Weihnachtszeit mal anders von Nightalp ================================================================================ Kapitel 10: 10.12.20XX ---------------------- 10.12.20XX Wolken verhingen den Himmel vor seinem Fenster und das Licht, das in seine Schreibstube schien, war trüb und grau, reichte zu kaum mehr, als die Umrisse der Möbel zu erkennen. Dazu kam die vom Wind gebeutelte Gestalt der Birke vor seinem Fenster, die immer wieder an die Scheibe gedrückt wurde und das Zimmer dann für einige Momente beinahe vollkommen schwarz zurück ließ. Dennoch hatte Charles kein Interesse daran, das Licht anzumachen. In einer Weise, die er nicht in Worte fassen konnte, würde es viel wirklicher machen, was er vorhatte. Und was er vorhatte, empfand er beinahe selbst als Verrat. Zögernd nur wandte er sich endlich vom Fenster ab und ging die drei Schritte, die es brauchte, seinen kleinen Ecktisch zu erreichen. Und auf diesem lag, unschuldig schwarz glänzend, sein Handy. Sein Medium des Verrats. Er streckte die Hand aus, und es fühlte sich viel zu schnell an, dass sich seine Hand um das kleine Smartphone schloss. Viel zu schnell, verglichen mit der Bedeutung, die es hatte. Die Nummer, die er wählte, kannte er auswendig, obwohl er sie nie zuvor gewählt hatte. Nie zuvor war er … nein, das stimmte nicht. Er war oft versucht gewesen, sie zu wählen. Aber niemals zuvor hatte er einen Grund gehabt, hinter dem er sein Verlangen, mit jenen Leuten zu sprechen, die seinem Herzen so nahe waren, verbergen konnte. Das Telefon klingelte nur zweimal, ehe sich sein Freund meldete. „Hallo Eddie.“, sagte eine vertraute Stimme weich. Die einzige Stimme, die diesen Namen benutzen durfte. Er musste tief durchatmen, schluckte. „Hallo Bobby.“, sagte er endlich. „Ich dachte schon, du hast meine Nummer vergessen.“, sagte die Stimme des anderen. „Du hast dich nie gemeldet.“ Eric klang wie immer – munter, ein wenig ironisch, abgebrüht. Aber hinter den flapsigen Worten hörte Charles, dass es dem anderen genauso ging wie ihm. Merkwürdigerweise half ihm das, sein Gleichgewicht wieder zu finden. „Eric.“, sagte er, in einem Tonfall, der fast als geschäftsmäßig durchgegangen wäre. „Du wolltest, dass ich dich anrufe. Also, worum geht es?“ Kurze Stille, dann: „Du hättest dich auch bei Mystique oder Laura melden können.“ „Ich habe Rahels Nummer nicht. Und es war nicht Raven die mich sprechen wollte.“ Zwei vollkommen logische, korrekte Gründe – nur warum hatte er dann das Gefühl, sie seien ebenso vollkommen fadenscheinig und falsch? „Also – warum wolltest du mich sprechen?“, fragte er, um das Gefühl abzuschütteln. Wieder war die Leitung still, und er glaubte schon, sie sei tot, als Eric endlich antwortete: „Wir wollten dich einladen, die Weihnachtsgans mit uns zu teilen. Nur Laura, Mystique und ich – und du.“ Charles erstarrte. Wortwörtlich. Er hatte geglaubt zu wissen, um was es in diesem Gespräch gehen würde – oder, wenn er sich irrte, so doch auf alles andere vorbereitet zu sein. Jetzt wusste er, dass er sich geirrt hatte. „Was?“, krächzte er in den Hörer. Er hörte, wie Eric am anderen Ende der Leitung tief Luft holte. „Ich lade dich ein, Weihnachten mit uns zu feiern. So wie eine … Familie.“ Eine Familie. Was sie waren, in gewisser Weise. Eric und er die großen Brüder, und Raven und Rahel die beiden kleinen Schwestern - ihrer beider kleine Schwestern, obwohl er Rahel nur kurz kennen gelernt hatte vor jenem schicksalhaften Tag, an dem Eric sich entschloss, eigene Wege zu gehen. Und Raven beschloss, dass man sie genug angestarrt hatte. Und dass ihre Liebe zu Eric größer war als die, die sie zu ihrem Bruder empfand. „Eric.“, sagte er endlich. Überrascht stellte er fest, dass sein Ton eisig war – vor Erinnerungen, und Erinnerungen an Gefühle, die er nicht mehr haben sollte. „Wenn es dir lediglich um derartigen Schmarrn geht – ruf mich nicht mehr an.“ Er drückte so fest auf den kleinen roten Hörer, dass der Knopf fast kaputt ging. Dann sank er auf den Boden, fassungslos angesichts dessen, was gerade passiert war. Was Eric angeboten hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)