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Meine Creepypastas

Paranormale (Horror) Geschichten
von

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Viola: Das Labyrinth

Viola fühlte sich ein wenig benommen, als sie aufstand und direkt das Dröhnen im Kopf spürte. Ihr wurde schwindelig und sie musste sich erst einmal wieder setzen. Was genau war denn eigentlich passiert? Sie erinnerte sich, dass sie eine Kunstausstellung besucht und dann in den groß angelegten Garten gegangen war, um das große Rosenlabyrinth auszukundschaften. Dann war sie müde geworden und hatte sich auf eine Bank schlafen gelegt. Wie lange hatte sie denn geschlafen? Es war ja bereits dunkel und das Labyrinth wurde lediglich von Laternen beleuchtet. Es war kühl und still und langsam bekam sie Angst, als sie realisierte, dass sie hier ganz allein war. „Hallo?“ rief sie und stand etwas unbeholfen auf, als sie sich langsam wieder erholt hatte. „Ist hier jemand? Hallo!!!“ In der Ferne hörte sie das Krächzen von Krähen und das jagte ihr eine Gänsehaut ein. Sie zitterte am ganzen Körper und war den Tränen nahe, denn sie hatte schreckliche Angst im Dunkeln. Sie musste raus aus dem Labyrinth und zwar schnell, bevor es noch unheimlicher wurde. Also schnappte sie sich die Tasche, die sie neben die Bank gelegt hatte und in der sich zwei belegte Brote, Haarspray, ein Taschentuch und eine fast leere Wasserflasche befanden. Aber viel lieber wäre es ihr, wenn sie schon längst aus diesem gruseligen Labyrinth raus war. Das kleine Mädchen schulterte ihre Tasche und ging gleich den erstbesten Weg, den sie sah, jedoch musste sie beim Umschauen feststellen, dass die Wege irgendwie viel länger waren, als sie sich vorgestellt hatte. Der linke war ja so lang, dass sie gar nicht sehen konnte, wo er endete. Oh je, dabei hatte das Labyrinth von draußen doch gar nicht so riesig ausgesehen. Vielleicht lag es ja auch nur an der Dunkelheit, dass alles plötzlich so anders wirkte. Viola beschloss, erst einmal den langen Durchgang zu gehen. Womöglich war ja das der schnellste Weg nach draußen. Dabei beschleunigte sie ihre Schritte und summte leise ein Lied, um sich von der Dunkelheit abzulenken. Das Labyrinth selbst bestand aus sehr hoch und vor allem dicht bewachsenen Sträuchern, die mit Rosen überwuchert waren. In einigen Ecken standen Marmorsockel mit kleinen Figuren drauf, wie zum Beispiel Engel mit Pfeil und Bogen. An einigen Stellen waren sogar einzelne Gemälde aufgehängt worden, welche die unheimliche Beschaffenheit hatten, dass ihre Augen den Vorbeigehenden folgten. Eine ganze Weile lief sie, ohne dass sich irgendetwas Erwähnenswertes ereignete aber dann, als das kleine Mädchen schließlich um eine Ecke bog, trat sie auf etwas Weiches und als sie vorsichtig zurückging, sah sie einen kleinen weißen Stoffhasen auf den Boden liegen. Hey, den kannte sie doch. Das war doch ihr geliebtes Kuscheltier, welches sie immer dabei hatte. Wie kam denn der Hase hierher? Hatte sie ihn nicht im Arm gehalten, als sie auf der Bank eingeschlafen war? Merkwürdig. Vorsichtig hob sie den Hasen auf und klopfte den Dreck vom Stofffell. „Armer Herr Hase, du bist ja ganz schmutzig. Wie kommst du denn hierher? Na komm, ich pack dich in den Rucksack und dann finden wir gemeinsam einen Weg hier raus.“

„Nein…“ Als Viola diese raue und kratzige Stimme vernahm, die da dem Hasen entsprang, erschrak sie und hätte das Stofftier beinahe fallen lassen. Seltsam, normalerweise sprachen Stofftiere doch gar nicht. Aber sie hätte schwören können, dass ihr Herr Hase gerade zu ihr gesprochen hatte. „W-was?“ fragte sie ängstlich und hielt den Stoffhasen fester. Dieser drehte ruckartig seinen Kopf und starrte Viola mit rot glühenden Augen an. Ein breites Grinsen zog sich über sein Stoffgesicht und lange, rasiermesserscharfe Zähne kamen zum Vorschein. „Du wirst für immer hier bleiben, Viola. So einfach lasse ich dich nicht gehen.“ Entsetzt schrie sie auf und warf den Hasen so weit wie sie nur konnte, bevor sie die Flucht ergriff. Das konnte doch nur ein schrecklicher Alptraum sein. „Viola! Warum läufst du denn vor mir weg? Wir sind doch Freunde, erinnerst du dich? Oder hast du es etwa schon wieder vergessen?“ Viola hielt sich die Ohren zu, um nicht die unheimliche Stimme des Stoffhasen hören zu müssen. Sie konnte es einfach nicht fassen, dass ihr einst so geliebtes Stofftier jetzt ein sprechendes Monster war. Aber wie war es nur so gekommen? Warum passierte das alles hier? Konnte es sein, dass sie noch schlief und das hier ein Alptraum war? Es musste so sein, Monster gab es doch nicht im echten Leben. Aber wie konnte sie wieder aufwachen? Vielleicht, indem sie diesem Labyrinth entkam. Fragte sich nur, wo der Ausgang war. Als sie links abbog und in einer Sackgasse landete, nutzte sie die kurze Pause, um Luft zu holen. Dann, nur um sicherzugehen, lugte sie langsam aus der Sackgasse hervor und sah sich um. Der Hase war nicht mehr da. So ein Glück. Sie war in Sicherheit. „Viola…“ Das kleine Mädchen fuhr erschrocken zusammen, als jemand sie von hinten an der Schulter packte und sie nach hinten zerrte. Kreischend riss sie sich los und drehte sich um. Sie glaubte, ihren Augen nicht zu trauen, als eine riesige mannsgroße Puppe, zusammengenäht aus mehreren menschlichen Körperteilen, ihre Hände nach ihr ausstreckte, während ihr Blut aus dem Mund floss. „Komm zu uns spielen, Viola! Für immer und ewig!“

Noch nie in ihrem Leben hatte Viola so etwas Entsetzliches gesehen und vor Angst war sie unfähig, sich zu bewegen. Bitte lasst mich endlich aufwachen, dachte sie und begann zu weinen. Das muss doch alles ein furchtbarer Alptraum sein. Warum nur kam niemand sie retten? Sie brauchte Hilfe! Schließlich gelang es ihr, all ihre Kraft zu sammeln, sich aus dem Griff der Puppe freizukämpfen und wegzulaufen. Blindlings rannte sie drauf los, bog um unzählige Ecken und landete immer wieder in Sackgassen, wo mordlüsternde Statuen und Tiere auf sie warteten, die sich auf sie stürzen wollten. Überall waren riesige Sträucher, die so hoch waren, dass Viola unmöglich hinaufklettern konnte. Dabei war es ihr heute Mittag noch nicht so hoch vorgekommen und da waren auch keine Monster drin gewesen. Aber vielleicht fand sie ja irgendwo etwas, was sie als Aussichtsturm benutzen konnte, um irgendwo in diesem Labyrinth das Ende zu finden. Ja, irgendeine riesige Skulptur, auf die sie klettern konnte. Also bog sie nach links ab, kam aber auf einem großen leeren Platz an, wo sie sich erneut für eine Richtung von vier entscheiden musste. Nur welche sollte sie nehmen? Ein Gefühl tief in ihrem Kopf sagte, dass sie den Gang zu ihrer linken nehmen sollte, aber gleichzeitig hatte sie Angst davor, hinzugehen. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie solch eine Angst davor hatte, also entschied sie sich, lieber zurückzugehen. Aber weit kam sie nicht, denn der Weg, durch den sie gekommen war, wurde durch eine riesige Rosenhecke blockiert, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war und es sah danach aus, als wäre das eine Sackgasse. Viola geriet in Panik, als sie das sah. Wie konnte das nur passieren? Da war doch gerade noch ein Weg gewesen, wie konnte er nur so schnell zuwachsen? Jetzt konnte sie doch nicht mehr zurück. Nun hatte sie keine Wahl, sie musste sich nun für einen der anderen Wege entscheiden. Welchen sollte sie also nehmen? Ihre innere Stimme sagte, dass sie nach links gehen sollte, aber sie selbst entschied sich dann doch für den rechten. Kaum war sie hindurch, musste sie auch schon wieder um mehrere Ecken biegen, bis sie auf einer weiteren großen Fläche ankam, wo es zwei Teiche gab. Jeder Teich war gleich groß und am Ufer wuchsen Rosenbüsche. Die Rosen am rechten Teich waren strahlend weiß und makellos schön, die anderen waren gelbfarben und ein bisschen kleiner. Obwohl es bereits dunkel war, hatten sich die Blüten der Rosen noch nicht geschlossen, was besonders schön im Sternenlicht aussah. Beim Anblick dieser beiden Wasserstellen merkte Viola, wie durstig sie eigentlich war und so griff sie in ihre Tasche, um die Flasche herauszuholen. Doch in der Flasche selbst befand sich nur noch ein kleiner Bodenrest, gerade mal ein Schluck. Das reichte nie und nimmer. Viola begann zu überlegen, ob das Wasser in den Teichen eigentlich zum Trinken geeignet war. Sie musste wohl oder übel einen Versuch wagen, denn ihr Hals tat schon weh, weil er so trocken war. Also ging sie zum Teich mit den gelben Rosen hin und tauchte kurz die Wasserflasche hinein, dann trank sie einen Schluck. Doch kaum, dass das Wasser ihre Zunge berührte, spuckte sie es wieder aus und begann zu husten. Das Wasser hatte einen widerlich fauligen und vor allem so fürchterlich bitteren Geschmack, von dem ihr ganz schlecht wurde. Sie schüttete das ganze Wasser aus der Flasche wieder aus und musste sich krampfhaft erbrechen. Benommen taumelte sie zum Teich mit den weißen Rosen, füllte ihre Flasche mit Wasser und begann ihren Mund auszuspülen. Da sie merkte, dass das Wasser frisch und gut war, trank sie ein paar Schlucke und fühlte sich gleich viel besser. Daraufhin füllte sie die Flasche bis zum Rand, verschloss sie fest und steckte sie wieder zurück in die Tasche. Dabei fragte sich, ob es Zufall war, dass die weißen Rosen an der richtigen Wasserstelle wuchsen und das Wasser nahe den gelben Rosen giftig war. Das musste sie sich merken, falls sie noch einmal hier vorbei kam. Als sie fertig war, sah sie sich um und nach kurzer Suche fand sie einen weiteren Weg. Dieser war mit noch mehr Laternen erleuchtet, sodass sie sich ein klein wenig behaglicher fühlte als zuvor. Trotzdem wollte sie einfach nur aus diesem verdammten Labyrinth heraus. Ein plötzliches leises Rascheln in den Hecken machte sie nervöser und sie presste ihre Tasche an sich wie ein Kuscheltier. „Hallo?“ fragte sie zögernd und schaute sich immer wieder um. „Ist da jemand?“ Keine Antwort, doch das Rascheln war immer noch zu hören. Viola entschied sich, schneller zu laufen und begann schließlich zu rennen. Ängstlich sah sie dabei immer wieder nach hinten, da sie fürchtete, dass gleich jemand hinter ihr auftauchen und sie verfolgen würde. Doch da war nichts, oder zumindest konnte sie nichts erkennen. Schnell bog sie um eine weitere Ecke und hörte erneut ein Rascheln direkt hinter ihr, woraufhin sie noch schneller rannte. Dann aber schlang sich etwas um ihr Bein und sie stürzte zu Boden. Sie schrie auf, als sich die Dornen einer Rosenranke ins Fleisch bohrten und tiefe Wunden rissen. Blut floss Violas Bein hinunter und die Ranke zerrte sie unerbittlich nach hinten. Das kleine Mädchen versuchte sich irgendwo festzuhalten und bekam schließlich einen spitzen Stein zu fassen. Diesen packte sie und schlug mit aller Kraft auf die Ranke ein, woraufhin diese von ihr abließ. Viola wartete nicht lange, denn sie fürchtete, dass gleich die nächsten Rosenranken sie greifen würden. Schnell kam sie wieder auf die Beine, schrie aber laut auf, als der rasende Schmerz durch ihren ganzen Körper zuckte. Ihre Wunden brannten wie Feuer, während warmes Blut hinunterfloss. Viola biss sich auf die Lippen und hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben, da ihre Knie immer wieder nachzugeben drohten. Sie versuchte zu laufen, schaffte aber nur ein leichtes Humpeln. Weit kam sie aber nicht, denn ihre Tränen verwischten ihre komplette Sicht und ihre Brust schnürte sich so stark zusammen, dass sie kaum noch Luft bekam. Da auch ihr Bein unerträglich schmerzte, blieb sie stehen, um sich auszuruhen. Bei der Gelegenheit sah sie sich auch ihr Bein an. Es waren drei tiefe Schnittwunden an der Wade und in einem dieser Schnitte steckte noch ein Dorn. Viola biss die Zähne zusammen und versuchte, den Dorn herauszuziehen, doch das Blut verschmierte alles und sie rutschte immer ab, sodass es nur noch mehr schmerzte. Sie versuchte es noch ein paar Male, gab es aber auf, weil es zu sehr wehtat. Da eine der Lampen erlosch und es somit dunkler wurde, beschloss sie, weiterzugehen und schleppte sich humpelnd voran. Als der Gang irgendwann endete, bog sie nach links ab und fand schließlich etwas Interessantes: einen Rucksack. Er war ziemlich abgenutzt und so wie es schien, gehörte er jemandem. Vielleicht war sie ja doch nicht alleine. Dieser Gedanke weckte Violas Lebensgeister und sie schöpfte neue Hoffnung. „Hey, ist hier jemand? Hallo?“ Sie kramte im Rucksack herum und fand eine Taschenlampe. Der Besitzer würde sicher nichts dagegen haben, wenn sie sich die Sachen kurz ausborgte. Das helle Licht der Taschenlampe fiel auf die Hecken und etwas weiter weg sah sie in einer kleinen Heckennische tatsächlich, dass dort ein Mensch war. Es war ein Mann von vielleicht 19 oder 20 Jahren, mit hellgrauen fast weißen Haaren. Sein linkes Auge wurde von seinen Haaren verdeckt und er war von unzähligen Rosenranken umwickelt. Er schien ohnmächtig zu sein, oder zu schlafen. Die Rosen, die an diesen Ranken blühten, hatten eine dunkle und unnatürliche Farbe, man konnte schon von schwarzen Rosen sprechen. Sie strömten einen stark süßlichen aber zugleich fauligen Duft aus, der Viola ein wenig benebelte. Also hielt sie die Luft an, während sie die Taschenlampe zwischen die Zähne klemmte und mit aller Kraft an den Ranken zerrte, ungeachtet der Tatsache, dass sie sich an den Händen verletzte. Doch die Ranken, die ein Eigenleben zu besitzen schienen, zogen sich immer wieder zurück und schlangen sich fester um den Bewusstlosen. Viola musste sich etwas anderes einfallen lassen, um ihn zu befreien. Sie ging zu seiner Tasche hin und fand nach einiger Suche ein Taschenmesser und ein Feuerzeug. Mit dem Taschenmesser in der Hand ging sie zurück und begann die Ranken nach und nach durchzuschneiden. Schließlich hatte sie so viele zertrennt, dass sie einen neuen Versuch wagen konnte. Da sie beim herannahen an die schwarzen Rosen wieder die Luft angehalten hatte und ihr langsam die Brust schmerzte, nahm sie zwei schnelle Atemzüge, in denen ihr wieder ganz schwindelig wurde. Sie packte den Jungen am Mantel und zerrte erneut. Dieses Mal konnten die Ranken ihn nicht festhalten und so fiel er herunter und Viola stolperte durch den plötzlichen Ruck nach hinten. Der Geruch dieser Rosen, der nun explosionsartig auszuströmen schien, war wie ein dichter, unsichtbarer Nebel und wenn sie nicht schnell da weg kam, würde sie ebenfalls ohnmächtig werden. Aber sie konnte den Jungen doch nicht zurücklassen, wo er wahrscheinlich der Einzige war, der ihr helfen konnte. Also nahm sie ihn an den Armen und zog ihn ein Stück, bis sie das Gefühl hatte, dass sie weit genug weg waren. Sie kehrte nur noch ein letztes Mal zurück, um die Tasche und das Messer zu holen. Als sie zurückkam, lag der Junge immer noch da und bewegte sich nicht, aber zumindest atmete er noch. Vorsichtig klopfte sie ihm auf die Wange und versuchte, ihn anzusprechen. Nichts zu machen, er musste wohl zu viel von diesem Duft eingeatmet haben. Erschöpft sank Viola zu Boden und holte ihr Taschentuch heraus, tränkte es im Wasser und legte es dem Bewusstlosen auf die Stirn. Dann begann sie sich das Blut vom Bein zu waschen und schaffte es nach einiger Mühe endlich, den Dorn herauszuziehen. Erschöpft von den ganzen Strapazen und der Aufregung legte sie sich hin, um sich ein wenig auszuruhen. Sie fiel in einen kurzen, traumlosen Schlaf, bis sie plötzlich ein leises Stöhnen hörte. Sofort wachte sie auf und sah, wie der Junge, den sie vorhin gerettet hatte, langsam zu sich kam. Viola kroch zu ihm hin und nahm das Taschentuch von seiner Stirn. „Hey, geht es dir gut? Kannst du dich bewegen?“ Schnell griff sie nach der Wasserflasche und gab ihm etwas zu trinken. Dann tauchte sie wieder das Taschentuch ins Wasser und legte es ihm wieder auf die Stirn. Aber es war schon deutlich merkbar, dass er sich langsam erholte. Und als er wieder zu sich kam, setzte er sich langsam auf und sah sich um. Viola war so unendlich erleichtert und brach wieder in Tränen aus. Gott sei Dank, sie war nicht mehr ganz alleine und hilflos. Jetzt hatte sie endlich jemanden an ihrer Seite. Ihre Blicke trafen sich und sie sah, dass sein Auge ein wunderschönes strahlendes Blau hatte. „Hey, wie kommst du denn hierher und was machst du noch so spät hier? Das ist kein Ort für ein kleines Mädchen für dich.“

„Ich bin eingeschlafen und dann haben mich so fiese Monster verfolgt. Ich hatte solche Angst und dann… und dann habe ich dich gefunden.“ Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und schluchzte. Der Junge streichelte ihr tröstend den Kopf. „Dann hast du mich also gerettet. Vielen Dank, Kleine. Ich weiß noch, dass ich in das Labyrinth ging, aber dann wurde es immer später und ich hab mich kurz ausgeruht. Dann haben mich diese Ranken gepackt und weggezerrt und dabei hab ich wohl das Bewusstsein verloren. Wie heißt du überhaupt?“

„Viola“, antwortete sie schluchzend und rieb sich die Tränen mit ihrem Jackenärmel weg. „Und wer bist du?“

„Tja, ich weiß es leider nicht“, sagte der Junge mit einem traurigen Lächeln. „Vor einiger Zeit hatte ich einen ganz bösen Unfall und mir dabei den Kopf verletzt. Dabei habe ich mein Gedächtnis verloren.“

„Dann weißt du also nicht mehr wie du heißt?“

„Nein, ich weiß auch sonst nicht, wer ich bin. Du kannst mich ruhig nennen, wie du willst.“

„Dann nenne ich dich Grey! Ich mag nämlich deine Haare.“ Der Junge war einverstanden und nahm dankend noch einen Schluck aus der Flasche. Auch wenn er aufgrund seines zerschlissenen Mantels einen etwas verlotterten Eindruck machte, schien er ganz in Ordnung zu sein. Er machte einen richtig sympathischen und liebenswerten Eindruck und Viola hatte das Gefühl, sie konnte ihm vertrauen. Grey erzählte, dass er lange unterwegs gewesen sei, um Hinweise auf seine Vergangenheit zu finden, damit er sich wieder erinnern konnte. Dabei war er zu dieser Kunstausstellung gegangen, weil er das Gefühl hatte, dass dort etwas sehr Wichtiges sein könnte. Und dann war er ins Rosenlabyrinth gelaufen. „Wie lange ist es schon her, dass du dein Gedächtnis verloren hast?“

„Schon eine ganze Zeit, aber ich weiß inzwischen selbst nicht mehr, wie lange schon. Irgendwann hab ich einfach das Gefühl für Zeit verloren.“

„Dann warst du doch sicher ganz einsam, oder?“

„Ja das war ich. Die Menschen scheinen mich gar nicht zu beachten und manchmal hatte ich Zweifel daran, ob ich eigentlich wirklich da bin. Aber du hast mich gefunden und mich vor dem sicheren Tod gerettet. Vielleicht… vielleicht war es ja Schicksal, dass wir uns getroffen haben, Viola.“ Er also auch, dachte sie, während sie sich langsam wieder beruhigte. Er ist genau wie ich. Mich bemerken die meisten Menschen auch nicht, als wäre ich gar nicht da. Und auch ich kann mich nur schwer an meine Vergangenheit erinnern. Vielleicht war es ja tatsächlich Schicksal. Sie war unendlich froh, dass sie jetzt einen Erwachsenen an ihrer Seite hatte und sie jetzt nicht mehr alleine war. Grey, der sich einigermaßen wieder erholt hatte, kam ein wenig wankend wieder auf die Beine und nahm Violas Hand. „Ich glaube es ist besser, wenn wir zusammen bleiben. Du musst sicher furchtbare Angst gehabt haben, so ganz alleine an diesem Ort. Aber sag mal, was hast du denn da am Bein? Hast du dich verletzt?“ Die Verletzung hatte sie ja fast vergessen. Die Schnittwunden hatten bereits aufgehört zu bluten, aber sie taten immer noch weh. Grey kramte in seinen Sachen herum und holte Verbandszeug heraus, das er für den Notfall immer bei sich hatte. „Was ist denn da eigentlich passiert?“

„So eine Ranke hat mich gepackt und an meinem Bein gezerrt. Ich hab sie mit einem Stein angegriffen und konnte mich so befreien. Aber die Dornen haben mich verletzt.“

„Wow, dann bist du ja ein richtig tapferes Kind. Halt mal still, das könnte jetzt wehtun.“ Mit einem Spray desinfizierte Grey die Wunde und wie bereits vorgewarnt brannte die Wunde höllisch, sodass Viola die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht zu schreien. Grey begann dann ihr Bein zu verbinden und nahm sie auf den Rücken, damit sie erst einmal ausruhen konnte. „Sag mal Viola, wieso bist du eigentlich hier?“

„Ich wollte die Ausstellung sehen.“

„Sind deine Eltern denn nicht mitgekommen?“

„Ich habe keine mehr. Sie sind tot und Verwandte habe ich keine.“

„Dann bist du auch ganz alleine?“

„Ja, aber ich hatte mal einen tollen Freund, der mir immer zur Seite gestanden hatte, wenn es mir nicht gut ging. Aber… dann ist er einfach verschwunden.“

„Wenn er einfach so abhaut und dich alleine lässt, ist das ein echt mieser Freund, wenn du mich fragst. Ein kleines Mädchen einfach so alleine lassen… unfassbar.“ Viola schwieg dazu, aber sie musste sich insgeheim doch eingestehen, dass Grey eigentlich Recht hatte. Sir Bunnyman hatte sie einfach alleine gelassen, aus welchem Grund auch immer und nun war sie an diesem unheimlichen Ort gefangen, wo von allen Seiten nur Gefahr drohte. Grey sprach schließlich die Frage aus, die sie sich selbst schon längst hätte stellen sollen: „Wenn das hier nicht das Labyrinth ist, in welches wir hineingegangen sind, wie sind wir dann hierher gekommen?“

„Vielleicht ist das hier alles nur ein Traum, aus dem wir aufwachen sollen.“

„Tja, dann müssen wir beide in genau dem gleichen Traum sein. Ich hab zwar schon mal von kollektivem Denken und Erinnern gehört, aber noch nie von kollektiven Träumen.“

„Was bedeutet das?“

„Kollektive Träume sind welche, die mehrere Personen zusammen träumen. Stell es dir so ähnlich vor wie diesen Inceptionfilm: Alle kabeln sich an ein Gerät an und betreten zusammen eine Traumwelt, so ungefähr funktionieren Kollektivträume. Während meiner Reisen habe ich mich mit diesem Thema sehr oft beschäftigt. Ich weiß nicht wieso, aber ich hatte das Gefühl, es wäre sehr wichtig.“ Während Grey redete, ging er langsam weiter und hielt die Augen offen, um auf Gefahren vorbereitet zu sein. Zunächst schien ja alles ganz friedlich zu sein, ein wenig zu friedlich für Violas Geschmack. Schließlich erreichten sie eine Abzweigung und mussten sich für eine Seite entscheiden. Grey blieb kurz stehen, um zu überlegen, wohin er gehen sollte. „Genau das mag ich an einem Labyrinth nicht“, seufzte er und trat näher heran, da entdeckte er zwei Schilder, die in jeweils eine Richtung zeigten. Auf dem linken stand geschrieben „Weg der Lüge“ und auf der rechten „Weg der Wahrheit“. Das war das erste Mal, dass sie beide Schilder im Labyrinth sahen. Grey überlegte kurz, dann fragte er „Wo würdest du gerne hingehen, Viola?“ „Gehen wir nach rechts. Die Wahrheit ist immer gut!“

„Stimmt, da hast du Recht. Dann gehen wir also nach rechts.“ Kaum waren sie hindurch, bewegten sich die Ranken zu ihrer linken und rechten, verbanden sich zu einer riesigen Wand und versperrten den Weg zurück. Grey sah dies und wurde ein klein wenig nervös. „Na super, das Labyrinth kann seine Beschaffenheit ändern. Das kann ja noch heiter werden.“ Sie erreichten schließlich eine Abbiegung, an der ein weiteres Schild hing. Die Nachricht war alles andere als beruhigend:
 

„Niemand wird lebend entkommen.“
 

Als Viola das sah, erschrak sie und klammerte sich fester an Grey. „Was… was bedeutet das, dass niemand hier lebend rauskommt?“

„Ach, du brauchst keine Angst zu haben. Da will uns jemand gehörig erschrecken.“

„Aber da stand doch, dass es der Weg der Wahrheit ist. Also stimmt das doch, oder etwa nicht?“

„Nur weil es da stand, muss es noch lange nicht stimmen, Viola. Mach dir keine Gedanken! Ich verspreche dir, dass ich niemals zulassen werde, dass dir etwas passiert.“ Viola hatte aber trotzdem Angst und vergrub ihr Gesicht in seine Schulter. Da er merkte, dass diese Botschaft sie sehr verängstigte, setzte er sie vorsichtig ab und holte aus seiner Jackentasche ein Bonbon und gab es ihr. „Soll ich dir ein kleines Geheimnis anvertrauen? Ich habe bisher niemals ein Versprechen gebrochen. Siehst du das hier?“ Er schob seinen rechten Jackenärmel zurück und zeigte Viola ein rotes Seidenband, welches er am Handgelenk trug. „Was ist das?“ fragte sie, während sie sich das Bonbon in den Mund schob. „Das hier erinnert mich an etwas ganz Wichtiges. Bevor ich mein Gedächtnis verlor, habe ich jemandem versprochen, dass wir uns irgendwann wieder sehen werden und das rote Band hier soll uns daran erinnern.“

„Und wer ist das, dem du es versprochen hast?“

„Das weiß ich leider nicht mehr. Aber das Versprechen ist das Einzige, was mir geblieben ist und woran ich mich noch erinnere. Deshalb sind mir Versprechen sehr wichtig, weil ich mich immer an sie erinnern werde und deshalb kannst du dich darauf verlassen, dass ich meines dir gegenüber auch halte. Na komm, lass uns zusammen weitergehen.“ Da Violas Bein nicht mehr schmerzte, entschied sie sich dazu, alleine zu laufen, aber dennoch hielt sie Greys Hand fest. Es wurde stockdunkel, sodass sie die Taschenlampe gebrauchen mussten. Der Schein fiel auf eine Statue, die Viola zeigte, wie sie von einem Speer oder etwas ähnlichem durchbohrt wurde. Als Grey das sah, verdeckte er die Augen des Mädchens und sagte hastig „Sieh besser nicht hin, Viola.“ Doch sie befreite sich von ihm und sah es selbst. Sich selbst als Statue zu sehen, die brutal aufgespießt wurde, war zuviel für sie. Sie sank in die Knie und zitterte am ganzen Körper. Grey nahm sie tröstend in den Arm und versuchte, sie zu beruhigen. „Du musst keine Angst haben, Viola. Dass ist nur eine Statue, weiter nichts.“ Der Grauhaarige nahm sie auf den Arm und beschloss, so schnell wie möglich von diesem unheimlichen Ort wegzugehen. Das arme Mädchen war völlig verängstigt und allmählich fragte er sich, wer denn bitteschön so krank war und so etwas hier machte. Die nächste Statue, die ihnen in den Weg kam, war noch verstörender und unheimlicher. Sie zeigte einen mannsgroßen Hasen, der den Körperbau eines Menschen aufwies und einen Anzug trug. In seinen Händen hielt er einen Kopf, der Greys ziemlich ähnlich sah. Viola sah schon gar nicht mehr hin, sondern drückte ihr Gesicht in seine Schulter und klammerte sich an ihn fest. Auch Grey behagte dieser Anblick nicht, aber er konnte seinen Blick einfach nicht von dem Hasen abwenden. Viola hatte von einem Sir Bunnyman gesprochen. Ob er das wohl war? Das Einfachste wäre es wohl gewesen, Viola die Statue zu zeigen und sie zu fragen, aber er wollte sie nicht noch mehr verunsichern. Aber irgendwoher kam ihm dieses Wesen bekannt vor. Hatte er nicht mal von einem Fall gelesen, in dem ein kleines Mädchen aus einer Nervenheilanstalt ausgebrochen war und mehrere Pfleger getötet wurden? Einer der Patienten hatte ausgesagt, dass sie von einem mannsgroßen Hasen im Anzug begleitet wurde. Ja richtig, Viola hieß dieses Mädchen und sie hatte wochenlang in einem Haus voller Leichen gelebt, ohne es zu merken, weil sie als schwer schizophren eingestuft wurde. Als er sich mit dem Fall beschäftigt hatte, ereilte ihn das Gefühl, als wäre es ungeheuer wichtig, dass er das Mädchen fand. Deshalb war er zur Kunstausstellung gegangen. Aber warum nur war dieses gerade mal neun Jahre alte Mädchen so wichtig für ihn? Wenn er sich doch nur an seine Vergangenheit erinnern könnte. Vor ihnen tauchte ein alter Brunnen auf, der eine Seilwinde hatte. Um die Pfosten dieser Seilwinde hatten sich Dornenranken gewickelt wie Schlingpflanzen und wunderschöne weiße Rosen blühten. In der Flasche, die Viola dabei hatte, war nicht mehr viel. Es war wohl besser, wenn er sie wieder auffüllte. Vorsichtig setzte er das Mädchen ab und betätigte die Kurbel. Das kleine Mädchen sah abwechselnd ihn und die Rosen an, erinnerte sich schließlich an etwas ungeheuer Wichtiges und sagte schließlich „Vorhin bin ich an zwei Teichen vorbeigegangen. Da wo die weißen Rosen wuchsen, war das Wasser gut, aber ich glaube, bei den gelben war es giftig.“

„Gut zu wissen. Dann holen wir unser Wasser nur bei den weißen Rosen.“ Trotzdem probierte Grey das Wasser, nur um sicherzustellen, dass es tatsächlich nicht giftig war. Das Wasser war in Ordnung und so füllte er die Flasche wieder auf bis zum Rande. Da sie schon mal eine Pause machten, erkundigte er sich auch nach Violas Bein. „Es tut noch weh, aber es geht schon. Ich kann laufen!“

„Das ist schön zu hören. Aber tu mir einen Gefallen und warte hier kurz. Ich bin sofort wieder da. Ich will kurz etwas Bestimmtes nachschauen gehen.“

„Nein Grey, bitte lass mich nicht alleine, ich hab Angst.“

„Keine Angst, ich bleib in Hörweite. Wenn was ist, schrei einfach und ich bin sofort da.“ Damit sich Viola ein wenig sicherer fühlte, ließ er ihr die Taschenlampe da. Unruhig saß sie da und schaute sich um, jederzeit einen Angriff erwartend. Zwar hatte Grey versprochen, sofort zu kommen, wenn sie in Gefahr war, aber wie lange würde er brauchen und würde er sie in der Dunkelheit sofort finden? Sie hatte bereits die schlimmsten Bilder vor Augen, was in solch einer Situation alles andere als fördernd war. „Du solltest dich besser nicht auf ihn verlassen“, flüsterte plötzlich eine Stimme hinter ihr und als Viola sich umdrehte, sah sie plötzlich eine Art Zwilling von sich, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Der einzige Unterschied lag darin, dass weder das Haar noch die Augen des Zwillings glänzten und er auch gar keinen Schatten besaß. „Was willst du damit sagen?“ fragte Viola und wich einen Schritt zurück, wobei sie die Taschenlampe wie ein Messer zum Angriff hielt. Der Zwilling lächelte spöttisch. „Er will dich töten. Er tut nur so nett und hilfsbereit, dabei hat er schon seit langer Zeit vor, dich umzubringen. Du darfst ihm nicht trauen, Viola.“ „Warum sagst du mir das?“

„Weil ich immer die Wahrheit spreche. Grey hat dieses Labyrinth betreten, weil er vorhatte, dich zu töten.“

„Nein, du lügst! Grey würde so etwas nicht tun, NIEMALS!!!“ Viola wollte das nicht mehr hören und stürzte sich auf ihren Zwilling. Es entstand eine Rauferei, bei welcher Grey alarmiert herbeieilte, um ihr zu helfen, doch die plötzliche Hektik schien den ganzen Platz aufgeweckt zu haben. Die Statue eines zweiköpfigen Hundes mit Wolfskörper begann sich zu bewegen und machte sich bereit, ihn anzugreifen. Viola sah dies und rief „Grey, pass auf!!!“ Aber er sah nicht, was da von links auf ihn zukam und so stürzte sich der Wolfshund auf ihn und riss ihn zu Boden. Das Tier biss ihn in den Arm, doch Grey gelang es glücklicherweise, einen Stein aufzuheben und damit den einen Kopf der Statue zu zertrümmern und dem anderen die Schnauze mit einem Tritt zu zertrümmern. Laut winselnd flüchtete das Monster in die Dunkelheit und ließ sich nicht mehr blicken. Sofort berappelte er sich und lief zu Viola. Aber da sie bei dem Durcheinander genau gleich aussahen, wusste er zuerst nicht, wem er helfen sollte. Erst als ihm die Sache mit dem Schatten auffiel, griff er ins Gemenge, zerrte die echte Viola heraus und stieß die andere in den Brunnen. Laut schreiend stürzte sie in die Tiefe und dann war nur noch ein lautes Platschen zu hören. „Meine Güte“, murmelte er und steckte das blutige Messer wieder ein. „Hier ist man ja nicht eine Sekunde lang sicher.“

„Warum hast du den zweiköpfigen Hund nicht gesehen? Ich hab doch ganz laut gerufen. Ich hatte einen richtigen Schreck gekriegt, als er dich erwischt hat! Und dein Arm blutet auch!“ rief Viola und boxte vor lauter Aufregung auf ihren großen Begleiter ein, dann klammerte sie sich schluchzend an ihn. Grey streichelte ihr sanft den Kopf und entschuldigte sich, dass er ihr solch einen Schrecken eingejagt hatte. „Tut mir Leid Viola, aber ich konnte das Tier nicht sehen. Ich hab vergessen, es dir zu sagen, aber ich kann leider nur mit einem Auge sehen.“ Um zu zeigen, was er meinte, schob er sein Haar ein wenig zur Seite und öffnete das linke Auge, welches er verborgen gehalten hatte. Als er das Lid öffnete, fand Viola eine Art Glasauge vor, welches zwar sehr natürlich aussah, sie aber dennoch anwiderte, als es so ziellos umherglotzte. „Ich hatte es schon verloren, bevor meine Amnesie eintrat. Vermutlich ist es bei meinem Unfall passiert. Zwar hab ich mir ein Glasauge einsetzen lassen, aber es sieht trotzdem schrecklich aus. Verstehst du jetzt? Ich kann auf der linken Seite gar nichts sehen. Ich habe es nur nicht gesagt, weil ich dir keine Angst machen wollte.“ Ein klein wenig beschämt senkte Viola den Blick und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken weg. „Tut mir Leid…“

„Ist schon in Ordnung. Am besten ist, wir bleiben jetzt besser zusammen, bevor wieder so etwas passiert.“ Doch Viola ließ ihn nicht so einfach gehen. Er hatte eine Bisswunde am Arm und die musste zuerst versorgt werden. Dieses Mal übernahm sie das Verarzten, wobei sie sich gar nicht mal so ungeschickt anstellte. „Tut es sehr weh?“ fragte sie, während sie den Arm mit dem Verband einwickelte. Grey lächelte herzlich. „Ach was, das ist halb so wild. Aber sag mal, wie sieht denn eigentlich dein Freund Sir Bunnyman aus?“

„Er ist ein ganz großer Hase, der wie ein Mensch läuft. Er trägt einen Anzug, Schuhe und er ist sehr vornehm.“ Die Beschreibung passte genau auf die Statue, die er vorhin gesehen hatte aber auch auf die des Zeugen, der Violas Flucht aus der Nervenheilanstalt beobachtet hatte. Irgendetwas war seltsam an der Sache. Die Polizei hatte dem Augenzeugen keinen Glauben geschenkt, weil er geistig verwirrt war, aber dass es hier im Labyrinth eine Statue von ihm gab, machte Grey misstrauisch. Zwar bezweifelte er, dass Viola in irgendeiner bösen Absicht in dieser ganzen Sache mit drin steckte, aber für ihn stand fest, dass sie etwas mit all dem zu tun hatte. Dieses Labyrinth schien in irgendeiner Weise mit diesem kleinen Mädchen in Verbindung zu stehen. Ach, wenn er sich doch nur erinnern könnte, warum er Viola gesucht hatte. Vielleicht war sie ja gar nicht die Gesuchte, sondern dieser seltsame Hase, der aussah, als wäre er direkt dem Wunderland entsprungen. Wunderland… dieses Wort weckte etwas in seinem Unterbewusstsein. Seine Erinnerungen, die er verzweifelt zurückzuerlangen versuchte, schienen sich nach langer Zeit endlich zu regen. Vielleicht kehrten sie bald endlich wieder zurück und er würde wissen, wer er denn nun war. Ein plötzliches Magenknurren riss ihn aus seinen Gedanken und erst jetzt merkte er, dass er Hunger hatte. Auch Viola wurde von einem leichten Unwohlsein ergriffen und in dieser verrückten Lage mussten sie einfach lachen. Unglaublich, dass man an solch einem Ort Hunger bekam. Zum Glück hatte Viola zwei belegte Brote dabei und gab Grey eines davon. Sie aßen aber nicht viel, weil sie sich ihren Proviant gut einteilen wollten. Schließlich machten sie sich wieder auf den Weg und erreichten eine neue Weggabelung, nur fanden sie dort dieses Mal neben dem Schild zwei hässliche lebensgroße Puppen, die aus menschlichen Körperteilen zusammengenäht waren. Sie hockten auf zwei Sockeln und schienen ungefährlich zu sein. Über ihnen hing ein Schild mit folgender Botschaft.
 

„Dies ist der Weg der Prüfung. Ihr habt die Wahl zwischen links oder rechts. Ein Weg davon führt in den Tod! Diese Puppen kennen den richtigen Weg, jedoch sagt nur eine von ihnen die Wahrheit, die andere lügt. Ihr dürft nur eine Frage an sie stellen, dann müsst ihr euch entscheiden.“
 

Viola las sich das alles mehrmals durch und glaubte, so etwas schon mal irgendwo gesehen oder zumindest davon schon gehört zu haben. Ja, sie hatte dieses Rätsel irgendwo aufgeschnappt, war aber nie auf die Lösung gekommen. Nur eine Frage durfte sie stellen? Das war ja eine unlösbare Aufgabe. Sie könnte ja fragen, welche Puppe denn die Wahrheit sagte, aber da würde sie auch auf keinen grünen Zweig kommen. Dann würde jede der Puppen antworten, dass sie die Wahrheit sagte. Und genau das Gleiche würde passieren, wenn sie fragte, welcher Weg nach draußen führte. Jede würde eine andere Richtung nennen. „Das ist doch unmöglich zu schaffen“, sagte sie schließlich zu Grey und sah ihn mit ihren großen Augen an. „Wie sollen wir denn herausfinden, welcher Weg denn der Richtige ist?“

„Das finden wir heraus, indem wir den falschen Weg finden“, erklärte er und ging zu den Puppen hin. Sie hatten ein groteskes Grinsen im Gesicht und waren von schwarzen Nähten entstellt, was ihnen etwas Surreales und Bizarres verlieh. Mit stechend gelben und blutunterlaufenen Augen, die selbst den tapfersten Mann entmutigt hätten, starrten sie ihn an und kicherten leise. Grey räusperte sich und stellte dann seine Frage an die rechte Puppe. „Welchen Weg würde mir die andere Puppe zeigen, wenn ich sie fragte, wo der richtige Weg ist?“ „Rechts!“ gab die Puppe mit einem unheimlichen Krächzen von sich und brach in ein krankes Gelächter aus, in welches die andere Puppe auch einstimmte. Unbeeindruckt drehte er sich zu Viola um und lächelte zufrieden. „Ich weiß jetzt, wo es langgeht. Wir müssen nach links.“ „Aber die Puppe hat doch gesagt, nach rechts.“

„Ich weiß, aber wir müssen die entgegengesetzte Richtung.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Die Puppe, die die Wahrheit sagt, weiß, dass die Lügenpuppe mich in die falsche Richtung weisen würde und nennt deshalb den falschen Weg. Die Lügenpuppe weiß, dass die ehrliche Puppe den richtigen Weg nennen würde und nennt darum den falschen Weg, um zu lügen. Beide nennen also den falschen Weg! Natürlich könnte man die Frage auch anders herum stellen, aber das hab ich noch nie ausprobiert. Ich kenne nur diese Variante.“ Grey nahm Violas Hand und ging mit ihr nach links. Die beiden Puppen lachten immer noch und schauten sich breit grinsend an. „Der arme Trottel“, sagte die eine. „Er weiß nicht, dass der eine Weg ins Verderben für beide und der andere Weg ins Verderben für nur einen von ihnen führt.“

„Ich weiß. Und genau das ist es ja, was so lustig ist.“

„Das wird ein Spaß werden!!!“

Das schrille Gelächter der beiden Puppen hörten Viola und Grey, selbst nachdem der Weg hinter ihnen versperrt wurde. Doch Viola war zu sehr in Gedanken versunken, als dass sie dies ängstigen könnte. Nein, die beschäftigte sich dafür viel zu sehr mit dem seltsamen Labyrinth. Diese Wegentscheidungen, die Wasserquellen mit den Rosen und die beiden Puppen. Das alles wirkte auf sie, als sei dies eine Art Spiel oder ein Märchen. Als sei sie tatsächlich im Wunderland von Alice. Was war das hier nur für ein seltsamer Ort? Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie gar nicht merkte, dass sich Grey immer weiter von ihr entfernte. Plötzlich, es geschah völlig aus heiterem Himmel, da begann die Erde leicht zu beben und ein riesiger Dornenbusch schoss aus der Erde und versperrte Viola den Weg. „Grey! Der Weg ist versperrt!“ Schnell eilte er zum Dornenbusch und versuchte, an den Ranken zu ziehen, aber sie waren hart wie Stahl und auch das Messer konnte nichts ausrichten. „So ein Mist, das war eine Falle. Viola, du wartest hier und ich versuche, einen Weg zu dir zu finden!“ „Aber was ist, wenn ein Monster kommt?“ Grey griff in seine Tasche und schaffte es mit einiger Mühe, seine Hand durch eine kleine Lücke in der Dornenhecke zu schieben und ihr sein Taschenmesser zu reichen. „Das ist leider das Einzige, was ich dir geben kann. Pass auf dich auf!“

„Pass du auch gut auf dich auf, Grey.“ Durch die Dornenhecke sah Viola, wie ihr neuer Freund im Labyrinth verschwand und sogleich verließ sie der Mut. Was, wenn Grey keinen Weg fand, der zu ihr führte? Was, wenn er sich verlief und sie hier sterben würde? Mit Sicherheit würde er systematisch Wege gehen, die so ungefähr in ihre Richtung führten, vielleicht sollte sie ihm doch besser entgegenkommen. Viola hielt das Taschenmesser fest in der Hand und machte sich sogleich selbst auf den Weg, um Grey zu suchen. Dabei dachte sie natürlich nicht an die Gefahren, die auf sie lauern könnten, denn sie war ja nur ein Kind und dachte nicht über Dinge nach, die Konsequenzen haben könnten. In dem festen Glauben, dass sie ihren großen Freund bald wieder sehen würde, eilte sie nach links, wo es für sie weiterging. Sie ging nicht lange, da hörte sie schon Schritte und die stammten eindeutig von festem Schuhwerk, was darauf schließen ließ, dass es sich nicht um ein Monster, oder eine dieser Horrorpuppen handelte. Das ging ja schnell. „Grey?“ rief sie und rannte schneller. „Grey, ich bin hier!!!“ Doch es kam keine Antwort und die Schritte wurden auch nicht schneller. Es waren langsame Schritte und sie klangen nicht sehr vertrauenserweckend. „Grey? Bist du das?“ Viola blieb kurz stehen und sah auch schon einen Schatten an der Hecke, die um die Ecke führte. Es war ein großer Schatten und er sah menschlich aus. Trotzdem bekam sie ein ungutes Gefühl bei der Sache. „Grey? Lass den Unsinn, du machst mir Angst.“ Doch wieder kam keine Antwort. Die Schritte kamen langsam näher und dann hörte Viola einen leisen Gesang.
 

„Mary, Mary quite contrary

how does your garden grow?

with silver bells and cockle shells

and pretty maids all in a row...
 

Als Viola dies hörte und erkannte, dass dies gar nicht Greys Stimme war, sondern die eines Mädchens, da wurde es ihr auf erschreckende Weise klar: Es befand sich noch jemand im Labyrinth. Viola war sich nicht sicher, was sie tun sollte. Vorsichtig lugte sie hinter der Hecke hervor und sah ein Mädchen von vielleicht 18 oder 19 Jahren. Sie hatte rotbraun schimmerndes Haar und trug ein schulterfreies Shirt. Außerdem war sie sehr hübsch und hatte ein ebenso wunderschönes Lächeln. Sie sah einfach nicht böse aus und so kam Viola aus ihrem Versteck hervor, woraufhin das Mädchen erstaunt stehen blieb. „Entschuldigung, hast du dich hier auch verlaufen?“ Sie schien ein wenig verwirrt zu sein über Violas Anblick, aber dann lächelte sie und sagte „Ja leider. Ich bin ins Labyrinth gegangen, weil ich jemanden gesucht habe. Aber dann wurde das alles hier immer seltsamer. Sag mal, was macht denn ein kleines Mädchen wie du denn hier?“

„Ich bin eingeschlafen und dann hier aufgewacht. Bin ich froh, dass ich nicht mehr ganz so alleine bin. Ich hatte solche Angst!“ Viola fiel dem Mädchen in die Arme und hätte fast wieder geweint. Das Mädchen streichelte ihr zärtlich den Kopf und sagte „Na, na. Kein Grund zum Weinen. Sag mal Süße, wie heißt du denn?“

„Viola, Viola Smith.“

„Schön dich kennenzulernen Viola“, sagte das Mädchen und legte ihren Arm um sie, während sie ihre andere Hand hinterm Rücken verborgen hielt, in welcher sie ein Messer bereithielt. Und da Viola ihr Gesicht in das Shirt der Teenagerin vergraben hatte, sah sie nicht das eiskalte und manische Grinsen auf ihren Lippen. „Mein Name ist übrigens Mary Lane.“



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