Meine Creepypastas von Sky- (Paranormale (Horror) Geschichten) ================================================================================ Cry the Slasher Teil 2: Change in the Mind ------------------------------------------ Ryan sah um einiges fitter aus, als Kian ihn vom Krankenhaus abholte und grüßte ihn gut gelaunt. Ihm entging nicht, dass sein älterer Bruder froh war, ihn bei besserer Laune vorzufinden und so erkundigte er sich natürlich nach dessen Befinden, nachdem er selbst versichert hatte, dass er Bäume ausreißen könne. Da Kian seine Stimmung nicht gleich wieder mit der Geschichte mit Roary vermiesen wollte, verschwieg er ihm das erst einmal und erklärte, dass nur der übliche Kram passiert sei, sonst nichts. Doch als Ryan die Süßigkeiten bemerkte, die Kian bei sich trug, war er ein wenig verwundert und fragte „Was willst du mit dem Süßkram?“ Kian, der gerade mit einem Lolli zugange war, zuckte mit den Schultern und antwortete „Na was wohl? Essen!“ „Aber normalerweise stehst du doch gar nicht auf so was.“ „Ich hatte halt Lust darauf!“ Er verstand wohl irgendwie nicht, worin eigentlich Ryans Problem bestand und bot ihm etwas an. Dieser nahm sich eine Lakritzstange und gemeinsam gingen sie zur Bushaltestelle, während Kian die Sachen seines Bruders trug. Sie unterhielten sich über alles Mögliche und die Stimmung war ausgelassen. Nach einer Weile fragte der jüngere Zwilling dann aber „Sag mal Bruderherz, musst du nicht eigentlich heute zur Schule?“ Kian merkte, dass er sich nicht vor der Antwort drücken konnte und sagte „Ich wurde für die Woche vom Unterricht suspendiert, weil es Stress zwischen mir und Roary gab.“ „Wieso wurdest du suspendiert? Was hast du denn angestellt?“ „Ich hab ihm offenbar eine Schere in den Handrücken gestoßen. Allerdings bin ich kurz darauf bewusstlos geworden und kann mich nicht erinnern, was passiert ist.“ Ryan blieb stehen, als er das hörte und sah seinen Bruder fassungslos an. „Du hast WAS getan?“ Nun blieb auch Kian stehen und wunderte sich ein wenig über die Reaktion. Sein Bruder wusste doch, dass Roary es auf ihn abgesehen hatte und ein brutaler Schläger war. „Kian, wieso machst du so etwas? Okay, wir wissen beide, dass Roary ein Arsch ist, aber so etwas sieht dir doch nicht ähnlich!“ „Ich hatte tierische Kopfschmerzen und er hat mich schon vorher auf dem Weg zur Schule genug zusammengestaucht. Bei mir ist wohl einfach eine Sicherung durchgebrannt. Und außerdem hat er mal eine Abreibung verdient, findest du nicht? Ich will jetzt auch nicht weiter darüber reden!“ Ryan sah ihn mit gemischten Gefühlen an und verstand nicht, was mit seinem älteren Bruder bloß los war. Irgendwie wirkte er aggressiver und abweisender als sonst. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Nachdem sie zuhause waren, bestellten sie sich etwas vom Lieferservice und wollten gerade ins Wohnzimmer und den Fernseher anschalten, da kam Eddie herein. Ihr gemeinsamer Stiefvater war ein bärtiger, sonnengebräunter und kräftiger Mann, von dem man schon vom Gesicht ablesen konnte, dass man sich mit ihm besser nicht abgeben sollte. Seine Fahne war deutlich zu riechen und sofort spannte sich jeder Muskel in Kians Körper an. Im betrunkenen Zustand war Eddie gefährlich und es war besser, sich nicht mit ihm anzulegen, das wusste auch Kian. Er wollte einer Konfrontation lieber aus dem Weg gehen, insbesondere weil Ryan hier war und vielleicht wieder einen Anfall erleiden könnte. „Was glotzt’n so blöde?“ fragte der Alkoholiker mit lallender Stimme und verzog das Gesicht, als er Kian ansah. „Willste wieder eine aufs Maul haben, oder was? Das kannste gern haben!“ Kian sagte nichts, doch er machte sich bereit, sich vor Ryan zu stellen und ihn zu schützen, sollte die Situation eskalieren. In dem Moment aber spürte er ein pulsierendes Hämmern und Stechen in seinem Kopf und vor seinen Augen begann alles zu flimmern. Farben tanzten und verschwammen und ihm wurde schlecht, als müsste er sich gleich übergeben. Na los doch! Beende es! Schlag ihm mit dem Hackbeil den Schädel ein! Der Schmerz wurde intensiver, doch im selben Moment strömte eine unglaubliche Energie durch seinen Körper und er spürte es nun mehr als deutlich. Dieses Verlangen… er spürte es mit jeder Faser und alles in seinem Körper schrie danach, es zu tun… es zu beenden. Dieser elende Dreckskerl soll krepieren. In Kian wuchs der Drang, es endlich zu beenden und ihm mit dem Hackbeil den Schädel zu spalten und ihn zu töten. Doch als er Ryans Berührung an seinem Arm spürte, da wurde er aus diesen Gedanken gerissen und sah sich verwirrt um. Was war da gerade noch mal gewesen? Hatte er nicht irgendetwas vorgehabt? Der stechende Schmerz in seinem Kopf war urplötzlich wieder gewichen und mit ihm auch die Übelkeit. Aber was war da gerade nur mit ihm los gewesen und was hatte er noch eben gedacht? Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern und war sichtlich verwirrt. „Entschuldige Eddie, wir wollen keinen Ärger. Wenn du willst, können wir gerne das Wohnzimmer verlassen“, sagte Ryan hastig und stand auf, wobei er Kian ebenfalls vom Sofa zog. „Ist besser so für euch, oder ihr zwei Klone kriegt ein paar aufs Maul!“ Damit zog er seinen älteren Bruder mit sich ging mit ihm in Richtung Tür, um schnellstmöglich mit ihm das Wohnzimmer zu verlassen, doch da packte Eddie ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Wand. Mit einem tödlichen Funkeln in den Augen erhob er die Faust und knurrte „Und du glotzt mich nie wieder so an, oder ich bring erst deinen Bruder und dann dich um!“ Es war offensichtlich, dass er Ryan in diesem Zustand eindeutig mit seinem Bruder verwechselte. Und darum war es nur vorauszusehen, dass es gleich Prügel setzte… Das war zu viel für Kian. Er selbst konnte ja viel wegstecken, aber niemand wagte es in seiner Gegenwart, seinem Bruder auch nur ein Haar zu krümmen. In dem Moment vergaß er sich komplett und drehte durch. „Nimm deine dreckigen Pfoten von meinem Bruder!“ schrie er und warf sich auf Eddie. Dieser ließ Ryan los, der zuerst nicht wirklich begriff, was da gerade passierte, dann aber sah, dass der sonst so höfliche und unauffällige Kian wie von Sinnen auf Eddie einzuprügeln begann und ihn mit einem solchen Blick ansah, der ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Kian war bereit, ihn umzubringen. In diesem Moment hatte er zum ersten Mal Angst vor ihm. Das war doch gar nicht der geduldige, freundliche und fürsorgliche Kian, den er kannte. Er schien in diesem Moment ein völlig anderer Mensch zu sein. Ryan wurde klar, dass er etwas unternehmen musste, wenn er nicht zulassen wollte, dass der Streit weiter eskalierte. Aber er musste selbst aufpassen, dass er sich nicht zu sehr aufregte. Wenn wieder die Schmerzen in seiner Brust eintraten, musste er schnellstmöglich zur Ruhe kommen, um keinen weiteren Anfall zu riskieren. „Kian, hör auf!“ rief er und versuchte, seinen wie wild gewordenen Bruder von seinem Stiefvater herunterzuziehen, doch dieser stieß ihn einfach weg und die kurze Ablenkung reichte dem betrunkenen Arbeitslosen, um ihm einen Schlag ins Gesicht zu geben. Eddie war ein kräftiger Mann und seine Schläge konnten wirklich verheerend sein, doch Kian steckte den Schlag einfach weg, als hätte er rein gar nichts gespürt. Stattdessen begann er breit zu grinsen und sah ihn mit einem wahnsinnigen Funkeln an. „Das zahl ich dir heim, du elendes Stück Scheiße. Es wird Zeit, es endlich zu beenden!“ Damit stürzte er sich wieder auf ihn und dabei er Kian eine Kraft ein, die man ihm gar nicht zugetraut hätte. Er konnte seinem Stiefvater tatsächlich die Stirn bieten und ihn dann mit einer schweren und massiven Figur auf den Kopf schlagen, woraufhin Eddie das Bewusstsein verlor und zu Boden fiel. Doch anstatt, dass Kian sich endlich beruhigte und wieder zur Vernunft kam, hob er die Figur erneut, um wieder zuzuschlagen. Offenbar wollte er Eddie den Schädel einschlagen! Ryan überkam Panik, als ihm klar wurde, dass sein Bruder völlig außer Kontrolle geraten war und überrumpelte ihn von hinten, um ihn festzuhalten. „Kian, hör auf! Was tust du da? Du bringst ihn noch um! Bitte Bruderherz, du machst mir Angst!“ In dem Moment schien wieder Vernunft in den älteren Zwillingsbruder zurückzukehren. Er ließ die Figur sinken und sein Körper entspannte sich. Langsam beruhigte er sich wieder. Doch kaum, dass Ryan von ihm abließ, brach Kian bewusstlos zusammen. Es dauerte knapp eine halbe Stunde, bis er endlich wieder zu sich kam. Um zu verhindern, dass er gleich wieder auf Eddie losgehen würde, hatte Ryan seinen Bruder ins Zimmer gebracht und gewartet, bis er wieder aufwachte. „Kian? Geht es dir gut?“ Er bekam nicht sofort eine Antwort, da sich sein Bruder eine Hand gegen die Stirn presste und das Gesicht vor Schmerz verzerrte. Ganz offensichtlich hatte er starke Kopfschmerzen. „Warte“, sagte Ryan und stand auf. „Ich hol dir die Ibus.“ „Meine Medikamente…“, murmelte Kian benommen und setzte sich auf. Ryan holte aus dem Schrank seines Bruders die Ibuprofentabletten, die er bei sich hatte, da er in der letzten Zeit immer häufiger Kopfschmerzen hatte. Fragend wandte sich der jüngere Zwilling zu ihm um. „Hast du sie etwa nicht genommen?“ „Doch, sogar die doppelte Dosis. Aber… ich glaube, sie wirken nicht mehr. Irgendwie hab ich vorhin die Beherrschung verloren.“ Ryan dachte zurück und erinnerte sich wieder an den vor Wahnsinn stechenden Glanz in den Augen seines Bruders. Wieder erschauderte er und bekam Angst. Ob es wirklich nur die Medikamente gewesen waren? Oder war Kian einfach nur durchgedreht, weil es endgültig zu viel für ihn gewesen war? „Verdammt“, murmelte der Benommene und blinzelte. „Was genau ist eigentlich passiert? Ich weiß nur, dass ich total sauer geworden bin, weil Eddie dich gegen die Wand gedrückt hat, aber irgendwie habe ich den totalen Filmriss.“ Ryan schwieg und holte sowohl die Ibuprofentabletten, als auch die Medikamente seines Bruders und reichte sie ihm zusammen mit einer Wasserflasche. Er beobachtete ihn und versuchte festzustellen, ob er wirklich wieder normal war, oder ob da immer noch dieses andere Ich in ihm war. Aber so wie sich Kian verhielt, schien er wieder normal zu sein. Ryan setzte sich auf einen Stuhl und sah ihn ernst an. „Du bist komplett durchgedreht und hast Eddie mit der Eisenfigur K.O. gehauen. Und du hättest ihm noch den Schädel eingeschlagen, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre. Dann bist du einfach umgekippt und ohnmächtig geworden.“ Kian ließ die Wasserflasche sinken und sah genauso fassungslos aus wie Ryan, als dieser die Szene selbst erlebt hatte. Sein jüngerer Bruder atmete tief durch und faltete die Hände wie zum Gebet. „Du solltest wirklich noch mal mit Dr. Marshall reden. Du brauchst Hilfe und zwar dringend. Seit Wochen hast du diese Kopfschmerzen und jetzt ist es sogar schon so weit gekommen, dass du durchdrehst und auf andere losgehst. Das ist doch nicht mehr normal!“ „Verdammt noch mal, ich hab langsam wirklich die Schnauze voll, dass alle mich zum Doktor schicken wollen weil sie meinen, ich sei krank!“ „Du bist krank, Kian! Merkst du das denn nicht?“ Ryan spürte ein leichtes Stechen in der Brust und versuchte sogleich, sich wieder zu beruhigen. Das ist nicht gut… Er durfte jetzt bloß nicht noch einen Anfall erleiden, wo er doch gerade erst aus dem Krankenhaus zurück war. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Sein älterer Bruder sah, was mit ihm los war und beruhigte sich sofort wieder, wobei er niedergeschlagen den Kopf sinken ließ. „Tut mir Leid, dass du das alles mit ansehen musstest. Ich kann es selber nicht wirklich begreifen, warum das so passiert. Irgendwie wird alles immer seltsamer, seit Eddie das letzte Mal über mich hergefallen ist. Zuerst das mit Roary und dann das mit dem Hackbeil.“ Ein Schreck durchfuhr Ryan, als er von dem Hackbeil hörte und fragte „Was hast du mit dem Hackbeil gemacht?“ Unsicher zuckte Kian mit den Schultern und erklärte „Ich habe es heute morgen unter dem Bett gefunden. Außerdem waren meine Handschuhe tropfnass und meine Schuhe dreckig. Aber… ich kann mir nicht erklären, was das zu bedeuten hat. Ich kann mich an rein gar nichts erinnern. Weder an den Angriff auf Roary, noch an den auf Eddie, oder wie dieses Hackbeil unter mein Bett gekommen ist.“ Aufmunternd legte der jüngere Zwilling ihm einen Arm um die Schulter und sah ihn sehr ernst und eindringlich an. „Kian, so kann das nicht weitergehen. Ich kann doch nicht mit ansehen, wie du dich hier aufopferst für mich, damit ich keinen Anfall bekomme und dann noch selbst krank wirst. Bitte versprich mir, dass du zum Arzt gehst und dich untersuchen lässt.“ Kian nickte und versprach es. Das war schon eine Erleichterung für Ryan und so gab er sich fürs Erste zufrieden. Schließlich traf der Lieferservice ein und brachte die Pizzen. Sie setzten sich auf dem Boden, wie sie es oft taten, wenn sie zusammen aßen und lieber im Zimmer blieben, um Eddie nicht über den Weg zu laufen. Doch die Stimmung war gedämpft und Kian entging nicht, dass sich sein Bruder ihm gegenüber distanziert verhielt. Er zögerte jedoch, den Grund zu erfragen, weil er sich ein Stück weit auch vor der Antwort fürchtete. Doch dann stellte er sie endlich und sah, wie bedrückt Ryan eigentlich war. „Du… du hast mir echt Angst eingejagt, Kian. Ich meine, du sahst echt aus, als wolltest du ihn umbringen und du warst ein komplett anderer Mensch. Ich hab dich gar nicht mehr wiedererkannt!“ Dass er tatsächlich Angst vor ihm gehabt hatte, war ein schwerer Schlag für Kian. Sie beide hatten schon immer wie Pech und Schwefel zusammengehalten und waren unzertrennlich. Selbst im Teenageralter konnte nichts und niemand sie auseinanderbringen. Doch dass dieses Ereignis ihr enges Band zertrennen könnte, machte ihm schwer zu schaffen. „Tut mir Leid, Ryan. Das wird nie wieder vorkommen. Ich ruf gleich mal Dr. Marshall an. Vielleicht brauche ich wirklich einfach nur andere Medikamente.“ Gleich am nächsten Tag hatte Kian seinen Termin beim Psychologen, nachdem er den Fall geschildert und erklärt hatte, was passiert war. Auch Dr. Marshall war sehr besorgt darüber und machte kurzfristig einen Termin aus, um mit ihm zu sprechen. Das Ergebnis war für Kian niederschmetternd. Seine Symptome hatten sich drastisch verschlechtert und deshalb musste er stärkere Mittel nehmen, um seine Gefühlsausbrüche unter Kontrolle zu halten. Aber was die Kopfschmerzen betraf, so riet der Psychologe ihm, sich im Krankenhaus einen Termin geben zu lassen. „Starke Kopfschmerzen, die in Phasen auftreten und mit Übelkeit, Halluzinationen und Taubheitsgefühl verbunden sind, sind meist Symptome für einen Hirntumor.“ Kian entwich sämtliche Gesichtsfarbe, als er das hörte und sein Magen verkrampfte sich. „Ein… ein Hirntumor?“ Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie es seiner Mutter ergangen war. Sie war an einem Hirntumor verstorben, da er zu spät entdeckt und entfernt worden war. Und nun ereilte ihn dasselbe Schicksal? Das konnte doch nicht sein. „Können diese Filmrisse auch daher kommen?“ Doch Dr. Marshall hielt sich mit seinem Urteil zurück und erklärte „Ich bin kein Hirnspezialist, aber es treten Fälle auf, in denen es bei Betroffenen zu Wahrnehmungsverzerrungen kommen kann und Symptome von paranoider Schizophrenie oder Persönlichkeitsveränderungen sind auch schon beobachtet worden. Und Gedächtnisstörungen könnten auch auftreten, aber ich will mir lieber kein Urteil bilden, weil ich kein Arzt bin. Ich kann dir aber gerne die Nummer einer Neurochirurgin geben. Ihr Name ist Dr. Hadaly Hammingway und sie ist Spezialistin auf diesem Gebiet.“ Damit gab Dr. Marshall ihm eine Visitenkarte der Chirurgin und verschrieb ihm zusätzlich noch neue Medikamente. „Sollte Dr. Hammingway einen Tumor diagnostizieren, müssen wir noch mal einen Termin ausmachen. Wenn deine Gefühlsausbrüche durch einen Tumor verursacht werden, ist es nicht ratsam, diese Medikamente weiterhin zu nehmen. Dann muss der Tumor schnellstmöglich entfernt werden.“ Kian nickte niedergeschlagen, erhob sich und bedankte sich bei seinem Therapeuten für die Hilfe. Ein Hirntumor? Er hatte tatsächlich genauso wie seine Mutter einen Hirntumor? Das war ein absoluter Alptraum, wenn das wirklich stimmte. Was, wenn er genauso sterben würde wie seine Mutter und Ryan damit ganz alleine war? Wie sollte er sich gegen Eddie zur Wehr setzen? Er würde doch nur wieder im Krankenhaus landen, wenn seine Lunge wieder kollabierte… oder schlimmstenfalls in der Leichenhalle. Was sollte er nur tun? Irgendwie schien das alles nur noch schlimmer zu werden. Wann hörte das denn endlich auf und wann konnte er endlich seine Ruhe vor dieser ganzen Scheiße haben? Den Tränen nahe setzte sich Kian auf eine Bank und hörte in seinem Hinterkopf immer wieder die Worte von Dr. Marshall. Ein Hirntumor… er hatte höchstwahrscheinlich einen Hirntumor! Und dieser war dafür verantwortlich, dass er derartig aggressiv und gewalttätig wurde, wenn diese Kopfschmerzen auftraten? Wie sollte er das bloß Ryan beibringen? Sie hatten beide ja schon ihre Mutter durch einen Hirntumor verloren und jetzt ereilte seinem großen Bruder dasselbe Schicksal. „Hey du Arschloch!“ Kian war so neben der Spur, dass er gar nicht merkte, dass Roary zu ihm kam. Seine verletzte Hand war bandagiert worden und er sah richtig sauer aus. Erst als er am Kragen gepackt und hochgezerrt wurde, bemerkte Kian seinen Peiniger. „Wir zwei haben noch eine Rechnung offen, schon vergessen? Du hast mir die verdammte Schere in die Hand gerammt und das werde ich dir heimzahlen!!“ Wieder dieses Dröhnen in seinem Kopf. Der Schmerz wurde zu einem Pulsieren und erneut begannen seine Augen zu flimmern. Seine Fingerspitzen kribbelten und verloren jegliches Gefühl, alles um Kian herum schien wie durch Watte gefiltert zu werden, selbst sein körperliches Empfinden. So spürte er kaum etwas, als die Schläge und Tritte folgen, die Roary ihm verpasste. Er schlug ihm in die Magengrube und ins Gesicht und als Kian zu Boden fiel, begann er auf ihn einzutreten. Regungslos lag der 16-jährige am Boden und wunderte sich selbst, wieso es nicht mehr so sehr wehtat wie sonst. Und gleichzeitig fragte er sich, wann es wohl vorbei sein würde. Entweder, wenn er endlich tot war, oder wenn Roary verreckte. Egal ob er sich zur Wehr setzte oder nicht, es würde doch sowieso rein gar nichts ändern. Sie würden ihn herumschubsen und zusammenschlagen, weil es ihnen Spaß bereitete. Und während er versuchte, seinen Kopf vor den Tritten zu schützen, wurde das Dröhnen in seinem Kopf stärker. Na los… tu es endlich… Wie lange willst du denn noch warten? Entweder du… oder er! Also mach schon und beende es!!! Das Letzte, was Kian spürte, war ein heftiger Tritt gegen seinen Kopf, dann verlor er endgültig das Bewusstsein. Doch bevor die Welt für ihn in eine pechschwarze Dunkelheit getaucht wurde, fasste er einen Entschluss. Genug war genug. Es war an der Zeit, es endlich zu beenden. Wenn er es nicht tat, dann würde jemand anderes es tun und das bedeutete unweigerlich seinen Tod. Sie würden erst aufhören, wenn er tot auf dem Boden lag. Entweder, weil sie ihn umgebracht hatten, oder weil er sich selbst für den schnellen Ausweg entschieden hatte. Er hatte genug davon, immer nur alles hinzunehmen und still in sich hineinzuweinen. Weinen und Jammern würde nichts an seiner Lage ändern, das wusste er jetzt. Und in diesem Moment übermannte ihn der brennende Hass… Ich hasse dieses Leben… ich… ich will dieses Leben nicht mehr! ICH WILL ENDLICH, DASS ES AUFHÖRT!!! Ryan wachte irgendwann gegen zehn Uhr auf und wunderte sich, dass er einfach so eingeschlafen war. Müde rieb er sich die Augen und ging zu Kians Zimmer um zu sehen, ob er inzwischen schon wieder da war. Doch seltsamerweise war sein Bett unbenutzt und es sah auch nicht so aus, als wäre er überhaupt zurückgekommen. So langsam machte er sich schon Sorgen. Vielleicht war Kian etwas passiert. Womöglich war er wieder mit einem der Schulschläger zusammengeraten und steckte in Schwierigkeiten. Schnell holte er sein Handy heraus und wählte die Nummer seines älteren Zwillingsbruders. Es dauerte eine Weile, dann hörte er es klingeln. Aber es kam nicht aus dem Zimmer, sondern von irgendwo anders her. Zugleich hörte Ryan schwere Schritte und diese klangen nicht nach denen seines Bruders oder von Eddie. Ob das ein Einbrecher war? Die Tür ging auf und zuerst bekam Ryan einen gewaltigen Schreck, dann aber sah er, dass es Kian war. Er trug seinen Mantel und die Handschuhe, hatte außerdem einen Rucksack bei sich, aus welchem der Griff des Hackbeils hervorschaute. Mit einem fremdartigen Blick sah er seinen Bruder an und sagte erst nichts, dann aber schaute er ihn mit einem finsteren Funkeln an. „Was suchst du in meinem Zimmer?“ „Ich… ich hab nur nachgeschaut, ob du im Bett liegst. Aber sag mal, wo warst du denn und… was hast du mit dem Hackbeil gemacht?“ „Nichts“, antwortete Kian in einer ebenso fremdartigen Stimme und grinste. Wenn sie beide sich nicht zum Verwechseln ähnlich wären und Ryan nicht hundertprozentig wüsste, dass das wirklich Kian war, hätte er ihn für einen Fremden gehalten. Er bewegte sich ganz anders und sprach auch nicht wie sein Bruder. Und dieser Blick… er jagte ihm wirklich Angst ein. Es war ein hasserfüllter, wahnsinniger Blick, der nichts Gutes verriet. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit ihm. „Ich musste nur ein paar Dinge zu Ende bringen. Das ist alles.“ Ryan wich instinktiv vor ihm zurück und wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Doch das schien seinem Bruder nicht sonderlich zu gefallen. „Was glotzt du so entsetzt? Hast du etwa Schiss vor deinem eigenen Bruder?“ „Kian, was ist los mit dir und wieso verhältst du dich so komisch? Sag mir bitte, was du mit dem Hackbeil gemacht hast!“ „Du willst es wirklich wissen?“ Das Grinsen wurde noch breiter und erinnerte an eine wahnsinnige Fratze. Ryan gab keine Antwort und sah seinen älteren Zwilling angsterfüllt an. Was hatte dieser vor und was war mit ihm passiert? Das war doch nie und nimmer Kian! Er beobachtete, wie sein älterer Bruder das Hackbeil aus dem Rucksack holte und es in die Hand nahm, als wolle er damit zuschlagen. An der Klinge klebte Blut. Nun bekam Ryan wirklich Angst und wich weiter zurück, wobei er gegen die Wand prallte. Er bekam einen Hustanfall und spürte, wie sich seine Brust schmerzhaft verkrampfte. Oh Gott, nicht schon wieder ein Anfall. Doch nicht jetzt in dieser Situation. „Kian, hör bitte damit auf! Du machst mir Angst!!!“ „Aber wieso denn? Ich bin doch dein Bruder, schon vergessen? Wir zwei waren doch schon immer ein Herz und eine Seele. Da brauchst du doch keine Angst vor mir zu haben.“ Doch da wurde auch schon die blutverschmierte Klinge des Hackbeils gegen seinen Hals gedrückt. Das da war nie und nimmer Kian. „Wer… oder was bist du?“ brachte er hervor und musste wieder husten. Es wurde immer schlimmer und steigerte sich zu einem krampfhaften Würgen und Röcheln. Ryan versuchte, sich zu beruhigen und zu verhindern, dass seine Lunge wieder kollabierte. Warum nur tat Kian das und was war mit ihm passiert, dass er sich so verändert hatte? „Geh ins Bett…“ Das waren Kians einzigen Worte, bevor er die Waffe wieder sinken ließ und sich auf den Weg ins Bad machte, um das Blut abzuwaschen. Doch Ryan wollte es wissen und rief „Was ist los mit dir? Bist du überhaupt noch Kian?“ Es kam keine Antwort. Kian begann das Blut von der Klinge zu waschen und wusch gleich im Anschluss seine Handschuhe. Dann holte er aus dem kleinen Schränkchen das Medikamentendöschen und nahm gleich zwei Tabletten und zwei Ibuprofentabletten. „Geh ins Bett“, wiederholte er und sah Ryan mit einem durchdringenden und kalten Blick an. „Sofort!“ Aus Angst, dass er gleich auch noch angegriffen werden könnte, eilte Ryan in sein Zimmer und schloss die Tür ab. Noch nie hatte er die Tür abgeschlossen, selbst dann nicht, wenn Eddie wieder laut wurde und Kian zusammenschlug. Aber jetzt hatte er einfach nur Angst vor seinem Bruder. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm und er musste unbedingt morgen mit Dr. Marshall telefonieren. Das waren doch nicht bloß Kians übliche Symptome, wenn er seine Medikamente nicht nahm. Er verhielt sich mit einem Male wie eine komplett andere Person! So etwas hatte er noch nie an seinem Bruder beobachten können. Am nächsten Morgen, als Kian aufstand und in die Küche ging, saß dort bereits Kian mit einem Glas Orangensaft und kritzelte in einem Magazin herum. Ryan blieb in der Tür stehen, als er seinen Bruder sah und fragte sich, ob dieser wieder normal war und ob er das alles wieder vergessen hatte. Kian hob den Kopf und sah ihn wieder mit diesem fremden Blick an. „Guten Morgen“, grüßte er beiläufig und malte weiter in dem Magazin herum. Ryan war nervös und hatte immer noch Angst. „Du Kian, wegen gestern…“ Er kam nicht dazu, weiterzureden, da klingelte es an der Tür. Da Eddie keinerlei Anstalten machte, nachzusehen, ging Ryan hin und erstarrte, als er zwei Polizeibeamte da stehen sah. „Entschuldige bitte, aber bist du Kian McKee?“ „Nein, ich bin sein jüngerer Zwillingsbruder. Worum geht es?“ „Wir hätten da ein paar Fragen. Gestern Nacht wurde die Familie Killigan ermordet. Roary Killigan ging doch auf eure Schule, nicht wahr? Soweit wir gehört haben, hat er einen von euch schikaniert.“ Also doch, dachte Ryan und hatte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Kian hatte Roary und seine Familie getötet. Doch Ryan konnte das nicht glauben, er wollte es auch nicht glauben! Sein Bruder war kein Mörder! Sein Mund fühlte sich auf einmal so trocken an und ihm wurde schlecht. „Das stimmt schon, aber Roary hatte an der ganzen Schule Feinde, weil er sich mit jedem angelegt hat. Aber Kian kann das gestern gar nicht gewesen sein. Er war auch gestern die ganze Nacht bei mir zuhause und unser Stiefvater war auch da.“ „Können wir kurz mit deinem Bruder reden?“ „Es geht ihm gerade nicht sonderlich gut, aber okay…“ „Oh, was hat er denn?“ fragte der Polizist neugierig, während er sich von Ryan ins Haus führen ließ. „Er leidet seit längerer Zeit unter starken Kopfschmerzen.“ Insgeheim hatte der jüngere Zwillingsbruder schon Angst, dass seine Lüge auffliegen würde, wenn Kian diese Geschichte auch noch zugab, aber dieser bestätigte das falsche Alibi und somit war er erst einmal aus dem Rennen. Ryan brachte die Polizisten zur Tür und als sie gegangen waren, kehrte er in die Küche zurück und wollte seinen älteren Bruder zur Rede stellen. „Hast du das wirklich getan? Hast du Roary und seine Familie getötet?“ Kian wich seinem Blick aus, wollte offenbar nicht darauf antworten. Für Ryan bestätigte sich damit diese schlimme Befürchtung und er konnte es einfach nicht fassen. Was passierte da nur mit seinem Bruder? Wie hatte es nur so weit kommen können, dass er jetzt plötzlich zum Mörder wurde? „Warum hast du das getan? Du hast Menschen getötet und wenn ich nicht gelogen hätte, dann hätten sie dich eingesperrt!“ „Dieser Hurensohn hat es nicht anders verdient! Er ging dir doch genauso auf den Sack, oder etwa nicht?“ „Aber deshalb bringe ich doch nicht gleich einen Menschen um. Und dann noch gleich die ganze Familie… was ist nur in dich gefahren? Wie… wie konntest du nur so etwas Schreckliches tun? Du bist ein Mörder, Kian! Die stecken dich ins Gefängnis, wenn sie das herausfinden.“ „Die Eltern sind doch genauso schuld, weil sie ihn zu diesem Bastard erzogen haben. Ich musste das einfach beenden, sonst hätte es doch nie aufgehört.“ „Mensch Kian, hörst du dich eigentlich selber reden? Das bist doch nicht mehr du! Ich erkenne dich gar nicht wieder.“ „Vielleicht liegt es ja daran, weil ich mir nicht mehr alles gefallen lasse. Entweder du kommst damit klar, oder nicht!“ Ryan verließ die Küche, nahm sich das Telefon und wählte die Nummer von Dr. Marshall, um ihn von dieser Entwicklung zu berichten. Dieser zeigte sich höchst besorgt über diese Entwicklung. Sofort fragte Ryan auch nach, was denn mit Kian los war, doch leider durfte der Psychologe aufgrund der Schweigepflicht keine Details nennen. Doch zumindest konnte er ihm etwas anderes sagen. „Die extreme Persönlichkeitsveränderung und die starken Kopfschmerzen können auf einen Hirntumor hinweisen. Er muss schnellstmöglich in ein Krankenhaus, um sich dort untersuchen zu lassen, bevor sich sein Zustand weiter verschlechtert.“ Für Kian brach in diesem Augenblick eine Welt zusammen, als er dies hörte und starrte wie betäubt ins Leere. Ein Hirntumor… sein älterer Bruder hatte einen Hirntumor. Das war eine absolute Katastrophe. Nachdem er sich die Nummer der Spezialistin Dr. Hammingway notiert hatte, ging er zu Kian, um ihn damit zu konfrontieren. Doch dieser reagierte plötzlich sehr abweisend und aggressiv und erklärte „Ich werde mir doch nicht von irgendeiner Tussi am Hirn herumschnibbeln lassen. Das kannst du vergessen.“ „Aber wenn du einen Tumor hast, muss er entfernt werden, bevor es noch schlimmer wird. Kian, du bist krank! Du brauchst dringend Hilfe und ich werde nicht zulassen, dass du genauso stirbst wie Mum. Mensch, ich brauche dich doch, ist dir das nicht klar? Außer dir habe ich doch niemanden.“ Ryan war völlig verzweifelt und verstand nicht, wieso sich Kian mit aller Macht dagegen wehrte, sich untersuchen zu lassen. Dabei wusste dieser doch ganz genau, wie gefährlich so ein Hirntumor war. Ryans Brust schnürte sich zusammen und ihm kamen die Tränen. „Kian, du bist ein kompletter Fremder geworden und ich habe echt Angst, dass du mich eines Tages auch umbringen wirst, wenn du sauer auf mich wirst. Bitte lass dich untersuchen. Wenn die Ursache wirklich ein Tumor ist, dann kannst du wieder gesund werden und zwischen uns wird alles wieder okay. Dann hast du diese Aggressionen und diese scheiß Kopfschmerzen nicht mehr.“ Und tatsächlich schien die heftige Reaktion Wirkung zu zeigen. Tatsächlich kehrte wieder dieser vertraute Glanz in Kians Augen zurück und er wirkte nun nicht mehr so fremd und kalt wie zuvor. Er senkte den Blick und nickte schließlich. „Ja… du hast Recht. Tut mir Leid, wenn ich dir Angst eingejagt habe. Ich glaube, ich hab das alles einfach nicht mehr unter Kontrolle.“ Ryan nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest an sich. Er würde nicht zulassen, dass sein Bruder ins Gefängnis kam, oder schlimmstenfalls sogar starb. All die Jahre hatte Kian die Schläge und Misshandlungen seiner Mitmenschen ertragen, und auch die Übergriffe von Eddie. Dabei war er selbst krank geworden und musste diese Psychopharmaka nehmen, um seine Gefühlsschwankungen unter Kontrolle zu halten und nun hatte er höchstwahrscheinlich sogar einen Hirntumor, der ihn zu einem hochaggressiven Mörder machte. Das alles war einfach zu viel für ihn und Ryan plagte das schlechte Gewissen, dass er die ganze Zeit nichts unternommen hatte, um ihm zu helfen. Wenn nur seine kaputte Lunge nicht wäre, dann müsste er sich nicht ständig von Kian beschützen lassen und dann würde es ihm jetzt nicht dermaßen schlecht gehen. Er hätte ihm schon viel früher helfen müssen dann wäre das alles nicht passiert. „Wir schaffen das schon gemeinsam, okay? Wir sind immerhin Brüder und passen aufeinander auf.“ Gleich am nächsten Tag hatte Kian seinen Termin bei Dr. Hadaly Hammingway. Sie war eine wunderschöne schwarzhaarige Frau mit ungarischen Wurzeln und eine hervorragende Hirnchirurgin. Kian musste einige Untersuchungen und Tests über sich ergehen lassen und ihm war deutlich anzusehen, dass es ihm nicht behagte… Er zeigte sich wenig kooperativ und war schlecht gelaunt. Außerdem ließ er die Chirurgin deutlich spüren, dass er ihr nicht über den Weg traute. Immerhin wollte diese völlig fremde Frau an seinem Hirn herumschneiden. Kian wusste selbst, dass er sich sofort in Behandlung begeben musste, wenn er tatsächlich einen Hirntumor hatte und das am besten noch, bevor sich Metastasen bilden konnten. Denn in dem Falle würde es lebensgefährlich für ihn werden und das war auch die Ursache gewesen, dass seine Mutter sterben musste. Dr. Hammingway war geduldig, freundlich und versuchte, die Stimmung ein wenig aufzulockern, aber Kian hasste sie von dem Augenblick an, als er sie das erste Mal sah. Sie wollte an seinem Hirn herumschneiden… Er wollte das nicht! Niemand sollte irgendwas mit seinem Gehirn machen! Diese Frau sollte es bloß nicht wagen, ihn auch nur ein Mal anzurühren. Beende das hier auf der Stelle! Na los doch. Du weißt, was du tun musst, um es zu beenden. Doch Kian konnte dank der Medikamente seine aufgestaute Wut im Zaum halten (insbesondere, weil er eigenmächtig mal wieder seine Tablettendosis erhöht hatte) und dachte dabei die meiste Zeit an seinen Bruder. Das half ihm, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aber dann musste er sich an die Nacht erinnern, als er Roary einen Besuch abgestattet hatte. Es war in der Nacht gewesen, alles hatte friedlich geschlafen und nicht ein Licht brannte. Mit einer Maske und dem Hackbeil war er losgegangen und hatte an die Tür geklopft. Roarys Vater hatte geöffnet und ehe er sich versah, wurde er schon einen Kopf kürzer gemacht. Blutüberströmt war er ins Schlafzimmer zu Mrs. Killigan gegangen, wo er sie schließlich auch mit dem Hackbeil erschlug. Es war so einfach gewesen, weil sich alles im Dunkeln abgespielt hatte. Und dann war er zu guter Letzt in Roarys Zimmer gegangen. Dieser war noch wach gewesen und hatte Musik gehört. Er hatte ihn nicht sofort erkannt, da Kian die ganze Zeit über eine Maske getragen hatte. Eine weiße Maske, die schwarze Tränen weinte. Natürlich hatte Roary sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte, denn da stand ein Maskierter mit einem blutverschmierten Jigata Nata im Türrahmen und lachte wie ein Irrer. Sofort war er aufgesprungen und fragte „Wer zum Teufel bist du?“ „Wer ich bin? Ich bin Cry. Deine Eltern sind übrigens tot und lassen dich herzlich grüßen! Und jetzt ist es an der Zeit, das Ganze endlich zu beenden!“ Das war das Letzte, was er zu Roary gesagt hatte, bevor er auch ihn getötet hatte. Cry… warum nur hatte er sich denn Cry genannt? Er konnte es selbst nicht erklären. Er hätte sich doch genauso gut als Kian McKee erkennen geben können, aber stattdessen hatte er sich Cry genannt. Warum? Wieso nur erschien ihm dieser Name so viel vertrauter? Irgendwie war es schon seltsam. Denn seltsamerweise klang sein eigener Name ihm immer fremder. Es kam ihm dann so vor, als wäre das gar nicht sein richtiger Name und als wäre stattdessen Cry sein eigentlich wahrer Name. Doch wie war er auf diesen Namen gekommen? Auch darauf hatte er keine Antwort. Aber er hatte es endlich geschafft und diesen Horror beendet. Roary würde ihn nie wieder dermaßen zusammenschlagen! „Kian…“ Er beendete diese Gedanken und kehrte wieder ins eigentliche Geschehen zurück. Er sah Dr. Hammingway an, die offenbar schon mehrmals versucht hatte, ihn anzusprechen. Kian… wieso nur klang dieser Name auf einmal so fremd für ihn? Es war doch sein Name! Er hörte ihn schon seit 16 Jahren so und es war definitiv sein Name! Warum nur fühlte es sich dann auf einmal an, als würde man ihn mit einem Namen ansprechen, der ihm gar nicht gehörte? „Entschuldigen Sie, ich war gerade gedanklich woanders…“ Sie sah ihn ein wenig besorgt an, da sie bemerkte, dass es ihm gerade nicht gut ging. Aber sie schien noch mehr beunruhigende Nachrichten zu haben. „Ich habe mir das CT näher angesehen und leider muss ich dir mitteilen, dass das Ergebnis positiv ist. Es ist ein Tumor und leider ist seine Größe bereits bedrohlich! Wir müssen ihn schnellstmöglich entfernen, bevor sich Metastasen in deinem Körper bilden können. Hier, das sind die Bilder.“ Sie legte ihm das CT-Bild vor, wo der Hirntumor deutlich zu sehen war. Insgeheim hatte Kian ja noch gehofft, dass es nicht ganz so schlimm sein würde, aber er war groß und das war besonders beunruhigend. „Deine Gefühlsausbrüche und Kopfschmerzen stammen daher, weil der Tumor gegen dein Gehirn drückt und auch Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen verursacht. Wir müssen aber nachher noch ein paar Gewebeproben entnehmen, um festzustellen, wie aggressiv er wirklich ist und ob sich bereits Metastasen gebildet haben. Und dann müssen wir schnellstmöglich einen Termin ausmachen, um ihn operativ entfernen zu lassen.“ Kian sah von dem Bild auf und starrte sie fragend an. Gewebeproben? Was meinte sie damit? Wollte sie etwa in seinem Kopf herumwuseln und irgendetwas herausschneiden, um es zu untersuchen? Was sollte das denn auf einmal und was dachte sich diese Person eigentlich, was sie da mit ihm machen wollte? Das konnte sie sich schön abschminken! Obwohl sein Verstand ihm sagte, dass eine Gewebeprobe absolut harmlos war und nichts Schlimmes bedeutete, jagte es ihm Angst ein. Er sprang von seinem Stuhl auf und sah die Chirurgin entsetzt an. Nein, er wollte das nicht. Er durfte nicht zulassen, dass sie irgendetwas an seinem Gehirn machte! „Vergessen Sie es, ich lass mir doch nicht einfach so just for fun an meinem Hirn herumschnibbeln! Das können Sie vergessen, ich will das nicht!!!“ Diese plötzliche Panik und Aufregung nahm die Chirurgin ruhig hin, da sie wohl ahnte, dass dies vielleicht durch seinen Gesundheitszustand bedingt war, dass er paranoid reagierte. „Beruhige dich doch, es ist nichts Schlimmes dabei. Es ist ein absolut harmloser Eingriff, bei dem wir ein paar Zellen des Tumors entnehmen, um festzustellen, wie gefährlich er ist. Je nachdem wie aggressiv er ist und ob er bereits gestreut hat, kann ich feststellen, ob es reicht, ihn operativ zu entfernen, oder ob auch eine Chemotherapie von Nöten ist, um dich zu behandeln. Von deinem Gehirn selbst wird rein gar nichts entfernt.“ „Nein, ich lass mir keine Zellen entnehmen! Wer garantiert mir, dass Sie nicht noch wo anders herumschneiden, wenn Ihnen gerade danach ist und ich nicht wach bin?“ „Ich bin Chirurgin und mache so etwas schon seit Jahren. Du brauchst keine Angst zu haben. Wir werden einzig und allein den Tumor entfernen, das ist alles.“ Doch Kian wollte ihr nicht glauben. Er hatte Angst davor, dass sie ihm noch mehr herausschneiden könnte, als sie jetzt gerade versicherte. Aber… wieso nur reagierte er so panisch? Wovor hatte er denn Angst? Lass nicht zu, dass sie das tut… Lass es nicht zu! Töte sie. Du musst sie töten, bevor sie es tun kann!!! Als sie auf ihn zuging, um ihn zu beruhigen, schnappte er sich den Brieföffner auf ihrem Schreibtisch und hielt ihn wie eine Waffe bereit zum Angriff. Sein logisches Denkvermögen war in diesem Moment komplett ausgeschaltet und er wollte nur noch weg hier. Niemand durfte so an ihm herumschneiden. Weder diese Chirurgin, noch sonst irgendjemand. Und wenn er ihr die Augen ausstechen musste, um sie davon abzuhalten! Worauf wartest du? Na los… tu es… TU ES! BEENDE ES!!! Mit einem lauten Schrei stürzte er sich auf sie und es gelang Dr. Hammingway noch rechtzeitig, ihr Gesicht zu schützen, als Kian mit dem Brieföffner zustechen wollte. Da dieser nicht scharf genug war, um sie ernsthaft zu verletzen, legte er seine Hände um ihren Hals und begann sie zu würgen. Er musste es beenden… er musste sie töten, bevor sie noch irgendwas an seinem Gehirn machte! „Ki… Kian… hör auf! Beruhige dich doch bitte! Kian!“ „Hören Sie endlich auf, mich so zu nennen!!!“ Er konnte diesen Namen nicht mehr hören, der so fremdartig für ihn klang, als wäre es gar nicht sein wahrer Name. Er hatte die Schnauze voll, er hasste diesen Namen, der sich so falsch anfühlte. Cry… das war sein Name. Es war ein Name, den er sich selbst gegeben hatte und von dem er das Gefühl hatte, es wäre sein richtiger Name. Cry… ja, er war Cry und niemand anderes sonst. Das wusste er. Wer war Kian eigentlich? Jedenfalls nicht er selbst. Dieser Kian… das war nicht er, es war eine andere Person. Er war sich hundertprozentig sicher, dass sein Name nicht Kian, sondern Cry war! „Kian, beruhige dich doch. Niemand will dir etwas tun. Ich will dir helfen, wieder gesund zu werden.“ „Kian ist nicht hier!“ schrie er wütend und drückte fester zu. Mit einem Male durchfloss der brennende Zorn seinen ganzen Körper und in ihm gab es nur noch eines: den Drang zu zerstören und zu töten… den Drang, es endlich zu beenden… „Kian ist nicht hier! ICH BIN CRY! CRY, VERDAMMT!!!“ Es war, als wollte er es in die ganze Welt hinausschreien, damit es alle erfuhren. Durch das laute Geschrei rannten alarmiert die Pfleger herbei und schafften es zu viert, den vor Wut rasenden 16-jährigen zu überwältigen und ihm eine Beruhigungsspritze zu geben. Benommen kam Dr. Hammingway wieder auf die Beine und rang nach Luft. Sie stützte sich auf einem Tisch ab und beobachtete, wie Kian bewusstlos zusammensank. Sein Zustand war schlimmer, als sie zunächst befürchtet hatte… Sie mussten schnellstmöglich mit der Operation beginnen, bevor sich alles noch weiter verschlimmerte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)