Meine Creepypastas von Sky- (Paranormale (Horror) Geschichten) ================================================================================ Scarecrow Jack Teil 4: Priest ----------------------------- Ich wollte nicht noch einen Moment länger in dieser gottverfluchten Stadt bleiben und packte sofort meine Sachen. Charles, der an diesem Abend in der Kneipe war, reagierte zu meinem Ärger gelassen und hielt an seiner Meinung fest, ich hätte alles nur geträumt. Officer Morgan bestätigte meine Worte und er erzählte, dass er den Mörder meiner besten Freundin mehrmals tödlich getroffen habe, jedoch bestünde das Innere der Vogelscheuche lediglich aus Ungeziefer. „Ungeziefer?“ fragte Charles ungläubig und sah Officer Morgan ungläubig an. „Die Vogelscheuche besteht aus Ungeziefer?“ „Anders kann ich mir die Sache nicht erklären“, murmelte der Polizist und fuhr sich über sein blondes Haar. „So etwas ist mir in meiner ganzen Laufbahn nicht untergekommen. Ich weiß genau, dass ich das gottverdammte Vieh ins Gesicht und in die Brust getroffen habe. Jeder Mensch wäre sofort gestorben oder umgefallen. Jeder andere hätte geblutet, aber aus den Einschusslöchern kam nur dieses widerliche Ungeziefer heraus. Und leider kann es sich tatsächlich nicht um Jackson Cohan handeln. Die Leiche wurde bereits exhumiert und sowohl DNA- als auch Gebissanalyse sind eindeutig: Jackson Cohan ist vor zwanzig Jahren verbrannt. Das bedeutet, dass wir es tatsächlich mit einer lebendig gewordenen Vogelscheuche zu tun haben.“ „Aber… so etwas gibt es doch nicht!“ rief Charles und machte einen halben Schritt zurück. „So etwas kann es doch nicht geben.“ „Das weiß ich selbst, trotzdem habe ich selbst gesehen, wie diese Viecher aus der Vogelscheuche herausgekrochen sind.“ „Und was, wenn die Vogelscheuche ferngesteuert wird?“ „Das würde ich auch sagen, wenn sie sich nicht so bewegt und nicht so gesprochen hätte. Nein, das ist keine ferngesteuerte Maschine. Charles, wir sind da in etwas hineingeraten, das über das Normale hinausgeht und wir müssen sofort weg. Denk an Lewis. Die Vogelscheuche war bereits in seinem Zimmer und wir können von Glück reden, dass er noch lebt.“ Das überzeugte ihn endgültig und somit begannen wir, das Nötigste zu packen. Wir wollten nur noch eines: Annatown so schnell wie möglich verlassen. Nichts hielt mich noch länger an diesen Ort und kaum war alles im Wagen verstaut, wollten wir auch sofort losfahren, jedoch sprang der Wagen nicht an. Ich ahnte Schlimmes und als Charles sich das Innere des Wagens genauer ansah, bestätigte er meine Vorahnung. Jemand hatte den Motor und die Batterie zerstört und sämtliche Schläuche durchschnitten. Der Wagen war vollkommen unbrauchbar. Diese Nachricht war so niederschmetternd, dass ich einen Heulkrampf bekam und eine Stunde lang weinend im Wagen saß, während mein Mann versuchte, unseren Sohn zu beruhigen. Die Vogelscheuche wollte nicht, dass wir von hier fortgingen. Sie war es, die den Wagen untauglich gemacht hatte, weil sie uns hier in Annatown töten wollte. Wir waren die Ratten auf einem sinkenden Schiff. Schließlich, als ich mich halbwegs beruhigt hatte, kam Officer Morgan und versicherte uns, jederzeit zu kommen, wenn etwas sein sollte oder wenn er selbst etwas Wichtiges in Erfahrung brachte. „Ich habe auch mit den Kollegen gesprochen. Abends wird ein Wagen kommen und das Haus im Auge behalten, falls die Vogelscheuche wiederkommt. Ich werde in der Zwischenzeit mehr über die Geschehnisse von vor zwanzig Jahren recherchieren. Zwar ist Jackson damals gestorben, aber mich lässt trotzdem das Gefühl nicht los, als hätte er trotzdem etwas damit zu tun. Vielleicht finde ich dann auch eine Möglichkeit, wie ich die Vogelscheuchemorde beenden kann.“ Ich dankte Officer Morgan für die Hilfe, allerdings hatte ich so meine Zweifel, ob uns das wirklich vor diesem Monster schützte. Vor allem stellte sich die Frage, wie man diese Vogelscheuche effektiv bekämpfen konnte, da Schusswaffen nicht die geringste Wirkung zeigten. Feuer wäre vielleicht eine Alternative. Feuer und Insektizide. Ich ging ins Wohnzimmer und goss mir ein Glas Schnaps ein. Auch Charles genehmigte sich einen Schluck und während wir vor Lewis eine heile Welt vorzuspielen versuchten, um ihm nicht noch mehr Angst einzujagen, schwiegen wir uns an und ertränkten unsere Angst in Alkohol. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich von einer mit Ungeziefer ausgestopften Vogelscheuche umgebracht werde“, sagte er schließlich nach einer langen Pause und nahm einen kräftigen Schluck. „Ich hätte auch niemals gedacht, dass so etwas überhaupt jemals passieren könnte.“ „Tja, das hätte niemand von uns gedacht, aber leider ist das nun mal so. Zum Glück ist Officer Morgan bemüht, uns in dieser Sache zu unterstützen und diesen Wahnsinn zu beenden. Es muss irgendwo eine Ursache dafür geben, dass die Vogelscheuche zum Leben erwacht ist und wahrscheinlich ist Jackson in dieser Sache verwickelt. Das sagt mir einfach mein Gefühl. Ich meine, wir haben ihn immer wieder eine Vogelscheuche genannt, weil er so verwahrlost aussah. Dabei hat uns nie wirklich interessiert, was dahinter steckte. Nachdem ich erfahren hatte, was ihm angetan wurde, fühle ich mich echt schlecht deswegen.“ „Kinder können echt grausam sein.“ Ich stimmte zu und lehnte mich zurück ins Sofa und gähnte laut. Es war schon spät, trotzdem konnte ich nicht schlafen. Die Angst, dass Lewis etwas zustoßen könnte, war unerträglich, trotz des Polizeiwagens vor der Haustür. Wenn ich wenigstens wüsste, dass es ein verrückter Killer war, dann wüsste ich wenigstens, dass man ihn erschießen konnte. Aber eine lebendige Vogelscheuche ging bei weitem über das hinaus, was ich bisher begreifen konnte. Wie um alles in der Welt war so etwas möglich? Wie zum Teufel konnte eine gewöhnliche Vogelscheuche ein Eigenleben entwickeln? Ich musste an die Chucky-Filme denken, wo ein verrückter Mörder mittels Voodoo Magie seine Seele in einen Puppenkörper transferiert hatte. Hatte Jackson so etwas in der Art getan? War seine Seele in eine Vogelscheuche gefahren? Das klang total verrückt, aber andererseits ließ das kaum andere Schlussfolgerungen zu. Die Nacht verging quälend langsam und ich war völlig übermüdet und erschöpft. Zum Glück hatte sich die Vogelscheuche nicht blicken lassen, sondern hatte Jagd auf eine Gruppe älterer Damen gemacht, die sich am Abend getroffen hatten. Sie waren genauso übel zugerichtet wie die letzten Mordopfer vom Vogelscheuchenmörder, den jetzt alle inzwischen Scarecrow Jack nannten. Ich erfuhr durch einen Anruf von Officer Morgan von dieser Sache, reagierte aber weniger geschockt, als ich selbst angenommen hatte. Dafür war ich einfach zu erleichtert, dass meine Familie verschont geblieben war. „Ich habe mich übrigens näher informiert und ich glaube, an einer echt großen Sache dran zu sein“, erklärte er mir am Telefon und klang aufgeregt, als hätte er eine großartige Entdeckung gemacht, die den Fall weiter voranbrachte. „Ich habe mir die Vergangenheit der Opfer näher angeschaut und festgestellt, dass alle älteren Mordopfer, darunter auch die alten Damen und der Pfarrer, Verbindungen zu dieser Sekte „Vereinigung der wahren Christen“ hatten. Auch Madison Carters Eltern waren engagierte Mitglieder dieser Sekte und sie selbst trat der Gruppe auch bei, nachdem sie achtzehn wurde. Ziemlich viele sind Mitglieder, allerdings verschweigen sie es, da die Sekte bereits mehrmals ins Visier der Polizei geraten ist. Ich glaube, dass Scarecrow Jack darauf aus ist, die Mitglieder der Sekte zu töten und das wirft den Verdacht auf, dass er den Mord an Jackson Cohan rächen will. Ich werde versuchen, einen Zeugen aufzutreiben, der uns mehr zu der Sache erzählen kann. Vielleicht haben wir ja Glück und erfahren endlich mehr über die Geschehnisse von vor zwanzig Jahren.“ „Aber warum jagt Scarecrow Jack auch uns? Weder ich noch meine Eltern waren in dieser Sekte, das weiß ich genau!“ „Tja, wahrscheinlich will er auch Rache an Jacksons Peinigern üben. Aber so wie es scheint, liegen seine Prioritäten eher in der Verfolgung der Sektenmitglieder. Ich melde mich heute Nachmittag noch mal, wenn ich mehr dazu weiß.“ Da mir nach häuslicher Arbeit nicht zumute war, setzte ich mich stattdessen an den Laptop und versuchte, mich mehr über diesen religiösen Verein zu informieren. Ich war mir nicht sicher, trotzdem glaubte ich, den Namen irgendwoher schon mal gehört zu haben. Leider stand nicht viel Hilfreiches über die „Vereinigung der wahren Christen“ im Internet, ich erfuhr höchstens, dass sie einige wohltätige Projekte unterstützten und sie in den meisten Staaten gar nicht als eigenständige Sekte oder Kirche anerkannt waren. Lediglich in Ohio, Kalifornien, Washington und Virginia wurde diese Vereinigung als Sekte deklariert und war in Ohio und Kalifornien bereits verboten worden. In den anderen Staaten gehörte sie der katholischen Kirche an und war im Gegensatz zu den Baptisten oder Mormonen eher unbekannt und zählte anscheinend hauptsächlich in den Südstaaten viele Mitglieder. Sie engagierte sich für soziale Projekte und legte großen Wert auf frühe religiöse und erzkonservative Erziehung. Homosexualität und Ehebruch waren ihrer Auffassung nach genauso schlimm wie Mord und Totschlag. Die Vereinigung der wahren Christen lehnte andere Religionen strikt ab und ihr wurde Rassismus, Antisemitismus und kriminelle menschenverachtende Methoden vorgeworfen. Ich fragte mich, was für eine Rolle sie damals in Annatown innehatten, dass sie tun und lassen konnten, was sie wollten. Ich forschte weiter nach, fand aber nichts Hilfreiches, weshalb mir wohl keine andere Wahl blieb, als ins Zeitungsarchiv zu gehen und dort nachzuforschen. Zwar wollte sich Officer Morgan um diese Sache kümmern, aber ich hielt es einfach nicht aus, untätig herumzusitzen und darauf zu warten, dass sich endlich etwas tat. Das war die schlechteste Option. Das Zeitungsarchiv lag nahe der Stadtgrenze und ich entschied mich, mit dem Bus dorthin zu fahren, weil unser Auto immer noch nicht repariert war. Irgendwie herrschte eine seltsame Atmosphäre in der Stadt, das spürte ich sofort. Die Leute schienen irgendwie die Köpfe zusammenzustecken und zu tuscheln, benahmen sich seltsam. Was mir besonders auffiel war, dass sich sehr viele in der Kapelle der Stadt aufhielten, wohl um dort zu beten oder sich zu beratschlagen. Ich hatte das ungute Gefühl, dass bald etwas passieren würde, allerdings konnte ich noch nicht sagen, was es sein würde. Der Bus erreichte schließlich die Haltestelle, wo ich aussteigen musste und bereits vom Fenster aus sah ich einen großen Polizeitrubel. Beim näheren hinsehen erkannte ich, dass eine weitere Leiche gefunden wurde, allerdings war sie gar nicht so zugerichtet wie die anderen Leichen, sie sah schwarz verbrannt aus, als hätte man sie angezündet. Man hatte sie an einer Stange befestigt, sodass sie aus der Ferne wie eine Vogelscheuche wirkte. Mit dunkelroter Farbe stand auf dem Boden geschrieben „Er war bereits tot!“ Officer Morgan war vor Ort und sofort eilte ich zu ihm, um mit ihm zu sprechen. Ich durfte zwar nicht die Absperrung übertreten, dafür aber kam er zu mir und klärte mich über die Situation auf. „Vor knapp einer halben Stunde hat jemand die mumifizierte Leiche von Teresa Cohan hier platziert, mit Benzin übergossen und dann angezündet. Keiner hat den Täter gesehen, allerdings hab ich soeben erfahren, dass ein Passant fünf Straßen weiter von der Vogelscheuche umgerannt worden war.“ „Dann hat die Vogelscheuche also die Leiche angezündet. Aber was hat diese Botschaft zu bedeuten? Ist damit vielleicht Jackson gemeint?“ „Das kann ich noch nicht sagen. Was haben Sie eigentlich vor?“ „Ich wollte zum Zeitungsarchiv und nach Informationen über diese Sekte suchen.“ „Sie sollten besser nach Hause gehen, solange sich Scarecrow Jack noch in der Nähe aufhält. Es könnte gefährlich werden.“ „Aber Scarecrow Jack greift doch immer nur nachts an. Tagsüber stiftet er nur Chaos, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Ich glaube, dass er diese Botschaft nur zu einem bestimmten Zweck hinterlassen hat: Er will die letzten Anhänger der Sekte, die damals Jackson Cohan getötet haben, aus der Reserve locken und sie töten. Und ich werde nichts unversucht lassen, um meine Familie zu schützen.“ Ich verabschiedete mich und machte mich auf den Weg ins Archiv. Es fiel mir nur sehr schwer, meine Angst zu verbergen. Lewis saß an diesem Tag alleine auf der Schaukel und beobachtete die anderen Kinder beim Spielen. Normalerweise würde er mit ihnen spielen, aber heute war ihm nicht danach zumute. Zwar hatten seine Eltern versucht, ihn weitestgehend zu schützen und ihm keine Angst zu machen, aber selbstverständlich spürte Lewis, dass seine Eltern Angst hatten und dass ihnen diese Vogelscheuchengeschichte zu schaffen machte. Und der Schreck, als die Vogelscheuche in seinem Zimmer war und vor seinem Bett gestanden hatte, saß noch immer tief. Immer und immer wieder beschäftigten ihn die Fragen „Warum lässt die Vogelscheuche uns nicht in Ruhe?“ und „Was wollte sie von mir?“ Er hatte immer geglaubt gehabt, dass es keine Monster gab und diese nur in seiner Fantasie und seinen Alpträumen existierten. Auch als die Vogelscheuche vor seinem Bett gestanden hatte, dachte er zunächst, dass er träumte, aber es war echt gewesen. Die Vogelscheuche lebte und sie war sehr böse. Ein lautes Krächzen ertönte in den Bäumen und als Lewis sich umschaute, sah er die Vogelscheuche auf einem Ast hockend. Ihre Messerhände glänzten wie poliertes Silber und in der einen hielt Scarecrow Jack den Süßigkeitenbeutel. „Na Lewis“ sagte sie mit einem breiten, hässlichen Grinsen „möchtest du ein paar Süßigkeiten?“ Lewis war vor Angst erstarrt, schaffte es aber nicht, zu schreien oder um Hilfe zu rufen. Stattdessen sah er die Vogelscheuche mit weit aufgerissenen Augen an und schüttelte langsam den Kopf. „Och warum denn? Die sind doch lecker. Ich habe die allerbesten Süßigkeiten der Welt hier. Ich habe Karamell, Dauerlutscher, Schokolade, Bonbons, Kaugummi, Brausekugeln und noch viel mehr. Du kannst so viel davon essen, wie du nur willst! Na, wie klingt das denn? Möchtest du ein Bonbon?“ Lewis erinnerte sich noch gut daran, dass seine Eltern ihm mehr als oft genug gesagt hatten, er dürfe niemals etwas von Fremden annehmen oder mit ihnen mitgehen. Sie hatten ihm erklärt, dass man sonst sehr schlimme Dinge mit ihm machen würde. Aber der Hauptgrund für seine Ablehnung war seine Angst vor der Vogelscheuche. Sie war von etwas abgrundtief Bösem erfüllt… etwas Monströsem. Langsam kam Scarecrow Jack vom Baum runter und eine Krähe landete auf seiner Schulter. Vorsichtig strich die Vogelscheuche mit ihrem Handrücken über das pechschwarze Gefieder. „Ist er nicht hübsch? Edgar hier ist mein allerbester Freund. Hast du auch einen?“ Lewis antwortete nicht auf die Frage, seine Hände umklammerten die Seile der Schaukel nur noch fester und sein ganzer Körper war erstarrt vor Angst. Die Vogelscheuche kam immer näher und langsam ließ sie einen ihrer Klingenfinger ganz dicht an Lewis’ Hals entlangfahren. Sie sahen sich beide in die Augen und Lewis verschlug fast der Atem, als er diesen fauligen Verwesungsgestank einatmete, der von Scarecrow Jack ausströmte. „Soll ich dir etwas Lustiges erzählen? Dort, wo du gerade sitzt, hat einst ein Junge gesessen, ganz alleine. Er war genauso alt wie du… und er hatte keinen einzigen Freund. Willst du ihn kennen lernen? Ich wette, ihr beide würdet euch wirklich gut verstehen.“ Wieder antwortete Lewis nicht, er versuchte so wenig wie möglich zu atmen, weil der Verwesungsgestank dieser Kreatur einfach unerträglich war. Als sie sich langsam vorbeugte, krochen Schaben und Asseln aus ihrem Ärmel und fielen zu Boden. Und unter dem Schal kam eine riesige Tarantel zum Vorschein. „Sieh nur, das sind alle meine Freunde. Willst du auch ein paar haben? Hier! Ich gib dir welche!!“ Und damit legte die Vogelscheuche einen Arm über Lewis’ Kopf und ein Schwall von Würmern, Larven, Spinnen und Kriechgetier regnete auf den Jungen nieder. Dieser schrie laut auf und fuchtelte wild umher, um die Viecher abzuschütteln. Die Vogelscheuche lachte und rief „Na los kleines Schweinchen, schrei! Schrei für mich! Ich habe noch mehr Freunde für dich. Sie sind alle hier bei mir! Sie zerfressen mein Innerstes, zerfressen meinen Verstand. Sie fressen meine Augen und meine Haare, sie fressen meine Haut und meine Eingeweide. Mal sehen, was sie mit dir tun werden! Mal sehen, ob sie dich auch fressen werden! Bald schon wirst du sie auch lieben Lewis. Und dann wirst du auch den Gestank der Verwesung und des Blutes lieben lernen.“ Das Gelächter der Vogelscheuche hallte in Lewis’ Ohren wieder und wieder und schließlich erreichten die Lehrer, die die Pausenaufsicht innehatten, den Jungen und versuchten ihn zu beruhigen. Sie befreiten Lewis von dem Ungeziefer und fragten, wer ihm das angetan habe, doch Lewis bekam vor Angst kein Wort heraus. Er weinte nur und rief immer wieder nach seinen Eltern. Es hatte keinen Sinn mit ihm, man musste ihn nach Hause schicken. Während man wartete, dass sein Vater kommt und ihn abholen würde, betreute der Schulpsychologe den kleinen Lewis und versuchte, mit ihm zu reden. Aber auch hier stieß er auf Granit, der Junge hatte einfach zu viel Angst. Wenigstens schaffte er es, Lewis einigermaßen zu beruhigen. Zumindest so lange, bis der Junge die Hände in die Taschen steckte und plötzlich ganz blass wurde und aussah, als hätte er ein Gespenst gesehen. Langsam nahm er die Hände wieder aus den Taschen und hielt Karamellbonbons, saure Drops, Dauerlutscher und andere Süßigkeiten in der Hand. Alle waren in einer orangeschwarzen Folie eingewickelt. Es waren Halloweensüßigkeiten. Als Lewis das sah, schrie er so laut auf, dass ihn die halbe Schule hören konnte. Der Schulpsychologe verstand zunächst nicht, was das zu bedeuten hatte und versuchte, mit Lewis zu reden. Dieser wurde völlig panisch und verkroch sich in die Ecke des Zimmers, wo er sich ängstlich zusammenkauerte. „Lewis, nun sag doch endlich was mit dir los ist. Was hast du?“ „Die Vogelscheuche will mich holen. Scarecrow Jack ist hinter mir her. Er ist immer da, er beobachtet mich. Er steht da draußen, sehen Sie?“ Der erfahrene Sozialpädagoge ging zum Fenster, um nachzusehen, jedoch konnte er nichts erkennen. „Lewis, da draußen ist niemand.“ „Er ist aber da! Nachts steht er an meinem Fenster und singt. Ich will nicht, dass er mich holt!“ Lewis wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und zitterte am ganzen Körper. Die letzten Tage hatte er geschwiegen und versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber diese Konfrontation mit Scarecrow Jack war zu viel gewesen. Diese Vogelscheuche hatte es auf ihn abgesehen, das wusste er genau. Sie verfolgte und quälte ihn aus einem sadistischen Vergnügen heraus und versuchte, seine Eltern zu töten. Und dieser Gestank. Dieser Übelkeit erregende widerliche Gestank, als würde eine Leiche verwesen…. Seitdem die Vogelscheuche ihre Insekten auf ihn ausgeschüttet hatte, schien der Gestank nun auch an ihn zu kleben. Er fühlte sich schmutzig und elend, er ekelte sich vor diesem Gestank, ekelte sich vor sich selbst und hatte das Gefühl, als würde dieser Todesgeruch wie eine zweite Haut an ihm kleben. Es war, als trüge er bereits die ebenso stinkende Kleidung dieser Vogelscheuche. Da ich vergessen hatte, dass ich mein Handy auf lautlos gestellt hatte, erfuhr ich erst zuhause, was Lewis auf dem Schulhof zugestoßen war. Im Zeitungsarchiv hingegen ahnte ich noch nichts dergleichen, sondern suchte konzentriert nach Artikeln aus jener Zeit, kurz bevor der Brand ausgebrochen war und was danach geschehen war. Die Suche erwies sich jedoch als äußerst schwierig, da die „Vereinigung der wahren Christen“ nirgendwo namentlich erwähnt wurde. Das machte es mir fast unmöglich, mehr über diese Sekte herauszufinden. Ich wühlte mich durch sämtliche Zeitungsstapel und je länger ich suchte, desto mehr stellte sich ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung ein. Nach einer geschlagenen Stunde vergeblicher Suche lehnte ich mich laut seufzend in meinem Stuhl zurück und massierte meine Schläfen. Es musste doch etwas geben, niemand konnte so gut dreckige Wäsche verstecken. Ich war mir sicher, dass diese Stadt Leichen im Keller hatte und irgendwo musste die Antwort sein. Vor mir lagen diverse Stapel und da ich allmählich den Überblick verlor, entschied ich mich dazu, kurz eine Pause einzulegen und draußen eine Zigarette zu rauchen. Als ich wieder zurückkam, fand ich einen Zettel, auf dem zwei Zeitdaten geschrieben standen. Die Handschrift war nicht meine und ich glaubte zunächst, dass die Vogelscheuche die Nachricht hinterlassen haben könnte. Aber als ich die Verwaltungsangestellte fragte, sagte sie nur, dass ein Mann hier war und auch schon wieder gegangen sei. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte aber zumindest war es nicht Scarecrow Jack. Vielleicht war es ja jemand, der über die wahren Geschehnisse von damals Bescheid wusste und mir einen Tipp geben wollte. Aber warum dann diese Geheimnistuerei? Vielleicht versteckte er sich aus Angst davor, ebenfalls von der Vogelscheuche verfolgt zu werden. Ich suchte die Zeitungen mit dem entsprechenden Datum heraus und konnte zuerst nichts Ungewöhnliches feststellen. Es gab weder eine Erwähnung über die Sekte noch etwas anderes Religiöses, welches verdächtig schien. Aber als ich genauer hinsah, wurde ich doch stutzig: Vor zwanzig Jahren steckte die Gemeinde in großen finanziellen Schwierigkeiten. Um es besser auszudrücken: Annatown stand damals am Rande des Bankrotts und lebte auf Pump. Die Stadt hatte sich durch schlechte Wirtschaft und hohe Ausgaben in die Millionenhöhe verschuldet und sogar die Schließung der Schule wurde diskutiert. Aber dann, knapp wenige Tage nach Jacksons Tod am 31. Oktober, ging es wieder bergauf oder zumindest schien es so. Es wurde Geld mit vollen Händen ausgegeben und Straßen wurden zusammen mit der Schule saniert. Das war verdächtig. Wie zum Teufel konnte eine vor dem Bankrott stehende Stadt solche Ausgaben machen, wenn sie es sich unmöglich leisten konnte? Offenbar war irgendwo Geld geflossen und das nicht gerade wenig. Es war genug, damit Annatown wieder florieren konnte. Woran erinnerte mich das nur? Als ich noch europäische Literatur studiert hatte, kam mir doch schon mal so eine Geschichte unter. Wenn ich mich recht erinnerte, war es eine deutsche Komödie, in der eine alte Milliardärin ihre Heimatstadt zuerst in den Ruin trieb und dann eine Milliarde zahlte, wenn die Leute ihre alte Jugendliebe tötete, die sie vor langer Zeit betrog. Konnte es vielleicht sein, dass es sich bei Jackson genauso verhielt? Hatte diese Sekte etwa Geld gezahlt, um ihn töten zu können? Wenn dem so war, würde das erklären, warum weder die Polizei noch das Jugendamt etwas unternommen hatten, als Jackson immer mehr verwahrloste und innerlich verkümmerte. Das Ganze war eine ungeheure Verschwörung, welche all die Jahre vertuscht worden war. Das hatte der Pfarrer also mit dem Geheimnis gemeint. Annatown hatte das Leben des Jungen verkauft, um sich selbst aus dem Schuldensumpf zu befreien. Ich kopierte die Zeitungsartikel und nahm die Kopien mit. Diese Erkenntnis war so unglaublich, dass ich sie unbedingt Charles mitteilen musste. Doch zuhause sollte ich wohl die nächste Hiobsbotschaft entgegennehmen, denn ich fand Lewis völlig verstört im Wohnzimmer vor, Charles war bei ihm und versuchte ihn zu trösten. Von ihm erfuhr ich, dass Lewis mit Ungeziefer überschüttet wurde und er glaubte, die Vogelscheuche würde ihn verfolgen. Dies veranlasste mich dazu, erst einmal über meine Erkenntnisse zu schweigen und meinem Sohn beizustehen. Es brach mir das Herz, mein Kind so verängstigt und hilflos zu sehen und ich brachte ihn erst einmal ins Bad, damit er diesen unangenehmen Geruch loswerden konnte, der an ihm haftete. Wir sprachen erst einmal über den Vorfall in der Schule, bevor ich Charles über meine Erkenntnisse informierte. Dass er jedoch wenig Interesse daran zeigte, konnte ich jedoch nicht verstehen und ich reagierte daraufhin ein wenig gereizt. „Mal ganz im Ernst: Was hilft uns dieses Wissen denn weiter? Und wenn die Leute hier ihre Seele an den Leibhaftigen gegen Bares verkauft haben, es hilft uns rein gar nichts gegen die Vogelscheuche.“ „Das weißt du doch nicht. Ich für meinen Teil bin sicher, dass Jackson etwas damit zu tun hat. Vielleicht ist sein Geist in dieses Scheißteil reingefahren und jetzt macht er Jagd auf die Sekte. Und irgendetwas hat er mit Lewis vor und deshalb müssen wir weiter nachbohren, um zu erfahren, wie wir ihn aufhalten können. Du kannst ja meinetwegen am Schreibtisch sitzen und deine Groschenromane schreiben, ich werde nicht einfach so aufgeben.“ Wütend über die Reaktion meines Mannes ging ich in die Küche und kochte mir einen Kaffee. Bei der Gelegenheit wählte ich direkt Officer Morgans Nummer und rief ihn an. Als ich ihm von meinem Verdacht erzählte, zeigte er da schon mehr Interesse und auch er hatte gute Nachrichten. Es war ihm gelungen, den Pfarrer von damals ausfindig zu machen, der es als Einziger geschafft hatte, mehr über Jackson zu erfahren. Ich war ein wenig irritiert und fragte ihn, ob nicht eigentlich Pater Maxwell der Pfarrer von damals war. „So ganz stimmt das nicht. Vor zwanzig Jahren war Pater Martin noch der für Annatown zuständige Pastor. Aber dann hat er kurz nach dem Brand sein Amt aufgegeben und lebt seitdem so zurückgezogen, dass die meisten ihn schon für tot halten. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und werde ihn vernehmen.“ „Könnte ich dabei sein?“ „Eigentlich nicht, aber da sie Opfer der Vogelscheuche sind, dürfen Sie hinter der Spiegelwand gerne mithören.“ „Danke, wann ist das Verhör?“ „Gleich in einer Stunde. Schaffen Sie es noch rechtzeitig zum Revier?“ „Ich denke schon. Danke noch mal für alles.“ Ich zog meine Jacke wieder an und bat Charles, während meiner Abwesenheit auf Lewis aufzupassen. Mit dem Taxi erreichte ich das Polizeirevier in einer Viertelstunde und wurde bereits im Eingangsbereich von Officer Morgan empfangen, der mir einen Besucherausweis aushändigte und mich in den Raum führte, von wo aus ich einen guten Blick auf den Verhörraum hatte. Da ich mich nicht gut fühlte, nahm ich auf einen der Stühle Platz und sah, wie ein Mann hereingeführt wurde, der um die Mitte fünfzig oder sechzig sein musste. Er hatte bereits keine Haare mehr und war braun gebrannt, als Zeichen dafür, dass er wohl in der Vergangenheit häufig draußen gearbeitet hatte. Um seinen Hals trug er einen Rosenkranz, sein Blick sah müde und erschöpft aus. Ab und zu fuhr er sich über seinen weißen Bart und schaute ins Leere. Er saß die ganze Zeit schweigend da und machte nicht dem Anschein, als bereite ihm das bevorstehende Verhör Sorgen. Nein, der Mann sah irgendwie teilnahmslos und abwesend aus. Als schließlich Officer Morgan den Raum betrat und sich ihm gegenübersetzte, nahm der alte Mann kurz seine Brille ab und putzte die Gläser mit einem Taschentuch. „Also gut Mr. Helmholtz, fangen wir doch erst einmal mit den persönlichen Daten an. Ihr Name ist Mathias Helmholz, 62 Jahre alt und geboren in Berlin Deutschland, richtig?“ Der alte Mann bestätigte und fügte hinzu, dass er in Berlin Kreuzberg gelebt habe, bis er im Alter von 18 Jahren in die USA ausgewandert sei. „Sie haben hier in Ohio, nachdem Sie Ihr Theologiestudium beendet hatten, als Priester in Annatown gearbeitet.“ „Das ist richtig. Eigentlich sollte ich nach Beendigung meines Studiums nach Deutschland zurückkehren, aber ich hatte mich entschieden, hierzubleiben und besitze seit dreißig Jahren amerikanische Staatsbürgerschaft.“ „Und wann genau haben Sie Ihr Priesteramt niedergelegt?“ „Das war direkt am Tag nach dem großen Brand in Annatown.“ „Und Sie kannten einen Jungen namens Jackson Cohan?“ „Ja, wahrscheinlich sogar besser als jeder andere…. Er hat mich oft in der Kirche besucht und sich mir anvertraut.“ „Können Sie uns mehr darüber erzählen?“ Der ehemalige Pfarrer atmete tief durch und rieb sich kurz die Augen, bevor er mit seiner Geschichte begann. „Jackson war bereits tot, als ich ihn kennen lernte. Zwar lebte sein Körper noch, aber er selbst war gestorben, das sah man ihm sofort an. Ich kam damals frisch von der Priesterschule und war noch jung und voller Tatendrang. Ich dachte, ich könnte irgendwie zu dem Jungen durchdringen, sein Vertrauen gewinnen und ihm helfen. Aber Jackson war mehr ein Tier als ein Mensch. Er traute niemandem, blieb lieber allein und blieb still. Ich habe alles versucht, um irgendwie an ihn ranzukommen, aber Jackson schien völlig tot zu sein. Er lachte nie, weinte auch nie oder wurde wütend. Damals spürte ich schon, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung war, dass irgendetwas Schreckliches geschehen sein musste, dass er so geworden war. Ich habe viele traumatisierte Kinder während meiner Zeit in einer Missionsstation zu tun gehabt, aber keines war wie er. Mir viel schon früh auf, dass Jackson ein äußerst gestörtes Bild von seiner Umwelt hatte und einen sadistischen Trieb hatte. Seine Zeichnungen zeugten immer wieder von Tod und Verstümmelungen, außerdem kam mir sehr früh der Verdacht, dass er seinen… Drang… an Tieren ausließ. Seine Familie wollte mir aber nicht sagen, was mit ihm war und sie schien auch kein Interesse daran zu haben, Jackson in psychologische Obhut zu schicken. Ich weiß es noch genau: Ich habe ihn an einen Mainachmittag getroffen, da hatte er ein Messer in der Hand und stach sich damit in den Handrücken. Stellen Sie sich vor: Er hat sich erschrocken, weil er geblutet hat. Er sah mich völlig verwirrt und aufgelöst an und fragte mich, warum er denn blute.“ „Das klingt danach, als hätte Jackson ernsthafte psychische Probleme gehabt.“ „Das ist noch weit untertrieben. Der Junge wusste nicht einmal, dass er ein Mensch war. Deshalb war er so entsetzt, als er sein eigenes Blut gesehen hat. Sie können mir ruhig glauben, dass ich in dem Moment genauso entsetzt war. Ich kenne ja Menschen, die sich selbst verletzen, um Schmerz empfinden zu können, weil sie emotional labil sind. Mir ist aber noch niemals ein achtjähriges Kind untergekommen, welches nicht wusste, dass es menschlich war. Jackson kam seitdem ab und zu in die Kirche, meist schwieg er nur und malte seine Bilder. Aber dann, ich weiß nicht genau, was ihn dazu bewegt hatte, wollte er mit mir reden.“ Officer Morgan sah Mr. Helmholtz verdutzt an und ließ diese Worte erst einmal auf sich wirken, bevor er fragte „Worüber hat er mit Ihnen gesprochen?“ „Meist über seine Träume und was ihm durch den Kopf ging. Da er sehr labil war, sprach er manchmal zusammenhanglos, aber was er mir erzählte, beunruhigte mich. Er gestand, dass er immer wieder den Drang verspüre, seine Tante mit einem Messer abzustechen und dass er sich immer wieder lebhaft vorstelle, wie er seine Mitschüler zerstückelt. Auch was das Töten der Tiere betraf, gestand er, dass es in ihm Glücksgefühle auslöste. Er hatte Gewaltfantasien eines gefährlichen Psychopathen, wenn Sie es so hören wollen. Und dann vertraute mir Jackson an, dass seine Tante ihn immer, wenn er das Haus verließ, in den Keller sperrte und dann an den Füßen festkettete, damit er nicht weglaufen konnte. In den Ferien verbrachte er seine Tage nur in dem dunklen Keller.“ „Und Sie haben nichts unternommen, um ihm zu helfen?“ „Natürlich war mein erster Gedanke, mit seinem gesetzlichen Vormund zu sprechen und das war nun mal Teresa Cohan. Aber die sagte mir, dass der Junge nicht krank, sondern besessen sei und er deshalb gereinigt werden solle. Damals wusste ich nur von Gerüchten her, dass Teresa und John in dieser Sekte waren. Und von der bevorstehenden Hinrichtung des Jungen erfuhr ich, als er mich von einer Telefonzelle aus anrief. Er sagte mir, er sei fortgelaufen, weil seine Tante ihn auf dem Scheiterhaufen verbrennen wolle. Ich dachte zuerst, das sei nur ein Teil von Jacksons Krankheit, aber er klang nicht danach, als würde er mir was vorlügen. Ich riet ihm, erst einmal zu mir in die Kirche zu kommen, wo ich ihn so lange dabehalten würde, bis wir eine Lösung finden könnten. Aber dazu kam es nicht. Die Polizei fing ihn unterwegs ab und brachte ihn zurück. Jackson glaubte, ich hätte ihn verraten und hintergangen und er sah mich mit einem hasserfüllten Blick an, der wirklich Angst einjagte.“ „Warum hat die Polizei ihn zurückgebracht?“ „Annatown war damals hoch verschuldet, beinahe bankrott. Die Sekte wollte unbedingt diesen Jungen haben und traf ein Abkommen mit dem Stadtrat: Sie bekommen Jackson und dafür würde die Stadt wieder florieren. Ich war fassungslos, als ich davon erfuhr und ich wandte mich an den Bischof, aber der sagte mir nur, man müsse für das Wohl vieler auch gelegentlich Opfer bringen. Das hieß also: Die Sekte bestach den Bischof und der würde nichts dergleichen unternehmen, um dem Jungen zu helfen. Die ganze Stadt stand geschlossen hinter dieser Sache. Warum sollte man auch auf so eine einmalige Gelegenheit verzichten? Es war sowieso ein psychisch kranker Junge mit Potential zum Psychopathen, den niemand auf der Welt vermissen würde. Zwar bin ich in den Wald gegangen, um Jackson vor dem Tod zu retten, aber ich kam zu spät. Der Scheiterhaufen brannte längst, als ich hinzukam und Jackson starb. Und in dem Moment, in dem er sein Leben aushauchte, erwachte ein weitaus schlimmerer Schrecken zum Leben.“ „Sie meinen die Vogelscheuche? Glauben Sie, dass Jacksons Seele in die Vogelscheuche gefahren ist?“ Der alte Mann gab ein kraftloses Lachen zurück und schüttelte den Kopf. „Ich habe mich sowieso immer gefragt, warum die Sekte ausgerechnet Jackson haben wollte. Inzwischen glaube ich, dass sie das „Dunkle“ in ihm austreiben wollten.“ „Können Sie mir das mal genauer erklären?“ „Ich glaube, dass da etwas Unmenschliches in ihm steckte. Etwas Lauerndes und Bösartiges, das da in ihn schlummerte. Und das wollten sie ihm austreiben. Die Ironie war jedoch, dass sie das Böse gar nicht ausgetrieben haben. Nein, sie haben ihm systematisch die Menschlichkeit ausgetrieben und das Böse erschaffen.“ Der ehemalige Pfarrer wurde ein wenig blass und wischte sich mit einem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn. Da er nicht mehr sagte, fragte Officer Morgan „Hat Jackson Ihnen jemals erzählt, was passiert war, bevor er zu seiner Tante kam?“ „Nicht direkt, nur zusammenhangloses Gerede. Mir fiel aber auf, dass er sofort aggressiv und gewalttätig wurde, sobald man ihn anfasste. Ich fürchtete schon, seine Eltern könnten ihn missbraucht haben aber dann sah ich, was da wirklich unter der Kleidung verborgen lag: Sein ganzer Rücken war vernarbt. Es sah aus, als hätte man ihn ausgepeitscht. Immer, wenn ich Jackson darauf ansprach, sah er mich ganz komisch an und sagte wortwörtlich „Er hasste es, wenn die kleinen Schweinchen schrieen.“ Ich erinnerte mich noch gut, als ich Jackson in der Nachmittagsbetreuung besuchen gehen wollte. Er war auf dem Schulhof und prügelte mit einem armdicken Ast auf einen Hund ein und rief immer wieder „Na los du kleines Schweinchen, schrei!“ Aber von den Kindern hat er sich die ganze Zeit herumschubsen und auslachen lassen. Mich wunderte es, warum er ausgerechnet Tiere quälen musste und nicht direkt auf Menschen losging. Aber dann wurde es mir klar: Er suchte sich instinktiv die Schwächeren und da er anderen Kindern unterlegen war, ließ er all seine Aggressionen an Tieren aus. Jackson war sehr intelligent, auch wenn man es ihm nicht ansehen mochte. Er neigte dazu, alles sehr schnell zu durchschauen und so wie ich von ihm erfuhr, hat er bis zu seinem Umzug nie eine Schule besucht oder jemals mit anderen Kindern zu tun gehabt. Auch als er bei seiner Tante lebte, besuchte er nur selten die Schule, da er oft in den Keller gesperrt wurde. Also hatte er sich selbst Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht. Aber das änderte auch nichts an der Tatsache, dass er keinerlei soziale Kompetenzen besaß und unfähig war, unter Menschen zu leben, weil er immer wieder isoliert worden war. Den meisten Kontakt hatte er nur zu seiner Familie und die war, wie Sie ja inzwischen herausgehört haben, nicht gerade das perfekte Vorbild. Es war also nur natürlich, dass Jackson so wurde, wie er war. Aber mich lässt immer noch nicht diese Szene los, wo er mich verwirrt anstarrte und fragte, warum er denn bluten würde.“ „Können Sie sich vielleicht den Grund erklären, warum er glaubte, er könne nicht bluten?“ „Jackson war nie das Gefühl vermittelt worden, dass er ein menschliches Wesen sei. Weder von seiner Familie noch von seinem Umfeld. Er war als alles Mögliche bezeichnet worden, aber nie als Mensch, deswegen hat er sich auch selbst nie für einen Menschen gehalten.“ „Was bedeuteten Vogelscheuchen für Jackson?“ Mr. Helmholtz sah Officer Morgan zunächst verwirrt an und schien zunächst die Frage nicht zu verstehen, aber dann schien er doch kapiert zu haben und erklärte „Die Vogelscheuchen waren sein Hassobjekt. Er wurde selbst immer so genannt, weil er so verwahrlost war. Für ihn waren diese Vogelscheuchen sein Fluch, außerdem konnte er sie wegen seiner „Freunde“ nicht leiden.“ „Welche Freunde?“ „Jackson hatte scheinbar gegen alles eine Abneigung oder hegte eine kühle Distanz. Lediglich zu Krähen schien er sich hingezogen zu fühlen. Ich glaube, dass er deswegen so eine besondere Verbindung zu diesen Tieren hatte, weil er sich mit ihnen in seinem Schicksal verbunden fühlte. Krähen sind die Boten des Todes, die Menschen meiden sie als Unheilbringer und vor allem sind sie keine schönen Vögel. Aber besonders, weil sie die Begleiter des Todes sind, war Jackson von ihnen fasziniert. Und der Tod war für Jackson besonders prägend. Den Jungen haben sie mehr als ein Mal umgebracht.“ Nun wurde ich hellhörig und musste an die Worte denken, die die Vogelscheuche vor Teresas brennender Leiche zurückgelassen hatte. Er war bereits tot Auch Officer Morgan erkannte sofort den Zusammenhang, fragte aber geschickterweise zuerst „Was genau meinen Sie damit?“ „Jackson war innerlich längst tot, als ich ihn kennen lernte. Im Grunde starb er drei Male. Das erste Mal war in der Zeit, von der ich nur Gerüchte her kenne, der zweite Tod erfolgte auf dem Scheiterhaufen. Der dritte geschah, als Jackson zurückkehrte.“ „Er kehrte zurück? Dann steckt er also hinter Scarecrow Jack?“ Der ehemalige Pfarrer lachte müde und schüttelte den Kopf. „Nein, das ist schon längst nicht mehr Jackson. Er war es vielleicht am Anfang. Aber als er erkannt hat, dass er nicht mehr in seinem alten Körper steckte, sondern in dieser ihm so verhassten Vogelscheuche, starb das letzte bisschen Menschlichkeit in ihm, was er noch besaß. Das, was da in dieser Vogelscheuche steckt, hat rein gar nichts mehr mit einem Menschen gemeinsam, es ist das absolute Böse, die reine Dunkelheit in Jacksons Herzen. Diese Kreatur kann man nur noch als einen Dämon beschreiben. Sie wird von einem unstillbaren Durst nach Blut, Rache und Chaos geleitet. Sie empfindet weder Liebe noch Gnade und ist allein auf ihr sadistisches Vergnügen aus. Jackson Cohan existiert gar nicht mehr sondern nur noch diese blutrünstige Bestie, die sie geweckt haben.“ „Haben Sie die Vogelscheuche schon mal selbst gesehen, wie sie umhergewandelt ist?“ „Ja, das war kurz nach Jacksons Tod, als der Waldbrand ausbrach. Ich sah auf dem Kirchengelände plötzlich eine Vogelscheuche herumkriechen, die offenbar zu laufen versuchte. Ich war so erschrocken, dass ich zunächst das Weite suchen wollte, aber dann sah sie mich an und streckte ihre Hand nach mir aus. Sie rief mir zu „Helfen Sie mir, Pater Martin!“ und ich erkannte sofort Jacksons Stimme wieder. Aber ich hatte einfach zu große Angst. Ich lief davon und konnte nicht glauben, was ich da gesehen hatte. Da hatte eine lebendige Vogelscheuche zu mir gesprochen und sie klang genau wie Jackson. Ich dachte, das sei Teufelswerk! Als ich am Abend zurückkehrte, war die Vogelscheuche allerdings wieder verschwunden und knapp sechzehn Jahre habe ich nichts von ihr gehört. Erst vor vier Jahren habe ich sie gesehen, wie sie sich auf dem Friedhof herumtrieb und die Holzkreuze zerstörte. Ich eilte hin und rief „Jackson, bist du es?“ Doch der Blick, den mir die Vogelscheuche zuwarf, war nicht mehr der eines Menschen. Sie grinste mich breit an und lachte, während sie eine ihrer Klingen in die Brust stieß. Dann rief sie mir zu „Sehen Sie Pater, jetzt blute ich nicht mehr. In mir drin ist nur noch Ungeziefer und es zerfrisst meinen Körper und meinen Verstand.“ Es war nicht mehr Jacksons Stimme, die da zu mir sprach und ich merkte auch, dass ein furchtbarer Pesthauch von dieser Kreatur ausging. Sie stank wie eine verwesende Leiche und was aus ihr herausströmte, war pure Bosheit und Ungeziefer. Da erkannte ich, dass Jackson endgültig fort war. Ich zog mich daraufhin vollständig zurück mit dem Entschluss, das Unvermeidbare zu akzeptieren und mich auf mein bevorstehendes Ende vorzubereiten, wenn Scarecrow Jack erst einmal die restlichen Sektenmitglieder getötet hat. Wir alle müssen für unsere Fehler bezahlen. Sie dachten, sie würden einen Jungen von einem Monster befreien, aber im Grunde waren sie es, die dieses Monster erschaffen haben. Und nun sollen sie zusehen, wie sie ihr Monster in den Griff bekommen.“ Mr. Helmholtz nahm ein Schluck aus dem Wasserglas, welches man ihm anbot und sah sogleich ein klein wenig besser aus. „Dass er ausgerechnet im Körper einer Vogelscheuche wiedererwachen musste, hat ihm letzten Endes den Rest gegeben. Er war das geworden, als welches ihn die Menschen immer beschimpft hatten. Die Kinder in der Schule haben ihn immer verspottet und ihn Scarecrow Jack genannt und ihn mit einer Vogelscheuche verglichen. Und dann musste er auch noch in solch einem Körper erwachen. Das war einfach zu viel für ihn.“ „Haben Sie eine Ahnung, wie wir Scarecrow Jack aufhalten können?“ „Nichts kann ihn aufhalten, weil nichts ihn umbringen kann. Ihre lächerlichen Schusswaffen bringen rein gar nichts und er wird auch niemals damit aufhören, Leute zu töten. Er wird niemals zufrieden sein, niemals müde und niemals satt werden, denn in ihm herrscht nur noch eine gewaltige Leere, die er zu füllen versucht. Was glauben Sie wohl, warum dieses Ungeziefer in ihm haust? Weil er etwas Lebendiges in sich haben wollte. So ist das! Er wird von einer unstillbaren Gier getrieben, die Gier nach Leben. Scarecrow Jack kennt keine Sehnsucht und keine Wünsche, es ist die rein selbstsüchtige und egoistische Gier danach, sein verdorbenes Inneres mit etwas Menschlichem zu füllen, deshalb hat er auch solch ein sadistisches Vergnügen darin, seine Opfer zu quälen und zu töten. Seine Gier ist wie eine Sucht. Menschen versuchen durch Süchte, alles Negative um sich herum zu verdrängen und stattdessen in eine euphorische Traumwelt zu fliehen, die nur so lange Bestand hat, wie sie an ihrem Stoff hängen. Und Jacks Sucht ist das Abschlachten von Leuten, weil genau dieses perverse und sadistische Vergnügen das Einzig Menschliche ist, was ihm geblieben ist!“ Mr. Helmholtz war mit jedem Satz immer wütender geworden und war schließlich aufgestanden und hatte diese letzten Worte in Officer Morgans Gesicht gebrüllt. Mir wurde auf der anderen Seite des Sicherheitsglases schlecht und ich musste schnell raus. Es war also doch so, wie ich vermutet hatte. Jackson Cohan war Scarecrow Jack. Sein Geist war in diese unheimliche Vogelscheuche gefahren, mit der er immer wieder verglichen worden war und das hatte ihn zum Monster gemacht, das er jetzt war. Wir hatten es mit einem rachsüchtigen Geist im Körper einer Vogelscheuche zu tun, der ein unstillbares Verlangen nach Mord und Folter hatte. Und er würde niemals aufhören, selbst wenn er all seine ehemaligen Peiniger umgebracht hatte…. Noch nie habe ich mich so hilflos gefühlt wie in diesem Moment und langsam begann ich mit dem Gedanken zu spielen, dass wir das Ganze vielleicht nicht überleben würde. Nach dem Verhör blieb ich noch eine Weile sitzen und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Mir schossen so viele Fragen und Gedanken durch den Kopf und auch die Angst vor dem, was uns bevorstünde, wenn wir Jackson nicht aufhielten. Doch dann kam mir eine Idee: Ich wollte Mr. Helmholtz persönlich sprechen. Sofort verließ ich das Gebäude und sah noch, wie der Ex-Pfarrer um die Ecke bog. „Warten Sie!“ rief ich und begann zu rennen. „Mr. Helmholtz!“ Doch dann hörte ich plötzlich ein lautes Schreien und als ich nach links abbog, sah ich Scarecrow Jack über den Leichnam des alten Mannes gebeugt. Seine Klingenhände waren blutig, an ihnen hingen Fleischfetzen und einige Organe waren an den langen Messern aufgespießt. Und während er das tat, sang er mit einem breiten Grinsen „Here’s the little piggy, See his snout Slit him open And guts fall out” Ich versuchte, nicht zu schreien und wich langsam zurück. Doch die Vogelscheuche hatte mich längst bemerkt. Langsam erhob sie sich und starrte mich mit diesen leuchtenden, bösartigen gelben Augen an. Dann öffnete sie ihren Mund und fragte mich mit einer unmenschlich klingenden Stimme „Na? Gefällt es dir, was ich mit dem kleinen Schweinchen gemacht habe? Jetzt schreit es nicht mehr so laut herum. Ich werde alle kleinen Schweinchen zum Schreien bringen…“ Ich wich zurück und versuchte, nicht panisch zu werden, da ich sonst einen weiteren Asthmaanfall befürchten musste. Doch schon schnürte sich mir wieder die Brust zu und ich bekam keine Luft mehr. Schnell griff ich in meine Handtasche, während ich weiter vor der Vogelscheuche zurückwich, die einfach da stehen blieb und mich beobachtete. Ich nahm einen kräftigen Zug und spürte, wie wieder Luft in meine Lunge kam. Einen Moment lang sah mich Scarecrow Jack mit einem etwas merkwürdigen Blick an, der gar nicht zu ihm passen wollte und dann fragte er „Na? Kriegst du wieder Luft?“ Ich antwortete nicht, sondern drehte mich um und rannte davon. Die Polizei war schon längst im Anmarsch und die fünf Polizisten hatten bereits ihre Waffen gezogen. Scarecrow Jack lachte nur und sagte „An eurer Stelle wäre ich nicht so dumm!“ „Nein! Nicht!!!“ rief ich noch, aber da machte die Vogelscheuche einen Satz nach vorne und es wurde geschossen. Doch sämtliche Schüsse gingen durch ihn hindurch und aus den Löchern kroch nur Ungeziefer und ein wenig grünschwärzlicher Schleim. Manisch lachend hob Jackson einen Arm und schlug seine Klingenhände in die Brust eines Polizisten. Blut schoss wie eine Fontäne aus dem Körper und ein weiterer Hieb schlug dem tödlich Verletzten einen Arm ab. Einen fliehenden Polizisten bekam Jackson am Kopf zu fassen. Er legte seine Krallen um ihn und riss tiefe Wunden, dann stach er ihm die Augen aus, bevor er ihm die Kehle zerfetzte. Das, was sich da vor meinen Augen abspielte, war ein einziges, blutiges Massaker. Jeder Versuch, Jackson anzugreifen oder vor ihm zu fliehen, endete sofort mit dem Tod. Gegen diesen Gegner konnte man einfach nicht gewinnen. Und während ich dieses schreckliche Blutbad mit ansah, stellte sich mir immer und immer wieder die gleiche Frage: Warum ließ er mich am Leben? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)