. Nur die Brosche ist weg. Sonst nichts. Dabei gibt es so viel Wertvolleres im Museum.“ „Was sagt die Security?“ „Nichts Ungewöhnliches.“ „Überwachungskameras?“ „Haben nichts aufgenommen.“ Sherlock fluchte und ging hin und her, rasselte Gedanken und Ideen herunter, von denen jede einzige von Lestrade verneint und vernichtet wurde. Keine Fingerabdrücke, keine Hinweise, kein nichts. Die Brosche war einfach weg, hatte sich in Luft aufgelöst. „Was tun Sie überhaupt hier?“, fragte Lestrade,neigte den Kopf grinsend zur Seite. „Ein Date mit Ihrem neuen Freund?“ Tom besaß die Frechheit, zu erröten und zu stottern, während Sherlock die Augen verdrehte. „Wir ermitteln. In einem Fall. So wie Sie es auch tun sollten.“ Als Lestrade eine Augenbraue hob und schmal lächelte, überfiel Sherlock das Bedürfnis, ihn mit seinem Schal zu erdrosseln oder mit seiner Reitgerte zu Tode zu prügeln. „Würden Sie damit aufhören-“ Er brach ab, als sein Handy piepste. Eine neue SMS. Von ihm. Treffen Sie mich in fünf Minuten in der Gasse hinter dem Museum. Sherlock seufzte und sah zu Tom, der den Blick fragend erwiderte. „Geh nach Hause. Zurück zur Baker Street.“ „Was?“ Verwirrung spiegelte sich in diesen unmöglich blauen Augen (und Sherlock war einen Moment lang irritiert). „Warum?“ „Ich will nicht, dass du verletzt wirst.“ Was eigentlich als Ausrede gedacht war, hatte einen Funken Wahrheit in sich. Er wollte wirklich nicht, dass Tom etwas passierte. Tom war … nicht so wichtig wie John – das war eigentlich niemand –, aber er war ihm trotzdem wichtig. Auf irgendeine seltsame Art und Weise, die er noch nicht verstehen konnte, weil das mit Logik nichts zu tun hatte. „Tja, ich will auch nicht, dass du verletzt wirst.“ Aus dem Augenwinkel konnte er Lestrade breit grinsen sehen, beschloss aber, das erst einmal zu ignorieren. „Werde ich nicht. Und jetzt tu, was ich dir sage.“ Sherlock sah zu, wie Tom widerstrebend nickte, sah zu, wie er sich umdrehte und in das nächstbeste Taxi stieg. Gut. „Nicht Ihr neuer Freund, eh?“, stichelte Lestrade. „Nein. Und das geht Sie auch gar nichts an. Also halten Sie den Mund oder ich frage, wie es Ihrer Frau geht.“ - Langsam wurde es dunkel. Eine wirklich passende Uhrzeit, um sich mit einer zwielichtigen Gestalt zu treffen. Sherlock betrat die enge, dunkle Gasse, sah sich um. War er alleine? War das ein Witz? Eine Falle? War der Kerl bereits hinter Tom her und hatte Sherlock nur weggelockt? „Bleiben Sie, wo Sie sind“, befahl die Stimme, die der von Tom so ähnlich war; erklang von irgendwo weiter hinten in den Schatten, und Sherlock hielt abrupt an. „Das ist nahe genug.“ „Haben Sie nicht versprochen, mit mir von Angesicht zu Angesicht zu reden?“ „Ich habe versprochen, persönlich mit Ihnen zu reden. Worte haben Bedeutungen, Mr. Holmes, und die Zeit vergeht wie im Fluge, nicht wahr?“ „Ich habe immer noch neun Stunden.“ „Vielleicht sind neun Stunden nicht genug.“ Sherlock verspannte sich. „Was soll das heißen?“ „Hören Sie gut zu. In genau fünfundzwanzig Minuten wird ein Flugzeug nach Oslo starten. Raten Sie mal, was sich im Gepäck eines der Passagiere befindet.“ „Woher wissen Sie das? Und wenn Sie das alles schon wissen, wozu brauchen Sie mich dann noch?“ „Zwei sehr wichtige Fragen, Mr. Holmes. Sehr gut. Ich werde beide sehr bald beantworten, sobald die Zeit dafür reif ist. In der Zwischenzeit können Sie auch einfach gerne glauben, dass das hier ein sehr langweiliges Spiel wäre, wenn man keine Mitspieler finden kann. Und jetzt gehen Sie, ehe die Brosche für immer verloren ist.“ „Soll ich wieder herkommen, sobald ich sie habe?“ „Sie haben noch acht Stunden und siebenundfünfzig Minuten, um sie mir zu übergeben. Ich setze mich mit Ihnen in Verbindung.“ „Warten Sie! Das ist kein faires Spiel! Geben Sie mir irgendwas, mit dem ich arbeiten kann! Wer sind Sie? Wie heißen Sie?“ „Ich habe viele Namen, Mr. Holmes.“ „Dann sollte es nicht schwer sein, mir wenigstens einen zu nennen.“ Der Mann lachte. „Sie können mich Lügenschmied nennen. Skywalker. Sogar Wolfsvater, wenn Sie wollen. Und jetzt muss ich Sie verlassen. Viel Glück.“ Ein Blitz aus grünem Licht blendete Sherlock für einige Sekunden. Als er wieder sehen konnte, versuchte er sein Glück und begab sich tiefer in die Gasse. Sie war leer. - Lestrade stellte sich doch noch als nützlich heraus, denn Sherlock konnte ganz alleine nur schlecht a) rechtzeitig nach Heathrow gelangen und b) ein Flugzeug vom Start abhalten. Dass er sich gefallen lassen musste, wie der Mann ihn mit dummen Fragen über Tom plagte, war zwar ein Nachteil, aber einer, den er ertragen musste. Und vielleicht sogar verdiente. „Es überrascht mich wirklich, ich dachte immer, Sie und John … “ „Was ist mit mir und John?“, fauchte Sherlock, sah Lestrade wütend an, auch wenn der nur die Augen verdrehte. „Wir sind kein Pärchen, wenn Sie das unbedingt wissen müssen.“ „Sie und John oder Sie und der Typ?“ „Ich und John, um Himmels Willen! Haben Sie vergessen, dass wir Freunde sind?“ „Also sind Sie mit dem anderen Typen zusammen?“ „Nein! Ich denke nicht. Warum zum Teufel interessiert Sie das überhaupt?“ Lestrade lächelte nur. - Sie schafften es gerade noch rechtzeitig, damit Lestrade mit seiner Polizeimarke angeben konnte – was Sherlock auch hätte tun können, wenn man es genau nahm, er hatte ja noch sechzehn davon. Beziehungsweise jetzt siebzehn. Lestrade ging ihm schließlich gerade ziemlich auf die Nerven – und damit er und Sherlock das Sicherheitspersonal befragen konnten, ob es sich daran erinnerte genau diese Brosche gesehen zu haben, jawohl, genau die auf dem Foto. Was? Oh, seien Sie nicht dumm, das ist nicht meine, das ist ein Beweisstück. Warum würde ich so etwas Hässliches tragen wollen? Glücklicherweise war einer der Securityleute nicht vollkommen hirntot und konnte einen Mann in den späten Vierzigern beschreiben, mit roten Haaren und einem Ziegenbärtchen, der die Brosche bei sich gehabt hatte. Sherlock tat es unendlich Leid, dem Täter zu erklären, dass er seinen Flug nach Oslo verpassen, aber dafür den nächsten Flug ins Gefängnis nehmen konnte, was fast genauso gut war. Ganz nebenbei stellte sich heraus, dass die Brosche fast so groß war wie Sherlocks Handfläche. „Was für ein unheimliches Ding“, meinte Lestrade und schüttelte den Kopf. „Warum würde irgendwer so etwas stehlen wollen?“ Vielleicht weil jemand wusste, dass Skywalker sie brauchte. Vielleicht hatte er Feinde. Vielleicht sollte Sherlock sehr schnell zur Baker Street zurückkehren. Er schloss die Hand um die Brosche. „Es ist Ihr Job, das herauszufinden.“ „Und was glauben Sie, wo Sie damit hingehen? Das ist ein Beweisstück, schon vergessen?“ „Ich brauche sie für einen anderen Fall. Einen viel wichtigeren.“ „Sherlock … “ Sherlock seufzte, steckte das Schmuckstück ein und sah Lestrade ernst an. „Vertrauen Sie mir. Sie bekommen sie zurück.“ „Ich hoffe, Sie lügen mich nicht an.“ „Aber Detective Inspector, das würde ich doch nie.“ __ A/N: Der Odinkult existiert wirklich. Zumindest die Postfachadresse. Das Hauptquartier hab ich leider noch nicht gefunden. ... noch. A/N2: Ab der Szene vor dem Museum verbirgt sich einen kleines mythologisches Easter Egg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)