Weihnachtszeit mal anders von Nightalp ================================================================================ Kapitel 9: 09.12.20XX --------------------- 09.12.20XX Die Fichte ragte fast zwölf Meter in die Höhe und erstrahlte im Licht von Tausenden elektrischen Kerzen, die von den bunten Glaskugeln reflektiert wurden, in weihnachtlichem Glanz. Zuckerstangen, goldene Tannenzapfen, Lebkuchenmännchen und allerlei Spielzeug vervollständigten das Bild eines Weihnachtsbaums. Zumindest das amerikanische Bild., dachte Nica, während sie den Blick weiter schweifen ließ. Für ihr deutsches Auge hatte der Christkindlmarkt L.A.s zu viel Kitsch und zu wenig feierliche Stimmung – und die ganzen Lehrer, die ihre Schüler aufforderten, sich mit den ausländischen Verkäufern in deren Muttersprache zu unterhalten und so ihr Deutsch zu erproben, waren auch nicht wirklich hilfreich – aber sie hatte Jo versprochen, mit ihm auf diesen Markt zu gehen, also sollte sie besser versuchen, das ganze positiv zu sehen. Zumal ihr Freund mit ihr zusammen an einer deutschen Casting-Show teilgenommen hatte. Der Gedanke ließ sie noch immer erbeben. Sie hatten gewonnen! Sie hatten gewonnen! Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich davon abhalten, über den Platz zu tanzen. Dann aber fiel ihr Blick auf einen der Weihnachtsmänner – einen der Santa Cläuse? –, die, obwohl dieser Markt ihrer Konkurrentin geweiht war, viel zu zahlreich vertreten waren, und ihre gute Laune versickerte wie Wasser in der Wüste. Jo, der ihren Stimmungsumschwung bemerkt hatte, fragte besorgt: „Ist dir kalt? Wir können irgendwo rein gehen, wenn du willst.“ Sie warf ihm einen Blick zu, leicht amüsiert. „Ich weiß, dass ich keine Jacke anhabe, und OK, es wird dunkel, aber wir haben immer noch, was? Fünfzehn Grad? Zu Hause haben sie jetzt ungefähr zwei Grad oder so.“ Dann aber sank ihre Stimmung wieder. „Nein, ich musste nur wieder daran denken …“ Sie biss sich auf die Lippe. „Glaubst du immer noch, du hättest gesehen, wie zwei Weihnachtsmänner eine Wand haben verschwinden lassen?“ Jo klang ungläubig. Aber das war in Ordnung. Nica war selbst nicht sicher, was sie gesehen hatte. Außer … es hatte so ausgesehen, als wäre die Wand unter der Hand des einen Santa Claus zerbröselt. So, als wäre sie innerhalb weniger Sekunden um Jahrhunderte gealtert. Was natürlich nicht sein konnte. Und schon gar nicht die Wand einer Bank, verdammt noch mal, die bestimmt aus haltbareren Materialien errichtet war als gewöhnliche Wohnhäuser. Und dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihr Blick immer wieder zu dem – inzwischen zugemauerten - Loch wanderte, sobald sie am Fenster ihres Zimmers in Jos Appartement stand und sie sich fragt, ob sie nicht vielleicht doch … „Hör mal, Nica, selbst wenn du Recht hast: Wenn die Polizeibeamten deine Aussage nicht gleich verwerfen, dann spätestens, sobald du das Gebäude verlassen hast.“ Sie wusste nur zu gut, dass er lediglich die Wahrheit aussprach – mehr noch: dass er sich immerhin bemühte, sie zu verstehen, was sie mehr als süß von ihm fand – aber trotzdem fühlte sie sich nicht richtig verstanden. Wenn es denn nun tatsächlich Menschen gab, die so etwas tun konnten: Sollte dann nicht jemand darüber Bescheid wissen? Sie konnten immerhin noch viel Schlimmeres tun, als nur in Banken einzubrechen. „Komm schon, vergiss die Typen.“, sagte Jo. „Ich habe einen Stand mit Kräppelchen entdeckt; du hast mir erzählt, dass die so lecker schmecken, aber auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt gab es ja leider keine.“ Zögernd ließ sie sich mitziehen; obwohl sie wusste, dass er sie nur aufmuntern wollte, konnte sie sich dem Gefühl nicht entziehen, dass sie so bald wie möglich zur Polizei gehen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)