Dream von Gisi ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Manchmal genügt das Bewusstsein das man einen Traum hat, um das Leben meistern und sich seine Wünsche erfüllen zu können. Ich war Ankleider im Salon Céleste. Meine Aufgabe beinhaltete es also, den Damen ihre Handtücher und Kleidung zu reichen und bei Nöten zu Schnüren oder zu Knüpfen. Die Damen sorgten sich nicht darum, dass ich sie in ihrer ganzen Schönheit sehen könnte, war ich doch der Mann, der sich in ihrer Nähe am meisten zurückhielt. Sie waren wie Schwestern für mich, wir waren eine Familie die Madam Celeste von der Straße aufgelesen hatte. Sie hatte uns zwar mehr Schlechte denn Rechte Arbeit gegeben, aber wir bekamen Mahlzeiten, Unterkünfte und Geld, was für die meisten von uns um einiges mehr war, als wir vorher gehabt hatten. Dennoch die Erfüllung fehlte uns allen. Wann immer die Damen mit mir allein waren klagten sie mir ihr Leid. Gerne hörte ich ihnen zu, nahm sie in den Arm, tröstete sie so gut ich es konnte und gab ihnen eine Schulter an der sie sich ausweinen konnten. Erst hinter verschlossener Tür klagten sie über Albträume, Schmerzen und Ängste, welche sie durch leben mussten. Meistens fragte ich sie dann was ihr großer Traum war. Dadurch brachte ich sie auf andere Gedanken, ich ließ sie von einer Welt träumen in der sie etwas waren, in der sie mehr waren als eine Dirne die beschimpft und bespuckt wurde, verließ sie nur einen Schritt den Salon. Ich hörte ihnen immer zu und sprach mit niemandem darüber. Ich behielt alles für mich, denn es ging niemanden etwas an, was die Damen träumten, wenn sie es nicht von sich aus erzählten. An einem Sonntag, es war der erste wirklich warme Sonntag des Jahres, wartete ich wieder einmal darauf, dass die letzten Damen zu mir kamen und sich wuschen. Von den Zwölfen waren Neune bereits Heim gegangen, doch meine Schicht war erst beendet, wenn alle Zwölf bei mir gewesen waren. Ich beschwerte mich nie wegen meiner Arbeitszeiten, war ich doch froh das ich etwas zu tun hatte, zumal Madam Celeste mir klar gemacht hatte, das es in einem Salon nicht üblich war einen Ankleider zu beschäftigen. Ich schreckte aus meinen Gedanken als Silvia den Raum betrat. Sie lächelte mich an. „Ich wollte dich nicht erschrecken“, sagte sie während sie ihre Kleider abstreifte und sich in die Wanne setzte. „Nein, nein, hast du gar nicht“, sagte ich abwehrend, setzte mich neben sie und begann ihr den Rücken einzureiben und zu massieren. Eigentlich gehörte dies nicht zu meinen Pflichten, doch es tat den Damen gut und ich tat es gerne, also tat ich es. „An was hast du denn so angestrengt gedacht, das ich dich erschrecken konnte?“, fragte Silvia mit ihrer klaren, immer glücklichen Stimme. Silvia war Madam Celeste eigentlich zu jung gewesen, doch ihr wohl geformter Körper hatte wunderbar über Silvias fünfzehn Jahre hinwegtäuschen können und so entschied sich Madam für sie. Ich konnte Madams Entscheidung nicht teilen und war alles andere als begeistert davon überhaupt noch mehr Frauen einzustellen, die anderen Damen stimmten mir sogar zu. Doch Silvia beschwor uns, auf der Straße würde es ihr nicht anders ergehen, hier wäre es wenigstens warm und so ließen wir sie bleiben. „Hm ich weiß nicht mehr genau“, sagte ich wahrheitsgemäß und massierte die junge Dame weiter. „Weißt du was, wir haben dir schon so oft von unseren Träumen erzählt, jetzt bist du mal dran.“ „Ich versteh nicht recht was du meinst“, antwortete ich ihr, ohne in meiner Arbeit inne zu halten. „Wovon träumst du Max? Sag mir nicht du kennst unsere Träume, hast aber selber keinen?“ Jetzt hielt ich in meiner Arbeit inne. Ein Traum? Ich hatte nie darüber nachgedacht, dass ich eigentlich auch einen Traum haben müsste. „Ich- ich weiß nicht“, gab ich klein laut zu und begann Silvia abzuspülen. „Das gibt es ja nicht“, sagte sie und lachte. Als sie aus der Wanne stieg reichte ich ihr ihr Handtuch und sie verschwand hinter ihren Paravent um sich anzukleiden. „Ich hatte gedacht, so wie du mit uns sprichst, dass du es schon lange leid bist hier zu arbeiten und einen tiefen, innigen Traum hattest, noch ehe Madam Celeste dich von der Straße holte.“ Ich schwieg, ich hatte nie daran gedacht, dass sich eine der Damen für mein Leben und meinen Traum interessieren könnte. Silvia kam hinter ihrem Sichtschutz hervor, hängte ihr Handtuch zum Trocknen darüber und drehte sich zu mir um. „Wenn du gleich Heim gehst, denkst du einfach darüber nach und erzählst es mir dann morgen.“ Sie lächelte, drückte mir dann einen Kuss auf die Wange und ging tänzelnd an mir vorbei aus dem Haus. Ich war von ihr so überrumpelt das ich es nicht einmal fertig brachte ihr eine gute Nacht zu wünschen. Als ich nach der Schicht in meiner sehr kleinen Wohnung ankam, ließ ich mich in meinen Sessel fallen und starrte durchs Fenster in die Nacht. Es war eine schöne, Sternen klare Nacht. Ich hätte, wenn ich es gewollt hätte, alle Sterne zählen können, so deutlich waren sie zu sehen. Doch in diesem Augenblick beschäftigte mich mehr Silvias Frage. Mein Traum! Warum hatte ich nie vorher darüber nachgedacht, wo die Damen mir doch immer von den ihren erzählten? Ich seufzte und schloss die Augen. Ich erinnerte mich an meine Mutter. Es war eine ferne Erinnerung und die einzige die ich an sie hatte. Wann immer ich mich an dieses Gespräch erinnerte, hatte ich den Sinn ihrer Worte nicht verstanden. Jetzt, als ich zum ersten Mal nach Jahren wieder daran dachte, konnte ich ihren Sinn fassen. „Suche immer nach der Liebe, Maxi. Sie ist der Schlüssel für Wohlbefinden und Glück und das wertvollste das ein Mensch besitzen kann. In der Liebe geht niemand leer aus, sie ist für alle ein Gewinn. Doch wird sie nicht gehegt und gepflegt kann sich die Liebe auch ins Gegenteil wenden. Sei also immer auf der Hut mein Liebling.“ Mir wurde klar, dass das zu meinem Traum werden sollte. Einen Menschen zu finden der mir Liebe und Glück schenken konnte. Außerdem wollte ich mit diesem Glück die Damen aus dem Salon beschenken und für ihre Freiheit kämpfen. Dieser Gedanke, dieser Traum ließ mich wunderbar schlafen und ich freute mich wie ein Kind auf den nächsten Tag um Silvia von meinem Traum zu erzählen. Der Tag konnte mir gar nicht schnell genug vergehen, schließlich begann meine Schicht erst am Abend wenn es auf Ladenschluss zuging. Wie jeden Tag gehörte Silvia zu den letzten Damen. Sie war begehrt und beliebt und verlor doch niemals ihr Gesicht. Als sie kurz vor Mitternacht als Zweitletzte in den Raum trat grinste sie bereits breit als sie mich sah. „Nun Max“, fragte sie, während sie in die Wanne kletterte, „was ist dein Traum?“ „Mein Traum ist es Liebe und Glück zu finden und mit der Kraft daraus dich und die anderen Damen aus diesem Salon zu befreien“, so in einem Satz gesagt hatte ich meinen Traum noch nicht angehört und doch kam es mir richtig vor. „Das ist ein schöner Traum“, sagte Silvia und sah mich an. „Er ist dem meinen sehr ähnlich. Ich wünsche mir nichts mehr als von hier verschwinden zu können und Liebe und Glück zu finden. Wenn du deinen Traum schaffst, dann schaffe ich auch meinen.“ Nachdem sie das gesagt hatte schwiegen wir und ich wusch sie zu Ende. Als ich an diesem Abend Heim ging lächelte ich, denn ihre Worte hatten mir Mut gemacht. Sie fand meinen Traum wunderbar und hoffte, dass ich ihn lebe um sie dann zu ermutigen. Beinahe pfeifend ging ich meinen Weg entlang, als ich plötzlich klirrende und dann schreiende Geräusche vernahm. Als ich mich umdrehte sah ich dichte Nebelschwaden in den dunklen Himmel aufsteigen und leuchtend rote und gelbe Feuerzungen erleuchteten die Nacht. Ich musste dem Feuer nicht entgegenlaufen um festzustellen, dass sie dem Salon Céleste entsprangen. Meine Sorge um die Damen und Madam Celeste führte meine Schritte dennoch zum Ursprung des Feuers. Natürlich wusste ich, dass die Damen alle Heim gegangen waren, schließlich durfte ich selbst vorher nicht Heim, dennoch sorgte ich mich. Madam Celeste vor dem brennenden Gebäude zu sehen erleichterte mein Herz. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Schaulustigen zu ihr. „Oh Maxi, ein Glück, wenn du hier bist ist keines der Mädchen mehr im Haus.“ Einige Augenblicke schwiegen wir. „Ich verwette mein Korsette, das die ganze Aktion eine Rebellentat der Frauenbewegung war“, knurrte sie, dann sah sie mich traurig an und fügte hinzu: „Es tut mir sehr leid Maxi, aber ich kann dich nicht länger auszahlen. Dich nicht und die Mädchen auch nicht.“ Sie senkte den Kopf, ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ist in Ordnung Madam“, sagte ich, „was anderes hatte ich gar nicht erwartet.“ Meine anfängliche Euphorie für diesen Tag war verklungen als ich nun Heim ging. Die große Turmuhr läutete bereits zwei Uhr und traurig, müde und vor Wut zitternd ließ ich mich auf mein Bett fallen. Silvias Gesicht erschien vor meinem inneren Auge. Ich sah wie sie lächelte und sagte: „Wenn du deinen Traum schaffst, dann schaffe ich auch meinen.“ Ich ballte die Fäuste, dann erhob ich mich, kramte einen Zettel aus einer Schreibtischschublade und schrieb Silvias Worte auf. Als Mahnmal hängte ich sie mir über mein Bett und beschloss gleich am nächsten Morgen nach einer neuen Stellen zu suchen um Geld zu verdienen. Ich pries mich als Ankleider und Massör an und hoffte, dass irgendeine Adelsfamilie mich brauchen könnte. Ich hatte Glück und eine der neureichen Familien schien noch genau so etwas Extravagantes wie ein Massör zu fehlen. Ich wurde der Gnädigen Frau untergeordnet. Sie war älter als ich, aber jünger als Madam Celeste und sah, für ihr Alter und ihre Statur, sehr gut aus. Immer wieder preiste sie meine massierenden Hände in den Himmel oder lobte mich für meinen vorzüglichen Kleidergeschmack. Sie fragte nicht danach woher ich all diese Dinge konnte und wusste und legte auch sonst keinen Wert auf meine Vergangenheit. Sie war zu Frieden mit mir und bezahlte mich und doch hatte ich das Gefühl meinem Traum nicht näher zu kommen. Ab und an war der Herr des Hauses bei der Gnädigen Frau , wenn auch ich bei ihr war, wodurch ich einen Einblick in ihr vorbildhaftes Eheleben bekam. So wurde mir nach und nach klar, dass es das war was mir fehlte. Eine zweite Hälfte mit der ich Trauer und Wut, Liebe und Freude teilen konnte. Eine zweite Hälfte die, welches Glück auch immer, erst richtig vollkommen machte. Um meinem Traum also näher zu kommen suchte ich nach einer zweiten Hälfte. Doch wie sollte man etwas finden, von dem man keine Ahnung hatte was es ist. Für den Menschen der mich über Alles liebt, der mich begleitet, mit mir streitet und vergibt. Für den der mit mir zieht, der in meinen Armen liegt. Für dich ist dieses Lied. Für den der mich besser kennt als ich. Für den der alles hält, was er verspricht. Für den der sich nicht verbiegt, der mit meinen Augen sieht. Für dich ist dieses Lied. Je länger ich bei der gnädigen Frau arbeitete desto vertrauter wurden wir miteinander. „Sag mal Mäx, hast du eigentlich eine Frau?“, ihre Frage überrumpelte mich um einiges mehr als das hässliche ä, das nur sie in meinen Namen setzte, und ich sah sie einen Augenblick mehr als verwirrt an. Dabei wusste ich das ihre Frage eine ganz normale Frage war und keines Wegs seltsam. Sie schien meine Verwirrtheit deutlich zu sehen und lächelte. „Entschuldige wenn ich dich auf einem offen liegenden Nerv getroffen habe.“ „Haben Sie nicht Gnädige Frau, aber ich hatte in der Vergangenheit nie die Zeit mich um so etwas wie eine Gattin zu kümmern.“ Sie lachte diesmal lauter und tätschelte mir die Wange. „Du bist viel zu lieb für diese Welt“, lachte sie und ich wusste es sollte ein Kompliment sein. Schon oft hatte sie mir gesagt ich würde viel zu gewählt sprechen, es würde ihr aber sehr gut gefallen wenn ein Mann noch ein richtiger Gentleman sein konnte. „Dennoch ist das ein ernstes Problem in einer Welt wie der diesen. Frauen werden immer selbstbewusster, wenn du dich nicht ran hältst sind die Frauen bald soweit das sie keinen Mann an ihrer Seite mehr brauchen.“ Ich lachte kurz auf. „Bis zum Ende aller Tage wird es Frauen wie Sie geben, die auf einen guten Mann, wie auf einen guten Rotwein zum Dinner, nicht verzichten können.“ Sie stieg in mein Lachen mit ein und wurde dann wieder ernst. „Jetzt aber wirklich. Es ist eine Schande um einen Mann wie dich, wenn du allein bleibst. Du bist doch noch jung und talentiert. Ich bin mir sicher wenn man die Augen offen hält dann findet sich schon etwas für dich.“ Als ich an diesem Abend in meinem Bett lag gingen mir die Worte der Gnädigen Frau nicht mehr aus dem Kopf. Wahrscheinlich hatte sie mit allem Recht, aber wo findet man denn nur so eine Frau? In den nächsten Tagen schleppte die gnädige Frau all ihre unverheirateten Freundinnen an, die sich mit mir unterhielten und sich von meinem Talent überzeugen sollten. Eine von ihnen, sie hieß Veronika, sprach mehr mit mir als die anderen. Die Gnädige Frau organisierte treffen zwischen uns und bald trafen wir uns ohne ihre Hilfe. Veronika war reich und lebte allein in einem riesigen Haus. Ich hatte mich geschmeichelt gefühlt das sie Interesse an mir gezeigt hatte, aber von Anfang an hatte ich gewusst das ich so eine Frau nicht halten konnte. Sie war reich und gut aussehend, ich war bettelarm und jung. Ich wusste das der Tag kommen würde, an dem ich einem wirklichen Gentlemen mit teurem Auto die Tür aufhalten würde und gehen musste. Ich genoss die Stunden mit Veronika sehr, aber ich fühlte mich immer mehr an die Geschichten der Damen aus dem Salon Céleste erinnert und so begann ich bei der Gnädigen Frau Überstunden zu machen um nicht in Veronikas Nähe sein zu müssen. Wir lebten uns so recht rasch auseinander und der Kontakt beendete sich beinahe von allein. Immer wieder beteuerte mir die Gnädige Frau wie schade sie diese Trennung fand, doch es kümmerte mich kaum. Ich hatte keine Gefühle für Veronika gehabt. Ich blieb also bei dem wo ich vorher schon gewesen war und stand auf meiner Suche wieder bei null. Und ich such dich, bis ich dich gefunden hab. In Rom, in Amsterdam oder in Prag. Berlin oder Reykjavik, Paris oder Mosambik Ich weiß, dass es dich gibt. Als die älteste Tochter der Gnädigen Frau fünfzehn Jahre alt geworden war, begann auch sie von mir massiert werden zu wollen. Fünf Jahre waren vergangen, ohne dass ich es gemerkt hatte. Erst die ständige Anwesenheit Agnes bei ihrer Mutter zeigte mir den Lauf der Zeit. Agnes war ein sehr kluges Fräulein und ich unterhielt mich gerne mit ihr. Sie sprach offen über die Probleme der Zeit und über meine und die Vergangenheit der Damen. „Stimmt es“, fragte sie mich einmal, als ihre Mutter nicht bei uns war, „dass du nicht verheiratet bist?“ Ich nickte, während ich ihr die Hände massierte. „Dann liegt es sicherlich an deiner Vergangenheit. Bestimmt hat dein gezwungener Umgang mit Frauen dafür gesorgt das es dir schwerfällt dich selbst einer Frau zu öffnen. Ich könnte mir sogar denken das dir die Damen aus dem Céleste so nahe gingen, das es dir weh tat zu sehen was sie taten.“ Für ihr junges Alter, sprach sie sehr weise über die Dinge die mir wiederfahren waren und ich spürte das sie Recht hatte mit dem was sie sagte. „Entschuldige ich wollte dir nicht zu nahe treten. Es fasziniert mich einfach zu sehen wie charmant und scheinbar glücklich sie hier bei uns arbeiten können.“ „Sie haben wohl Recht. Ich werde die Damen und das Céleste nie vergessen können, aber ich kann versuchen damit zu leben und das Beste daraus zu machen.“ „Ja tu das. Es wird dich deinen Wünschen bestimmt näher bringen.“ Ich verstand mich so gut mit Agnes, das wir uns auch außerhalb meiner Arbeit trafen, nur um uns zu unterhalten. Es machte mir große Freude mich mit einem so weltoffenen, jungen Fräulein zu unterhalten. An einem Tag saßen wir stundenlang in einem edlen Café, das ich mir gerade so mit meinem Monatslohn leisten konnte. Wir waren vertieft in einem Gespräch über die Rollenverteilung von Mann und Frau in dieser goldenen Zeit, als mein Blick über die Straße auf die junge, brünette Frau fiel. Sie schien ein paar Auseinandersetzungen mit ihrem Begleiter zu haben. Bei genauerer Betrachtung erkannte ich sie. Es war Silvia. „Das ist doch… Silvia“, ich erhob mich, „Einen Augenblick bitte Fräulein Agnes.“ Ich entschuldigte mich und ging schnellen Schrittes über die Straße. „Silvia?“, ich nannte ihren Namen einige Male, bis sie auf mich aufmerksam wurde. „Max?“, sie wandte sich an ihren Begleiter. „Bitte Roger, lass mich einen Augenblick mit meinem alten Bekannten sprechen.“ Sie kam auf mich zu, doch ihr Blick war nicht so euphorisch und glücklich wie der Meine. „Max!“, es war eine Feststellung und in ihrer Stimme war der übliche, ewig glückliche Unterton nicht zu finden. „Wie geht es dir Silvia?“, fragte ich höflich und hoffte das sie gleich zu der alten Silvia werden würde. „Wie es mir geht? Jetzt willst du das wissen?“, ihre Stimme veränderte sich wirklich, aber sie wurde traurig und wütend, „Wo warst du denn all die Jahre? Wo hast du die ganze Zeit gesteckt? Ich … , wir haben auf dich gewartet Max.“ „Ihr habt auf mich gewartet?“, ich sah sie verwirrt an. „Aber der Salon ist doch…“ „Abgebrannt? Ja, na und? Madam Celeste hat uns dennoch bei sich wohnen lassen und sich um uns gekümmert.“ „Mir hat sie gesagt sie könnte mich nicht mehr bezahlen und ich habe es so geschafft aus dem Salon herauszukommen. Wenn ich ehrlich bin habe ich die ganze Zeit geglaubt ihr hättet es auch geschafft.“ Silvia sah mich verletzt an und schüttelte nur den Kopf, bevor sie sich zu ihrem Begleiter umdrehte und ging. Wie ein Idiot stand ich nun da und starrte dem teuren Wagen nach, den ich bereits nicht mehr sehen konnte. „Wer war das?“, Agnes Stimme holte mich in die Realität zurück. „Eine alte Bekannte“, sagte ich, ließ den Blick sinken und ging. Agnes lief mir nach. „Sie ist es, nicht wahr? Sie lässt dich blockieren. Sie ist es an die du denken musst, sie ist es für die du dir deine Schwäche nicht verzeihen kannst.“ Ich ignorierte Agnes, aber ihre Worte kamen nur zu gut bei mir an. Was wenn sie Recht behalten sollte, was wenn Silvia von Anfang an die gewesen wäre, nach der ich gesucht hatte? Ich war verwirrt und als ich Agnes Heim gebracht hatte, brummt mir der Kopf. Ich musste an Roger, Silvias Begleiter denken und plötzlich fiel mir wieder ein woher ich ihn kannte. Er war es gewesen der Silvia immer so lange noch hatte arbeiten lassen. Er war von Anfang an Silvias Liebhaber gewesen. Je mehr ich über Roger nachdachte desto mehr verabscheute ich diesen Menschen und desto mehr wurde mir klar, dass ich Silvia von ihm befreien musste. Für den der mich versteht auch wenn ich schweige, der mit mir weitergeht auch wenn ich zweifle. Für den der sich selbst ansieht. Der sich nimmt und noch mehr gibt. Für dich ist dieses Lied. Am nächsten Tag bat ich die Gnädige Frau um ein paar freie Tage. Sie war verständnisvoll, denn scheinbar hatte Agnes am Abend zu vor noch von meinem Wiedersehen berichtet. „Mach dich nur auf den Weg und finde deine Liebe“, sagte sie und lachte mich freundlich an. „Weißt du denn wo du sie finden kannst?“ Ich senkte meinen Blick. „Nein, ich weiß nur das sie bei einem Roger ist.“ „Roger?“, die Gnädige Frau überlegte kurz. „Um die vierzig Jahre, ziemlich wenig Haare und ein Schnapsgesicht?“ Ich nickte. „Ja den kenn ich. Ich weiß wo er wohnt.“ Die gnädige Frau erklärte mir den Weg zu Rogers Villa und sie zu finden war nicht wirklich schwer. Das große Haus stand wie ein Palast in mitten der kleinen Vorstadtwohnungen. Ich blieb den ganzen Tag in der Nähe des Hauses und beobachtete es. Ich merkte mir wann wer das Haus betrat und verließ und stellte fest das Roger scheinbar keine Hausangestellten hatte, denn entweder verließ er selbst das Haus oder Silvia. Als sie am Abend noch einmal vor das Haus trat hörte ich wie Roger von innen rief: „Beeil dich aber, ich will nicht ewig warten.“ Ich nutze die Gunst des Momentes und gab mich zu erkennen. Als sie mich sah erschrak Silvia furchtbar. „Max? Was machst du hier?“ Ich bedeutete ihr still zu sein. „Komm mit mir“, flüsterte ich, „ich nehme dich mit und dann erfüllen wir unsere Träume, aber nicht hier. Wir gehen, wir lassen alles hinter uns.“ „Ich kann nicht“, sagte sie. „Er wird mich überall finden, egal wo ich bin.“ Sie sah mich verzweifelt an, drückte mir einen Kuss auf die Wange und ging zurück ins Haus. Ich blieb wo ich war und starrte das große Haus an. Von dem Punkt aus, an dem ich stand, konnte ich Silvia und Roger reden hören. „Wer war das?“, fragte Roger mit ziemlich übelgelaunter Stimme. „Niemand“, antwortete Silvia souverän und fest, wie immer. „Und das soll ich dir glauben? Wenn du einen anderen hast, dann weißt du was dir blüht.“ „Was sollte mir schon passieren“, gab sie zurück, „schlimmer kann es ja kaum noch gehen.“ Silvias Satz war noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als ich etwas scheppern hörte. Ich wusste das es, was es auch war, Silvia getroffen hatte oder treffen sollte und dieser Gedanke ließ meine Wut auf Roger noch mehr ansteigen. Ich biss die Zähne zusammen und wandte mich ab. Jetzt sollte ich nichts unüberlegtes tun. Daheim lief ich im Zimmer auf und ab und mir wurde klar, dass es für uns nur eine Chance gab, die zwar riskant, aber notwendig war. Diesem Weg wollte ich folge, denn so nahe wie jetzt war ich meinem Traum noch nie und sie ihrem vielleicht auch nicht. Ich zog mir meinen Mantel über und machte mich auf den Weg zur einzigen Person die mir in meinen Augen helfen konnte. Und ich such dich, bis ich dich gefunden hab. In Rom, in Amsterdam oder in Prag. Berlin oder Reykjavik, Paris oder Mosambik Ich weiß, dass es dich gibt. Ich hatte den Kragen meines Mantels hochgeklappt und lief gegen den kalten, scharfen Winterwind an. Ich fand sie dort, wo ich sie erwartet hatte und als sie mich sah nickte sie nur. „Ich wusste du würdest irgendwann zurück kommen Chérie“, begrüßte Madam Celeste mich. „Es tut mir leid Madam, aber ich bin nicht wegen der Arbeit hier, ich brauche ihre Hilfe.“ Sie zog eine ihrer fein nachgezogenen Augenbrauen hoch und wies mir einen Stuhl zu. „Worum geht es Maxi?“ „Es geht um Silvia. Sie lebt bei Roger, ich muss sie daraus holen.“ „Das fällt dir ziemlich spät ein. Silvia hat auf dich gewartet und du bist nicht gekommen.“ „Ich weiß, aber… bitte Madam ich brauche Ihre Hilfe.“ „Du willst also Roger los werden. Nun er fühlt sich wie ein König, weil er ein Kriegsveteran ist. Außerdem liebt er nichts außer Alkohol und Tabak, zudem ist er stärker als so manch ein Mann, vor allem stärker als du Maxi.“ „Und? Was kann ich tun?“ Madam Celeste lächelte mich an. „Ich habe eine Idee. Wo willst du mit Silvia hin, wenn du Roger los bist?“ „Fort, am besten über den Ozean, soweit fort wie möglich.“ „Gut, kauf Karten für das Schiff, bereite alles vor, damit ihr schnell fort könnt, wenn du das alles erledigt hast, komm wieder zu mir.“ Ich tat was Celeste mir aufgetragen hatte. Das einzige Schiff das zu dieser Jahreszeit noch fuhr, kostete mich mein gesamtes Erspartes und fuhr erst drei Tage später ab. Dazu besorgte ich noch die nötigen Ausreisepapiere für mich und Silvia und packte notdürftig ein paar Kleidungsstücke und etwas zu Essen ein. Danach ging ich zur Gnädigen Frau und erklärte ihr meine Lage. Mit vollstem Verständnis entließ sie mich aus ihren Diensten und wünschte mir und Silvia viel Glück. Drei Tage später stand ich, zusammen mit Madam Celeste vor Rogers Villa. „Also Maxi. Ich lotze Silvia aus der Höhle des Löwen und dann verschwindet ihr beiden um alles, ALLES weitere kümmere ich mich. Ich habe noch eine offene Rechnung mit Roger“ Sie sah mich an und legte mir die Hände auf die Schultern. „Ich wünsche euch alles Glück der Welt, verdient habt ihr es schon lange.“ Ich nickte nur, sprechen konnte ich nicht. Ich war viel zu nervös. Mein Leben hatte sich von einen auf den anderen Tag förmlich umgekrempelt und das machte mir ein wenig Angst. Außerdem wollte ich mit Silvia über den Ozean fliehen und wusste nicht einmal, ob sie überhaupt mit wollte. Celeste stand bereits vor der Tür der Villa und wurde von Roger hereingelassen. Es dauerte eine geschlagene Stunde bis sie und Silvia vor die Tür traten. Schnellen Schrittes kamen sie um die Ecke, hinter der ich stand. „Du?“, fragte Silvia und sah von Madam Celeste zu mir. „Komm mit mir“, sagte ich und hielt ihr demonstrativ die Hand hin. „Ich habe Tickets für das Schiff das in einer Stunde den Hafen verlässt. Ich habe Kleidung zusammen gepackt und brauche nur noch dich damit ich meinen Traum auf der anderen Seite des Ozeans ausleben kann.“ Ich schluckte und sah das Silvia Tränen in die Augen stiegen. „Ich würde so gerne, aber was ist mit Roger?“ „Um den kümmere ich mich Schätzchen“, sagte Madam Celeste und sah sie aufmunternd an. Es dauerte eine Weile bis Silvia wieder eine Reaktion zeigte, dann fiel sie mir in die Arme und nickte. „Wunderbar“, sagte Celeste, „dann auf. Schnell, sonst wird unsere Spaßbremse dahinten noch misstrauisch.“ Sie drückte uns schnell und ging dann mit festen Schritten wieder auf Rogers Villa zu. Was sie mit ihm gemacht hatte weiß ich bis heute nicht. Silvia griff nach meiner Hand. „Komm“, sagte sie dann, lächelte und wir liefen los. Als wir am Schiff ankamen, war dies bereits zur Abfahrt bereit. Wir stellten uns an die Reling des Schiffs und winkten, wie die anderen Fahrgäste, der alten Stadt zum Abschied zu. Ich legte meinen Arm um Silvia und beobachtete sie. Sie schien immer noch nicht Recht zu glauben das sie diesen Schritt gegangen war. Als sie spürte das ich sie beobachtete sah sie mich an. „Warum auf einmal?“, fragte sie mich. „Ich weiß es nicht“, sagte ich ehrlich, dann lehnte sie sich an mich und ich wusste unsere Träume hatten sich erfüllt und es war nun Zeit für einen neuen Traum. Zeit für eine neue Suche. Und ich glaub daran, dass ich dich finden kann. Denn was zusammen gehört, findet zusamm. In Berlin oder Reykjavik, Paris oder Mosambik Ich weiß, dass es dich gibt. Ich weiß, dass es dich gibt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)