Written Pages von Jessa_ ================================================================================ Kapitel 4: Urvertrauen ---------------------- Kapitel 4: Urvertrauen In der Küche überlegte Kakashi, ob er seinen Adoptivsohn mit ins Wohnzimmer nehmen sollte. Er wollte abwägen, ob es gut für die Jungs wäre. Es konnte sein, dass sein kleiner Wirbelwind sie überforderte und aufregte, es konnte genauso gut sein, dass Narutos aufgeweckte Art sie entspannte. Kakashi wollte es versuchen und drückte die Verbindungstür ein Stück weiter auf. Augenblicklich schlüpfte Naruto durch die Lücke und trabte aufs Sofa zu. Er stützte sich mit den Händen auf den Polstern ab und schaute die Brüder direkt an. „Wer seid ihr?“ Itachis Blick ruckte hoch zu Kakashi, welcher nickte, um ihm zu zeigen, dass alles okay war. Im gleichen Moment rutschte Rin neben Itachi aufs Sofa und hob eine Hand um sie auf seinen Oberarm zu legen. Mit dem Daumen fuhr sie leicht auf und ab. Die anfängliche Angespanntheit des Jungen schwand und Rin hoffte, dass er ihr Kosen vielleicht ein wenig genoss und sich entspannte. Wenn er die ganze Zeit den Job übernahm seinen Bruder zu beruhigen und zu trösten, sollte jemand die Aufgabe haben, sich um ihn zu kümmern. „Naruto, Schätzchen“, sagte sie. „Das sind Itachi und Sasuke. Die beiden übernachten heute hier.“ „Cool!“, machte der Kleine und hopste aufs Sofa. Neben Sasuke saß er auf den Knien und piekste dessen Schulter mit seinem Finger. „Spielen wir was?“ Sasuke vergrub das Gesicht wieder an der Brust seines großen Bruders und zog die Schultern ein. Als er jedoch aus dem Augenwinkel auf Naruto linste, musste Kakashi grinsen. Hatte sein kleiner Wirbelwind doch ein wenig Eindruck gemacht. „Was denn?“, fragte Sasuke nach einer Weile leise. „Fußball!“ Sasuke schwieg. Er wollte gerne mit dem Jungen Fußball spielen, aber er hatte Angst, dass ihn alle auslachten, wenn er schlecht darin war. Sasuke hatte keine Freunde und er spielte viel alleine oder mit Itachi. Die Nachbarskinder kannte er kaum, aber sie würden ihn bestimmt eh nicht mögen, auch wenn er mit Itachi vorne auf der Straße spielen ging, wo die anderen Kinder kickten, mit Kreide malten und Rad fuhren, und nicht bloß im Garten seiner Familie. Die Kinder im Kindergarten mochten ihn auch nicht. Außer in der Morgenrunde und bei Gruppenspielen, saß er immer irgendwo alleine und malte, schaute Bücher an oder spielte mit Bauklötzen. „Möchtest du mit Naruto Fußball spielen, Schätzchen?“ Sasuke drehte den Kopf und schaute zu der Frau. Sprach sie mit ihm? Aber sie hatte Schätzchen gesagt. So hatte sie doch eben mit dem anderen Jungen geredet, mit Naruto. Sie konnte ihn sicher nicht gemeint haben. Er vergrub den Kopf wieder an Itachis Brust. Er sollte am besten nicht spielen gehen. „Hey, Brüderchen“, machte da Itachi und stupste ihn mit der Schulter an. „Gehen wir Fußball spielen?“ Wenn sein Bruder mitkam, würde es okay sein, oder? Sasuke rutschte vom Sofa, nahm die Hand von Itachi und folgte Kakashi und Naruto durch die Tür im Wohnzimmer in den Garten. Auf der Wiese lag noch der Fußball mit dem Naruto gestern Nachmittag im Garten gespielt hatte. Er lief hin und trat dagegen, nur um dem Ball hinterherzulaufen. Die Brüder waren vor dem Rasen stehen geblieben, doch Itachi hob die Hand und drückte seinen kleinen Bruder sachte ein Stück nach vorne. „Geh spielen, Sasu“, sagte er leise und behielt Agent Hatake im Auge. Während sein jüngerer Bruder langsam zu Naruto und dem Ball tapste, trat Itachi an den Holztisch auf der Terrasse. Der Agent saß, mit dem Gesicht in Richtung Rasen, auf der Bank und stützte sich nach hinten mit den Ellebogen auf dem Tisch ab. Itachi fuhr mit der Hand über das glatte Holz der Bank und entschied, sich im Schneidersitz auf den Steinplatten niederzulassen. So hatte er seinen Bruder und gleichzeitig Agent Hatake im Blick. Er konnte eingreifen, wenn Sasuke keinen Spaß hatte oder der andere Junge, Naruto, ihn ärgerte. Viel wichtiger war aber, dass er nicht weiter weg von seinem kleinen Bruder war, als der Bundesagent, ohne die ganze Zeit seine Sorge auf Sasuke zu projektieren. Itachi schaute eine Weile lang dabei zu, wie Naruto den Ball seinem kleinen Bruder zukickte und wartete, bis er zurückkam. Gerade als das Spiel der Jungen begann, etwas wilder zu werden, kam Rin mit einem kleinen Mädchen und einem Tablett voller Gläser und einer gefüllten Glaskanne auf die Terrasse. Sie stellte das Tablett auf den Tisch, setzte sich auf die zweite der beiden Bänke, zwischen Tisch und Hauswand und schaute ebenfalls für einen Moment zu den Jungen auf der Wiese. Sie schienen Spaß zu haben, wie sie da rum rannten und versuchten einander den Ball abzujagen. Itachis Blick folgte dem kleinen Mädchen, das zu Agent Hatake ging und sich mit den Händen auf seinen Knien abstützte. „Wo ist die Kreide, Kakashi?“, fragte sie und nahm seine Hand, als er aufstand. Itachi schaute den beiden nach, als sie über die Wiese nach hinten zu einem kleinen Holzhäuschen gingen und entspannte sich wieder, als er darin keine Gefahr für seinen kleinen Bruder sah. „Möchtest du etwas Limonade, Itachi?“ Der Junge drehte den Kopf langsam nach hinten und nickte sachte. Er wollte gerne etwas Limonade haben. Er schaute zu, wie die Frau nach einem Glas griff und es halb voll Limonade goss. Als sie die Glaskanne wieder zurückgestellt hatte, stand Itachi vom Boden auf und ging drei Schritte um den Tisch herum. Die Frau hob das Glas hoch und streckte es ihm entgegen. Auch Itachi hob seine Hand, schloss die Finger um das Limonadenglas und wollte gerade einen Schluck trinken, als er ein dumpfes Bumms hörte und dann das Schniefen seines Bruders. Sein Kopf ruckte rum und als er los lief, um zu Sasuke zu kommen, ließ er gedankenlos das Glas auf die Steine fallen. Neben ihm schmiss Itachi sich auf den Boden und nahm den kleinen Bruder in seiner Arme. Er machte einen beruhigenden Laut und fuhr ihm über den Kopf. Währenddessen ließ er sich auf seinen Hintern plumpsen und zog Sasuke auf seinen Schoß. Der Kleine vergrub sein Gesicht erneut gegen Itachis Brust. Er weinte noch immer. Ein wenig hilflos streichelte Itachi ihm über Arme und Rücken, aber Sasuke wollte sich einfach nicht wieder beruhigen. Er schniefte und krallte sich mit dem Arm, den er nicht um Itachis Mitte geschlungen hatte, im Stoff dessen Hose fest. Itachi flüsterte unterdessen tröstende Nichtigkeiten in das Ohr seines kleinen Bruders, während es sich die Schuld an alledem gab. Vielleicht hätte er Sasuke nicht mit dem fremden Jungen spielen lassen dürfen. Er fragte sich einen Moment, ob der ihn geschubst hatte oder ob Sasuke von allein gestürzt war, aber eigentlich war das auch egal. Itachi hätte ihn nicht aus den Augen lassen dürfen, wenn er schon erlaubte, dass sein kleiner Bruder mit dem anderen Kind Fußball spielen ging. Er war ab heute für ihn verantwortlich, jetzt wo ihre Mama tot war. Und eigentlich, schallte er sich dann, war es doch auch nichts Neues für ihn, den kleinen Bruder zu beschützen. In seinen Sorgen gefangen und ganz damit beschäftigt seinen kleinen Bruder zu trösten, bemerkte Itachi erst jetzt, dass der blonde Junge neben ihnen im Gras hockte und sachte Sasukes Hand auf Itachis Oberschenkel tätschelte. „Nicht weinen, Sasuke“, hörte er den Kleinen sagen. Er stieß sich mit den Füßen hab und drückte den Rücken durch, um mit Sasuke im Arm ein Stück nach hinten zu rutschen. Er wusste nicht, wie viel Anteil das Kind an Sasukes Stolpern gehabt hatte. Er wollte nicht, dass Fremde seinen kleinen Bruder anfassten und ihm wehtaten. Itachi legte die Hand in die Kuhle an Sasukes Nacken und kraulte ihn. Das hatte seinen Bruder schon immer beruhigt, auch schon als kleines Baby. Er sorgte dafür, dass der Kopf seines des Kleinen gemütlich an seiner Brust ruhte, kraulte ihm den Nacken und starrte nach vorne. Er sah, dass die Frau, Rin, zu Naruto gegangen war, sich hinter ihn hockte und ihm über die Arme fuhr. Sie schaute rüber zu den Brüdern und als sie glaubte, einen Teil Itachis Aufmerksamkeit zu haben, fragte sie, ob Sasuke verletzt war. „Ich weiß nicht“, murmelte Itachi nach einer Weile ehrlich. Er schob den kleinen Bruder ein Stück von sich weg und nahm dessen Gesicht in seine Hände. Er hätte sofort nachschauen sollen, ob er verletzt war. „Shhshht“, machte er und fuhr mit dem Daumen über Sasukes Wange. „Du musst mir sagen, was dir weh tut, Sasuke.“ Doch der Kleine wollte nicht reden. Er wollte sich einfach nur bei Itachi verstecken. Itachi würde ihn nie auslachen, auch nicht für so einen dummen Fehler beim Fußball spielen. Es hatte Spaß gemacht, den Ball mit Naruto hin und her zu schießen und dann war er gestolpert und jetzt wollte Naruto ganz sicher nicht mehr mit ihm spielen. Sasuke schniefte. Er hasste es, wie ein Baby zu heulen. Bestimmt lachte Naruto gerade über ihn. Sasuke fasste hoch zu Itachis Händen, um sie von seinem Gesicht wegzuziehen. Er traute sich nicht nachzuschauen, ob Naruto lachte, und weil er nicht aufhören konnte zu heulen, wollte er sein Gesicht wieder an Itachis Brust verstecken. Manchmal, wenn er das tat, fühlte es sich so an, als könne er sich vor der ganzen Welt verstecken. Rin drückte Naruto einen Kuss auf den blonden Schopf und erhob sich, um den einen Schritt rüber zu den Brüdern zu machen und sich neben ihnen ins Gras zu knien. Sie legte eine Hand sachte auf Itachis Schulter, um ihm zu zeigen, dass sie ihnen nicht mit ihren Berührungen weh tun wollte und nahm die andere, um über Sasukes Rücken zu streicheln, während der Junge immer noch versuchte seinen Kopf an Itachis Brust zu vergraben. Sie machte einen beruhigenden Laut, nahm die Hand von Itachis Schulter und legte sie an Sasukes Seite, um ihn ein Stück zu sich zu drehen. Sie achtete darauf, dass er immer noch zwischen Itachis Beinen im Gras hockte, während sie den Stoff über den Knien begutachtete. An den Stellen, wo Sasuke beim Fall hin sein Gewicht verlagert hatte, hatte der Jeansstoff zwei grüne Flecken, aber er war nicht kaputt gegangen. Dennoch schob sie sachte die Hosenbeine hoch und inspizierte die Knie des Jungen. Er blutete nicht, aber die Haut über beiden Kniescheiben und die darum herum wies erblasste Hämatome auf, die von einem früheren Fall stammen mussten. Vorsichtig schob sie den Stoff wieder hinunter und nahm nacheinander Sasukes kleine Hände in ihre. Ein einigen Stellen war die Haut der Handflächen abgeschürft und sie bluteten leicht. Rin konnte gleich mit ihm ins Bad gehen und seine Wunden waschen und versorgen. Erstmal galt es nun den Kleinen zu beruhigen. „Tun deine Hände weh, Schätzchen?“ Sasuke schüttelte den Kopf und hickste vom vielen Weinen. Rin lächelte mitleidig und fragte den Kleinen, ob ihm sonst etwas wehtäte. Sasuke zuckte mit den Schultern und drehte den Kopf verschämt zur Seite. „Ich schau mir noch gleich deine Ellbogen an und danach gehen wir die Hände waschen und machen dir ganz tolle Pflaster drauf, einverstanden?“ Sasuke wollte gerade nicken, als sein großer Bruder eingriff. Er zog ihn ein Stück nach hinten und, während die Frau Sasukes Hände losließ, versuchte Itachi seiner Stimme einen scharfen Ton zu verpassen, als er sagte: „Er ist nicht auf die Ellbogen gefallen.“ Ganz sicher konnte er sich da nicht sein, aber er würde gleich nachschauen. Wenn da eine Wunde war konnte er sie auch selbst versorgen. Er wollte nicht, dass die Frau seinen kleinen Bruder weiter betatschte und noch weniger wollte er, dass sie die Abdrücke an Sasukes Armen sah, die ihr Vater letztens hinterlassen hatte, als er ihn zu fest gepackt hatte, um ihn aus dem Bett zu zerren. Er hatte es nie gemocht, wenn Sasuke in der Nacht zu seinem großen Bruder krabbelte, um in dessen Bett zu schlafen. Das taten nur Memmen und solche wollte ihr Vater nicht zum Sohn haben. „Ist alles okay bei euch?“, fragte Kakashi, der inzwischen nicht mehr im Gartenhäuschen nach dem Eimer mit der Straßenkreide suchte, sondern zu ihnen rüber gejoggt war und nun gegenüber von Rin auf dem Gras hockte. In seinen Augen sah sie Besorgnis, als sie hoch blickte. Sie schaute an ihm vorbei zu ihrer Tochter, die, mit dem Kreideeimer in der Hand, über die Wiese zu ihnen schlenderte. Trotz ihres langsamen Tempos konnte die Mutter ihr ansehen, dass sie ob dessen, was sich auf der Wiese abspielte. verwirrt war. Rin linste aus dem Augenwinkel zu Naruto, der irgendwie verloren wirkte, wie er da stand, mit den Händen in den Hosentaschen und den kleinen Falten, die sich auf seiner Stirn breitgemacht hatten. „Wir hatten einen kleinen Unfall“, sagte sie sachte, um niemanden weiter zu beunruhigen. „Geh ruhig mit Naruto und Sakura malen.“ Er warf ihr einen fragenden Blick zu, aber sie nickte nur bekräftigend, weswegen er sich wieder aus seiner Hocke erhob. Er hob seinen Sohn auf den Arm, weil nun auch er die Sorgenfältchen auf der Stirn seines Kindes sah, und wartete auf Sakura, die seine Hand griff, als er ihr sie entgegenstreckte. Mit Straßenkreide malten sie lieber vor dem Haus, dann musste er nicht so oft die Terrasse schrubben. Rin wartete, bis Kakashi mit den beiden Kindern in der Küche verschwunden war, bevor sie ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf die Brüder richtete. Die zwei trauten ihr nicht. Sie hatten Angst. Rin hoffte sich besser um Itachi und Sasuke kümmern zu können, jetzt wo ihre Tochter und Naruto vor dem Haus mit Kakashi spielten. Ihr gefielen das Hämatom in Itachis Gesicht und die auf Sasukes Knien nicht. Sie hatte schon viele misshandelte Kinder gesehen, weil es nicht ausblieb, wenn man Krankenschwester auf der Kinderstation eines Krankenhauses war und alle hatten sie eines gemeinsam: Das verlorene Urvertrauen. Rin hatte Babys gepflegt, die nächtelang durchweinten, weil ihre Mutter ihr Urvertrauen zerstört hatte, indem sie sie in der Kinderklappe des Krankenhausens zurücklegte. Sie hatte Kleinkinder versorgt, die mit gebrochenen Knochen oder Gehirnerschütterungen eingeliefert wurden und schrien, sobald man sie berührte. Sie hatte ein halbverhungertes Vorschulkind gesehen, dass nicht mehr daran glaubte, dass das Leben und die Welt gut war. Sie hatte mit Kindern gesprochen, die glaubten nicht liebenswert zu sein, weil ihre Eltern ihnen durch Schläge oder durch Missachtung zeigten, für wie wertlos sie sie hielten. Rin erkannte misshandelte Kinder, wenn sie sie sah. „Was hältst du davon, wenn wir deinem kleinen Bruder mal die Hände sauber machen, Itachi?“ Sie wandte sich ganz bewusst an den Älteren. Er war derjenige der entschied, wie weit ihrer Umwelt Vertrauen geschenkt werden durfte. Damit wollte sie vorsichtig umgehen. Vielleicht legte Sasuke sein ganzes Urvertrauen, dass er hatte retten können, in seinen großen Bruder. Das wäre nicht verwunderlich, wenn sie zuschaute, wie beschützerisch Itachi ihm gegenüber war. Itachi nickte argwöhnisch, half dem kleinen Bruder beim aufstehen und tat es ihm dann gleich. Anstatt Sasuke verletzte Hand in seine zunehmen, legte er den Arm um die Schulter seines Bruders und folgte Rin zurück ins Haus. Sie gingen ins untere Badezimmer, wo Rin ganz wissentlich die Tür aufließ, um den Jungen nicht das Gefühl zu geben, eingesperrt zu sein. Sie war keine Kinderpsychologin, aber sie hatte genug Erfahrung, um nicht gleich alles zu vermasseln. „Möchtest du dich auf den Toilettendeckel setzten, Sasuke?“ Der Kleine schaute fragend zu seinem Bruder, der bloß nickte und ihm auf den geschlossenen Deckel der Toilette half. Er blieb daneben stehen und behielt eine Hand an dem Rücken seines kleinen Bruders, während Rin einen Waschlappen aus dem Schränkchen in Bad zog und mit etwas lauwarmem Wasser benässte. Vor Sasuke hockte sie sich auf die hellen Fliesen und nahm vorsichtig eine seiner Hände in ihre. Sich Itachis wachsamen Blick bewusst, tupfte sie mit dem weichen Waschlappen über die abgeschürfte Haut und reinige sie von Erde und Blut. Das gleiche machte sie mit der zweiten Hand, bevor sie beide mit einem reinen Handtuch trocken tupfte und ein paar bunte Kinderpflaster aus der Schublade zog. Sie war schon so oft drüben gewesen, dass sie gar nicht mehr suchen musste. „Mit Dinos oder mit Löwen?“, fragte sie den Kleinen und zeigte die verschiedenen Pflaster in die Höhe. Sasuke schaute ein Weilchen und entschied sich für die mit den Dinos. „Prima. Rechte Hand bitte.“ Der Kleine schien eine Weile zu überlegen, schaute auf seine Handflächen und streckte dann die Richtige nach vorne. Rin schenkte ihm ein lobendes Lächeln, während sie ein Pflaster aufriss und vorsichtig auf eine kaputte Stelle seiner Handinnenfläche klebte. Das wiederholte sie mit zwei weiteren Pflastern auf der rechten Hand, bat nach der Linken, die er ihr ebenfalls entgegenstreckte und kam dort mit einem Pflaster aus. „Prima. Alles fertig. Tut es noch sehr weh, Sasuke?“ Er zuckte mit den Schultern und griff nach Itachis Pullover. Augenblicklich kam der große Bruder noch ein Stück näher. Sasuke lehnte seinen Kopf gegen Itachis Bauch, woraufhin der Ältere einen Arm um ihn legte und ihn mit dem Daumen an der Schulter streichelte. Rin verstaute die restlichen Pflaster zurück in die Schublade, schmiss Handtuch und Waschlappen in den Wäschekorb und beugte sich vor den Brüdern ein Stück hinunter. „Weißt du, was ganz toll dagegen hilft, wenn es noch ein bisschen wehtut?“ Sasuke linste zu ihr, schüttelte aber den Kopf, ohne ihn wirklich von Itachis Bauch wegzunehmen. Rin grinste breit. „Limonade!“, sagte sie. Im Garten sorgte Rin dafür, dass die Jungs nicht in die Scherben traten, als sie sich an den Terrassentisch setzten. Sie goss beiden jeweils ein halbes Glas voll Limonade und schob es ihnen rüber. Dann holte sie Handfeger und Schaufel aus Kakashis Küche, um das kaputte Glas aufzukehren. Sie entsorgte es im Mülleimer, stellte die Utensilien zurück und setzte sich zu den Jungs an den Holztisch im Garten, um auch etwas von der Limonade zu trinken. „Tut mir Leid“, hörte sie Itachis leise Stimme. Er blickte nicht auf und sie sah, dass er seine Limonade noch nicht angerührt hatte. „Es ist lieb, dass du dich entschuldigst, Itachi. Aber so was kann passieren.“ Sie sah ihn nicken, glaubte aber auch zu sehen, dass die Sache für ihn noch nicht erledigt war, obwohl sie schon alles weggefegt hatte und ihm keineswegs böse war. Er hatte Sorge um seinen kleinen Bruder gehabt, als er losgelaufen war und das Glas war nun mal ein Hindernis in seiner Hand gewesen. „Wo liegt das Problem, Itachi?“ „Agent Hatake“, sagte der Junge nach einer Weile kleinlaut. „Wenn er böse wird, können Sie ihm dann sagen, dass es allein meine Schuld war?“ „Keiner hat Schuld, Schätzchen. Du wolltest zu deinem Bruder. Und Kakashi wird nicht…“ „Doch!“, unterbrach er sie. „Sasuke kann da nichts für, okay? Ich hätte besser aufpassen sollen.“ Itachi spürte Sasukes kleine Hand auf seinem Hosenbein. Die kleinen Finger umfassten den Stoff und beinahe kniff er ihm ins Fleisch. Der Ältere legte seine eigene Hand flach auf Sasukes Rücken. Er würde nicht zulassen, dass man seinen kleinen Bruder für etwas bestrafte, was allein sein Fehler war. Sasuke konnte nichts dafür, dass Itachis Sorge um ihn, ihn manchmal blendete. Er hätte erst das Glas abstellen und dann zu seinem Bruder laufen sollen. Zwar hätte sich Sasuke dann einige wenige Sekunden länger allein und hilflos gefühlt, aber Itachi hätte sie nicht in die missliche Lage gebracht, schuld daran zu sein, dass etwas von Kakashis Hab kaputt gegangen war. Und weil es eben seine falsche Reaktion auf Sasukes Fallen gewesen war, was sie nun in diese Lage gebracht hatte, übernahm er auch die Verantwortung. Nicht dass er sie nicht auch übernommen hätte, wäre Sasuke das Glas auf den Boden gefallen. „Itachi“, sagte Rin seinen Namen, um seine volle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Ich verspreche dir, dass Kakashi auf keinen Fall sauer auf euch sein wird. Es war nur ein Glas und solche Unfälle passieren.“ Sie erinnerte sich an den vergangenen Sommer und den Fußball, mit dem Naruto es geschafft hatte das Wohnzimmerfenster zu zerstören. Kakashi hatte zwar geschimpft, aber nur, weil Naruto auf der Terrasse gespielt hatte, anstatt auf dem Rasen – und das war einfach viel zu nah an der Hauswand. Auch vom Rasen aus, konnte so ein Unfall vielleicht passieren, aber die Wahrscheinlichkeit war wesentlich geringer, als wenn man den Ball eh schon gegen die Wand zwischen Fenster und Türe kickte. Auch noch einige Nachmittage nachdem eine neue Scheibe eingesetzt wurde, hatte der Fußball oben auf einem der Regale im Gartenhäuschen, außerhalb Narutos Reichweite, gelegen. Kakashi hielt wenig von den Strafen, die Kindern schadeten. Er würde niemals ein Kind misshandeln oder absichtlich dafür sorgen, dass es sich minderwertig fühlte. Dennoch war er, wie sie, der Meinung, dass Kinder Führung brauchten. Man konnte sie nicht tun und machen lassen, was sie wollten. Es gab Regeln und wer sie absichtlich brach, bekam eine gerechte und angemessene Strafe. Aber das zerbrochene Limonadenglas war kein Vergehen gegen irgendwelche Regeln. Es war, was es war: ein Unfall. Und deswegen würde es keine Strafe geben und Kakashi war ganz sicher nicht böse. Sie konnte dieses Versprechen guten Gewissens geben, denn selbst wenn Kakashi kleine Strafen verteilte, war er nicht lange wütend auf seinen Sohn. Vielleicht machte das gute Eltern aus, dachte Rin in diesem Moment, während ihr Blick auf den Brüdern lag – dass man zwar strafte, aber nur um den Kindern ein Gefühl von richtig und falsch zu vermitteln und nicht, um ihnen die Liebe zu entziehen oder um sie zu verletzten. „Hey“, riss sie Kakashis Stimme aus ihren Gedanken. Sie wandte den Kopf zur Seite. Der Hatake lehnte, den Kreideeimer in der einen Hand, gegen den Rahmen der geöffneten Gartentür und schaute auf sie und die Jungs. „Wo sind Sakura und Naruto?“ „Hände waschen und danach wollten sie eine Folge Fish Hook gucken.“ Er grinste schelmig. „Ist das okay mit dir?“ Rin nickte. Sie fand die Sendung zwar mehr als dämlich, aber merkwürdigerweise fuhren Sakura und Naruto momentan total darauf ab. Sie hatte ein paar Folgen im Internet vorgeschaut, um sicher zu gehen, dass die Sendung wenigstens annähernd kindgerecht war und erlaubte den beiden, es zu schauen. Eine Folge Fish Hook ging nicht mal zwanzig Minuten und sonst schauten die zwei ja auch nicht zu viel fern. „Möchtet ihr mit die Sendung angucken gehen, Itachi?“, fragte sie den Jungen, dessen Anspannung sie förmlich spürte, seit Kakashi in der Tür lehnte. Itachi zuckte nur mit den Schultern. Er wollte lieber nicht fernsehen, weil er nicht wusste, was geschaut wurde. Er kannte Fish Hook nicht, aber wahrscheinlich war es eine Kindersendung. Das würde schon okay sein, oder? Vielleicht würde es Sasuke sogar Spaß machen. Die Furcht, dass sein kleiner Bruder sich langweilte und einschlief, wie er es manchmal tat, wenn ihr Vater sie zwang irgendwelche Dokumentationen mit ihnen anzuschauen, blieb, als sie Agent Hatake und der Frau ins Wohnzimmer folgten. Er war immer furchtbar böse gewesen dann und hatte Sasuke wach gerüttelt und angeschrien, obwohl die Dokumentationen, die er anschaute, oft viel zu kompliziert für ein Kind in Sasukes Alter waren. Naruto und Sakura saßen schon auf dem Sofa, als Kakashi den Fernseher anschaltete. Rin setzte sich an die Seite des Blondschopfes und klopfte auf das Polster neben sich, während sie den Brüdern zulächelte. Itachi rutschte dort aufs Sofa und zog den kleinen Bruder auf seinen Schoß. So konnte er ihn ganz sicher schützen, selbst wenn die Erwachsenen entschieden, dass er sich beim Fernsehgucken falsch verhielt. „Ich spring schnell unter die Dusche, während ihr die Sendung schaut, okay?“ Rin nickte erneut und sah ihm nach, als er den Raum verließ. Sie lächelte versonnen, als ihr zum wieder einmal klar wurde, wie gern sie ihn hatte. Es tat ihr bloß Leid, welch eine große Angst Itachi vor ihm zu haben schien und zuckte erschrocken zusammen, als sie von Naruto, der sich bäuchlings über ihren Schoß schmiss, aus ihren Gedanken geschreckt wurde. Der Kleine stützte sich mit seinen Ellebogen auf ihrem Oberschenkel ab und beobachtete Sasuke eine Weile stumm. Dieser hatte sich erneut an die Brust seines großen Bruders gekuschelt und schaute gespannt die Kindersendung an. „Du“, meinte Naruto langgezogen und fragte: „Geht’s dir wieder besser?“ Sasuke wandte seinen Blick vom Fernseher zu dem anderen Jungen. „Uh-huh“, machte er zustimmend. „Cool!“ Naruto grinste über beide Ohren. „Dann können wir gleich noch was spielen!“ Sasuke schaute den Blonden eine Zeit lang schweigend an, ehe er unsicher fragte: „Uhm… was denn?“ „Mit Legos!“ Rin klopfte Naruto sachte auf den Popo und zeigte zum Fernseher, als er sie anguckte. „Gleich hast du die ganze Sendung verpasst, Dummy.“ „Oh!“, machte der und setzte sich zurück auf seinen Hintern. Auch Sasuke konnte nun wieder fern schauen. Es war ihr ein Rätsel, aber auch ihm schien Fish Hook zu gefallen. Kurz bevor die Sendung zu Ende war, kam Kakashi mit feuchten Haaren, Jogginghose und T-Shirt zurück nach unten. Neben Sakura setzte er sich auf das Sofa und legte die Beine hoch. „Kakashi“, hörte er Sakuras Stimme. Sie kuschelte sich an seine Seite, woraufhin er einen Arm um sie legte. „Was denn, Schnecke?“ Sie kicherte ob seines Spitznamens für sie. Schnecken waren nun mal super! Vor allem ihre pinke Plüschschnecke! „Ich hab Hunger, Kakashi!“ „Mhm“, machte der nachdenklich. „Das sollten wir ändern, richtig?“ „Ja!“ Sie grinste, als Naruto zustimmend rief, dass er auch hungrig war und von Rin in die Seite geknufft wurde. „Schrei nicht so“, mahnte sie ihn, da ihr aufgefallen war, wie Sasuke aufgrund seines lauten Tonfalls zusammengeschrocken war. „Wie wäre es, wenn ich was für uns koche?“ Rin schaute rüber zu Kakashi, der dankbar nickte. Er konnte zwar kochen, gab die Aufgabe aber nur zu gerne in ihre Hände. Ihre Mahlzeiten schmeckten großartig! „Okay.“ Rin erhob sich und stemmte die Hände in die Hüften. „Wer möchte mir helfen?“ Sakura rief: „Ich!“, und schälte sich aus Kakashi Umarmung. Sie rutschte vom Sofa und nahm die Hand ihrer Mutter. Rin dachte daran, dass die kleinen Jungs gleich Lego spielen wollten. Dabei konnte Sasuke nichts passieren, weswegen Rin Itachi für eine Weile die Aufgabe abnehmen wollte, auf seien kleinen Bruder aufpassen zu müssen. „Magst du mir auch helfen, Itachi?“ Der Junge gab keine Antwort, hob Sasuke vorsichtig von seinem Schoß und rutschte selbst vom Sofa. Er hockte sich vor den kleinen Bruder und flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Uh… okay“, machte Sasuke unsicher. Itachi nickte, ehe er Rin und ihrer Tochter in die Küche folgte. Er mochte es nicht von Sasuke getrennt zu sein, aber er konnte nicht ablehnen, der Frau in der Küche zu helfen. Das wäre unhöflich und ihr Vater hatte sie zur Höflichkeit erzogen. Itachi hätte seinen kleinen Bruder mit in die Küche nehmen können, aber vielleicht hatte Rin genau das nicht gewollt, sonst hätte sie sicherlich sie beide angesprochen. Er fragte sie voller Sorgen, warum die Frau seinen kleinen Bruder und ihn trennen wollte, aber er würde es für einige Minuten hinnehmen. Er wusste, dass Sasuke nach ihm schrie, sollte er ihn brauchen. Das hatte er ihm extra noch mal ins Ohr geflüstert, bevor er den Raum verließ. Für jegliche Strafe fürs Schreien würde Itachi einstehen. Nach Fish Hook liefen auf dem Disney Chanel Sendungen für ältere Kinder, weswegen Kakashi den Sender wechselte. Er suchte eine weitere Kindersendung, wurde aber nicht fündig. Auf vielen Sendern liefen die Sechs-Uhr-Nachrichten oder Soaps und Sendungen für Erwachsene. Irgendwann blieb Kakashi bei einer Dokumentation über afrikanische Tiere hängen. Er wollte Naruto und Sasuke nicht einfach nach oben zum Spielen schicken und die Doku war das kindgerechteste, was er auf die Schnelle fand. Doch bald schon langweilten Naruto die Stimme des Sprechers und die langen Tiersequenzen. Er legte sich rücklings aufs Sofa, das eine Bein gegen die Rückenlehne und das andere ausgestreckt, während Sasuke artig an seinem Platz sitzen blieb. Er hatte den Blick auf den Fernseher gerichtet, dennoch bemerkte Kakashi eine Veränderung in dem Jungen. Er hatte richtig gespannt ausgesehen, als die Kindersendung lief. Nun schien es fast so, als zwinge er sich nicht weg zu gucken. „Ihr langweilt euch, stimmt’s Jungs?“ „Oh ja, Papa!“, jammerte Naruto, während Sasuke nur verschreckt das Köpfchen schüttelte. Wie konnte Naruto nur sagen, dass es langweilig war, was sein Vater guckte? Und wie konnte er da so liegen? Hatte er gar keine Angst vor einer Strafe? „Du findest das echt nicht öde? Bist du komisch?!“ Sasuke antwortete nicht. Er wollte sich zur Seite wegdrehen und sich in die Ecke der Couch kuscheln, aber er durfte nicht einfach weggucken vom Fernseher. Sein Vater war immer viel zu böse gewesen dann. „Naruto“, sagte Kakashi mahnend und bat seinen Sohn sich zu ihm umzudrehen. „Ich möchte nicht, dass du so mit Sasuke redest. Jeder darf toll finden, was er möchte und niemand ist komisch, nur weil er etwas anderes mag als du. Ich möchte, dass du dich bei ihm entschuldigst.“ Sasuke beäugte Agent Hatake und seinen Sohn aus dem Augenwinkel. Er wollte nicht, dass der andere Junge bestraft wurde, aber was konnte er schon tun? Sasuke zog die Beine an, umfasste die Knie mit seinen Armen und schaute wieder nach vorn. „Hey“, hörte er dann Narutos Stimme und spürte dessen Finger auf seiner Schulter. Der Kleine blickte rüber und war ganz erstaunt, als der Junge sagte, dass es ihm Leid tat, so ätzend zu ihm gewesen zu sein. „Schon gut“, meinte Sasuke dann, warf einen schnellen Blick rüber zu Kakashi, bevor er sich groß machte und versuchte dem anderen etwas ins Ohr zu flüstern. „Haut dein Papa dich jetzt?“ Narutos Augenbrauen zogen sich zusammen. Warum sollte sein Papa ihn denn hauen? Das hatte er noch nie getan, weil… so was tat man einfach nicht. Genau wie Schubsen. Das fand auch sein Papa und Naruto hatte einmal richtig Ärger bekommen als er im Kindergarten den blöden Kiba geschubst hatte. „Warum dass den?“, fragte Naruto, woraufhin Sasuke erneut vergebens versuchte zu flüstern: „Weil du gesagt hast, dass das langweilig ist…“ „Ja und?“ „Sasuke“, riss Kakashis Stimme die beiden Jungs aus ihrem Gespräch. „Kommst du mal bitte zu mir rüber?“ Ängstlich rutschte der Kleine vom Sofa und schritt rüber zu Agent Hatake. Artig, mit geradem Rücken und gesenktem Blick, fast wie ein kleiner Soldat, stand er vor ihm und erwartete die Standpauke für was auch immer er falsch gemacht hatte. „Bei uns darf jeder mögen, was er möchte, Sasuke. Und jeder darf langweilig finden, was er möchte. Niemand wird dafür bestraft. Und ganz sicher wird bei uns niemand gehauen, das verspreche ich dir.“ Der Kleine schien einen Moment zu überlegen, dann fragte er: „Ehrlich nicht?“ „Ehrlich nicht“, bestätigte Kakashi. Er sah das sachte Nicken Sasukes und hoffte inständig, dass das Kind ihm wirklich glaubte. Was war das für ein Vater, der seine eigenen Jungs schlug?! War es jemand, der auch die eigene Frau ermordete? Kakashi hatte gehofft dem entgehen zu können, aber er musste vor sich selber zugeben, dass der Vater der Kinder, Series Commander Fugaku Uchiha, der Haupttatverdächtige in diesem Fall war. Er musste damit beginnen, zu akzeptieren, dass seine Ermittlungen mit großer Wahrscheinlichkeit zwei junge Kinder elternlos machen konnten, wenn sie ergaben, dass ihr Vater wirklich ihre Mutter ermordet hatte. Schon im Voraus entschuldigte sich Agent Hatake stumm bei diesen Jungs, die er, ohne es zu merken, bereits in sein Herz geschlossen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)