Zum Inhalt der Seite

Meine Creepypastas

Paranormale (Horror) Geschichten
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Johnny the Devil: Das verlorene Kind

Der Himmel hatte sich verdüstert und in der Ferne war bereits das Donnern eines herannahenden Gewitters zu hören. Aber selbst wenn es regnen und gewittern sollte, es würde nichts an der Lage des kleinen, namenlosen Mädchens ändern. Am ganzen Körper zitternd und mit nichts als einem einfachen Sommerkleid bekleidet, kauerte sie in der dunklen Ecke einer kleinen Seitengasse, versteckt hinter einem Container. Die Gasse war schmutzig und es stank, aber es war der einzige Ort, wo sie Zuflucht fand. Sie hatte Angst. Angst vor den Menschen, die sie ein Monster nannten und sie herumschubsten, schlugen oder sie wegstießen. Und sie hatte entsetzliche Angst vor sich selbst und dem, was sie auslöste. Nicht weit von ihr entfernt lag die Leiche eines Mannes, wahrscheinlich ein Drogendealer. Von seinem Kopf war nicht mehr viel übrig, nachdem sie ihm diesen versehentlich zerfetzt hatte. Sie wusste nicht, was das eigentlich gewesen war. Er hatte sie am Arm gepackt und bedroht und sie wollte doch nur, dass er sie losließ. Und dann hatte sie diese unheimliche Kraft gespürt, welche schließlich dafür verantwortlich war, dass irgendetwas diesem Mann den Kopf zerstört und ihn somit getötet hatte. Es war auch nicht das erste Mal gewesen, dass sie Menschen auf diese Weise tötete, obwohl sie es doch gar nicht wollte. Manchmal fielen die Menschen einfach tot um, wenn sie sie auf Abstand halten wollte oder etwas riss ihnen plötzlich ein Loch in die Brust. Und dann wiederum geschah es auch, dass die Körper der Leute sich so merkwürdig verdrehten und ihre Knochen brachen. Inzwischen nannten sie alle ein Monster und wer sie sah, der griff sie an oder lief vor ihr weg. Manchmal sah sich das Mädchen in einem Spiegel an um festzustellen, ob irgendetwas an ihrem Aussehen Schuld war, wieso niemand sie lieben konnte. Und zugegeben, ihre Augen waren nicht gerade das, was man normal nennen konnte. Sie waren leuchtend rot und von Schatten umrandet und ihr schwarzes lockiges Haar beschönigte die Tatsache auch nicht. Aber war das der Grund dafür, wieso die Menschen allein deshalb schon wegliefen, wenn sie in ihre Nähe kamen? Wer war sie überhaupt und warum hatte sie diese Gabe? Sie konnte sich an nichts erinnern. Nicht daran, wer sie war und wie ihr Name lautete, sie wusste auch nicht, warum sie diese Kräfte hatte. Wenn sie versuchte, sich zu erinnern, sah sie nur so etwas wie kurze Bilder von einem fensterlosen hell erleuchteten Raum und Männern in Laborkitteln. Aber mehr auch nicht. Seitdem irrte sie ziellos umher und versteckte sich in kleinen Verschlägen oder Gassen. Ihr war kalt und sie hatte Hunger, doch sie traute sich nicht hervor. Sie fragte sich in diesem Moment, was wohl aus ihr werden sollte. Würde sie den Rest ihres Lebens alleine bleiben und für immer so leben müssen, ohne Hoffnung auf Besserung? Gab es denn niemanden auf der Welt, der sie lieben konnte? Bei diesem Gedanken brach sie in Tränen aus und sie fühlte sich furchtbar einsam. Sie wollte doch nur, dass irgendjemand keine Angst vor ihr hatte, ihr die Hand reichte und sagte, dass er sie so lieb hatte wie sie war. Mehr wollte sie nicht, aber dieser Traum würde wohl für immer unerfüllt bleiben. Denn alle Menschen, die mit ihr zu tun hatten, würden früher oder später mit ihrem Leben bezahlen. Sie hörte Schritte näher kommen und jemand pfiff ein Lied. Angst überkam das kleine namenlose Mädchen und sie realisierte, dass da jemand auf sie zukam. Großer Gott, was sollte sie bloß tun? Wer auch immer es war, er durfte ihr nicht zu nahe kommen. Sie hatte Angst, dass sie diese Person schlimmstenfalls auch töten konnte. Und das durfte sie nicht zulassen. Deshalb rutschte sie noch enger an den Container und verbarg sich im Schatten, in der Hoffnung, dass man sie nicht bemerkte und sie in Ruhe ließ. Bitte geh weiter und sieh mich nicht! Ich will dir nicht wehtun… Sie sah den Schatten der Person auf dem Boden und das Pfeifen wurde laute. Nun machte sie sich noch kleiner und sah dann die Gestalt vor ihr stehen. Es war ein Junge von vielleicht 17 Jahren, nicht sehr groß gewachsen und mit ebenso schwarzen Haaren und roten Augen wie sie. Er trug einen schwarzrot gestreiften Rollkragenpullover, darüber noch einen beigefarbenen Pullunder mit Kapuze und einen schwarzen Mantel. Zu den zerschlissenen Jeans trug er kniehohe schwarze Lederstiefel. Er kam direkt auf sie zu und grinste fröhlich. „Na, da hab ich dich doch endlich gefunden.“ Ängstlich sah sie ihn an und stammelte mit zitternder Stimme „K-komm mir nicht zu nahe!“ Gelassen und mit den Händen in den Manteltaschen blieb er stehen und sah sie aufmerksam an. Warum nur zeigte er keine Angst oder Abneigung gegen sie, so wie alle anderen Menschen? Irgendwie schien er ein wenig seltsam zu sein. „Wer bist du und was willst du von mir?“

„Ich? Ich bin Johnny und ich bin hier, weil ich nach dir gesucht habe. Hast ein ganz schönes Chaos angerichtet, als du diese Menschen umgebracht hast. Hab gehört, dass ein Monster mit roten Augen hier sein Unwesen treiben soll, also bin ich mal hergekommen, um das mal näher zu überprüfen. Und was sehe da? Statt einem furchteinflößenden Monster bloß ein kleines, zitterndes Häufchen Elend und daneben ein toter Junkie. Schon eine herbe Enttäuschung, wo ich mich doch extra auf den weiten Weg gemacht habe. Aber andererseits muss ja nicht alles so sein, wie es den Anschein hat, nicht wahr?“ Irgendwie war dieser Junge ihr unheimlich und sie spürte deutlich, dass er anders war als andere Menschen. So als wäre er gar kein Mensch… „Was willst du damit sagen?“

„Damit, dass ich gut Bescheid weiß. Immerhin bin ich ja auch kein Mensch.“

„Und was bist du dann?“

„Früher nannten uns die Menschen Götter, Teufel, Engel oder Dämonen. Aber in Zeiten wie diesen, wo sie nicht mehr an so etwas glauben, nennen sie uns schlicht und ergreifend höhere Wesen. Wir stammen aus einer anderen Welt und einer ebenso anderen Zeit und haben uns schließlich diesem Leben hier angepasst. Inzwischen können die Menschen uns schon gar nicht mehr von ihresgleichen unterscheiden. Genauso wie du dein wahres Selbst hinter der Fassade eines Menschen verbirgst und vorgibst, jemand zu sein, der du gar nicht bist. Aber solange du damit überleben konntest, war es vollkommen in Ordnung, nicht wahr? Dumm nur, dass deine Aura so stark ist, dass die Menschen trotzdem spüren, dass du ein Monster bist.“ Das Mädchen sah ihn angsterfüllt an und fragte sich, was er wohl von ihr wollte. Ein seichter Wind wehte und sie sah etwas an der Innenseite seines Mantels aufblitzen. Messer! Dieser Kerl trug ein ganzes Arsenal an Wurfmessern mit sich herum. Er ist gefährlich, schoss es ihr durch den Kopf und sie fragte sich, was sie tun sollte. Töten wollte sie ihn nicht. Sie wollte überhaupt niemanden töten, diese ganzen Vorfälle waren doch nur ein Versehen gewesen. Womöglich war er ein Killer und sollte sie ausschalten, weil sie zu gefährlich war. Entweder wird er mich umbringen oder ich ihn. Wie soll ich das bloß lösen? „Sag mal Kleine, was genau erhoffst du dir eigentlich von deinem jetzigen Leben? Willst du dich ewig verstecken und Menschen töten, wenn sie dir zu nahe kommen und du Angst vor ihnen hast? Wonach suchst du eigentlich?“

„Ich will wissen, wer ich bin und warum ich diese Kraft habe, die nichts anderes kann, als Menschen zu verletzen, oder sie zu töten.“

„Bist du dir sicher, dass du es wirklich wissen willst? Wenn ich dir einen Rat geben darf: Lass es einfach sein! Du willst doch in Wirklichkeit die Antwort gar nicht wissen. Im Grunde zweifelst du doch selbst, ob du wirklich eine Existenzberechtigung in dieser Welt hast, wenn du nichts anderes tun kannst, als Menschen umzubringen. Wenn es doch eh niemanden gibt, der dich liebt, wieso sollst du dann noch weiterleben? Also was nützt dir die Antwort über den Grund für deine Existenz, wenn du doch sowieso der Auffassung bist, dass du kein Recht darauf hast, zu leben?“

„Ich will endlich Gewissheit haben!“ rief das Mädchen beinahe verzweifelt und die Tränen kamen ihr. Johnnys Worte taten ihr im Herzen weh und sie hasste ihn dafür, dass er das sagte, aber leider war es die Wahrheit. Er hatte sie durchschaut und stellte sie auf die Probe. Er spielte mit ihren Gefühlen und zog sicherlich sein Vergnügen aus ihrem Leid. Was für ein Mistkerl er doch war. Amüsiert über diese Antwort kicherte er. „So, du willst Gewissheit haben. Nun gut, die kannst du haben. Weißt du, ich weiß nämlich ziemlich viele Dinge, denn durch meine Gabe bin ich in der Lage, durch die Augen anderer zu sehen und auch das zu hören, was sie sagen. Darum bleibt mir kein Geheimnis verborgen, von niemandem auf dieser Welt. Du, meine Liebe, bist nichts Weiteres als ein fehlgeschlagenes Experiment, eine billige Kopie. Du wurdest einzig und allein zu dem Zweck im Labor gezüchtet, um später einmal als Waffe für den Krieg zu dienen und all jene auszurotten, die nach den Vorstellungen anderer kein Recht auf ein Leben haben. Du bist eine biologische Zerstörungsmaschine und nichts Weiteres als eine Kopie eines Mädchens namens Sally-Ann Kinsley. Und nichts an dir gehört wirklich dir selbst. Dein Aussehen wie auch deine Kräfte sind nichts Weiteres als Kopien. Sogar deine Gedanken und Zweifel sind die von Sally.“ Ein Abgrund schien sich unter ihren Füßen aufzutun, als sie das hörte und Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit überkam sie. Sie war eine Zerstörungswaffe, einzig und allein zu dem Zweck erschaffen, um Menschen zu töten? Stimmte das wirklich? War das wirklich der einzige Grund, warum sie geboren wurde? „Du lügst, das ist nicht wahr!“ „Wer von uns lügt hier?“ fragte Johnny listig und seine Augen funkelten dämonisch. „Du bist hier diejenige, die sich selbst belügt, weil du einfach nicht wahrhaben willst, dass ich Recht habe. Du versuchst vor der Realität zu fliehen und hast deshalb deine eigenen Erinnerungen gelöscht: Weil du nicht akzeptieren konntest, dass du ein Vernichtungswerkzeug bist und absolut gar nichts an dir wirklich dir selbst gehört. Nicht einmal deine Seele oder deine DNA. Alles ist bloß eine minderwertige Kopie, deshalb kannst du diese Kräfte auch nicht unter Kontrolle halten und tötest jeden um dich herum, der dir Angst macht. Im Grunde deines Herzens wusstest du schon die ganze Zeit, dass du eine lebende Waffe bist und bist dennoch davor weggelaufen. Und obwohl du immer wieder Menschen tötest, klammerst du dich ans Leben. Ganz schön selbstsüchtig, oder nicht?“ Die Furcht und die Traurigkeit des kleinen Mädchens wichen langsam und stattdessen wurde ihr Herz von Wut ergriffen. Sie stand auf und rief „Was ist denn selbstsüchtig daran, leben zu wollen?“

„Weil du es dir wünschst, obwohl du weißt, dass deinetwegen noch mehr Menschen sterben werden. Du stellst dein Leben über das der anderen und im gleichen Moment zweifelst du an deiner eigenen Daseinsberechtigung, weil du niemandem wehtun willst. Das ist ein ziemlicher Widerspruch, findest du nicht?“ Worauf wollte Johnny denn eigentlich hinaus? Das Mädchen verstand nicht, was er damit eigentlich sagen wollte und wieso er ihr das alles eigentlich sagte. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und hätte ihn im Moment am liebsten geschlagen. „Ich will aber nicht selbstsüchtig sein, okay? Und überhaupt: Hältst du dich für etwas Besseres, nur weil du von dir selbst behaupten willst, du wärst es nicht?“

„Überhaupt nicht“, antwortete er gelassen und lächelte ein wenig hochmütig. „Weißt du, jedes Lebewesen ist selbstsüchtig und niemand bildet eine Ausnahme. Wer behauptet, durch und durch selbstlos zu sein, der ist ein schamloser Lügner. Aber selbstsüchtig zu sein heißt noch lange nicht, dass man dadurch automatisch ein schlechter Mensch ist. Denn ein gewisses Maß an Selbstsucht ist sogar gut, denn das bedeutet, dass wir uns an das Leben klammern und es wertschätzen. Wer nie an sich selbst denkt, der kann sich kein Leben aufbauen, geschweige denn überhaupt überleben. Jede Aktion, jeder Wunsch für uns selbst ist eine Form der Selbstsucht. Wenn wir arbeiten und Geld verdienen, tun wir es in erster Linie allein für uns selbst und wenn wir uns etwas kaufen oder essen und trinken, dann ist es auch Selbstsucht. Ohne ein gewisses Maß an Selbstsucht würde keiner von uns überleben. Und auch du bist selbstsüchtig, weil du dich trotz deiner wahren Natur ans Leben klammerst und dich nicht schon längst umgebracht hast.“

„Und du?“

„Ich bin durch und durch selbstsüchtig und rücksichtslos. Egal was auch kommt, in erster Linie interessiere ich mich nur für mich selbst und dafür, wie ich meine Interessen am Besten durchsetzen kann. Dabei ist es mir vollkommen egal, wie vielen Menschen ich damit vor den Kopf stoße. Rücksicht und Feingefühl waren sowieso nie wirklich meine Stärken. Bevor ich mir auch nur ansatzweise den Kopf über andere zerbreche, denke ich zu allererst allein an mich selbst. Mich kümmert es herzlich wenig, was andere über mich denken und wie sehr sie manchmal unter meinem Egoismus zu leiden haben. Wenn sie ein Problem damit haben, dass ich ein egoistisches Arschloch bin, ist es allein ihr Problem, ich werde es trotzdem tun. Und auch dass wir zwei Hübschen miteinander reden, hat einen selbstsüchtigen Grund. Nämlich, dass ich mir auf die Weise erhoffe, meine Langeweile ein wenig zu zerstreuen und ein klein wenig Ablenkung vom langweiligen Alltag zu finden. Denn heute ist in der Bar eh nicht viel los, da lohnt sich eine Prügelei leider nicht.“ Dass er ein rücksichtsloser und egoistischer Mistkerl war, glaubte sie ihm gerne. Aber dass er so locker darüber redete, dass er einen ziemlich miesen Charakter besaß, war in ihren Augen schon ein bisschen merkwürdig. Entweder besaß dieser Typ auch noch einen absolut narzisstischen Charakter, oder er war einfach nur ein Psycho. Vielleicht aber auch beides. Und sie war nichts Weiteres für ihn, als ein Mittel, um seine Langeweile zu vertreiben? Es tat schon weh, das zu hören. „Das heißt also, du willst mir gar nicht helfen?“

„Wieso sollte ich, wenn du doch so selbstlos bist, wie du von dir behauptest? Wenn du wirklich nicht selbstsüchtig sein willst, dann beende doch hier und jetzt dein Leben. Gib dir die Kugel, stirb den Hungertod oder spring vom nächsten Dach. Keiner wird auch nur eine Träne deinetwegen vergießen und mit deinem Tod würdest du sogar unzählige Menschen retten. Zwar hast du selbst nichts davon, aber so sieht nun mal die absolute Selbstlosigkeit aus, Schätzchen. Und wenn du weiterleben willst, musst du nun mal damit leben, dass du eine Gefahr für andere bist.“ Das Mädchen senkte den Blick und sie vergrub die Hände in ihr Kleid. Was sollte sie bloß tun? Etwa sterben, damit sie keine Menschen mehr töten konnte? Oder weiterleben und versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen? Sie war eine im Labor gezüchtete Killermaschine, ein Experiment, ein Klon von Sally-Ann Kinsley. Nichts an ihr gehörte ihr selbst. Weder ihr Aussehen, noch ihre DNA oder ihre Gabe. Und doch wollte sie nicht glauben, dass sie kein eigenständiges Lebewesen ohne ein eigenes Bewusstsein war. Sie wollte nicht sterben, das wusste sie. Sie wollte weiterleben, auch wenn sie wusste, dass ihr Leben hoffnungslos und einsam war und sie eine Gefahr für andere war, solange sie lebte. Wie Johnny richtig erkannt hatte: Sie war selbstsüchtig. Aber war es denn so falsch, leben zu wollen, obwohl es vielleicht das Leben anderer Menschen fordern konnte? „Ich will nicht sterben“, brachte sie unter heftigen Schluchzern hervor und wischte sich die Tränen weg. „Ich will weiterleben!“ Jonny sagte nichts, sondern betrachtete sie eine Weile, ohne etwas zu sagen. Dann aber kam er direkt auf sie zu und griff in die Innenseite seines Mantels. Das kleine Mädchen bekam Angst und glaubte zunächst, er würde sie mit dem Messer umbringen wollen. „Nein, bleib weg! Lass mich in Ruhe!“ Sie wich zurück und versuchte ihr Gesicht mit den Händen zu schützen. Doch dann spürte sie, wie Johnny etwas mit ihren Haaren machte und als sie die Augen wieder öffnete, bemerkte sie, dass er ihr mit seinem Messer ihr Haar kürzer geschnitten hatte. Er hielt ihr abgeschnittenes lockiges pechschwarzes Haar in der Hand und ein kräftiger Windstoß wehte die einzelnen Strähnen davon. „Was… wieso hast du gemacht?“ „Wenn du wirklich als eigenständiges unabhängiges Lebewesen weiterleben willst, dann musst du dich verändern. Du hast nichts, also musst du dir alles selbst aufbauen. Eine eigene Identität, ein eigenes Aussehen und einen eigenen Namen. Nur so wirst du nicht länger bloß die Kopie von irgendjemandem sein, die niemand braucht oder haben will. Wenn du dir ein eigenes Leben erschaffen willst, musst du dir das nehmen, was du dazu brauchst. Komm mit.“

„Wo… wohin denn?“ Doch Johnny antwortete nicht, sondern ergriff ihre Hand und zog sie mit sich. Sie verließen die Gasse und wurden direkt von drei Leuten in Empfang genommen, die genauso etwas Seltsames ausstrahlten wie Johnny. Einer von ihnen trug einen Arztkittel und eine Brille. Er machte einen etwas zwielichtigen Eindruck. Neben ihm stand ein blonder Junge, vielleicht in Johnnys Alter, der ein lilafarbenes Stirnband trug und der mehrere Ringe an den schwarz lackierten Fingern trug. Und bei ihm stand ein sehr androgyn aussehender junger Mann mit langem brünettem Haar, einem Kapuzenshirt und einem kühlen und desinteressierten Blick. Sowohl er als auch der Junge mit dem Stirnband hatten beide verschiedene Augenfarben: blau und braun, wobei die Reihenfolge bei ihnen genau spiegelverkehrt war. Johnny legte dem kleinen Mädchen eine Hand auf die Schulter und wandte sich den dreien zu. „So Leute, ich hab die Kleine. Das hier ist Annie und sie hat sich für ein eigenes Leben entschieden. Annie, das sind Ezra Trigger und Cedric Raven. Die beiden Geschwister werden sich von nun an um dich kümmern. Und diese linke Bazille da ist unser Arzt oder besser gesagt Quacksalber Eneos Solem. Er wird dir ein neues Aussehen geben, damit du nicht länger Sallys Kopie bist.“ Nun verstand das Mädchen, das von nun an Annie heißen sollte, überhaupt nichts mehr. Was hatten diese Leute denn mit Johnny zu schaffen und wieso waren sie hier? Hatte Johnny das alles etwa die ganze Zeit geplant gehabt und gewusst, wie sie sich entscheiden würde? Hatte er etwa nur mit ihr gespielt? Sie war völlig durcheinander und verstand gar nichts mehr. „Sie sieht aus wie Ai Enma aus Jigoku Shoujo“, bemerkte Ezra trocken und legte den Kopf ein wenig zur Seite, während er sie betrachtete. Cedric stöhnte und verdrehte die Augen. „Ezra, fang nicht schon wieder mit deinem bescheuerten Anime-Quatsch an. Du siehst aber auch in jeder Person einen Anime-Charakter. Mich hältst du für Jens aus Pokemon und Johnny vergleichst du allen Ernstes mit Izaya Orihara. Wobei… das passt schon wirklich wie die Faust aufs Auge. Aber jetzt mal im Ernst: Vergiss diesen Blödsinn und konzentrier dich lieber!“

„Ja, Bruderherz.“ Damit ging Ezra zu ihr hin, kniete sich hin und streichelte sanft die Wange des kleinen Mädchens. „Keine Sorge, wir werden uns gut um dich kümmern. Jetzt bist du nicht mehr alleine.“

„Wer… wer seid ihr denn?“

„Wir gehören auch zu jenen, die niemand haben will. Wir sind Mischlinge, die kein Zuhause haben und verfolgt und verstoßen wurden. Und wir kümmern uns um jene, die genauso wie wir alleine sind und nichts und niemanden haben, als uns selbst. Du gehörst nun auch zu den verlorenen Kindern, dazu.“ Als Annie das hörte, konnte sie ihr Glück kaum fassen, brach in Tränen aus und umarmte Ezra schluchzend. Diese Leute hatten überhaupt keine Angst vor ihr und wollten sie auch nicht töten. Im Gegenteil, sie wollten ihr ein Zuhause und eine Familie geben. Noch nie war jemand so zu ihr gewesen. Sanft streichelte ihr Cedric den Kopf um sie zu trösten. „Keine Sorge Annie, jetzt musst du nie wieder alleine sein.“ Johnny und Eneos betrachteten die Szene und Ersterer lächelte zufrieden. Wirklich alles war wie geplant abgelaufen. Das war ja schon fast zu einfach gewesen. Schließlich aber wandte er sich an Eneos und funkelte ihn böse an. „Wenn du aus ihr eines deiner abartigen Kunstwerke machst, dann reiß ich dir den Kopf ab und schieb ihn dir bis zum Anschlag hinten rein.“ Doch der Arzt lächelte nur amüsiert darüber und erklärte „Keine Sorge, ich verstehe mein Fach sehr gut und solche Kleinigkeiten sind ja nichts Besonderes für mich.“ „Pah, dir würde ich nicht mal meine benutzte Unterwäsche anvertrauen, du Quacksalber“, gab Johnny mit einem kräftigen Ellebogenhieb in die Seite zurück und wandte sich zum Gehen. Er war sowieso kein Mann großer Abschiedsszenen und er hatte auch keine Lust, sentimental zu werden. So etwas war einfach nur peinlich und absolut unnötig! Doch da hielt ihn jemand am Arm zurück. Es war Ezra. „Was hast du als Nächstes vor, Johnny?“

„Ach, es gibt da diesen einen Schauspieler und Psychologen, der heute aus dem Gefängnis entlassen wurde. Vielleicht habt ihr ja schon mal von ihm gehört. Er hat vor einiger Zeit einen sehr guten Freund verloren, den ich gut kannte. Ich glaube, ich muss ihm ein wenig unter die Arme greifen und ihn ein bisschen ärgern, damit er nicht noch auf dumme Gedanken kommt. Und außerdem wird er meine Hilfe sehr gut brauchen können.“ Damit ließ Ezra ihn los und nickte, wobei sich sein gleichgültiger Gesichtsausdruck nicht änderte. „Verstehe. Du meldest dich aber, wenn du Hilfe brauchst. Wir, die verlorenen Kinder aus dem alten Krieg, helfen einander und werden immer da sein, wenn du uns brauchst.“ Johnny konnte sich sein amüsiertes Kichern nicht verkneifen und kniff Ezra scherzhaft in die Wange. „Egal wie du auch aussiehst, du redest immer noch wie ein Mädchen.“ Doch Ezra sah ihn weiterhin ernsthaft an. Aber er nickte und akzeptierte einfach, dass Johnny fürs Erste alleine arbeiten wollte. Er wusste, dass er sich schon melden würde, wenn es eng für ihn werden sollte. Nicht mehr lange würde es dauern, bis es wieder beginnen würde und wo sie um ihre Existenz kämpfen mussten, um zu verhindern, dass wieder so viel Blut vergossen werden musste wie damals. Es stand viel auf dem Spiel, das wusste auch Johnny. Aber noch war es zu früh, um aktiv zu werden. Alles, was sie tun mussten war, Johnny zu vertrauen und seine Anweisungen zum richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Dann würden sie tun, was er ihnen auftrug und diese Aufträge gewissenhaft ausführen. Obwohl Johnny ein ausgemachtes Arschloch war, vertrauten Ezra und Cedric ihm blind, denn sie kannten auch Johnnys andere Seite, die er zu verbergen versuchte. „Ich geh dann mal.“ Doch bevor er endlich gehen konnte, zupfte Annie an seinem Ärmel und sah ihn mit ihren roten Augen an. „Warum hast du gelogen?“ „Hä?“ fragte er etwas verwirrt und sah zu ihr herab. „Warum hast du behauptet, du würdest nur an deine Interessen denken?“

„Wieso? Denkst du etwa anders über mich?“

„Du bist gar nicht so selbstsüchtig, wie du von dir behauptest. Der Grund, warum du mich aufgesucht und mir all das gesagt hattest… du wolltest mir nur helfen, oder? Du wolltest mir einen Platz in dieser Welt geben. Es ging dir nicht um deine persönliche Unterhaltung, sondern darum, mir zu helfen, weil ich niemanden habe und ganz alleine bin. In Wahrheit bist du ein sehr netter Mensch, nicht wahr?“ Doch Johnny lachte bloß und tätschelte ihr den Kopf. „Oh Mann Kleine, du bist echt viel zu naiv. Die Wahrheit ist, ich bin ein absolut schlechter Mensch, wenn ich überhaupt einer wäre. Finde dich damit ab, ich war schon immer ein Arschloch aus Leidenschaft und ich werde auch immer eines aus Leidenschaft bleiben.“ Damit verschwand Johnny und das kleine, bis vor kurzem noch namenlose Mädchen sah ihm nach. Tief im ihren Herzen wusste sie, dass sie Recht hatte. Egal wie viele Makel oder schlechte Angewohnheiten dieser Johnny hatte und wie oft er auch log oder seine Späße auf Kosten anderer trieb. Er hatte tief in seinem Innersten doch einen guten Kern und sie war sich sicher, dass er niemals zugelassen hätte, dass sie sich das Leben nahm.
 

Johnny schlenderte gut gelaunt die Straße entlang und bemerkte, wie die ersten Regentropfen fielen. Das Gewitter hatte die Stadt nun erreicht. Na was soll’s, dachte er und holte aus seiner Jackentasche das kleine Döschen mit den Schmerztabletten, von denen er gleich drei schluckte. Soll es doch regnen, mich stört es nicht. Nun holte er sein Handy hervor und schaute auf die Uhrzeit. Zwar war es noch etwas zu früh, aber er entschied sich, schon mal in die Bar zu gehen, wo seine Zielperson bald aufkreuzen würde. Er suchte in seinem Ordner mit den Bildern nach und fand das Foto schließlich. „Harvey Charles Dahmer…“, murmelte er und grinste verschlagen. „Ich brenne schon richtig darauf, dich mal persönlich kennen zu lernen.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Diese Geschichte spielt direkt vor dem ersten Treffen von Johnny und Harvey in der CP "Harvey the Skinner: Der Informant". Ich wollte mal eine CP mit Johnny in der Hauptrolle schreiben, da er einer meiner absoluten Favoriten ist. Einfach aus dem Grund, weil er ein rücksichtsloses und respektloses Arschloch mit einem guten Herzen ist. Er stößt andere Menschen vor dem Kopf mit seinem Verhalten und provoziert sie bis zum Äußersten, aber im Grunde ist das seine Art, ihnen zu helfen. Aber er macht es einem wirklich nicht einfach, das zu erkennen. Johnny und Christine sind sich in der Hinsicht ähnlich, wobei Christine aber deutlich mehr Feingefühl und Freundlichkeit an den Tag legt als ihr Ziehsohn. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück