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Meine Creepypastas

Paranormale (Horror) Geschichten
von

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Harvey the Skinner: Das Opfer

Als er aufwachte, konnte sich Officer Dawson kaum bewegen. Ein Blick auf seinen Körper verriet ihm, dass er mit Gurten an einer Art OP-Tisch fixiert war und ein helles Licht blendete ihn. Er war so gut gefesselt, dass er nur noch seinen Kopf bewegen konnte. Kalter Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn. Wo war er? Was hatte das alles zu bedeuten und warum war er gefesselt? Als er den Blick zur Seite wandte und auf einem Tisch mehrere Skalpelle, Messer und Operationswerkzeuge sah, machte sich eine furchtbare Gewissheit in seinem Kopf breit. Und bestätigt wurde diese Befürchtung, als er über dem Tisch mit den Werkzeugen an einer Art Wäscheleine lange Fetzen hinunterhängen sah, die wie Haut aussahen. Großer Gott, dachte er und er bekam nun Todesangst. Er hat mich erwischt… der Skinner hat mich erwischt. Officer Dawson sah sich nun weiter um, konnte aber nicht viel erkennen. Der Raum war fensterlos und auch sonst ließ nichts drauf schließen, wo genau er sich befand. Er vermutete aber, dass er sich in einem Keller befinden musste. Ja, wieso auch nicht? Immerhin hatte man die Leichen seiner zwanzig Kollegen auch zerstückelt und gehäutet in einem Keller gefunden. Die Häute waren zu Bezügen vernäht worden und der Skinner hatte ein Manifest hinterlassen, in welchem er der Polizei, dem korrupten Rechtssystem und sogar der Kirche den Kampf ansagte. Schon seit Wochen hatte er in Angst gelebt, weil er wusste, dass er auch zu den Leuten gehörte, auf die es der Skinner abgesehen hatte. Aber… als sich lange Zeit nichts tat und er stattdessen ein paar pädophile Priester in Deutschland abschlachtete, begann er sich sicherer zu fühlen. Und nun hatte es ihn doch erwischt. Ein eisiger Schreck durchfuhr Dawson, als er plötzlich Schritte hörte. Eine Tür wurde geöffnet und jemand summte eine leise Melodie. Er hörte, wie Metall gegen Metall schleifte. Offenbar schärfte er bereits die Messer. „Guten Morgen, Mr. Dawson. Haben Sie gut geschlafen?“

„B-bitte… bitte lassen Sie mich gehen. Es tut mir Leid, was ich getan habe. Ich habe es nicht so gewollt.“

„So? Dann wissen Sie also bereits, wer ich bin? Nun, Sie scheinen eine sehr gute Auffassungsgabe zu besitzen, das muss ich Ihnen lassen. Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich die Häute hier erst einmal aufgehängt habe. Bevor ich sie nämlich weiterverarbeite, müssen sie erst richtig behandelt werden, sonst werden sie rissig. Aber es geht nicht um die Häute meiner letzten Opfer, sondern um Sie, Mr. Dawson. Sie können sich glücklich schätzen, dass Ihnen allein meine ganze Aufmerksamkeit gewidmet ist, denn Sie sind so etwas wie ein besonderer Ehrengast für mich. Und nur keine falsche Bescheidenheit. Bescheidenheit hat immer so etwas Geheucheltes und Verlogenes an sich. Außerdem würde ich mir an Ihrer Stelle gar nicht erst die Mühe machen, mich zu belügen. Ich weiß nämlich bereits alles über Sie. Alles, was ich will ist, es noch einmal aus Ihrem Munde zu hören.“

„Was… was wollen Sie von mir wissen?“ Officer Dawson wurde nervös und verstand nicht, was der Skinner mit ihm vorhatte. Wieder hörte er Schritte und aus dem toten Winkel seines Blickfeldes trat ein groß gewachsener junger Mann von vielleicht 26 bis 28 Jahren ins Licht, der eine rote Lederjacke trug und brünettes Haar hatte. Seine Augen waren grasgrün und an seiner linken Wange hatte er zwei lange Narben, ebenso wie am Hals. Officer Dawson kannte dieses Gesicht und entsetzt weiteten sich seine Augen. „Oh Gott…“ brachte er fassungslos hervor, als er realisierte, wer da vor ihm stand. „S-sie etwa?“

„Schön Sie wiederzusehen, Officer Dawson. Ihrer Reaktion zufolge scheinen Sie sich noch gut an mich zu erinnern. Kein Wunder, immerhin haben Sie und Ihre Kollegen mich damals niedergeschossen und später auch verhaftet. Erinnern Sie sich noch an den Prozess? Ich wurde wegen Widerstandes gegen die Polizei, Verleumdung und falscher Verdächtigung zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt.“ Der Polizist spürte, wie ihm sämtliches Blut aus dem Kopf wich und Panik überkam ihn. „Sie sind Harvey Dahmer?“ Ein stummes Nicken kam zur Antwort und zu seinem größten Entsetzen begann der Entführer nun mit einem Skalpell zu spielen, welches er offensichtlich benutzen wollte. „Ganz Recht, ich bin Harvey Charles Dahmer. Ist mir ebenfalls ein Vergnügen, Sie wiederzusehen.“

„Wollen Sie mich etwa umbringen, weil ich… weil ich…“

„Weil Sie mir in den Kopf geschossen haben, das wollen Sie doch sagen, oder? Nein, mir geht es nicht um persönliche Rache. Was würde mir so etwa wie Rache denn auch großartig nützen? Sie bringt mir weder Chris zurück, noch kann sie die Dinge ungeschehen machen, die passiert sind. Im Grunde ist Rache nichts Weiteres als eine traurige Illusion und der völlig falsche Weg, den Schmerz und den Zorn zu bekämpfen. Wenn Sie mein Manifest gelesen hätten, dann wüssten Sie, dass ich nicht auf Rache aus bin. Ich will mit radikalen Methoden die Menschen dazu bewegen, das ganze System zu überdenken, selbst gegen die Willkür der Justiz und der Reichen anzukämpfen und etwas zu ändern. Aber ich rede zu viel von meiner Person. Jetzt sind Sie an der Reihe, Mr. Dawson.“ Der Polizist war sich nicht sicher, ob dieser Kerl mit den Narben im Gesicht einfach nur verrückt war, oder verbittert. Vielleicht war er ja sogar beides und er fürchtete, dass ihm noch eine entsetzliche Tortur bevorstehen würde. Langsam wanderte die Spitze des Skalpells zu seinem Auge. „Ich werde Ihnen ein paar Fragen stellen und wenn Sie meinen, Sie könnten mich belügen, dann werde ich Ihnen zuerst das Auge entfernen und dann nach und nach sämtliche Zähne ziehen, wenn es sein muss. Also, kommen wir ins Geschäft?“

„J-ja…“

„Gut. Die erste Frage können Sie sich ja sicherlich schon denken, nicht wahr? Und vergessen Sie nicht: Ich bin ein Profi, was Mikroexpression betrifft. Ich bin wie Lightman aus „Lie to Me“: Schon die kleinsten Gesichtsbewegungen verraten mir, was Sie denken und fühlen. Deshalb versuchen Sie gar nicht erst, mich für dumm zu verkaufen. Nun möchte ich von Ihnen wissen: Warum wurde die Polizei zu uns geschickt?“ Tatsächlich hatte der Polizist mit dieser Frage bereits gerechnet und er wusste, dass dieser Harvey nicht bluffte. Allein die aufgehängte Haut an der Wäscheleine war Beweis genug, dass er ihm genau das Gleiche antun würde, wenn er nicht gehorchte. Also entschied er sich, gleich von Anfang an mit offenen Karten zu spielen. „Das Ganze war eine schreckliche Verwechslung gewesen. Der Haftbefehl ging nicht gegen Chris Dullahan, sondern gegen Jake und Jil Dungaree.“

„Und wer sind die beiden?“

„Ein Ehepaar, das seit Jahren gemeinsam diverse Mordserien begeht. Jake Dungaree wird beschuldigt, mehrere Menschen abgeschlachtet und dann ihr Fleisch verkauft zu haben, da er eine eigene Metzgerei besaß. Und seine Ehefrau Jil wird auch die Blutmalerin genannt, weil sie mit dem Blut ihrer Opfer Portraits malt und diese am nächsten Tatort zurücklässt. Die beiden haben zusammen mehr als 30 Menschen auf dem Gewissen. Allerdings ist da wohl irgendetwas durcheinandergebracht worden, sodass statt Dungaree nun Dullahan in den Akten stand. Und da von zwei Personen die Rede war, wurden Sie irrtümlich für Jake Dungaree gehalten.“

„Verstehe. Und da Chris sehr androgyn aussah, wurde er fälschlicherweise für eine Frau gehalten.“ Der gefesselte Officer nickte und fuhr fort. „Uns wurde gesagt, dass das Ehepaar äußerst gefährlich und zudem noch bewaffnet sei.“

„Aber wir waren nicht bewaffnet, das haben Sie und Ihre Kollegen doch gesehen. Ich hab sogar versucht, vernünftig mit Ihren Kollegen zu reden und die Sache aufzuklären, aber dann haben Sie einfach das Feuer eröffnet.“ Harvey schien nun gar nicht mehr so bedrohlich zu wirken, sondern wirkte auf einmal ganz normal und harmlos, als wolle er lediglich in Ruhe mit Dawson sprechen. Paradoxerweise ließ ihn genau das noch verrückter und unheimlicher erscheinen. „Ich wollte das ja nicht und natürlich ist mir auch aufgefallen, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte. Aber Erickson und den anderen war das völlig egal und sie hatten mich vorher schon so unter Druck gesetzt, weil ich verwirrt war, warum das Ziel plötzlich Dullahan hieß.“

„Sie wurden unter Druck gesetzt?“ fragte Harvey erstaunt und hob erstaunt eine Augenbraue. „Ja. Sie sagten mir, ich solle die Schnauze halten und meine Anweisungen befolgen. Dass ich auf Sie geschossen habe, war wirklich nicht meine Absicht, es war in dem Moment eine ungewollte Kurzschlussreaktion.“

„Erzählen Sie, was genau in der Wohnung passiert ist und wie Chris gestorben ist.“

„Die Kollegen haben sich direkt auf ihn gestürzt und er wollte flüchten. Ich stand völlig regungslos da, sah die Angst in seinen Augen und verstand, dass da irgendetwas gründlich schief lief. Aber dann… ich hab nicht viel gesehen, aber da stürzte Ihr Freund, schlug gegen die Tischkante und brach sich dabei das Genick. Das alles geschah so schnell, aber ich weiß noch, dass er sie angefleht hatte, nicht auf ihn zu schießen. Er hatte wirklich Todesangst gehabt in diesem Augenblick. Sein Tod war ein schrecklicher Unfall gewesen… Und ich wollte Sie eigentlich auch nicht töten. Aber Sie hatten meinen Kollegen am Kragen gepackt und sahen aus, als wollten Sie ihm etwas tun und in dem Moment habe ich völlig falsch reagiert.“

„Das hatte auch seinen Grund gehabt. Ihre Kollegen haben uns einfach so überfallen und dann angefangen, auf Chris einzuprügeln. Die haben auf ihn eingetreten, als er am Boden lag und da musste ich etwas tun, weil ich ihn vor diesen Verrückten retten wollte. Warum haben Sie denn nichts unternommen, als es Ihre Pflicht war?“ Tränen der Angst und Verzweiflung sammelten sich in den Augen des Polizisten und liefen sein kaltes Gesicht hinunter. Harvey selbst zeigte keine Emotionen, keine einzige Regung, als wäre sein Gesicht völlig erstarrt. Er wartete geduldig auf die Antwort, vor der sich der Polizist nicht drücken konnte. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Jahrelang habe ich erlebt, wie Kollegen bewaffnete Dealer oder andere Kriminelle verhaften und dabei etwas grob vorgehen. Zuerst dachte ich ja noch, es würde alles rechtens zugehen, aber als ich dann gesehen habe, wie sie auf ihn eingeprügelt haben, war ich einfach unsicher in dem Moment. Und diese Unsicherheit hat mich einfach gelähmt. Ich meine, das waren meine Kollegen, mit denen ich seit fast zwanzig Jahren zusammenarbeite!“ Harvey nickte bedächtig und begann nun langsam den Tisch zu umrunden. „Und was ist dann passiert? Wurde der Fall nicht irgendwie untersucht oder wurden Disziplinarverfahren eingeleitet?“

„Natürlich mussten wir uns vor unseren Vorgesetzten erklären und Erickson und die anderen hatten gemeinsam beschlossen, den Vorfall so darzustellen, als wäre es Notwehr gewesen. Schließlich wurde auch ich gefragt, aber anstatt die Wahrheit zu sagen, habe ich meinen Kollegen einfach nach dem Mund geredet. Ich wollte meinen Job nicht verlieren! Meine 8-jährige Tochter ist schwer krank und ich hatte sowieso kaum genug Geld, um die Dialysebehandlung zu bezahlen. Und ich hab es als allein erziehender Vater sowieso schon schwer gehabt.“ Der Strom aus Tränen wollte nicht versiegen, denn der Officer hatte nicht nur Angst um sein Leben. Nein er hatte auch Angst um sein Kind. Was sollte denn aus seiner Tochter werden, wenn er tot war? Wer würde dann für die Dialysebehandlung aufkommen und wer würde sich um sie kümmern? Ihre demenzkranken Großeltern? Nein, ganz sicher nicht. Und an Harveys Mitgefühl konnte er ja auch schlecht appellieren. Dieser hatte seinen besten Freund verloren und er wäre durch einen Kopfschuss beinahe gestorben. Und er war völlig unschuldig zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden! Wie sollte dieser Mensch da noch Mitleid haben? Es war doch nur völlig verständlich, dass Harvey ihn jetzt abgrundtief hasste und ihm die schwerkranke Tochter völlig egal war. Dawson hatte vollstes Verständnis dafür, dass er gleich genauso endete, wie seine 20 Kollegen oder die 15 deutschen Priester. „Soll ich Ihnen erzählen, was passiert ist, Mr. Dawson? Im Gefängnis habe ich wirklich eine nette Bekanntschaft mit einem Menschen gemacht, von dem Sie sicherlich gehört haben müssen. Sein Name ist Jeffrey Blalock, er ist auch bekannt als Jeff the Killer. Die Narben in meinem Gesicht und an meinem Hals sind ein nettes Souvenir von ihm, als er versuchte, mich umzubringen. Aber er hat mir auch sehr viele nützliche Dinge übers Töten beigebracht. Er hat mir gezeigt, wie man ein Blutbad am besten anrichtet und wie man einem Menschen ganz langsam und vorsichtig die Haut abzieht.“ Hier hielt Harvey nun das Skalpell an Dawsons rechte Wange und beobachtete, wie dieser nun wirkliche Todesangst bekam und schon damit rechnete, von ihm genauso gehäutet zu werden wie seine anderen Opfer. Doch es passierte nichts. Nein, Harvey setzte zwar das Skalpell an, aber er führte den Schnitt nicht aus. In seinem Blick lag etwas Schwermütiges und Trauriges. Es war in diesem Moment nur äußerst schwer zu sagen, was er wirklich dachte. „Wissen Sie, dass man an mir einen experimentellen Eingriff durchgeführt hat? Man pflanzte mir das Hirn meines toten Freundes ein und seitdem sehe ich ihn. Ja, er steht in dem Moment zu ihrer Rechten und hört alles, was wir sagen.“ Sofort drehte Dawson seinen Kopf nach Rechts, aber er sah niemanden. „Machen Sie sich keine Mühe, ich bin der Einzige, der ihn sehen und hören kann. Chris pflegt immer zu sagen „Das ist eine typische Hamlet-Situation.“ Nun, MacBeth trifft es wohl eher, wenn ich so darüber nachdenke. Seit ich nach dieser Operation aufgewacht bin, kann ich ihn sehen und hören und ich spüre sogar, wenn er eine Hand auf meine Schulter legt. Können Sie sich vorstellen, wie schlimm das eigentlich ist? Ich weiß nicht einmal, ob ich verrückt bin, oder ob bei der Operation etwas fruchtbar schief gelaufen ist. Jeden Tag und jede Sekunde sehe ich ihn und dabei ist er tot… Stellen Sie sich mal vor, sie würden Ihre tote Frau Tag für Tag sehen, obwohl sie nicht mehr lebt. Oder Sie sehen Ihre kleine Tochter Celia, nachdem sie gestorben ist. Wenn Sie sich das vorstellen können, dann wüssten Sie, wie es mir geht.“ So viel Schmerz, dachte Dawson, als er in diese grasgrünen Augen sah, in denen es keinen Glanz mehr gab. So viel Schmerz, Leid und Hoffnungslosigkeit spiegelten sich in ihnen wieder… Es schien so, als würde nur diesen Menschen nur noch der Wunsch am Leben erhalten, dass sich an dieser grausamen Ungerechtigkeit in diesem Land etwas änderte. Sonst gab es da nichts mehr. „Aber das wirklich Grausame an Chris’ Tod ist, dass er fast genauso krank war, wie Ihre Tochter. Er lag mit Leukämie im Krankenhaus und hat zwischendurch mit dem Tod gekämpft. Und kaum, dass er seine Krankheit überwunden hatte, wurde er einfach so umgebracht! Und sagen Sie mir bloß nicht, dass das bloß ein Unfall gewesen war. Wären Sie und Ihre Kollegen nicht gewesen, dann hätte Chris nicht sterben müssen!“ Nun war Harvey laut geworden und wütend schlug er mit der Faust auf den Tisch. Das war nicht gespielt oder vorgetäuscht. Diese Wut war echt und die 35 Opfer haben es sicher auch am eigenen Leib zu spüren bekommen. Dawson wusste, dass er sterben würde, alles Bitten und Flehen würde auch nichts bringen. Aber was ihm wirklich Angst machte, war die Tatsache, dass Harvey den Namen seiner Tochter kannte. „Wo… woher kennen Sie den Namen meiner Tochter?“ Hier aber spielte sich ein eiskaltes Lächeln auf Harveys Lippen und wieder begann er mit seinem Skalpell zu spielen. „Mein Informant versteht eben sein Geschäft. Ich weiß, wo Sie wohnen, in welchem Krankenhaus Ihre Tochter ist und welche Medikamente sie bekommt.“ Panik stieg in den Polizisten auf, als er das hörte. Worauf wollte dieser Kerl denn hinaus? Hatte er etwa vor, seine Tochter zu töten? Wollte er ihn vielleicht vor die Wahl stellen? „Bitte, lassen Sie meine Tochter in Ruhe. Wenn Sie mich töten wollen, dann tun Sie es, aber tun Sie meinem Kind nichts!“ Hierauf verdüsterte sich Harveys Blick und er packte mit seiner freien Hand Dawson an der Kehle und drückte zu. „Sie wollen mir vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe? Sind Sie sich überhaupt im Klaren darüber, in welcher Lage Sie sich befinden? Sie haben gar kein Recht darauf, mir irgendetwas zu verbieten!“

„Es… es tut mir Leid…“ Daraufhin ließ Harvey wieder von ihm ab und betrachtete seine Geisel eine Weile, ohne etwas zu sagen. Dann aber setzte er wieder ein eiskaltes Lächeln auf und legte sein Skalpell weg. Stattdessen holte er eine Spritze hervor und zog langsam die Kappe ab. Dawson wusste, was das bedeutete und geriet in Panik. Er hatte die Autopsieberichte seiner Kollegen gelesen und wusste, dass der Skinner seine Opfer mit Tetrodotoxin lähmte, um sie dennoch bei vollem Bewusstsein häuten und dann töten zu können, ohne dass sie sich zur Wehr setzen konnten. „Da Sie gerade so vorlaut waren, Mr. Morgan, werde ich meine Pläne ändern. Wenn ich mit Ihnen fertig bin, knöpfe ich mir die kleine Celia vor.“

„Nein bitte! Ich flehe Sie an, bitte tun Sie meinem Kind nichts. Sie hat Ihnen nichts getan, sie ist unschuldig. Es tut mir Leid, was ich Ihnen und Chris angetan habe und ich wünschte, ich hätte damals etwas unternommen, damit das alles nicht so weit hätte kommen müssen. Sie können doch nicht ein unschuldiges achtjähriges Kind töten wollen, das weder Ihnen noch überhaupt jemandem etwas getan hat.“ Doch Harveys Lächeln blieb und schließlich stach er die Nadel in Dawsons Hals, woraufhin er ihm das Mittel injizierte. „Oh, Sie werden sich wundern, zu was ich alles in der Lage bin.“ Dawson spürte, wie langsam sein Bewusstsein schwand und selbst seine Zunge lahm wurde, sodass er kaum noch sprechen konnte. Celia… dieser Kerl wird Celia töten… Er versuchte, sich mit aller Macht bei Bewusstsein zu halten, doch der Kampf wurde mit jeder fortschreitenden Sekunde immer schwerer. Der ganze Raum verschwand und alles wurde in eine tiefe Dunkelheit getaucht.
 

Als Dawson wieder aufwachte, lag er auf der Couch in seinem Apartment und sein Kopf schmerzte. Verwirrt sah er sich um und begriff zunächst nicht, was passiert war. Seltsam, dachte er und setzte sich langsam auf. Habe ich das vorhin bloß geträumt? Bin ich etwa auf der Couch eingeschlafen und habe bloß geträumt, dass der Skinner mich entführt und beinahe getötet hätte? Verrückt, wirklich verrückt. Dawson begann ungläubig zu lachen. Für einen einfachen Traum hatte er sich aber ganz schön echt angefühlt. Er konnte sogar noch den Stich im Hals spüren, der von der Nadel herrührte. Dawson griff zu seinem Handy, welches sich auf dem Couchtisch befand und stellte fest, dass er mehrere Stunden tief und fest geschlafen hatte. Und außerdem hatte er gleich drei Anrufe verpasst. Ein Schreck durchfuhr ihn als er las, dass das Krankenhaus angerufen hatte. Es musste etwas mit seiner Tochter passiert sein. Hatte er etwa doch nicht geträumt und hatte dieser Serienmörder vor, seiner Tochter etwas anzutun, als Rache für seinen toten Freund? Sofort schnappte sich Dawson seine Jacke und die Autoschlüssel und fuhr auf den schnellsten Weg zum Krankenhaus. Die Angst um seine Tochter war unbeschreiblich groß, denn immerhin hatte dieser Harvey ja angedroht gehabt, Celia umzubringen.

Die Autofahrt schien sich ewig hinzuziehen, obwohl Dawson mehrere rote Ampeln überfuhr und mindestens 20km/h zu schnell fuhr. Er raste um die Kurven und lediglich ein Wunder hielt ihm die Streifenpolizei vom Leib. Nach einer Viertelstunde erreichte er schließlich das Krankenhaus, parkte am Straßenrand und eilte am Empfang vorbei direkt zu den Treppen, welche zu den oberen Etagen führte. Er rempelte mehrere Pfleger und Patienten an und erreichte dann endlich die vierte Etage. Keuchend blieb er kurz stehen, um Luft zu holen. Der Schweiß lief ihm in die Augen und seine Lunge schmerzte. Doch er riss sich zusammen und lief weiter, bis er die Kinderstation erreichte und das Zimmer erreichte, wo seine Tochter lag. Zuerst hoffte er noch, dass er sich völlig unnötig Sorgen gemacht hatte und alles tatsächlich nur ein Traum gewesen war. Doch als er dann die Tür öffnete und ein leeres Zimmer vorfand, traf ihn der Schlag und sein Herz setzte fast aus. Sie war nicht hier… er war zu spät. Harvey hatte sie bereits geholt und entführt. Celia… seine arme kleine Celia war doch erst acht Jahre alt. Warum nur hatte Harvey ein unschuldiges Kind getötet? Warum nicht ihn, wo er es doch war, der ihn niedergeschossen hatte? Dawson musste sich an der Wand abstützen, doch er hatte keine Kraft mehr in den Beinen und sank in die Knie. Er schaffte es nicht einmal zu weinen, sondern starrte nur betäubt ins Leere. Eine Stimme hinter ihm ertönte und eine Krankenschwester trat in sein Blickfeld. „Sir, geht es Ihnen nicht gut? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

„Meine… meine Tochter…“

„Sind Sie Mr. Dawson, der Vater von Celia Dawson?“ Ein schwaches „ja“ war die einzige Antwort, zu der er imstande war. „Kommen Sie bitte mit.“ Beinahe mechanisch und wie betäubt folgte der Polizist der Krankenschwester und war sich sicher, was gleich kommen würde. Entweder würde er gleich auf seine Kollegen treffen, die das Verschwinden seiner Tochter untersuchten, oder er musste sie in der Leichenhalle identifizieren. Großer Gott, warum nur war er nicht schneller gewesen und hatte diese Tragödie verhindert? Jetzt würde er sie nie wieder sehen und wenn, dann nur ihre Leiche.

Die Krankenschwester führte ihn durch eine Zahl von Gängen, bevor es dann die Treppe runterging. Dawson war so in seinen Gedanken gefangen, dass er gar nicht registrierte, wohin er eigentlich geführt wurde, aber das war ihm auch egal. Die Worte der Schwester hörte er gar nicht, sie klangen in seinen Ohren, als würden sie von irgendwo weit her kommen oder als wären sie durch Watte gefiltert worden. Dann blieben sie an einer Tür stehen, die die Schwester öffnete und Dawson wurde schließlich hineingeführt. Zu seiner Verwunderung war es nicht die Leichenhalle, sondern ein Aufwachraum für Patienten nach einer Operation. Und in einem der Betten lag seine kleine Celia und schlief seelenruhig. Sie war an ein EKG angeschlossen und es schien ihr gut zu gehen. Und sie war nicht alleine, denn in dem anderen Bett lag Harvey und auch er schien zu schlafen. Nun war Dawson völlig verwirrt und wandte sich an die Schwester. „Was… was hat das…“

„Ich hatte Ihnen doch erzählt gehabt, dass wir mehrmals versucht haben, Sie zu erreichen. Wir haben nämlich kurzfristig einen geeigneten Spender gefunden und dieser junge Mann hat sich bereit erklärt, Ihrer Tochter eine Niere zu spenden. Da sich Celias Zustand verschlechtert hatte, mussten wir die Operation sofort durchführen.“ In diesem Moment wurde Dawson endgültig von seinen Gefühlen überwältigt und er musste sich erst einmal setzen. Celia war wohlauf und sie hatte eine neue Niere? Aber warum bloß hatte Harvey das getan? Hatte er nicht angedroht gehabt, er würde Celia etwas antun? Wieso spendete er ihr eine Niere, wenn ihr Vater ihn um ein Haar erschossen hätte und zudem für den Tod seines besten Freundes mitverantwortlich war? Wieso um alles in der Welt rettete er das Kind seines Beinahemörders und setzte dabei quasi selbst sein Leben und seine Gesundheit aufs Spiel? Aber dann fiel es Dawson wie Schuppen von den Augen. Harvey hatte doch gesagt gehabt, es ging ihm nicht um persönliche Rache und er hatte auch nicht direkt gesagt, dass er ihn und seine Tochter töten wollte. Aber was sollte diese ganze Aktion und warum spendete er Celia eine Niere? „Wie… wie geht es Celia?“

„Ihr Zustand ist stabil und es gab auch keine Komplikationen. Natürlich wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen, wie gut ihr Körper die neue Niere annehmen wird, aber bislang sieht es sehr gut aus.“

„Und was ist mit ihm?“

„Mr. Dahmer geht es auch gut. Er muss sich nur von der Operation erholen.“ Dawson ging zu seiner Tochter hin und strich ihr sanft durchs Haar. Ihr Gesicht war blass und sie war etwas mager und ausgezehrt durch die Dialysen. Aber es schien so, als würde langsam das Leben in sie zurückkehren. Harvey hatte doch tatsächlich seiner Tochter das Leben gerettet mit der gespendeten Niere. Seine kleine Celia würde nun endlich gesund werden und ein normales Leben führen können, ohne diese ganzen Krankenhausaufenthalte und Dialysen. Mit einem liebevollen Kuss auf ihre Wange ging Dawson und wartete, bis beide wieder aufwachen würden. Dies dauerte knapp zwei Stunden, aber als er Celia auf ihrem Zimmer besuchen ging und ihr strahlendes Lächeln sah, wurde er für diese Wartezeit mehr als entschädigt. Überglücklich schloss er sie in die Arme und war noch nie in seinem Leben so froh, sie in den Armen zu halten. Zwar war sie noch körperlich sehr erschöpft, aber allein von ihr zu hören, dass sie sich viel besser fühlte (trotz der Schmerzen durch die Transplantation), nahm ihm eine große Last von der Seele. „Daddy“, sagte sie schließlich und sah ihn mit ihren großen funkelnden Augen an. „Wie geht es eigentlich Harvey?“

„Meinst du den jungen Mann, der neben dir gelegen hatte?“ Sie nickte. „Harvey ist mein Freund. Er ist mich besuchen gekommen und hat gesagt, dass er mir helfen wird, wieder gesund zu werden.“

„Wie oft ist er dich denn besuchen gekommen?“

„Seit…“, die Kleine musste überlegen. „Seit einem Monat, glaube ich. Er hat mir Geschichten vorgelesen und einen Piraten gespielt. Er ist Schauspieler und war richtig lustig. Geht es ihm gut?“

„Ja, es geht ihm gut.“

„Sagst du ihm bitte „danke“ für mich? Versprochen?“ Dawson versprach es und gab seiner Tochter einen Kuss, dann legte sie sich hin und schlief wieder ein. Sie brauchte jetzt dringend Ruhe, um sich von der Operation zu erholen. Eine Weile blieb der Polizist bei ihr, dann verließ er das Zimmer und die Kinderstation. Sein Weg führte in die untere Etage, wo Harvey Dahmer in einem Einzelzimmer lag. Auch er sah erschöpft und abgekämpft aus. Dawson schloss die Tür hinter sich und setzte sich zu ihm ans Bett. „Und? Wie geht es Ihrer Tochter?“

„Sie fühlt sich trotz der Schmerzen viel besser. Ich glaube, sie wird tatsächlich gesund werden.“

„So ein Glück“, seufzte Harvey und lächelte. Es war kein aufgesetztes und vorgetäuschtes Lächeln, sondern aufrichtig und man sah ihm die Erleichterung an. Dawson aber sah nicht danach aus, als könnte er lächeln. Nein, ihm plagten Schuldgefühle und er wusste nicht, wie er Harvey gegenüber treten sollte. Er hatte ihm zugetraut, dass er Celia etwas antun würde und dabei hatte er ihr seine Niere gespendet. „Ich möchte mich und auch im Namen meiner Tochter bei Ihnen bedanken. Sie haben Celia das Leben gerettet. Aber… warum haben Sie das getan? Warum haben Sie mich entführt und mich glauben lassen, Sie würden mich und meine Tochter umbringen wollen? Wieso haben Sie mich nicht getötet, obwohl ich mitschuldig an Ihrem Zustand und dem Tod Ihres besten Freundes bin?“

„Ich habe Ihnen doch gesagt gehabt, dass ich keine Rache will und Celia hat nichts mit dem zu tun, was zwischen uns beiden vorgefallen ist. Und außerdem hatte ich niemals vorgehabt, Sie oder das Mädchen zu töten.“ Nun verstand Dawson gar nichts mehr. Harvey war doch der gefürchtete Skinner, der es auf korrupte und kriminell gewordene Polizisten abgesehen hatte und er, Jeremiah Dawson, gehörte doch auch dazu. Eigentlich hätte Harvey doch allen Grund gehabt, ihm genauso die Haut abzuziehen, wie all seinen Opfern zuvor. „Warum?“ Harvey sah zur Zimmerdecke und sein Blick nahm wieder etwas Melancholisches an. „Ich jage Polizisten, die einen Scheißdreck darauf geben, wie viele Leben sie zerstören, nur um ihre eigene Haut zu retten. Sie handeln aus rein selbstsüchtigen Gründen und…“

„Aber ich habe doch auch aus Selbstsucht so gehandelt“, unterbrach Dawson und kämpfte nun mit den Tränen. „Ich habe Sie fast umgebracht und Ihr Freund ist meinetwegen tot. Wegen mir waren Sie im Gefängnis.“

„Was passiert ist, das ist passiert“, erklärte Harvey mit ruhiger Stimme. „Und wenn ich offen gestehen muss, habe ich Sie auch wirklich gehasst. Aber ich habe mir Ihre Person näher angesehen und schließlich erkannt, warum Sie das getan haben. Sie haben aus selbstsüchtigen Gründen gehandelt, weil Sie nur auf die Weise das Überleben Ihrer Tochter garantieren konnten. Ohne das Geld, was Sie verdient hätten, hätte Celia auf lange Sicht ohne die Dialysen nicht überleben können. Als ich erkannt habe, dass Sie nicht aus Habsucht, sondern aus Sorge um Ihre Tochter so gehandelt haben, da hatte ich Verständnis für Sie. Und dann habe ich mir überlegt, was ich tun könnte und ließ daraufhin einen Test machen. Da ich schon zuvor schon Blut und Knochenmark gespendet habe, ging alles recht schnell und so erfuhr ich, dass ich ein geeigneter Spender für Celia bin. Schon verrückt diese Ironie, nicht wahr?“

„Ich… ich habe das nicht verdient. Nach alledem, was ich Ihnen angetan habe, riskieren Sie Ihr eigenes Leben und Ihre Gesundheit.“

„Ja, das ist schwer nachvollziehbar, das stimmt schon“, gab Harvey zu und lächelte müde. „Ich habe so viele Menschen umgebracht und das auf solch eine abscheuliche Art und Weise. Aber in Wahrheit ist dies alles nur eine Maske. Mit meinen grausamen Taten versuche ich der Welt die Augen zu öffnen und obwohl ich äußerst brutal und eiskalt zu meinen Opfern bin, ist das nicht mein wahres Ich. Derjenige, der Celia die Niere gespendet hat, war nicht der Skinner, sondern Harvey C. Dahmer. Ich hab es auch nicht getan, weil ich einfach so Lust dazu hatte, sondern weil ich ein Zeichen setzen wollte. Auch für mich selbst.“

„Und was für eines?“

„Dass man trotz dieser Vorgeschichten in solchen Situationen helfen sollte. Und wenn man schon nicht vergeben kann, dann sollte man doch wenigstens so viel Menschlichkeit besitzen, um einen todkranken Angehörigen seines Feindes das Leben zu retten, wenn man dazu in der Lage ist. Im Grunde ist das, was ich tue, wirklich ziemlich widersprüchlich: Ich bin grausam und brutal, um gleichzeitig mit solchen Aktionen an der Menschlichkeit zu appellieren. Menschlichkeit ist nicht selbstverständlich, Mr. Dawson. Nicht jeder Mensch besitzt sie und viele verwerfen sie einfach. Dabei ist die Menschlichkeit genau das, was uns von Monstern unterscheidet. Zwar bin ich als der Skinner ein Monster, aber ich bin und bleibe lediglich ein Monster zum Zweck. Aber ich will nicht nur die Menschen durch Angst zum Umdenken bewegen. Ich will auch mit solchen Taten eine Änderung bewirken. Deshalb habe ich nur eine einzige bescheidene Bitte an Sie, Mr. Dawson: Allein Ihrer Tochter zuliebe und anderen, die Opfer der Willkür von Polizisten und Amts- und Würdenträgern sind, sollten Sie Ihre bisherigen Handlungen überdenken und sich die Frage stellen, ob Sie nicht etwas dagegen tun können. Ich verlange nicht, dass Sie den gleichen Weg einschlagen wie ich, denn dieser Weg ist im Grunde falsch, aber notwendig. Wenn Sie irgendwann den Mut finden sollten, sich gegen solche Machenschaften innerhalb der Polizei zu wehren und sich für die Opfer stark zu machen, dann tun Sie es auch. Das ist meine einzige Bitte an Sie.“ Und hierbei ergriff Harvey seine Hand, während er sprach. Dawson war überwältigt und war kaum in der Lage, darauf zu antworten. Harvey hatte sich ihm als Skinner offenbart und bat noch nicht einmal darum, dass er seine Identität geheim hielt. „Sind Sie sich denn überhaupt im Klaren, was Sie da eigentlich tun? Ich bin Polizist und verpflichtet, Sie hier und jetzt wegen mehrfachen Mordes zu verhaften. Man wird Sie zum Tode verurteilen!“

„Das weiß ich“, erklärte Harvey schließlich. „Ich war mir von Anfang an dessen bewusst. Aber wer nicht bereit ist, selbst getötet zu werden, der darf auch keinen anderen Menschen töten. Das war das Risiko, das ich eingegangen bin und deshalb war ich auch bereit, im schlimmsten Falle verhaftet und zum Tode verurteilt zu werden. Ich weiß, dass das, was ich getan habe, ein unverzeihliches Verbrechen war. Ich habe auch nie von mir behauptet dass das, was ich tue, richtig ist. Zwischen richtig und notwendig liegt ein himmelweiter Unterschied. Wenn Sie mich verhaften und einsperren lassen, bin ich Ihnen nicht böse drum. Es ist Ihre Pflicht und damit zeigen Sie, dass Sie trotz allem streng das Gesetz befolgen. Entscheiden Sie ruhig, was Sie tun werden. Ich bin mit jede Ihrer Entscheidungen zu frieden.“ Dawson konnte nicht fassen, was er da eigentlich hörte. Harvey rettete seiner Tochter das Leben und ließ ihn selbst lediglich mit dem Schrecken davonkommen als Lektion für seine Tat und jetzt würde er sich sogar freiwillig verhaften lassen. Was wäre er denn für ein Mensch, wenn er ihn jetzt einfach so verhaften würde? „Sie sind ein Verbrecher, das stimmt und nach dem Gesetz verdienen Sie den Tod. Als Polizist würde ich Sie sofort verhaften. Aber als Vater und Mensch kann ich es nicht tun. Wie könnte ich mich im Spiegel ansehen und es mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn ich den Retter meiner Tochter ins Gefängnis sperre und ihn somit umbringe? Sie verlangen zu viel von mir.“

„Durchaus nicht“, erklärte Harvey und sah ihn mit diesen wunderschönen grasgrünen Augen an. „Sie müssen selbst entscheiden, welchen Weg Sie gehen und was mehr Priorität in Ihrem Leben einnimmt: Ihr Pflichtgefühl oder Ihre Menschlichkeit. Wir alle müssen diese Entscheidung treffen und nicht immer ist diese Entscheidung richtig, egal ob man sich für Pflicht oder Menschlichkeit entscheidet. Es kommt ganz darauf an, wie weit wir sie mit unserem Gewissen vereinbaren können. Auch ich habe solch eine Entscheidung getroffen. Entweder mein Stolz und mein Groll gegen Sie, was den Tod der Kleinen zur Folge gehabt hätte, oder aber meine Menschlichkeit. Und ich habe mich für die Menschlichkeit entschieden, denn sie ist im Grunde das wertvollste Geschenk, das wir neben dem Leben und einer Seele überhaupt besitzen. Und auch wenn ich nicht an die Menschlichkeit der Mächtigen glaube, so habe ich Vertrauen in die Menschlichkeit der Kleinen und Schwachen.“

„Und warum haben Sie mich erst glauben lassen, dass Sie mich und mein Kind töten würden?“

„Das wissen Sie doch selbst: Ich wollte Ihnen Angst machen. Angst ist der beste Lehrmeister dafür, etwas aus seinen Fehlern zu lernen, wenn es verbrannte Finger schon nicht tun. Indem ich Ihnen ein Nahtoderlebnis beschert und Sie vor eine Extremsituation gestellt habe, hat sich dieser Tag sehr tief in Ihr Gedächtnis gebrannt und ich hoffe, ich habe Ihnen klargemacht, dass jede Handlung Konsequenzen hat. Mag sie zum Positiven oder zum Negativen sein. Und indem ich Ihnen die schlimmsten Ängste vor Augen geführt habe, haben Sie hoffentlich jetzt den Mut und vor allem die Motivation, diesen schrecklichen Fehler nicht zu wiederholen und noch andere Menschen ins Unglück zu stürzen.“

„Das werde ich ganz sicher nicht, das verspreche ich Ihnen.“ Und tatsächlich kehrte ein kleiner Glanz in diese grasgrünen Augen zurück, als hätte Dawson diesem ungewöhnlichen Menschen ein klein wenig Hoffnung zurückgegeben. Da Harvey noch ziemlich erschöpft von der Operation war, musste die Krankenschwester den Polizisten aus dem Zimmer schicken. In den nächsten Tagen und Wochen kam Dawson seine Tochter so oft es ging besuchen und sprach auch mit den Ärzten. Von diesen erfuhr er, dass Celias Körper die Niere sehr gut angenommen habe und sie schon bald wieder völlig gesund werden würde. Harvey selbst erholte sich von der schweren Operation nicht ganz so schnell und schien oft Schmerzen zu haben, aber er beklagte sich nicht und sein eiserner Wille, schnell wieder auf die Beine zu kommen, beschleunigte seine Heilung. Dawson hatte sehr lange nachgedacht und nach knapp zwei Wochen, als Harveys Entlassung vor der Tür stand, kam er ihn noch einmal besuchen. „Ich habe nachgedacht, Harvey. Ihre Methoden als Skinner kann und will ich nicht unterstützen oder befürworten. Aber Ihre Gedanken und Ihre Ziele haben einen wahren Kern. Ich werde auf meine Art gegen die Korruption und Kriminalität innerhalb der Behörde kämpfen, nämlich auf legale Art und Weise. Der Grund, warum ich Sie nicht melden werde ist der, dass ich Ihnen das Leben meiner Tochter zu verdanken habe und es das Mindeste ist, was ich für Sie tun kann. Wenn aber der Tag kommt, an dem ich Sie als Skinner überführen muss, dann werde ich Sie nicht mehr laufen lassen.“ Und zu seinem Erstaunen lächelte Harvey zufrieden, als hätte er sich genau diese Antwort gewünscht. „Dann habe ich das erreicht, was ich eigentlich wollte: Ich habe etwas bewirkt und ich bin mir sicher, dass Sie ein wirklich großartiger Polizist werden. Ein wunderbarer Vater sind Sie ja bereits. Kümmern Sie sich gut um Celia, ich wünsche Ihnen noch alles Gute.“ Und zwei Tage später wurde Harvey aus dem Krankenhaus entlassen. Er verschwand ebenso plötzlich von der Bildfläche, wie er aufgetaucht war. Dawson selbst machte sich nicht die Mühe, seinen Aufenthaltsort herauszufinden, er hatte andere Pläne. Wenn seine Tochter vollständig genesen war, würde er seine Ziele in die Tat umsetzen und auf seine Weise gegen Korruption, Amtsmissbrauch und Verdunkelung von Straftaten kämpfen. Aber vor allem würde er sich für Menschlichkeit einsetzen, denn diese hatte Celia das Leben gerettet und könnte noch viele weitere Leben retten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wirklich creepy ist diese Story von Harvey nicht, aber ich wollte Harvey auch unbedingt mal von einer anderen Seite zeigen. Die Geschichte hat mich selbst emotional sehr berührt und wie auch die anderen Geschichten von Harvey the Skinner soll sie unterhalten, aber auch auf wichtige Themen aufmerksam machen. Komplett anzeigen

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