Fire von Earu (... in a world of Black Hearts & Dollar Signs) ================================================================================ Prolog: Toy Boy --------------- „Kriegt man hier auch nochmal was zu trinken?“, rief ich dem Barkeeper zu und trommelte genervt mit den Fingern auf dem Tresen herum. Ich hatte mich zwar erst vor einer Minute auf den Hocker gesetzt, aber das war mir im Moment egal – ich brauchte jetzt unbedingt etwas Hochprozentiges. „Immer mit der Ruhe“, kam es jedoch nur von dem Kerl zurück, während er mit einer Engelsgeduld einen Drink fertig machte und ihn mit einem seiner Meinung nach wohl verführerischen Lächeln der Dame direkt vor sich servierte. Na ja, er war nicht von schlechten Eltern, das musste man ihm lassen: hohe Wangenknochen, volle Lippen, dunkle, kurz und fransig geschnittene Haare, ein (soweit ich es von hier erkennen konnte) ziemlich netter Hintern und muskulöse Arme, die durch die kurzen Ärmel seines engen Shirts gut zu sehen waren. Auch sonst musste er ziemlich durchtrainiert sein, denn die Weste mit der eingestickten 24/7 (Twenty-Four Seven – der Name der Bar) lag bei ihm ebenfalls eng an und offenbarte eine schlanke Taille. Wenn er nicht hinter der Bar arbeiten würde, sondern ich ihn auf irgendeiner Party im gehobenen Kreise getroffen hätte (a.k.a. er gut betucht wäre), würde ich vielleicht sogar versuchen, ihn an Land zu ziehen. Aber so war er eben nur ein überdurchschnittlich gutaussehender Japaner, mehr nicht. Meine Begeisterung für sein Äußeres war so schnell verflogen wie es gekommen war. Die Dame an der Bar jedenfalls lachte amüsiert auf und erntete noch ein Zwinkern von ihm, ehe der Kerl seinen Arsch endlich zu mir hinüber schwang. Und mit sich brachte er eine Wolke aus Parfum. „Hallo!“, begrüßte er mich überschwänglich und sah mich aus seinen hellblauen Augen (er trug offensichtlich Kontaktlinsen) an. „Was darf's denn sein?“ „Wird ja auch Zeit“, grummelte ich zurück, nichts von seiner Art haltend – zumindest im Moment nicht, „Wodka, doppelt.“ „Da scheint jemandem aber eine Laus über die Leber gelaufen zu sein“, meinte er und verzog kurz die Lippen, tat währenddessen aber wenigstens seine Arbeit. Ich antwortete ihm auch nicht, sondern wartete darauf, dass er mir meinen doppelten Wodka brachte, den ich direkt mit einem Zug lehrte. „Wow!“, kommentierte der Kerl dazu. „Wer oder was oder ob mir da überhaupt was über die Leber gelaufen ist, geht dich einen feuchten Dreck an. Noch einen.“ Allerdings schien ihn mein Ton immer noch nicht zu stören, er blieb jedenfalls die Ruhe in Person: „Dir ist schon klar, dass es nicht besser wird, wenn du den Kerl beleidigst, der dir die Drinks servieren soll? Ich kann dich auch vor die Tür setzen lassen.“ „Das will ich sehen!“, entgegnete ich darauf, „die schmeißen mich nicht raus, ich zahle zu gut.“ „Ah, ein Neureicher also.“ „Nein, einfach nur gute Connections. Und jetzt gib mir meinen Wodka!“ „Ist ja gut, ist ja gut“, versuchte er mich zu beschwichtigen, die Hände abwehrend vor sich haltend, ehe er sich abermals meiner Bestellung widmete. So sollte das sein! Und hoffentlich hatte er es jetzt kapiert und gab Ruhe. Das jedoch wurde mir nicht vergönnt: „Ich hab dich hier noch nie gesehen. Wie heißt du?“ „Herrgott nochmal. Wozu interessiert dich das?“ „Weil ich das mit meinen Gästen so mache. Ich bin Gackt.“ Dann hielt er mir die offene Hand hin, wie bei einer Begrüßung oder einem Handschlag. An seinem hing ein ziemlich billig aussehendes Lederarmband, an dem eine Art Münze mit einem Loch in der Mitte hing. Es war keine japanische Münze, das konnte ich aufgrund der Musterung erkennen. Nicht, dass es wichtig gewesen wäre – es zeigte nur, dass er genau das war, wofür ich ihn hielt: ein Niemand, der nichts hatte. „Ohhh~ na, wenn das so ist! Freut mich, dich kennenzulernen, Gackt.“ Ich nahm seine Hand und schüttelte sie heftig. „Ich bin der Kaiser von China!“ Sein Gesichtsausdruck war schon fast irgendwie niedlich: Wie er sich erst gefreut hatte, dass ich mich scheinbar endlich auf ein Gespräch mit ihm einließ, nur um dann bitter enttäuscht zu werden, als ich den Jux auflöste und seine Hand sofort wieder losließ. Doch er fing sich schnell wieder. „Ich möchte wirklich wissen, was dir passiert ist, dass du so schlechte Laune hast.“ „Und ich möchte wirklich wissen, was bei dir nicht ganz rund läuft, dass du mir so auf den Sack gehst.“ Gackt überging diese Bemerkung jedoch einfach. Der Kerl schien echt gegen alles immun zu sein! Er begann doch tatsächlich, selbst Vermutungen anzustellen: „Geldprobleme können es nicht sein, sonst wärst du erst gar nicht hier. Es ist kurz nach zehn, also kannst weder müde, noch gerade mit dem falschen Fuß aufgestanden sein. Vielleicht Stress in der Beziehung?“ Wohl etwas zu hart knallte ich das eben gelehrte Wodkaglas auf den Tresen. Scheiße, Volltreffer. „Volltreffer!“, triumphierte mein Gegenüber und stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tresen ab. „Falls du jemanden zum Reden brauchst: Ich bin ein guter Zuhörer, du kannst mir also dein Herz ausschütten.“ „Sag mal, kannst oder willst du es nicht kapieren? Ich will nicht mit dir reden. Keinen Smalltalk und erst recht keinen privaten Kram. Verzieh dich einfach und bedien jemand anderen, du armseliger Saftmischer! Ist mir scheißegal, aber lass mich verdammt nochmal in-“ „Hyde, da bist du ja!“ Oh nein, nicht doch! Ich zuckte kurz zusammen und dann drehte langsam den Kopf in die Richtung, aus man mich gerufen hatte. „Ta-taishin, was machst du denn schon hier?“, fragte ich sofort gespielt freudig, „ich dachte, wir sehen uns erst gegen elf?“ „Nein, wir hatten zehn ausgemacht“, erwiderte der ältere Herr, als er sich neben mich an die Bar gesetzt hatte, „ich warte schon seit einer Weile in unserem Privatzimmer auf dich. Aber da du jetzt hier bist, können wir ja keine Zeit verlieren und gehen.“ „Hm, also …“ Gott, das passte mir jetzt so gar nicht. Ich hatte gedacht, dass ich noch fast eine Stunde Ruhe vor ihm hätte. Ich setzte daher meine beste Unschuldsmiene auf und versuchte mich, aus dem Dilemma herauszumanövrieren. Und meine Ausrede stand direkt vor mir: „Also, das ist gerade sehr schlecht, Taishin. Darf ich dir Gackt vorstellen? Er ist ein Freund von mir und ich hatte ihm versprochen, dass ich ihn heute besuchen komme, weil wir uns schon lange nicht mehr gesehen haben. Ich bin auch gerade erst hier angekommen. Du verstehst du doch, dass ich hier noch nicht weg kann, oder?“ „Nur ein Freund?“, war das Erste, was Taishin wissen wollte. „Ja, wir sind zusammen zur Schule gegangen. Nicht wahr … Gacchan?“ Ich sah meinen Gegenüber so unauffällig wie möglich und dabei doch eindringlich an. Bitte, bitte versau mir das nicht!, sollte mein Blick sagen. Und Gott sei Dank stieg der Kerl darauf ein, nickte und bestätigte meine Lüge lächelnd. „Also, wenn das so ist“, meinte Taishin glücklicherweise darauf, ebenfalls nickend, „lass dir nur Zeit, Hyde. Ich kann auch noch etwas länger warten, schließlich bin ich erst gestern in den Genuss deiner Gegenwart gekommen. Aber es wäre schön, wenn du dich später doch noch bei mir blicken lässt. Ruf einfach vorher an, okay?“ „Uhm, ja … Du bist wirklich ein Schatz, Taishin“, säuselte ich zuckersüß und fiel ihm gespielt überschwänglich um den Hals. Als mein Gesicht jedoch aus seinem Blickfeld verschwunden war, verzog ich die Miene merklich, bis er Anstalten machte, sich wieder von mir zu lösen. Schnell setzte ich wieder eine strahlende Miene auf. „Für dich würde ich doch alles tun, mein Süßer“, sagte er und streichelte mir kurz über die Wange. „Oh, das brauchst du aber gar nicht! Du weißt doch, dass ich das gar nicht mag.“ „Sei nicht albern, ich kenne dich schließlich! Also, amüsiert euch noch gut und bis später“, verabschiedete er sich, griff nach seiner Geldbörse und legte ein paar Scheine vor mir auf den Tresen. „das sollte reichen.“ „Danke dir!“ Danach verzog er sich zum Glück, verließ die Bar und machte sich in Richtung der Privaträume auf. Ich sah ihm noch etwas nach, ehe ich mich wieder umdrehte, die Augen schloss und mir die Fingerspitzen gegen die Schläfen drückte. Gott, wie ich dieses Theater manchmal hasste! Und es wurde nicht besser, als sich Gackt wieder zu Wort meldete: „So so, Hyde heißt du also.“ Ich grummelte abermals. Wenigstens konnte es nach dieser Szene nicht mehr schlimmer werden. Ich ließ mich sogar zu einer halbwegs vernünftigen Antwort herab: „Ja und nein. Ist ein Spitzname für Leute wie Taishin, dich und fast den ganzen Rest der Welt.“ „Und wie ist dein richtiger Name?“ „Hab ich nicht eben gesagt, dass der Name für dich ausreichen muss? Frag einfach nicht weiter nach. Bitte!“ So weit war es schon gekommen, ich flehte einen völlig Fremden an, etwas für mich zu tun. Ich verlangte so etwas für gewöhnlich nicht von anderen, ich würde so etwas für andere ja auch nicht tun. Aber heute … befand ich mich in einer Zwickmühle. Schließlich war dieser Gackt hier der Barkeeper, er war Teil meiner kleinen Lüge gewesen und darüber hinaus konnte er jederzeit einen Abstecher in die Privaträume machen und mich vor Taishin auffliegen lassen. Wenn ich Glück hatte, war der Kerl ein Gutmensch der Sorte, die nicht die geringsten Unanständigkeiten machten. Hatte ich diesmal jedoch nicht. „Schuldig bist du mir trotzdem was, das weißt du doch, oder?“, fragte er in einem herausfordernden Tonfall, während er mir noch einen dritten Wodka vor die Nase stellte. „Ja, weiß ich“, entgegnete ich, mich nicht gerade über diese Tatsache freuend. „Also, was willst du? „Wenn du mir schon so kommst-“ „Aber lass dir bloß nicht einfallen, persönlich zu werden“, warnte ich. „Keine Sorge, das hatte ich nicht vor“, beruhigte Gackt mich, „was ich wissen will, ist gerade im Hinterzimmer verschwunden.“ Ich schnaubte. War mir ja klar gewesen, dass er gleich damit anfangen würde. Aber er hatte Recht: Es war absolut nichts allzu Persönliches. „Schieß los.“ „Dieser Herr scheint zu denken, dass ihr zusammen seid, aber du siehst das – deiner schlechten Laune nach zu urteilen – offensichtlich anders. Was steckt dahinter?“ „Nichts weiter als das, was du gesehen hast. Er denkt, dass ich ihn liebe, und liegt damit kräftig daneben. Ich hatte bisher nur keine Lust, ihn abzuschießen, auch wenn er von Zeit zu Zeit gehörig nervt. 'Hyde, Süßer, wann hast du wieder Zeit für mich? Ich sehne mich so nach dir und deinem süßen Gesichtchen.' Blah blah blah, bis es einem hochkommt.“ „Und er macht es einfach so mit, wenn du ihn … ausnimmst“, sein Blick wanderte kurz hinunter zu dem wahren Haufen an Geld, das noch immer zwischen uns lag, und dann wieder zu meinem Gesicht hinauf, „und ihn sonst abschiebst?“ Ich lachte auf. „Natürlich nicht. Er liebt es, sich mit mir zu schmücken, und Bedürfnisse hat er schließlich auch. Genau wie ich – nur dass meine Interessen da ein wenig anders liegen“, stellte ich klar und nahm einen Schluck meines Drinks. „Also prostituierst du dich?“ Ich spuckte den Wodka, den ich gerade im Mund hatte, sofort in den Kübel der Zimmerpalme neben mir. „Hast du sie nicht mehr alle?!“, rief ich ehrlich empört. „Ich bin 28 und sehe verdammt gut aus; nach einem Kerlchen wie mir lecken sich Männer wie Frauen die Finger! Ich kann mir die Leute, mit denen ich schlafe, aussuchen. Wenn schon, denn schon!“ „Hast du wenigstens Spaß dran?“ „Es geht. Ohne Fleiß kein Preis.“ „Also prostituierst du dich doch“, schloss er wohl aus meinen Worten. „Ich krieg langsam das Gefühl, dass du heute Abend unbedingt noch eins aufs Maul haben willst, du armseliger Saftmischer.“ „Das traust du dich sowieso nicht.“ „Ach?“ Ich stand ein Stück auf, lehnte mich über den Tresen und lächelte ihn an. Gackt würde schon sehen, was er davon hatte. Der Kerl würde mich noch kennenlernen! Und das würde er wirklich … ~~~ ++ * ++ ~~~ Was soll ich sagen. Das hier ist also mein neuestes Unikum, an dem ich jetzt über ein Jahr lang rumgeschrieben und -korrigiert hab. In der Zwischenzeit hat sich so viel an dem ursprünglichen Konzept geändert, dass ich gar nicht mehr weiß, wie die Fic eigentlich mal aussehen sollte. Angefangen hat es auf alle Fälle mit einem Ashton Kutscher-Film namens Toy Boy, dem "Also prostituierst du dich?"-Dialog aus dem Prolog und einer langen Nacht im August 2011, in der sich bestimmt 5 Seiten wie von allein zusammenschrieben. Und dann wurde es immer länger und länger x3 Ich hoffe, dass es euch gefällt - wenn ja, dann sagt es mir; wenn nicht, dann natürlich auch ;3 Kapitel 1: So, you do have a personality? ----------------------------------------- „Da bist du ja wieder. Steht das nächste Date an?“ „Ich wüsste zwar nicht, was dich das angeht, aber ja, ich warte auf jemanden. Er müsste gleich da sein.“ „Darf es derweil irgendwas sein?“ „Na, wenigstens das funktioniert noch! Sake On The Rocks.“ „Kommt sofort“, sagte Gackt und verschwand unter dem Tresen, nur um kurz darauf mit einer großen Schlüssel zerstoßenem Eis wieder aufzutauchen. Ich stützte das Kinn in meine Hände und sah interessiert zu, wie er meinen Drink fertig machte. Ich beobachtete Gackt allerdings nicht so aufmerksam, weil er mir mittlerweile doch sympathisch geworden war, sondern weil ich mich am Zustand seines Gesichtes so erfreute. „Und? Tut's denn weh?“, fragte ich ihn spöttisch. Gackt blickte kurz auf und sah mich aus einem Auge an; über dem anderen trug er eine schwarze Augenklappe. Das blaue Auge tat mir auch kein bisschen leid, weil er es schließlich einfach nicht anders verdient hatte. Wer dachte, dass er mit mir einfach so seine Spielchen treiben konnte, musste eben auf die harte Tour lernen, dass man so nicht mit mir umspringen konnte. Und Gackt war einfach zu weit gegangen mit seiner Fragerei. „Reicht es dir, wenn ich dir sage, dass ich die letzte Nacht mit einem Eisbeutel verbracht habe?“, stellte er mir zur Gegenfrage und konzentrierte sich dann wieder auf seine Arbeit. Ich ließ jedoch nicht locker. Das hier würde die Retourkutsche zu gestern werden. „Mit einem Eisbeutel, oh du Armer …“, gab ich mich mitleidig, grinste dann aber, weil ich einfach nicht anders konnte. Bei ihm war es zum Glück nicht so wichtig, wenn die Maske ein wenig bröckelte. „War er wenigstens sexy? Oder gut im Bett? Komm schon, erzähl mir alles. Ich will absolut jedes Detail wissen, Gacchan.“ „Wir sind also wieder bei den Spitznamen angekommen. War das gestern also dein Ernst vor … wie hieß er doch gleich? Taishin? Lässt du ihn heute auch wieder warten?“ Mit diesen Worten stellte er meinen Sake On The Rocks vor mich und stützte sich dann auf seiner Arbeitsfläche ab, wartend. Ich nahm jedoch erst einmal einen Schluck, bevor ich antwortete: „Der kommt gleich, zerbrich dir darüber mal nicht den Kopf. Und was den Namen angeht … ich nenne dich, wie ich will. Ob nun Gackt, Gacchan, Idiot oder Saftschubse, komm damit klar oder du musst mich leider, leider in Ruhe lassen.“ „Keiner hat gesagt, dass ich damit nicht klarkommen würde, Hy-chan“, frotzelte er gleich darauf und sein Lächeln konnte auch dadurch nicht geschmälert werden, dass er nur noch ein Auge zur Verfügung hatte. Mich beeindruckte es nicht im Geringsten, hatte ich doch eindeutig die schlagkräftigeren Argumente. „Und du glaubst wirklich, dass mich das jetzt irgendwie kratzt?“, fragte ich ihn, ohne wirklich eine Antwort zu wollen. „Ich darf dich auch daran erinnern, was dir blüht, wenn du mich zu sehr nervst.“ „Unser kleiner Hau-drauf“, kommentierte Gackt dazu. „Hast du eigentlich noch andere Hobbies als fremden Leuten eins aufs Auge zu geben?“ „Ziemlich viele sogar“, gab ich offen zu. Ich schien im Moment einfach in Hochstimmung zu sein – selbst wenn das verschobene Date von gestern anstand und mich diese Tatsache eigentlich, ebenso wie gestern, auf die Palme hätte bringen müssen. Aber ich hatte ein neues Spiel gefunden, dem ich mich widmen konnte. Und wenn diese Laune noch bis später anhielt, würde das Treffen mit Taishin auch gar nicht so unangenehm werden, weil ich ihn vielleicht mal wieder zu etwas überreden konnte, was in erster Linie mir Spaß machte. „Ich lese ziemlich viel. Eigentlich alles, was mir in die Finger kommt, so lange es nicht zu langweilig oder abgedroschen klingt. Wird aber immer schwieriger, wirklich gutes Zeug zu finden. Ich mag Anime und Horrorfilme und ich versuche mich auch selbst im Zeichnen. Reicht dir das?“ „Da scheint ja doch ein normaler Mensch in dir zu stecken“, war Gackts erstes Wort dazu. „Ach, und wieso sollte ich das nicht sein?“ „Was würdest du denn denken, wenn ich dir sagen würde, dass ich mich mit Reichen abgebe, um ihnen die Kohle aus der Tasche zu ziehen.“ „Dass du es vollkommen richtig machst.“ „Ach, komm schon, das kann-“ „Entschuldigung?“, rief in dem Moment ein Mann, der sich wohl gerade erst ein paar Plätze weiter an die Bar gesetzt hatte. Gackt blickte hinüber, wartete einen Moment und setzte sich dann in Bewegung, als er sah, dass sein Kollege bereits beschäftigt war. „Komme sofort!“, rief er dabei zurück. Ich nippte währenddessen immer wieder an meinem Sake On The Rocks oder bediente mich an den Salzstangen, die in einem Glas auf dem Tresen standen. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich noch mindestens zehn Minuten hatte, ehe Taishin hier aufkreuzen und mich in Beschlag nehmen würde. Ein wenig gelangweilt drehte ich mich auf meinem Barhocker um und lehnte mich gegen die Bar, ließ den Blick über die Menge schweifen. Nicht auf der Suche nach Taishin, sondern nach anderen, die meine Kragenweite sein könnten. Ich hielt immer Ausschau nach potentiellen Gönnern, immer in der Hoffnung, dass mal einer unter 35 dabei war. Aber meistens lief unter 45 nichts, auch wenn es leichter war, jemanden in der Midlife Crisis an die Angel zu kriegen – dann konnte man ihnen nicht jung und fidel genug sein, damit sie sich selbst nicht so alt fühlten. Es dauerte ein paar Minuten und ich warf währenddessen ab und an einen Blick zu Gackt hinüber, um zu sehen, dass er noch andere Gäste bedienen musste. Nun, dazu war er schließlich Barkeeper geworden. Ab und zu gab es dabei auch einen netten Ausblick auf seinen Hintern, wenn er sich bückte, um etwas unter dem Tresen hervorzuholen. Mehr aber auch nicht. „Darf es noch was sein?“, sprach mich dann plötzlich Gackts Kollege an, weil er wohl bemerkt hatte, dass mein Glas leer war. Ich musterte ihn kurz über die Schulter, lehnte dann aber ab. „Nein, erst mal nichts“, antwortete ich und drehte mich wieder um, als ich merkte, wie unbequem diese Haltung wurde. „Ach, Sie sind das!“, kam es dann auf einmal von meinem Gegenüber. „Bitte?“ Verwirrt zog ich beide Augenbrauen nach oben. Ich hatte den Typen zwar schon gestern hier gesehen, aber kein Wort mit ihm gewechselt. „Sie sind derjenige, der für Gackts blaues Auge gesorgt hat.“ … Ach so. „Ja, der bin ich. Gibt’s dafür denn irgendwelche Prämien oder Freigetränke?“ Der Barkeeper lachte: „Das nicht, aber Sie haben damit die ganze Belegschaft unterhalten.“ „Vor allen Dingen habe ich mich selbst unterhalten. Und das reicht mir schon aus.“ „Was reicht dir aus?“, fragte auf einmal jemand dazwischen: Gackt, wie sich nur Sekunden später herausstellte. „Dein dummes Gesicht, als du die Faust auf dich zukommen sahst“, antwortete ich ihm prompt, „einfach unbezahlbar, wenn du mich fragst.“ „Und verdient“, mischte sich der andere Kerl wieder ein. „Seit wann kannst du das beurteilen, Haru?“ Irrte ich mich oder sah Gackts Miene ein klein wenig säuerlich aus? „Wer ständig Gäste angräbt muss irgendwann damit rechnen. Wundert mich nur, dass du dir diesmal jemanden aus dem eigenen Lager ausgesucht hast.“ „Ich hab ihn nicht angegraben“, verteidigte sich Gackt in einer Art, die eine gewisse Genervtheit bezüglich dieses Themas nicht verleugnen konnte. „Und ich kann fliegen“, konterte Gackts Kollege darauf sofort. Es sah so aus, als würden sie dieses Gespräch öfter führen. „Ja, kannst du gleich, wenn du deine Arbeit nicht machst. Da hinten winkt jemand.“ Während die beiden ihre Diskussion austrugen saß ich nur daneben, aß die ein oder andere Salzstange und beobachtete alles mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Gackts Ton wurde immer ärgerlicher und je schlechter seine Laune wurde, desto mehr freute es mich. Leider war das Gezänk mit dem Hinweis auf Kundschaft auch schon beendet. „Schon klar. Aber lass dich doch nicht gleich so ärgern, Gackii, das ist man sonst auch nicht von dir gewohnt“, gab dieser Haru darauf noch zurück, ehe er sich verzog. Und kaum, dass er weg war, brach ich in Gelächter aus. „Gackii? Gackii?! Gott, du bist wirklich 'ne arme Sau“, prustete ich. „So witzig ist das gar nicht“, wandte Gackt ein, „der Personalabteilung ist zwar klar, dass wir hier alle den einen oder anderen Gast abschleppen – machen wir uns da nichts vor –, aber die da oben sollten das möglichst nicht mitkriegen. Haru ist einfach das schlimmste Plappermaul in dieser Gegend. Er macht das nicht mit Absicht, aber er gibt ständig irgendwelchen Bullshit von sich, der nicht oder nur zur Hälfte stimmt. Die Sache mit dir gestern hätte mich auch den Job kosten können und ich will ihn echt nicht verlieren.“ „Solche Probleme hab ich nicht“, wusste ich darauf nur zu sagen. „Dafür andere. Da kommt übrigens dein Lover.“ „Pünktlich wie immer.“ Ich seufzte kurz und warf einen Blick über meine Schulter. Taishin schien mich schon gefunden zu haben, denn er kam direkt auf mich zu. Ich setzte ein Lächeln auf, winkte ihm kurz zu und begrüßte ich ihn, als er nahe genug gekommen war. „Hyde, schön dich hier zu sehen“, lautete Taishins freudige Entgegnung. „Wir waren schließlich verabredet“, gab ich zurück, schenkte ihm noch einmal ein besonderes Lächeln und wandte mich dann wieder Gackt zu, „noch einen Sake On The Rocks als Absacker.“ „Na na na“, funkte mein 'Lover' mir allerdings dazwischen, „wozu ein Absacker, wenn der Abend doch erst begonnen hat? Aber ich nehme eine Flasche Champagner und zwei Gläser. In einem Kühler, bitte.“ „Eine sehr gute Wahl, mein Herr“, komplimentierte Gackt der Höflichkeit halber (wie ich annahm) und holte sofort eine aus dem Kühlschrank. Die zwei langstieligen Gläser nahm er aus der Glasvitrine an der Rückwand der Bar und richtete beides direkt vor unseren Augen in einem edlen Sektkühler voller Eis an. Dann präsentierte er die Rechnung, wo neben dem Schampus auch mein Sake draufstand. „Vielen Dank“, sagte Taishin, als er bezahlte. „Ich habe zu danken“, erwiderte Gackt darauf, immer nett und freundlich. Wie hielt der Kerl das nur aus? „Ich wünsche ihnen noch einen schönen Abend.“ „Den werden wir haben. Nicht wahr, Hyde?“ „Klar.“ Das war das Signal zum Gehen. Ich rutschte von dem Hocker und ließ mich, mit Taishins freiem Arm um die Schultern, aus der Bar führen. Weit war unser Weg nicht – nur ins Foyer, an der 'Rezeption' vorbei und von da aus ins dritte Stockwerk, wo wieder ein Privatzimmer für uns reserviert war. Meine eigene Wohnung bekamen meine Gönner eher selten zu Gesicht, denn ich wollte nicht zu viele fremde Leute dort haben und außerdem würde es sowieso keiner von ihnen lange genug machen, um sich dort häuslich einzurichten oder auch nur annähernd wohlzufühlen. Und bei ihnen ging es wiederum meist nicht, da sie verheiratet waren und es dann besser nicht rauskam, dass sie sich mit einem jungen Kerl trafen, der im Bett eindeutig mehr leisten konnte als das, was zu Hause saß und schon am Vertrocknen war. Mal ganz davon abgesehen, dass ich sehr viel offener war, was Sex anging und meinen eigenen Willen in solchen Situationen ganz einfach hinten anstellte. Ja, mein Ego war groß, aber das hieß noch lange nicht, dass ich nicht wusste, wann ich die Klappe zu halten und mich zu fügen hatte. Oben angekommen ließ ich mich auf die einladende Couch fallen, während Taishin die Champagnerflasche öffnete, beide Gläser etwa zur Hälfte füllte und mir dann eins davon reichte. Als er sich dann seines Jacketts entledigt hatte, gesellte er sich – ebenfalls mit einem Glas in der Hand – zu mir und legte erneut einen Arm um mich. „Du hast deinen Schulfreund ja ziemlich schnell wiedergesehen“, merkte er an. „Hm“, gab ich erst einmal nur von mir, weil ich gerade einen Schluck vom Champagner genommen hatte. Das war auch ganz gut so, denn so hatte ich Zeit, mich wieder richtig an die Lüge von gestern zu erinnern, ehe ich ergänzte: „Ich wusste nicht, dass er hier an der Bar arbeitet.“ „Ihr werdet euch jetzt also öfter sehen?“ Ich wusste ganz genau, worauf seine Frage abzielte, und das wollte mir so gar nicht gefallen. Ich sah mein Vorhaben in Gefahr, er hatte schließlich gestern schon so komisch gefragt. „Weiß nicht“, antwortete ich, „ich werde ihn natürlich sehen, wenn wir uns hier treffen. Ansonsten nicht.“ Und dann startete ich auch schon ein Ablenkungsmanöver, stellte das Glas bei Seite und sah Taishin aus großen Augen an, während ich scheinbar mit den Knöpfen seines Hemds spielte. „Aber wieso ist dir das jetzt so wichtig? Ich bin hier und du bist hier und Gackt steht hinter der Bar. Lass uns einfach zusammen sein.“ Und meine Worte, meine Mimik und Gestik verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie zauberten ein Lächeln auf Taishins Gesicht und ich konnte mir sicher sein, dass er zumindest diese Nacht keine unangenehmen Fragen mehr stellen würde. Jedenfalls nicht solche, die in Richtung Gackt und Eifersucht und sonstigem Mist gingen. Ist es gut so? Willst du etwas anderes? Kannst du das spüren? Liebst du mich? und dergleichen würden die einzigen Fragen sein. Und ich würde ihn bei jeder einzelnen anlügen, während ich versuchte, ihn mir sexy vorzustellen. * „Warum langweilst du dich eigentlich mit diesen alten Säckchen?“, fragte mich dieser Witzbold von Barkeeper geradeheraus, „das ist jetzt schon der vierte, mit dem ich dich sehe.“ „Hab ich dir doch schon erklärt: Sie zahlen gut“, sagte ich schlicht, griff nach einer weiteren Salzstange und knabberte an ihr. „Ich dachte, du prostituierst dich nicht. Und dabei lässt du dich dafür bezahlen, dass du Zeit mit ihnen verbringst und hinterher auch noch mit ihnen schläfst.“ „Sie zahlen gut für meinen Lebensunterhalt, du Intelligenzbestie! Das blaue Auge neulich war dir also echt keine Lehre“, stellte ich kopfschüttelnd fest. Es war knappe anderthalb Monate her, dass ich es ihm verpasst hatte, und er schien schon wieder scharf auf ein neues zu sein. Natürlich war das Veilchen längst wieder verheilt, sodass er mittlerweile keine Maßnahmen mehr ergreifen musste, die es verdeckten. Die Augenklappe hatte es nicht lange gemacht, da er sich damit wohl zu sehr wie ein Pirat vorgekommen war. Jedenfalls, die paar Abende darauf – ja, ich war wiedergekommen, um mein 'Werk' noch ein bisschen mehr zu begutachten – hatte er es dann mit einer dicken Schicht MakeUp, was er sich wohl von seiner Freundin, Mutter, Schwester oder weiß der Henker wem geliehen hatte, versucht, es aber nicht vollständig verdecken können. Auch hatte er sich dann erst einmal merklich zurückgehalten und sich darauf beschränkt, mir meine Drinks zu bringen und ein bisschen Smalltalk zu führen. Seit ungefähr zwei Wochen war Gackt jedoch wieder ganz der Alte und versuchte, mir im beiläufigen Ton irgendwelches Zeug aus der Nase zu ziehen. Ich sah es mittlerweile ein wenig lockerer und schwieg ihn an, wenn ich ihm nicht antworten wollte – das half für gewöhnlich. Trotzdem hatte ich unfreiwilligerweise mittlerweile einiges über ihn erfahren, da er immer mit irgendwelchem Zeug aus seinem Alltag ankam, um mir ein Gespräch aus dem Kreuz zu leiern, wobei sich bei mir der verdacht breitmachte, dass er irgendeinen Narren an mir gefressen haben musste, um wirklich so hartnäckig sein zu können. Nicht, dass es mich wunderte – ich war eben ein Naturtalent und eine Ausgeburt des Charmes – und so langsam gewöhnte ich mich auch tatsächlich an ihn, aber auf der anderen Seite waren mir das auch schon wieder zu viele Informationen. Zum Beispiel band er mir auf die Nase, dass er Sport sehr mochte – besonders Kampfsportarten, worin er in seiner Teenagerzeit einmal so gut gewesen war, dass er bei Schulwettbewerben ziemlich gut abgeschnitten hatte. Dann hatte er noch vom Fahrrad fahren gesprochen, weil er wohl kein Auto besaß und außerdem von … irgendwas anderem. Ich wusste es nicht mehr, denn ich hatte an dem Abend abgeschalten, als er das nicht-vorhandene Auto erwähnt hatte. Denn ich musste zwar zugeben, dass ich Gackt an sich noch immer attraktiv fand, aber die Tatsache, dass er nichts war und nichts hatte, war absolut unsexy. Klavier konnte er auch spielen, das hatte er noch gesagt, was es wieder ein bisschen rausriss, aber immer noch nicht wettmachte. Ich mochte Klavierspieler und ich mochte es, ihnen dabei zuzusehen, wie ihre Hände über die Tasten flogen und Melodien aus dem Instrument herauskitzelten. Ich stellte mir dann immer vor, was solche Hände mit mir anstellen würden. Und Gackts Hände waren schön, das musste man zugeben – ich hatte einen ausgiebigen Blick darauf werfen können, als er vor mir gestanden und mir einen Cocktail gemacht hatte. Solche Abende waren dann die weitaus besten. Ansonsten war Gackt ein ziemlicher Durchschnittsmensch. Er mochte Filme, Videospiele, lesen – aber alles in einem normalen Maß und nichts davon von so obsessiv wie ich es oft an den Tag legte. Zeitvertreib und Allerweltsbeschäftigungen eben. Heute war Gackt allerdings mal wieder besonders hartnäckig, wenn es um meine Person ging: „Sag mal, bei diesen ganzen Affären, die dir dein Leben finanzieren, hast du da überhaupt noch Zeit, eine richtige Beziehung zu führen?“ „Nein“, antwortete ich schlicht, „brauch ich auch gar nicht.“ „Hm … genug Sex hast du ja zumindest, aber am Rest mangelt es sicherlich. Ich würde da was vermissen.“ Ich schnaubte kurz, ehe ich mich zu einer umfassenderen Antwort herabließ – in der Hoffnung, dass er dann endlich mit seiner Fragerei aufhören würde: „Also gut, nur für dich und zum Mitschreiben. Es. Geht. Mir. Gut. Mein Leben gefällt mir so, wie es ist. Richtige Beziehungen machen nur Arbeit und halten tun sie trotzdem nicht ewig – du hast hinterher also nur mehr Ärger als Spaß an der Sache. Und bevor du mir mit noch mehr Einwänden kommst: Ich weiß wovon ich rede, ich hab es schon durch. Affären sind viel ungebundener und einfacher. Wenn du keinen Bock mehr hast, schießt du den anderen ab und gut ist, weil keiner wirklich was drauf gibt. Und wenn für mich dabei noch ein bisschen Kohle rausspringt, ist das sogar noch besser.“ „Aha“, lautete erst einmal Gackts Antwort, die leicht trocken klang und bei der er ziemlich überrascht die Augenbrauen nach oben zog. Und dann mischte er noch etwas Sarkasmus mit hinein: „Das heißt also, dass du auch uneigennützig Leute abschleppst?“ „Klar, wieso nicht? Andere haben schließlich auch mal etwas Nettes verdient. Bringt ein bisschen Abwechslung rein.“ Ich wusste, wie er seine Worte gemeint hatte und er wusste, dass ich nicht so dumm war, es nicht zu bemerken. Wieso also nicht auch etwas frotzeln, wenn es denn solchen Spaß machte? Besonders, wenn ich dabei war, gegen ihn zu gewinnen. Siegesgewiss nahm ich mir einen Erdnussflip aus der Schale und warf ihn mir locker in den Mund. Und entweder roch Gackt, dass er gerade verlor, oder er hatte eben in den Moralapostel-Modus geschalten: „Hast du denn noch nie daran gedacht, dein Geld mal selbst zu verdienen? Oder nicht ganz so hohe Ansprüche an deinen Lebensstandard zu stellen?“ „Jep, beides. Hat nicht funktioniert.“ „Und wie sehr hast du es tatsächlich versucht?“ „Nur kurz, reichte aber schon.“ „Wenn das so ist … wie wäre es, wenn ich dir zeige, dass man als 'armseliger Saftmischer' auch seinen Spaß haben kann?“ Ich zog verblüfft die Augenbrauen hoch. Das hatte er jetzt nicht wirklich gefragt, oder? Ich hatte ihm doch schon oft genug erzählt – Mein Gott, wieso ging ich jetzt überhaupt noch an die Bar, wenn er da war? – dass mir mein Leben gefiel, wie es war, und ich nichts daran ändern wollte. Mal ganz davon abgesehen, dass … „Schaffst du sowieso nicht“, vollendete ich meinen Gedanken und stellte diesen hoffnungslosen Gutmenschen vor vollendete Tatsachen. „Und jetzt mach mir noch 'nen Cuba Libre, ich hab Durst!“ Gackt ging jedoch nicht auf meine Bestellung ein: „Ich bezahl auch dafür, wenn ich es nicht schaffe.“ Ich blinzelte. Einmal, zweimal und brach dann einfach nur in haltloses Gelächter aus, was dafür sorgte, dass sich etliche Leute zu uns umdrehten. Ich scherte mich jedoch nicht darum. „Du?“, prustete ich und klopfte mit der flachen hand mehrmals auf den Tresen, „als ob, hahaha … als ob du dir das leisten könntest, hahaha!“ „Das Trinkgeld hier ist nicht schlecht“, wandte er ein. „Reichen wird es trotzdem nicht“, hielt ich dagegen, als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, „und ich will nicht dafür verantwortlich sein, dass du dich in den Ruin stürzt.“ „Du hast ja nur Angst, dass es dir tatsächlich gefallen könnte.“ „Wie bitte?“, fragte ich nach und wischte mir dabei ein paar Lachtränchen aus den Augen. Natürlich nahm ich ihn immer noch nicht für voll. „Du hast Angst, auch auf einfache Weise Spaß zu haben“, wiederholte Gackt brav und sah mich durchaus ernst an. „Ich hab dich schon verstanden, ich bin schließlich nicht blöd. Aber was glaubst du eigentlich, wer du bist, dass du mich einschätzen könntest?“ Ein schelmisches Grinsen breitete sich sogar nun auf seinen Lippen aus: „Ich bin Barkeeper. Ich sehe mir die Menschen an, während ich ihnen Drinks serviere. Und du, mein Lieber, siehst generell gelangweilt aus. Außer, wenn du der Meinung bist, mich ein bisschen piesacken zu können.“ Ich seufzte und rollte mit den Augen, um ihm zu zeigen, was ich von seiner Ansage hielt: „Was weißt du schon?“ „Dann beweis mir doch einfach, dass ich falsch liege, indem du die Sache mitmachst. Wenn ich mich so irre, kannst du doch nur gewinnen. Und ich zahle.“ Dabei stützte er sich auf den Tresen und beugte sich ganz nah an mich heran. Ich seufzte erneut, konnte aber nicht wirklich sagen, dass mir diese Herausforderung komplett am Allerwertesten vorbeiging. „Na? Oder bist du so ein Feigling?“ „Ich muss dir gar nichts beweisen.“ „Feeeiiigliiing~“, flötete Gackt. „Du kannst mich mal.“ „Feeeeeiiiiigliiiiing~~, so ein kleiner Feigling.“ „Ach, halt endlich die Klappe!“ Es war wie neulich: Je schlechter Gackts Laune war, desto besser war meine. So auch jetzt, nur dass es diesmal umgekehrt verlief und ich merklich biestiger wurde, je mehr er sich nach außen hin freute. „Seht ihn euch nur an, wie sehr er sich vor ein bisschen Spaß fürchtet. Ich hab noch nie so einen verstockten, halsstarrigen, prüden und-“ „Moment! Wer ist hier prüde?!“ So langsam wurde mir das tatsächlich ein bisschen zu blöd. „Du. Und langweilig bist du auch. Du weißt ja gar nicht, wie sich wirklicher Spaß anfühlt.“ „Aber du, oder was?!“ „Jep, durchaus.“ „Na, das will ich sehen! … Oh.“ Zu spät merkte ich, was ich da gesagt hatte. „Nein, das hab ich nicht-“ „Tja, Pech gehabt“, zwitscherte dieser Idiot jedoch nur, vom einen bis zum anderen Ohr grinsend, „und was wolltest du doch gleich? Cuba Libre, oder? Kriegst du! Und der geht aufs Haus.“ Ich sagte darauf nichts mehr, sondern lehnte mich nur zurück und verzog missgelaunt die Lippen, presste sie zu einer schmalen Linie zusammen. Gott, wie mich das gerade ankotzte! tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ So viel wie hier hab ich noch nie an einer Fic rumeditiert. Hier Szenen einfügen, dort wieder rausnehmen und woander platzieren. Kapitel treffen und die Lücken füllen, Kapitel aufgrund der Kürze zusammenfügen und so flüssig wie möglich verbinden. Es war eine Tortur und zwischendurch lag das Ungetüm teils Monate rum, weil sich meine Muse grundsätzlich nur meldet, um eine Idee bei mir abzuladen und dann direkt wieder zu verschwinden. Ich seh das Ding in seiner Gesamtheit mittlerweile mit gemischten Gefühlen - wie sieht's bei euch bisher aus? :3 Kapitel 2: High Snobiety? Erm … no … ------------------------------------ „Wo sind wir hier?“, fragte ich, als Gackt mich in einen ziemlich versteckten Winkel Tokyos führte. Es war sein erster freier Abend und ungefähr vier oder fünf Tage nach unserer 'Abmachung'. Ich hatte zwar noch versucht, mich aus der Sache herauszuwinden, indem ich ihm versichert hatte, dass er seine freien Abende nicht für mich opfern müsste – ich würde das schließlich auch nicht für ihn machen –, aber geholfen hatte es absolut nichts. „In einer Bar“, erklärte er mir auf meine Frage hin schlicht, was mich dazu brachte, mit den Augen zu rollen. „Das seh ich. Etwas genauer bitte.“ „Ich bin hier als Teenager immer mit meinen Freunden hingegangen, als wir noch zur Schule gegangen sind. Mittlerweile bin ich in einen anderen Stadtteil gezogen, aber ich komme immer noch regelmäßig hierher. Die Leute kennen mich hier alle und sind echt gut drauf. Glaub mir, es wird dir gefallen. Und das alles ohne Geldsäcke.“ Das nahm ich ihm ja noch nicht ganz ab. Und ich erinnerte ihn auch an den Grund unseres Hierseins: „Ob es mir gefällt, werden wir noch sehen. Wenn ich Spaß habe, hast du Glück; wenn nicht, zahlst du. Das ist der Deal.“ „Ja ja, das vergess ich schon nicht“, winkte Gackt ab, zog sich dann die Jacke aus und hängte sie an einen Haken der Garderobe. Da ich keine Anstalten machte, meinen Mantel loswerden zu wollen, half er mir heraus und wollte ihn zu seiner Jacke hängen. Allerdings stoppte ich ihn im letzten Moment: „Halt!“ „Was ist?“ „Den nehm ich lieber mit, bevor er mir noch geklaut wird. Der war schließlich nicht von der Stange.“ „Keine Angst, Hyde, hier ist noch nie was weggekommen.“ „Sagst du!“, betonte ich und griff nach meinem Mantel, um ihn ihm wieder abzunehmen. „Jetzt hab dich nicht so“, insistierte Gackt jedoch und versuchte mir den Stoff zwischen meinen Händen vorsichtig wieder zu entwinden, „entspann dich lieber, sonst-“ „Ja, wen haben wir denn da?“, wurden wir dann aber von einer extrem gut gelaunten Frauenstimme unterbrochen. „Der kleine Gaku-chan lässt sich mal wieder bei uns blicken.“ Gleichzeitig drehten wir die Köpfe in die Richtung, aus der die Stimme kam, wobei sich Gackt etwas mehr verrenken musste als ich. Meinen Mantel ließ er deswegen trotzdem nicht los, was mich in dem Moment fürchterlich wurmte. „Also, 'klein' halte ich für untertrieben“, merkte der Angesprochene an, kaum dass er sich umgedreht und die Person, die da auf uns zukam, gesehen hatte. „Hallo, Miyako.“ „Hm, du scheinst tatsächlich noch ein Stück gewachsen zu sein“, sagte die Frau, die ich auf Mitte bis Ende vierzig schätzte, und umarmte Gackt. „Und das in deinem Alter!“ Der musste meinen Mantel dann endlich loslassen, sodass ich ihn endlich wieder komplett an mich nehmen konnte. „Das klingt ja, als wäre ich uralt“, entgegnete dieser darauf amüsiert und grinste sie an, so weit ich das beurteilen konnte. Ich stand schließlich noch immer hinter ihm. „Du gehst immerhin stark auf die 30 zu.“ „Na, hör mal, das ist ja wohl noch ein paar Jahre hin!“ Bei dieser Bemerkung verschränkte er die Arme vor der Brust und legte den Kopf etwas schief. „Du weißt doch, die Zeit rast. Es kommt mir wie gestern vor, dass du noch ein halbes Kind warst und dich das erste Mal so richtig betrunken hast. Und You-chan hat dich den ganzen Weg nach Hause schleppen müssen.“ „Das hält er mir heute noch vor.“ Also, nicht dass ich unbedingt darauf aus war, das fröhliche Fest der Erinnerungen zu unterbrechen und mich damit womöglich noch in die Lage zu bringen, mir Kindheitsgeschichten von Gackt anhören zu müssen, aber dieses offensichtliche Desinteresse an meiner Person gefiel mir auch nicht unbedingt. „Gackt?“, machte ich auf mich aufmerksam, ohne „äh …“ und ohne gespielte Verlegenheit. Er wusste schließlich, dass das nichts für mich war, wenn es die Situation nicht gerade erforderte. Gackt war allerdings nicht derjenige, der zuerst reagierte, sondern diese Miyako. „Und wen hast du uns mitgebracht, Gaku-chan?“, fragte sie. „Oh, tut mir Leid“, setzte Angesprochener zu einer Antwort an, „das ist Hyde. Hyde, das ist Miyako, ihr gehört die Bar.“ „Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte ich der Höflichkeit halber und deutete eine Verbeugung an. „Ach, Schätzchen“, kam es jedoch gleich zurück, „kein Grund, so förmlich zu sein. Ich bin Miyako und den Rest der Bande stellen wir dir auch gleich vor.“ Mit diesen Worten ergriff sie mein Handgelenk, zog mich nach vorn, drückte Gackt meinen Mantel in die Arme und bugsierte mich dann in den Gastraum der Bar hinein. Ich sah mich noch leicht hilflos nach Gackt um, der schüttelte aber nur grinsend den Kopf, während er meinen Mantel nun doch an die Garderobe hängte. Ein paar Augenblicke später wurde ich an einem Tisch platziert, der eigentlich schon voll war. Einige hatten sich sogar Stühle von anderen Tischen holen müssen, um noch daran Platz zu finden. So geschah es auch mit mir und ich fand mich inmitten von neun Leuten wieder, von denen ich natürlich keinen kannte. Und sie starrten mich alle an. „Schaut mal, wen Gackt uns mitgebracht hat. Das ist Hyde. Sag Hallo zu allen, Hyde.“ Hätte ich für mich allein in einem stillen Kämmerchen gesessen, hätte ich jetzt geschrien, die Hand vor die Stirn oder gleich den ganzen Kopf auf die Tischplatte gehauen. So etwas Peinliches war mir nicht mehr passiert, seit meine Mutter mich mit zehn oder elf Jahren ins Ferienlager gebracht hatte und mich dort gleich dazu hatte bringen wollen, dass ich mich mit anderen Kindern anfreundete. Damals hatte ich wirklich geschrien und auch angefangen zu heulen, was mir natürlich erst recht den Spott der anderen eingebracht hatte. Wenigstens konnte ich mich jetzt genug zusammenreißen, meinen Unmut nicht gleich kundzutun. Und dafür würde ich Gackt hinterher ausnehmen wie eine Weihnachtsgans! Ich lächelte ein wenig, hob die Hand, winkte ganz kurz in die Runde und sagte schlicht und ergreifend: „Hi.“ Danach wurde mir die komplette Runde vorgestellt, wobei ich die meisten Namen fast sofort wieder vergaß, weil alles so schnell heruntergerattert wurde: Kanako, Toru, Hatori, Hana, Hinako, Rei, Chiaki, Shinji, Nana, Miyuki, nochmal Hatori, Jeremy, Arina, Eiji und Kaoru. Und als wir dann mit allen Leuten durch waren (der Herr hinter und noch ein paar Leute am Tresen wurden auch noch mit einbezogen), wurde ich auch schon mit Fragen bombardiert: Wie ich Gackt kennengelernt hatte, wie alt ich war, in welchem Stadtteil ich wohnte, was ich beruflich machte, ob und was ich denn trinken wollte und so weiter und so fort. Wieder kam es mir wie ein Wasserfall vor, was allerdings in diesem Fall ganz gut war, denn so konnte ich mir die Fragen aussuchen, die ich zuerst beantworten wollte. Und das war im Moment die nach meinem Getränkewunsch: „Einen Cuba Libre, bitte.“ „Kannst du vergessen“, mischte sich Gackt auf einmal ein, zog sich einen Stuhl vom leeren Nachbartisch heran und ließ sich verkehrt herum darauf nieder. Offensichtlich hatte er einen Umweg über die Bar gemacht und sich dort ein Bier geholt. „Was kann ich vergessen?“, hakte ich nach. „Den Cuba Libre“, klärte er mich auf, „so was gibt’s hier nicht. Du kannst den Rum und die Cola einzeln haben. Genau wie Wodka, Sake, Whiskey, Gin, Wasser, Limonade oder jede Menge anderes, solange es nicht vorher zusammengemixt werden muss. Hatori kann das leider nicht und so selten wie es hier bestellt wird, brauch er das auch nicht.“ Ich sah ihn vollkommen verständnislos an: „Du bist Barkeeper, du kannst das machen.“ „Keine Chance, ich bin außer Dienst“, erwiderte Gackt darauf grinsend und hob entschuldigend die Hände. Dass ich ihm das nicht abnahm, versteht sich hoffentlich von selbst. „Gackt, du bist ein Arsch.“ „Und du ein versnobter Idiot. Schon die ganze Zeit.“ Dabei grinste er mich noch breiter an und nahm dann einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche. Er hoffte wohl, dass ich es richtig interpretieren und ihm keine reinhauen würde. Aber wenn ich so drüber nachdachte war es gerade sein Grinsen, was mich erst richtig in die Stimmung brachte, dies doch zu tun. „Na, was willst du denn nun?“, schob er allerdings hinterher, bevor ich mich entscheiden konnte, sodass ich stattdessen nur ein reichlich grummeliges „Sake On The Rocks“ von mir gab. „Sake kalt will er“, gab Gackt meinen Wunsch an die Dame des Hauses weiter, die dann auch gleich davonwackelte, um ihn mir zu erfüllen. Ich sah ihr für einen Augenblick nach, wandte mich aber dann wieder der Runde zu, die mich – abermals – gespannt anstarrte. Scheiße, die wollten ihre Fragen beantwortet haben! Und darauf hatte ich so gar keine Lust. Aber wenn nicht schnell etwas dazwischenkam, würde ich das tun müssen. Ein kurzer Blick zu Gackt sollte allerdings meine Rettung sein, denn er war schließlich dafür verantwortlich, dass ich überhaupt hier war. „Und was erwartet mich nun?“, fragte ich möglichst grantig, um ihm zu signalisieren, dass ich von Spaß so weit weg war wie Tokyo von Paris. „Immer schön locker“, sagte er jedoch nur und nippte wieder an seinem Bier, „geht in ungefähr einer halben Stunde los. Solange kannst du dich hier bekanntmachen.“ Ich ließ jedoch nicht davon ab: „Was geht in einer halben Stunde los?“ Auf seinen Lippen erschien ein fast schon dreckiges Lächeln, als er sich näher zu mir heranbeugte und mir zuflüsterte: „Tanzwettbewerb, Süßer, und ich hab uns als Pärchen angemeldet.“ „Du hast was?!“, echauffierte ich mich sofort. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. „Sag, dass das nicht dein Ernst ist! Es ist ja eine Sache, wenn du mir herschleifst, aber eine andere, wenn du-“ „Hat da jemand schlechte Laune?“, wurde ich allerdings von Miyako unterbrochen, als sie mir mein Glas Sake brachte und es auf einem Pappdeckel vor mir auf dem Tisch absetzte. „Nein, er versteht nur keinen Spaß“, übernahm Gackt für mich dann auch noch das Antworten. „Ich hab ihm grad erzählt, was hier heute ist.“ „Aber da muss doch keiner schlechte Laune haben.“ „Sag das ihm.“ Hand hoch, wen wundert es nicht, dass meine Stimmung nicht besser wurde, als sich zwei mehr oder minder fremde Menschen gerade über meinen Kopf hinweg über mich unterhielten und dabei so klangen, als wäre ich ein Fünfjähriger? Mental hob ich meine Hand, während ich real mein Glas Sake in einem Zug leerte und es hart wieder absetzte, als ich den Alkohol ausgetrunken hatte. „Das ist doch mal ein ordentlicher Zug“, kommentierte jemand aus der Runde dazu – Jeremy hieß er, das hatte ich mir merken können, weil er als einziger Ausländer weit und breit gut sichtbar herausstach. „Hm“ und ein Nicken waren meine Reaktion dazu. Er war jedoch noch nicht fertig: „Wenn du nachher beim Billard auch so loslegst, könntest du sogar Gaku schlagen.“ Wie bitte? Billard? Ich drehte mich 'Gaku' wieder zu und starrte ihn, eine Augenbraue verächtlich in die Höhe gezogen, an. Er musste meine Mordgedanken hören können, denn sein Grinsen wackelte beträchtlich, er stand blitzartig auf und vermeldete, dass er dann mal beim Aufbau helfen würde. Gut für dich, schoss es mir durch den Kopf, halt dich bloß von mir fern, denn ich kann für nichts garantieren! Während Gackt und noch ein paar seiner Freunde die Bar fast komplett umräumten, indem sie die Tische zur Seite schoben und stattdessen einen Billardtisch, den sie auf klappbaren Rollen aus einem Hinterzimmer holten, dort platzierten, bewegte ich mich keinen Millimeter, sondern drehte mich nur auf meinen Stuhl herum. Dazu kam noch eine ziemlich alt aussehende Tafel, auf der eine der Frauen begann, Namen zu notieren. „Hyde, machst du auch mit?“, fragte sie mich, als die Tafel beinahe voll war. Ich warf noch einmal einen kurzen Blick darauf, entschied mich aber doch dagegen. Sie zuckte mit den Schultern und legte das Stück Kreide, das sie in der Hand hatte, erst einmal weg. Ich blieb schön auf meinem Platz sitzen, von dem aus ich alles sehen konnte, und bestellte mir noch einen Sake. Und ich wunderte mich auch ein wenig darüber, dass Gackt samt seiner Hartnäckigkeit es sich doch tatsächlich nehmen ließ, mich selbst noch einmal zu bequatschen und zu versuchen, dass ich doch mitmachte. Stattdessen stürzte er sich zusammen mit drei seiner Freunde sofort in die erste Runde. Sie wurden von den Umstehenden beobachtet, angefeuert und in Gackts Fall möglichst gut abgelenkt. Die wollten ihn wohl tatsächlich verlieren sehen, so laut wie sie buhten und lästerten. Und dennoch wirkte er vollkommen konzentriert. Immer wenn er an der Reihe war, fixierte die Kugeln, die er anpeilte, ganz genau und versenkte sie in den meisten Fällen auch. Meinen Respekt, ich musste zugeben, dass er in der Tat nicht schlecht spielte! Dass sein Team die Partie kurz darauf gewann und Gackts Partner keinen allzu großen Beitrag dazu hatte leisten müssen bzw. können, war dann auch keine Überraschung mehr. Genau wie die Tatsache, dass er sich nach dem Sieg mit offenen Armen, erhobenem Haupt und mehr als nur selbstsicherem Blick dastand und sich feiern ließ. Man könnte glatt glauben, er wäre ein arroganter Bastard. Oh Moment, das war er auch! Nun ja, zumindest wollte er sich feiern lassen – der Rest der Gruppe machte da nämlich nicht ganz mit. Sie zogen ihn nur auf, die beiden Frauen, die das Gegnerteam gebildet hatten, traten die Queues an das nächste Team ab und es ging auch schon weiter mit Runde zwei. Und die ging recht ähnlich aus und so auch die Runden drei bis acht, bis jedes Paar einmal sein Fett weg bekommen hatte und geschlagen worden war. Ein paar Mal sah es auch ganz hoffnungsvoll für sie aus, doch dann drehte Gackt den Spieß wieder um und versenkte als Erster erfolgreich die letzte Kugel im richtigen Loch. Manche von ihnen taten sich das sogar zwei- oder dreimal an, behielten dabei ihre Partner bei oder wechselten sie – je nachdem, wie sie lustig waren. Nur ich hielt mich da raus und schaute zu. Das änderte sich jedoch, als Gackts Freunde wohl keine Lust mehr auf Niederlagen hatten und nicht mehr mitmachen wollten, solange Gackt im Spiel blieb. Der hingegen schien dem noch lange nicht müde zu sein, denn er fragte in die Runde: „Will denn wirklich keiner mehr? Ach, kommt schon, so lange spielen wir doch noch gar nicht.“ „Halt dich zurück und ich mach mit“, kam es von irgendwem. „Was wäre doch langweilig“, war Gackts Reaktion darauf. „Dann musst du wohl mit dir selber spielen.“ „Ach, Leute, das könnt ihr mir nicht antun! Ihr dürft einfach keine Angst vor der Niederlage haben, dann habt ihr vielleicht eine kleine Chance, auch mal zu gewinnen. Oder wenigstens mehr als vier Kugeln einzulochen. Haha.“ Ich war erstaunt über all diese Sprüche von ihm. Ja, er war selbstsicher, das hatte ich bereits gemerkt – aber das hier ging schon eher in Richtung Arroganz, eventuell sogar mit einer Spur Sadismus. Und ich fragte mich, ob wir uns vielleicht gar nicht so unähnlich waren, wie ich bisher gedacht hatte. Gackt und ich, der Moralapostel und das Luxuskind. „Findest du das nicht ein bisschen großkotzig?“, rief ich daraufhin zu ihm hinüber, lehnte mich nach hinten an die Tischkante und stützte mich mit den Ellenbogen auf der Platte ab. „Bist du auch nur einen Deut besser?“, lautete seine Gegenfrage. Da, schon wieder! „Jep, bin ich.“ Das stimmte im Grunde nicht wirklich, aber sei es drum. Ich war nicht auf den Mund gefallen und Schwindeleien gehörten schließlich zu meinem Lebensstil. Und dann kam auch schon die Herausforderung: „Dann zeig's mir, wenn du dich traust! Oder kannst du nicht?“ „Billard?“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Das hatte ich eigentlich nicht gemeint. „Was sonst?“ „Wenn du unbedingt willst“, stimmte ich ihm ohne Umschweife zu. Das würde ihm noch mächtig leidtun. Er wusste ja gar nicht, was ihn erwartete – ich hingegen hatte genau gesehen, wie er spielte. Das würde der Denkzettel des Jahres werden! Ich erhob mich zum ersten Mal, seit wir hier waren, und nahm den Queue entgegen, den einer der beiden Hatoris mir reichte. Gackt sammelte währenddessen die Kugeln ein und platzierte sie auf ihrer Ausgangsposition, damit wir die Partie gleich fortsetzen (oder beginnen – je nachdem, wie man es sehen wollte) konnten. „Na los, dann zeig mal, was du kannst!“, forderte er mich in einem neckenden Tonfall auf, als er das Plastikdreieck wegnahm und das Spiel so freigab. „Und du bist dir sicher, dass du den Anstoß an mich abgeben willst?“, hakte ich nach, „es könnte dein Verhängnis sein.“ Es war alles Strategie – auch diese Frage schon. Ich war zwar wirklich kein Profi im Billard, aber um Gackt auf Trab zu halten, würde es allemal reichen. Ich hatte einiges an Übung, da ich vor einigen Jahren mal eine Zeit lang in einer Poolhalle gearbeitet hatte. So viele Leute hatte ich spielen sehen, darunter auch einige, die mehrmals die Woche gekommen waren – mein größtes Talent war daher eindeutig die Analyse der Lage. Und wenn man wusste, wie es stand, dann konnte man seine Chancen ganz genau nutzen. So würde ich Gackt gnadenlos alle machen! „Mach dir da mal keine Sorgen um mich“, entgegnete Gackt schließlich, „ich denke, den Vorsprung kann ich dir gönnen. Die Runde soll schließlich ein bisschen länger dauern als die letzten paar.“ „Wenn du meinst.“ Ich zuckte mit den Schultern und wanderte dann einmal um den Tisch herum, um zum Ausgangspunkt zu gelangen. Dort lehnte ich mich nach vorne, die Fingerspitzen der linken Hand solide auf der grünen Spielfläche aufliegend, während ich mit der Rechten den Queue locker hielt und nach dem richtigen Anstoßwinkel suchte. Erst einmal musste ich möglichst viele Kugeln einer Sorte versenken, den Rest würde ich auch später noch erledigen können. Nach ein paar Sekunden, in denen ich meine Möglichkeiten abschätzte, kam ich zu dem Schluss, dass ich das Dreieck aus Kugeln wohl am besten mit einem Drall nach links anspielte. So würden die beiden Halben, die auf der rechten Seite lagen, idealerweise nacheinander ins Loch rollen oder zumindest knapp davor zum Erliegen kommen, sodass es einerseits ein Kinderspiel sein würde, im Anschluss mit ihnen zu punkten, und andererseits auch Gackt nicht mehr an das Loch herankam, ohne dass es mir nutzen würde. Ja, so war es sicher am besten. Wenn ich bei diesem Stoß allerdings gar nichts riss, hätte Gackt den Vorteil und ich wäre gleich zu Beginn mächtig am Arsch … besser nicht dran denken, sonst- „Gehen wir nachher noch ins Kino?“, wurde ich auf einmal gefragt, „zur Zeit laufen haufenweise Filme in der Nachtvorstellung.“ Ich zuckte ein bisschen zusammen, weil ich das nicht hatte kommen sehen und drehte mich zum Besitzer der Stimme um. Als ich Gackt dicht neben mir erblickte, zog ich eine Augenbraue hoch: „Und das fällt dir ausgerechnet jetzt ein? So plötzlich, dass du mich unterbrechen musst?“ „Jep. Also, Kino, ja oder nein?“ Ich richtete mich wieder voll auf und ging erneut zum Angriff über, als ich mich wieder voll gefangen hatte: „Da hat doch nicht etwa jemand Angst, dass er verliert, und muss zu unfairen Mitteln greifen?“ „Wer ist denn hier unfair? Du hast doch noch gar nichts gemacht. Und nochmal: Kino?“ „Meinetwegen“, willigte ich ein und zuckte abermals mit den Schultern, „du bist schließlich für die Abendplanung verantwortlich. Wo ist das nächste Kino?“ „Weiß nicht genau, aber das wird schon was.“ „Okay“, nickte ich Gackts Worte ab, „würdest du mich dann bitte wieder entschuldigen? Ich muss dir ne Abreibung verpassen.“ „Du bist also immer noch der Meinung, dass du gegen mich ankommst? Dass du dich da mal nicht irrst, Hyde“, stichelte Gackt weiter, nachdem die Kinosache abgehakt war und ihm wohl nicht so viel gebracht hatte wie erhofft. Trotzdem trat er brav beiseite, damit ich meinen ersten Zug machen konnte. Und der saß: Die weiße Spielkugel traf das Dreieck links und die beiden Halben, die ich anvisiert hatte, rollten brav in die hintere rechte Tasche. Nummer 9 und 15 waren damit versenkt. Leider auch die volle grüne Kugel mit der 6. Natürlich lag ich noch immer eine Kugel vorn, aber es wäre schöner gewesen, zwei Vorsprung zu haben. „Halbe“, sagte ich an, selbst wenn es eigentlich jeder sehen sollte. Aber wer wusste schon, ob Gackt – entgegen seiner Beteuerungen – nicht vielleicht doch zu miesen Tricks greifen würde, um sich vor einer Niederlage zu drücken. Wir spielten hier immerhin ein Ansagespiel und da konnte einem praktisch alles vorgeworfen werden, was man nicht deutlich machte, selbst wenn das hier kein Turnier von Profis, sondern nur die harmlose Kneipenversion davon war. Für den nächsten Treffer musste ich um den Tisch herumgehen – oder ich hätte über zwei Banden spielen müssen, aber darin war ich nicht allzu gut. Gackt hingegen sehr und ich konnte mir jetzt schon vorstellen, dass mir das noch Bauchschmerzen bereiten würde. Also würde ich keine Chancen riskieren, indem ich Dinge tat, von denen ich genau wusste, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit schiefgingen. Jedenfalls stützte ich mich auf der anderen Seite wieder auf den Rand, ging tief herunter, um mit dem Auge auf einer Höhe mit dem Queue zu sein und visierte die violette halbe Kugel an. Trotz der veränderten Ausgangslage musste ich sie seitlich treffen, um sie auf den richtigen Weg zu bringen. Ich stieß an, die Spielkugel berührte berührte Nummer 12 so wie ich es geplant hatte und die wiederum rollte zielstrebig in die – von mir aus gesehen – hintere linke Tasche. Zufrieden richtete ich mich wieder auf und hielt nach dem nächsten Ziel Ausschau. Um die Geschichte etwas abzukürzen: Das tat ich noch zwei weitere Mal, sodass auch die Kugeln 11 und 14 ihren Weg nach unten fanden und ich meinen Vorsprung auf vier Kugeln ausbauen konnte. Gackts Freunde gratulierten mir dabei auch sehr laut und je mehr Kugeln ich versenkte, desto mehr stieg ihre Laune. Und meine natürlich auch, sodass ich mich irgendwann tatsächlich doch dazu hinreißen ließ, mich in meinem momentanen Ruhm zu sonnen, auch wenn ich das vorhin an Gackt kritisiert hatte. Aber hey, er hatte es ja nicht anders haben wollen! Und dazu noch die Tatsache, dass sich seine Freunde so gegen ihn verschworen hatten, dass sie sogar den Feind anfeuerten und ihm teilweise sogar schon zum Sieg gratulierten. Das würde mächtig auf sein Ego gehen. Doch genauso wenig wie man vorträglich zum Geburtstag gratulieren sollte, sollte man dies auch nicht mit einem Sieg tun, den man noch nicht sicher in der Tasche hatte. Vor mir lagen noch schließlich zwei halbe Kugeln und selbstverständlich die schwarze 8! Trotzdem schmeichelte es mir natürlich, dass ich so angefeuert wurde, aber wem wäre es nicht so gegangen? Und genau an dieser Stelle haperte es dann auch, wobei ich noch nicht einmal Gackt die Schuld in die Schuhe schieben konnte. Er spielte vollkommen fair, hatte seit seiner Frage bezüglich des Kinos großartig nichts mehr gesagt und hielt sich auch solange schon aus dem Spiel wie ich bereits dran war. Als ich für den nächsten Stoß Position bezogen hatte, schaute ich sogar noch einmal auf, um zu prüfen, ob er auch wirklich nichts Linkes versuchen würde – wie zum Beispiel am Billardtisch zu wackeln, während ich gerade meinen Zug spielte. Nein, er stand mir genau gegenüber und locker anderthalb Meter neben dem Tisch, das Kinn auf den Händen und die Hände auf dem Queue abstützend. Das einzige, was er dabei tat, war zu lächeln. Aber nicht einfach nur so, sondern unbeeindruckt und vollkommen selbstsicher. Er schien Spaß an dem Spiel zu haben, das er scheinbar gerade verlor. Selbst die Sticheleien seiner Freunde schienen ihm nichts auszumachen. Okay, ich hatte gesehen, wie er das auch bei den anderen vor mir abgezogen hatte, aber bei denen hatte er sich auch mehr oder minder sicher sein können, dass er am Ende tatsächlich gewinnen würde. Und ich wusste ziemlich genau, was er bei mir damit vorhatte: Er wollte mich schlicht und einfach nur verunsichern. Aber das würde nicht klappen, ich hatte Nerven wie Drahtseile. Mit Engelsgeduld widmete ich mich wieder dem Spiel, versetzte dem weißen Ball einen kräftigen Stoß … und schoss damit mächtig über das Ziel hinaus. Ganz einfach war die Kugel ohnehin nicht gewesen, da ich sie an einer der übrigen Vollen vorbei ins Loch hineinmanövrieren wollte und das auch nur tat, um ein bisschen mehr Eindruck zu schinden. Hätte ich eine einfachere Tasche als Ziel ausgewählt, wäre es mir garantiert nicht passiert. „Vorne rechts“, hatte ich noch sehr selbstbewusst gesagt, bevor ich angestoßen hatte. Aber es war zu viel Kraft gewesen, sodass die weiße Kugel die blau-weiß gestreifte 10 zu schnell über das samtene Grün rollte und die violette 4, die direkt vor dem Loch lag, auch genau dort hineinbeförderte. Sie selbst prallte an der Bande ab und bewegte sich zielstrebig wieder zur Mitte der Spielfläche. Mir blieb dabei nichts weiter als ein „Mist“, das mir unwillkürlich entkam. „Ohhhh!“, kam es dafür wie im Chor von den Umstehenden, von denen mir zwei oder drei auf die Schulter klopften und beschwichtigende Worte wie „Macht nichts, danach ziehst du ihn aus!“ murmelten. „Ach, Hyde“, stieg Gackt selbst auch gleich mit ein und er machte sich nicht einmal die Mühe, dabei nicht schadenfroh zu klingen, „ach, Hyde … jetzt bist du fällig.“ Und so kam es auch – fast. Ich war wirklich ganz gut im Poolbillard, aber Gackt eben auch. Er war nicht in Panik geraten, als ich eine Kugel nach der anderen hatte einlochen können, denn er hatte nur auf diese eine Gelegenheit gewartet, wenn er an der Reihe sein würde. Denn nun zog er so ziemlich die gleiche Nummer ab und spielte mich halb an die Wand. Rot 3, violett 4, gelb 1, purpur 7 und schließlich blau 2 landeten souverän eine Etage tiefer. Und dabei zog er sogar noch ein paar heiße Manöver – teilweise über drei Banden – ab, wie ich sie nie und nimmer hinbekommen würde, wenn ich nicht gerade nochmal in einer Poolhalle anfing, um wieder regelmäßig zu üben. Ich konnte auch nicht leugnen, dass mich das Ganze ein wenig nervös machte, weil ich wirklich befürchten musste, dass er das Spiel in den nächsten zwei Zügen für sich entscheiden würde. Schließlich war Gackt nur noch zwei Stöße vom Sieg entfernt, wenn er keine Fehler mehr machte. Und in dem Fall wäre sein größter Fehler tatsächlich nur der gewesen, mich anfangen zu lassen, was dann im Endeffekt ja doch hinfällig gewesen wäre. Natürlich wollte ich das ums Verrecken nicht hinnehmen müssen, aber was konnte ich tun, um es nicht so weit kommen zu lassen? Es lagen neben der weißen nur noch vier andere Kugeln auf dem Grün: zwei orangene, eine blaue und natürlich die schwarze 8 – alles sehr übersichtlich und genauso offensichtlich war auch, dass der Weg für Gackts orangene 5 weitestgehend frei war. Er müsste sie nur an einer Bande abprallen lassen und sie umlief meine blaue 10, um direkt danach im Loch zu landen. Ich musste das verhindern, ich musste zu Tricks greifen. Wenigstens zu einem kleinen, der ihn hoffentlich genug aus dem Konzept bringen würde, um mich wieder an die Reihe zu bringen und mir eine letzte Chance auf den Sieg zu geben. Aber wie nur, wie? Auf die Schnelle sah ich nur eine Lösung des Problems: nicht nur Tricks, sondern miese Tricks zu verwenden. Ich trat an Gackts Seite, beugte mich zu ihm hinunter und legte dabei meine rechte Hand bewusst auf seinen Rücken. „Sag mal“; raunte ich ihm dann ins Ohr und sorgte dafür, dass meine Stimme schön rauchig klang, „wieso machst du das hier eigentlich? Wieso gibst du dir so viel Mühe bei einem blöden Abend, der dir sowieso nichts bringen wird? Du versuchst doch nicht etwa, mich auf diese Weise rumzukriegen, hm?“ Dann legte ich verspielt den Kopf schief, wovon ich wusste, dass ndere sonst immer darauf ansprangen. Ich konnte zwar nicht hören, was Gackt in diesem Augenblick dachte, aber ich konnte sehen, wie seine Lippen sich zu einem Grinsen verzogen. Dann drehte er den Kopf etwas in meine Richtung und sah mich aus dem Augenwinkel an. „Hyde, du machst mir doch nicht etwa gerade ein Angebot, um mich vom Gewinnen abzuhalten?“, fragte er glucksend. Ich spielte mit, stieg darauf ein: „Hmmm, wer weiß. Du kannst mir auch nicht erzählen, dass du keine Hintergedanken hierfür hast.“ „Ach, du willst also wirklich wissen, wieso ich dich zu diesem Abend überredet habe?“ „Ich in superscharf drauf.“ Okay, okay, wenn er jetzt nicht wusste, dass diese Wortwahl Absicht war, um ihn tatsächlich vom Gewinnen abzuhalten, dann wäre er schon extrem dumm – was er allerdings nicht war. „Weil ich Herausforderungen liebe, ich allgemein an Menschen interessiert bin und ganz besonders an denen, die genau wie du mit einer Leck-mich-am-Arsch-Attitüde daherkommen und denken, die Welt würde sie nichts angehen. Die Sorte kennt sich nämlich selbst meist am wenigsten. Und du bist eine herrliche Mischung aus allem. Sieh dich einfach als meine persönliche Jungfrau in Nöten an.“ „Aha.“ Etwas anderes blieb mir nicht übrig. Tatsächlich hätte ich jetzt nicht erwartet, dass er mir eine ehrlich Antwort – denn genau danach klang es – geben würde. Ich hätte erwartet, dass er noch etwas weiter mitspielte, damit ich ihn irgendwann genug ablenken könnte, um seinen Stoß zu versauen. Doch Gackt wandte sich nur wieder dem Spiel zu und setzte zu seinem nächsten Zug an. Währenddessen geisterten mir noch immer seine letzten Worte im Ohr herum: Ich war seine persönliche Jungfrau in Nöten. Und er war dann also mein Ritter in glänzender Rüstung? Ich verschob die Gedanken auf später, denn einerseits würde es mich wahrscheinlich nur aufregen und andererseits hatte ich jetzt dringendere Probleme: Es sah ganz danach aussah, als ob Gackt das Spiel aus eigener Kraft nicht versauen würde und dass ich deshalb mit noch mieseren Tricks dafür sorgen musste: Ich ließ meine Hand so schnell wie möglich an Gackts Rücken hinuntergleiten und kniff ihn einfach in den Hintern. Seine Reaktion darauf war tatsächlich ein überraschtes „Hey!“, worauf er den Stoß vergeigte. Die Spitze des Queues schrammte an der weißen Kugel vorbei und stieß stattdessen die an, die er eigentlich hatte versenken wollen. Ein klares Foul, auch wenn es nicht seine Schuld gewesen war. Gackt fixierte mich auch gleich mit einem Blick, der – berechtigterweise natürlich – mich für sein Versagen verantwortlich machte, während ich nur entschuldigend die Hände hob. „Was kann ich dafür, wenn du nicht sagst, dass du weitermachen willst?“, wollte ich mich aus der Affäre ziehen, „ist schließlich ein Ansagespiel.“ „Schlitzohr“, lautete Gackts Antwort darauf erst einmal nur, während er dabei den Kopf schüttelte, wenigstens aber auch schmunzelte, „na, dann mach mal und versuch dein Glück.“ Er trat darauf geduldig zurück und gestikulierte mir mit einer Armbewegung, dass der Billardtisch nun ganz mir gehörte. Es wunderte mich schon etwas, dass er nicht protestierte. Selbst seine Freunde waren lauter gewesen, weil sie mich sofort, noch bevor er überhaupt einen Ton hatte sagen können, verteidigt hatten. Alles, um ihn verlieren zu sehen. Sie waren schon eine lustige Truppe. Aber ich nahm es so hin, auch wenn ich mir vornahm, vorsichtig zu sein und auf alles zu achten, was Gackt tat. Denn diesmal blieb er neben mir, anstatt mir gegenüberzustehen. Ich erwartete fast schon eine Attacke, während ich gleich die weiße Kugel ins Rollen bringen würde, um auch noch meine verbleibenden beiden Kugeln einzulochen. Doch er blieb wieder ganz locker und versicherte mir sogar, dass er keine krummen Spielchen treiben würde: „Du wirst sowieso verlieren. Guck dir doch nur mal an, wo meine 5 eben hingerollt ist, und du merkst es auch.“ „Was?“, meinte ich ganz überrascht, denn ich konnte mir gerade nicht vorstellen, wie seine Kugel über meine Niederlage entscheiden sollte. Aber nur einen Moment später sah ich es tatsächlich: Ich hatte jetzt schon verloren, obwohl ich noch gar nichts weiter gemacht hatte. Eigentlich hatte ich jetzt die orangene 13 anvisieren wollen, die knapp vor einem Loch gelegen hatte. Ich hätte sie nur noch sanft anschubsen müssen und sie wäre wie von allein in die Tasche gerollt. Die schwarze 8 hatte vor Gackts letztem Stoß einen halben Meter daneben gelegen, aber urplötzlich lag sie direkt dahinter – zwischen der 13 und dem Loch. Mist! So ein Mist! Ich wusste, dass Gackt nichts am Tisch gemacht hatte und seine Freunde waren auch alle gegen ihn. Also konnte seine verbleibende 5 nur so gerollt sein, dass sie die 8 angestoßen und dorthin befördert hatte. Ein Eigentor, ein verdammtes Eigentor! Ich hatte mit der Aktion gewinnen wollen und mich gerade damit ins Aus geschossen – diese Kugel konnte auch ich nicht mehr retten, ohne die schwarze 8 einzulochen und das würde meine unweigerliche Niederlage bedeuten. Mein Pech, Gackts Glück im Unglück. Uh, dieser …! „Na, na, nicht so miesepetrig“, neckte Gackt mich daraufhin auch schon, weil ich anscheinend ein Gesicht machte als … na, als hätte ich mir gerade selbst das dümmste Bein überhaupt gestellt. Was ich ja auch hatte. Großartig gemacht! Auf einmal wurde mir dann ein Arm um die Schulter gelegt und ich wurde an jemanden gezogen. Die Person, die mich da in den Arm genommen hatte, sagte dann auch: „Ach, komm schon, Hyde, ist doch alles nicht so wild. Los, wir trinken noch einen und du darfst mich weiter verfluchen, dass ich dich erst hergebracht hab und du nicht verloren hättest, wenn ich das nicht gemacht hätte.“ Natürlich war Gackt diese Person, das hatte ich schon an der dichten Wolke aus Parfum bemerkt, und er grinste mich dabei breit an. Und was tat ich? Ich ließ mich anstecken. Zwar grummelte ich noch ein leises „Hm“, aber … keine Ahnung. Alle waren so guter Laune und im Endeffekt war ich ja selber schuld an meiner Niederlage. Ich gab Gackt zwar nicht die Genugtuung, ausgiebig mit ihm zu lachen, aber ein breites Schmunzeln konnte ich mir trotzdem nicht verkneifen. Arm in Arm steuerten wir die Bar an, während die anderen uns die Queue bereits aus der Hand genommen hatten und sich jetzt wieder ans Spielen machten. Witzig war es schon, denn nun, da Gackt nicht mehr dabei war, wollten wieder alle auf einmal dran sein. Vorne bei Hatori an der Bar war meine miese Laune dann komplett verraucht – ganz so, als ob sie nie da gewesen wäre. Gackt gab mir noch einen Sake On The Rocks aus, bestellte sich selbst ein weiteres Bier und wir witzelten etwas über seine und meine Begabungen, was Billard und Ablenkungsmanöver anging. „Ich frage mich wirklich, wie du so viele Leute aufreißen kannst, wenn du selbst fürs Billard miese Tricks brauchst“, meinte Gackt scherzend. „Tja, wer sagt denn, dass ich da sonderlich ehrlich bin“, lautete meine äußerst aufrichtige Antwort darauf, worauf Gackt kurz die Augenbrauen hochzog, dann aber mit den Schultern zuckte und noch einen Schluck Bier nahm. „Hab ich mir schon denken können, dass es ohne nicht geht“, stimmte er schließlich ein. So in der Art unterhielten wir uns, bis sich eine von Gackt Freundinnen kichernd zu uns setzte. Ich weiß nicht, ob sie immer so war oder einfach nur zu viel getrunken hatte, aber auf alle Fälle begrüßte sie mich mit folgenden Worten: „Na, Süßer, wie wäre es mit uns beiden?“ „Das brauchst du erst gar nicht zu versuchen, Hana. Hyde interessiert sich nicht für Frauen“, riss Gackt das Wort aber schon an sich, bevor ich den Mund aufmachen oder auch nur ihr Angebot realisieren konnte. Es dauert ein paar Sekunden, ehe ich voll drin war. „Das stimmt so nicht“, wandte ich dann endlich ein, „ich nehme, was grad kommt oder worauf ich Lust habe. Und selbst wenn es ein Mann ist, was soll's? Ich bin sowieso nicht scharf auf eine Familie, Kinder und den ganzen Rattenschwanz.“ „Das ist traurig“, kommentierte diese Hana dazu und sah aus, als würde sie gleich ganz sentimental werden. „Ach, komm. Ist doch meine Sache.“ „Sie hat Recht“, warf Gackt auch noch ein und verbrüderte sich damit schon irgendwie gegen mich, „es ist traurig, wenn du auf eine Familie und Bindungen pfeifst. Sonderlich viele Freunde scheinst du auch nicht zu haben. Zumindest hab ich dich nie mit welchen gesehen.“ „Kann ja nicht jeder so ein Gesellschaftstier sein wie du. Ich wette, du bist perfekt in allem, was du bist und tust.“ Darauf lachte er, jedoch klang es ein wenig bitter. „Ganz sicher nicht“, versuchte er mir weißzumachen, „um ehrlich zu sein, ich hab ziemliche Probleme, mit meiner Familie vernünftig auszukommen.“ „Oh~ wie unerwartet. Der große Gackt hat doch Fehler“, zog ich das ganze ins Lächerliche, schätzte die Situation dabei aber vollkommen falsch ein. Denn ich hatte nicht erwartet, dass er mir darauf ernsthaft antwortete. „Ich hab nie behauptet, dass ich keine hätte“, gab Gackt zu, „die Bande, die sich meine Familie schimpft, ist mir einfach suspekt. Wir haben keinen Draht zueinander, weil sie allesamt ziemlich verstockt sind. Also bin ich da ausgestiegen, als es mir zu bunt wurde. Seitdem gebe ich mich nur noch mit ihnen ab, wenn ich wirklich muss. Ich hab mir dafür andere Leute gesucht – Leute, mit denen ich wesentlich besser auskomme.“ „Aha.“ Ich war etwas perplex, dass er mich damit jetzt überfuhr. „Mein Vater hat bald Geburtstag“, sagte er darauf. Nur das, nur eine Feststellung, ohne Erklärung oder Frage. „Und?“, übernahm ich das daher. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich zu meiner Familie keinen guten Draht habe.“ „Äh …“, so langsam hatte ich das Gefühl, dass ich dazu irgendwas sagen sollte. Das Problem war nur: Was? Ich kannte seine Familie nicht und im Grunde ging mich die auch gar nichts an. Vielleicht sollte ich es auch genauso handhaben. Hm … ich antwortete daher erst einmal so, wie ich es nehmen würde: „Trotzdem: Und? Wenn du keinen Draht zu ihnen hast, dann brauch es dich ja nicht zu kümmern.“ Für mich war der Fall klar, für Gackt aber natürlich nicht. Wieso denn einfach, wenn es auch kompliziert ging? „Das kommt mir falsch vor. Ich fühle mich schlecht, wenn ich mich nicht wenigstens blicken lasse. Meine Mutter würde sich sicher sehr darüber freuen – sie ist die Einzige, der ich nicht komplett den Rücken gekehrt habe. Nur wegen ihr tauche ich regelmäßig auf Familienfeiern auf. Aber der Rest der Bagage bringt mich einfach zur Weißglut. Man kann sie noch nicht einmal begrüßen, ohne dass sie die Gelegenheit nutzen, schon wieder irgendwelchen …“ Ich seufzte. Er war ein elender Moralapostel. Und damit machte er es sich nur selbst schwerer, als er es haben musste. Machte er mit seiner Art zu leben sowieso, aber das hier war noch einmal etwas anderes … eine Stufe höher. Und er belastete mich damit, indem er es mir erzählte, weil er wohl darauf hoffte, dass ich ihm dabei helfen würde. Ich roch es förmlich. Dabei sollte er doch mitgekriegt haben, dass das nicht mein Ding war. Zumal ich mit meiner Familie im Grunde wunderbar klarkam, sie aber einfach nicht so oft besuchte, weil ich schlichtweg nicht das Bedürfnis danach verspürte, sie alle naselang zu sehen. „Ich weiß nicht, was ich da jetzt tun kann“, sagte ich daher ehrlich und vielleicht auch ein bisschen hölzern. Aber hey, mir hatte niemand gesagt, dass ich heute den Seelenklempner spielen sollte. Warum ausgerechnet ich? Er hatte doch bestimmt Freunde, die mit so etwas besser umgehen konnten. „Ist ja auch alles nicht so einfach, Hyde“, meinte er leicht abwesend und es gleichzeitig beendend, indem er einen Schluck von seinem Bier nahm und dann selber davon ablenkte. „Und du?“, fragte er. Ich zuckte mit den Schultern und meinte nur: „Was soll schon sein? Meine Eltern leben, seit ich denken kann, in demselben Nest, ich bin ausgezogen und sehe sie ab und an. Ganz normal eben.“ „Also … keine dunklen Geheimnisse, schlimme Kindheit oder sonstige Gründe, wieso du so geworden bist?“ „Nope, nichts davon. Du solltest dir also wirklich jemand anderen dafür suchen.“ „Schon gut, schon gut“, stimmte Gackt zu und leerte seine Bierflasche. Begeistert schien er von dem Ende der Unterhaltung zwar nicht zu sein, aber sein Ton wurde während der nächsten Worte schon wieder hoffnungsvoller: „Lass uns dann auch gehen, sonst läuft nirgendwo mehr ein Film.“ „Das ist doch mal ein Wort.“ „Zwei bitte!“, sagte Gackt zu einem Mann mit einem tragbaren Stand, wo es irgendwas zu essen zu geben schien. Ungefähr eine viertel Stunde nachdem wir uns von seinen Freunden verabschiedet und die Bar verlassen hatte, hatte er diesen Typen auf dem Weg zum Kino erblickt und mich kurzerhand hingeschleift. „Was ist das?“, fragte ich und lehnte mich ein wenig zur Seite, um an ihm vorbeispähen und erkennen zu können, was der Kerl ihm da gab. Ich musste jedoch warten, bis er seine Geldbörse wieder weggesteckt, was auch immer entgegengenommen und sich zu mir umgedreht hatte. Und selbst dann reichte er mir wortlos eins von den in Servietten gepackten Teilen, die er in den Händen hielt. Ich hob es an die Nase und roch kurz darauf, wobei mir ein starker Geruch von Salz in die Nase stieg. „Was ist das nun?“, hakte ich weiter nach. „Kennst du das nicht?“ „Würde ich sonst fragen?“ „Das ist eine Laugenbrezel“, erklärte Gackt mir, trennte ein Stück von seiner Brezel ab und steckte es sich in den Mund. Als er es runtergeschluckt hatte, fuhr er fort: „Die kommen ursprünglich aus Deutschland, aber es gibt sie mittlerweile so ziemlich überall. Nur an dir scheinen sie vorbeigegangen zu sein. Allerdings muss ich zugeben, dass ich auch erst drüber gestolpert bin, als ich für eine Weile in England war.“ „Bist ja weit gekommen“, sagte ich beiläufig, roch noch einmal an der Laugenbretzel und überlegte immer noch ernsthaft, ob ich da wirklich reinbeißen wollte. Zur Überbrückung stellte ich Gackt noch eine Frage: „Warst du sonst noch irgendwo?“ „Ein Stückchen war es schon“, antwortete er beiläufig, während er munter aß, „ich war auch noch in Frankreich, Italien und Spanien, allerdings nur für zwei Wochen. Nach Deutschland direkt wollte ich auch noch, aber es ist leider was dazwischengekommen. In den USA war ich noch recht lange und hab da auch einen Abstecher nach Mexiko gemacht. Und bevor ich wieder nach Hause bin, war ich für ein paar Tage in Brasilien.“ „Klingt nach Weltreise.“ „War es auch irgendwie. Davor bin ich schon durch die umliegenden asiatischen Länder gereist, ehe Europa und Amerika dran waren.“ „Und das kann man sich als popeliger Barkeeper leisten?“, hakte ich nach, weil es mich doch ziemlich wunderte. „Ähm … nicht wirklich. Ist schon Jahre her und ich hab die Reise quasi geschenkt bekommen.“ „Papi?“ „Nein, gewonnen. Ich löse für mein Leben gern Rätsel in Frauenzeitschriften, musst du wissen.“ Sein Tonfall verriet mir, dass ich den letzten Teil nicht allzu ernst nehmen sollte. Ich kam jedoch trotzdem nicht umhin, sein Gesagtes für mich auszunutzen. „Ich wusste doch, dass du im Inneren ein Mädchen bist“, spöttelte ich, grinste ihn an und beäugte dann wieder das Brezelding in meiner Hand. Wirklich eklig schien es nicht zu sein, Teig und Salz eben, aber ich war eher für japanische Küche zu haben. „Jetzt hör auf zu schnüffeln und beiß endlich rein!“, forderte Gackt mich schließlich auf und knuffte mich in die Seite. Ich verzog die Lippen ein wenig und tat dann, was er verlangte. Wenigstens würde er dann aufhören, mich mit den blöden Ding zu nerven, wenn er sah, dass ich es probierte. Und wie zu erwarten … „Viel zu salzig!“, kommentierte ich, noch bevor mein Mund wieder leer war, und kaute weiter auf dem Teig herum. „Und bitter ist es auch irgendwie.“ „Banause“, nannte Gackt mich darauf und biss selbst wieder von seiner Brezel ab. „Und du hast keinen Geschmack!“, schoss ich zurück, nachdem ich den Bissen endlich heruntergewürgt hatte. Dann hielt ich ihm den Rest der Brezel entgegen, damit er ihn mir abnahm. Er schüttelte allerdings nur den Kopf und entgegnete rotzfrech: „Vergiss es, das ist deine.“ „Es schmeckt mir nicht.“ „Ist mir egal. Iss sie einfach, ich hab auch ein bisschen gebraucht.“ Ich grunzte darauf leise und verzog den Mund, als ich die Brezel in meiner Hand wieder zu beäugen begann. Ein leises Glucksen verriet mir, dass Gackt mich dabei schon wieder beobachtete. „Was?!“, sagte ich. „Wenn es nicht extravagant ist, kannst du damit nichts anfangen, oder?“ „Das stimmt so nicht!“, lautete meine Antwort. „Und selbst wenn: Was wäre so schlimm dran?“ „Dass du die einfachen Dinge des Lebens nicht mehr zu schätzen weißt.“ „Ich weiß das zu schätzen, was mir gefällt. Und das Zeug da“, ich warf der Brezel in meinen Händen einen abschätzigen Blick zu, „ist einfach nicht nach meinem Geschmack.“ „Na, ich glaub dir das mal“, entgegnete Gackt, wieder einmal von dem Gebäck abbeißend. Es hatte es mittlerweile fast geschafft – da hätte er mir auch wirklich meine abnehmen können! „Solltest du auch, schließlich-“, setzte ich gerade an, als Gackt mir jedoch einfach dazwischenredete. „Weißt du was? Bis zum Kino ist es zu weit zum Laufen, ich ruf uns ein Taxi.“ „Au jaa~ Luxus!“, jubelte ich gespielt und legte zur Perfektion des Theaters noch einen kleinen Hüpfer und ein strahlendes Lächeln drauf. Letzteres verschwand aber sogleich wieder, als ich die Miene verzog, um Gackt zu demonstrieren, dass ich es nicht ernst meinte. Der lachte allerdings nur und aß in aller Seelenruhe weiter. War ja klar. tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ Puh, das war lang. Keine Ahnung, wie das passieren konnte, denn das war eigentlich eines der schlimmsten Kapitel. Um in der Geschichte voranzuschreiten hatte ich bei Hängern immer eine Lücke gelassen und einfach an der nächsten 'festen' Stelle weitergemacht, sodass ich, nachdem ich mit dem Epilog fertig war, trotzdem noch ne ganze Menge Arbeit hatte, um die Fic komplett zu kriegen. Das Billard-Match zwischen G und Hyde war die letzte Lücke, die ich hatte füllen müssen … und es war ein Graus. Ich mag die Szene nicht und sonderlich spannend finde ich sie auch nicht. Man sollte eben doch nur über das schreiben, wo man sich wirklich auskennt ^^ Aber vllt sehe ich das ja auch schlimmer als es tatsächlich ist? Feedback und Kritik sind immer willkommen :3 Außerdem hätte ich da noch ein Anliegen in anderer Fic-technischer Hinsicht: Ich kann ja auch nicht ohne und selbst, wenn ich jetzt erstmal hier hochlade, arbeite ich schon wieder am nächsten Projekt. Lest ihr euch diesen Testlauf mal kurz durch und sagt mir dann eure Meinung dazu? http://desu.de/wbl_251359_645856 Dürfte nur 10 Minuten dauern und wäre sehr, sehr lieb Kapitel 3: Let's go wild! ------------------------- „Und? War das jetzt so schwer?“, fragte mich Gackt mich rotzfrech, als er mich vor der Tür zu dem Appartmentbuilding, in dem ich meine Wohnung hatte, absetzte. Ich grummelte ein bisschen. „Hätte schlimmer sein können“, meinte ich … um nicht zuzugeben, dass ich in Wahrheit doch recht viel Spaß gehabt hatte. Besonders beim Billard und zum Ende hin, als sich herausgestellt hatte, dass Gackt Horrorfilme nicht vertrug, wenn sie ihm zu blutig oder eklig wurden. Wenn er sich nicht sogar eine Hand vor sein Gesicht gehalten hatte, hatte er zumindest die Augen geschlossen und immer wieder kurz gelunscht, weil ich mich geweigert hatte, ihm zu sagen, ob es schon vorbei war. Ich hatte mich köstlich amüsiert, während er sich damit herausgeredet hatte, dass er sein Essen lieber drinnen behalten wollte, als es sich noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Vielleicht stimmte das sogar – wer wusste das schon? „Und was schulde ich dir jetzt?“, wollte Gackt schließlich wissen. Ich zögerte etwas. Ich könnte ihm einfach seine restliche Kohle abknöpfen, hätte gewonnen und er würde die Wahrheit nie erfahren. Aber auf der anderen Seite … ich weiß nicht, irgendwie fühlte ich mich bei diesem Gedanken nicht ganz wohl. Und genau das war es, was mich so irritierte: Für gewöhnlich interessierte es mich einen feuchten Kehricht, was aus denen wurde, die ich für mich zahlen ließ, nachdem ich sie wieder abschoss. Jetzt fühlte es sich irgendwie anders an. Ich fühlte mich irgendwie anders an. Vermutlich zeigten die letzten Stunden, die ich mit ihm verbracht hatte, einfach nur ihre Wirkung – als ob sie mich weichgespült hätten. „Hey!“ „Huh?“ Ich blickte auf und sah eine Hand vor meinem Gesicht hin und her winken. „Ob du irgendwas hast? Du guckst so komisch.“ Gackt sah doch tatsächlich ehrlich besorgt aus. „Ich rechne nur nach“, antwortete ich in einem leicht gereizten Tonfall, weil seine Sorge es mir nicht wirklich leichter machte. „Aha.“ „Nichts, 'aha'. Du hast mich zu so einigem genötigt und das hat eben seinen Preis“, redete ich mich heraus, um mir Zeit zu verschaffen, in der ich mich entscheiden konnte. „Musst du noch lange rechnen?“ „Nur keine Hektik, bin gleich durch.“ „Gut, dann rechne das hier noch drauf“, hieß es dann plötzlich, was ich erst einen Moment später wirklich verstehen sollte. „Was?“, fragte ich nur noch verwirrt, ehe er mich küsste – direkt auf den Mund. Ich erschrak, hatte ich doch nie im Leben erwartet, dass er so etwas tun würde. Ich hatte ihn schließlich immer nur mit Frauen flirten sehen … und mit mir. „Was zur-“, murmelte ich, als ich ihn wieder etwas auf Abstand bringen konnte. „Halt die Klappe“, schnitt er mir das Wort ab, küsste mich wieder und drückte mich mit dem Rücken gegen die Tür. Diesmal ließ ich ihm aus irgendeinem Grund, den ich zu dem Zeitpunkt selbst nicht genau kannte, eine Chance, ließ ihm ein paar Momente länger Zeit und machte sogar ein wenig mit.Und er konnte erstaunlich gut küssen, das war die Chance durchaus wert. Jedoch unterbrach er uns nach kurzer Zeit schon wieder – sehr zu meinem Unbehagen, wie ich dann doch feststellen musste – und murmelte: „Wie ist der Code für die Tür?“ … Please hold the line … please hold the line … please hold the line … please hold- klick! „Sag ich dir doch nicht“, antwortete ich frech, tastete aber gleichzeitig nach dem Nummernfeld und tippte dann blind die fünf Zahlen ein. Darauf ertönte ein Surren, die Tür in meinem Rücken gab nach und wir stolperten zusammen in die Eingangshalle. Dort löste ich mich ganz von ihm und nahm stattdessen seine Hand, um ihn eilig die Treppe hinaufzuziehen. Zwar wohnte ich im vierten Stock, aber es war mir im Moment einfach zu blöd, diesen arschlangsamen Aufzug zu rufen, auf ihn zu warten, nach oben zu fahren und mich währenddessen auch noch zusammenreißen zu können. Ja, Herrgott nochmal, ich war scharf! Und ja, von ein paar kleinen Küssen und der Tatsache, dass ich gegen eine Wand gedrückt worden war. Aber vielleicht war es genau das, was ich wollte … brauchte … immer fragten die alten Säcke und Schachteln, was ich tun wollte oder mit ihnen vorhatte. Einmal so überrumpelt zu werden fühlte sich erfrischend neu an. Hastig zerrte ich meinen Wohnungsschlüssel aus meiner Tasche und schloss – ebenso eilig – die Tür auf, während ich Gackt am Hintern und seine Lippen an meinem Hals kleben hatte. Wir stürzten hinein, er stieß die Tür gleich wieder zu, kaum dass wir sie hinter uns gelassen hatten, und wenn wir bisher schon keine Zeit verloren hatten, dann drehten wir jetzt noch einmal richtig auf. Es gab kein Halten mehr, wir hatten den Point-of-no-return bereits hinter uns gelassen. Ich streifte mir Mantel und Schuhe aus, während Gackt es mir gleich tat. Doch dabei blieb es nicht, denn direkt danach ging es mit meinem Shirt und seinem Hemd weiter, während wir uns immer wieder küssten und auch gleich weiterstolperten – ich lief voran und Gackt folgte mir, hing er doch praktisch an meinen Lippen. Obwohl ich schon seit über zwei Jahren in dieser Wohnung lebte, fiel mir die Navigation in diesem Moment erstaunlich schwer. Immer wieder stießen wir gegen im Weg stehende Gegenstände und Möbelstücke, Wände oder Türrahmen. Dass wir ohne größere Verletzungen im Schlafzimmer ankamen, grenzte an ein kleines Wunder. Kaum angekommen schubste Gackt mich mit Schwung auf mein Bett und zog mir die Hose und Socken aus, warf beides achtlos hinter sich. Er wollte sich schon an seinen eigenen Klamotten zu schaffen machen, als ich mich allerdings wieder aufrichtete und seine Hände beiseite schlug. „Ich mach das!“, bestimmte ich und machte mich daran, ihm die Hose zu öffnen. Als ich den Reißverschluss herunterzog bemerkte ich einen Umstand, der mich grinsen ließ. „Keine Unterwäsche.“ „Nein“, bestätigte er. „Nur heute oder trägst du nie welche?“ „Ist das wichtig?“, antwortete er mit einer Gegenfrage. „Nein.“ „Dann mach weiter.“ Ein solche verlangender Ton aus seinem Mund war ungewohnt für mich, aber ich ließ es dabei bewenden, zog ihm die Hose über den ziemlich wohlgeformtem Hintern und zögerte auch keine Sekunde, sein zum Vorschein gekommenes, erregtes Glied mit meinen Lippen zu umschließen. Ich konnte spüren, wie er seine Hände in meinen Haaren vergrub, als ich an seinem besten Stück zu saugen begann. Ich merkte auch, wie das heiße Fleisch in meinem Mund immer mehr und immer größer wurde. Meine eigenen Hände lagen auf seinem Knackarsch, kneteten ihn auch noch durch und verschafften ihm noch ein paar mehr gute Gefühle. Dass er sich so fühlte, konnte ich an seinem leisen Seufzen und Stöhnen hören. Und, Gott, das Kribbeln, das ich dabei in meiner Magengegend verspürte, ließ mich selbst auch immer heißer werden. Ich verwöhnte ihn so lange, bis er mich an den Schultern packte und mich nach hinten auf die Matratze drückte. Nur eine Sekunde später war er über mir, küsste mich kurz und raunte dann: „Nicht so schnell, ich will noch nicht kommen.“ „Ach, sag bloß, du machst danach schon schlapp“, spöttelte ich ein wenig, „das lohnt den Aufwand ja fast gar nicht.“ „Wirst schon sehen, dass sich das lohnt“, gab Gackt gelassen zurück, „ich hoffe nur, dass es dir nicht schon nach vier Stunden die Füße weghaut. Es würde mich enttäuschen, nicht auf meine acht zu kommen.“ „Acht Stunden?“ Ich hob eine Augenbraue. „Du bist so ein Poser!“ „Halt die Klappe und sag mir lieber, wo du die Kondome und das Schmiermittel hast.“ Dann schenkte er mir ein anzügliches Lächeln. Ich lächelte nicht minder anzüglich zurück, streckte meine Arme nach oben und zog eine noch fast volle Flasche Gleitmittel und eine ganze Schlange Kondome unter einem der vielen Kopfkissen hervor. „Bin ich gut vorbereitet oder bin ich gut vorbereitet?“ „Wer ist hier jetzt der Poser?“ „Leck mich doch!“ „Das kannst du sofort haben!“, sagte er, nahm mir alles ab, was ich in Händen hielt, und nutzte es ohne Umschweife. Ich bekam gar nicht mit, wie er eins der Kondome aufriss und es sich überstreifte. Dann verteilte er Gleitgel auf seinen Händen und drang schließlich mit einem Finger in mich ein. „Uuhhh~“, machte ich, spreizte bereitwillig die Beine und forderte sofort noch mehr. „Nicht so zimperlich, ich bin einiges gewohnt.“ „Dachte ich mir schon“, kommentierte Gackt dazu und schob einen zweiten Finger hinzu. Das fühlte sich schon viel besser an und ich konnte spüren, wie mein Körper mich dazu drängte, mich gegen diese Finger und die dazugehörige Hand zu bewegen. „Hn~“, entschlüpfte es mir dabei genießerisch, was ihn dazu anstachelte, mir bei meiner Befriedigung zu helfen. Aber so gut es auch tat, war mir auch das bald zu wenig – ich gewöhnte mich viel zu schnell daran und mein Körper forderte abermals mehr. Und Gackt schien meine Gedanken lesen zu können, denn er kam meinem stummen Verlangen augenblicklich nach, zog die Finger wieder aus mir heraus und ersetzte sie durch seine Erregung. „Uuhhh~“, gab ich wieder von mir und erntete ein Auflachen. „Immer noch zu wenig?“, fragte er mit einem schwachen Zittern in der Stimme. „N-nein“, stöhnte ich, „genau r-richtig!“ Und es stimmte, er passte genau! Er war weder zu groß, noch zu klein. Ich hatte beides schon erlebt und keines davon war sonderlich angenehm oder befriedigend. „Das ist … gut.“ Ich konnte hören, dass es ihn ein gewisses Maß an Mühe kostete, sich bis hierhin noch zusammenzureißen und mir nicht einfach ohne Erlaubnis das Hirn aus dem Kopf zu vögeln. Stattdessen sah er mir direkt in die Augen, mit einem Blick voller Leidenschaft, Verlangen und … Zuneigung? Ich konnte nicht mehr herausfinden, ob es das tatsächlich war, denn er schloss sie bereits einen Moment später, lehnte sich zu mir herunter und küsste mich. Es war wohl auch besser, wenn ich mich jetzt nicht darum kümmerte – es würde nur die Stimmung versauen. Ich öffnete den Mund, ließ seine Zunge bereitwillig ein und massierte sie mit meiner. Und dann begann er, sich zu bewegen, steigerte sich mit jedem einzelnen Stoß und beförderte mich in immer höhere Sphären. Er rüttelte mich ordentlich durch und ließ mich immer mehr nach ihm verlangen. Ich schlang die Beine fest um seine Hüfte, zog ihn noch näher an mich und sorgte so dafür, dass das Gefühl noch intensiver wurde. „Ah! … Ahh~“, stöhnte ich in seine Mundhöhle hinein und schämte mich kein bisschen dafür. Ganz im Gegenteil: Ich drehte den Kopf zur Seite und setzte sogar noch nach: „Gut so … ahh, genau so.“ „Nicht schneller?“, kam darauf zurück. „Frag nicht, mach!“, forderte ich. Schneller, härter, oh Gott, bitte … einfach nur mehr von alledem! Gackt folgte meinem Befehl, stieß noch heftiger zu, änderte gleichzeitig den Winkel nur um ein beinahe lächerliches Bisschen und sorgte dennoch dafür, dass vor meinen Augen ein wahres Feuerwerk explodierte. Er traf den Punkt in mir, der mich beinahe wahnsinnig werden ließ – und das alles, ohne sich auch nur annähernd um meine Erregung zu kümmern. Nun ja, die befand sich genau zwischen uns und das schien auch schon auszureichen, um sie zu stimulieren und auf eine stattliche Größe anwachsen zu lassen. „Gott!“, schrie ich, rammte meine Fingernägel in seine Schulterblätter und hinterließ damit vermutlich lange, rote Striemen, als ich sie über seinen halben Rücken zog. Aber es war gut so! Er sollte noch möglichst lange ein paar Überbleibsel von unserem Treiben haben. Und auch bei mir würde etwas zu sehen sein, denn sein Griff an meinen Schultern war schon ziemlich fest. „Weiter!“, stöhnte ich wieder, „mehr! Gott, ist das guuut!“ „K-kann auch nicht … klagen“, lautete die gekeuchte Antwort. „Werd nich … fre-“ Er brachte mich mit einem Kuss zum Schweigen, der so lange andauerte, dass es mir vorkam, als wären unsere Lippen mit Superkleber zusammengeklebt. Ich konnte mich einfach nicht von ihm lösen. Ich wollte es nicht. Denn ich bekam einfach nicht genug von ihm und seinen Küssen. Es ging immer weiter und weiter und weiter; wir stöhnten, keuchten und riefen uns gegenseitig beim Namen. Es war ein Geben und Nehmen und auch wenn ich eindeutig in der Defensive war, hatte ich genau viel Befehlsgewalt wie Gackt. Und dann jagten wir uns gegenseitig über die Grenze unserer Beherrschung. Erst kam ich und dann kam er und verdammt, es war einfach ein unglaubliches Gefühl der Erlösung. Oh Gott! Oh Gott! Atemlos ließ ich mich zurück auf die Matratze sinken und für einen Moment lastete Gackts ganzes Gewicht auf mir, ehe er sich zur Seite rollte und mich auf sich zog. Wir beide atmeten schwer und brauchten ein paar Sekunden, bevor wir überhaupt wieder in der Lage waren, etwas zu sagen. „Oh Shit“, murmelte er, „oh shit!“ Ich hob den Blick und sah ihn an. Nasse Strähnen klebten an seiner Stirn und als er sich den Schweiß au dem Gesicht wischte, standen ihm die Haare in der ulkigsten Art zu Berge. Ich schmunzelte bei diesem Anblick – und das sogar noch mehr, als er den Mund erneut aufmachte: „Wenn ich geahnt hätte, wie das läuft … hätte ich das schon eher gemacht!“ Ich lachte kurz auf: „Und ich dachte, du hältst mich für einen Idioten.“ „Hab ich auch.“ „Aber?“, hakte ich nach, weil unweigerlich ein Aber folgen musste. „Ich fand dich süß. Und ziemlich dämlich.“ „Und du bist ein Arsch.“ „Dieser Arsch hat dir aber grade noch richtig gut gefallen“, merkte er an. „Das ändert trotzdem nichts daran, dass du ein Arsch bist.“ „Ach, halt die Klappe. Zweite Runde?“ „Sicher doch!“, stimmte ich zu und küsste ihn wieder. Wir trieben es die halbe Nacht lang, bis der Morgen bereits graute. tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ Fun Fact der Woche: FIRE entstand in einer nicht gerade chronologischen Abfolge. Zuerst gab es den „Also prostituierst du dich?“-Dialog aus dem Prolog, dann kamen noch ein paar Absätze für rundrum dazu und direkt danach hab ich in der berüchtigten, langen Nacht im August 2011 den Lemon aus diesem Kapitel geschrieben xD Alles, was dazwischen lag, hab ich mir erst hinterher aus dem Kreuz geleiert, weil alles andere doch ein weng sprunghaft gewesen wäre ^^' Und dann ging alles seinen Gang – durchsetzt mit teils mehrmonatigen Pausen, die das Unterfangen FIRE unnötig weit hinauszögerten. Wahrscheinlich wär ich schon ein halbes Jahr eher fertig gewesen, wenn ich nicht so faul gewesen wäre … und nicht so viele Hausarbeiten und das dicke Unikum namens Master-Arbeit gehabt hätte. Und natürlich: Feedback? *liebguck* Kapitel 4: Morning after ------------------------ Als ich nach dieser Nacht wieder wach wurde, war es schon fast Mittag, wie mir ein Blick auf die Uhr verriet. Es kratze mich aber nicht, wie spät es war … oder eigentlich doch, denn ich hatte viel zu wenig Schlaf gehabt. Für gewöhnlich stand ich erst mitten am Nachmittag auf, wenn ich vorher die Nacht durchgemacht hatte. Acht bis zehn Stunden waren für mich ganz normal. Und wäre es ein völlig normaler Vormittag gewesen, wäre ich auch noch gar nicht aufgewacht. Aber heute war da etwas, was mich aus meinem wohlverdienten Schlaf gerissen hatte: Ein leises Scheppern und der Duft von frischem Kaffee. Und dann fiel mir wieder ein, dass ich nicht allein war. Nicht, dass ich es vergessen hätte – so nachlässig war ich dann doch nicht – aber es wurde mir wieder deutlich bewusst, was letzte Nacht so passiert war. Und nur einen Moment später öffnete sich die Tür und der Verursacher der Geräusche und des Geruchs kam in mein Schlafzimmer: Gackt, bereits wieder komplett angezogen und ein Tablett tragend. „Morgen“, begrüßte er mich, während er auf mich zu kam, immer darauf bedacht, nichts fallen zu lassen. „Morgen“, sagte ich, gähnte und rutschte ein Stück zur Seite, damit er sich mit samt seiner Last neben mir auf dem Bett niederlassen konnte. „Ich hab Kaffee gemacht. Aber mehr als Cornflakes und Süßkram hab ich zum Essen nicht gefunden“, informierte er mich, obgleich ich es doch selbst sehen konnte, als er das Tablett zwischen uns platzierte. „Hm, ich ess nicht oft hier“, erklärte ich ihm den Umstand, dass meine Küchenregale und der Kühlschrank fast komplett leer waren. Dabei nahm ich eine der beiden dampfenden Kaffeetassen, warf zwei Würfel Zucker hinein und rührte um, bis sich alles vermischt hatte. Gackt machte es ähnlich, nur dass er noch ziemlich viel Milch dazuschüttete. Dann schwiegen wir und es ging mir gehörig auf die Nerven, denn es wirkte genau so als ob … „Wie müssen jetzt aber keins von diesen bescheuerten Gesprächen führen, oder?“, wollte ich die Sache gleich von Anfang an klarstellen. „Was für Gespräche?“, hakte Gackt nach. „Solche, bei dem wir uns gegenseitig Komplimente machen, dass die Nacht einfach unglaublich war und wir so etwas noch nie mit jemand anderem geteilt haben, aber es im Grunde doch nur ganz spontaner Sex war. Und dann kommt die Frage, was jetzt daraus werden soll, schließlich hatten wir Sex und, auch wenn er nur ganz spontan war, muss das doch was bedeuten und weiß der Henker, was nicht noch alles.“ „Ach, solche.“ „Ja, solche. Ich halte nichts davon. Wo käme ich denn da auch hin?“ „Das konnte ich mir schon denken. Aber mach dir da mal keinen Kopf“, beruhigte Gackt mich lachend, „wenn du wüsstest wie oft ich bisher schon 'spontanen Sex' hatte. Und was du so hast, hab ich gesehen.“ „Allerdings“, pflichtete ich ihm bei. „Dann wäre es ja fürs Erste geklärt.“ „Was heißt hier 'fürs Erste'?“ Es kam mir dann doch etwas komisch vor. Und in meinem Hinterkopf baute sich auch schon eine Szene aus einer x-beliebigen Schnulze auf, bei der sich die Figuren schworen, dass alles geklärt wäre und so etwas nie wieder passieren würde, sie sich dann aber mit 236-prozentiger Wahrscheinlichkeit am Ende doch noch kriegen würden. So ein Käse! Dass diese Abmachungen sowieso nie etwas taugten, hatte ich außerdem schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Da klärst du die Leute ehrlicherweise auf, dass es sowieso nichts Längerfristiges wird, sie sagen dir, dass das klar geht, und am Ende kleben sie dir trotzdem am Arsch und jammern dich voll, wie sehr sie dich lieben würden. Und spätestens dann ist es Zeit, sich den Nächsten oder die Nächste zu suchen. „Es heißt eben, was es heißt“, gab Gackt schulterzuckend zurück und nippte an seinem Kaffee, nur um dann scheinbar festzustellen, dass er noch zu heiß war – zumindest sagte sein Gesicht das. Und hätte ich an das Schicksal geglaubt, hätte ich jetzt gesagt, dass das sicher ein Zeichen war und oh so schrecklich. Kompletter Mumpitz! Gackt jedenfalls atmete mit leicht geöffneten Lippen ein paar Mal ein und wieder aus, um seine Zunge zu kühlen, ehe er dann seinerseits zu einer Erklärung ansetzte: „Ich sag doch, mach dir keinen Kopf-“ „Wenn jetzt kommt, dass schon alles gut wird, schwör ich dir, dass ich dir wieder eine reinhaue“, machte ich ihm allerdings klar, bevor er noch auf die Idee kam, irgendwelchen Blödsinn von sich zu geben, „du weißt, dass ich das drauf hab.“ „Ja, schon klar“, entgegnete er augenrollend und fuhr fort, „nein, ich wollte sagen, dass es doch keinen interessiert. Wir hatten Sex. Na und? Es könnte wieder passieren. Na u-“ In dem Moment verpasste ich ihm einen Schlag gegen den Oberschenkel. „Autsch!“ „Ach, sei nicht so ein Weichei. Und ich hab doch gesagt, dass ich so einen Scheiß nicht hören will. Gott, bist du beschränkt!“, warf ich ihm an den Kopf. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das hier doch auf so ein Gespräch hinauslief. „Sex und Punkt.“ „Okay“, kommentierte Gackt darauf und zuckte erneut mit den Schultern, „aber eins ist schon erstaunlich.“ „Und das wäre?“ „Du hast noch nicht einen Schritt aus dem Bett gemacht und bist schon mit dem falschen Fuß aufgestanden.“ „Ach, leck mich doch.“ „Kannst du haben.“ Dann hing er auch schon wieder halb über mir, zwischen uns nur noch unsere Kaffeetassen, legte den Kopf schief und leckte mir tatsächlich am Kinn entlang. Und er krönte das Ganze damit, dass er mir ins Ohr biss – so wie er es letzte Nacht auch schon getan hatte. „Du riechst immer noch danach.“ „Nach was?“ „Platinum Egoiste, das Parfüm, das ich benutze. Und Sex.“ „Haha“, lachte ich lustlos auf, „ich war noch nicht duschen. Außerdem benutzt du verdammt viel von dem Zeug, hat dir das schon mal jemand gesagt?“ „Die Weiber stehen drauf.“ „Kann ich mir nicht vorstellen.“ „Ich würde es dir zu gerne beweisen, aber ich führe nicht Buch über alle, mit denen ich schlafe.“ „Zu schade, es hätte mich so wahnsinnig interessiert!“, spöttelte ich mit viel Ironie, nahm nun auch einen Schluck von meinem Kaffee – einen großen, weil er weit genug abgekühlt war – und stellte die Tasse dann auf das Tablett zurück. Anschließend schob ich die Decke zur Seite und stand auf, um mich ins Bad zu begeben. Ich störte mich dabei nicht daran, dass ich nichts am Leib hatte – Gackt hatte mich schließlich schon so gesehen und selbst wenn nicht, wäre da nichts gewesen, was ich hätte verstecken müssen. Ich sah eben gut aus! Ich nahm mir ein frisches Handtuch aus dem Schrank und verließ dann wortlos das Zimmer, um ins Bad zu gehen und mir endlich eine Dusche zu gönnen. Ich war zwar nicht mehr verschwitzt und wirklich schmutzig fühlte ich mich auch nicht, aber ich wusste, dass ich vor ein paar Stunden definitiv noch verschmutzt und verschwitzt gewesen war. Und ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass meine Haare in alle möglichen Richtungen abstanden. Da konnte ich ja fast von Glück reden, dass Gackt mich nicht gleich ausgelacht hatte. Obwohl ich sowieso gleich unter die Dusche steigen würde, strich ich das Kraut auf meinem Kopf ein bisschen glatt, hielt es mir am Hinterkopf zusammen und streckte meinem Spiegelbild die Zunge heraus. Gott, sah ich müde aus, noch schlimmer als ich mich fühlte. Und dann fielen sie mir auf: Meine Schultern und Oberarme waren voller blauer Flecke. Ich ließ meine Haare los und betastete stattdessen meine Haut, drückte sachte auf die Stellen. Und je weiter ich meine Fingerspitzen wandern ließ, desto mehr Spuren der gestrigen Nacht entdeckte ich. Denn es blieb nicht nur bei blauen Flecken, sondern ich entdeckte auch rote Striemen und leichte Kratzer. Sie waren über meinen halben Rücken verteilt, was ich natürlich erst sah, als ich mich umdrehte und bei einem Blick über die Schulter hinweg im Spiegel sah. Fuck! Das war mein erster Gedanke, als ich das ganze Ausmaß erfasst hatte. „Gackt!“, war der erste (geschriene) Kommentar dazu. Ungeduscht stürmte ich wieder aus dem Bad und ins Schlafzimmer, wo er – der Übeltäter – noch immer auf dem Bett lag und mittlerweile in dem Roman blätterte, der ursprünglich auf meinem Nachttisch gelegen hatte. „Bist ja schon wieder da“, meinte er, ohne dabei aufzublicken, als er merkte, dass ich das Zimmer wieder betreten hatte, „ich hab mich grad umgesehen; ich wusste gar nicht, dass du-“ „Klappe!“, schnauzte ich ihn an und entriss ihm das Buch, um es quer durch den Raum zu pfeffern, „du schuldest mir 100.000 Tacken!“ „Was? Wieso?“, fragte er sichtlich verwirrt und sah mich nun auch an. „Na deswegen!“ Ich deutete auf meine Oberarme und Schultern und drehte mich dann um, um ihm meinen nackten Rücken zu präsentieren. „Und deswegen auch!“ „Oh.“ Kam es nur zurück. „Oh? 'Oh' ist gut“, informierte ich ihn in sarkastischem Ton. „Dir ist aber schon klar, dass es für mich vollkommen inakzeptabel ist, so zerkratzt bei jemandem aufzukreuzen?“ „Dann lässt du es eben mal für ein paar Tage. Das ist bald wieder weg.“ „Du kapierst es einfach nicht.“ Ich schüttelte den Kopf und blickte ihn finster an. „Nicht wirklich. Und zu deiner Information: Ich sehe genauso aus.“ Zum Beweise zog er seinen Kragen beiseite und entblößte seine Schulter, auf der ich tatsächlich Kratzspuren und halbmondförmige Abdrücke erkennen konnte. Damit nahm er mir erst einmal den Wind aus den Segeln. „Oh.“ „Jep, 'oh' ist gut. Es wundert mich ja sowieso, dass du nicht permanent so aussiehst, wo du doch ständig mit irgendwem ins Bett gehst.“ „Dazu gibt es Regeln“, antwortete ich knapp und setzte mich erst einmal neben ihm auf die Bettkante, ehe ich fortfuhr, „kein Kratzen, kein Beißen, keine Knutschflecke oder sonst irgendwas, was noch länger zu sehen ist. Und für irgendwelche perversen Dinge muss man schon extrem nett zu mir sein, damit ich das mitmache.“ „Na, gut, dass ich das hinterher erfahren habe. Sonst könntest du wirklich noch so viel Kohle von mir verlangen“, war scheinbar das Einzige, was ihm dazu einfiel. Es amüsierte ihn sichtlich, während ich das Kinn in den Händen und die Ellenbogen auf meinen Knien abstützte und ihm feindselige Blicke zuwarf. Mein Hirn ratterte, ich hatte es schließlich ernst gemeint: So konnte ich mich nirgendwo nackt zeigen. Und dass ich das tat, wenn ich mich mit einem meiner Gönner traf, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber wenn ich mich nicht mit ihnen treffen konnte, musste ich alleine versauern – und zusehen, was ich derweil anstellte, weil ich tatsächlich dumm genug gewesen war, meine Regeln gestern Abend mit keinem Sterbenswörtchen zu erwähnen. Ach, das war doch alles scheiße! „Hey“, sagte Gackt dann nach einer Weile und stupste mich mit dem Knie an, weil er mich sonst nicht erreichen konnte, „Kohle wirst du zwar von mir keine sehen, aber ich kann dir helfen, über die Runden zu kommen, bis alles verheilt ist.“ Ich schnaubte und schielte ihn aus den Augenwinkeln an: „Almosen … ich brauch keine Almosen. Als ob es hier ums Geld gehen würde …“ „Worum dann?“, hakte Gackt nach und beugte sich etwas vor. „Darum, dass ich nirgendwo hingehen kann, weil ich nahezu überall Gefahr laufe, jemanden zu treffen, und dann möglicherweise rauskommt, was ich so treibe. Und wenn sich das rumspricht hab ich wirklich ein Problem.“ „Ich könnte mir frei n-“ „Nee, nee, lass mal. Damit fangen wir erst gar nicht an“, wimmelte ich ihn ab und erstickte sein Angebot schon im Keim, bevor er es überhaupt komplett ausgesprochen hatte. „Ganz davon abgesehen, dass ich gar keinen Bock drauf hab, so lange mit dir auf einem Fleck zu hocken.“ „Gestern Abend?“, erinnerte er mich. „Gestern Abend war lustig, aber nichts, was ich ständig brauche. Oder wollen würde.“ „Würdest du wenigstens einwilligen, nachher mit mir zu essen?“ Ich seufzte. Gott, war der anstrengend, wenn er bei klarem Verstand war und nicht gerade dabei, mich flachzulegen oder sich von mir flachlegen zu lassen. „Ich meine nicht 'essen gehen', sondern essen. Ich mache ein echt gutes Chili“, fügte Gackt jedoch an, als ich eben den Mund aufmachen wollte. „Chili? Du kannst kochen?“, ich hob eine Augenbraue und sah ihn leicht pikiert an. „Ja, was denkst du denn?“, lautete die fast schon entrüstete Antwort, „wenn du ausziehst, musst du dich irgendwie versorgen können. Bei dir mag das anders gelaufen sein, aber ich hab gelernt, wie ich das alles selbst hinkriege. Also, Chili bei mir oder willst du dich hier mit deinen Cornflakes vergnügen?“ Ich wog meine Möglichkeiten ab. Zwar bevorzugte ich noch immer die japanische Küche, aber auf der anderen Seite hatte ich wirklich keine Lust, mich irgendwo sehen zu lassen und noch jemandem über den Weg zu laufen. Die Alternativen wären Cornflakes und Süßigkeiten, Lieferservice oder eben Gackts Angebot. Mir selbst etwas zu kochen fiel von vornherein aus, da das nicht viel werden würde. Und dann kam noch ein schwerwiegendes Argument dazu: Mein knurrender Magen. „Hast gewonnen“, willigte ich schließlich ein, Gackts Grinsen im Augenwinkel sehend. Leugnen konnte ich nun schlecht und etwas Warmes im Bauch war ja auch nicht schlecht. „Na, dann geh duschen und sieh zu, dass du in deine Klamotten kommst. Wir müssen noch einkaufen gehen“, sagte er und lehnte sich wieder zurück, die Arme hinter dem Kopf verschränkend. Ich bekam so langsam das Gefühl, dass es ihm unheimlichen Spaß machte, mich durch die Gegend zu scheuchen. Und seit letzter Nacht schien er auch der Meinung zu sein, dass er sich das herausnehmen durfte, ohne dass ich etwas dagegen einzuwenden hatte. Aber da hatte er sich gewaltig geschnitten! Ich präsentierte ihm ein schelmisches Grinsen, von dem ich wusste, dass absolut jeder darauf flog, und rückte nun meinerseits näher an ihn heran, bis ich fast auf seinem Schoß saß. Einen samtenen Unterton anschlagend, säuselte ich ihm ins Ohr: „Hm~ haben wir es denn wirklich so eilig? Wir können doch … noch ein wenig hier bleiben und den Augenblick nutzen. Schließlich … bin ich nackt und dich kriegen wir sicherlich auch sofort wieder ausgezogen. Na?“ Während ich ihm all dies einflüsterte, wanderte meine Hand langsam an der Innenseite seines Oberschenkels hinauf und bis in seinen Schritt. Ich brauchte nur ein paar Mal darüberzustreichen und ein bisschen fester zuzupacken und konnte schon die erste kleine Reaktion spüren. Kein Wunder, dass er gestern Abend so schnell schon wieder fit für die zweite und dritte Runde gewesen war, wenn der Kerl auf so was schon ansprang. „Hast wohl immer noch nicht genug bekommen?“, raunte Gackt mir seinerseits zu und schlang einen Arm um meine Taille. Gleichzeitig drehte er den Kopf, wohl in der Absicht, meine Lippen zu erwischen. Aber ich ließ ihn nicht, sondern senkte den Kopf und blickte demonstrativ zu der Beule hinunter, die mit jedem Moment, der verstrich, größer und härter wurde. Hm …“, machte ich schließlich, als ich zufrieden war, und sah Gackt wieder direkt an, „doch, eigentlich schon.“ Und dann ließ ich komplett von ihm ab, wand mich aus seiner Umarmung heraus und stieg aus dem Bett. „Huh?“, fragte er reichlich verwundert, was haargenau meine Absicht traf. „Auch wenn es vielleicht so rüberkommt, aber ich muss nicht ständig Sex haben. Und jetzt geh ich duschen. Bis gleich“, erklärte ich ihm und warf ihm grinsend noch einen Luftkuss zu, ehe ich mich letztendlich doch ins Bad begab und mir meine Dusche gönnte. Wenn ich es recht bedachte, war der Morgen doch nicht ganz so schlimm wie erwartet. * „Ich dachte, wir wollten bloß Chili machen. Was hast du dafür alles kaufen müssen?“, fragte ich nicht allzu gut gelaunt, während ich hinter Gackt die Treppe zu seiner Wohnung – welche ganz oben im sechsten Stock lag! – nach oben stieg und dabei eine große Einkaufstüte schleppte. Gackt trug die andere und hatte sich noch eine Kühltasche unter den Arm geklemmt. „Wocheneinkauf“, lautete die schlichte Begründung, „von irgendwas muss ich schließlich auch leben.“ „Musst du wohl.“ „Und ich esse nicht ständig auswärts.“ „Ja ja, ich hab's kapiert“, schlug ich sein Argument beiseite. „Sind wir schon oben?“ „Nur eine Treppe noch“, sagte Gackt zwar gut gelaunt, aber ich konnte eindeutig hören, dass er ein bisschen schnaufte. Was zog er aber auch in so einen Wohncontainer, der noch nicht mal einen Aufzug besaß? Weiter ließ er sich aber nichts anmerken, sondern fischte den Schlüssel aus seiner Hosentasche, um gleich aufschließen zu können, kaum, dass wird vor der Tür seiner Wohnung standen. „Übrigens: Erwarte nicht zu viel. Anderthalb Zimmer, Küche, Bad und Flur, mehr hab ich nicht.“ „Wenn du mir jetzt noch sagst, wie du auf das halbe Zimmer kommst, versprech ich dir, nicht zu lachen.“ „Wirst du gleich selber sehen. Nach Ihnen, mein Herr!“ Damit trat Gackt zur Seite und deutete eine sehr leichte Verbeugung an. Vermutlich wäre ihm sonst noch alles aus den Händen gefallen und wir hätten mal was zum Essen gehabt. Ich ging jedenfalls an ihm vorbei und sah mich auch schon in dem Ding, das er wohl als 'Flur' bezeichnete, gefangen. Ein paar Haken an der Wand und ein kleine kleine Matte für die Schuhe, mehr passte hier kaum rein. Ja, es mochte sich übertrieben und ein bisschen arrogant anhören, aber als Gackt dann auch noch reinkam und hinter sich die Tür schloss, bekam ich den direkten Beweis, dass es doch nicht so weit hergeholt war, denn um die Tür zuzumachen, musste er mich bis fast zum Ende des Flurs schieben, sonst hätte er sie glatt blockiert. Während ich mir umständlich die Schuhe von den Füßen streifte – ich hatte weder eine Hand frei noch sonderlich viel Platz – bemerkte ich, dass die Wohnungstür die einzige war, die aus massivem Holz bestand. Die drei Türen, die nach links, rechts und geradeaus gingen waren traditionelle japanische Schiebetüren aus billigen, schmalen Holzleisten und mit schlichtem, weißem Papier bespannt. „Das ist nicht dein Ernst“, entkam es mir leise. Und obwohl ich es eher für mich gemurmelt hatte, gab Gackt natürlich trotzdem seinen Kommentar dazu ab, als er wohl gemerkt hatte, was ich da gerade anstarrte. „Ich finde, es hat Stil.“ „So kann man es sich natürlich auch schönreden“, war meine Meinung dazu. „Und wo soll jetzt die Tüte hin?“ „Rechts ist mein Schlafzimmer, geradeaus das Bad und wir müssen links rein. Hier vorne neben dem Eingang ist übrigens noch eine Nische für den Putzkram.“ „Und wozu sagst du mir das?“ „Weil wir die Führung durch mein Reich damit gleich erledigt hätten“, entgegnete mein Gegenüber grinsend, „und weil in deiner Tüte Flüssigwaschmittel ist und du es dann gleich an seinen Platz räumen kannst.“ „Und wieso denkst du, dass ich das machen würde?“, fragte ich darauf. „Ich koche gleich“, sagte Gackt. „Wärst du bitte so nett? Ich kann auch nicht alles auf einmal tun.“ Meine Reaktion ließ ein paar Sekunden auf sich warten, ehe ich aber doch einwilligte. Ich konnte ja mal so freundlich sein. Außerdem hatte ich auch schon seit einer ganzen Weile Hunger und wenn Gackt erst noch die Einkäufe auspacken musste, würde er natürlich erst später mit dem Kochen anfangen können und es würde sich alles noch weiter hinauszögern und so weiter und so fort. Ansonsten würde mir das wohl auch nie in den Sinn kommen. Ich schob schließlich die Schiebetür auf der linken Seite auf und betrat den Raum, der dahinter lag. Und sah im gleichen Moment, was Gackt mit dem halben Zimmer meinte: Ich stand nämlich gerade sowohl im Wohnzimmer – jedenfalls sahen das Sofa, der Couchtisch, der Fernseher und die beiden Regale danach aus – als auch in der Küche, die durch einen Tisch mit vier Stühlen dran vom Rest des Raumes getrennt war. Auf selbigem stellte ich die Tüte ab und warf dann noch einen Blick durch das Zimmer. Aber eigentlich hätte ich den gar nicht gebraucht, weil alles wirklich so winzig und eng war, dass der erste bereits vollkommen ausgereicht hatte, um alles zu erfassen. „Hyde“, machte Gackt dann auf sich aufmerksam. „Hm?“, fragte ich und drehte mich zu ihm um. Er hatte auch seine Tüte und die Kühltasche auf dem Tisch abgelegt und wusch sich gerade in der Spüle die Hände. „Packst du dann aus?“ „Hm.“ Damit machte ich mich ans Werk – so lange würde es ja hoffentlich nicht dauern. Einiges brauchten wir ja ohnehin für das Essen und das musste ich dann ja nicht verstauen. Ich sortierte also erst einmal all das aus, was nach Zutaten für ein Chili aussah, legte dann das Obst in die dafür vorgesehene Schale, die sichtbar auf dem Couchtisch stand, räumte das Gemüse und die ganzen anderen Nahrungsmittel in den Kühlschrank und danach waren nur noch das Waschmittel, Zahnpasta, Wattestäbchen, Duschgel und vier Getränkeflaschen übrig. Die Hygieneartikel brachte Gackt dann doch selbst ins Bad, während ich den Rest irgendwo in der Nische verstauen sollte, die er mir gezeigt hatte. Um nicht zig Mal hin- und hergehen zu müssen, nahm ich gleich alles mit, wurde dafür aber bestraft, als mir das Waschmittel unterwegs prompt auf die Füße fiel. „Autsch!“, fluchte ich und versetzte der Flasche, die zum Glück nicht auch noch aufgegangen war, einen Tritt, der sie direkt vor die Wohnungstür neben der Nische schlittern ließ. Die Nische selbst war nur durch einen Vorhang vom Flur abgetrennt. Den öffnete ich dann umständlich – Wieso hatte ich doch gleich alles mitgenommen? – und erblickte neben einem zusammenklappbaren Wäscheständer, einem Mopp und sonstigen Putzmitteln unter anderem auch ein ziemlich modern aussehendes Mountainbike – wie auch immer er es hier reinbekommen hatte –, Inline Skates und ein Snowboard. Ein bisschen beeindruckt zog ich die Augenbrauen zur nach oben, ehe ich die Flaschen sicher auf dem Boden absetzte und auch das Waschmittel neben den Putzeimer stellte. Dann schob ich den Vorhang wieder zu und kehrte in die Wohnzimmerküche zurück, wo Gackt am Tisch saß und – wie es aussah – Zwiebeln schnitt. „Du hast ein Snowboard“, sagte ich feststellend und ließ mich auf die Couch fallen. „Ja, hab ich“, bestätigte mir dieser unnötigerweise, „ich sagte doch, dass ich Sport mag. Ist was damit?“ „Ach, stimmt ja“, fiel mir dazu nur ein, als mir dieser Umstand wieder in den Sinn kam, „kannst du damit fahren?“ Er lachte kurz auf, wischte sich mit dem Ärmeln kurz übe die Augen und antwortete dann: „Natürlich! Denkst du, ich kaufe mir ein Snowboard, um es dann verstauben zu lassen?“ „Na ja, ich hab auch eins, kann aber nicht fahren.“ „Wieso hast du es dann?“ „Wochenendurlaub auf Hokkaido. Die Frau, mit der ich damals zusammen war, hat mich eingeladen und weil mir Skifahren zu langweilig war, wollte ich es mit dem Snowboard versuchen. Hat aber nicht geklappt und jetzt steht es rum.“ „Du hättest es dir ja auch leihen können, anstatt es gleich zu kaufen.“ „Ach, red keinen Blödsinn“, klärte ich ihn gleich auf, „ich kauf mir so was doch nicht selbst. Sie hat es mir spendiert. Aber eigentlich hätte ich es mittlerweile auch mal verkaufen können. Bringt sicherlich gutes Geld ein.“ „Ich kann dir auch zeigen, wie es geht“, bot Gackt mir darauf gleich an. Und ich grinste. „Wenn du den Rest des Urlaubs auch bezahlst?“ „Ich fürchte, dass daraus nichts wird“, teilte Gackt mir mit einer gespielt traurigen Miene mit. „Ich bin untröstlich!“ „War mir klar.“ „Was macht das Essen?“, wechselte ich dann auch gleich das Thema. Mir war schließlich auch klar gewesen, dass er sich als Barkeeper einen Urlaub nicht leisten konnte. Und erst recht nicht, wenn er mich mitnahm, das konnte selbst ich nicht leugnen. „Dauert noch etwas, hab schließlich grade erst angefangen“, informierte Gackt mich, während er vom Tisch aufstand, um die Zwiebeln in einen großen Topf auf dem Herd zu schütten, „du kannst zwischendurch was lesen. Oder mir helfen.“ „Ich ziehe das Buch vor.“ „Wie du willst.“ Er zuckte noch mit den Schultern, wohl als Zeichen, dass es ihm tatsächlich nichts ausmachte, wenn er alles allein machte. Mir war es sowieso egal, also stand ich auf und ging hinüber zu seinen Regalen, um sie mir jetzt näher anzusehen. Sie waren nur halbvoll und es stand auch alles durcheinander. Da waren ein paar Bücher und Mangas – nicht viele und eigentlich nur bekannte – relativ viele CDs und DVDs, etwas, was nach einem Fotoalbum aussah, und im untersten Fach eine Kiste, die sich als wahrer Schatz entpuppte. „Gackt!“, rief ich, unbeabsichtigt laut und aufgeregt. „Ja?“ „Du hast einen PlayCube 360! Und The Anthea Chronicles!“ „Und?“ Ich erstarrte, als ich dieses relativ gleichgültige Wort aus seinem Mund hörte. „Und? Und?!“, fragte ich bestürzt und sah ihn auch genau so an. „Das ist das tollste Spiel überhaupt und dich juckt es nicht. Wo hast du das alles überhaupt her? Und wieso vergammelt es in einer Kiste?“ „Von einem Kumpel bekommen, als der ausgemistet hat. Ich hab es mal ausprobiert, bin aber nicht sehr weit gekommen – deshalb ist es in der Kiste.“ „Ausmisten“, wiederholte ich, noch immer vollkommen verständnislos und den Kopf schüttelnd. „Ich schließ es an den Fernseher an. Okay? Hey, Gackt?!“ „Tu, was du nicht lassen kannst“, erwiderte er lachend. Ob er mich oder mein Verhalten oder was auch immer auslachte oder sich nur über irgendwas freute, war mir im Moment so dermaßen egal – ich hatte hier eine Kopie meines absoluten Lieblingsspiels in der Hand, die auch noch extrem gut erhalten zu sein schien. Schnell steckte ich die Kabel an Gackts Fernseher an, legte die Disk in die Konsole und startete das Spiel. Und dann wartete ich und wartete und wartete, dass der Ladebildschirm endlich wegging und mich das Spiel starten ließ. Und dann war es so weit: Die Titelmelodie erklang, das Intro lief an und ich konnte spüren, wie sich auf meinen Lippen ein seliges Lächeln ausbreitete. The Anthea Chronicles! TAC! Nach so vielen Jahren durfte ich es endlich wieder einmal spielen, die Reise antreten, die Abenteuer erleben und der wundervollen Geschichte beiwohnen. Oh, wie ich es vermisst hatte! Binnen Minuten war ich wieder vollkommen drin und merkte, dass ich seit damals, seit ich ein Teenager gewesen war, rein gar nichts vergessen hatte – ich konnte das Spiel noch immer auswendig, jeden Kniff, jeden Trick und jeden noch so kleinen Bonus. Es schlug mich so sehr in seinen Bann, dass ich es noch nicht einmal mitbekam, als Gackt mir eine gute halbe Stunde später sagte, dass das Essen fertig war und ich an den Tisch kommen sollte. Selbst meinen Hunger hatte ich vergessen. Gackt musste mich erst an der Schulter rütteln, ehe ich auf Pause drückte und ihm wieder zumindest einen Teil meiner Aufmerksamkeit schenken konnte. Und selbst als ich am Tisch saß, vor mir einen dampfenden Teller voller Chili (welches im Grunde ziemlich gut schmeckte, mich im Moment aber einfach gar nicht beeindrucken konnte), war ich noch immer voll im TAC-Fieber. Ich erzählte Gackt von allem, was mich an diesem Spiel reizte – also fast das ganze Spiel – und vergaß darüber hinaus vollkommen das Essen. So hatte ich gerade ein paar Löffel genommen, als er seinen Teller bereits komplett geleert und sich einen kleinen Nachschlag genommen hatte. Aber ich schien ihn auch nicht zu langweilen. Er hörte mir aufmerksam zu, stellte Fragen und ich konnte mich irren, aber ich meinte, einen gewissen Glanz in seinen Augen zu sehen. Das war die erste Begeisterung für TAC, schoss es mir sofort durch den Kopf und freute mich noch mehr. Endlich jemand, mit dem ich diese wunderbare Welt teilen konnte. Früher war ich so ziemlich der einzige gewesen, der TAC gemocht hatte, meine Freunde waren immer viel zu sehr mit Rennspielen, Shootern und Beat'em'ups beschäftigt gewesen – Zeug, was mich nicht im Geringsten begeistern konnte. „Und wieso hast du das Spiel nicht selbst?“, fragte Gackt mich dann, als er auch seinen Nachschlag aufgegessen und den leeren Teller in die Spüle geräumt hatte. Durch mein vieles Gerede – oder eher: Geschwärme – war ich noch immer nicht mit Essen fertig. Das war auch schon immer so gewesen: Wenn ich so richtig in Zockerlaune war, dann vergaß ich sogar das Essen. „Ich hatte es mal“, antwortete ich, „ aber dann sind wir umgezogen und irgendwie ist es dabei wohl verlorengegangen. Ich war stinksauer auf meine Familie, weil sie nicht besser aufgepasst haben. Und ich hab bereut, dass ich ausgerechnet TAC nicht selbst verstaut und wieder eingeräumt habe. Seitdem bin ich leider nie wieder an eine wirklich gut erhaltene Kopie gekommen. Deine ist großartig, keine Kratzer, nichts.“ „Ich war auch immer eher der Jump'n'Run-Typ“, gab Gackt darauf zu, „und der Freund, von dem ich es habe, ist auch eher so wie deine Kumpels.“ „Dann wird es Zeit, dass du TAC mal durch einen Profi kennenlernst!“, legte ich einfach so fest, „ich esse noch schnell auf und dann fangen wir nochmal von vorne an.“ „Das wird leider nicht gehen“, wandte Gackt allerdings ein. „Wieso nicht?“ „Weil ich in einer Stunde zur Arbeit muss.“ „Oh.“ Das hatte ich nicht bedacht. Eine Stunde … in der Zeit schaffte man nicht viel. Und es hieß auch, dass ich in einer Stunde gehen musste. „Uhm … okay. Dann, danke, dass ich eine Runde spielen durfte.“ „Willst du nicht mehr?“ „Natürlich will ich, aber man brauch schon viel Zeit, weil es unheimlich schwer ist, wieder aufzuhören. Man will immer noch was und noch was erledigen. Und eine Stunde ist da eben zu kurz.“ „Also, wenn du möchtest, kannst du hierbleiben und weiterspielen“, bot er mir an und grinste gleich darauf. Ich musste ihn wohl anstarren wie ein Mondkalb, denn so fühlte ich mich im Moment. „Nicht dein Ernst!“, platzte es mir heraus. „Klar, wieso nicht? Solange du meine Wohnung heil lässt.“ „Keine Sorge, ich werd nichts kaputtmachen. Nur der Fernseher, die Konsole und ich – das wird ein Fest.“ Ich strahlte bestimmt übers ganze Gesicht. Das hatte ich immer getan, wenn ich TAC spielen konnte. Und jetzt hatte ich die offizielle Erlaubnis, mir die ganze Nacht um die Ohren zu hauen und zu zocken. „Wieso hört sich das aus deinem Mund nur so nicht-jugendfrei an?“ „Ach, halt- …“, ich brach ab. Unbewusst wäre es mir fast entfleucht und fast ebenso unbewusst hatte ich mich mitten im Satz gestoppt. „Ja?“, hakte Gackt nach. „Nichts“, sagte ich nur, schlang schnell die letzten paar Löffel Chili hinunter und hechtete dann zur Couch, wo noch immer der Controller lag. Gackts „Wenigstens macht es dich wirklich glücklich“ nahm ich dann auch nur noch mit halbem Ohr wahr, weil ich schon fast wieder im Phantasieland Anthea war. Und dort blieb ich auch für die nächsten Stunden. So ziemlich alles ging an mir vorbei: Dass Gackt das Geschirr abspülte und die Küche saubermachte, dass er sich umzog und dabei zeitweise nur mit einem Paar Shorts und einem Hemd bekleidet neben mir herumlief, und auch dass er die halbe Wohnung in eine Wolke seines Parfums hüllte. Letzteres sorgte dann dafür, dass mich fast der Schlag traf, als ich später einmal ins Bad musste. Dabei fiel mir dann auch das erste Mal richtig auf, dass ich allein in der Wohnung war, denn ich konnte mich noch nicht einmal daran erinnern, eine Verabschiedung gehört zu haben. Und … ich weiß nicht … irgendwie gefiel es mir nicht, dass ich es verpasst hatte. Wenn er sich denn überhaupt verabschiedet hatte und nicht einfach ohne ein Wort gegangen war. Vielleicht hatte er es ja versucht und ich war wie immer, wenn ich am Zocken war, nur nicht … ach Quatsch! Wenn ihm wirklich etwas daran gelegen hätte, dann wäre er doch hartnäckiger geblieben – er war doch sonst so eine Nervensäge, die keine Ruhe gab, ehe sie nicht hatte, was sie wissen wollte. Also, alles in Butter! Ich brauchte erst gar nicht anzufangen, so was wie ein schlechtes Gewissen zu entwickeln und konnte mich wieder – okay, okay: fast – ohne irgendwelche nagenden Gedanken im Hinterkopf an die Konsole setzen und weiterspielen. Ich spielte und spielte, ein Dungeon und noch einen und noch einen und zwischendurch ein paar Miniaufgaben, um meine Figuren aufzuleveln und mein Equipment zu verbessern und einfach nur ein bisschen Zeit in Anthea zu vertrödeln. Und dann ging es weiter im Storyverlauf. Bis weit in die Nacht hinein saß ich vor dem Fernseher. Bis ich merkte, dass mir die Augen doch ziemlich schwer wurden, und ich mich vor der schlimmsten Entscheidung in so einer Situation sah: Aufhören und schlafen oder weiterspielen, weil es einfach so toll ist? Und schließlich spielte ich sogar, bis Gackt wieder nach Hause kam. Ich schreckte ein wenig zusammen, als die Schiebetür ratternd aufging, da ich gerade auf dem Rückweg von einem Sidequest zur Hauptstadt Antheas war. Ziemlich langweilige Angelegenheit, bei der ich einfach nur dafür sorgen musste, dass ich den Analogstick nach vorn drückte und meine Figur laufen ließ. Aber um ehrlich zu sein, wäre ich vielleicht sogar eingeschlafen, wenn Gackt nicht aufgetaucht wäre. „Du sitzt ja immer noch davor“, stellte er fest und kam zu mir herüber. „Ist es denn wirklich so gut?“ „Klar“, bestätigte ich ihm und rieb mir über die Augen, „solltest du unbedingt auch mal ausprobieren.“ „Hab ich ja schon. Bin nicht weit gekommen.“ „Du bist bestimmt an diesem Voodoo-Kerl gescheitert. Der ist tatsächlich blöd, wenn du nicht stark genug bist oder weißt, wie du ihn anpacken musste“, erklärte ich Gackt einfach, ohne dass er gefragt hatte. Dabei sah ich Gackt an, meinen Kopf mit der Hand und den Ellenbogen auf meinem Oberschenkel abstützend und wahrscheinlich ein bisschen müde, aber glücklich lächelnd. Ich war müde und redete über mein Lieblingsspiel – eigentlich neigte ich bei TAC ja schon zu total untypischem Verhalten, wenn ich bei vollem Verstand war, aber müde war ich noch schlimmer. Das hatte mir zumindest meine Mutter immer gesagt. Und es schien zu stimmen, denn Gackts Blick und Grinsen schrien förmlich nach „Du machst dich gerade total zum Idioten, weißt du das eigentlich?“, als er sich neben mich setzte und einen leichten Geruch von Alkohol, Rauch und Parfüm verströmte. „Ich kann mich nicht mehr dran erinnern“, meinte er stattdessen und sah dann zu, wie auf dem Bildschirm die Landschaft an meiner Figur vorbeizog. „Willst du noch lange spielen?“ „Wieso? Soll ich gehen?“, stellte ich ihm jedoch als Gegenfrage und gähnte. „Jep. Und zwar ins Bett.“ Zwar grummelte ich leise, willigte aber ein. Ich musste wirklich ins Bett, sonst fielen mir noch vor dem Fernseher die Augen zu. „Ich ruf mir ein Taxi … gleich … ich geh noch speichern und mach dann aus.“ „Ich hab damit nicht gemeint, dass du nach Hause gehen sollst“, kam es allerdings zurück. „Ich schick dich doch um fast vier Uhr morgens nicht mehr los.“ „Oh …“ Ich wusste ehrlich nicht, was ich darauf sagen sollte. Mein Kopf war langsam geworden vom vielen Zocken oder eher Auf-den-Bildschirm-starren. Und weil ich letzte Nacht schon nicht zu viel Schlaf bekommen hatte. Ich war nun mal eine Schlafmütze und brauchte meine zehn Stunden und wenn es abends spät wurde, dann musste ich es eigentlich am Tag nachholen, aber heute … Und daher fiel es mir erstaunlich einfach, zu fragen: „Und wo quartierst du mich ein?“ „Auf dem Gästefuton“, antwortete Gackt prompt, stand auf und machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen. „Ich mach ihn fertig, komm dann einfach nach.“ „Hm.“ Ich tat, was ich ihm gesagt hatte, speicherte ab und machte das Spiel schließlich aus. Vielleicht würde ich es irgendwann mal weiterspielen können, wenn ich mal wieder hier sein sollte. Oder auch nicht, denn ich konnte im Moment keine Situation benennen, die mich noch einmal in diese Wohnung bringen würde. Dann verließ auch ich das Zimmer, um zu sehen, wo Gackt mit dem Futon blieb. Allerdings erübrigte sich die Frage, als ich sein Schlafzimmer betrat und sah, dass er ihn dort gerade herrichtete. Direkt neben einem zweiten Futon. „Du hast kein Bett?“, fragte ich überrascht. „Nein“, lautete die schlichte Antwort, während er sich erhob und zu einem hohen, schmalen Schrank ging, um dort etwas herauszunehmen. Als ich mich umsah merkte ich, dass dieses Zimmer – ebenso wie das Wohnzimmer und das Bad – sehr karg eingerichtet war. Es gab eigentlich nur die Futons, den Schrank, eine kleine Nachttischlampe auf dem Boden direkt neben Gackts Futon, ein Fenster, darunter eine Kommode und … und einen Sitzsack, der einsam in einer Ecke stand. „Bitte“, sprach Gackt mich dann wieder an und hielt mir etwas entgegen, „für die Nacht.“ Es war ein langes, einfaches Hemd von ihm und so wie es aussah, als ich es entfaltete, würde es mir sicherlich viel zu groß sein. Im Grunde hätte ich auch gar keinen Pyjama oder etwas in der Art gebraucht – zu Hause schlief ich nackt und Gackt hatte mich auch schon so gesehen – allerdings machte es mir aus nichts aus, mir etwas überzuziehen. Also warum die Geste ausschlagen? Gackt war schließlich nur höflich. Zehn Minuten später lagen wir bei ausgeschaltetem Licht in unseren Futons. Gackt war noch schnell unter die Dusche gesprungen und hatte seine Klamotten gleich in den Wäschekorb im Bad verbannt, damit 'morgen nicht die ganze Wohnung danach stinkt', wie er gesagt hatte. Ich hatte mich währenddessen in das Hemd geworfen – wie erwartet, war es mir gehörig zu groß – und war nur damit und mit Shorts bekleidet unter die Decke gekrochen. Ich war eigentlich auch schon halb eingeschlafen, als Gackt die Stimme erhob: „Ich hätte ja nicht gedacht, dass du so verrückt nach Videospielen bist.“ Ich lächelte und öffnete die Augen, sah allerdings nur die Umrisse von Gackts Körper. „Ich bin eben doch nicht so oberflächlich.“ „Das war mir vorher schon klar. Aber so wie du vor dem Spiel gesessen, das war richtig niedlich.“ „Ich werd noch richtig rot, wenn du das sagst“, wandte ich ein, mit einem Lachen in der Stimme, das keiner überhören konnte. Und Gackt enttäuschte mich in diesem Punkt auch nicht. „Red keinen Mist.“ „Okay, okay.“ Ich lachte wieder und fühlte mich in diesem Moment unglaublich wohl in meiner Haut. Nicht, dass ich das sonst nicht tun würde, aber es kam nicht oft vor, dass ich mich gehen ließ und so ausgelassen mit jemandem lachen und reden konnte. Sonst achtete ich immer darauf, was ich sagte und wie ich es sagte. Ich achtete so oft darauf, dass es fast schon Normalzustand war. Es war seltsam, es zuzugeben, aber Gackts Gegenwart entspannte mich wirklich. „Darf ich dir eine Frage stellen?“, meldete selbiger sich dann nach ein paar Minuten des Schweigens auch wieder zu Wort. „Hm?“ „Wie alt war die jüngste Person, mit der du geschlafen hast?“ „Uhm“, die Antwort darauf war eigentlich gar nicht so schwer. Und trotzdem ratterte mein Hirn erst einige durch, ehe es mir einfiel: „16 – meine zweite Freundin.“ „Okay, ich meinte eigentlich eher die Leute, mit denen du jetzt so anbändelst.“ „Das hättest du sagen sollen“, merkte ich an. „Sorry. Also?“ „Hm …“, ich überlegte wieder, diesmal aber nicht so lange, denn ich fragte nicht oft nach dem Alter. Meine Entgegnung bestand deshalb aus einer Gegenfrage: „Wie alt bist du eigentlich?“ „Was tut das jetzt zur Sache?“, wollte Gackt darauf wissen. „Nur so. Beantworte einfach die Frage, Idiot.“ „24, wieso?“ „Nicht dein Ernst!“ Ich zog verblüfft eine Augenbraue hoch, auch wenn Gackt es nicht würde sehen können, da das Licht bereits aus war und der Mond, der durch die Vorhänge schien, nur einen schmalen Streifen an die Wand warf. „Wieso?“, hakte Gackt noch einmal nach. „Ich hatte dich für älter gehalten“, sagte ich schlicht, „du wirkst so, als würdest du deinen Job schon jahrelang machen.“ „Tu ich auch“, sagte Gackt, „seit … gut fünf Jahren.“ „Wie kommt's?“ „Ich bin mit 18 von Zuhause ausgezogen“, erklärte er, „dann hab ich bei einem Freund gewohnt und mich eine Weile mit kleinen Nebenjobs über Wasser gehalten und irgendwann schließlich in der Bar angefangen. Aber zurück zu meiner Frage: Wie alt? Über 30? 40? 50?“ „Du spinnst ja!“ Ganz so schlimm stand es dann doch nicht um mich, auch wenn ich mir manchmal wirklich wünschte, dass die Leute, die meine Ansprüche erfüllten, jünger wären. Denn wie gesagt: Ich fragte nicht sehr oft nach dem Alter, sondern schätze meist nur und daher war das Alter nur sehr selten ein entscheidendes Kriterium. „Nein, sagen wir 24“, antwortete ich schließlich. „Ohne Scheiß?“ „Könnte möglich sein, ich weiß nicht genau, wie alt meine One Night Stands jedes Mal sind“, gab ich zu. Trotzdem … war es eine willkommene Abwechslung. tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ Ein frohes neues Jahr wünsch ich euch allen und zur Feier des tages gibt es auch ein neues Kapitel zu FIRE! Wie fandet ihr's denn? Meinen kleinen, panischen Hyde, weil er total zerkratzt ist ... oder vllt auch wegen etwas anderem, hrhr~ >3 Kapitel 5: Good life -------------------- „Hyde. Hyde. Hey, Hyde.“ Irgendjemand rief und rüttelte mich. „Hnnn.“ Ich mühte mich ab, die Augen wenigstens einen kleinen Spalt zu öffnen, um zu sehen, wer mich da störte, schloss sie aber sofort wieder, weil das Licht so hell war, dass es stach. Und dann drehte ich mich auch gleich um, auf den Bauch, damit mich es mich nicht noch weiter nerven konnte. „Hyde, wach auf. Es gibt gleich Essen.“ „Huh?“ Ich versuchte es noch einmal mit dem Augenöffnen und nahm die unscharfen Konturen eines Fußbodens direkt vor mir und irgendetwas Dunklem weiter hinten wahr. Warum ich dem Fußboden so nahe war, wunderte mich im Moment nicht. „Na also, geht doch. Steh auf, Hyde.“ „Keine Lust“, murmelte ich, schloss die Augen wieder und drückte die Nase in mein Kopfkissen. „Geh schon mal vor, ich komm gleich nach, Taishin.“ „Falsche Antwort“, war allerdings die Reaktion auf mein Murren. Das und ein heftiger Luftzug, als mir die Decke weggerissen wurde, kurz bevor man mir unter die Arme griff, mich einfach nach oben zerrte und dann auf die Füße setzte – und das alles so spielerisch, als ob ich eine Feder wäre oder der andere verdammt viel Kraft hatte. So langsam begann ich, mich doch zu wundern, denn Taishin hätte mich nie hochgehoben; er war zu alt für solche Spielchen, wie er selbst gesagt hatte. „Hey!“, protestierte ich reichlich spät, drehte mich zu meinem Angreifer um und starrte in Gackts Grinsegesicht. Und in seine braunen Augen … die mich vollkommen irritierten. Er hatte doch eigentlich … Aber klar doch, ich hatte ja geahnt, dass sie nicht von Natur her blau sein konnten – er war schließlich Japaner. Aber ich hatte ihn bisher nur mit blauen Augen gesehen, sodass ihre Naturfarbe nun ziemlich neu und auch sehr irritierend wirkte. Aber gleichzeitig sah es auch viel schöner aus, sanfter und wärmer. Das Blau seiner Kontaktlinsen war zu hell, um überhaupt natürlich sein zu können. Es war kein leuchtendes Blau, sondern totes. „Na, fertig mit Starren?“, fragte er dann irgendwann auch, noch immer gut gelaunt. „Bild dir bloß nichts drauf ein“, hielt ich dagegen, auch wenn er objektiv gesehen Recht hatte. „Och, warum denn nicht?“, kam darauf auch gleich seine Retourkutsche, was man allein an seinem Tonfall hören konnte – so gespielt schmollend, „ich lass mich doch gern mit Blicken von dir ausziehen.“ „Als ob ich dich-“, setzte ich bereits an und verschränkte die Arme vor der Brust. Aber Gackt funkte mir dazwischen. „Ich erinnere dich daran, dass du mir vor zwei Tagen nicht schnell genug die Klamotten vom Leib reißen konntest.“ Natürlich ließ ich das nicht auf mir sitzen! „Oh, zwei Tage ist es erst her? Siehst du, ich hatte es schon fast wieder vergessen!“ „Das trifft mich jetzt aber hart! Wie werde ich das nur je überwinden können?“ „Ich sagte doch, dass du dir nichts drauf einbilden sollst. Und du sagtest was von Essen?“ Darauf lachte Gackt nur und schüttelte den Kopf. Dann verließ er das Zimmer und ließ mich einfach im Regen stehen. „Hey, was soll das denn?!“, rief ich ihm hinterher und folgte ihm auch bis zur Tür der Wohnküche. Dort blieb ich stehen, wartete auf eine Antwort und sah ihm dabei zu, wie er den Tisch deckte. Ich wusste nicht, was es geben sollte, da bisher nur Schalen auf dem Tisch standen und Töpfe auf dem Herd, aber es roch verdammt gut. Und ich musste auch zugeben, dass es mir schon gefiel, so bekocht zu werden. Vielleicht sogar noch etwas besser, als in einem Restaurant zu essen, wo ich ja auch keinen Finger rühren musste. „Dauert noch etwas“, meinte Gackt schließlich, als er mich bemerkt hatte, „du kannst dich so lange anziehen und ins Bad gehen. Ich hab dir eine Zahnbürste hingelegt – die grüne.“ „Okay.“ Danach begab ich mich ins Bad, putzte mir die Zähne und widmete mich erst einmal ausgiebig meinem Spiegelbild und besonders meinen Schultern, wo die Kratzer natürlich nicht viel besser aussahen als gestern. Ein paar Tage würde es schon noch dauern. Anschließend sprang ich kurz unter die Dusche, bedachte dabei aber nicht, dass ich hinterher ein Handtuch brauchen würde. Und so stieg ich zehn Minuten später von oben bis unten tropfend wieder aus der Dusche, ohne zu wissen, wie ich mich wieder trocken bekommen sollte. Es war weit und breit auch kein Schrank oder irgendetwas anderes zu sehen, wo Gackt vielleicht ein paar Handtücher aufbewahren könnte. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass sogar so ein Schrank nicht mehr in das winzige Zimmer gepasst hätte. Ich musste also so aus dem Bad und Gackt persönlich bitten. Weit kam ich allerdings nicht, denn kaum dass ich die Tür aufgeschoben hatte, lief ich Gackt auch schon in die Arme … oder ins Handtuch, das er ausgebreitet vor sich hielt. „Hast wohl was vergessen?“, war sein Kommentar, als er mir das Tuch um die Schultern legte. „Sieht so aus“, sagte ich darauf und begann dabei auch gleich, mich abzutrocknen. „Und du? Hast du die ganze Zeit hier gestanden und gewartet, dass ich rauskomme? Warte, warte, du hast die Handtücher geklaut, damit ich keins hab. Gib's zu!“ Ernst gemeint war es selbstverständlich nicht. Außerdem hatte Gackt einen ähnlichen Humor wie ich, also würde er es schon selbst verstehen. „Klar doch!“, war daher seine Antwort, „alles nur, um dich im Adamskostüm bewundern zu können. Nette Piercings übrigens. Wem nutzen die eigentlich mehr, dir oder deinen Lovern?“ „Mir natürlich. Für wen hältst du mich?“ „Dachte ich mir schon. Und beeil dich dann bitte, sonst wird das Essen kalt.“ „Was gibt es denn?“ „Wirst du sehen.“ Er schmunzelte geheimnisvoll und war schon dabei, sich wieder abzuwenden, als er es sich jedoch noch einmal anders zu überlegen schien, eine Hand hob und flüchtig und sehr sanft über meine Wange strich. Und wie automatisch wich ich ein Stück zurück. „Was war das?“, fragte ich, bereits ahnend, was ihn zu dieser Handlung bewogen hatte. Und es missfiel mir stark. „Da klebte eine Wimper“, entgegnete Gackt allerdings. „Red keinen Stuss“, hielt ich dagegen, „ich kenne die Ausrede. Wenn du irgendwas versuchen willst oder dir einbildest, dass du mich ändern könntest, dann kann ich dir gleich sagen, dass das nichts wird. Ich steh nicht auf Typen wie dich.“ „Typen wie mich?“, hakte er daraufhin nach. „Mittellose Kellner.“ Und ich konnte ihm schon am Gesicht ablesen, dass er mit dieser Antwort gerechnet hatte, sie aber nicht mochte. Das Seufzen, das folgte, verriet ihn nur noch mehr und ein Kopfschütteln machte es nicht besser. Und für mich war es das Signal, dass es an der Zeit war, die Fronten zu klären und mich dann auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub zu machen. Aber, nun ja, ich lag falsch, wie Gackt mir dann bewies: „Ich muss dich enttäuschen, Hyde. Du hattest da eine Wimper. Hier!“ Dann hob er die Hand, mit der er meine Wange gestreichelt hatte und zeigte sie mir. Und tatsächlich – da hing eine einzelne Wimper auf der Spitze des Ringfingers. Ich zog verblüfft beide Augenbrauen hoch und starrte einfach nur auf seine Hand, während mir die Worte mehr oder minder im Hals stecken blieben: „Äh …“ „Wünsch dir was“, forderte mich Gackt dann auf, was mich allerdings noch etwas mehr verwunderte. „Huh?“ „Du sollst dir was wünschen! Kennst du das nicht?“ Ich schüttelte den Kopf, was ihn wohl dazu brachte, zu lachen und auch selbst wieder einmal den Kopf zu schütteln – diesmal war es aber ein ganz anderes Kopfschütteln als das vorige. „Ganz einfach. Du wünscht dir etwas von der Wimper und pustest sie dann weg, während du ganz fest an deinen Wunsch denkst. So.“ Und dann schloss er die Augen und pustete er die Wimper von seiner Fingerspitze, worauf sie natürlich wegflog und nie wieder gesehen wurde. „Sollte ich mir nicht etwas wünschen?“ „Du kriegst die nächste, versprochen.“ „Und was hast du dir gewünscht?“ „Das verrät man doch nicht, sonst geht es nicht in Erfüllung“, gab sich Gackt ganz entrüstet und stemmte die Hände für einen Moment rechts und links gegen seine Hüfte. Allerdings zwinkerte er mir direkt darauf zu. „Aber ich sag's dir, wenn es funktioniert hat.“ „Hm … mach das“, war mein Kommentar zu der Aktion. „Ich denke nicht, dass das funktionieren wird; Wimpern gibt es schließlich millionenfach.“ „Wir werden es ja sehen. Und du solltest zusehen, dass du in deine Klamotten kommst.“ „Ist ja gut, ist ja gut – Mama.“ „Wenn du mich ärgern willst, musst du dir schon ein bisschen mehr einfallen lassen, Hyde.“ Ich streckte ihm darauf nur die Zunge entgegen und begab mich dann in sein Schlafzimmer, um mich anzuziehen. Vorher trocknete ich mich allerdings gründlich ab und dachte darüber nach, ob ich tatsächlich komplett in die Sachen von gestern steigen sollte. Die Jeans und das Hemd waren ja kein Problem, bei den Socken wurde es dann schon fragwürdig und die Shorts waren extrem grenzwertig. Dann doch lieber ohne. Ich schlüpfte also nur in Hose und Hemd, den Rest ließ ich weg. Das Essen und der Weg in meine Wohnung würden mich unterdessen so schon nicht umbringen. Als ich mich ein paar Minuten später in die Wohnküche begab, saß Gackt schon am Tisch und las Zeitung. Außerdem schien er sich einen Tee gekocht zu haben, denn vor ihm stand ein henkelloser Teebecher, aus dem es dampfte. Und auch sonst war der Tisch schon fertig eingedeckt, lediglich etwas zu essen fehlte. Das sollte sich jedoch schnell ändern, denn kaum dass Gackt mich bemerkt hatte, sah er von seiner Zeitung auf und mich an. „Holst du bitte die Pfanne vom Herd?“, fragte er, während er die Zeitung zusammenfaltete und anschließend zur Seite legte. „Kaffee und Tee sind auch fertig, bedien dich wie du magst.“ „Geht klar“, entgegnete ich darauf und steuerte auf die Küchenzeile zu, wo ich dann auch endlich erfuhr, was er zum Frühstück gemacht hatte: Omelett, eins mit Eiern und Pilzen und Zwiebeln und irgendwelche Kräuter schien er auch reingeworfen zu haben. Auf alle Fälle roch es echt gut. Direkt daneben standen die Kaffeemaschine, eine recht alt aussehende Teekanne, eine normale Tasse und ein weiterer Becher, so wie Gackt ihn bereits benutzte. Ich griff spontan zum Kaffee, goss mir eine Tasse voll ein und trug diese, zusammen mit der Pfanne, die doch etwas schwerer war, als ich vermutet hatte, zum Tisch, wo ich beides abstellte. Dann endlich konnte ich mich hinsetzen und mich über das Omelett hermachen, das einem sprichwörtlich das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Wenn es nun auch noch so gut schmeckte wie es roch, dann … und genau das tat es auch! Gackt hatte wirklich nicht untertrieben, als er gemeint hatte, dass er natürlich kochen gelernt hatte, als er ausgezogen war. Er konnte es wirklich gut. Das Chili gestern war auch nicht von schlechten Eltern gewesen und das hier war beinahe noch einen Tick besser. „Sag mal“, nuschelte ich, nachdem ich meinen Teller halb aufgegessen hatte, „wo hast du das eigentlich gelernt?“ „Was?“, wollte Gackt wissen, als er runtergeschluckt hatte, was er kurz zuvor noch im Mund gehabt hatte. „So gut zu kochen.“ „Ach, das“, meinte er verstehend, „ich kann eigentlich gar nicht so gut kochen.“ „Verarsch mich nicht!“ „Tu ich gar nicht. Chili und Omelett sind nur zwei der ungefähr zehn Gerichte, die ich zufällig gut kann. Und selbst das ist nicht alleine mein Verdienst, ein guter Freund von mir ist Koch und hat mir ein bisschen was beigebracht, als ich von zu Hause raus bin.“ „Der, bei dem zu am Anfang gewohnt hast?“, hakte ich nach, als in meinem Hinterkopf der Funke einer Erinnerung aufkam. „Genau der. Ansonsten … ist meine Auswahl ziemlich begrenzt, fast nur Einfaches und Günstiges. Aber es reicht zum Überleben aus und wenn mir mal nach was anderem zumute ist, dann schmarotze ich ein bisschen in der Hotelküche. Die Mitarbeiter kriegen dort vergünstigt ihr Mittag und meistens kann ich ihnen was zum Mitarbeiterpreis aus dem Kreuz leiern. Dafür spendiere ich auch ab und zu was an der Bar, weil es bei uns ähnlich läuft.“ „Praktisch“, kommentierte ich dazu und aß schließlich weiter, leerte den Teller ganz und nahm mir noch eine zweite Portion – Gackt hatte wirklich genug gekocht. „Ganz genau“, stimmte dieser mir zu, „und danke für das Kompliment.“ Und in dem Moment, als ich etwas erwidern wollte, begann mein Handy im Schlafzimmer zu klingeln. Ziemlich leise und gerade laut genug, um gehört zu werden. Ich hatte die Türen nicht richtig zugemacht, sonst hätte ich es vielleicht gar nicht mitbekommen. Für einen kurzen Moment dachte ich noch darüber nach, ob ich überhaupt rangehen sollte, denn im Grunde hatte ich jetzt keine Lust aufzustehen, entschied mich dann aber doch dafür. Der Anrufer war auch ausdauernd genug, um auf mich zu warten, und kurz bevor ich das Gespräch aufnahm, warf ich noch einen flüchtigen Blick auf das Display. „Hallo Aki“, begrüßte ich ihn, mich auf den Futon kniend. „Hi! Nur ganz kurz, ich muss gleich noch wohin“, kam es wie mit der Tür ins Haus direkt zurück, „ich will heute Mittag ins Oishii. Kommst du mit?“ Da brauchte ich nicht lange zu überlegen. Das Oishii war mein Lieblingsrestaurant, wenn es um Sushi ging. Ich hatte schon eine Weile keins mehr gehabt … das letzte Mal war vor zwei oder drei Monaten gewesen, im selben Restaurant, mit der selben Begleitung. Und wenn Aki das jetzt vorschlug, blieb mir eigentlich nur noch übrig, ja zu sagen, auch wenn ich selbst zahlen müsste. Denn Aki war keiner meiner Lover, selbst wenn das Vermögen und die soziale Stellung seiner Familie ihn zu einer potentiellen Beute machten. Aber dafür war er dann doch einfach nicht der Typ. „Klar“, stimmte ich zu. „Gibt's denn einen bestimmten Anlass?“ „Sushi, du, ich und vielleicht ein paar Neuigkeiten. Reicht doch, oder?“ Wo er auch wieder Recht hatte. „Okay.“ „Dann treffen wir uns gegen ein Uhr dort. Passt dir das oder hast du da schon wieder irgendwelche Verabredungen?“ Aki war zwar keiner meiner Lover, aber das hieß nicht, dass er nicht davon wusste. Stattdessen war er ein wirklich guter Freund, dem ich auch mein Leben anvertrauen würde. Ich glaube sogar, dass einige meiner kleinen Affären von den anderen wissen. Zumindest machte ich kein großes Geheimnis draus, selbst wenn ich nicht unbedingt auf andere Menschen zuging und mich direkt damit vorstellte. Aki nahm es mit Humor und fragte mich auch ganz gern darüber aus, wen ich jetzt wieder erobert hatte. Es war im Grunde schon ein bisschen erstaunlich, dass er es so vollkommen anders sah als Gackt, obwohl Aki in einer festen Beziehung steckte und da viel eher wettern müsste, dass ich mein 'Liebesleben' endlich einmal in den Griff kriegen sollte. „Nein, keine Verabredungen, eins geht in Ordnung“, antwortete ich schließlich und meinte noch halb im Scherz, „soll ich mir schon irgendwelche Stories für nachher ausdenken oder improvisieren wir?“ „Ha ha, du bist gut!“, kam es diesbezüglich allerdings nur zurück, „wir sehen uns dann nachher, ne?“ „Jep, bis später!“ Und damit hatte sich das Gespräch auch schon. Ich trennte die Verbindung, stand auf und steckte das Handy aus dem Rückweg in die Wohnküche in meine Hosentasche. Als ich das Zimmer betrat, sah Gackt mich wieder aufmerksam an. „Na, wieder Verabredungen ausgemacht?“, kommentierte er meine kurze Abwesenheit. „Na, gelauscht?“, war mein Gegenkommentar, worauf Gackt abwehrend die Hände hob. „Wie könnte ich denn? Aber wenn du alle Türen sperrangelweit offen lässt, lässt sich das nicht vermeiden.“ „Ach …“ Aus einem Reflex heraus, drehte ich mich noch einmal um. Das war natürlich sinnlos, da ich diesmal die Türen ordentlich zugeschoben hatte und nun natürlich nichts mehr zu sehen war. Ich zuckte dann nur mit den Schultern und setzte mich wieder hin, um das Frühstück fortsetzen zu können. Bevor ich mich jedoch wieder dem leckeren Omelett widmete, ließ ich mich doch zu einer knappen Antwort herab: „Das war Aki. Er wollte mich zum Sushiessen mitnehmen.“ „Und Aki ist …?“ „Hm … Ich kenne ihn jetzt schon seit ein paar Jahren“, gab ich bereitwillig zu, „wir sind uns auf einer stinklangweiligen Gala begegnet und haben uns dann den Rest des Abends ganz gut unterhalten können. Ihn hatten seine Eltern mitgeschleift und ich war als Begleitung einer Frau da, mit der ich damals zusammen war. Seitdem sind wir ganz gute Freunde, würde ich sagen.“ „Du scheinst tatsächlich auch normale Freunde zu haben.“ „Bingo!“, sagte ich, schnippte mit den Fingern meiner rechten Hand und zeigte mit dem Zeigefinger schließlich auf Gackt. „Jedenfalls habe ich um eins eine Verabredung. Und vorher muss ich mir unbedingt noch andere Sachen anziehen.“ „Du wirst dich also gleich verabschieden, nach Hause fahren und ich sollte dich wohl nicht fürs Mittagessen einrechnen.“ „So ist der Plan.“ „Na dann …“ Aber noch war etwas Zeit. Wir beendeten gemütlich das Frühstück und unterhielten uns dabei über die ein oder anderen Dinge. Unter anderem erklärte ich Gackt noch ein bisschen die Welt von TAC, aber irgendwie wollte die Lust auf das Spiel bei ihm nicht zünden. Vielleicht bestand noch Hoffnung, wenn er sich selbst davorsetzte und einfach loszockte, aber man konnte ja auch niemanden zu seinem Glück zwingen. Um kurz nach elf machte ich mich dann auf den Weg, nachdem ich mich höflich für die Übernachtung und das Essen bedankt hatte. So viel Zeit und Etikette musste sein, ich war schließlich kein ungehobelter Klotz. Dann ging es nach Hause zum Umziehen und schließlich weiter ins Oishii. Dabei schaffte ich es trotz des nicht gerade knapp bemessenen Zeitfensters, eine halbe Stunde zu spät zu kommen, weil ich absolut kein Taxi bekam und stattdessen mit der U-Bahn fahren musste. Schöne Scheiße! „Da bist du ja“, begrüßte Aki mich, als ich endlich im Restaurant angekommen, ihn erblickt und mich zu ihm an den Tisch gesetzt hatte. „Jep. Und hi“, antwortete ich. „Wartest du schon lange?“ „Würde es dich kümmern, wenn ich lange warten würde?“ „Ach, Aki, du weißt doch, dass du mir der Liebste bist“, schmollte ich gespielt und setzte ein entsprechendes Gesicht auf. Was ihn belustigte. „Aber ohne Witz, wartest du schon lange?“ „Lange genug, um mir schon was zu trinken bestellt zu haben“, gab er schließlich zu und zeigte dabei auf das Glas vor sich. Klar … Hyde, du warst mal wieder blind. „Ah, ja“, schob ich dann noch hinterher und langte dann einfach über den Tisch, um mir die Karte aus deren Halterung zu nehmen und sie zu überfliegen. Ich wusste zwar, was ich gern aß, aber vielleicht sprang mir etwas ins Auge, auf was ich heute besondere Lust hatte. Aki schien sich schon etwas ausgesucht zu haben, denn seine Karte lag zusammengefaltet vor ihm und er löcherte mich lieber mit Fragen: „Und? Bei was hab ich dich heute Morgen gestört? Klang sehr vielversprechend. Neuer Lover?“ „Nicht wirklich. Das war nur ein Bekannter. Ist gestern spät geworden und er wollte mich nicht mehr nach Hause lassen. Ich hab bei ihm geschlafen“, entgegnete ich noch halbwegs anwesend, vertiefte mich dann aber immer mehr in die Karte, sodass meine Antworten abwesender wurden. „Hat es sich denn wenigstens gelohnt?“, hakte Aki weiter nach und aus dem Augenwinkel sah ich, wie er sich interessiert nach vorne lehnte, die Ellenbogen auf dem Tisch und das Kinn in den Händen abstützte. „Jep, war ziemlich nett. Auch wenn die Nacht etwas hart war.“ „Oho, das klingt aber ganz nach einem deiner Lover“, lautete der Kommentar dazu und wurde von einem leisen Glucksen begleitet, was mich dazu brachte, ihm kurz einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen, dann aber den Kopf zu schütteln und die Karte für einen Moment wegzulegen, um die Sache zu klären. Aki war heute mal wieder etwas schwer von Begriff. „Nein, er ist nicht mein neuer Lover“, betonte ich noch einmal, „ich hab bis spät in die Nacht TAC bei ihm gespielt, weil er es hatte, und dann neben ihm auf dem Gästefuton geschlafen. Ein Barkeeper ist definitiv nicht meine Liga.“ „Daher weht der Wind also. Und? Sieht er gut aus?“ „Huh?“ Ich konnte fühlen, wie eine meiner Augenbrauen automatisch nach oben wanderte und auch erstmal für eine Weile dort hängen blieb. „Was tut das jetzt zur Sache?“ Aki schien dies zu belustigen, denn er lachte schon wieder leise und hörte nicht auf zu stochern: „Schau nicht so blöd. Sieht er gut aus?“ „Hm … ja, eigentlich schon. Sein Hintern ist ganz nett. Und was sollte die Fragestunde jetzt?“ „Na, es muss doch einen Grund geben, dass du überhaupt mit dem Typen unterwegs bist“, sagte er in einem Ton, als ob er mir erklären würde, dass eins und eins zusammen zwei ergibt. Ich rollte nur mit den Augen und nahm die Karte dann wieder auf. Allerdings nicht für lange, wie sich noch herausstellen sollte. Aki redete währenddessen munter weiter: „Erstaunt mich aber, dass da nichts gelaufen ist. Wenn ich mir die Leute angucke, mit denen du sonst so unterwegs bist, musst du doch eigentlich ganz heiß auf ein bisschen Abwechslung sein.“ Schon wieder halb in das Menü vertieft warf ich dazu ein: „Hm ja, abwechselnd war es in der Tat. Man muss nur auf seine Hände aufpassen, sonst zerkratzt er einem den ganzen Rücken.“ Das schien meinen Gegenüber erst einmal sprachlos zu machen, denn ich bekam keine Antwort. Und als mir dieser Umstand deutlich bewusst wurde, sah ich auch wieder auf. Wenn das so weiterging, würde ich heute gar nicht mehr dazu kommen, etwas zum Essen auszuwählen. „Was ist denn?“ „Ich dachte, du hättest nichts mit ihm“, kam es ein wenig enttäuscht von Aki. „Hab ich auch nicht, nicht wirklich. Barkeeper sind-“ „Nicht deine Liga, ich weiß. Aber?“ „One Night Stand?“, stellte ich die Gegenfrage. „Er hat mich vorher in eine Bar geschleift und ins Kino und dann haben wir es noch bei mir krachen lassen.“ „Äh, Hyde?“ „Was ist denn noch?“ So langsam wurde ich schon etwas ungehalten, dass er mich permanent unterbrach. „Du sagtest, du hättest TAC gespielt. Aber dann erzählst du, ihr wart in einer Bar und im Kino und hattet außerdem noch Sex. Wie habt ihr das bitte schön alles in einer Nacht untergekriegt, ohne hinterher zwei Tage durchschlafen zu müssen? Mal ganz davon abgesehen, dass du mir weißmachen wolltest, du hättest auf dem Gästefuton genächtigt.“ „Ganz einfach: Sex war vorgestern Nacht und dann sind wir in seine Wohnung gezogen“, leierte ich leicht zähneknirschend herunter. Und bevor ich ihm den Rest auch noch erklären konnte, kam die Kellnerin schon, um unsere Bestellungen aufzunehmen. Und ich hatte immer noch nichts ausgesucht. „Haben Sie bereits gewählt?“, wurden wir gefragt, worauf Aki mich ebenfalls fragend ansah. Ich seufzte leise und meinte: „Na los, sag schon an.“ Ich wollte es nicht noch länger hinauszögern und so wie Aki im Moment drauf war, würde ich sowieso nicht dazu kommen, nach etwas anderem Ausschau zu halten – insofern ich ihn nicht fesselte und knebelte. Dann sollte es eben heute nichts Außergewöhnliches sein, sondern der Standard; das war auch kein Verlust. Aki spulte seinen Wunsch herunter, inklusive eines warmen Sakes für mich, der auf seine Rechnung gehen sollte, und gab dann das Wort an mich weiter. Ich orderte drei verschiedene Sorten Maki und auch erst meine Lieblings-California-Rolls in doppelter Portion, strich das 'doppelt' dann aber wieder, weil ich es nach dem reichlichen Frühstück bzw. Mittagessen bei Gackt sonst vielleicht nicht schaffen würde. Und dafür war es mir wirklich zu schade. Nachdem die Kellnerin alles notiert hatte, verbeugte sie sich kurz und verschwand dann in Richtung Küche, um unsere Bestellungen dort abzugeben und ich dann gleich um die nächsten Gäste zu kümmern. Ich folgte ihr kurz mit den Augen, sah dann aber Aki wieder an, der wiederum mich gespannt anstarrte. „Seine Wohnung“, war das Einzige, was er sagte, um mich daran zu erinnern, wo ich aufgehört hatte. „Ja, seine Wohnung“, bestätigte ich lediglich, ohne irgendetwas weiter zu erklären. „Und weiter?“ „Hab ich doch schon gesagt: Ich hab dort TAC gespielt und hab dann auf seinem Gästefuton die Nacht verbracht. Heute Morgen hast du mich gerade beim Frühstück erwischt.“ „Es war bald schon Mittag“, wies Aki mich auf diese Tatsache hin, kam dann aber wieder auf das Hauptthema zurück, „du hast also die letzten zwei Tage mit den Kerl verbracht?“ „Fast. Er musste gestern Abend noch nochmal weg – arbeiten. Ich hab mich derweil mit TAC amüsiert.“ „Na, holla!“, kommentierte Aki dazu und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Entweder ist der Kerl furchtbar dumm oder du hast ihn echt gut um den Finger gewickelt. Bist du dir sicher, dass da nichts Konkreteres läuft?“ „Red keinen Scheiß“, wiegelte ich gleich ab. „Gackt ist einfach nur ein hoffnungsloser Gutmensch, mehr nicht. Wobei er schon etwas nerven kann – aber da stehst du ihm in nichts nach.“ „Danke für die Blumen! Und Gackt heißt er also?“ „Jep. Und?“ „Na, nur so“, begann Aki, lehnte sich etwas zur Seite und stützte das Kinn in einer Hand ab, „wo wir aber schon bei Gutmenschen sind: Ich bin heute auch einer, weil ich dir was sehr Interessantes erzählen will.“ „Und das wäre?“ „Du hast doch bestimmt schon mal von dieser einen Familie gehört, dessen Oberhaupt sie nur 'den Drachenfürsten' nennen?“ „Wer hat das in dieser Stadt nicht?“, warf ich als Kommentar ein. Und es entsprach ja auch vollkommen der Wahrheit. Zwei Monate hier reichten vollkommen aus, um schon zig Mal über den 'den Drachenfürsten' gestolpert zu sein – besonders, wenn man solche Ambitionen hatte wie ich. Diese Familie stand in der High Society ganz, ganz oben, sodass selbst die ohnehin schon Superreichen ihnen nur die Füße küssen konnten. Und natürlich standen sie damit in den Charts von Menschen wie mir auch generell an der Spitze. Aber es war furchtbar schwer, an sie heranzukommen, weil sie auf der einen Seite überhaupt nicht zu den Leuten zählten, die sich durch das Tokyoter Nachtleben schlugen, und auf der anderen Seite waren ihre Privatpartys genau das: privat, sehr privat. Wenn man nicht entsprechende Verbindungen hatte, kam man da nicht rein, weshalb ich auch noch nie die Chance gehabt hatte, mich an jemanden von ihnen heranmachen zu können. Ich kannte auch keinen, dem das schon mal gelungen war, weshalb ich auch nicht wusste, ob die Leute dieser Familie überhaupt auf mich und meine Maschen anspringen würden. Aber sie waren definitiv der Jackpot. Und noch bevor Aki auch nur ein weiteres Wort sagen konnte, fiel mir die Kinnlade herunter, weil ich etwas begriff: „Sag nicht, dass du mich da irgendwie reinschleusen kannst?“ Eigentlich brauchte Aki auch nichts mehr zu sagen, sein Grinsen verriet mir alles. Aber ich würde nicht lockerlassen, ehe er nicht mit der Sprache herausrückte – inklusive des Wie, Was, Wo, Wer und Warum! „Grins nicht so, sag an!“, forderte ich von ihm, musste es mir jedoch gefallen lassen, dass er mich für einige Momente zappeln ließ, während er genüsslich etwas trank. Er brachte mich sogar dazu, dass ich ein Wort benutzte, was ich sonst, wenn ich auch wirklich ich war, selten in den Mund nahm: „Bitte!“ „Du weißt ja doch, wie das heißt“, kommentierte er noch immer grinsend, ehe er sich endlich dazu herabließ, mich aufzuklären. „Also eigentlich ist es ganz simpel. Rika-chans Familie gehört schon ziemlich lange zum Freundeskreis der Fürsten und meine Eltern verstehen sich wiederum gut mit ihren Eltern. Wäre auch schlimm, wenn das nicht so wäre, sonst würden sie wahrscheinlich nicht zulassen, dass wir-“ „Aki!“, ermahnte ich ihn kurz, als er wieder einmal abschweifte und über sein Lieblingsthema ins Plaudern geriet – Rika-chan, oder besser: Erika Sakurai, ihres Zeichens Töchterchen stinkreicher Eltern und Akis feste Freundin. Letzteres seit sich die beiden auf der gleichen Privat-Snob-High School kennengelernt hatten. Und im Grunde passten die beiden wie der sprichwörtliche Deckel auf den sprichwörtlichen Topf. Denn auch Rika war der Zucker in Person, wenn auch ein wenig naiver und oberflächlicher als Aki und einen ganzen Tick ehrlicher (sprich: Sie trug ihr Herz auf der Zunge und wusste manchmal nicht, wann es besser war, einfach mal die Klappe zu halten, um nicht verletzend zu sein. Aber wie gesagt: Sie war der Zucker in Person und man verzieh es ihr meistens innerhalb eines Augenzwinkerns.) „Ja, ja, ja“, seufzte Aki und rollte mit den Augen – seine Standardreaktion, wenn man ihn bei Lobhymnen über Rika unterbrach –, redete aber brav weiter, „jedenfalls haben Rika-chans Eltern dann vor ungefähr einem halben Jahr etwas für meine Eltern gedreht und vor drei Wochen wurden sie bzw. wir dann zum Geburtstag des alten Fürsten eingeladen. Übernächste Woche Samstag ist die Feier.“ „Und hast du auch schon eine Idee, wie ich da reinkomme?“ „Meine kleine Schwester hat bereits getobt, weil sie sich lieber mit ihrem neuen Freund treffen will, und hat gewonnen. Wenn meine Eltern einwilligen, bist du dabei.“ Jetzt war es an mir zu grinsen … zu strahlen, von einem Ohr zum anderen. Das war wunderbar! Und wenn ich mich anstrengte und nicht allzu dumm anstellte, würde ich für eine ganze Weile mehr als nur ausgesorgt haben. Vielleicht traf ich sogar jemanden, der ein bisschen mehr meinem persönlichem Geschmack entsprach und bei dem ich gewillt war, mich für mehrere Jahre zu binden. Der war Hauptgewinn zum Greifen nahe und selbst wenn nicht … auch die 'Trostpreise' würden nicht sonderlich schlecht sein, wenn man die Exklusivität dieser Familie bedachte. Ich konnte mein Glück jetzt schon kaum fassen, aber Aki legte noch eins drauf: „Übrigens, da gibt es noch einen ganz netten Zufall: Zum Geburtstag vom Oberhaupt wird natürlich die ganze Familie da sein und so weit ich informiert bin, ist einer der Söhne Single und ungefähr in unserem Alter.“ Vollkommen überrascht zog ich die Augenbrauen hoch und sah Aki sicherlich an wie ein Auto. Wenn das stimmte … wenn das wirklich stimmte – ach, machten wir uns nichts vor, Aki log mich nicht an, das stimmte also tatsächlich! Gott, am liebsten wäre ich jetzt in Jubelgeschrei ausgebrochen und durch das ganze Lokal getanzt. Ich war so ein Glückspilz! „Aki, das ist spitze!“, freute ich mich. „Hm. Und es lässt dich vielleicht auch deinen Gackt vergessen.“ „Ach, red keinen Quatsch“, wehrte ich seine Bemerkung ab, mich allerdings nicht wirklich drum scherend, „Gackt ist ein Barkeeper, der in einer Winzwohnung lebt – natürlich kann der nicht dagegen ankommen.“ „Ganz sicher? Du hast schließlich ganze zwei Tage mit ihm verbracht.“ „Das bedeutet gar nichts“, sagte ich ihm offen ins Gesicht, „weiß der Geier, ob ich ihn überhaupt nochmal wiedersehen werde. Wenn ich bei der Feier wirklich was an Land ziehe, dann sicherlich nicht.“ „Na, wenn du meinst“, gab Aki sich scheinbar endlich zufrieden, was mir nur recht war. Ich hatte jetzt so gar keinen Kopf für Gackt und seine Belange, sonder nur dafür, dass ich die Chance meines Lebens in Händen hielt. „Recht so“, sagte ich noch, wild und stupide nickend, und rief dann anschließend der Kellnerin zu, „Hey Sweatheart, Champagner für mich und meinen Freund!“ Gott, das war absolut und einfach nur grandios! tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ Noch so ein idyllisches Kapitel wie letztes Mal schon und dann wird es sogar noch besser für Hyde - w00t w00t! :D Bei Aki habe ich mich übrigens an dem Bild orientiert, dass ich von dem Aki der Band SID hab. Allerdings wird das wohl ziemlich weit von den Tatsachen entfernt sein, da sich dieses Bild größtenteils auf den Jack In The Box -Auftritt von vor ein paar Jahren stützt, als Hyde zusammen mit Glay Honey und Yuwaku perfomrt hat und Aki ihn bei der Gelegenheit so ansprang (wenn das überhaupt der richtige Auftritt ist xD). Er ist halt einfach ein guter Freund für Hyde :3 Kapitel 6: Living room dancing ------------------------------ „Dann also diesen Sonntag. Und zieh dir was Ordentliches an.“ „Klar doch.“ „Schwarzer Anzug, weißes Hemd, unauffällige Krawatte – entweder schwarz, dunkelgrau oder dunkelblau – schwarze Lederschuhe, nicht zu viele sichtbare Kettchen und Bändchen, am besten nur ein oder zwei Ringe, mach die Ohrstecker raus, richte dir die Haa-“ „Aki!“ „Ja?“ „Ich weiß das alles – ich will mir meine Chancen schließlich nicht gleich am Anfang versauen.“ Das war der erste Teil der Vorbereitung für die Feier des Drachenfürsten: eine Verabredung zur Vorstellung bei Akis Eltern, damit die mich überhaupt erst mitnahmen. Für den zweiten Teil war ich gerade unterwegs – ich ging einkaufen. Ich hatte zwar selbst einen ziemlich vollen Kleiderschrank, aber für diesen Anlass wollte ich ein komplett neues Outfit. Und den besorgte ich mir nicht in irgendwelchen x-beliebigen Läden, sondern dort, wo man nur den edelsten Zwirn bekam. Ich wollte schließlich wirklich gut aussehen und mir so viel optischen Vorlauf wie möglich geben. Denn sind wir mal ehrlich: Man geht nicht zu jemandem hin und stellt sich mit dem kompletten Lebenslauf samt Stärken, Schwächen und Interessen vor. Nein, man sieht sich den anderen erst an und wenn der äußerlich den Ansprüchen entspricht, dann ist man überhaupt erst einmal gewillt, ihn kennenzulernen. Wobei es bei mir nicht sonderlich viel zum Kennenlernen gibt, weil ich mich grundsätzlich nach dem Objekt meiner momentanen Begierde richtete. Jedenfalls, Klamotten shoppen. Natürlich würde der Spaß nicht billig werden und ich würde mir allein nur ein oder zwei Teile selbst leisten können. Das Hemd und die Krawatte oder die Schuhe vielleicht, aber nicht alles. Und da trat eine meiner zahlreichen gut betuchten Bekanntschaften auf den Plan. Bis zum nächsten Sonntag hatte ich noch vier Tage Zeit. Also würde ich jetzt in die Geschäfte gehen, um mir dort alles schon auszusuchen, für heute oder spätestens morgen Abend würde ich eine Verabredung ausmachen, damit ich morgen oder eben übermorgen mit meinem geneigten Spender oder meiner geneigten Spenderin nochmal alle Läden abklappern konnte, um die Sache in Sack und Tüten zu kriegen. Solange das Zeitmanagement stimmte, konnte eigentlich nichts schiefgehen. Die Begründung, wieso ich auf einmal ein neues Outfit brauchte, würde mir bis zum Date schon einfallen, und die überzeugendsten Argumente waren sowieso klar. Ich durchsuchte mehrere Geschäfte, ließ mir hier und da etwas zurücklegen und betrieb ansonsten ein wenig Schaufensterbummel bei Läden, in die ich gerne ging. Und zwischendurch war es auch an der Zeit, für den Geldgeber zu sorgen. Zuerst schoss mir Taishin durch den Kopf, nach einigem Nachdenken und Überschlagen entschied ich mich jedoch dagegen, da ich ihn in letzter Zeit schon genug hatte zahlen lassen. Kanako hatte ich schon zu lange nicht mehr gesehen, um sie nach nur einem Date gleich zur Kasse zu bitten. Da waren schon mehr nötig und dafür hatte ich nicht genug Zeit. Dann kam mir Emiko in den Sinn und ich befand, dass sie genau die Richtige war. Sie war Mitte vierzig und verbrachte ihre Abende eher in Etablissements, wo nicht jeder dahergelaufene Kerl reinkommen und sie mir abspenstig machen konnte. Das war also schon einmal eine gute Voraussetzung dafür, dass sie in den nächsten beiden Tagen für mich Zeit haben würde. Und ich hatte sie letzte Woche erst gesehen, also kam die Anfrage nicht ganz aus heiterem Himmel. Besser konnte es eigentlich gar nicht gehen. Nachdem meine Entscheidung gefallen war, zögerte ich auch nicht mehr länger, sondern rief sie umgehend an. Zwar dauerte es ein Weilchen, ehe sie ranging, meldete sich dann aber doch mit: „Hyde, Darling!“ „Hallo, Emiko“, erwiderte ich, den Tonfall aufsetzend, den ich immer benutzte, wenn ich jemanden rumkriegen wollte. „Wie geht es dir, Schatz? Hattest du ein schönes Wochenende?“ „Ja ja, sehr entspannend, danke der Nachfrage, Hyde“, begann Emiko im Plauderton, „ich hatte dir doch von dem Wellness-Tag erzählt, den ich mir gönnen wollte. Das habe ich nun spontan gemacht.“ „Klingt sehr gut“, pflichtete ich ihr bei, während ich vor dem nächsten Schaufenster stehenblieb und die Auslage oberflächlich betrachtete. „Und wie erging es dir?“ „Auch nicht schlecht. Ich habe eigentlich nur die Seele baumeln lassen und ein bisschen gelesen; nichts Außergewöhnliches. Aber deswegen rufe ich an: Kann ich dich heute treffen? Ich würde uns beiden gern ein bisschen den Abend versüßen. Es kommt mir vor, als sei unser letztes Treffen schon wieder viel zu lange her.“ „Du kleiner Schmeichler! Aber es trifft sich gut, mein Lieber. Gerade erst hat mir eine Freundin abgesagt, mit der ich heute eigentlich essen gehen wollte“, teilte sie mir mit, selbst ziemlich glücklich klingend, da die neue Beschäftigung zu ihr kam und sie sich nicht erst etwas suchen musste. Und dass besagte Beschäftigung auch noch ganz hübsch anzusehen war, war sogar noch viel besser. „Dann bin ich ja tatsächlich ein ziemlicher Glückspilz. Du hast also Zeit für mich?“, hakte ich dennoch noch einmal nach. „Aber natürlich“, bestätigte Emiko mir. „Wann kann ich mit dir rechnen?“ „Es ist jetzt …“ Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und rechnete kurz nach, ehe ich meinen angefangenen Satz fortsetzte: „… 17 Uhr. Ich bin gerade in der Stadt und wenn ich mich gleich auf den Weg mache, könnte ich in einer halben Stunde bei dir sein. Vielleicht auch ein bisschen länger, wenn ich auf dem Weg noch eine Flasche Wein hole.“ „Verlockend“, schnurrte es aus meinem Telefon. „Du kennst meine Lieblingsmarke?“ „Aber natürlich!“, erwiderte ich in einem Tonfall, der die Selbstverständlichkeit meiner Aussage noch unterstrich. Denn genau so war es. Mein Kapital zwar in erster Linie mein gutes Aussehen, aber das half alles nichts, wenn ich mich nicht entsprechend benahm. Und dazu gehörte auch, dass ich gewisse Dinge im Schlaf konnte. Aber selbst wenn ich all diese Sachen nicht im Kopf gehabt hätte, eines war von vornherein klar: Der Wein würde nicht billig werden, denn Supermarktwein zog in diesen Kreisen nicht. Das hatte er vielleicht bei manchen von denen getan, die auf meiner Liste standen, als diese noch nicht superreich gewesen waren. Aber wenn man in und mit der High Society verkehrte und nur noch das Beste vom Besten gewohnt war, veränderten sich Geschmäcker irgendwann von selbst ziemlich stark. Ich hatte mich ja auch einmal in Jeans pudelwohl gefühlt, aber mittlerweile war mir das einfach zu eng und zu steif und der Vergleich mit wirklich hochwertigen Stoffen machte es nicht besser. Die Bürde des Wissens nannte sich das. Bring erst gar nicht in Erfahrung, was es Besseres gibt, und du wirst dich selbst viel einfacher glücklich machen können. Irgendwo konnte man also doch auf die Otto Normalbevölkerung neidisch sein. „Dann bis gleich, Emiko. Ich freu mich auf dich!“ „Ich mich auch.“ Damit konnte ich auch hinter das Date einen Haken machen und mir auf dem Weg zu Emiko einen Schlachtplan ausdenken, wie ich sie zum Einkaufen bekam. Und den Wein musste ich natürlich auch noch besorgen. Billig würde er – wie gesagt – nicht werden, aber diese Investition würde es wert sein. Lieber eine Flasche Wein für 10000 Yen als ein komplettes Outfit für locker das zehnfache bezahlen. * Das Telefon klingelte, als ich gerade Wasser in die Badewanne ließ. Die Verabredung mit Emiko war vorgestern gewesen, die Shopping-Tour gestern. Ich hatte sie in all die Läden geschleift, in denen ich mir vorher Sachen ausgesucht oder hatte zurücklegen lassen. Und zur Tarnung hatte ich sogar noch darauf bestanden, in ein paar Geschäfte zu gehen, die sie mochte, beziehungsweise, von denen ich wusste, dass dort Klamotten verkauft wurden, die ihr gefallen könnten. So waren wir beide ziemlich zufrieden – was das Einkaufen anging, ich vielleicht mehr als sie, aber das hatte ich spätestens am Abend mit einem zweiten Date wieder wettgemacht. Das bedeutete für mich einen vollen Einsatz für gleich zwei Tage hintereinander. Zumal ich es auch noch so hatte anstellen müssen, dass sie die ganzen Kratzer und blauen Flecken nicht mitbekam. Im Grunde war es ganz einfach gewesen: Ich hatte nur darauf achten müssen, dass sie mir das Hemd nicht auszog. Und den Rest, den man vielleicht sonst noch hätte erkennen können, ging im Halbdunkel als Schatten durch. Ich denke, dass ich das ganz gut hinbekommen habe, denn Emiko hat die Flecken nicht mit einer Silbe erwähnt. Was verdammt gut war. Sie zu verlieren wäre nicht unbedingt toll gewesen. Heute wollte ich mir dann erst einmal wieder einen freien Abend zu Hause gönnen und einfach nur in der Wanne liegen, lesen, Musik hören, mich vielleicht ein wenig an die Konsole setzen oder fernsehen. Entspannen und für morgen fit sein, wenn ich mich Akis Eltern stellen musste, damit sie mich anstelle ihrer Tochter mit auf die Party nahmen. Ich überlegte daher, ob ich überhaupt ans Telefon gehen sollte; es könnte schließlich jemand dran sein, der mich mal wieder schrecklich vermisste und mich jetzt unbedingt sehen wollte. Und das war heute nicht drin – ich hatte im Moment keine Lust auf Sex mit Übervierzigern. Aber auf der anderen Seite fraßen mir die meisten davon aus der Hand und wenn ich nur mit der richtigen Ausrede kam, würden sie diese protestlos akzeptieren und mich erst einmal in Frieden lassen. Und diese Ausreden hatte ich bereits im Hinterkopf gespeichert, ich hatte schließlich ziemlich viel Zeit, mir so was auszudenken, wenn ich nicht gerade auf Verabredungen war, um mir meinen finanziellen Rückhalt zu sichern. Ich drehte das Wasser also wieder ab, damit es nicht überlief, falls das Telefonat sich unerwarteterweise in die Länge ziehen sollte, und ging nur mit Shorts bekleidet – den Rest hatte ich bereits ausgezogen – ins Wohnzimmer, wo mein Handy lag. „Ja?“, meldete ich mich in einem neutralen Tonfall, der sich allerdings von jetzt auf gleich ändern konnte. „Hey Hyde“, kam es erst einmal nur kurz zurück, was mich schmunzelnd den Kopf schütteln ließ. „Du hast diese Nummer gerade mal zwei Tage und nutzt das schon aus. Du hast auch gar keinen Anstand!“ „Hört, wer da große Reden über Anstand schwingt. Kehr lieber erstmal vor deiner eigenen Tür.“ „Touché“, gestand ich ein und wandte mich dann dem eigentlichen Gespräch zu, „also, Gackt, was willst du? „Na, na“, gab er sich empört, das konnte ich hören, „ich wollte nur fragen, was du heute Abend machst.“ „Um ehrlich zu sein …“ Ja, ich war ehrlich. Denn eigentlich war sein Anruf eine ganz angenehme Überraschung. „… nichts. Ich wollte gerade in die Badewanne. Wieso? Aber ich denke nicht, dass ich das Haus heute noch mal verlasse.“ „Musst du auch nicht“, lautete Gackts Antwort, „ich wollte vorbeikommen und dir deine Sachen mitbringen.“ Sachen? Welche Sachen? „Sachen?“, hakte ich nach. „Unterwäsche und Socken, die du bei mir vergessen hast.“ „Oh …“ „Jep. Ich hab sie mittlerweile auch gewaschen.“ „Hm … okay.“ Ich stimmte zu. Sein Anruf war nicht unbedingt schlecht und ein Treffen vielleicht auch nicht. Seine Anwesenheit hatte ich bisher eigentlich immer als recht angenehm empfunden … in Ermangelung eines besseren Ausdruckes. Zumindest stichelte und nervte er nur ein kleines bisschen und ich hatte nicht das Gefühl, wegrennen zu wollen. Außerdem hatte ich bei ihm keine Verpflichtungen, sondern konnte mich ganz so geben, wie ich wollte. Und ihn auch ganz schnell wieder rauswerfen, wenn er störte. „Dann bis gleich“, kam es schließlich aus dem Hörer, hörte sich gut gelaunt an. Ich nickte noch einmal zustimmend, auch wenn Gackt das natürlich nicht sehen konnte. „Ja. Tschüss“, verabschiedete ich mich schließlich auch und hängte wieder auf, nachdem ich es auf Gackts Seite der Leitung hatte knacken hören. Dann stand ich für ein paar Augenblicke still in meinem Wohnzimmer mit dem Telefon in der Hand. Wie lange würde er brauchen? Würde er wirklich gleich losgehen oder noch irgendwas erledigen? Hatte ich noch Gelegenheit, wenigstens für eine kleine Weile in die Wanne zu steigen? Es kam mir vor, als hätten wir das letzte Mal eine Ewigkeit von meiner Wohnung bis in seine gebraucht, aber da waren wir zwischendurch auch noch einkaufen gewesen, was uns durch seinen Perfektionismus, was frisches Obst, Gemüse, Fleisch und was nicht noch anging, ziemlich viel Zeit gekostet hatte. Ich entschied mich schließlich dazu, dass ich es riskieren würde, mich noch einmal in die Wanne zu legen. Und wenn er eben in zwanzig Minuten hier aufkreuzen würde, wären das immerhin zwanzig Minuten gewesen. Oder länger, je nachdem, wie ich Lust hatte, mich zurück ins Wasser zu begeben, auch wenn er schon da war. Er schien sich ja gut zurechtgefunden zu haben, als ich vor ein paar Tagen noch geschlafen hatte und er Frühstück hatte machen wollen. Außerdem hatte ich gerade richtig Lust aufs Baden! Ich kehrte also ins Bad zurück, legte auch meine Shorts endlich ab, stieg in die Badewanne und drehte den Hahn wieder auf. Zwar war schon genug Wasser drin, um mich oberflächlich zu bedecken, aber es reichte mir eben noch nicht ganz aus. Ich gönnte mir schon nicht oft ein Vollbad, sondern duschte zumeist nur – da konnte ich die paar Mal, die ich es mir dann doch gönnte, die Wanne auch richtig voll machen, bis es fast überschwappte. Nach einer Weile kippte ich auch Badezusatz ins Wasser, aus dem sich in ein paar Minuten ziemlich viel Schaum bildete, der fast die komplette Wasseroberfläche bedeckte und das gesamte Bad mit einem wunderbaren Melonenduft erfüllte. Dann war es auch schon wieder an der Zeit das Wasser abzudrehen, um nicht alles zu überfluten und den Ärger der Leute unter mir auf mich zu ziehen, weil es im schlimmsten Fall durch die Decke tropfte. Mal ganz davon abgesehen, dass das ziemlich teuer für mich werden könnte. Keine Ahnung, wie lange ich in der Wanne lag, ein bisschen las und mich einfach nur entspannte, als es an der Tür klingelte. 'Gackt', schoss es mir durch den Kopf und ich stand sofort auf, um ihm zu öffnen. Auf dem Weg zur Wohnungstür nahm ich meinen Bademantel vom Haken – man musste fremde Leute ja nicht (v)erschrecken, wenn sie zufällig gerade über den Flur liefen, während ich nackt in der Tür stand – schlüpfte hinein und hielt ihn vorne zu. Ein Bein musste man sich ja auch nicht unbedingt ausreißen. Ich drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage und fragte: „Ja?“ „Ich bin's“, antwortete mir Gackts Stimme, „Apartment 4A, richtig?“ „Jep“, bestätigte ich ihm, betätigte dann zusätzlich noch den Knopf, der die Haustür öffnete, und hielt ihn für ein paar Sekunden gedrückt. Aus dem Lautsprecher konnte ich das gleichmäßige Summen des Schlosses hören und kurz darauf auch wie die Tür auf- und wieder zugemacht wurde. Bis es dann an der Tür direkt vor meiner Nase klingelte, dauerte es wieder ein Weilchen. Wahrscheinlich hatte Gackt den Fahrstuhl genommen, in der Vermutung, dass er damit schneller oben war als über die Treppen. Aber falsch gedacht – das Ding war so langsam, dass man denken könnte, es sei kaputt. War er jedoch nicht, wie mir der Vermieter erklärt hatte, nachdem ich ihn einmal darauf hingewiesen hatte. Und so kam es auch, dass Gackts Begrüßung aus folgenden Worten bestand: „Sag mal, ist der Fahrstuhl kaputt? Der war ja echt langsam, über die Treppe wäre ich sicher schneller gewesen.“ Ich lachte darauf kurz, ließ ihn ein und klärte ihm dann über das generelle Schneckentempo unseres Aufzuges auf. Und dann erlaubte ich mir einen Scherz mit ihm: „Und was meinst du mit 'schneller'? Spricht da etwa die Sehnsucht nach mir?“ „Klar doch!“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück, zusammen mit dem schelmischen Grinsen, das ich mittlerweile ziemlich gut von ihm kannte. Dann folgte jedoch eine Premiere: Er umarmte mich … während er leise „Hi, erstmal“ sagte. Ich tropfte den Boden voll, weil ich so schnell aus der Wanne gesprungen war, doch er nahm keine Rücksicht darauf, sondern umarmte mich einfach. Wenn auch nicht für lange, denn noch bevor ich Anstalten machen konnte, es ihm gleichzutun (oder mich auch nur dazu zu entscheiden), war es auch schon wieder vorbei. Und dann merkte ich auch, dass er selbst etwas feucht auf dem Kopf und auf der Jacke war. „Was ist denn mit dir passiert?“, wollte ich wissen und berührte mit der Rechten seine Schulter, um zu fühlen, wie nass genau er war. „Ich bin mit dem Fahrrad hier und es regnet“, lautete Gackts schlichte Begründung, bei denen er mir einen kleinen Plastikbeutel entgegenhielt, „hier, deine Sachen.“ Oh ja, meine Unterwäsche und die Socken, die er mitbringen wollte. Ich nahm sie ihm ab, bedankte mich leicht abwesend und legte sie einfach irgendwo ab, um sie aus den Händen zu bekommen. Gedanklich war ich immer noch bei dieser blöden Umarmung, was mir echt bescheuert vorkam. Ich hasste unnötige Berührungen, ich konnte es nicht ausstehen, wenn mich andere zu viel anfassten. Ein Händedruck – ja, aber Umarmungen waren bei mir selten. Auch wenn ich Sex gehabt hatte, rutschte ich meist so weit weg, wie es ging, ohne den Eindruck zu erwecken, dass ich vielleicht von ihnen weg wollte. Selbst wenn die Damen und Herren von der netten Sorte waren … keine Ahnung, warum. Aber dann war das hier auch wieder Gackt, zu dem ich kein solches Verhältnis hatte – zu dem ich im speziellen Sinne gar kein Verhältnis hatte. Das alles mischte sich jetzt und verursachte einen Knoten in meinem Magen. Nun ja, ich würde die Sachen irgendwann in den Schrank räumen, wenn sie mir mal wieder auffielen. Jetzt nicht. Gackt redete auch schon wieder. „Ich hab Wein mitgebracht“, informierte er mich, „vom eigenen kleinen Weingut des Vaters eines Freundes. Und wenn er Recht hat, ist die Flasche aus einem der besten Jahre, die sie hatten. Weiß nicht, ob man ihm das glauben kann; er flunkert gern mal.“ „Aha“, machte ich nur, um zu zeigen, dass ich ihn gehört hatte. „Willst du welchen?“, fragte er dann weiter, worauf ich mit den Schultern zuckte. „Warum nicht? Gläser sind im Schrank über der Spüle.“ „Gut. Und du ziehst dir am besten irgendwas an oder trollst dich zurück in die Badewanne. Du tropfst“, riet Gackt mir zum Abschluss noch, lachend und bereits halb auf dem Weg zur Küche. Ich zog darauf zwar kurz eine Augenbraue hoch, grinste dann aber auch. Keine Ahnung, was ich davon halten sollte, aber er schien so langsam einen Riecher für mich entwickelt zu haben. Wir kannten uns mittlerweile schon einige Wochen, in denen wir uns mehr oder minder regelmäßig gesehen hatten, und die letzten Tage stachen da noch einmal besonders heraus, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich so viel von mir preisgegeben hatte. Das kam aber vielleicht auch davon, dass ich nicht allzu viele Dinge in meinem Leben – so extravagant es teilweise auch war – als Geheimnisse ansah. Ja, ich plante und überlegte bezüglich des Umgangs mit meinen Gönnern, aber ansonsten lebte ich einfach nur und das konnte auch jeder wissen, der mich danach fragte. Wie Gackt es mir geraten hatte und weil ich mir ein bisschen den Bauch pinseln lassen wollte, begab ich mich kurz zurück ins Bad, um das Wasser aus der Wanne zu lassen, und ging dann in mein Schlafzimmer, wo ich mich anziehen wollte. Und zwar nicht irgendetwas, sondern den neuen Anzug, den ich mir von Emiko hatte kaufen lassen. Ich hatte mich noch nicht einmal richtig abgetrocknet, da rief Gackt schon nach mir – und er hatte einen Nachhall … er schien mich also im Bad gesucht zu haben. Ich rief zurück, dass es noch einen Moment dauern würde und er sich irgendwo setzen sollte. Ich brauchte schließlich doch mehr als nur einen Moment, denn auch wenn das nur ein kleiner Probelauf sein würde, achtete ich auf mein Aussehen – das steckte eben in mir drin und so leicht konnte man auch nicht aus seiner Haut. Gackt wurde es zwischendurch wohl etwas langweilig und er machte sich an meiner Stereoanlage zu schaffen: Ich konnte plötzlich Musik hören … Musik, die ich nicht kannte, die aber gar nicht mal so schlecht klang. Und der Gedanke, dass es nun eine Outfit-Präsentation mit Begleitmusik geben würde, hinterließ ein kleines Lächeln auf meinen Lippen. „Unsere kleine Diva braucht ja ziemlich lange zu Anziehen“, spöttelte Gackt, als ich mich zum ihm ins Wohnzimmer gesellte und die Tür geräuschvoll hinter mir schloss. Er stand mit dem Rücken zu mir, immer noch an der Stereoanlage, und so wie es aussah, ging er gerade meine Musiksammlung durch. „Klar, wenn alles richtig sitzen soll“, gab ich zurück, breitete die Arme etwas aus und blieb erwartungsvoll vor ihm stehen. „Und? Was sagst du zu mir?“ „Huh?“, machte er und drehte sich erst dann zu mir um. Ich konnte sehen, wie seine Augenbrauen für eine Sekunde in die Höhe schossen und sein Blick an mir hinabglitt. Und es war ein beeindruckter, wenn ich mich nicht stark irrte. „Du hast keine Socken an“, war schließlich Gackts Antwort, die ich im Moment so gar nicht erwartet hatte. „Ich meinte den Anzug, du Idiot!“ „Natürlich, was auch sonst?“, sagte er darauf lachend, die Beleidigung entweder ignorierend oder sie schlichtweg nicht für voll nehmend. Na ja, mich hatte die 'Diva' schließlich auch nicht großartig gejuckt. „Sieht gut aus. Neu?“ „Brandneu.“ „Selbst bezahlt?“ „Nope.“ „War klar.“ „Halt die Klappe.“ „Pass bloß auf, was du sagst!“ Mit diesen Worten kam er ganz plötzlich auf mich zu, griff einfach nach meinen Händen und tanzte etwas unbeholfen mit mir eine halbe Runde durch das Wohnzimmer. Unbeholfen, weil ich dies nicht hatte kommen sehen und daher anfangs nicht ein Stück mitmachte – erst später, als er mich zu einer kleinen Drehung um meine eigene Achse brachte. Ich lachte und immer, wenn ich in Gackts Gesicht blickte, sah ich ihn grinsen. Die kleine Tanzaktion war ganz spontan und machte auch ziemlichen Spaß. Die Musik passte aber auch gerade sehr gut dazu. „Was ist das für Musik?“, wollte ich wissen. „Das neue Album von Ten PM Stocker, hab ich mir grade erst gekauft.“ „Kenn ich gar nicht. Deine Lieblingsband?“ Gackt verzog den Mund etwas und schien zu überlegen, wie er seine Antwort formulieren sollte: „Nicht ganz, aber sie liegt weit vorn. Gefällt es dir?“ „Klingt ganz nett.“ „Ganz nett also, aha.“ Ich ließ es mir sogar gefallen, dass er führte. Um ehrlich zu sein, ich hätte das vielleicht auch gar nicht gekonnt, denn Gackt schien ein erfahrener Tänzer zu sein und ich hatte mir noch nicht allzu oft die Ehre gegeben. Langsame Tänze waren eher meine Sache – die, bei denen man eng zusammen tanzte und sich schon bald aneinander klammerte – wenn ich versuchte, jemanden rumzukriegen, und ihm oder ihr den letzten Stoß in die 'richtige Richtung' geben wollte. Der Song, den wir da hörten, neigte sich dem Ende zu und klang in einem Instrumentalteil aus. Der nächste war sehr viel langsamer und ich erwartete schon fast, dass Gackt zu genau so einem Schmusetanz übergehen würde. Aber er tat es nicht. Stattdessen blieb er nur stehen, hielt mich weiter fest und küsste mich. Einfach so, wie vor ein paar Tagen, als er mich an meiner Wohnungstür überfallen hatte. Es kam ebenso überraschend und zugleich doch nicht so plötzlich. Schon einen winzigen Augenblick, bevor seine Lippen sich auf meine legten, war ich auf sie gefasst, empfing sie sogar ein bisschen. Ich wusste ja mittlerweile, wie es sich anfühlte … wie angenehm es sich anfühlte und wie gut Gackt küssen konnte. Es dauerte ein bisschen, ehe wir uns wieder trennten, und Gackts Reaktion darauf war abermals ein Grinsen, wenn auch ein leicht verschmitztes, und ein Kopfschütteln – mehr nicht, keine Worte der Entschuldigung oder von irgendetwas anderem. Ich brauchte auch gar keine und so beließ ich es dabei, ließ ihn lediglich los und setzte mich aufs Sofa. Gackt folgte mir, machte es sich neben mir bequem, beugte sich allerdings noch einmal vor, weil er etwas vergessen hatte: Er reichte mir eins der Gläser mit Weißwein, die bis eben auf dem Couchtisch gestanden hatten, und hob seines dann ein Stück in meinen Richtung an, während er „Wohl bekomm's!“ sagte. „Prost“, war meine Antwort, ehe ich am Wein nippte. Er war wirklich nicht schlecht – ziemlich süß, fruchtig und eher nach meinem Geschmack als trockene Weine, die mir meist einen zu bitteren Nachgeschmack hatten. Ich stand damit eher allein da, weil die meisten meiner Bekanntschaften natürlich die Trockenen der edelsten Marken bevorzugten – warum auch immer – aber nun ja. Gackt schien auch eher zu der trockenen Sorte zu gehören, denn er zog nach dem ersten Probieren die Augenbrauen zusammen und murmelte in einem nicht unbedingt schmeichelhaften Ton: „Süß …“ „Mir schmeckt's.“ „Ich hab schon bemerkt, dass du eher für Süßes zu haben bist.“ „Hast du gut beobachtet“, erwiderte ich lächelnd. „Was mir allerdings noch ein Rätsel ist … Wie kannst du dir bei deinem Lebensstil diese Wohnung leisten?“ „Wieso?“, stellte ich als Gegenfrage. „Sie passt doch genau rein.“ „Ja, das schon“, stimmte er zwar zu, schob jedoch gleich einen Einwand hinterher, „allerdings stelle ich es mir schwierig vor, deine Lover dazu zu bekommen, dir dauerhaft Miete und Nebenkosten zu bezahlen. Zumal die Wohnung nicht gerade klein ist … allein das Bad ist so groß wie mein Schlafzimmer.“ „Ach so“, sagte ich, „das geht schon. Bisher hatte ich keine wirklichen Probleme.“ „Im Ernst?“ „Jep.“ „Da müssen sie aber wirklich spendabel sein.“ „Na ja, die Nebenkosten übernimmt manchmal jemand und ansonsten verkaufe ich Zeug – du weißt schon, Markenklamotten, Schuhe, Schmuck, was eben so anfällt und entbehrlich ist. Ab und an wird es schon mal knapp, aber auch das löst sich immer irgendwie.“ „Du kannst also doch sparsam sein“, schlussfolgerte Gackt daraus und nahm anschließend noch einen Schluck aus seinem Glas. „Trotzdem wäre ein regulärer Job vielleicht besser.“ „Das solltest du ganz schnell wieder vergessen. Ich komme so zurecht, wie ich lebe und solange sich daran nichts Gravierendes ändert, werde ich auch nichts ändern. Sonst müsste ich ja ein Otto-Normalverbraucherleben führen. Schreckliche Vorstellung!“ Darauf verzog ich noch angewidert das Gesicht, was Gackt natürlich mit einem Augenrollen quittierte. Dieser Mann schien wie zwei Personen in einer zu sein. Auf der einen Seite war er schon ziemlich locker und man konnte wirklich Spaß mit ihm haben, aber auf der anderen spielte er den Moralapostel. Ja, ja, ich wusste, dass mein Lebensstil nicht immer die feine englische Art war, aber ein schlechtes Gewissen sprang deshalb bei mir trotzdem nicht an. Wenn es nicht ich wäre, dann würden sich die reichen Herren und Damen einen anderen Spielgefährten suchen, der sie ein wenig schröpfte. Sie wussten das (meistens), ihre kleinen 'Schätzchen' und 'Lieblinge' wussten das (immer) – also wieso sollte ich nicht derjenige sein, der davon profitierte? Mich hatten schon ganz andere schief angesehen, da würde ich mich wegen Gackts vorwurfsvollem Blick garantiert nicht ändern. Wenigstens sagte er nichts mehr dazu – er hatte es ziemlich schnell aufgegeben und mich als unverbesserlich abgetan –, sondern lenkte das Gespräch stattdessen nach ein paar kurzen Sekunden der Stille auf etwas anderes, was mich wieder viel mehr interessierte: Warum ich mich eigentlich neu eingekleidet hatte. „Nur so oder steht etwas an?“ „Also, Aki hatte mich doch angerufen, als wir bei dir gefrühstückt haben“, begann ich freudig und breitete mich noch weiter auf dem Sofa aus. „Ich kann mich erinnern.“ „Und weißt du, was Aki mir erzählt hat, als wir uns danach getroffen haben? Er hat mich quasi eingeladen, mit ihm und seiner Familie zu einer Feier zu gehen, die von angesehensten Familie der Stadt gegeben wird. Die sind so stinkreich, das glaubst du nicht. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet? Ich kann es kaum erwarten, dass die Woche rumgeht. Nächsten Samstag im Drachenpalast knacke ich vielleicht den ganz großen Jackpot. Ich-“ „Wo?!“ Gackt hatte ganz abrupt reagiert. Er hatte sich halb an seinem Wein verschluckt und sah mich jetzt ganz aufgeregt und fast panisch an. „Im Drachenpalast. Das ist das Anwesen der Familie, weil das Oberhaupt meist nur 'Drachenfürst' genannt wird“, wiederholte ich ruhig, zog aber die Augenbrauen zusammen, weil ich nicht verstand, warum er so reagierte. „Wieso?“ „Du darfst da nicht hingehen“, war seine Antwort, nicht mehr. Er stellte nur sein Weinglas weg und stand auf, lief kurz durch den Raum und kam dann wieder zu mir zurück. „Du darfst da nicht hingehen“, sagte er wieder und sah mich diesmal wirklich eindringlich an, sekundenlang, bis ich selbst wieder etwas sagte. „Gackt, du kannst doch nicht … ich werde da garantiert hingehen. Aus welchem Grund sollte ich nicht?“ „Du darfst einfach nicht. Es ist …“ Er seufzte, fuhr sich durch die Haare und endlich nahm sein Blick einen sanfteren Ausdruck an, war nun nicht mehr ganz so gruselig. Er sprach auch ruhiger weiter: „Du hast einfach keine Ahnung, was das für Leute sind. Die haben Anwälte, die schleifen dich knallhart vor Gericht, sobald sie merken, was du vorhast. Die fressen dich bei lebendigem Leib auf und drehen den Spieß um, bis du absolut nichts mehr hast. Was denkst du wohl, wieso das Umfeld dieser Familie so exklusiv ist? In diese Löwenhöhle begeben sich nur sehr wenige und die mögen zwar auch Hintergedanken haben, aber garantiert nicht solche wie du. Die wollen sich nur mit ihren Verbindungen profilieren und halten ansonsten auch die Füße still.“ „Und woher willst du das wissen?“, fragte ich nach, immer noch verwirrt und auch ein klein wenig sauer, dass er mir mein Glück nicht gönnen wollte. „Ich- … Hyde, ich hab es dir schon mal gesagt: Ich bin Barkeeper, ich unterhalte mich mit meinen Gästen. Und da bekomme ich so das ein oder andere mit. Tu mir und vor allen Dingen dir einen Gefallen und geh da nicht hin. Ich bitte dich.“ „Aber wieso? Ich hab dir doch eben gesagt, dass das der Jackpot für mich ist. Natürlich ist da ein Risiko dabei, aber ich … mein ganzes Leben könnte sich dadurch verändern. Wer weiß, ob ich jemals wieder so eine Chance bekomme. Und ich hab extra einen neuen Anzug gekauft!“ Ich protestierte, denn ich sah nicht ein, dass ich einfach auf ihn hören sollte. Bei irgendeiner anderen Party, dann vielleicht, aber nicht bei dieser. Das war einfach zu wichtig. Aber auch Gackt schien es wirklich ernst zu sein. Er gab nicht auf. „Hyde“, setzte er an, in einem Ton, den ich vorher noch nie bei ihm gehört hatte. Er kniete sich auch direkt vor mich auf das Sofa, legte seine Hände auf meine Wangen und sah mich eindringlich aus seinen kontaktlinsenlosen, braunen Augen an. „Bitte, bitte, hör auf mich. Mir ist klar, dass du das jetzt unbedingt willst, aber du hast einfach keine Ahnung und ich will nicht, dass die das mit dir machen. Warum willst du nicht einsehen, dass ich mir einfach Sorgen um dich mache?“ Das war es: Da war Sorge in seiner Stimme und in seinem Blick, gemischt mit Angst. Es klang und sah ehrlich aus. „Bitte, du darfst da einfach nicht hingehen“, fügte er nochmals hinzu, sich wiederholend. „Ich bin dein Freund, Hyde, ich will doch nur dein Bestes.“ „Wenn du wirklich mein-“, wollte ich ansetzen, kam allerdings nicht viel weiter, weil Gackt mir einfach ins Wort fiel. „Du kannst von mir verlangen, was du willst. Ich geh mit dir richtig teuer essen, wenn du willst – egal, was es ist, ich mach es – solange du nur nicht zu diesen Leuten gehst.“ Gott! Ich hätte es nicht erwartet, aber diese Worte wogen verflucht viel. Als mein Freund wollte er mein Bestes … und er sorgte dafür, dass in mir zwei Gefühle um die Vorherrschaft kämpften. Da war einerseits der Drang, auf diese Party zu gehen und möglicherweise reich zu werden, und andererseits das Bedürfnis, Gackts Wunsch – Gackts Flehen – nachzukommen. Oder anders: wildfremde Leute, die sich einen feuchten Dreck um mich scherten, oder jemand, der sich tatsächlich Gedanken um mich zu machen schien. Und so seltsam und ungewöhnlich es mir auch vorkam, ich musste zugeben, dass Letzteres langsam die Oberhand gewann, je länger Gackt mich so ansah. Ein letztes „Bitte“ seinerseits gab mir dann schließlich den Rest und ich wandte ein. „Na gut“, gab ich – doch etwas missmutig – nach, „du hast gewonnen.“ „Danke, vielen Dank, Hyde. Das bedeutet mir sehr viel“, war seine höchst erleichtert klingende Antwort darauf. Und er klang nicht nur so, er sah auch danach aus. Seine Gesichtszüge entspannten sich merklich, die Sorge wich aus seinem Blick und ein schwaches Lächeln formte sich auf seinen Lippen. Ich sah es nur kurz, denn direkt darauf lehnte er sich nach vorn und setzte einen Kuss auf meine Stirn. „Ich mach es wieder gut, versprochen. So gut ich kann.“ „Hmm.“ Zwar hatte ich schon das Gefühl, das Richtige getan zu haben, aber es schwang trotzdem ein bitterer Beigeschmack mit. Bye bye, Chance meines Lebens. Ob wir uns wohl jemals wiedersehen werden? tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ DödöDÖÖÖ! Und das Drama nimmt so langsam seinen Lauf. Da hat der arme Hyde schon endlich seinen Jackpot direkt vor der Nase und dann so was! Ob er sich wohl dran halten wird oder es ihn doch packt? Ladidadida~ >3 Kapitel 7: Broken promises and shattered dreams ----------------------------------------------- Ich hatte Gackt also das Versprechen gegeben, nicht auf die Feier des Drachenfürsten zu gehen. Das Essen mit Akis Eltern am Sonntagabend fand dennoch statt, da ich ihnen erst einmal nur als Freund des Sohnes angekündigt worden war und nicht gleich als Freund des Sohnes, der auf eine Party mitgenommen werden wollte. Ich ließ meinen Charme wie üblich spielen, schließlich konnte man nie wissen, was das Leben noch für einen bereithielt. Und Kontakte waren nie verkehrt. Außerdem mochte ich Aki, kannte ihn schon länger und da war es im Grunde schon höchste Zeit, dass ich seinen Eltern auch einmal begegnete. Besonders hart wurde es dann allerdings, als sie mich von sich aus fragten, ob ich sie denn nicht begleiten wollte, wenn sie in der Woche darauf zu einer ganze bestimmten Geburtstagsfeier gingen, da ihre eigene Tochter sich immer noch strikt weigerte. Es war nicht einfach, noch einmal abzulehnen – das Zugeständnis gegenüber Gackt und die Erklärung an Aki hatten mich eigentlich schon genug Nerven gekostet. Am Tag danach hatte ich den kompletten Vormittag verschlafen, war gegen Mittag in ein Café gegangen, um dort etwas zu essen, und hatte mich anschließend im Buchladen nebenan mit Romanen eingedeckt, die für die nächsten paar Wochen vorhalten sollten. Sollten, denn gleich an dem ersten las ich mich so fest, dass ich den ganzen restlichen Tag damit verbrachte, das Buch förmlich zu verschlingen, und darüber hinaus alles andere vergaß. Irgendwann kurz vor eins in der Nacht machte sich mein Magen dann bemerkbar, weil er restlos leer war und wieder etwas zu tun haben wollte. Um eins in der Nacht … es erstaunte mich, da es mir lange nicht mehr passiert war, dass mich ein Buch so sehr eingenommen hatte. Und auch, wenn ich eigentlich nur weiterlesen und wissen wollte, was als Nächstes geschah, musste ich mich doch meinem Körper ergeben und die Küche nach etwas Essbarem durchsuchen. Es fand sich nichts außer Cornflakes; und dem Rumoren meines Magens zufolge würde das nicht reichen. Zum Glück war der nächste Supermarkt nicht weit weg und er hatte unter der Woche durchgehend geöffnet. Dort würde sich hoffentlich etwas finden lassen, was schnell ging und satt machte. Und bei der Gelegenheit, konnte ich mich auch gleich mit einem Vorrat für die nächsten Tage eindecken. Das Buch war dick und hatte noch einen zweiten Band – einen vollen Kühlschrank würde ich also gut gebrauchen können. Ich schlüpfte also in meine Schuhe und eine Jacke, schnappte mir den Wohnungsschlüssel und war dann auch schon durch die Tür verschwunden. Wie immer ließ ich den Fahrstuhl links liegen und benutzte stattdessen das Treppenhaus. Ich brauchte jetzt einfach 'schnell' anstelle von 'arschlangsam'. Zwanzig Minuten später bevorzugte ich es allerdings doch, als ich beladen mit einer großen Einkaufstüte wieder zurückkehrte. Eine Tüte, in der jede Menge Tiefkühlzeug, Instantramen, Cornflakes und Süßkram steckte. Und eine Wassermelone für den Gesundheitsfaktor. Mit diesen Sachen im Gepäck wollte ich mich nicht unbedingt vier ganze Stockwerke nach oben quälen. Zurück in meiner Wohnung streifte ich die Schuhe im Eingangsbereich ab und ließ sie irgendwo (a.k.a. mitten im Flur liegen), den direkten Weg zur Küche einschlagend. Der Großteil meines Einkaufes landete in Kühl- oder Küchenschrank und nur eine Packung Instantramen blieb draußen, weil das am schnellsten ging und einigermaßen satt machte – Wasser kochen, drübergießen, warten und fertig. So wie mein Magen schon wieder klang, würde ich mich später zwar sicherlich noch einmal bedienen müssen, aber für den Anfang reichte es aus. So oder so ähnlich verliefen auch die nächsten drei Tage: Lesen, lesen, lesen, bis ich nicht mehr auf das Buch schauen konnte, und zwischendurch – immer, wenn ich wirklich musste – etwas essen. Ich lief auch nur noch in lockerer Trainingshose und T-Shirt herum, was eigentlich sehr untypisch für mich war, würde man die Leute fragen, mit denen ich mich bevorzugt traf. Ein Hyde achtete stets auf sein Aussehen und dass er ja so gepflegt aussah wie jemand, der in der High Society zu Hause war. Nun ja, ich ließ mich nicht komplett gehen – ich duschte noch immer täglich und putzte mir regelmäßig die Zähne. Aber wenn ich nach dem Aufstehen (wie immer meist so um die Mittagszeit) nicht allzu schlimm auf dem Kopf aussah, dann verzichtete ich auch gern einmal darauf, mir die Haare zu kämmen. Dann eben noch die Klamotten, weil ich das Haus auch nicht verließ. Eigentlich bekam meine Wohnung das meiste ab, denn wenn man nicht ausging, konnte man auch keinen mit nach Hause bringen, und sämtliche Anrufer, die mich herauslocken oder sich bei mir einladen wollten, wimmelte ich ab: „Hallo, Hyde-Schätzchen, wie wäre es, wenn wir heute französisch essen gehen?“ „Ah~ tut mir leid. Ich bin eigentlich gerade auf dem Sprung zu meiner Mutter; sie liegt im Krankenhaus. Schwächeanfall, wenn ich das richtig verstanden habe. Nichts Schlimmes, aber ich will trotzdem nach ihr sehen.“ „Schade. Dann ein andermal?“ „Natürlich, wann immer wir Zeit finden.“ „Hyde, können wir uns treffen? Ich … ich brauche dich jetzt.“ „Ist etwas passiert?“ „Also … eigentlich nicht. Ich dachte nur … ich weiß nicht …“ „Tut mir furchtbar leid, aber ich kann nicht. Ich fühle mich selbst nicht gut und will dich nicht anstecken, falls es etwas Ernstes ist.“ „Oh, wenn das so ist … dann erhol dich gut und ich … es ist auch wirklich nicht so wichtig. Trotzdem Danke, Hyde.“ „Hallo, mein Schöner. Lust auf eine Kissenschlacht? Jetzt gleich?“ „Uhm … wie spät ist es denn?“ „Gleich vierzehn Uhr.“ „Dann muss ich leider absagen. Ich muss in zwei Stunden beim Arzt sein und wenn ich nicht früh genug da bin, sitze ich dort bis morgen im Wartezimmer.“ „Ah. Nun ja, auch kein Problem. Meld dich einfach, wenn du wieder da bist, ja?“ „Ja.“ Ich hätte vielleicht nicht so sehr auf die Ich-bin-krank-Schiene machen sollen. Denn kurz vor dem Wochenende, das für mich ja nun frei war, brauchte ich tatsächlich einen Arzt. * Innerhalb von kürzester Zeit hatte ich es geschafft, meine Wohnung in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Überall lagen Klamotten herum, denn obwohl es nur ein paar Tage gewesen waren, hatte ich so den Sinn für Zeit verloren, dass ich mich mittlerweile umzog, wenn mir danach war. Dazu kamen noch Handtücher, Hausschuhe, Sofadecken und -kissen und in der Küche ein großer Sack mit dem Müll, der vom Fast Food übrigblieb. Und in all dieses Chaos platzte Aki am Donnerstag Abend – unangekündigt. Ein vergnügtes „Hi!“ war seine Begrüßung, als ich ihm die Tür öffnete – ein vollkommen überrumpeltes Starren die meine. „Alles in Ordnung, Hyde?“, folgte darauf die Frage, weil ich mich für mehrere Sekunden nicht rührte. Dabei legte er verwundert den Kopf etwas schief. „Was machst du denn hier?“ Meine Worte waren bei Weitem nicht die einladendsten, denn ich hatte nicht genau darüber nachgedacht. Ich hatte sie nur gesagt, während mein Kopf im selben Moment noch versuchte, die Situation, in der ich mich im Moment befand, möglichst schnell und möglichst genau zu erfassen. Er kam zu dem Schluss, dass es zwar Aki war, der da vor mir stand, aber selbst der hatte mich noch nie in einem so schlampigen Zustand gesehen. Es steckte einfach zu sehr in mir drin, dass ich immer tiptop aussah. „Ich komme gerade von Rika-chan und dachte, ich schau mal vorbei.“ Ausgerechnet heute! Okay, gestern wäre es vermutlich auch nicht besser gewesen und morgen hätte es sicher noch schlimmer ausgesehen, aber … kein aber. Ich war in einer lose/lose-Situation. Und obwohl es Aki war, um den es sich hier handelte, wollte ich zumindest ein wenig Schadensbegrenzung betreiben: „Kleinen Moment, bitte“, sagte ich und ließ Aki erst einmal in der Tür stehen, während ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, um alles zusammenzusammeln und erst mal notdürftig zu verstauen, sodass man zumindest wieder richtig treten konnte. Und umziehen sollte ich mich auch und vielleicht noch etwas Ordnung in meine Haare bringen und- … Gott, wäre es nur ich gewesen oder nur die Wohnung, dann wäre es mir vielleicht noch egal gewesen. Wobei … nein, die Wohnung sah einfach zu chaotisch aus, um wirklich präsentabel zu sein. Ich lief also durch das Wohnzimmer, Klamotten in der einen, Decken in der anderen Hand, und doch nicht ganz wissend, wo ich es auf die Schnelle hinräumen sollte. „Ist alles in Ordnung, Hyde?“, kam es wieder von Aki, der sich inzwischen selbst hereingelassen hatte. „Bist du krank?“ Ich sah echte Bedenken in seinem Gesicht. War auch kein Wunder, schließlich hatte seine Familie mehrere Putzfrauen, die das Haus in Schuss hielten und dafür sorgten, dass es wie geleckt aussah. So eine Unordnung wie meine hatte er vermutlich lange nicht mehr gesehen – wenn überhaupt, denn ich konnte mir vorstellen, dass ihm seine Eltern sogar im Internat eine Putzfrau bezahlt hatten. Oder da war sowieso eine gewesen, weiß der Geier. „Ja, alles klar“, antwortete ich und ließ kurz sinken, was ich in den Händen hielt, „es sieht hier nur so chaotisch aus.“ „Aber das macht doch nichts“, entgegnete Aki lachend, „wenn du wüsstest, wie es bei mir schon ausgesehen hat.“ „Trotzdem. Ich bring das hier jetzt noch weg.“ „Tu, was du nicht lassen kannst!“ Und dann, ohne die Sachen wieder etwas zu heben, eilte ich auf mein Schlafzimmer zu, um sie kurz dort hineinzuwerfen. Ein sehr unkluger Schachzug, denn ich bemerkte nicht, dass ich eine der Decken nicht richtig festhielt und sie durch die Bewegungen aus meinen Armen gerutscht war – so weit, dass sie auf dem Boden schleifte. Und genau da musste ich drauftreten, wobei mir der Rest auch noch wegrutschte. Und ich Idiot ließ in meiner Dummheit nicht einfach alles fallen, so wie es wesentlich besser und vor allen Dingen unfallfreier gewesen wäre, sondern versuchte noch, alles aufzufangen. Dabei war es doch nur eine Sofadecke, die ich leicht in die nächste Maschine mit der Bettwäsche hätte werfen können. Aber nein, ich versuchte ein Rettungsmanöver und scheiterte dabei so gehörig, dass mir nicht nur alles aus den Händen glitt, sondern ich auch noch das Gleichgewicht verlor, über irgendetwas, was zusätzlich noch im Weg lag – Hausschuhe oder ein Knäuel Klamotten –, stolperte und hart auf dem Boden landete, obwohl ich noch versucht hatte, mich abzufangen. Der Aufprall tat so verdammt weh, besonders in meinem linken Handgelenk. Es fühlte sich an, als würde jemand mit einem Messer zwischen den Knochen herumwerkeln und versuchen, sie herauszuhebeln. „Scheiße!“, entkam es mir einfach, als ich mich wieder aufgesetzt hatte und vorsichtig besagtes Handgelenk betastete, „verdammte Scheiße!“ „Was ist passiert?“ Aki war nur einen Sekundenbruchteil danach bei mir und kniete sich neben mich. Vielleicht hatte er versucht, mich noch aufzufangen, ich hatte es nicht gesehen. Wenn er es versucht hatte, war er auf alle Fälle nicht schnell genug gewesen. Verflucht nochmal, wieso hatte ich nicht besser aufgepasst? Wieso hatte ich es überhaupt nicht einfach sein gelassen, so wie damals, als Gackt das allererste Mal hier gewesen war? Da hatte ich ihn einfach reingeschleift, ohne großartig darüber nachzudenken. Aber vermutlich hatte ich da instinktiv gewusst, dass ich und auch meine Wohnung ordentlich aussahen. Ich hatte nichts zu verbergen gehabt. Und heute schien es mich mein Handgelenk zu kosten. „Meine Hand“, zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch und atmete danach erst einmal tief ein. Allein die kleinste Berührung rief Schmerzen hervor, wie ich sie noch nie gespürt hatte. Selbst, als ich mir als Kind beim Spielen das Bein gebrochen hatte, hatte es nicht so verdammt weh getan. Warum zur Hölle dann jetzt?! Bewegen konnte ich meine Hand auch nicht … zumindest wollte ich es nicht probieren, denn ich wollte mir nicht auch noch selbst weitere Schmerzen zufügen. Aki wollte sich die Misere ansehen, doch noch bevor er mein Handgelenk auch nur annähernd berühren konnte, zog ich es an mich heran. Was allerdings eine neue Welle des Schmerzes auslöste und den gesamten Arm hinaufjagte. Ich kniff die Augen zu und schnaufte, um es zu ertragen. Und allein aus meiner Reaktion schloss mein Gegenüber auf das einzig Richtige: „Du musst ins Krankenhaus. Ich fahr dich hin.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Der Weg in die Notaufnahme war ein Akt. Zwar ließ ich mir protestlos von Aki in Schuhe und Jacke helfen, doch angenehm war es auf keinen Fall. Wir waren beide sehr vorsichtig und doch trieb mir der Schmerz regelmäßig die Tränen in die Augenwinkel, wenn er mich leicht streifte oder ich die Hand auch nur falsch hielt. Dann mussten wir auch noch über eine Umleitung fahren, weil auf dem direkten Weg eine Baustelle war, und zu allem Überfluss legte der Idiot vor uns kurz vor dem Ziel eine Gefahrenbremsung allererster Güte hin, wegen der auch Aki kräftig in die Eisen gehen musste, um am Ende nicht mit mir zusammen in einem Krankenzimmer zu landen. Ich wäre am liebsten aus dem Auto gesprungen und hätte dem Fahrer des anderen Wagens den Hals umgedreht. Aber der suchte sein Heil in der Flucht und wir hatten im Moment auch Wichtigeres zu tun. Aki fuhr auf den Besucherparkplatz des Krankenhauses, stieg aus und eilte um das Auto herum, um mir zu helfen, möglichst schmerzfrei aus seinem Wagen zu kommen. Er hätte den Gurt öffnen sollen, als er noch auf dem Fahrersitz gesessen hatte – es wäre um Welten einfacher gewesen, als sich über mich zu beugen, sodass ich schon im Voraus in Erwartung des Schmerzes die Augen zusammenkniff und tief Luft holte. „Alles gut, alles gut“, versuchte er, mich mit Eile in der Stimme zu beruhigen. Dann hielt er mir seine Hand hin und half mir heraus. Die Tür warf er hinter sich zu und betätigte die Zentralverriegelung durch einen Druck auf den einzelnen Knopf am Autoschlüssel. Ein Schließgeräusch ertönte, die Lampen blinkten zweimal auf und Aki war sofort wieder bei mir, fasste mich bei meinem gesunden Ellenbogen und lief mit mir hinüber zum Eingang des Krankenhauses. Die Frau am Empfang sah müde und gelangweilt aus. Sie brauchte eine Weile, um uns mit den Augen zu fixieren, und machte sich auch dann nicht die Mühe, sich ordentlich hinzusetzen, sondern stützte den Kopf weiterhin mit einer Hand ab. Weiß der Geier, wie lange sie keinen Schlaf mehr bekommen hatte. Hoffentlich waren die behandelnden Ärzte und Schwestern munterer. „Wir haben einen Notfall!“, sagte ich in einem Ton, der ihr deutlich machen sollte, wie dringend es war. „Meine Hand tut hölli-“ „Name, Versicherungsanstalt und Versicherungsnummer, bitte“, unterbrach sie mich jedoch mit schleppender Stimme. „Dafür habe ich jetzt keine Zeit, ich muss-“, wollte ich sie überzeugen, biss aber auf Granit. Sie wiederholte nur ihre Ansage von eben und wies mich darauf hin, dass ich ohne das alles nicht weiterkommen würde. Ich biss die Zähne zusammen und verkniff mir eine abfällige Bemerkung, ehe ich ihr meinen Namen nannte: „Takarai, Hideto. Den Rest habe ich nicht, ich bin nicht versichert.“ „Dann können Sie nicht behandelt werden“, informierte sie mich, was mich gehörig stocken ließ. Was zur …?! Ich war seit Jahren nicht mehr selbst im Krankenhaus gewesen, nur ein paar Mal zu Besuch. Aber es konnte doch nicht sein, dass Kranke nicht behandelt wurden, weil sie nicht versichert waren, oder? Mir war zum Heulen zumute, wobei ein großer Teil dieses Gefühls sicherlich von meinem Handgelenk kam, das inzwischen ganz heiß geworden war und alle paar Sekunden unangenehm pochte. „Sie verstehen nicht, ich muss behandelt werden – ich hatte einen Unfall!“, versuchte ich, ihr die Situation deutlich zu machen und vielleicht so zu einer Lösung zu kommen. Schließlich rückte sie zwar mit einem Vorschlag heraus, allerdings war der auch nicht unbedingt der beste. „In dem Fall müssen Sie die Kosten selbst tragen. Zahlen Sie gleich oder auf Rechnung?“ „Ich …“ Es wurde immer schlimmer. Nicht nur meine Hand, sondern die ganze Misere. Ich brauchte Hilfe und bekam absolut keine. Ja, verdammt, ich würde bezahlen, aber musste das unbedingt vorher geklärt werden? Ich hatte Schmerzen! „Ich zahle gleich für ihn“, mischte sich Aki dann auf einmal ein, schob mich dabei sanft ein Stück zur Seite und lehnte sich auf den Empfangstresen, die Frau direkt anblickend. „Wo bekommen wir jetzt eine Versorgung?“ „Moment“, sagte sie jedoch, sich endlich aufrecht hinsetzend, und nahm das hellgrüne Formular, auf das sie meinen Namen geschrieben hatte, machte dort ein paar Kreuze und schob es über den Tresen. „Die Notaufnahme ist den Gang entlang, am Ende nach links und dann die zweite Abzweigung rechts. Dort melden Sie sich, geben das Formular ab und warten bitte im Wartebereich.“ Wie bitte? Warten? Hallo, ich war ein Notfall! Doch noch bevor ich vor Empörung und auch Schmerz auf die Barrikaden gehen konnte, nahm Aki den Zettel, bedankte sich höflich und machte sich dann gemeinsam mit mir auf den Weg, der uns eben beschrieben worden war. Die Notaufnahme platzte fast aus allen Nähten und wir erwischten die letzten beiden freien Stühle im Wartebereich. Aki ließ mich kurz allein, um das Formular bei der Schwester, die dort an der Anmeldung saß, loszuwerden. Und dann hieß es Geduld haben. Offenbar zählte ich mit meiner Hand zu den 'leichteren Notfällen', die durchaus warten konnten, denn zweimal hasteten die Besatzungen von Krankenwagen an uns vorbei, von denen eine ihren Patienten direkt in den nächsten OP beförderte. Währenddessen wurden die Leute, die schon vor uns hier gesessen hatten, nur langsam weniger. „Danke, dass du die Rechnung übernimmst“, murmelte ich dann irgendwann. „Kein Problem“, entgegnete Aki. „Wie schlimm ist es denn? Hältst du es noch aus?“ „Hm … ich kann meine Hand nicht bewegen, ich will's auch gar nicht versuchen. Es tut furchtbar weh.“ „Tut mir leid für dich.“ „Wieso denn? Ich bin selbst dran schuld. Aber das Wochenende kann ich vergessen, denke ich. Haha, dann kann ich noch mehr lesen als ohnehin schon.“ „Galgenhumor, guter Trick. Wäre sicher auch schwierig gewesen, dich mit der Hand richtig auf die Geburtstagsfeier einzulassen.“ „Treib es nicht zu weit, Aki“, warnte ich und zog eine Augenbraue nach oben. „Es ist schon schon schlimm genug, dass ich das sausen lasse. Unter normalen Umständen wäre ich auch mit Gipsarm hingegangen.“ Ich seufzte. „Und wieso tust du es dann nicht? Also … du hast nur gesagt, dass es persönliche Gründe hat. Bist du in Schwierigkeiten?“ „Ach was. Zumindest jetzt noch nicht, wenn es nach Gackt geht“, sagte ich, nachdem es sich am Wochenende leider nicht ergeben hatte – entweder hatte die Zeit oder die Gelegenheit gefehlt, um es Aki ausführlich zu erklären. „Er war den Abend vorher bei mir – einfach so – und hat mir dringend davon abgeraten, hinzugehen. Er hat es so dargestellt, als würde ich mich selbst in Teufels Küche bringen, wenn ich hinginge … und er klang dabei ziemlich überzeugend. Er und dieser Dackelblick! Wenn er damit nur Geld verdienen wollen würde, wäre er in kurzer Zeit aus dem Hamsterkäfig raus, den er seine Wohnung nennt. Gott, ich würde so gerne hingehen.“ „Der Platz ist immer noch frei.“ „Danke, aber … ich hab es Gackt versprochen.“ „Was hat er dir eigentlich geboten, dass du zu Hause bleibst? Er muss sich ja ziemlich ins Zeug gelegt haben, wenn er es schaffst, dass du freiwillig diese Party sausen lässt.“ Ich lachte trocken und schüttelte den Kopf, ehe ich Aki eine Antwort gab: „Das ist es ja – nichts. Er hat zwar gesagt, dass er alles dafür tut, aber na ja, sein Rahmen dafür ist ziemlich begrenzt, also hat er mir praktisch nichts geboten. Er hat nur gesagt, dass er sich Sorgen um mich macht, und dann … hab ich es ihm versprochen.“ „Oh“, machte Aki darauf nur. Ich konnte ihm da nur zustimmen: „Ja, genau: Oh.“ „Nein, das meine ich nicht“, wandte mein Gegenüber allerdings ein, „du magst ihn einfach, das ist alles. Nicht wegen irgendwas, was er für dich tut, sondern um seiner selbst willen.“ War es das? Mochte ich Gackt inzwischen so sehr, dass er mich zu so etwas überzeugen konnte? Ich wusste mittlerweile einiges über ihn und er über mich. Und ich musste zugeben, dass ich ihn tatsächlich mochte – ihn, seine Art, die Zeit, die wir zusammen verbrachten, und was nicht noch alles. Selbst wenn er genau jetzt hier vorbeikommen und mich fragen würde, ob wir irgendetwas zusammen machen wollten, würde ich mitgehen. Obwohl ich mich eben am Handgelenk verletzt und Schmerzen hatte. Denn ich wusste, dass es sich lohnen würde. Unser letztes Treffen war ja an sich auch nichts Besonderes gewesen – mal ganz davon abgesehen, dass er mich sogar noch um die Chance meines Lebens gebracht hatte – und doch hatten wir es geschafft, so lange fernzusehen, zu zocken und zu reden, dass er dann noch bei mir übernachtet hatte. Ich sinnierte noch etwas über das, was Aki gesagt hatte, nach, bis ich schließlich ins Behandlungszimmer gerufen wurde. Dort untersuchte man mich, röntgte mein Handgelenk und teilte mir mit, dass es 'nur' verstaucht war. Verstauchung statt glatter Bruch, deshalb tat der ganze Mist auch so verflucht weh! Ich bekam dann noch einen festen Verband, eine Schiene und Anweisungen, was ich in der nächsten Zeit zu tun und zu lassen hatte: „… den Verband immer straff halten, am besten Sie bitten jemanden um Hilfe, wenn sie ihn wechseln. Und in einer Woche kommen Sie zur Nachuntersuchung wieder hierher.“ „Okay“, sagte ich, immer wieder brav nickend. Dann rutschte ich von der Pritsche herunter, auf die ich mich vor einer viertel Stunde hatte setzen sollen, und verließ den Raum. „Einen schönen Abend noch!“, rief mir die Schwester, die sich um den Verband gekümmert hatte, hinterher, worauf ich mich noch einmal kurz umdrehte und ihr ein kurzes Lächeln schenkte. Draußen empfing mich Aki, an einer Wand lehnend und mit einem fragenden Blick: „Und?“ „Verstaucht“, antwortete ich und hielt mein bandagiertes Handgelenk hoch, „ich soll es in das nächsten Tagen nicht belasten, stützen und mich nächste Woche nochmal hier blicken lassen. Wir müssen noch zur Apotheke – Schmerzmittel und Salbe holen.“ „Kein Problem.“ Er stieß sich von der Wand ab und war schon drauf und dran, das Krankenhaus zu verlassen. Ich hielt ihn aber noch zurück. „Hör mal, Aki“, begann ich, „wegen den Behandlungskosten – die zahl ich dir zurück. Ich weiß nur nicht, wann. Die Miete steht diesen Monat noch aus und … noch ein paar andere Dinge.“ „Mach dir darüber mal keinen Kopf“, tat er es allerdings lächelnd ab, „wir sind Freunde und fertig.“ „Danke dir, wirklich.“ Ich spürte, wie auch auf meine Lippen wieder ein Lächeln kroch. Ich konnte wirklich von Glück reden, dass er bei dem Unfall dabei gewesen war und keiner von meinen Lovern. Die würden mich zwar nicht schlechter behandeln, sondern vermutlich eher mit Samthandschuhen anfassen, aber ich fühlte mich wohler, in einer solchen Situation einen echten Freund bei mir zu haben. „Ach, kein Problem. Du bist doch mein Lieblings-Hyde.“ „Trotzdem danke.“ * „Na, wen haben wir denn- … was hast du mit deiner Hand gemacht?!“, fragte Gackt erst scherz- und dann ernsthaft – ernsthaft besorgt, schon wieder. Sein Blick war dabei die ganze Zeit auf den weißen verband gerichtet, der unter meinem Ärmel hervorblitzte. „Nur verstaucht“, klärte ich ihn auf, während ich umständlich auf einen der hohen Barhocker kletterte, „ist auch gar nicht so schlimm, es tut schon gar nicht mehr wirklich weh. Ich kann nur mein Handgelenk nicht bewegen.“ „Wann ist es denn passiert?“, setzte Gackt seine Fragerunde fort, die Hand nach meiner ausstreckend, sie aber nicht berührend. „Gestern, als Aki da war. Bin gestürzt.“ „Und im Krankenhaus bist du auch gewesen?“ Ich schmunzelte etwas – ich konnte mir nicht helfen, ich musste einfach schmunzeln. Irgendwie war es schon niedlich, dass er beinahe bestürzt reagierte, weil ich mit einer Bandage und einer Schiene in seiner Bar aufkreuzte. „Alles in Ordnung, mit fehlt nichts.“ „Das ist gut“, sagte er noch, ehe er tatsächlich den besorgten Blick fallen ließ, die Mundwinkel dafür zu einem Lächeln anhob und sich wieder seiner Arbeit widmete. „Willst du irgendwas trinken oder bist du nur wegen mir hier?“ „Das eine wie das andere. Für den Anfang wäre ein Orange Sun nicht schlecht.“ „Kommt sofort!“ Während Gackt den Drink fertigmachte, stützte ich das Kinn auf meine Hände – erst auf beide, merkte aber im letzten Moment noch, dass ich das besser nicht tun sollte, und nahm deshalb nur die gesunde Hand zu Hilfe. „Und? Wie war deine Woche? Außer, dass du dir die Hand verstaucht hast?“, fragte Gackt, mittlerweile die dritte Flüssigkeit in ein hohes Glas gießend. Ich mochte den Drink, den er da mixte, denn die verschiedenen Schichten waren mehr oder weniger voneinander getrennt und hatten genau die Farben eines Sonnenuntergangs. Solche Drinks hatte ich wirklich am liebsten, denn sie schmeckten nicht nur, sondern sahen auch interessant aus. „Nicht so spektakulär“, beantwortete ich schließlich Gackts Frage, „ich habe viel gelesen. Und dann kam Aki und ich hab mir das Handgelenk verletzt.“ „Das muss aber ein gutes Buch gewesen sein.“ „War eine ganze Reihe, ich bin jetzt in Band drei. Und mal sehen, wie lange ich mit der Hand noch zu Hause bleibe. Auch wenn es besser wäre, auf die eine oder andere Verabredung zu gehen. Aki hat zwar die Krankenhausrechnung übernommen, aber ich werde ihm das irgendwann zurückzahlen müssen.“ „Er scheint ein guter Freund zu sein“, meinte Gackt und stellte mir meinen fertigen und mit einem Stück Sternfrucht garnierten Drink hin, „hier, bitte.“ „Ist er.“ Nach diesen Worten wollte ich eigentlich einen Schluck von dem Orange Sun nehmen, aber es scheiterte leider allein an der simplen Handlung, das Glas in die Hand zu nehmen. Ich wollte wieder die linke benutzen, da ich mit der anderen ja noch mein Kinn stützte. Ein stechender Schmerz zuckte durch mein Handgelenk und verschwand, kaum dass er aufgekommen war. Trotzdem entkam mir ein leises „Ah!“ und ich wechselte schnell die Hand. Verdammt, ich war immer noch nicht ganz daran gewöhnt, dass ich diese Hand nicht belasten konnte – ein Umstand, der mich heute schon einiges an Schmerzen gekostet hatte. Aber von einem würde es mich ganz sicher nicht abhalten: „Übrigens“, setzte ich das Gespräch schnell wieder fort, auch um Gackt nicht merken zu lassen, was gerade passiert war – ich musste mich, weiß Gott, von ihm nicht auch noch beglucken lassen –, „was hast du morgen für uns geplant?“ „Morgen?“, lautete jedoch seine verwirrte Gegenfrage. „Na, morgen. Du hältst mich von der Party meines Lebens ab und wolltest mich deshalb zum Essen einladen. Schon vergessen? Übrigens ist ein Essen das Mindeste, also streng dich an.“ „Oh!“, machte er darauf nur, und sein Ton bedeutete nichts Gutes, „ich … habe morgen leider keine Zeit. Tut mir leid, Hyde.“ „Was?!“ Ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Es fühlte sich wie herbe Enttäuschung an. „Du hast mir versprochen, dass … du hast mich förmlich angefleht, dass ich nicht zu der Feier gehe, und mir stattdessen versprochen, dass wir zusammen essen gehen. Wieso … wieso habe ich die Chance meines Lebens denn sausen lassen, wenn du dich jetzt nicht an dein Wort hältst?“ „Das hast du falsch verstanden. Ich meinte, dass ich es wieder gutmachen werde. Aber eben nicht morgen“, sagte Gackt in ruhigem Ton, der wohl noch einmal betonen sollte, wie leid es ihm tat. Seine Augen und sein unverwandter Blick taten dasselbe. „An jedem anderen Tag, nur nicht morgen. Das kannst du mir glauben.“ „Hm.“ Meine Antwort war nur ein Grummeln, denn ich wusste selbst nicht so recht, was ich dazu sagen sollte. Er hatte tatsächlich nie erwähnt, dass er an genau diesem Abend mit mir essen gehen würde. Aber, verdammt nochmal, er hätte das doch auch deutlich sagen können, damit ich gleich wusste, woran ich war! Ich drehte mich etwas weg, weil … weil die Enttäuschung an mir nagte wie ich im Moment an der Innenseite meiner Unterlippe. Wer hätte gedacht, dass ich so sehr auf diese Abfuhr reagieren würde? Ich nicht, noch nicht. „Hyde, schmoll bitte nicht so.“ „Ich schmolle nicht.“ „Doch, das tust du. Du siehst mich ja nicht mal an. Hyde, bitte …“ Sein Tonfall … sein Tonfall … ich seufzte leise, kratzte mich an der Augenbraue und hob dann den Kopf, sah Gackt wieder an. Und nun war es sein Blick … sein sanfter Blick, mit dem er mich noch immer entschuldigend anschaute – und selbst die totblauen Kontaktlinsen konnten dem keinen Abbruch tun. „Ich schwöre dir, wäre es etwas anderes gewesen, irgendetwas, dann hätte ich abgesagt und die Zeit mit dir verbracht. Aber … ich kann einfach nicht absagen.“ Ich rang mir ein einlenkendes Seufzen ab und nickte. „Was ist denn morgen?“, fragte ich dann. Wenn es so wichtig für ihn war, konnte ich nicht einfach stur bleiben und mich in den Vordergrund drängen. Es würde nur schwer werden, mich selbst zurückzustellen, wo ich mir doch sonst immer der Nächste war. „Ich …“, setzte Gackt zwar an, zögerte dann aber, kratzte sich am Hals und druckste einen Moment herum, „ich treffe mich mit jemandem.“ Jemand – das konnte so ziemlich jeder sein. Und doch fühlten sich meine Ohren auf einmal ganz warm an. Es wurde auch schwerer, nach außen hin weiterhin cool zu bleiben. „Mit wem denn?“, hakte ich weiter nach, mit einem möglichst lässigen Ton. Das durfte ich ja, es war nur natürlich, so etwas zu fragen, wenn man befreundet war. Richtig? „Mit … ich weiß nicht … jemand von früher. Sie wollte mich sehen.“ „Also, ein Date?“ Auf meine Frage hin gingen seine Augen hin und her, wieder zu mir zurück und dann doch zur Theke, ehe er sagte: „Uhm, ja, denke schon.“ Es fühlte sich an, als würde mir das Blut in den Adern gefrieren. Eine Welle der Kälte durchfuhr mich und hinterließ ein taubes Gefühl in meinen Fingerspitzen. Schnell nahm ich die Hände vom Tresen und rieb sie vorsichtig über meinem Schoß gegeneinander, um wieder mehr Gefühl zu kriegen. Es klappte nicht und tat nur weh. Dafür kehrte die Enttäuschung, die vorhin an mir genagt hatte, zurück – stärker als vorher und verknotete sich in meiner Magengegend. Also … alles andere hätte er abgesagt, alles andere war ihm nicht wichtig, nur das … „Muss ja jemand sehr Besonderes sein“, murmelte ich ganz leise und nur für mich. „Wie bitte?“ „Gar nichts“, meinte ich und setzte wieder ein breites Grinsen auf, „ich wünsch dir viel Spaß dabei.“ „Danke.“ Ein ehrliches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, ehe er sich vorbeugte und mir einen Kuss auf die Stirn setzte. Der Knoten in meinem Magen zog sich heftig zusammen und bereitete mir Bauchschmerzen. Und auch der Kuss fühlte sich nicht gut an, ganz im Gegenteil. Seine Lippen brannten auf meiner Haut und ich wollte, dass es aufhörte. Es war ein unbändiger Drang, den ich einfach nicht abstellen oder wenigstens ignorieren konnte. Ich wollte hier sofort weg. Gackt konnte sich noch nicht einmal selbst von mir lösen, als ich schon zurückzuckte und Abstand zwischen uns brachte. O viel dazu, das ich mich selbst zurückstellen wollte. Ich war im Moment einfach nur sauer, dass Gackt mich so im Stich ließ, nachdem ich wegen ihm die Chance meines Lebens hatte sausen lassen. „Was ist?“, fragte Gackt augenblicklich. Er hatte es bemerkt … Natürlich hatte er es bemerkt! „Nichts“, log ich schnell, „ich muss nur los. Taishin.“ Meine Ausrede war glaubwürdig, er würde also nicht daran zweifeln. Hoffentlich. Und wenn er sie mir abnahm, dann war ich sicher, denn dann würde er auch keine weiteren Fragen stellen. Das tat er schon lange nicht mehr. Doch um nichts zu riskieren, machte ich, dass ich Land gewann. „Wir sehen uns dann nächste Woche“, verabschiedete ich mich rasch, rutschte von dem Barhocker herunter und ging ein paar Schritte, noch bevor Gackt darauf überhaupt etwas erwidern konnte. „Tschüss!“ „Äh … ja, tschüss.“ Er klang verwirrt. Und das machte es trotz meiner Wut nur noch schlimmer. Ich war sauer auf ihn und hatte ihm etwas anderes erzählt. Er wusste also gar nicht, wieso ich so reagierte. Und wenn ich ehrlich war, dann würde ich auch erst einmal darüber nachdenken müssen, um mir über alles klarzuwerden. Aber ich konnte im Moment einfach nicht anders. Ich ging, ohne weiter auf ihn zu achten. Zu Hause angekommen warf ich die Wohnungstür hinter mir zu, streifte die Schuhe aus, ließ mich im Wohnzimmer auf die Couch fallen und schaltete den Fernseher ein. Ich sah zwar hin, registrierte aber doch nicht, was ich da sah. Meine Gedanken waren bei Gackt. Mein Abend war verdorben, er hatte ihn mir verdorben – wenn auch ungewollt und wieder Erwarten, wie ich zugeben musste. Und das enttäuschte mich noch mehr. Ich war lange nicht mehr so mies drauf gewesen, dass ich davon Bauchschmerzen bekam. Es war auch jetzt noch nicht besser, obwohl ich die Bar vor einer guten halben Stunde verlassen und unterwegs eine Schmerztablette eingeworfen hatte. Was ich dringend wollte, war Linderung. Ich wusste auch genau, woher ich die bekommen könnte. Ich wusste nur nicht, ob ich das wirklich tun sollte. Ich hatte schließlich … Aber ich brauchte jetzt einfach eine Besserung, einen kleinen Gewinn … Das Piepsen meines Handys riss mich aus meinen Gedanken, wenn auch nicht für lange. Neue Nachricht: GACKT hieß es auf dem Display. Ich drückte auf die Okay-Taste und hätte mich dafür gleich wieder schlagen können, denn was ich da las, versetzte mir einen weiteren Stich: Hi! Du bist zwar sicher grade beschäftigt, aber ich wollte trotzdem fragen, ob alles in Ordnung ist? Du sahst nicht gut aus, als du weg bist. Gott, dieser Idiot! Dieser verfluchte Idiot! Ich hatte verdammt nochmal- … … ich wusste nicht, was los war, was ich machen sollte. Immer wieder schwappte die Wut hoch und dann auch die Enttäuschung. Ich schloss die Augen und atmete tief durch, in der Hoffnung, dass die Lage dadurch etwas klarer wurde und der Nebel sich endlich lichtete. Und dann entschied ich mich: Für eine Sekunde waren alle Zweifel weg und ich tat, was mir gerade in den Sinn kam. Ich schloss das Nachrichtenmenü und auch das Hauptmenü. Die Nummer war eingespeichert, also reichte ein simpler Tastendruck. Es klingelte ein paar Mal, ehe abgenommen wurde und ich loslegen konnte: „Aki? Hyde hier. Steht das Angebot noch?“ tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ Jep, ich gebe zu, die Szene, in der Hyde sich die Hand verletzt hat, ist nicht gerade das, was man als meine herausragendste Leistung bezeichnen könnte, aber mööö~ ich hab sie vor bestimmt einem Jahr geschrieben, war selber ziemlich unzufrieden damit, aber etwas anderes hat sich auch nicht ergeben, damit Aki Hyde ins Krankenhaus karren und ein guter Freund sein kann. Vllt hätte ich den guten nicht so viel drinnen rumhängen lassen sollen - draußen hätte so ein kleiner Unfall vllt schneller passieren können xD Und ansonsten: Ätsch bätsch, reingelegt! Natürlich geht Hyde zu der Party! Wäre doch vollkommen unlustig, wenn er es nicht tun würde. Ab dann geht es auch erst so richtig schön los, hehe >3 Ich hoffe nur, dass Hydes Einknicken nicht zu hastig war. Es kam ja schon relativ plötzlich, dass er Gackt das Versprechen so einfach gegeben hat, und jetzt ist er so schnell so beleidigt und schnappt so einfach wieder zurück ... Wie wirkt das auf euch? Kapitel 8: Everybody loves me ----------------------------- Ich fühlte mich großartig und das sah man mir verdammt nochmal auch an. Wenn ich einen Raum betrat, erleuchtete ich ihn förmlich mit meiner Ausstrahlung, sodass sich gut die Hälfte der Leute zu mir umdrehte. Ja, fragt euch nur, wer das gutaussehende, kleine Kerlchen ist, das hier so gar nicht zum Rest passt; mir ist es nur recht! Das hier war die Party des Drachenfürsten – mein Abend und der Auftritt meines Lebens. Und daran würde mich mein lädiertes Handgelenk nicht hindern, von dem ohnehin nur ein paar Zentimeter des weißen Verbandes zu sehen waren. Die Schiene hatte ich bewusst weggelassen und der ganze Rest verbarg sich unter meinem brandneuen Anzug. Ich bewegte mich mit einer Selbstsicherheit durch die Räume, als wäre ich hier zu Hause und nicht nur zu Gast, als gehörte mir die Welt. Und es juckte mich nicht im Geringsten, ob jemand dachte, dass ich vielleicht ein wenig zu dick auftrug – das taten mit Sicherheit sogar einige hier und ich wusste auch ganz genau, dass ich etwas übertrieb – aber wozu kleckern, wenn man klotzen konnte? Das hier war die Chance auf die Eintrittkarte zum ganz großen Luxus, eine weitere würde ich nicht bekommen. Wenn ich nicht auffiel, würde ich keine weiteren Kontakte knüpfen, die mich später wieder in solche Gesellschaften bringen würden, wo ich wieder neue Leute kennenlernte und noch weiter kam. Es war ein Kreis, nein, eine Spirale, in der ich höher und höher steigen konnte, wenn ich mich nicht zu dumm anstellte. Und die Auswahl war gar nicht mal so schlecht. Am Fürsten oder seiner Frau konnte ich natürlich nicht rütteln (wollte ich ja auch gar nicht), aber von Aki hatte ich ja gehört, dass sie zwei oder drei Kinder hatten, die ungefähr in meinem Alter sein dürften. Einer oder eine von ihnen wäre definitiv der Volltreffer. Aber den musste ich heute gar nicht landen, solange ich nur ein anderes Los zog, das mich im Spiel hielt. Neben den Hausherren waren ja noch ihre zahlreichen Gäste da – angesehene Familien, die wie Akis Eltern ebenfalls ihre Kinder mitgenommen hatten, oder Einzelpersonen, die durch die ein oder andere Art Beziehungen zu dieser Familie pflegten. Alles in allem also genug potenzielle Gönner, die vom Alter her weit unter dem meiner bisherigen lagen. Ich musste meinen Blick nur kurz durch den Raum schweifen lassen, um auf Anhieb mehrere vielversprechende Kandidaten für das Amt meines neuesten Sponsoren zu entdecken. Ich hatte mittlerweile einen Riecher für solche Leute entwickelt und erkannte sie an Kleinigkeiten wie dem Schnitt ihrer Kleider, der Form und Edelsteinbesetzung ihrer Manschettenknöpfe, dem Muster der Krawatte, an den Ketten, Ringen, der Hochsteckfrisur oder auch ganz gern mal am aufgetragenen Parfum. Und natürlich redeten sie auch ganz anders als Otto Normalverbraucher: Hier unterhielt man sich nicht über ständig steigende Strompreise, die neuen Angebote im Supermarkt nebenan oder die aktuellen Baustellen im U-Bahn-Netz. Es ging – ganz klassisch, könnte man meinen – um teure Autos, Yachten, Immobilien, Aktien und natürlich wurde auch darüber getratscht, was der Rest der High Society gerade so anstellte („Ihr Vermögen ist unter drei Millionen US-Dollar gesunken? Ach nein … ich wusste schon immer, dass diese Familie nur aus Taugenichtsen besteht!“) Ja, okay, auch das war vielleicht ein bisschen übertrieben, denn wirklich so klischeehaft benahm sich eigentlich nur die alteingesessene Spitze – alte, reiche Schachteln, deren Colliers nicht nur den eigenen Reichtum präsentieren, sondern auch im faltigen Dekolleté etwas Schadensbegrenzung betreiben sollten. Aber die waren im Moment nicht mein Problem – ich hob sie mir für später auf, wenn ich nichts Besseres aufreißen sollte. Ihre versnobte Art war nämlich auch ihr größter Schwachpunkt und wenn man wusste, wo genau man es anpacken musste, dann war es ein wahres Kinderspiel, sie zu umgarnen. Für jemanden wie mich also ein sicherer Sieg. Doch wie gesagt: Ich hatte erst einmal andere Ziele – die Jagd hatte schließlich erst begonnen und wenn ich gleich zu Anfang ins Pflichtprogramm einstieg, müsste ich das auch bis zum Ende durchziehen und hatte keine Möglichkeit mehr, auf den spaßigen Teil umzusteigen. Etwas Jüngeres müsste her, so um die 30 vielleicht, am besten Single, damit die süße, kleine Liaison möglichst lange hielt und nicht schon nach ein paar Treffen durch irgendwelche Gewissensbisse dem Gatten oder der Gattin gegenüber wieder vorbei war. Und meine Chance wartete nicht weit von mir entfernt auf zwei Uhr: Sie stand da wie bestellt und nicht abgeholt, direkt neben einer Gruppe von Männern und Frauen, die ungefähr so alt sein mussten wie meine Eltern. Wahrscheinlich waren ihre dabei oder sie arbeitete als Sekretärin von irgendjemandem aus der alternden Runde. Sie selbst konnte kaum älter als 19 oder 20 sein. Ihr Aufzug war zumindest sehr förmlich: schlichtes, schwarzes Chanelkleid, das allerdings nicht kurz oder tief genug ausgeschnitten war, um sexy zu sein. Ihr langes, dunkles Haar trug sie zu einem festen Knoten gebunden, das MakeUp war genauso wie sie sehr blass, beinahe unsichtbar. In ihrem Gesicht stach wirklich gar nichts heraus – nicht einmal ein Lächeln, denn sie hatte keins aufgesetzt. Ihre Miene war viel eher dezent erschrocken, als sie bemerkte, dass ich sie direkt ansah. Vermutlich hatte sie mich – wie einige andere auch – angestarrt, als ich den Raum betreten hatte, und fühlte sich nun mehr als ertappt. Wunderbar! Jedenfalls, das einzig Außergewöhnliche an ihr waren das Armband an ihrem Handgelenk, der Anhänger an ihrer Halskette und ihre Ohrringe – alles war mit kleinen Edelsteinen besetzt und nichts davon schien sie großartig zu interessieren. Sie war es also gewohnt, solche Dinge zu tragen, was sie wiederum als Daddys kleiner Liebling auswies. Eine verwöhnte Rotznase war sie aber auch nicht, denn dann hätte sie sicher schon das Weite gesucht und sich zu Leuten in ihrem Alter gesellt. Nein, sie blieb brav an der Seite ihrer Eltern und wartete wahrscheinlich darauf, dass ihr auch endlich etwas Aufmerksamkeit geschenkt wurde, mit der sie im Endeffekt eher nichts anzufangen wissen würde. Vermutlich war sie zum ersten Mal auf so einer Veranstaltung und wusste nicht recht, was sie mit sich anstellen sollte, und hatte gleichzeitig zu viel Angst, um sich allein auch nur etwas weiter als nötig von ihrer Familie zu entfernen. Die Art war schon mal nicht schlecht: reiche Mauerblümchen, denen Geld nicht viel bedeutete, die nicht genug Erfahrung mit Leuten wie mir hatten und die fast noch an Mamis Rockzipfel hingen. Man konnte sie wunderbar lenken, aber hatte auch die Herausforderung der wachsamen Eltern, die natürlich nur das Beste für ihr süßes, kleines Mädchen wollten. Ich ging zu ihr hinüber, setzte ein überaus charmantes Lächeln auf und sah sie unverwandt an. Und es amüsierte mich köstlich, dass mein Blick ihr anscheinend etwas peinlich war, sie es aber gleichzeitig nicht lassen konnte, immer wieder zu prüfen, ob ich sie noch so rotzfrech 'anstarrte'. Als ob ich plötzlich verschwinden würde, nur weil sie nicht mehr hinguckte. Haha! Ich begrüßte sie dann auch ohne großes Tamtam und ohne erst den Umweg über ihre Eltern zu machen: „Was macht ein so trauriger Blick in einem so hübschen Gesicht?“ Sie erschrak leicht und schien dann tatsächlich ein oder zwei Momente zu brauchen, um zu realisieren, dass ich tatsächlich sie meinte. „Oh, ich …“, zögerte sie, verbeugte sich dann aber besonders höflich und stammelte weiter, „ich bin ja … ich schaue doch gar nicht traurig.“ Ich fuhr daraufhin einfach ungeniert fort: „Oh, jetzt lügen Sie aber, meine Liebe. Ich fürchte, ich muss mich da selbst anklagen, aber ich beobachte Sie schon eine ganze Weile und Sie haben in den letzten paar Minuten nicht einmal gelächelt. Das finde ich sehr schade.“ Natürlich hatte ich sie nicht so lange angestarrt, aber das musste sie ja nicht wissen. So verunsichert wie sie im Moment von meiner Flirterei war, würde sie es trotzdem fressen. „Nein, nein, es geht mir wirklich gut. Es ist sehr aufregend hier“, beteuerte sie mir darauf aber und zeigte – wie zum Beweis – das breiteste Lächeln, das sie im Moment wohl aufbringen konnte. Und es sah natürlich nicht annähernd so echt aus wie sie es wohl beabsichtigt hatte. Wenigstens gab sie mir eine Vorlage für den weiteren Gesprächsverlauf. „Sie sind zum ersten Mal hier, stimmt's?“, fragte ich frei heraus und ihr Blick verriet mir sogleich, dass ich einen Volltreffer gelandet hatte. „Ist es denn wirklich so offensichtlich? Mache ich irgendetwas falsch?“ „Aber nein, meine Liebe“, beschwichtigte ich sie sofort, „Sie hätten mich sehen sollen, als ich zum ersten Mal hier war. Das legt sich mit der Zeit. Sehen Sie nur mich an! Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft ich mittlerweile zu solch einem Fest eingeladen wurde. Ich bin ein enger Freund der Familie, müssen Sie wissen. Da bekommt man einfach irgendwann Übung darin und verliert außerdem die Scheu vor den vielen Fremden. Denn vergessen Sie nicht: Das sind auch nur Menschen.“ Zur Bestärkung zwinkerte ich ihr auch noch zu, was sie wohl vollkommen über den Rand der Peinlichkeit warf. Anscheinend bekam sie selbst langsam mit, dass ich mit ihr flirtete, und der Gedanke bereitete ihr anscheinend noch etwas mehr Unbehagen. Sie lief zwar nicht knallrot an, aber dafür zog sie es nun vor, mehr mit ihrer kleinen, schwarzen Handtasche zu reden, als mit mir. „Ich hoffe, d-dass … dass ich auch bald so frei sprechen kann wie Sie“, nuschelte sie. „Da bin ich mir sicher“, sprach ich ihr gut zu und ging dann zum nächsten Angriff über, „aber erst einmal: Wollen Sie mir nicht Ihren Namen verraten? Es unterhält sich so schlecht, wenn man seinen Gegenüber nicht einmal richtig ansprechen kann.“ „Ah …“ Wahrscheinlich schoss ihr gerade durch den Kopf, dass Mami und Daddy ihr immer eingebläut hatten, nicht mit Fremden zu reden, ihnen nichts zu verraten und – um Gottes Willen! – nicht zu ihnen ins Auto zu steigen. Zumindest raste ihr Blick zu den beiden älteren Personen, die direkt neben ihr standen und die unser kleines Gespräch wohl auch mitbekommen hätten, wenn sie nicht in ihr eigenes vertieft gewesen wären. Dann lenkte sie ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf mich und ich konnte förmlich sehen wie sich der Wunsch, endlich einmal etwas selbst zu entscheiden, in ihr nach oben kämpfte und infolge der geistigen Abwesenheit der behütenden Eltern die Oberhand gewann. „Matsuo, Ria“, sagte sie schließlich. „Und Ihr Name?“ Wie ein Reflex zog sich mein Lächeln noch etwas breiter und ich ließ ihr eine Sekunde Zeit, dies zu bewundern, ehe ich ihr antwortete: „Ria also, wie wunderschön. Meine Freunde nennen mich 'Hyde'. Zählen Sie sich ruhig dazu und rufen mich auch so.“ „Hyde …“, wiederholte Ria mit einem Gesichtsausdruck, als versuche sie, sich an etwas zu erinnern, „so wie in der Geschichte von dem Doktor und seinem bösen zweiten Ich?“ Jetzt war es an mir, verblüfft zu schauen – doch natürlich war ich es nicht. Es war eine eingespielte Reaktion und eigentlich wunderte ich mich, dass die Leute überhaupt noch darauf reinfielen. Im Ernst, war es denn wirklich so ungewöhnlich, dass die Leute ein Werk von Stevenson kannten oder sogar lasen, dass man mir die Verwunderung abnahm? Vom Kern der Geschichte hatte doch sicherlich jeder schon einmal gehört – und sich damit automatisch sämtliche Rätsel, die während des Lesens aufkamen, zunichte gemacht. Zumindest war es mir so gegangen, aber das war jetzt nicht der Punkt. „Sie dürfen um Himmels Willen nichts Falsches von mir denken!“, spielte ich meine Rolle in einem beschwichtigten Tonfall und unschuldig erhobenen Händen weiter, „ja, es stimmt, und auch wieder nicht. Zwar wird es genauso geschrieben, wie in der Geschichte, aber es war eher ein Scherz von meinen Freunden, als wir jung waren. Sie haben irgendwann angefangen, mich so zu nennen, weil es meinem Vornamen ähnelt. Ich heiße Hideto, daraus wurde Hide, dann Hyde und dabei ist es bis jetzt geblieben. Glauben Sie mir, ich könnte niemandem etwas antun.“ Nun endlich lächelte sie – genau wie ich es geplant hatte. Sie war in meinen Bann geraten und würde von selbst nicht einfach so wieder herauskommen. Ich musste jetzt nur noch darauf achten, dass sie sich nicht mehr an ihre Eltern klettete, und die Sache wäre so weit geritzt. „Keine Angst, ich denke nicht schlecht von Ihnen. Sie sind sehr nett“, wollte sie mich beruhigen und legte mir dazu auch eine Hand auf den Oberarm. Die Berührung war nur ganz leicht und ich konnte spüren, dass sie schon wieder zögerte. Wahrscheinlich war es nur ein Reflex gewesen, weil sie sich in meiner Gegenwart wohlfühlte und das Verhalten, das sie in vertrauter Umgebung an den Tag legte, sich nun auch hierhin verirrt hatte. Und noch bevor sie die Hand wieder verlegen wegziehen konnte, nahm ich sie und hauchte einen Kuss auf deren Rücken. Es war etwas, das ich mir aus westlichen Filmen, Serien und Büchern kopiert hatte. Hier in Japan würde kaum jemand von allein auf so eine Idee kommen – und genau deshalb beeindruckte es die Frauen. Man zeigte Selbstbewusstsein und das fanden sie eben sexy. „Vielen Dank, das beruhigt mich sehr“, sagte ich dazu und sah sie wieder etwas verführerischer an, als eben bei meiner gestellten Überraschtheit. „Sagen Sie, Ria, wollen wir uns nicht an der Bar etwas zu trinken holen und uns irgendwo hinsetzen? Das ist doch viel gemütlicher, als hier herumzustehen.“ „Uhm …“ Sie sah sich wieder zu ihren Eltern um und ich wartete brav. Nein, ich hoffte nicht, dass ich sie nicht zu früh nach dem Drink gefragt hatte. Ich musste nicht hoffen, denn ich wusste schließlich, was ich konnte. Ich gab ihr nur die Zeit, die sie brauchte, um zu dem Schluss zu kommen, dass so ziemlich alles lustiger war als ihre Eltern und dass ich die beste Abendbegleitung war, die sie jetzt kriegen konnte. Und dann kam der Moment – sie wandte sich wieder mir zu, mit einem Gesichtsausdruck, der Bände sprach, und sagte: „Liebend gern, aber bitte keinen Alkohol. Den vertrage ich nämlich nicht.“ „Das ist alles kein Problem“, entgegnete ich darauf direkt, „unter uns: Ich vertrage ihn auch nicht besonders gut. Macht mich immer ganz kirre.“ „Dann … lassen Sie uns gehen!“ Oha, jetzt übernahm sie sogar ein bisschen die Initiative! „Nichts lieber als das.“ Ich bot ihr den Arm an, sodass sie sich bei mir unterhaken konnte, dann gingen wir zur Bar, wo wir uns beide etwas Alkoholfreies holten, und anschließend schlenderten wir zu einem der kleinen Tische, die am Rand des Saals überall aufgestellt waren, um uns dort für die nächsten Stunden niederzulassen. Die Unterhaltung, die wir an diesem Abend führten, wurde zwar von mir gelenkt, allerdings redete sie die meiste Zeit. Frauen mochten es, wenn man ihnen zuhörte und das Gespräch am Laufen hielt. Man durfte auf keinen Fall zu wenig sagen, denn dann waren sie frustriert, weil sie einen nicht richtig kennenlernen konnten. Von Ria erfuhr ich, dass sie tatsächlich gerade erst 20 geworden war, auf eine private Kurzuniversität ausschließlich für Frauen ging und daher nicht viel unter 'normale' Leute ihres Alters kam – unter Männer schon gar nicht. Sie schien tatsächlich sehr unter der Fuchtel ihrer Eltern zu stehen, auch wenn sie es anders bezeichnete: „Meine Eltern vertrauen mir und ich weiß nicht, wieso ich sie darin enttäuschen sollte.“ Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass ihre Eltern ihr eben nicht vertrauten, sonst hätten sie sie ja wenigstens ab und zu mal 'normal' ausgehen lassen. Na, das stand jetzt auch nicht zur Debatte. Sie mochte mich, das signalisierte sie mir ganz genau, indem sie mich ständig anlächelte, den Kopf fast permanent zur Seite legte und mir mittlerweile immer öfter direkt in die Augen sah. Und diese Blicke, die sie mir zuwarf, schrien schon fast danach, dass ich sie verführen sollte. Viel von dem, was ich ihr erzählte, stimmte hingegen natürlich nicht. So gelangten wir zum Beispiel irgendwann zu einem Thema, das ich vorher schon beiläufig angesprochen hatte: Dass ich den Drachenfürsten und seine Familie schon lange und gut kannte und hier regelmäßig ein- und ausging. Wenn es doch nur wahr wäre, was ich ihr da alles vorlog, dann müsste ich mich nicht durch solche Aktionen quälen. Okay, okay, ganz so schlimm war die Unterhaltung mit Ria gar nicht, aber auf das ein oder andere hätte ich schon ganz gut verzichten können. „Wie genau haben Sie die Camuis denn kennengelernt?“, wollte sie wissen, „auch über Ihre Eltern oder sind Sie mit einem der Söhne des Fürsten befreundet?“ „Das ist … uhm …“, setzte ich schon an, redete aber einfach nicht weiter. Ich hatte eine Antwort parat, kam aber einfach nicht dazu, sie auszusprechen … Denn da war er. Er stand an der Bar, mit dem Rücken zu mir, gekleidet in ganz feinen Zwirn und doch erkannte ich ihn sofort. Meinte ich zumindest. „Hyde?“, rief Ria mich und schaute in die Richtung, in die auch ich blickte. Meine Gedanken schnappten in das Hier und Jetzt meines Gespräches zurück und ich merkte, dass ich gestarrt haben musste. „Entschuldigung, ich habe nur gerade etwas gesehen. Jemanden. Nicht so wichtig.“ Ich trank den letzten Schluck aus meinem Glas und stellte es dann zurück auf den Tisch. Aber was tat er hier? Er hatte schließlich gesagt … nein! Was sollte das jetzt? Ich musste mich jetzt auf etwas anderes konzentrieren, auf Ria. „Wie ich die Camuis kennengelernt habe? Das ist ganz einfach: Ich war damals ungefähr zwölf, als ich zum ersten Mal …“ Ich konnte es nicht lassen, ich musste wieder zur Bar hinübersehen. Mir ging es da nicht anders als Ria vorhin, als ich sie unentwegt angesehen hatte – mit dem kleinen Unterschied, dass ich nicht angesehen wurde, obwohl ich es ums Verrecken wollte. Es nagte an mir, nicht genau zu wissen, ob ich richtig lag oder mich irrte. Es ließ mich nicht los. Es konnte nicht sein, es gab keinen Grund … und außerdem … mir gefror das Blut in den Adern. „Ria, würden Sie mich bitte kurz entschuldigen? Ich muss nur … etwas überprüfen.“ Ich nahm gar nicht mehr genau wahr, was ich da sagte, und ich konnte von Glück reden, dass ich so vieles einstudiert hatte, sodass ich es selbst im Halbschlaf korrekt hervorbringen konnte. Trotzdem verhielt ich mich etwas ungelenk, indem ich schon aufstand, noch bevor sie mir eine Antwort gegeben hatte. Wenn ich ehrlich war, interessierte es mich auch gar nicht, denn im Moment hatte ich nur eins im Sinn: Er hatte mich angelogen, ganz dreist und ohne mit der Wimper zu zucken. Oder doch mit Wimpernzucken – er hatte so getan, als würde er zögern … als wäre es ihm peinlich, mir zu erzählen, dass er eine Verabredung hatte. Die Bauchschmerzen von gestern kehrten zurück und plötzlich schien sich die Gestalt zu verändern. Hatte sie gerade eben auch schon längere Haare gehabt? Oder einen so flachen Hintern? So dicke Beine? War sie schon vorhin so klein gewesen? Nein … nein, nein, nein. Mein Verstand spielte mir einen Streich, als wollte er etwas sehen, was gar nicht da war, als wollte er den Verrat verdrängen. Ich ging noch näher heran, um mich zu vergewissern. Dabei rempelte ich versehentlich andere Gäste an, doch mehr als eine knappe Entschuldigung gab ich ihnen nicht. Ich war zu fixiert auf mein Ziel – die Bar und … „Gackt?“, fragte ich vorsichtig, als ich einen Meter hinter ihm stand. Und er brauchte noch nicht einmal zu antworten, denn an der Art wie sich seine Schultern plötzlich verkrampften, konnte ich genau erkennen, dass er es war. Er war hier. Gackt war hier, obwohl er gar nicht hier sein durfte. Weil er zu einem verdammten Date hätte gehen sollen. Und für mich gab es nur eine einzige Erklärung, wieso er mir diese Lüge aufgetischt und seine Sorge geheuchelt hatte: Er wollte mich aus dem Weg haben, um selbst auf Beutezug zu gehen. Er wusste, wie gefährlich ich als Konkurrent sein konnte, schließlich hatte er genug Zeit gehabt, mich auszukundschaften. Und ich Idiot hatte es nicht gemerkt! Hatte die ganze Zeit angenommen, er wollte nur das Beste für mich und nur mein Freund sein. Ha, geschissen! Gackt war von meinem Schlag und keinen Deut besser als ich. Und er schien sogar schon jemanden gefunden zu haben, mit dem er anbändeln konnte. Ein junger Kerl, dessen Anzug ebenso teuer aussah wie seiner und der ihm sichtlich angetan war. In meinem Kopf spulte sich die Geschichte wie ein Videoband zurück und pausierte an der Stelle, an der ich es alles hätte verhindern können: der Abend unserer Wette. Wenn ich sie nicht aufgegeben hätte, wäre alles danach nie geschehen. Und auch dies hier nicht. Wenn ich ihn nicht an mich herangelassen hätte … „Gackt“, sagte ich noch einmal, leise und sogar ein bisschen zittrig. Ich wusste nur nicht, ob meine Stimme aus Wut zitterte, oder wegen etwas anderem. Auf alle Fälle kehrte das Gefühl von gestern Abend schlagartig wieder zurück. Und wenn er nicht bald etwas sagte, dann würde ich ihm vor versammelter Mannschaft an die Kehle springen! „Hallo, Hyde“, lautete dann – endlich – seine Antwort, als er sich umdrehte. Eigentlich brauchte ich keine Bestätigung mehr, dass er es war – schon lange nicht mehr –, und trotzdem versetzte es mir einen Stich. Und seine nächste Frage, die er mir mit einem sehr gewollt aussehenden Lächeln stellte, machte es nicht besser: „Was machst du denn hier? Ich hatte doch-“ „Ich könnte dich dasselbe fragen“, fiel ich ihm ins Wort – leise, ruhig und kalt. Der Stimmungswechsel hatte sich quasi von selbst vollzogen: Ich schrie ihn nicht an, auch wenn ich mich danach fühlte, sondern wollte ihn stattdessen mit Verachtung strafen. Dafür, dass er mich seit Wochen anlog und mir etwas vorgaukelte, sich vielleicht sogar gezielt mit mir angefreundet hatte, um mich dann mit der Ich-mache-mir-Sorgen-Tour aus dem Weg zu räumen. Und es klappte gut, ich fühlte nichts. „Du hast ja keine Ahnung“, meinte Gackt darauf und hatte tatsächlich die Nerven, sein Lächeln fallen zu lassen und stattdessen schon wieder bettelnden Ausdruck in seinen braunen Augen aufzusetzen. Als ob das diesmal funktionieren würde! „Ach nein?“, entgegnete ich und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, „dann erklär es mir doch einfach. Warum du gelogen hast und mich von hier fernhalten wolltest. Ich kann es mir schon denken, aber vielleicht entgeht mir ja was.“ Ich schien ihn damit eingekesselt zu haben, denn er sah verdächtig nach links und rechts, ehe er mir antwortete: „Das … das geht jetzt schlecht. Wir reden morgen, versprochen.“ Den letzten Satz unterlegte er abermals mit einem vermeintlich schuldbewussten Dackelblick und versuchte auch, nach meiner Hand zu greifen. Ich sah es jedoch noch rechtzeitig und rückte ein Stück ab, sodass er mich verfehlte und stattdessen einen feindseligen Blick erntete. Und auch sonst ich blieb hartnäckig: „Nein, ich will jetzt eine Erklärung. Jetzt oder gar nicht. Und fass mich nicht an!“ „Hyde, bitte. Du musst-“ „Nein! Ich muss gar nichts!“, fiel ich ihm ins Wort – etwas lauter, als es wohl gut für mich gewesen wäre. Denn beinahe augenblicklich war ein Mann in schlichtem schwarzen Anzug und mit weißen Handschuhen zur Stelle, an dessen Ohr ein kleines Headset klemmte. Er war kleiner als Gackt, aber immer noch groß genug, um sich vor mir bedrohlich aufbauen zu können. Doch überraschenderweise richtete er das Wort nicht an den Störenfried – mich – sondern an Gackt: „Alles in Ordnung, Camui-sama?“ … Ca- „Camui-sama?“ Ich blickte zwischen Gackt und dem Sicherheitsmann hin und her und meine Wut schien mit einem Mal wie weggewischt – zwar nicht komplett verflogen, aber von vollkommener Verwirrung überdeckt. Camui-sama? Das war ein Scherz, richtig? Das konnte nur … Camui, der Name, den kaum jemand benutzte, weil stattdessen immer nur von der Familie der Drachen gesprochen wurde, wenn man nicht gerade einem von ihnen gegenüberstand. War das …? Konnte das …? … Oh. Mein. Gott. „Ja. Kein Grund zur Sorge, Fukuda, nur eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen Freunden“, machte Gackt deutlich und legte eine Hand auf meinen Rücken zwischen meine Schulterblätter. Ich ließ es geschehen, fühlte mich nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. Ich war viel zu irritiert dafür. „Komm bitte mit.“ Damit hatte er mich gemeint und auch schon damit begonnen, mich durch den Raum zu bugsieren. Auch das ließ ich mit mir machen und mich durch das halbe Haus bis auf einen einsamen Balkon führen. Auf dem ganzen Weg hatte Gackt nicht ein Wort zu mir gesagt, sondern nur mit seiner Hand leichten Druck auf den Bereich zwischen meinen Schulterblättern ausgeübt, während uns die anderen Gäste komisch angesehen hatten. Kein Wunder, es musste ausgesehen haben, als würde ich abgeführt … was ich ja auch wurde. Auch auf dem Balkon blieb Gackt erst einmal still und nahm nur die Hand von meinem Rücken. Dann ging er an das Geländer, welches aus halbhohen, weißen Steinsäulen und einem breiten Sims aus dem gleichen Material bestand. Wahrscheinlich war es aus Marmor oder irgendeinem anderen teuren Gestein gemacht; im Dunkeln konnte ich das nicht richtig erkennen. Nach einer kurzen Weile ging ich zu ihm, sah ihn aber nicht an, sondern blickte wie er auf den großen Garten hinunter und in die Nacht hinaus. Ungefähr hundert Fragen stapelten sich in meinem Kopf, die ich ihm sofort und alle auf einmal hätte stellen wollen. Und dahinter warteten sicher noch hundert weitere, die mir im Moment nur noch nicht eingefallen waren. Heraus kam deshalb nur: „Also … du …“ Mehr nicht und völlig ruhig. „Es tut mir leid“, übernahm Gackt die Aufgabe, das Gespräch in Gang zu bringen, „dass ich dich angelogen habe. Aber ich hatte keine andere Wahl.“ „Keine andere Wahl …“, wiederholte ich murmelnd und ließ ein leises Schnauben folgen. Die Lebensgeister schienen wieder in mein Hirn zurückzukehren und schon wieder spürte ich das bittere Gefühl des Verrats in mir aufsteigen. Er hatte mich tatsächlich die ganze Zeit angelogen – nur anscheinend anders, als ich es eben noch angenommen hatte. Was ich jetzt allerdings davon halten sollte, wusste ich noch immer nicht. Gackt hörte es natürlich und seufzte: „Das ist alles nicht so einfach …“ „Das ist es nie.“ „Dann hör mir bitte zu, hör mir bis zum Ende zu.“ Ich sah ihn noch immer nicht an, aber als ich neben mir Stoff rascheln hörte, tat ich es doch. In seinen dunklen Augen erblickte ich Schuld – und sie sah echt aus. Auch seine Worte klangen aufrichtig, allerdings konnte er auch nur ein sehr guter Schauspieler sein, schließlich hatte er es geschafft, mich die ganzen letzten Wochen hinters Licht zu führen. „Ich höre“, sagte ich knapp, jedoch nicht annähernd so kalt, wie ich vorhin noch geklungen hatte. „Nun“, begann er, „zuerst: Ja, mein Name ist Gackt Camui und das hier ist das Haus meiner Eltern. Aber es stimmt, dass ich keinen sonderlich guten Draht zu ihnen habe und ausgezogen bin, sobald ich konnte. Ich muss nur ab und an zu solchen … Festlichkeiten aufkreuzen, um meiner Mutter nicht das Herz zu brechen. Ich gehöre nicht in diese Welt, Hyde, ich verabscheue sie sogar. Hast du eine Ahnung, wie viele wirklich enge Freunde meiner Familie sich da drin befinden?“ Er wartete kurz, damit ich den Kopf schütteln konnte, ehe er fortfuhr. „Nur eine handvoll, mit denen meine Eltern schon in frühester Kindheit befreundet waren – weil Kinder, selbst wenn sie im Reichtum aufwachsen, keinen Sinn für diese versnobte Gesellschaft haben … bis sie sie selbst annehmen. Du siehst es ihm zwar nicht mehr an, aber auch mein Vater hat früher liebend gern im Dreck gespielt. Meiner Großmutter hat das natürlich gar nicht gefallen und sie hält es mir immer wieder vor, dass ich nicht wie er irgendwann davon abgelassen habe, mich mit Leuten abzugeben, die 'unter meiner Würde' sind. Sie hasst mich und ich möchte mir nicht ausmalen, was passiert, wenn sie mal einen meiner 'niveaulosen' Freunde in die Finger kriegt. You hätte sie vor Jahren fast erwischt, aber er hat sich noch rechtzeitig durchs Fenster absetzen können.“ „You?“, hakte ich nach, worauf Gackt kurz zufrieden lächelte. Es war ein Lächeln, dass sich auch auf mich beruhigend auswirkte. Die Bitterkeit in mir nahm langsam wieder ab. „Mein bester Freund. Der Kerl, mit dem ich mich vorhin unterhalten habe, als du dazugekommen bist. Meine Eltern akzeptieren ihn, weil er zwar nicht ihre Kragenweite ist, aber dafür äußerst gute Manieren hat.“ „Hm, ach so. Und ich dachte …“ „Ja?“ „Nicht so wichtig“, winkte ich ab, „und … wieso hast du mir das alles nicht einfach erzählt, anstatt mir was vorzuspielen?“ „Weil es gar nicht so gespielt war“, lautete seine schlichte Antwort, „es kommt meinem eigentlichen Selbst näher, als wenn ich dir die ganze Geschichte haarklein erzählt hätte. Und weil man sich keine richtigen Freunde macht, wenn die schon vorher wissen, dass man aus extrem guten Hause kommt. So ist es einfach besser, ehrlicher.“ „Hm …“ Irgendwo hatte er ja schon Recht. Wenn ich mit einem Schild herumlaufen würde, auf dem meine Masche steht, würde ich auch kein Land sehen. Trotzdem schmeckte es mir nicht, dass er diesen wichtigen Teil seines Lebens vor mir verheimlicht hatte. „Und?“, ergriff Gackt schließlich wieder das Wort. „Ist jetzt … alles klar zwischen uns?“ Dabei lächelte er mich hoffnungsvoll an und strich mit den Fingerspitzen sachte über meine linke Wange. „Weiß nicht … ich muss das erstmal sacken lassen, denke ich. Frag am besten morgen noch mal“, entgegnete ich, auch kurz ein mildes Lächeln aufflackern lassend, und schloss die Augen bald danach, als ich bemerkte, dass Gackt sich zu mir hinabbeugte. Ich ahnte schon was kommen würde und wurde nicht enttäuscht: Er platzierte einen Kuss auf meiner Stirn, so wie er es auch zuvor schon getan hatte. Diesmal rückte er aber nicht nach ein paar Augenblicken wieder komplett von mir ab, sondern verharrte still nur ein paar Zentimeter von mir entfernt, während seine Augen unruhig über mich hinweghuschten, mein Gesicht zu mustern schienen. „Was ist?“, fragte ich vorsichtig, weil ich seinen Blick nicht richtig deuten konnte. „Nichts“, murmelte Gackt leise und lächelte noch etwas breiter. „Gar nichts, nur … du.“ „Ich?“ „Ja.“ Und dann überbrückte er die Distanz, die uns trennte und küsste mich wieder. Erst auf die Nasenspitze, dann knapp über den Mundwinkel und schließlich direkt auf die Lippen. Gleichzeitig fanden seine Hände den Weg zu meinen Wangen und er drückte mich mit der Hüfte gegen das Steingeländer hinter mir. Ich war wie gefangen und doch fühlte ich mich wohl in dieser Lage. So wohl, dass ich die Arme um Gackts Taille schlang und mich selbst an ihn drückte. Ein Gefühl der Wärme breitete sich in meinem Bauch aus und erfüllte meinen ganzen Körper, bis ich die Hitze sogar in meinen Ohren spüren konnte. Wir küssten uns und küssten uns und küssten uns, ließen auch unsere Zungen mitspielen und änderten dabei immer wieder den Winkel, in dem wir unsere Lippen gegeneinanderdrückten. Wir setzten auch nicht ab, um einen tiefen Atemzug zu nehmen, sondern teilten uns das, was wir durch die Nase bekamen oder bei gelegentlichen Seufzern aufnahmen. Es war erstaunlich, wie sehr ich angefangen hatte, seine Küsse zu mögen. Es hätte auch ewig so weitergehen können, wäre da nicht das Räuspern gewesen. „Chrm, Entschuldigung“, kam es von der Tür, die wieder ins Haus führte, und als ich hinsah stand dort derjenige, der sich vorhin mit Gackt unterhalten hatte. You … wenn ich mich nicht täuschte. Er blickte uns verwirrt und gleichzeitig peinlich berührt an. „Ich wollte nur nach dir … nach euch … ich gehe wieder.“ „Kein Problem“, gluckste Gackt amüsiert, ließ mich dabei aber nicht los. „Verrat uns bitte nicht.“ „Äh … okay“, willigte You ein und drehte sich dann schnurstracks um, um uns wieder allein zu lassen. Als er weg war, wandte Gackt sich dann wieder mir zu, noch immer überaus amüsiert schmunzelnd. „Ist er nicht süß? Er schafft es aber auch immer wieder.“ „Was? Reinplatzen, wenn du mit jemandem knutschst?“ „Ganz genau. Und mich dann komisch angucken, weil ich ja überhaupt kein Liebesleben habe.“ „Er muss dich für die reinste Nonne halten“, kommentierte ich und lachte kurz auf. Die Vorstellung war einfach absurd. „Wer weiß“, meinte Gackt darauf schulterzuckend, setzte mir einen weiteren, diesmal aber wirklich nur sehr kurzen Kuss auf die Lippen, ehe er wieder zum Sprechen anhob: „Komm mit, ich zeig dir was.“ „Was denn?“ „Wirst du gleich sehen, vorher verrate ich dir nichts“, gab er sich weiterhin geheimnisvoll und zwinkerte mir zu, als er mich bei der Hand – zum Glück bei der richtigen, unbandagierten – nahm und wieder mit nach drinnen zog. Wir gingen aber nicht in die Richtung, aus der wir gekommen waren, sondern nahmen genau die gegenüberliegende Abzweigung. „Ohhh~ wie gemein“, schmollte ich gespielt und lief einen Schritt schneller, damit Gackt mich nicht so hinter sich herschleifen musste. Seine Reaktion darauf war ein Lächeln, ein Seitenblick und ein kleines Geständnis: „Weißt du, eigentlich ist es ganz gut, dass du jetzt hier bist und Bescheid weißt. Es ist … befreiend. Du bewahrst mich davor, mich auf dieser Party zu langweilen.“ „Du hattest doch schon You als Gesellschaft“, merkte ich einwendend an, auch wenn mir seine Worte sehr gefielen. „Ja, schon. Aber ich bin im Moment viel mehr in Hyde-Laune.“ „…“ Darauf konnte ich erst einmal nichts erwidern. Hyde-Laune … er zog mich seinem besten Freund vor. Das … das wärmte mir das Herz noch mehr und sorgte dafür, dass sich auf meinen Lippen ein Grinsen festsetzte, das ich (selbst wenn ich gewollt hätte) nicht hätte wegwischen können. Ich fühlte mich, als ob ich Achterbahn fuhr – wie Wellen schwappt die Freude durch dich hindurch und immer, wenn du denkst, dass es nicht höher geht, wirst du eines Besseren belehrt. Höher, schneller, atemberaubender. Und du willst absolut nicht, dass es vorbei ist – du fürchtest dich sogar davor. Auch meine Fahrt dauerte an. Und je länger es ging, desto mehr vergaß ich meinen Ärger von vorhin. Gackt führte mich durch ein Labyrinth aus Gängen und schien dabei selbst immer zu wissen, wo er sich befand, denn er schritt zielstrebig voran. Es ging eine Treppe nach oben, das wusste ich noch, aber dann bestand alles nur noch aus Gängen und irgendwann öffnete er eine edel aussehende Holztür und ließ mich zuerst eintreten. Erst dann folgte er und schloss die Tür hinter sich mit einem leisen Klicken, während er gleichzeitig das Licht einschaltete. „Willkommen in meinen Gemächern“, sagte er in einem feierlichen und vor allen Dingen übertriebenen Tonfall. Aber auf der anderen Seite war es vielleicht gar nicht mal so übertrieben. 'Gemächer' traf es wirklich ganz gut. Schließlich sollte das hier nur ein 'einzelnes' Zimmer sein und wirkte trotzdem wie ein halber Palast. Meine Wohnung war schon nicht von schlechten Eltern, aber das hier stellte sie dennoch in den Schatten. Die Einrichtung war sparsam gewählt, strahlte aber etwas Edles aus und harmonierte perfekt mit den Möbeln, die ich im Rest des Hauses gesehen hatte. Dass Gackt sein eigenes Zimmer nicht selbst eingerichtet hatte, war mir auf den ersten Blick klar, denn in seiner Winzwohnung sah es allein vom Stil her so komplett anders aus. Dort hatte er sich an weiß und einfachen Stoff gehalten, hier war alles aus dunklem Holz und Leder, hatte Parkett und wirkte eher wie das Arbeitszimmer eines Topmanagers einer Bank. Ich ging etwas weiter in den Raum hinein, ließ die breite und beinahe raumhohe Festerfront, die zu einem weiteren Balkon führte, links liegen und öffnete dann eine doppelflügelige Tür, hinter der sich der Schlafbereich befand. Und er hatte ein Bett! … Ja~ natürlich hatte er ein Bett, wir hatten alles eins, aber was für eines. Es war groß, protzig und die Bettwäsche sah schon von Weitem furchtbar teuer aus. Und das, während wir vor ein paar Wochen in seiner anderen Wohnung auf Futons genächtigt hatten. Ansonsten standen auch in diesem Raum nicht viele andere Möbelstücke – nur ein Beistelltischchen mit eingeschalteter Lampe, eine Kommode und ein Board mit Großbildfernseher und allerlei Hi-Tech-Geräten. Außerdem waren da noch ein Teppich, ein paar Bilder und zwei weitere Türen links und rechts neben dem Bett. Auf die rechte steuerte ich gerade zu, um zu sehen, was sich dahinter verbarg, als Gackt mir die Arbeit abnahm und ich mitten im Raum stehen blieb, als er plötzlich hinter mir zum Reden ansetzte: „Das ist das Bad. Und das andere ist der Kleiderschrank.“ Ich drehte mich um und sah ihn am Türrahmen lehnen, die Arme vor der Brust gekreuzt. „Scheint dir ziemlich zu gefallen.“ „Kann man wohl sagen“, bestätigte ich, änderte die Richtung und ließ mich auf der bequemen Matratze des Bettes wieder. „Dieses Haus ist der Wahnsinn und du musst noch nicht mal Miete zahlen. Ich mag meine Wohnung wirklich, aber mein Vermieter rückt mir regelmäßig auf die Pelle.“ „Hast du Probleme mit der Miete?“, fragte er gleich wieder in diesem besorgten Tonfall und gesellte sich zu mir, legte sich neben mich. Er nahm meine bandagierte Hand in seine und sah mir dann in die Augen. „Und die Rechnung von der Behandlung, steht die auch noch aus?“ „Hm … ich krieg das hin, ich bin ja schon groß.“ „Hyde, bitte. Wenn du Probleme hast, kannst du es mir ruhig sagen. Ich kann dir helfen, wenn du nur nicht so stur sein würdest. Es ist mir ernst.“ Die letzte Bemerkung hätte noch nicht einmal sein müssen. Ich konnte ihm von den Augen ablesen, dass er es genau so meinte, wie er es sagte. Ich wandte kurz den Kopf ab und blickte aus dem Fenster, wo ich ein Stück des halb wolkenverhangenen Mondes sehen konnte. „Hyde …“, rief mich Gackt wieder, weil ich nicht antwortete, legte ein Hand auf meine Wange und drehte mein Gesicht wieder zu sich. „Also gut, wenn es dir so wichtig ist“, gab ich nach und spürte, wie meine Mundwinkel sich ganz automatisch nach oben bogen und mein Gesicht wieder heiß wurde. „Danke, das ist wirklich …“ Ich fand keine Worte für das, was es wirklich war. Ich wusste nur, dass ich ihm überaus dankbar war, noch mehr als Aki vorgestern im Krankenhaus. Aber zu Aki hatte ich auch eine ganz andere Bindung, obwohl ich ihn länger und besser kannte. Nicht so … tief, sondern eher gleichmäßig und glatt. Das hier fühlte sich an wie ein Dolchstoß direkt in mein Innerstes hinein. Diese Gedanken strömten durch meinen Kopf, während meine Blicke von Gackts Augen zu seinen Lippen hinunterrutschten. Diese vollen, wohlgeformten Lippen, die dich um den Verstand bringen konnten, wenn sie dich küssten. Und ehe ich mich versah, küsste ich genau diese Lippen, so hypnotisierend und verführerisch waren sie. Gackt ließ sich natürlich auch nicht lumpen, sondern erwiderte den Kuss sofort und zog mich an sich. Im Prinzip machten wir da weiter, wo uns You vorhin unterbrochen hatte – mit dem kleinen Unterschied, dass es hier ein ganzes Stück bequemer war als auf dem Balkon. Das konnte schon verleiteten. Und das tat es auch, denn Gackt schlang einen Arm um meine Taille und drehte sich ein wenig, sodass ich halb auf ihm saß. Das brachte mich in eine noch bessere Position, da ich mich nun nirgendwo mehr abstützen musste und (mehr oder minder) beide Hände frei hatte, mit denen ich anderweitig aktiv werden konnte. Ich zog ihn ganz einfach aus – erst das Jackett, dann die Weste, öffnete auch Hemd und Hose. Es bedurfte allerdings etwas mehr Fummelei, da ich meine linke Hand nicht so benutzen konnte, wie ich es gern gewollt hätte. Doch die Schmerzen vergingen schnell, als Gackt nach meinem Unterarm griff und einige sanfte Küsse auf den Verband, der um mein Handgelenk gewickelt war, pflanzte. „Hab ich dir schon gesagt, wie sexy du in dem Anzug aussiehst?“, murmelte er dazwischen leise. Er wusste es wahrscheinlich selbst am besten, aber trotzdem antwortete ich mit einem schlichten: „Nein.“ „Zu schade. Du siehst in dem Anzug echt sexy aus.“ „Und gleich kommt er auch schon wieder runter.“ „Hm … Recht hast du.“ Hinter mir konnte ich zwei dumpfe Schläge hören, als Gackt sich selbst die Schuhe von den Füßen gestreift hatte, während auch er damit beschäftigt war, mich zu entkleiden. Unter zahlreichen Küssen und Seufzern entledigten wir uns gegenseitig unserer Klamotten, rollten dabei über das ganze Bett und sahen uns immer und immer wieder an. Gackts unverwandter Blick, sein sanftes Lächeln und seine federleichten Berührungen in diesen Momenten brannten sich in mein Gedächtnis ein, sodass ich sie nie wieder würde vergessen können – das wusste ich schon jetzt. Er strich mir durchs Haar, klemmte eine störende Strähne hinter mein Ohr und ließ seine Hand auf meiner Wange verweilen. Ich schmiegte mich gegen seine Handfläche, küsste seinen Daumen und und genoss einfach nur – genoss die Zärtlichkeiten, die Wärme, seinen Körper, der mich auf die Matratze drückte, und ihn. „Gackt, Gacchan …“, murmelte ich und versank in dem tiefen Strudel aus Wohlgefallen, den wir miteinander teilten. Als ich wieder auftauchte, fühlte ich mich etwas erschöpft, aber gleichzeitig rundherum zufrieden. Und ich dachte nicht im Traum daran, mich jetzt auch nur einen Millimeter von hier wegzubewegen – weder aus diesem Bett noch aus der Umarmung, in der Gackt mich hielt. Er klebte förmlich an mir, aber es war mir durchaus recht, seine Nase in meinem Haar, seinen Atem auf meiner Wange und seinen Herzschlag unter meinen Fingerspitzen zu spüren. Ich genoss es und um ehrlich zu sein, hätte es mich noch nicht einmal gestört, wenn Gackt noch ein paar Arme mehr gehabt hätte. Denn dann hätte er auch über mehr Hände verfügt, mit denen er mich überall berühren konnte. Und ich wollte ihn noch mehr berühren, über seine Haut streichen, auch wenn mir zwei vollkommen genügten, um jemandem den Kopf zu verdrehen. Ich lehnte mich etwas nach hinten, öffnete träge die Augen und bemerkte, dass er mich bereits anblickte. Und ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Für gewöhnlich leierte ich mir irgendeine halbwegs geschmeichelte Bemerkung aus dem Kreuz und nutzte dann die erstbeste Gelegenheit, um wieder verschwinden zu können. Aber hier und heute wollte ich nicht gleich wieder abhauen und darin war ich furchtbar aus der Übung. Es war Jahre her, dass ich zuletzt mit einer Person geschlafen hatte, die mir nicht weitgehend gleichgültig war. Dementsprechend fühlte ich mich auch – nämlich mehr oder weniger planlos. Also entschloss ich mich dazu, erst einmal den Mund zu halten, ehe ich noch in irgendein Fettnäpfchen trat, das Gackt mir dann ewig vorhalten würde. Ich konzentrierte mich viel lieber auf seine Haut unter meinen Fingerspitzen, die weich und frei von größeren Makeln war. Knapp unter der rechten Schulter hatte er zwar einen Leberfleck, aber ansonsten war alles glatt. Und auch ich hatte keine Spuren hinterlassen. „Keine blauen Flecken diesmal“, murmelte ich und erinnerte mich unwillkürlich an unsere letzte Nacht. Dabei musste ich ziemlich bescheuert gegrinst haben, denn obwohl es nur eine profane Bemerkung gewesen war, lachte Gackt erst einmal. „Ja“, setzte er schließlich fort, „ich hab mich auch zusammengerissen. Sieht nicht so schlimm aus wie beim letzten Mal.“ Auf seine Bemerkung hin riskierte ich selbst einen Blick auf meine Oberarme und Schultern, die er einige Zeit zuvor mit Kratzern und Druckstellen nur so übersät hatte. Davon waren zwar noch immer ein paar leichte Spuren zu sehen, aber neue waren tatsächlich nicht hinzugekommen, soweit ich das erkennen konnte. Und ich ließ mich auch zu einem Konter hinreißen: „Dein Glück, dass es sich in Grenzen hält.“ „Und wenn da mehr wären?“ „Dann wäre es genau dasselbe wie vor ein paar Wochen“, antwortete ich auf die Tour einsteigend. Mein Ton war locker, klang wie selbstverständlich und gleichzeitig belustigt. Doch die nächste Bemerkung hätte ich mir verkneifen sollen. „Ich würde dich dafür verantwortlich machen, dass ich mich erstmal nirgendwo mehr blicken lassen kann. Aber diesmal müsstest du schon ein bisschen mehr tun als nur für mich zu kochen, damit ich dir verzeihe.“ Ich merkte nicht genau, was ich da sagte, nahm es nicht für voll. Die Bestrafung folgte zwar auf dem Fuße, aber auch das realisierte ich erst später – viel zu spät, denn … „…“ Schweigen. Und Gackts Blick verdunkelte sich etwas. „Keine schnippische Antwort?“, wunderte ich mich, eine Augenbraue nach oben ziehend. „Das ist ja mal was ganz Neues.“ Wie gesagt, ich merkte absolut nichts, war wohl noch viel zu sehr in Hochstimmung, als dass mich etwas hätte aus der Ruhe bringen können. Aber wer sollte es mir verübeln? Nun, Gackt tat es: „Äh … nein. Ich frage mich nur, ob du das ernst meinst.“ „Hm …“ Das gab mir etwas zu denken. Meinte ich es ernst? Ganz unwahr war es natürlich tatsächlich nicht. Und- Aber da redete er schon weiter: „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass du dir immer noch Gedanken darüber machst, was deine … Lover von dir halten könnten.“ „Na ja.“ Jetzt, wo er es ansprach. „Warum auch nicht?“, entgegnete ich wahrheitsgemäß. „Weil ich dachte, dass du jetzt damit aufhörst.“ „Wieso sollte ich?“ „Du merkst es echt nicht“, sagte er und ließ mich los, rutschte sogar ein Stück von mir weg. Und mit ihm wich die Wärme, auch bei mir. „Was denn?!“, blaffte ich ihn fast schon an, „du weißt doch, wie ich dazu stehe und dass es meine Lebensgrundlage ist.“ „Wie wäre es mit einem richtigen Job?“ „Das weißt du auch: Es ist nichts für mich.“ „Ja, immer nur die Ausrede und auch immer nur der eigene Sinn! Genau deshalb siehst du es nicht, wenn …“ Er seufzte und schüttelte den Kopf. Ich konnte sehen, dass er sich anstrengen musste, um ruhig zu bleiben. „Vergiss es. Schwing deinen Hintern aus dem Bett und zieh dich an, ich bring dich runter.“ „Du bist doch jetzt nicht etwa beleidigt? Das hatten wir doch schon, Gackt.“ Und auch mein Herz schlug wieder schneller, wenn diesmal auch aus einem anderen Grund. Ich verstand nicht, wieso er sich schon wieder wegen dieses leidigen Themas aufregen konnte, wieso er es so persönlich nahm und wieso es so plötzlich kam, nachdem bis vor einer Sekunde noch alles in Ordnung gewesen war. Aber seine Worte machten mir auch etwas Angst – es gefiel mir überhaupt nicht, was hier gerade ablief. „Ja, das hatten wir schon und ich hab keinen Bock drauf. Also los, raus“, forderte er mich noch einmal auf, während er selbst aufstand, seine Hose und Unterhose vom Boden auflas und in beides hineinschlüpfte. Dabei kehrte er mir den Rücken zu, sodass ich sein Gesicht nicht sah. Einen einzelnen tiefen Atemzug konnte ich dennoch nicht überhören. „Gackt …“, hob ich an, kam aber nicht zu mehr. „Es ist mein Ernst“, fuhr er mir dazwischen, in einem bitterkalten Tonfall, „raus!“ tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ Party!!! Und offensichtlich lieben Hyde alle - alle bis auf Gackt. Ouw~ was ist das nur für ein Scheibenkleister, in dem er da jetzt steckt? Und wie kommt er da wieder raus? Lässt Gackt sich besänftigen oder zieht er tatsächlich knallhart durch und setzt Hyde vor die Tür? Wie kommt er überhaupt darauf, wo es doch eben noch so toll lief? Fragen über Fragen, mit denen ich euch jetzt allein lasse >3 Es gibt nur noch ne kleine Info am Rande: Dieses Kapitel war für mich besonder wichtig. Einseits wegen der Handlung, weil's eben jetzt erst richtig losgeht, und andererseits dachte ich mir ab diesem Zeitpunkt immer: Jetzt bist du schon so weit gekommen, aufhören ist nicht mehr drin. Die Fic musst du zu Ende kriegen! Und da ist sie nun ja endlich auch :3 Kapitel 9: You don't belong to me/ I don't belong to you -------------------------------------------------------- „Und mit dir ist wirklich alles in Ordnung? Die Party ist schon drei Tage her und du hast dich nicht gemeldet.“ „Klar doch, Aki. Alles in Butter“, versicherte ich ihm in einem bemüht normal klingenden Tonfall und war gleichzeitig froh, dass das hier kein Videotelefonat war. „Ist nur nicht so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt hatte.“ „Was war denn? Ich hab dich irgendwann nicht mehr gesehen und dachte, du hättest dir jemanden geschnappt.“ „Oh … ja, da gab es jemanden“, gab ich zu und erzählte wenigstens ein bisschen von der Wahrheit, „es lief auch was, aber das Ende war ein Desaster.“ „Ach, daher weht der Wind. Nimm es einfach nicht so schwer, Hyde“, versuchte Aki mich aufzumuntern, „wer auch immer es war hat einfach keine Ahnung, was er verpasst.“ „Ja, er war ein Vollidiot“, ich rang mir mit einem vergnügten Unterton ab, lächelte wahrscheinlich dabei sogar, aber ich wusste gleichzeitig, dass ich damit niemandem etwas hätte vormachen können, hätte er mir gegenübergestanden. „Beim nächsten Mal wird es sicher besser.“ „Richtig so, nur nicht aufgeben!“ „Klar … dann bis bald, okay?“ „Okay.“ „Und viel Spaß mit Rika-chan heute Abend.“ „Danke dir. Tschüss.“ „Ja … tschüss.“ Ich wartete noch ein paar Sekunden, bis ich ein Klicken in der Leitung hörte, ehe ich selbst auflegte. Mein Handy warf ich dann gleich aufs Bett und stieß einen tiefen Seufzer aus. Er hatte mich nicht durchschaut, er hatte mir geglaubt – ich war ja auch gut genug darin, anderen etwas vorzugaukeln, sonst stünde ich jetzt nicht dort, wo ich eben war. Und doch nützte mir das jetzt rein gar nichts. Wie Aki gesagt hatte: Die Party war bereits drei Tage her – und seitdem war alles bergab gegangen. Nachdem Gackt mich unsanft, wenn auch dezent, rausgeworfen hatte. Ohne auch nur ein Wort mit mir zu wechseln hatte er mich abermals durch das Labyrinth aus Fluren geführt, dabei allerdings einen großen Bogen um die Räume gemacht, in denen die Feier stattfand, und mich schließlich am Seiteneingang vor die Tür gesetzt. Da hatte er dann doch noch etwas zu mir gesagt: „Verschwinde, lass mich in Ruhe! Und denk bloß nicht, dass ich noch ein einziges Wort mit dir wechseln werde!“; bevor er die Tür direkt vor meiner Nase zugeknallt hatte. Ich war dann gegangen, aber nicht mit jemandem, wie ich es Aki gerade erzählt hatte, sondern allein und ziemlich ahnungslos, was den Grund anging. So schlecht wie der Abend zum Ende hin gelaufen war, fühlte ich mich dann auch. Dieses Gefühl war auch am nächsten Tag nicht weggegangen, sodass ich um fünf Uhr nachmittags den Weg zur Bar einschlagen hatte. Ich betrat den Raum, dessen Fenster um diese Uhrzeit noch nicht zugezogen waren und stattdessen strahlendsten Sonnenschein hineinließen. Doch auch davon bekam man nicht viel mit, wenn man sich in den hinteren Teil begab, wo die Barkeeper arbeiteten und den Gästen, von denen gerade nicht viele da waren, ihre Getränke ausschenkten. Und das war nun mal mein Ziel. Was ich eigentlich vorhatte, wusste ich selbst noch nicht genau. Erst einmal musste ich schauen, ob Gackt überhaupt da war, und wenn ja, dann … dann würde ich irgendetwas tun, damit es zwischen uns wieder besser wurde … und das, nachdem wir gestern Abend erst alles geklärt hatten. Wenn er nicht da war, müsste ich unverrichteter Dinge wieder abziehen. Doch ich hatte ziemliches Glück, denn kaum, dass ich mich an die leere Theke gesetzt hatte, kam genau die Person von unten hoch, die ich sehen wollte. Wahrscheinlich hatte er irgendwas am Boden gesucht. „Hi“, sagte ich optimistisch und lächelte ihn dabei leicht an. Seine Begrüßung hingegen ließ sehr zu wünschen übrig, denn sie bestand aus einem abfällig klingenden Grunzen. Nach einer Weile sah ich ein, dass ich wohl noch mal an der Reihe war, das Gespräch fortzuführen, denn Gackt machte auch einige qualvoll lange Sekunden danach keine Anstalten, irgendetwas sagen zu wollen. Vielmehr wich er mir aus und sah sich sogar um, als würde er verzweifelt nach einer Tätigkeit suchen, um nicht mit mir reden zu müssen. Eigentlich hätte ich jetzt einen Witz darüber machen können, dass er doch nicht so schüchtern sein müsste und dass ich ihn schon nicht beißen würde. Ich entschied mich angesichts des gestrigen Abends aber für etwas anderes – etwas, das mich selbst ziemlich bedrückte: „Du scheinst nicht glücklich über meinen Besuch zu sein?“ „Wie hast du das nur erraten?“, waren dann endlich seine ersten Worte. Und ich freute mich über sie, auch wenn sie reichlich bissig klangen und der Blick, den er mir kurz zuwarf, alles andere als fröhlich aussah. Aber zumindest redete er mit mir und ignorierte mich nicht komplett. Vielleicht konnten wir jetzt alles wieder einrenken. „Hör mal“, setzte ich dann auch gleich zu meinen Erklärungen an, die wohl größtenteils aus dem bestehen würden, was ich ihm auch gestern schon gesagt hatte. Nur wollte ich ihm diesmal wirklich verständlich machen, dass ich ihn keineswegs als einen von meinen Gönnern sah. Dazu kam es allerdings nicht, da Gackt mir nicht viel mehr zugestand. „Ich weiß nicht, wie-“ „Hör du mir jetzt mal zu“, fiel er mir einfach ins Wort, sich dabei nach vorn auf die Arbeitsfläche lehnend, „und hör gut zu: Ich will nicht wissen, was du mir noch zu sagen hast. Es kann auf alle Fälle nicht besser sein als der Bullshit, den du gestern von dir gegeben hast. Ich glaube also kaum, dass du mir was erzählen kannst, was ich nicht schon weiß. Oder was ich mir nicht selbst zusammenreimen kann. Ich bin nicht dumm, Hyde, ich habe verstanden, auf was du aus bist, und da mache ich einfach nicht mit. Ganz besonders jetzt nicht mehr und nach dem, was gestern war. Vergiss es also am besten gleich wieder.“ Er redete ohne Pause und sah mich dabei die ganze Zeit finster aus totblauen Augen an. Seine Augenbrauen rutschten in der Mitte immer weiter zusammen, bis sich eine Zornesfalte zwischen ihnen abzeichnete. Je tiefer diese wurde, desto mehr schwand die Hoffnung, die vorhin erst in mir aufgekeimt war, und desto mulmiger wurde mir zumute. Mit jedem seiner Worte schlug mein Herz schneller und heftiger – irgendwann konnte ich es sogar in meiner Kehle spüren und mir wurde beinahe schlecht davon. Es war ein Gefühl, das mir noch nie zuvor begegnet war und das ich auch nicht benennen konnte. Als er geendet hatte, richtete er sich zu seiner vollen Größe auf, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte mich weiterhin wütend an. Scheinbar wartete er darauf, dass ich seine ganzen Vorwürfe herunterschluckte und mich verabschiedete. Aber ganz so kampflos wollte ich nicht vom Feld ziehen. Ich schluckte tatsächlich alles herunter, doch als ich den Mund aufmachte, kam kein Wort zum Abschied heraus, sondern eine Antwort auf das, was er eben gesagt hatte: „Ich denke nicht, dass du alles verstanden hast. Wenn du denkst, dass ich nur auf die Kohle von dir und deiner Familie aus bin, dann irrst du dich. Du bist ein echter Freund für mich. Eben nur einer, mit dem ich schon mehrmals geschlafen habe. Aber das spielt überhaupt keine Rolle für mich, weil …“ Weil er mir gut tat und ich mich in seiner Gegenwart pudelwohl fühlte, auch wenn ich anfangs nie gedacht hätte, dass er mir so ans Herz wachsen würde. Das war, was ich wirklich fühlte. Ich wollte es nur nicht so kitschig formulieren, sonst dachte er am Ende noch, dass ich nicht aufrichtig war und ihn nur – ganz nach meiner Masche – einwickeln wollte, indem ich ihn einlullte. Meine Suche nach den richtigen Worten dauerte Gackt aber offensichtlich etwas zu lange, denn er schüttelte den Kopf und sagte dann wieder etwas ruhiger: „Spar dir den Rest, du wirst meinen Punkt sowieso niemals kapieren. Und das mit den Freunden wird auch nichts, wir passen einfach nicht zueinander. Geh also lieber nach Hause oder zu einem Date oder wohin auch immer du willst, solange du mich in Ruhe lässt. Du gehst mich nichts mehr an, Hyde.“ „Aber warum?“, fragte ich, seinem 'Vorschlag' damit widersprechend. „Geh einfach“, lautete seine knappe Antwort, ehe er sich wegdrehte und auf eine Tür zusteuerte, auf der 'Nur Personal' stand. Unterwegs kam ihm einer seiner Kollegen entgegen, der mich ab und an schon bedient hatte, wenn Gackt beschäftigt gewesen war. In seinem Gesicht konnte ich Verwirrung erkennen, als er mich erblickte, der ich da einsam herumsaß und eigentlich bedient werden müsste. „Gackt, da ist ein Gast“, machte er seinen Kollegen auf diesen Umstand aufmerksam. „Nicht für mich. Der geht auch gleich wieder“, waren die letzten Worte, die ich von ihm hörte. Ich hatte nach unserem kurzen Gespräch noch eine ganze Weile gewartet, aber Gackt war nicht wiedergekommen. Reichlich niedergeschlagen, noch immer unwissend und vor allen Dingen mit einem tauben Gefühl in der Magengegend war ich dann irgendwann doch gegangen, gerade rechtzeitig, bevor die nächsten richtigen Gäste gekommen waren und sich lachend und scherzend dort niederließen, wo ich ein paar Augenblicken zuvor noch gesessen hatte – die Sitzfläche konnte noch nicht einmal abgekühlt sein. Seit diesem Tag verbarrikadierte ich mich wieder in meiner Wohnung, um zu lesen, mir Filme anzusehen, mich vor die Konsole zu setzten, mal wieder ordentlich durchzuputzen und bei der Gelegenheit vielleicht auch gleich das Wohnzimmer etwas umzuräumen – so zumindest der Plan, die Realität sah ziemlich anders aus. Ich erwischte mich beim Lesen oft dabei, dass ich die Worte zwar las, sie aber nicht in mich aufnahm und so im Grunde gar nicht mitbekam, was ich da eigentlich las. Beim Fernsehen lief es ähnlich ab und auf Videospiele und putzen hatte ich gleich gar keine Lust. So endete ich meistens in meinem Bett oder auf meiner Couch, das tuend, was ich auch mit einem Buch in der Hand oder vor dem Fernseher tat: Ich dachte über Gackt nach. Nur ins Krankenhaus ging ich noch einmal, um mein Handgelenk untersuchen zu lassen. Doch auch dort dachte ich nach. Über das, was Gackt zu mir gesagt hatte, und auch über den Effekt, den seine Worte auf mich hatten. Eigentlich hatte das schon auf dem Weg von der Bar in meine Wohnung angefangen. Ich hatte mir ein Taxi genommen und obwohl der Fahrer versucht hatte, ein wenig Smalltalk zu betreiben, hatte ich kaum auf ihn reagiert. Stattdessen hatte ich nur aus dem Fenster geschaut, wo das hektische Gewühl der Großstadt an mir vorbeigezogen war, nichts Besonderes also. Meine Gedanken waren ohnehin ganz weit weg gewesen. Mittlerweile war mir ziemlich klar, was es für ein Gefühl war, das ich damals noch nicht hatte benennen können: Es war Verlustangst und ich verspürte sie noch immer. In mir lieferte sich diese Furcht einen erbitterten Kampf mit der Hoffnung, dass Gackt doch noch irgendwann einwenden und zumindest wieder mit mir sprechen würde. Es war schrecklich und wahrscheinlich der Grund für meine Lethargie. Ich zermarterte mir auch das Hirn, um eine Lösung aus diesem Dilemma zu finden. Mein Verstand sagte mir ganz genau, dass Gackt es vollkommen ernst gemeint hatte und es keine Hoffnung mehr auf Besserung gab. Und auch obwohl ich zu keiner Lösung kam, konnte ich einfach nicht aufhören und mich mit den Tatsachen abfinden. Mein Gefühl sagte mir, dass ich das nicht durfte. Also dachte ich auch weiterhin darüber nach, was ihn so hatte reagieren lassen, aber – Herrgott nochmal, es war doch kindisch, wenn er mir böse war, weil ich mein Leben so führte, wie ich es eben tat. Ja, ich verbrachte meine Zeit reichen und meist älteren Männern und Frauen und schlief auch mit ihnen, um selbst Vorteile daraus zu schöpfen. Und das wusste er! Ich hatte schon lange so gelebt, ehe ich ihn kennengelernt hatte. Nur weil er mein Leben für unmoralisch und verwerflich hielt, musste er sich nicht so aufführen. Ich hatte ihm nie einen Grund dafür gegeben, zu denken, ich würde das auch mit ihm abziehen. Schließlich hatte ich aus freien Stücken mit ihm geschlafen, ohne irgendetwas als Gegenleistung zu erwarten. Was ich sonst tat, ging ihn nichts an, und wenn er etwas in den falschen Hals bekam, war das nun wirklich sein Problem! Es war meine Vergangenheit und die ließ sich nicht so einfach ändern oder ausblenden. Doch ganz überzeugt war ich da selbst nicht. Das Gefühl hatte eindeutig die Oberhand über meine sachliche und abgeklärte Seite genommen und erstickte auch den kleinsten Funken Rationalität im Keim, sodass dieser gar nicht wachsen und aufgehen konnte. In einigen wenigen Momenten sagte ich mir zwar, dass ich Gackt nicht zwingend brauchte, dass er nur eine Beschäftigung für langweilige Momente gewesen war und er meinetwegen bleiben konnte, wo der Pfeffer wuchs, aber ich wusste eigentlich ganz genau, dass das nicht die Wahrheit war. So auch, als ich irgendwann doch wieder einmal aus meiner Wohnung kam und ausging. Ich feierte an einem der üblichen Orte, inmitten der üblichen Verdächtigen, der Abend war im Großen und Ganzen nicht das, was man unter 'außergewöhnlich' verbuchen konnte – und doch ging da etwas gehörig schief. Ich ging in eine Bar für Gäste aus gehobeneren Schichten, in die man nur hineinkam, wenn man entweder Mitglied in irgendeinem der High-Society-Clubs war oder wenn man Vitamin B vorweisen konnte. Auf mich traf natürlich nur Letzteres zu, das andere könnte ich mir ja erst leisten, wenn ich mal einen wirklich dicken Fisch an Land zog, der mich dann auch noch bis an mein Lebensende aushielt. Na ja, es reichte eben auch schon aus, wenn man mit diversen gut betuchten Leuten so oft hier war, dass man als Stammgast angesehen wurde. Dabei hätte es natürlich auch so kommen können, dass man mich abwies, weil ich heute nicht die Begleitung von jemandem war, der hier offiziell Zutritt hatte. Die Türsteher waren schließlich auch nicht dumm und bemerkten irgendwann, wer hier eigentlich die dicke Brieftasche hatte und wer nicht. Zwar hatte ich Aki gefragt, ob er mit auf die Piste gehen wollte, aber er hatte mir erst einmal eine Absage erteilt, weil seine Eltern heute Abend irgendetwas für den guten Zweck veranstalteten und er als Mitglied der Familie präsent sein sollte. Vielleicht später, hatte er gesagt. Eine weitere Enttäuschung, die ich hatte wegstecken müssen. Aber es lief alles glatt, ich kam rein und solange ich mich nicht danebenbenahm, schmissen die mich auch nicht so einfach wieder raus. Da ich heute allerdings eben kein Date hatte, mich aber trotzdem amüsieren wollte, würde ich dafür unbedingt noch sorgen müssen. Sonst hätte ich ja gleich Zuhause bleiben können … oder ich könnte Aki fragen, ob er sich nicht doch jetzt schon von seinen Eltern und deren Charity-Veranstaltung loseisen konnte. Hm … schwierig … nein, ich würde es erst einmal allein probieren. Meine kleine Gackt-Episode war schließlich kein Grund, gleich auf die Selbstständigkeit eines Kleinkindes herabzusinken! Ich war bisher glänzend zurechtgekommen und das würde sich nur wegen ihm auch nicht so einfach ändern. Ich warf einen suchenden Blick durch den Raum, während ich zu einem kleinen, runden Tisch für zwei geleitet und dort mit einer Karte allein gelassen wurde. Sonderlich berauschend war das Ergebnis nicht, denn soweit ich es erkennen konnte, waren hier ausschließlich feste Paare oder Gruppen: Frauenrunden, Geschäftspartner, die auf den kürzlich erzielten Erfolg anstießen, Verheiratete – die Ausnahme davon waren zwei oder drei junge Menschen, von denen ich mir sicher war, dass sie haargenau dasselbe Ziel verfolgten wie ich. Und wenn ich damit richtig lag, dann brauchte ich mein Glück dort erst gar nicht versuchen, denn keiner von uns würde einen dicken Fang freiwillig für irgendetwas anderes als den Tod der eigenen Mutter wieder loslassen. Nun ja, die fielen also weg und die Jüngsten von dem verbliebenen Rest schätzte ich auf Mitte bis Ende 30. Hmpf, nicht unbedingt das, was mir heute Spaß machen würde und ich war schon dabei, mir selbst das Limit einer halben Stunde zu setzen, ehe ich Aki doch anrufen und ihn herbitten würde, um doch noch einen guten Abend herauszuholen. Doch noch bevor ich das tun konnte, erledigte dieser Plan sich von selbst. Nur anders, als ich es gedacht hätte. „Guten Abend, mein Herr“, sprach mich der junge Kerl an und machte eine angedeutete Verbeugung, „haben Sie schon einen Wunsch?“ Ich wusste nicht, was genau mir das Hirn so dermaßen vernebeln konnte, aber als er mich das fragte, tat ich tatsächlich etwas mehr, als ihm meinen Wunsch gelangweilt zu nennen: Ich sah ihn erst einmal an. Normalerweise nahm ich das Personal von Bars, Restaurants, Cafés und so weiter noch nicht einmal annähernd wahr. Wollte man mir weismachen, ich hätte an einem Abend fünf verschiedene Bedienungen gehabt, obwohl es immer ein und dieselbe gewesen war, ich würde es glauben. Wenn mir nicht selbst etwas auffiel, dann wunderte ich mich eher selten. Aber heute schaute ich den jungen Kellner bewusst an, auch wenn er von vorne ziemlich durchschnittlich aussah – japanisch eben, dunkle Augen, dunkle Haare, blabla. Das war absolut nichts Außergewöhnliches an ihm, wie zum Beispiel farbige Kontaktlinsen, Ohrstecker, Piercings oder auch nur irgendein anderes Anzeichen von Schmuck. Na ja, vielleicht durfte er das hier auch gar nicht tragen und verzichtete deshalb darauf. Die einzige Verzierung war an seiner Weste: Mit Goldfaden war knapp über der Brusttasche sein Name eingestickt. Miyamoto, Shinya hieß er. Hatte das Personal hier schon immer solche Westen getragen oder war das neu? Ich konnte es beim besten Willen nicht mehr sagen. Und genauso wenig konnte ich sagen, ob er mich nicht schon einmal bedient hatte. In meinem Gedächtnis fanden sich lediglich die zwei Türsteher und der Rezeptionist, der die Plätze zuwies, aber sonst war da gähnende Leere. „Ich nehme erst mal einen Sake“, antwortete ich schließlich und klappte die Karte zu, ehe ich sie ihm reichte. Ein kurzer Blick hatte genügt, um zu wissen, dass das Standartangebot an Getränken noch immer vorhanden war, und deshalb würde ich sie nicht weiter brauchen. Als der Kellner seinen Arm ausstreckte, um sie mir abzunehmen, konnte ich dann auch sehen, dass er doch etwas Schmuck trug: An seinem Handgelenk hing ein silbernes Kettchen, das aber fast sofort wieder unter dem Ärmel verschwand, als sich der junge Mann wieder aufrecht hinstellte. Es erinnerte mich an das Armband, das mir bei meiner ersten Begegnung mit Gackt an ihm aufgefallen war – das Armband mit der Münze, die übrigens eine dänische Krone war, wie er mir irgendwann einmal erklärt hatte. Ich verjagte den Gedanken daran so schnell wie möglich. „Sehr wohl“, entgegnete er noch und machte sich dann auf den Rückweg zur Bar, um dort meine Bestellung durchzugeben. Und ich? Ich nahm die Gelegenheit wahr, um einen Blick auf seine Kehrseite riskieren zu können. Sie war gar nicht mal schlecht. Zwar hatte ich schon bessere gesehen, aber trotzdem: gar nicht mal schlecht. Während ich darauf wartete, dass er mit meinem Drink zurückkam, warf ich noch einen Blick in die Runde, erhoffte mir aber nicht viel davon. Es wäre schon wirklich erstaunlich gewesen, wenn sich die Situation innerhalb der letzten zehn Minuten plötzlich ins Gegenteil verkehrt und die Bar sich von einer Sekunde auf die andere mit potenziellen Gönnern gefüllt hätte. Nein, es waren exakt vier Gäste dazugekommen: zwei Frauen und zwei Männer, die alle am selben Tisch Platz nahmen und offensichtlich befreundete Pärchen waren, die gemeinsam irgendetwas feierten. Zumindest sah es danach aus, aber ich hatte gelernt, den kleinen Anzeichen zu vertrauen. Dass sich die Situation damit aber schlagartig änderte, realisierte ich in diesem Moment aber gar nicht richtig. Ich folgte einfach nur einem verdrehten Instinkt, der da gerade in mir aufkeimte und so richtig ans Licht brach, als der Kellner, Miyamoto, mit einem Tablett an meinen Tisch zurückkehrte. „Entschuldigung“, hielt ich ihn auf, als er sich gerade wieder umwenden wollte, „darf ich Ihnen eine Frage stellen?“ „Uhm“, stutzte er kurz, stimmte dann aber doch noch zu, „natürlich.“ „Was trinken Sie gern?“ „Wie meinen Sie?“ „Was Sie gerne trinken. Ich kann mich nicht entscheiden; da dachte ich mir, ich fragte jemanden, der sich hier auskennt. Also: Was trinken Sie gern?“ „Ach so … in diesem Falle kann ich Ihnen den Strawberry Crush empfehlen, das ist die Spezialität unseres-“ „Und trinken Sie den auch gern?“, hakte ich nach. Ich hatte ganz genau auf seine Wortwahl geachtet und wenn er schon anfing, mir die Spezialität des Hauses andrehen zu wollen, dann war das eindeutig gegen die Spielregeln. „Ich …“, stammelte der Kellner herum und überlegte sich sicherlich, wie er sich am besten verhalten sollte, um seinen Gast zufriedenzustellen und dabei auch dem Haus noch zu nützen. Seine Entscheidung fiel dann wie folgt aus: „Ich habe eine Erdbeerallergie.“ „Dann wird es der wohl nicht sein, den Sie bevorzugen“, schlussfolgerte ich mit dem leichten Anflug eines Grinsens. „Nein, ich habe den Cherry Kiss lieber“, gab Miyamoto Shinya schließlich zu. „Dann nehme ich einen von denen“, orderte ich schließlich, griff anschließend zu dem Sakeglas und leerte es in einem Zug, um es ihm umgehend wieder zurückzugeben. „S-sehr wohl“, antwortete er wieder, wie es ihm wahrscheinlich eingebläut worden war, jedoch brachte er es nicht ganz gerade heraus. Er war verwundert. Wunderbar. Und so machte ich den Abend über weiter: Ich bestellte brav weitere Drinks – sowohl alkoholische als auch alkoholfreie – fragte ihn dabei die ein oder anderen kleinen Dinge und ließ meinen Charme spielen. Es wurde spät, viele Gäste gingen und nur noch ein paar einzelne kamen hinzu. Miyamoto Shinya hatte nun kaum noch etwas zu tun und ließ sich irgendwann auch dazu überreden, sich zu mir zu setzen, während sich seine anderen Kollegen um die verbliebenen Gäste kümmerten oder sich langweilten. Eine Bedingung stellte er jedoch: „Ich muss aber ab und zu Bestellungen aufnehmen.“ „Lass das mal meine Sorge sein“, entgegnete ich locker und stützte mich dabei mit dem Ellenbogen auf dem Tisch ab. Zuvor hatte ich ihn zwei Ginger Ale bringen lassen, denn das mochte er. Dies aus ihm herauszubekommen hatte genauso lange gedauert wie die Sache mit dem Cherry Kiss. „Danke übrigens, für den Tipp mit dem Cocktail. Er war wirklich sehr gut.“ „Kein Problem“, lautete seine immer noch etwas reservierte Antwort, doch verglichen mit seinen Reaktionen vom Anfang des Abends war er mittlerweile schon sichtlich aufgetaut. „Ich hatte nur gedacht, dass Sie sich … dass Sie wissen, was Sie bestellen wollen. Sie waren doch schon öfter hier und ich dachte …“ Oha, er hatte mich also bemerkt. Da hatte er mir schon mal etwas voraus. Aber das würde am Ausgang des Abends auch nichts ändern. Ich konnte mir ohnehin schon vorstellen, was er in diesen Momenten von mir gehalten hatte – und Angriff war bekanntlich die beste Verteidigung. So auch hier. „Da haben Sie mich erwischt“, scherzte ich und gab ihm dann die Möglichkeit, seinen angefangenen Satz erst einmal allein zu beenden, „und Sie dachten?“ „Uhm … es ist nicht mehr so wichtig, wirklich nicht.“ „Hm“, machte ich und lehnte mich dabei noch etwas weiter vor, „lassen Sie mich raten: Sie hielten mich für jemanden, der mit Vorliebe seine Zeit mit verschiedenen reichen und meistens auch älteren Leuten verbringt? Sie können es ruhig zugeben, ich bin da für alles offen.“ Die Wortwahl mochte für diesen Fall etwas seltsam sein und der Ausdruck, der sich darauf auf seinem Gesicht abzeichnete, zeigte mir nur zu genau, dass er das auch so empfand. „Ja, das dachte ich tatsächlich, aber ich lag wohl falsch.“ „Ganz richtig. Weil wir uns nicht kennen, aber das können wir jetzt ändern. Was meinen Sie dazu, Shinya?“ Mit Absicht benutzte ich seinen Vornamen und betonte ihn so, dass er auch merkte, wie ich ihn ansprach. Es war ein Risiko, ganz klar. Wenn es ganz schlecht lief, würde er davon so beleidigt sein, dass er sofort ging und mich an einen Kollegen abgab. Aber das geschah nicht. Vielmehr war die Angriffslust meines Gegenübers ebenfalls geweckt worden, das konnte ich schon fast riechen. Und vielleicht rührte es sogar von der Hoffnung her, auch einmal eine Chance für die High Society zu bekommen. Vielleicht waren wir uns da gar nicht mal so unähnlich. Es dauerte nur eine Sekunde, dann begann er zu grinsen: „Eine gute Idee. Wenn du mir jetzt noch deinen Namen verrätst, kann sehe ich keine Hindernisse mehr.“ „Hyde“, sagte ich und grinste auch, „meine Freunde nennen mich einfach nur Hyde.“ Darauf hob ich mein Glas Ginger Ale und wartete darauf, dass Shinya mit mir anstieß. „Auf einen spaßigen Abend.“ * „Ah … uuhh … genau s-so …“, stöhnte ich, das Gesicht in den Kissen vergrabend und auch meine Hände in deren Stoff krallend, während ich von hinten genommen wurde. Der Körper meines Lovers schmiegte sich dabei so dicht an meinen, dass ich ihn nicht nur in mir, sondern auch seine Bauchmuskeln an meinem Rücken spüren konnte. Er war unglaublich, denn er sorgte nicht nur für seinen eigenen Spaß, sondern verwöhnte auch mich wie es im Buche stand, indem er meine Schulterblätter und meinen Nacken mit Küssen und leichten Bissen übersäte. Und auch eine Hand fand ihren Weg zwischen meine Beine, um mich zusätzlich zu stimulieren und mir so noch mehr Vergnügen zu bereiten. Die andere streichelte immer wieder sanft über meinen Brustkorb, meine Hüfte, meinen Oberschenkel und wieder zurück. Gott, war der gut! Ich konnte ja gar nicht anders, als dem durch lautes Keuchen, Stöhnen und unendlich viele Seufzer Ausdruck zu verleihen. „Kannst du noch?“, raunte er mir dann mit rauer Stimme ins Ohr und leckte anschließend kurz an meiner Ohrmuschel entlang – wirklich nur kurz, denn er kam wohl nicht ganz ran. Und ich hatte auch so meine Schwierigkeiten, denn in dem Taumel, in dem ich mich befand, war ich kaum noch in der Lage, einen geraden Satz herauszubringen. Ich hätte ihm sonst gesagt, dass es meiner Meinung nach noch die ganze Nacht weitergehen könnte. Stattdessen beschränkte ich mich auf ein energischen Nicken und ein einfaches „Ja!“ „Hnnn, ahhh …“ Ich konnte absolut nicht genug von ihm bekommen, hatte ich noch nie, was den Sex anging. Und wenn ich ehrlich war, war auch ohne das von Anfang an irgendetwas da gewesen, was mich angezogen hatte. Sonst hätte ich nicht immer wieder Zeit mit ihm verbracht, auch wenn ich mir vordergründig gesagt hatte, dass er nur ein Mittel zum Zweck war – ein Zeitvertreib, bis ich an das kam, auf das ich eigentlich scharf war. Nun, scheinbar war ich im Endeffekt mittlerweile mehr scharf auf ihn als auf alles andere. Ich wollte nicht, dass er mich aushielt. Ich wollte bei ihm sein, diese Berührungen jederzeit genießen können, diese Zärtlichkeiten. Wie automatisch drückte ich den Rücken durch, reckte meinen Hintern dabei weiter in die Höhe und presste mich noch enger an ihn, wenn das überhaupt ging. Oh Gott, wie hatte ich das vermisst! Wie hatte ich es nur ohne ihn aushalten können? Wir hatten zuvor erst zweimal miteinander geschlafen und doch war ich so süchtig danach, als wäre er eine Droge, die ich schon seit Jahren konsumierte. In Momenten wie diesen konnte ich mir noch nicht einmal vorstellen, dass wir je wieder getrennt sein könnten. Wie hatten wir uns nur so streiten können? Und wie hatte ich die Zeit ohne ihn überlebt? „Hyde …“ Himmlisch, wie mein Name aus seinem Mund klang. Es ließ mein Herz schneller schlagen und meine Atmung heftiger gehen. Mit nur einem Wort … „Sag es … hnnn-nochmal“, flehte ich ihn an. Er gluckste leise und tat dann worum ich ihm bat, wonach ich mich sehnte. „Hyde …“ Worte, so weich wie Samt und geschmeidig wie Seide, sie strömten in mich hinein und flossen durch meinen gesamten Körper, machten mich heißer auf ihn, als ich es je zuvor gewesen war. Ich kriegte kein Wort mehr heraus und zerriss stattdessen die Laken fast. Ich krümmte mich vor Wollust. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich seinen Namen gesagt, immer und immer wieder … Gackt, Gacchan. Er sollte es hören, er sollte wissen, wie sehr ich nach ihm verlangte und wie heftig er von mir Besitz ergriffen hatte. Oh Gott, Gacchan, ich will dich so sehr. Ich will- Und dann war es vorbei. Ich kam und spürte, wie nur Momente später auch er es anscheinend nicht mehr hinauszögern konnte. Zu früh, es war mir nicht genug, auch wenn wir es schon eine Weile miteinander trieben. Er ließ von mir ab und legt sich – ebenso schwer atmend wie ich – neben mir auf die Matratze fallen. „Das war … großartig“, sagte Shinya … wie auch immer er noch hieß, 29, Kellner in einer Nobelbar, und beugte sich zu mir vor, um mir einen flüchtigen Kuss aufzudrücken. Und als er das tat, löste sich alles in Rauch auf. Er roch nicht nur nach Sex, sondern auch nach Schweiß, er wischte sich die klebrigen Finger unbeholfen an seinem Oberkörper ab, der eher knochig als muskelbepackt war und wenn ich so an ihm herunterguckte, dann wurde mir klar, dass Realität und Phantasie doch zwei verschiedene Dinge waren. Der Hintern war wohl anscheinend doch noch das Beste an seinem Körper. Einbildung, alles nur Auswüchse meiner verkorksten … was hatte ich mir nur dabei gedacht? Der Typ war eigentlich überhaupt nicht meine Kragenweite – oder eher ich seine. Wieso hatte ich ihn also angemacht? Wieso hatte ich ihn ausgefragt – über seine Arbeit, seine Freizeit, seine Vergangenheit? Hatte ich wirklich gedacht, es würde so einfach … aber auf der anderen Seite hatte mir die Illusion schon gefallen. Und das machte es wohl nur noch schlimmer. * Ungefähr anderthalb Wochen später war ich im Stadtzentrum unterwegs, ein bisschen Bummeln, mir die Zeit vertreiben und schauen, ob ich vielleicht etwas fand, was ich für mein Date am selben Abend anziehen konnte. Natürlich wollte ich mich weiter mit anderen treffen, auch wenn mein kleines Intermezzo mit dem Kellner eher als Rückschlag zu verbuchen war. Ich wollte auf gar einen Fall aufgeben und früher oder später wäre mein Leben auch wieder komplett Gackt-frei. Nur würde ich mich jetzt erst einmal auf Frauen beschränken, wenn das möglich war, damit mich solche Hirngespinste nicht wieder heimsuchten, bis es mir besser ging. Heute war ich deshalb mit Rumiko verabredet, die ich vor ein paar Tagen in einer Bar kennengelernt hatte … in der Bar, in der Gackt noch arbeitete oder auch gekündigt hatte – ich wusste es nicht, denn ich hatte ihn dort nicht mehr gesehen. Und seine Kollegen wollten mir auch nichts über ihn sagen, sodass ich ziemlich schnell aufgegeben hatte, sie nach ihm zu fragen. Wenn er nicht wollte, dann wollte er eben nicht. Ich hatte einfach keinen Bock mehr auf diese Spielchen. Wenn er der Meinung war, dass er zu gut war, um sich weiterhin mit mir abzugeben, dann war er selbst dran schuld und- … nein, es brachte wirklich nichts, wenn ich mir mein Leben durch Gedanken an diesen Vollidioten miesmachen ließ. Ich gehörte ihm schließlich genauso wenig wie er mir gehörte. So zumindest in der Theorie. Zwar ging es mir wieder etwas besser als noch direkt nach dem Rauswurf, doch würde vermutlich jeder Trottel das, was ich hier gerade trieb, als Trotzphase bezeichnen. Und ja, ich war noch immer sauer. Jedenfalls, Rumiko war 26, gerade erst mit ihrem Mann in die Stadt gezogen und suchte nun dringend Freunde, hatte sie gesagt. Und mit 'Freunde' meinte sie anscheinend auch Freunde wie mich. Ihr Göttergatte vernachlässigte sie wohl schon seit einigen Monaten und es reichte ihr so langsam, ständig allein zu Hause rumzusitzen und darauf zu warten, dass er von der Arbeit kam, dann aber doch gleich ins Bett ging, weil er von seinen vielen Überstunden total kaputt war. Es mag sein, dass sie schon etwas sehr angetrunken war, aber sie hatte auch die Vermutung geäußert, dass er wohl seine Sekretärin vögelte und sie deshalb einfach nicht mehr wollte. Das arme Ding – arme, reiche Rumiko. Solche Frauen gehörten zu den einfachsten, wenn es darum ging, sie rumzukriegen. Ich war kein Anfänger mehr und hatte mittlerweile so etwas wie einen Riecher dafür, wie ich es bei wem anpacken musste und von wem ich besser die Finger ließ. Ich hatte ihr Geheule geduldig über mich ergehen lassen und sie dann in ein Hotelzimmer mitgenommen – nachdem sie alles bezahlt hatte, versteht sich. Es war ganz passabel gewesen für ein so ein graues Mäuschen wie Rumiko es war. Aber stille Wasser waren eben manchmal tief und schmutzig. Und heute würde sich das Spektakel wiederholen. Vielleicht würde es ein bisschen mehr Arbeit werden, je nachdem ob sie zwischendurch einen dieser Momente tiefsinniger Erkenntnis, in dem man von Schuldgefühlen überrannt wurde, gehabt hatte. Dann würde ich mir noch mehr Gejammer anhören dürfen – anderes Gejammer, dass es alles falsch und sie nur viel zu betrunken gewesen war. Ändern würde es am Ausgang dieses Dates trotzdem nicht, da vertraute ich auf meinen Charme und meine Verführungskünste. Dennoch … wenn sie hinter dem stand, was sie kürzlich getan hatte, würde es um einiges einfacher werden und unsere 'Beziehung' beträchtlich beschleunigen. Am Anfang durfte man sich noch nicht allzu viel erlauben, man musste erst ihr vollstes Vertrauen haben und das schuf sich meist von allein, wenn man möglichst viele Augenblicke der intimen Art miteinander teilte. Ich würde es heute Abend sicher besser abschätzen können. Doch jetzt sah und hörte ich erst einmal etwas ganz anderes: Ich schlenderte durch einen ziemlich großen Klamottenladen, in dem ich relativ oft Sachen fand, die zwar billig waren, aber edel aussahen. Hier kaufte ich gern ein, denn ich konnte mir sicher sein, dass ich diese Sachen behalten würde – schlichtweg, weil es bei dem Preis nichts brachte, sie zu verkaufen. Aber gerade als ich an einem Kleiderständer voller eleganter, schwarzer Hemden nach meiner Größe suchte, erregte einer der zahlreichen Flachbildschirme, die hier überall hingen, meine Aufmerksamkeit. Diese Dinger wurden dazu genutzt, neue Ware oder Sonderangebote zu bewerben, und zwischendurch lief ein bekannter Musiksender. Der Song, der eben angelaufen war, kam mir furchtbar bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht benennen oder mich daran erinnern, wo ich ihn gehört hatte. Da war nur dieses unterbewusste Gefühl, dass dieser Song nicht einfach nur ein Song war, den ich im Radio oder Fernsehen aufgeschnappt hatte. Fast wie gebannt starrte ich auf den Bildschirm, in der Hoffnung, dass die Eingebung noch kommen würde, bevor das Lied zu Ende war und es dann wahrscheinlich wieder in den Tiefen meiner Hirnwindungen versinken würde. Es dauerte zwar etwas, aber am Ende des Videos traf mich die Erkenntnis: „Blackbirds“ von Ten PM Stocker wurde eingeblendet … Es war die Band, die Gackt mir vorgespielt hatte, als wir in meinem Wohnzimmer zusammen getanzt hatten. Wie von selbst breitete sich auf meinen Lippen ein leichtes Lächeln aus – ich konnte es fühlen und auch im Spiegel direkt neben mir sehen –, als ich an diesen Abend zurückdachte. Scheinbar war der Song als Single ausgekoppelt worden. Ich wusste dazu zu wenig Bescheid, aber Gackt wusste es bestimmt. Er könnte es mir sicherlich sagen, wenn ich ihn fragen würde. Aber ich würde ihm nicht erzählen, dass ich das Video gesehen hatte, und ich würde ihn auch nicht anrufen. Schließlich hatte er es mir untersagt und ich hielt es auch selbst für besser, wenn ich ihn weiterhin aus meinem Leben heraushielt. Ich wandte mich von dem Bildschirm ab, auf dem sowieso gerade ein Werbeblock des Geschäftes begonnen hatte, und setzte die Suche nach einem Hemd in meiner Größe fort. Ganz bei der Sache war ich jedoch nicht, sodass ich den Ständer bestimmt zweimal durchforsten musste, um dann doch auf drei oder vier Stück zu stoßen, die mir passten … Der Kerl machte mich noch fertig, wenn es so weiterging. Das hier war auch nicht das erste Mal, dass ich an ihn denken musste und dann darin versank, dass ich dies oder das nicht mehr würde tun können – einfach, weil Gackt entschieden hatte, dass wir geschiedene Leute waren. Ich hoffte es zwar, aber es würde mit Sicherheit auch nicht das letzte Mal sein, dass dies geschah. Vor ein paar Tagen erst hatte ich im Fernsehen die Vorschau für einen neuen Horrorfilm gesehen, der bald im Kino anlaufen würde. Und wieder hatte ich sofort an Gackt denken müssen und wie er sich aufgeführt hatte, als wir am Abend unserer Wette zusammen in einem gewesen waren: Der große, gutaussehende, kräftige Mann, der den kompletten Film lang so dagesessen hatte, als wäre er jederzeit bereit, sich die Augen zuzuhalten. Ich hätte in lautes Gelächter ausbrechen können, immer wenn ich einen Blick zu ihm geworfen hatte. Ich war mir auch immer noch sicher, dass er die Augen zu hatte, wenn ich nicht hingesehen hatte. Es hätte sicherlich Spaß gemacht, sich den neuen Streifen mit ihm zusammen anzusehen, aber es war unsinnig, überhaupt darüber nachzudenken. Er hatte sich unmissverständlich ausgedrückt. Ich seufzte. Immer waren es die kleinsten Dinge, die solche Reaktionen in mir auslösten: Songs, Ausschnitte aus Kochsendungen beim Durchschalten im Fernsehen, der kleine Billardschuppen in der Nähe meines Wohnhauses, billiges Duschgel im Supermarkt … Aber das war auch ziemlich logisch, denn wir hatten ja nie etwas gemacht, was aufwändig gewesen wäre. Und doch hatte es gereicht. Mir reichte es nun, ich war zu … schlecht drauf, um weiter Geschäfte zu durchstöbern. Ohne das Hemd vorher anzuprobieren ging ich damit zur Kasse, bezahlte es und machte mich auf den Weg nach Hause. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es noch über drei Stunden bis zu meinem Date waren. Also noch mehr als genug Zeit, um ein Bad zu nehmen und mich in Schale zu werfen. Ich sollte Rumiko schließlich gefallen, wenn ich sie mich schon am Geld ihres Mannes und an ihrer Gesellschaft teilhaben ließ. * Das Date mit Rumiko verlief ganz passabel. Zwar trat ein, was ich befürchtet hatte, und sie hatte so große Schuldgefühle, dass sie erst zu spät kam war und dann auch gleich wieder gehen wollte, aber auch das bedeutete nur ein bisschen Mehrarbeit für mich. Mein Charme und später auch eins, zwei Flaschen Wein verfehlten da ihre Wirkung nicht. Immer wieder beteuerte sie, dass sie eine gute Ehefrau wäre und ihren Mann nicht noch weiter betrügen wollte, doch es zeigte sich ziemlich schnell, dass diese Gegenwehr nur oberflächlich war. Nur ein paar Worte von mir reichten: „Aber Rumi-chan, du hast doch selbst gesagt, dass er dich auch betrügt.“ „Ich … ich vermute es“, berichtigte sie mich etwas kleinlaut. „Was sollte er denn sonst so lange im Büro machen? Wieso sagt er dir nicht genau, warum er so viele 'Überstunden' macht, oder nimmt sich mal frei, wenn du ihn darum bittest?“, widersprach ich ihr. „Er hat eben eine hohe Stellung.“ „Dann könnte doch ab und an mal seine Arbeit auf andere abwälzen. Wenn er dich wirklich lieben würde, wäre er da schon lange selbst drauf gekommen. Rumi-chan, glaub mir, ich will dir hier nichts einreden. Ich will nur, dass es dir wieder besser geht. Und so geht es dir auf keinen Fall gut.“ „Du … ich denke, du hast Recht“, gab sie schließlich nach, „vielleicht sollte ich mehr an mich denken.“ „Ganz genau!“, pflichtete ich ihr bei, „und ich helfe dir dabei! Glaub mir, wir werden viel Spaß zusammen haben.“ Aber den hatten wir nicht. Es war langweilig und dröge und während ich mit ihr schlief, konnte ich die Gedanken an Gackt einfach nicht aus meinem Kopf verscheuchen. Verdammt, wieso? Wieso nur?! Aber eigentlich war ich nicht so dumm, als dass ich nicht wusste, was das für mich bedeutete: Selbst wenn Gackt entschieden hatte, dass wir uns gegenseitig nichts mehr angingen, so galt das doch nicht für mich. Er mochte mit mir abgeschlossen haben, aber ich war davon noch weit entfernt. Es würde wohl dauern, bis dieser Zustand sich endlich verflüchtigte. Denn selbst wenn ich mich mit Gackt nicht regelmäßig getroffen hatte und wir auch fast nie wirklich verabredet gewesen waren, war da immer das Wissen gewesen, zu ihm gehen zu können. Jederzeit hätte ich mich bei ihm melden oder sogar blicken lassen können. Selbst bei der Arbeit hatte er sich stets die Zeit genommen, mit mir zu reden. Das war nun vorbei … aber obwohl oder auch vielleicht gerade weil mir diese Einsicht so klar war, würde er wohl nicht so leicht aus meinem Kopf verschwinden. tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ Ist es nicht niedlich, wie sehr Hyde zu verleugnen versucht, dass ihm Gackt SEHR viel mehr bedeutet, als er zugeben will? In einem Rev auf ff.de kommentierte zum vorherigen Kapitel schon jemand: "Ich hab gedacht, Hyde hätte sich das Handgelenk verstaucht und nicht das Hirn" (sinngemäß) und so langsam glaube ich, dass ich es doch ein bisschen übertreibe mit seiner Begriffsstutzigkeit. SO stur kann eigentlich kein Mensch sein ^^' Davon mal abgesehen: Noch so ein schlimmer Teil, was das Schreiben anging. Von hier bis zur Hälfte des nächsten Kapitels herrschte in meinem Hirn entweder komplette Leere oder zu viele widersprüchliche Ideen auf einmal. Ich wusste absolut nicht, wie ich die Trennung und Hydes Gefühlswelt anpacken sollte, sodass da erstmal eine riesengroße Lücke für hinterher war. Der Titel stand hingegen schon vorher fest, weil ich unbedingt den gleichnamigen Song von Gil Ofarim für diesen Abschnitt verwenden wollte - es passt aber auch so herrlich ^^' Ich gab dann nach und nach Zeug zusammengeschrieben und es hoffentlich auch ganz gut und flüssig verbunden. Wie sieht's denn für euch aus? :3 Kapitel 10: (Everything comes) Crashing down -------------------------------------------- WARNUNG: Einsatz von Gewalt in diesem Kapitel Zwei Monate. Zwei Monate war es nun schon her, dass ich Gackt zuletzt gesehen hatte. Ich hatte die Bar seither gemieden und wenn überhaupt nur die Stundenzimmer benutzt, wenn einer meiner Gönner unbedingt darauf bestanden hatte. Wahrscheinlich war das auch ganz gut so, denn langsam, aber sicher hatte ich in mein altes Leben zurückgefunden. Der Anfang war natürlich nicht einfach gewesen, denn ich hatte mich Stück für Stück wieder daran erinnern müssen, wie es vor Gackt gewesen war. Ich hatte lernen müssen, loszulassen und mich von dem zu distanzieren, was Gackt für mich bedeutet hatte. Dabei war ich selbst ganz überrascht gewesen, wie sehr er mich dann doch beeinflusst hatte, auch wenn wir uns erst wenige Monate kannten … gekannt hatten. Ich hatte mich zu einem gewissen Grad an seine Sicht der Dinge angepasst und genau das musste ich wieder durchbrechen. Im Endeffekt war die Lösung dann doch ganz simpel: Ab in die High Society, um dort mit allem zu flirten, was nicht bei drei auf dem Baum war, und derweil auch noch auf angenehme Art und Weise für den eigenen Lebensunterhalt sorgen, so wie ich es immer schon getan hatte. Und das Wichtigste dabei: Lass dich verdammt nochmal nicht davon ablenken, was andere von dir halten! Und es wirkte. Ich kehrte immer mehr dahin zurück, wo ich hergekommen war, hatte Spaß am Leben, ohne dass mir irgendetwas fehlte. Sicherlich half es mir auch dabei, dass ich mich oft mit Aki traf – öfter als es wohl üblich gewesen wäre. Ich wusste nur nicht ganz, woher das auf einmal kam, denn ich hatte ihm immer noch nicht erzählt, was zwischen Gackt und mir vorgefallen war. Vielleicht hatte er gemerkt, dass es mir nicht gut ging und sich deshalb vorgenommen, mir zu helfen und mich aufzumuntern, selbst wenn er nicht nach dem Warum fragte. Genau aus diesem Grund tat es mir auch furchtbar leid, wie ich Aki in den folgenden Tagen behandelte – oder eher nicht behandelte. Denn so gut ich mich auch wieder fühlte, lange hielt es leider nicht an. Es kam der Abend, an dem sich das Blatt erneut wendete und mein wieder erarbeitetes, tolles Leben erneut gehörig ins Wanken brachte. Es war ein typischer Emiko-Abend. Wir gingen schick essen und sie bezahlte. Wir gingen noch etwas trinken und sie bezahlte. Wir gingen zu ihr nach Hause, weil ihr Mann derzeit auf Geschäftsreise war und wir deshalb nichts zu befürchten hätten – und diesmal bezahlte ich. Als wir bei ihr einkehrten, entschieden wir uns, es uns erst einmal im Wohnzimmer gemütlich zu machen, ehe wir dann irgendwann ins Schlafzimmer umziehen würden. Emiko köpfte noch eine Flasche Sekt, während ich in dem altmodischen Kamin ein Feuer entfachte und für eine etwas romantischere Stimmung sorgte. Unsere Gläser blieben aber mehr oder minder unangetastet und das Feuer größtenteils unbeachtet, da wir ziemlich schnell zur Sache kamen. Ich war dabei so in mein Tun vertieft, dass ich nicht einmal annähernd mitbekam, wie kaum eine halbe Stunde nach unserer eigenen Ankunft im Foyer nebenan die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Auch das Klirren der Schlüssel und die Schritte auf dem gefliesten Fußboden überhörte ich. Einzig ein gedämpftes Husten nahm ich wage und ganz weit am Rande meines Bewusstseins wahr, aber da war es fast schon zu spät – nur ein paar Sekunden danach wurde die Tür zum Salon aufgerissen, eine laute Männerstimme begann einen Satz, stockte aber recht schnell und polterte schließlich: „Was ist denn hier los? Emiko!“ „Yoshinori!“, kam es nicht weniger erschrocken von der Angesprochenen. „Was machst du denn schon hier?!“ Wie automatisch schnellte mein Kopf herum und ich erblickte einen schon leicht ergrauten Mann im schwarzen Nadelstreifenanzug – Emikos Mann. Oh, shit!, schoss es mir durch den Kopf, als ich erstarrt auf dem Sofa und auch halb auf Emiko verharrte. Dann setzte endlich der Fluchtgedanke ein, der Drang, so schnell wie möglich das Weite zu suchen, denn obgleich der Kerl so aussah, als würde er sein Geld mit einem gut bezahlten Bürojob verdienen, wirkte er gleichzeitig so, als ob mit ihm nicht gut Kirschenessen wäre. Ich wollte ihm wirklich nicht in die Quere kommen … ihm und dem Einfluss, den er sicherlich ausüben konnte. Leider schien ich jedoch der Einzige zu sein, der in Schockstarre gefangen war – war ich doch noch nie so in flagranti erwischt worden. Emiko hingegen hatte sich sofort ans andere Ende der Couch geschoben und kam mir ganz so vor, als würde sie ihrem Mann auf diese Weise den Weg extra freimachen. Ich konnte von Glück reden, dass ich bis auf meine Jacke noch alle meine Sachen am Körper hatte und so einfach nur aufspringen und losrennen musste. Einen Moment überlegte ich noch, ob ich meine Jacke holen oder sie einfach 'opfern' sollte – und genau das war der Moment, der mir zum Verhängnis wurde, denn alles, was darauf folgte, fühlte sich wie eine Reise in die Hölle an. Ich entschied mich zwar für die sofortige Flucht, aber mein Zögern hatte Emikos Mann die Zeit gegeben, bis auf zwei kleine Schritte an mich heranzukommen. Er streckte dann einfach nur noch den Arm aus und hatte mich am Revers gepackt. „Halt, bitte“, entkam es mir reflexartig, „ich k-kann alles erklären …“ „Warum glaube ich dir das nur nicht?“, zischte mir Emikos Mann zu, ohne auch nur die kleinste Spur von Gnade in den wutverzerrten Gesichtszügen zu zeigen. „Für wen hältst du dich eigentlich?!“ „Bitte hören Sie, ich-“, versuchte ich es abermals, wurde aber kalt unterbrochen „Ruhe! Ich kenne das Pack von deinem Schlag! Du bist hier, um es dir auf meine Kosten gutgehen zu lassen. Du nimmst mich aus … und du besitzt auch noch die Dreistigkeit, dir meine Frau unter den Nagel reißen zu wollen, damit es immer so weitergehen kann. Ist es nicht so? Ist es nicht so?!“ „Bitte, es tut-“ „Ach, hör auf zu lügen! Du bist nicht die erste kleine Ratte, die das versucht. Und ich zeige dir jetzt mal, was ich mit Abschaum wie dir mache.“ Ein wütendes Funkeln blitzte in seinen Augen auf, als er das gesagt hatte, und im gleichen Moment wurde mir klar, dass ich richtig am Arsch war. Und ich würde es nicht abwenden können, wie sehr ich mich auch gegen ihn wehrte. Denn obgleich der Kerl schon grau wurde, hatte der Griff, mit dem er mich gepackt hielt, erschreckende Ähnlichkeit mit einem Schraubstock. Er schleifte mich mit sich in Richtung Tür zum Foyer. Doch auch als wir dort angekommen waren, öffnete er sie nicht, sondern rammte mich genau dagegen, sodass das Holz knarrte. Bei dem einen Mal blieb es auch nicht, sondern er tat es wieder und wieder. Und jedes Mal kam es mir so vor, als würde er noch mehr Kraft aufbringen und noch mehr Wucht in die Bewegung legen. Es war alles andere als angenehm und als er mich dann irgendwann so gegen die Tür stieß, dass er mir die Klinke in die Seite rammte, spürte ich das erste Mal in meinem Leben, was Schmerzen bedeuteten. Natürlich hatte ich mich in der Schule schon mit anderen Kindern geprügelt, aber das waren eben auch nur das gewesen: Prügeleien zwischen kleinen Jungs. Ansonsten hatte ich schon sehr früh gelernt, mich aus jeder Art von Trouble herauszuhalten. Und jetzt schien sich das Schicksal für all die Jahre, in denen ich ungeschoren davongekommen war, rächen zu wollen. Ich schrie auf, immer wieder und immer lauter – jedes Mal, wenn er mich wieder gegen die Tür und die Klinke rammte. Derweil versuchte ich seinen Griff zu lösen, suchte mit den Händen nach einem Punkt an seinem Körper, an dem ich ihn wegdrücken konnte, trat mit den Füßen nach ihm. Ich riss sogar an meinen Hemd und es war mir egal, ob es dabei kaputtging, solange ich nur von ihm loskam. Doch nichts funktionierte, ich schien einfach nicht genug Kraft zu haben und ich fand einfach keine Stelle, an der ich ihm richtig weh tun konnte. Ich wusste nicht, wie lange es so ging, denn mein Hirn war irgendwann nur noch mit einem einzigen Gedanken beschäftigt. Nicht etwa, wie ich mich aus meiner mehr als misslichen Lage befreien konnte, sondern wann diese Tortur endlich vorbei war. Ich wehrte mich nicht mehr lange gegen den Schraubstockgriff, der mich festhielt, sondern ließ instinktiv alles über mich ergehen, stellte mich quasi tot, und hoffte nur auf ein rasches Ende. Die Schmerzen sollten aufhören … aufhören … aufhören! Aber bringen sollte es nichts. Nachdem Emikos Mann endlich damit aufgehört hatte, mich gegen die Tür zu rammen, machte er anders weiter. Eigentlich hatte er gar nicht aufgehört, mich und die Tür zu malträtieren. Viel eher musste ich wohl so glücklich aufgeprallt sein, dass sie aufgesprungen war – oder er hatte mich einfach so hart dagegengestoßen, dass es das Schloss herausgebrochen hatte. Auf welche Weise es auch gelaufen war, ich lag nun am Boden, konnte mich aufgrund der Schmerzen, die ich in absolut jedem einzelnen Knochen spüren konnte, kaum rühren. Im Nachhinein kann ich gar nicht mehr sagen, wie genau ich auf dem Boden gelandet bin. Im einen Moment war da die Tür gewesen und im nächsten Kacheln. Vielleicht hatten der Aufprall und der neue Schub an Schmerzen mich kurz ohnmächtig werden lassen. Aber direkt danach war ich wieder richtig da, um voll mitzubekommen, wie Schläge auf mich einprasselten. Und jeder einzelne davon jagte eine weitere Welle aus Schmerz durch meinen Körper. Ich konnte nicht sagen, wo Emikos Mann mich traf, denn langsam breitete sich überall Wärme von den Treffern aus und es tat höllisch weh. Es war sogar so heftig, dass es mir die Luft aus den Lungen trieb und ich nicht mehr schreien konnte. Mehr als ein schwaches Winseln brachte ich nicht mehr zustande. Mein fast nur noch gehauchtes „Bitte … bitte …“ schien Emikos Mann ohnehin nicht zu kümmern, er schlug weiter auf mich ein … und schlug und schlug und schlug und irgendwann war es dann doch vorbei. Ich stöhnte und ächzte, als er mich am Kragen packte, durch das Foyer und die Einfahrt bis zum Tor des Grundstückes schleifte und mich dort einfach auf den Bürgersteig warf. Meine Jacke kam nur kurz darauf hinterhergeflogen, auch wenn ich mir im ersten Moment nicht erklären konnte, wie es dazu kam. „Wenn ich dich noch mal hier erwische, kommst du nicht so glimpflich davon“, drohte er mir noch, ehe er sich umdrehte und wieder auf sein Haus zuging. Ich konnte hören, wie sich seine Schritte entfernten, und fühlte gleichzeitig, wie mir dabei leichter wurde. Er würde mich in Ruhe lassen, er würde nicht weiter- … doch da kamen die Schritte wieder auf mich zu und sofort spannte sich in mir erneut alles an. Erst als sie direkt neben mir zum Stehen kamen, registrierte ich, dass sie von einer anderen Person stammten – einer Person auf hohen Absätzen. Mühsam öffnete ich die Augen ein Stück und erblickte Emiko, die die Arme um ihren Oberkörper geschlungen hatte und sich jetzt hinhockte, um mit einer Hand leicht über mein Haar zu streichen. „Hyde …“, sagte sie dabei leise. Ich war so froh, als ich den sanften Klang ihrer Stimme hörte, und schluckte schwer, ehe ich auch nur versuchte, ihr etwas zu sagen. „K-kannst … kannst du … hilf mir bitte. Ich b-brauche … Hilfe“, stammelte ich und unterdrückte dabei die Tränen, die ich ganz genau in mir aufkommen spürte. Jeder Laut, den ich machte, ja, sogar jeder Atemzug tat weh. „Bitte, Emiko …“ „Ach, Hyde“, sagte sie wieder sanft – und dann krallte sie die Finger fest in meine Haare und zog schmerzhaft an ihnen, sodass ich sie direkt ansehen musste. Und mit ihrem Griff änderte sich auch der freundliche Ausdruck in ihrem Gesicht und ihr Tonfall: „Hör mir jetzt gut zu: Lass dich nie wieder hier blicken. Yoshinori denkt, dass du mich verführt hast, und ich will, dass es so bleibt. Solltest du irgendjemandem etwas anderes erzählen, könnte er seine Meinung ändern und das willst du sicher genauso wenig wie ich. Also mach keine Dummheiten. Haben wir uns verstanden?“ „…“ Ich war fassungslos, als ich das hörte. Ich konnte es nicht glauben, dass sie so schnell die Seiten wechselte. Ja, ich hatte sie ausgenutzt, aber ich hatte mich doch immer angestrengt, dass sie ebenfalls auf ihre Kosten kam. Wie konnte sie jetzt nur …? „Wieso?“, krächzte ich. „Weil er Recht hat: Er kennt Pack wie dich, und ich tue es auch. Bevor du dich versiehst, habe ich jemand anderen. Ihr seid doch alle nicht mehr als kleine Flittchen mit sehr kurzer Haltbarkeit. Eigentlich kommt es mir ganz recht, dass er hereingeplatzt ist, denn so muss ich mich nicht selbst darum kümmern, dich loszuwerden. Und jetzt hau ab, ich will keine Blutlache vor meiner Einfahrt.“ Dann ließ sie mich los, stand auf und ging ebenfalls. In der Ferne konnte ich ihren Mann in der Eingangstür auf sie warten sehen, ehe ich den Kopf langsam und sehr vorsichtig auf das harte Pflaster sinken ließ und mich nicht mehr regte. Gott … oh Gott … ich konnte nicht mehr. Ich konnte wirklich nicht mehr und wollte einfach nur hier weg und nach Hause. Denn wenn jetzt noch etwas kommen würde, würde mich das umbringen. Ich blieb eine Weile liegen, bis ich mich einigermaßen dazu in der Lage fühlte, mich wieder zu bewegen. Dann durchsuchte ich, so gut es mir möglich war, meine Jacke, in der mein Handy war. Als ich es gefunden hatte, hielt ich es über mein Gesicht und begann, mit zittrigen Fingern die Tasten zu drücken. Ich hatte sofort gewusst, welche Nummer ich wählen würde. Mein Kopf arbeitete im Moment nicht so gut, aber mein Gefühl ersetzte meinen Verstand lückenlos. Ich hielt mir das Handy ans Ohr und wartete darauf, dass am anderen Ende abgenommen wurde. Es dauerte etwas, aber schließlich klickte es in der Leitung und ich konnte leise Musik im Hintergrund hören. „Ja?“ „Gackt“, sagte ich gepresst und bemüht, möglichst deutlich zu sprechen, „bitte … bitte, leg nicht gleich wieder auf. Ich … ich brauch deine Hilfe.“ Er sagte darauf nicht sofort etwas, sondern seufzte einmal tief. „Gackt, bitte.“ „Was ist passiert?“, fragte er dann nur kühl. „Ich … ich war bei Emiko und … ihr Mann ist aufgekreuzt … und er hat-“ „Dich rausgeworfen?“, beendete er meinen Satz, immer noch in diesem unterkühlten Tonfall. Er war mit dem Anruf ganz eindeutig nicht einverstanden, das konnte ich hören. Und vermutlich hatte er ihn auch nur angenommen, weil er entweder vorher nicht auf das Display gesehen oder meine Nummer bereits aus seiner Kontaktliste gelöscht hatte. „Ja, er-“ „Und du willst jetzt, dass ich dich abhole, oder?“ „Ja, genau … danke, Gackt“, bestätigte ich ihm erleichtert. Aber ich hatte ihn nicht richtig verstanden, sondern schien ihn vielmehr sauer gemacht zu haben. „Was heißt hier 'danke'? Ich habe nicht gesagt, dass ich es tun werde. Was bei deinen Dates passiert ist allein dein Problem und ich will da nicht mit reingezogen werden!“ „Aber, G-gackt … er hat mich v-verprügelt, bev-vor er mich …“ Diesmal unterbrach ich mich selbst. Meine Stimme wollte nicht mehr und der Versuch zu sprechen brachte nur ein ersticktes Krächzen hervor. Nicht nur mein Körper tat weh, sondern auch mein Ego, das allein durch die Demütigung eben schon mächtig eins abbekommen hatte und nun noch weiter ramponiert wurde, indem ich so jämmerlich um Hilfe bettelte. Aber das musste ich in diesem Moment ertragen. Und eine gewisse Wirkung tat es dann auch, denn Gackt schwieg wieder für einen Moment, in dem wieder Hoffnung in mir aufkeimte. „Gackt …“ „Dein Problem. Lass mich in Ruhe.“ Tut. Tut. Tut. Und ein Splittern, als etwas in mir zerbrach. Jetzt war ich erst wirklich am Boden. tbc. ~~~ ** + ** ~~~ Da ist es endlich, Hyde macht wieder einen Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn er immer noch nicht ganz gerafft hat, was los ist, und der Auslöser, der ihn dazu bringt, auch sehr drastisch war. Aber in der größten Not erkennt man ja, wer einem wirklich wichtig ist. Trotzdem ist noch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, weil diesmal Gackt auf stur stellt. Das war allerdings von Anfangs an so geplant, da Gackts Charakter mir schon während der Planungsphase zu sehr in Richtung Sue ging und ich dem mit dieser hochgradig irrationalen und gefühlsgetriebenen menschlichen Trotzhandlung entgegenwirken wollte. Wie ist es mir denn gelungen? Und ich hoffe auch, dass die Gewaltdarstellung nicht zu heftig ist. Kapitel 11: Let down -------------------- „Dein Problem. Lass mich in Ruhe.“ Tut. Tut. Tut. Das war Gackts Antwort gewesen, nachdem ich mich selbst noch weiter erniedrigt hatte, als ich es ohnehin schon war, und ihn um Hilfe angefleht hatte. Und er hatte aufgelegt, obwohl ich ihm gesagt hatte … obwohl er doch selbst gehört haben musste …! Doch ich hasste ihn in diesem Moment dafür nicht – ich empfand nicht das kleinste Bisschen Abscheu für ihn und sein Tun. Nein, ganz im Gegenteil: Es verletzte mich nur noch mehr, es gab mir den Rest. Und obgleich ich die ganze Tortur eben überstanden hatte, ohne auch nur eine richtige Träne zu vergießen, brachen bei mir jetzt alle Dämme. Meine Augen waren zwar schon feucht geworden, aber ich hatte das Weinen irgendwie noch zurückhalten können. Jetzt jedoch nicht mehr, jetzt nicht mehr. Ich beendete die Telefonverbindung nun auch von meiner Seite und legte das Handy auf meinem Bauch ab, ehe ich mein Gesicht mit beiden Händen bedeckte und geräuschvoll ein- und ausatmete. Immer wieder. Es ging so weit, dass es mich heftig schüttelte und mir und meinem geschundenen Körper noch mehr Schmerzen bereitete. Es tat so verflucht weh – alles! Gott, oh Gott … Ich heulte und heulte … bis ich irgendwann das Gefühl hatte, als würde ein großer Ball in meiner Kehle stecken und mich am Atmen hindern. Mein Hals – der einzige Körperteil, den Emikos Mann nicht erwischt hatte, hatte jetzt also auch seinen Teil abbekommen. Und noch während ich daran dachte, dass mich noch nie jemand so sehr durch die Mangel gedreht hatte, kam mir ein neuer Gedanke, der meinen Körper wie eine Welle aus Eis durchfuhr: „Hau ab“ hatte sie in ihrem Verrat mir gegenüber gesagt und ihr Mann hatte mir gedroht, dass ich nicht so glimpflich davonkommen würde, wenn er mich nochmal hier erwischte … Ich bezweifelte nicht, dass er zu seinem Wort stehen würde, ich hatte ja eben am eigenen Leibe erfahren, zu was er fähig war. Aber … würde er seine Drohung auch wahrmachen, wenn er mich hier fand, wie ich mich seit unserer letzten 'Begegnung' kein Stück vom Fleck gerührt hatte? Ich war mir zumindest sicher, dass ich es nicht darauf ankommen lassen wollte. Ich musste hier weg, so schnell ich konnte. Aber wohin? Zu Gackt konnte ich nicht, er hatte mich eiskalt abgewiesen … Aki … er war mein Freund, ein echter Freund. Ja, genau! Ich tastete nach meinem Handy, dass ich eben auf meinem Bauch abgelegt hatte, öffnete den Kontaktspeicher und suchte Akis Nummer heraus. Doch schon, als ich den kleinen, grünen Hörer drückte und damit die Verbindung herstellte, machte sich auf einmal eine Art … Abneigung in mir breit. Als ob ich gar nicht wollte, was ich da tat; als ob ich Angst davor hatte, dass Aki ranging. Und als er nach ein paar Freizeichen tatsächlich abnahm, war das Gefühl so stark, dass ich beinahe wieder aufgelegt hätte. „Hallo? Hallooo?“, rief Aki in den Hörer, „Hyde, bist du dran?“ Zu spät, er hatte meine Nummer gesehen. Ich war verraten. Es würde seltsam aussehen, wenn ich jetzt einfach wieder auflegte, und Aki würde sich Sorgen machen und dann saß ich noch mehr in der Tinte. „Hi, Aki“, meldete ich mich schließlich, „ich …“ Ich räusperte mich, um meine Stimme zu stärken, auch wenn mein Hals sich dafür mit einer weiteren Ladung Schmerzen revanchierte. „Sorry, dass ich anrufe.“ „Kein Problem. Was liegt denn an?“ „Weißt du … eigentlich gar nichts“, log ich – und auch das tat mir weh, wenn auch nicht körperlich, „ich hab die falsche Nummer gewählt.“ „Aha“, lautete die Antwort, „das trifft mich jetzt wirklich schwer, Hyde. Dass du nichts mehr von mir wissen willst.“ Im Normalfall hätte ich jetzt gelacht und etwas ähnlich scherzhaft Gemeintes erwidert. Aber nicht heute. Heute beschränkte ich mich auf ein einfaches „Du hast mich erwischt.“ und sah dann zu, dass ich das Gespräch so schnell wie möglich abwürgte: „Okay, also ich muss dann. Hab noch zu tun.“ „Ich versteh schon“, kam es glucksend zurück, „viel Spaß noch.“ „Danke.“ Dann legte ich auf … und fühlte mich schrecklich, noch schrecklicher als eben schon. Aki war mein Freund und ich log ihn an. Aber die Erklärung war simpel: Ich wollte schlichtweg nicht zu ihm … ich wollte zu Gackt. Und dies machte die Tatsache, dass er mich hatte fallen lassen, nur noch unerträglicher. Am Ende blieb mir nichts anderes übrig, als allein nach Hause zu gehen, irgendwie nach Hause zu kommen. Es gab da zwar noch ein paar andere Leute, mit denen ich ganz gut klarkam und die mich vermutlich jetzt auch abholen und mich nach Hause bringen würden, aber wenn ich noch nicht mal Aki um Hilfe bitten wollte … Ich wischte mir noch einmal mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen, ehe ich mich unter Schmerzen in eine sitzende Position quälte. Dabei rutschte mir das Handy vom Bauch in den Schoß. Aber ich würde es sowieso gleich brauchen, wenn ich mir ein Taxi rufen wollte. Viel Geld hatte ich nicht mehr – weder bei mir noch auf meinem Konto – doch für die Fahrt nach Hause würde es schon noch reichen. Es war vielleicht ganz gut, wenn ich allein nach Hause ging … mit diesem Gedanken versuchte ich zumindest, mich wieder etwas aufzubauen. Jeder meiner Freunde und Bekannten, die mich abgeholt hätten, hätten mich sicherlich dazu gezwungen, ins Krankenhaus zu gehen. Und so berechtigt es auch war, ich konnte mir eine erneute Behandlung nicht leisten. Ich hatte Aki noch nicht mal die letzte Rechnung zurückzahlen können, weil es in letzter Zeit einfach schlecht gelaufen war. Zwar saß er mir nicht im Nacken wie mein Vermieter mittlerweile, aber im Gegensatz zu diesem, wollte ich meine Schulden bei Aki wirklich so schnell wie möglich begleichen. Ich gab die Kurzwahl des Taxiunternehmens ein, das ich auch sonst immer benutzte, wenn ich schnell von A nach B kommen musste, orderte ein Taxi und bat darum, dass es möglichst schnell da sein sollte. Die Dame aus der Zentrale konnte mir zwar nichts versprechen, sagte aber, dass sie das Taxi, das mir am nächsten war, sofort benachrichtigen würde. Sie wünschte mir noch einen guten Abend, legte auf und ich tat es ihr gleich. Und dann ließ ich mich wieder komplett auf den Bürgersteig sinken, schloss die Augen und wartete darauf, dass das Taxi kam. Währenddessen bemühte ich mich, nicht an Gackt oder meine Schmerzen zu denken, was auch mehr oder weniger funktionierte. Gackt konnte ich erfolgreich ausblenden, aber das lag daran, dass es an meinen Schläfen mittlerweile so stark pochte, dass ich mir nur noch wünschte, dass es endlich aufhörte. Am liebsten hätte ich mir den Kopf abgeschraubt oder die Gesichtshaut samt der darunterliegenden Blutbahnen herausgerissen … wenn es doch nur endlich aufhörte! Gott, ein Kater war nichts dagegen! Aber auch diese Kopfschmerzen waren nichts gegen die lähmende Leere und die Trauer, die mich in der Folgezeit noch einnehmen würden. Ich mochte Gackt im Moment verdrängt haben, aber das würde nicht immer so leicht sein. Er würde mich noch lange, lange verfolgen. Ich wusste nicht, wie lange ich auf dem kalten Asphalt gelegen hatte, als direkt neben mir ein Auto zum Stehen kam, quietschend ein Fenster heruntergekurbelt wurde und mich ein Mann mit einer rauen Art und Weise ansprach: „Hallo? Hallo, Sie, sind Sie wach?“ Ich öffnete die Augen und blickte nach oben, wo ein Mann mittleren Alters aus dem Fenster lehnte und mich leicht verwundert musterte. Dann erst nahm ich das Auto in Augenschein und erblickte die Nummer des Taxiunternehmens, das ich angerufen hatte, auf der Fahrertür. Leise ächzend setzte ich mich wieder auf und antwortete: „Ja, bin ich. Warten Sie nur einen … kleinen Moment …“ „Sie haben das Taxi bestellt?“, hakte der Fahrer darauf in einem Ton nach, der nicht wirklich nach einer Antwort fragte. Ich war sowieso der Einzige weit und breit, der auf ein Taxi hätte warten können. Trotzdem nickte ich. Dann griff ich nach meiner Jacke, die natürlich immer noch neben mir lag, und nach meinem Handy und stand langsam auf, um nicht gleich wieder umzukippen, falls auch mein Kreislauf etwas abbekommen haben sollte. Und so war es scheinbar auch, denn kaum stand ich halbwegs aufrecht, drehte sich die Umgebung – zwar nicht sehr schnell, aber ideal war das auch nicht. „Geht es Ihnen gut? Soll ich Ihnen helfen?“, kam es darauf gleich von dem Taxifahrer – vermutlich schwankte ich auch noch. Doch ich nahm sein Angebot nicht an. Dazu blieb einfach keine Zeit, denn kaum, dass er es ausgesprochen hatte, hatte ich die zwei Schritte zum Taxi – wenn auch tatsächlich etwas wackelig auf den Beinen – zurückgelegt und mich gegen das Auto gelehnt, direkt gegen die hintere Tür auf der Fahrerseite. Ich stützte mich auf dem Dach ab und hielt mir eine Hand über Augen und Stirn, drückte fest dagegen, in der Illusion, dass es dadurch schneller zu drehen aufhören würde. „Geht es Ihnen gut?“, wiederholte der Fahrer seine Frage, „soll ich Sie ins Krankenhaus bringen?“ „Nein“, antwortete ich schließlich und tastete nach dem Türgriff, um mich endlich ins Taxi zu setzen und der Fragerei damit hoffentlich ein Ende zu machen, „bitte nur nach Hause.“ Als ich die Tür öffnete, hielt ich mich mit zitternden Händen an ihrem Rahmen und auch weiter am Dach fest, um nicht im letzten Moment doch noch umzukippen. Erleichtert, es geschafft zu haben, ließ ich mich dann auf den Rücksitz sinken und lehnte mich zurück. Ich nannte dem Fahrer noch meine Adresse und schloss abermals die Augen – einerseits, um nicht noch mehr Reize der Außenwelt wie das ungewöhnlich grelle Licht der Straßenlaternen ertragen zu müssen, und andererseits würde es dem Fahrer unmissverständlich sagen, dass ich nicht weiter mit ihm reden wollte. Und es erfüllte seinen Zweck: Meine Kopfschmerzen nahmen nicht zu und, bis auf die Anmerkung, dass wir das Ziel erreicht hätten, sagte der Fahrer kein einiges Wort mehr. Sicher machte er sich seine eigenen Gedanken zu mir und meiner Verfassung, aber das konnte mir egal sein. Ich konnte ihm nur bis vor die Stirn schauen und alles dahinter ging mich nichts an. Er nannte mir noch die Summe, die ich ihm schuldete, ich beglich sie und stieg dann aus. Kalte Nachtluft wehte mir um die Nase und ich konnte auch fühlen, wie dicke Regentropfen auf meinem Gesicht landeten. Es hatte unterwegs zu regnen angefangen … ich hatte absolut nichts davon mitbekommen. Schon wieder etwas besser unterwegs legte ich den Weg zur Haustür zurück und konnte dabei sogar den Schlüssel aus meiner Jackentasche wühlen. Das Öffnen der Haustür machte mir allerdings schon ein wenig mehr Probleme, da ich dazu einen Code eingeben musste und die kleinen Zahlen auf dem Nummernfeld immer wieder verschwammen. Wie gesagt: Ich war wieder etwas besser unterwegs. Ich musste mich wirklich konzentrieren, um Code richtig eingeben zu können. Drinnen angekommen schlug ich zwar wie automatisch den Weg zur Treppen ein, auf der es wesentlich schneller ging, entschied mich dann aber doch für den Fahrstuhl. In meinem Zustand wäre ich sicherlich auf halbem Weg in den vierten Stock zusammengebrochen. Die Warterei auf den und im Fahrstuhl war mir heute viel willkommener als der Gedanke, das Bewusstsein zu verlieren, von der Treppe zu stürzen und mir dabei noch mehr Blessuren zuzuziehen. Ich rief den Aufzug herunter, der laut Anzeige ganz oben im fünften Stock steckte und so eine ganze Weile brauchen würde. Schon gut … das hielt ich aus … Hauptsache nicht- „Takarai-san!“, wurde ich auf einmal gerufen. „Da sind Sie ja! Ich hatte schon befürchtet, ich würde Sie gar nicht mehr erwischen.“ Es war mein Vermieter, wie ich an der Stimme hören konnte. Und er musste auch gerade erst nach Hause gekommen sein, denn als ich mich umwandte, sah ich, dass er sogar noch die Hand an der Klinke der Haustür hatte. 'Gerade jetzt', schoss es mir augenblicklich durch den Kopf. Dicht gefolgt von der Hoffnung, dass der Aufzug in der nächsten Sekunde das Geräusch einer Glocke von sich geben würde, um zu signalisieren, dass er angekommen war. Aber der Gefallen wurde mir nicht getan. Ein rascher Blick auf die Anzeige sagte mir, dass er erst im dritten Stock war. Und selbst, wenn er da gewesen wäre, hätte ich nicht mehr einfach einsteigen können. Ich hatte meinen Vermieter bereits gesehen und er hatte das bemerkt – unsere Blicke hatten sich getroffen. Mir blieb also nichts anderes übrig, auch wenn ich im Moment noch weniger Nerven dazu hatte als sonst. „Guten Abend, Hayashi-san“, grüßte ich ihn höflich zurück. „Ebenfalls, ebenfalls! Auch wenn 'Gute Nacht' treffender wäre“, erwiderte mein Vermieter auf den letzten zwei Metern, die er auf mich zueilte. „Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie zu so später Stunde noch aufhalte; ich versuche seit Wochen, Sie zu erreichen. Es tut mir wirklich leid, aber ich muss mit Ihnen über Ihre Mitzahlungen sprechen. Sie sind leider im Rückstand.“ „Ich weiß, ich weiß“, gab ich schlicht zu. „Es läuft im Moment nicht so gut.“ „Sie sehen tatsächlich nicht sehr fit aus. Es ist mir daher wirklich überaus unangenehm, dass ich Sie belästigen muss …“ Dann machte er eine Pause, in der man ihm tatsächlich ansehen konnte, dass er mit sich selbst rang. Im Grunde war Hayashi-san ein wirklich netter Mensch. Aber auch der freundlichste Vermieter wird zum ungeliebten Gast, wenn man mit der Miete in der Kreide stand. Und wenn ich sein Verhalten richtig deutete, dann musste ich ihn gar nicht erst fragen, um zu wissen, dass es schlecht um mich stand. Er machte allerdings eine Anmerkung, die mir mehr als genug verriet, wie schlecht es war: „Takarai-san, Sie erinnern sich sicher, dass es in den Mietverträgen für die Wohnung in diesem Gebäude eine Klausel gibt, die besagt, dass die Mieter nicht mehr als drei Monatsmieten im Rückstand sein dürfen, da sie uns sonst leider verlassen müssen.“ „Ich verstehe“, sagte ich nickend, obwohl ich rein gar nichts verstand, wie sich später herausstellen sollte. Leere Worte, mehr war es nicht. Und gleichzeitig war es meine Chance, aus dieser Situation zu fliehen – und ich würde noch nicht einmal etwas inszenieren müssen. „Aber das sollten wir ein andermal klären. Bitte entschuldigen Sie, Hayashi-san, aber ich fühle mich jetzt nicht dazu in der Lage. Ich hatte einen schwierigen Abend.“ Ich war in diesem Moment ziemlich froh und sogar ein wenig stolz auf mich, dass ich diese Sätze so gerade herausbekommen hatte. Viel länger würde ich es nämlich nicht mehr aushalten und dann würde ich am Ende doch noch im Krankenhaus aufwachen. „Natürlich, natürlich!“, beeilte Hayashi, sich abermals zu entschuldigen, und verbeugte sich dabei, „ich werde Sie morgen Nachmittag noch einmal aufsuchen. Insofern es Ihnen dann besser geht, versteht sich.“ „Mit Sicherheit“, bestätigte ich ihm, was ich ihm eigentlich gar nicht bestätigen konnte … etwas, von dem ich sogar glaubte, dass es mit Sicherheit eher nicht eintreten würde. „Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht und gute Besserung.“ „Danke, Ihnen auch eine gute Nacht“, erwiderte ich mit einem aufgesetzten Lächeln, darauf wartend, dass Hayashi wieder ging. Er wohnte im ersten Stock, da würde er kaum den Fahrstuhl nehmen. Und nach einer weiteren Verbeugung, diesmal von uns beiden, ging er dann wirklich seines Weges. Ich konnte endlich wieder aufatmen und mich aus meiner steifen Haltung lösen. Ein Blick auf die Anzeige über dem Fahrstuhl sagte mir auch, dass er bereits unten angekommen war … und dass ich es irgendwie geschafft hatte, das vollkommen zu ignorieren, während ich meine gesamte Konzentration auf Hayashi hatte richten müssen. Auf diese Entdeckung hin drückte ich noch einmal auf den Knopf, stieg in den Fahrstuhl und fuhr nach oben zu meiner Wohnung, wo ich ähnliche Probleme hatte wie an der Haustür, diesmal nur mit dem Schlüssel, den ich nicht auf Anhieb ins Schloss bekam. Endlich drinnen angekommen pfiff ich dann auch auf jegliche Abendrituale, die zum Bettfertigmachen gehörten. Ich streifte mir lediglich die Schuhe ab, ließ sie achtlos liegen und ging dann gleich in mein Schlafzimmer, um mich auszuziehen und mich sofort ins Bett zu legen. Bei einem kurzen Blick in den Spiegel, der in die Garderobe im Flur integriert war, konnte ich sehen, dass zumindest mein Gesicht normal aussah. Deshalb hatten der Taxifahrer und Hayashi also auch nur wissen wollen, ob es mir nicht gut ginge, anstatt mich direkt zu fragen, ob man mich verprügelt hatte. Aber im Augenblick war das zweitrangig. Ich hatte, weiß Gott, andere Sorgen und wollte diesen nur noch entkommen, indem ich einschlief. * Doch auch der Schlaf konnte mir nicht helfen, wie ich am nächsten Tag beim Aufwachen feststellte. Ich konnte mich nicht an alles erinnern, aber ich wusste noch ganz genau, dass ich von dem Ereignis des gestrigen Abends geträumt hatte. Und von Gackt. Und dann hatte sich beides vermischt und am Ende hatte ich winselnd am Boden gelegen, während Gackt mich grün und blau schlug. Es war schrecklich gewesen. Ich hatte ihn angefleht und versprochen, dass ich alles für ihn tun würde, wenn er nur aufhörte. Ich hatte darum gebettelt, dass er mir verzieh, weil ich es nicht aushielt, dass er mich so strafte. Ich hatte ihm geschworen, dass ich mich ändern würde. Es hatte nichts gebracht, er hatte mir nicht geantwortet, sondern nur weiter auf mich eingeschlagen, bis ich mit tränennassen Augen und Wangen aus dem Schlaf aufgeschreckt war. Meine Atmung war zwar vollkommen ruhig gewesen, aber die Angst hatte mir in den Knochen gesteckt. Das tat sie im Grunde jetzt auch noch. Als ich aufgewacht war, hatte mein Wecker drei Uhr irgendwas angezeigt, und ich hatte mich nach ein paar Minuten wieder beruhigt. Die Schläge, die ich durch Emikos Mann eingesteckt hatte, waren schlimm gewesen, aber dieser Traum hatte mir die Hölle auf Erden gezeigt. Und ich hatte ihn letzte Nacht nicht nur einmal durchleben müssen – jedes Mal, wenn ich es geschafft hatte, wieder einzuschlafen, war er von vorne losgegangen, hatte mich verfolgt, bis ich es um kurz nach acht Uhr aufgegeben hatte, noch etwas 'normalen' Schlaf zu finden. Ich lag nur noch in meinem Bett herum und … tat nichts. Das Nichtstun brachte mich allerdings dazu, genauer nachzudenken, was gestern passiert war. Und die Träume waren der Schlüssel dazu: Ich hatte nicht nur heftige Prügel bezogen, ich war auch fallengelassen worden. Das Wörtchen 'Verrat' schlich sich unwillkürlich in meine Gedanken ein und sorgte für neue Tränen. Gackt hatte mich verraten … er hatte einfach aufgelegt, obwohl ich gesagt hatte, dass ich dringend seine Hilfe brauchte. Ich hatte doch nur bei ihm sein wollen und es war das einzige gewesen, was ich gewollt hatte … ich wollte es immer noch … aber ihm war egal gewesen, dass es mir so dreckig ging. Womit hatte ich das nur verdient? Ich hatte mein zufriedenes, kleines Leben gelebt. Natürlich hatte ich gewisse Ansprüche, aber wer hatte die nicht? Meine waren eben ein bisschen größer als die von anderen … als die vom sonst ach so edlen und bescheidenen Gackt in seiner Winzwohnung. Ach, er konnte mich mal mit seinem … mit seinem schelmischen Grinsen und seiner Offenheit und seiner Art, mich auf die Palme zu treiben und zum Lachen zu bringen und glücklich zu machen. Oh Gott, ich wusste absolut nicht mehr, was ich tun sollte! Mein Kopf schwirrte – beinahe noch schlimmer als gestern Abend. Der Klos in meinem Hals war auch wieder da und tat sogar noch mehr weh, schnürte alles ab. Ich konnte kaum atmen. Ich war sauer auf Gackt und enttäuscht und verletzt und gleichzeitig wollte ich ihn wie nichts anderes und alles vergessen, was vorgefallen war. In welcher Hölle war ich da nur gelandet? tbc. ~~~ ** + ** ~~~ Wenn einer am Boden liegt, dann kann es trotzdem immer noch weiter runtergehen. Ich hab kürzlich bei ein paar Schreibtips geleen, dass es die Aufgabe des Autors ist, seinen Protagonisten zu quälen - und je mehr er das tut, desto besser wird sein Werk. Ich denke, in dieser HInsicht mache ich doch einen ganz guten Job, oder? ;3 Kapitel 12: And the tears fall like rain ---------------------------------------- Als ich zum ersten Mal versuchte, das Bett zu verlassen, war es schon fast Mittag. Ich hatte zwischendurch doch noch ein oder zwei Stunden traumlosen Schlafs gefunden, aber beim Aufstehen hatte ich wieder sehr viel weniger Glück. Es war zum Kotzen. Solange ich still dalag und mich nicht rührte, war alles noch ganz okay, aber beim Aufstehen wurde ich schmerzlich daran erinnert, dass ich gestern Abend verprügelt worden war. Mir tat alles weh – ganz besonders der Brustkorb und die Seite, die unfreiwillig und sehr unliebsam Bekanntschaft mit dem Türknauf gemacht hatte. Meine Reaktion darauf war, mich sofort wieder hinzulegen, ohne überhaupt darüber nachdenken zu müssen. Einfach nur liegen und keine Schmerzen mehr empfinden. Doch es war bereits zu spät: Der Schmerz blieb, wenn auch weniger heftig als wenn ich noch weiter versucht hätte, aufrecht sitzen zu bleiben. Und die schnelle Bewegung zurück auf die Matratze war auch nicht besonders gut. Gott, wieso war das erst jetzt so schlimm? Es war doch sogar gestern Abend noch besser gewesen! Ich biss die Zähne zusammen und wischte mir ein paar Tränchen aus den Augen, die sich dort unwillkürlich gebildet hatten. Dabei ballte ich die Hand zur Faust, drückte sie gegen meine Stirn und grub meine kurzen Fingernägel in die Innenfläche meiner Hand hinein. Das war die einzige Möglichkeit, den Schmerz einigermaßen zu ertragen, bis er so weit abgeklungen war, dass ich wieder einfach nur daliegen konnte. Es dauerte ein paar Minuten, in denen ein Hände und Füße anspannte, tief durchatmete und nur daran dachte, dass es gleich vorbei war. Eigentlich wusste ich gar nicht, wieso ich das überhaupt tat, mein Instinkt sagte mir, dass es dann besser werden würde. Vielleicht, weil mein Verstand der Herr über meinen Körper war … Unbewusst fiel mir in dem Moment etwas ein, was ich vor einer Weile im Fernsehen gesehen hatte: ein Typ, der sein Zimmer mit Möbeln verriegelt und verrammelt hatte und dann plötzlich aufs Klo musste. Aber weil er nicht alles wieder hatten umräumen wollen, hatte er dagelegen und immer wieder gemurmelt: „Ich bin der Herr über meine Blase, ich bin der Herr über meine Blase …“ Er war dann sogar noch nach draußen auf den Fenstersims gekrochen, um über das Zimmer seines Mitbewohners ins Bad zu kommen, und wäre dabei fast zig Stockwerke weit nach unten gefallen. Und das alles nur, weil er so stur war. Ich hatte mich fast kaputtgelacht, als er zum Schluss doch nicht mehr Herr über seine Blase gewesen war. Der Gedanke daran entlockte mir auch jetzt wieder ein leises Lachen … das von weiteren Schmerzen begleitet wurde. Bitte, bitte … es sollte endlich aufhören! Aber vielleicht sollte ich doch ins Krankenhaus gehen und mich untersuchen lassen. Auch wenn das eine horrende Rechnung bedeuten würde, die ich nie und nimmer begleichen konnte. Ich musste nur jemanden finden, bei dem ich mir das Geld leihen konnte. Aki würde sicher sofort bei mir sein, wenn ich ihn anrief und ihm erzählte, was vorgefallen war. Er würde mich sogar wieder dazu zwingen, ins Krankenhaus zu fahren, und dann selbst die Rechnung übernehmen – ich kannte ihn doch. Und obwohl ich ihn kannte und ganz genau wusste, dass er nicht Gackt war, schlich sich gleichzeitig die Angst ein, dass auch er mich abweisen könnte. Es sah so aus, als wäre mein Verstand doch nicht der Herr im Haus, sondern Herz und Gefühl. Rationales Denken sagte mir, dass kein Mensch wie der andere war und nicht jeder gleich handelte. Und doch nagte es an mir. Ich schreckte davor zurück, völlig grundlos und obwohl ich Aki vertraute … denn ich hatte auch Gackt vertraut, dass er mein Freund war und ihm etwas an mir lag. Ich hätte nie erwartet, dass er mich so hängen ließ. Verflucht! Gackt, Gackt, Gackt! Da war er schon wieder und ging nicht mehr weg. Er plagte mich und ich konnte nichts anderes tun, als hier in meinem Bett liegen zu bleiben und nachzudenken, weil ich mich nicht bewegen konnte, ohne dass gleich alles höllisch weh tat. Es musste aufhören! Einfach nur aufhören … was genau damit gemeint war, wusste ich jedoch selbst nicht. Zuerst einmal sicherlich die Schmerzen und dann würde ich weitersehen. Aber dazu musste ich aus dem Bett. Ich atmete noch einmal durch, so gut es ging, und richtete mich dann ganz langsam auf. Es dauerte Minuten, bis ich saß und weitere Minuten, ehe ich die Füße auf den Boden gesetzt hatte. Ich hätte jemanden gebrauchen können, der mir half, komplett aufzustehen, aber das ging nicht. Ich war … allein und ich hatte mich selbst dazu entschieden. Es musste seltsam aussehen, wie ich letzten Endes aufstand, wie ich mich von der Matratze hochstemmte und dabei den Nachttisch zu Hilfe nahm, bis ich irgendwie halb aufrecht dastand. Und mein Brustkorb und meine Seite brachten mich fast um und die untere Hälfte meines Rückens half tatkräftig dabei. Ich beugte mich noch etwas weiter vornüber, damit zumindest das Rückenproblem so klein wie möglich wurde. So begab ich mich dann auf den quälenden Marsch zum Bad, wobei ich mich unterwegs an allen Türrahmen festhielt und die Wände und Kommoden als Stütze benutzte. Es war ein beschwerlicher Weg und ich machte zwischendurch sogar einmal Pause, als ich ein starkes Stechen in meiner Seite spüren konnte. Ich fühlte mich wirklich immer mehr wie ein alter Mann, als ich es endlich geschafft hatte und mich erleichtert aufs Klo setzen konnte. Zum Glück hatte ich nichts an und musste so nicht noch umständlich etwas ausziehen. Heute also im Sitzen … ich blieb etwas länger als es eigentlich nötig war, denn auch eine unbequeme Klobrille konnte nicht schlimmer sein als die Schmerzen, die ich hatte, wenn ich mich hinstellte. Ich blickte mich im Bad um und dachte darüber nach, wie es weitergehen würde. Erst einmal nur dieser Tag … über die kommenden würde ich mir Gedanken machen, wenn es so weit war. Eines wusste ich allerdings jetzt schon: Es würde kein Zuckerschlecken werden. Und mein Körper sah auch ganz danach aus – überall waren blaue Flecken und Blutergüsse, besonders da, wo ich Bekanntschaft mit der Türklinke gemacht hatte. Es war schrecklich anzusehen und würde sicherlich jede Menge Zeit brauchen, um komplett zu verheilen. Als ich mich wieder fit genug für die nächste Etappe fühlte, stand ich auf, mich dabei am Waschbecken abstützend, und wusch mir die Hände. Dann nahm ich alles, was ich brauchte, um mir die Zähne zu putzen, und trug es zur Badewanne hinüber. Ich stellte es irgendwo ab, wo es hoffentlich nicht herunterfallen würde und kletterte anschließend umständlich in die Wanne. Dann setzte ich mich hin, drehte ich das warme Wasser auf und … überlegte noch einmal. Besser, ich putzte mir die Zähne jetzt und badete danach erst, sonst würde ich ins Badewasser spucken müssen. Die Tatsache, dass Duschen günstiger für mein Portemonnaie gewesen wäre, ignorierte ich. Für meinen Körper war eine Wanne heißen Wassers wesentlich besser – hoffte ich zumindest. Ich putzte mir dann schnell und vermutlich etwas ungründlich die Zähne, ehe ich die Wanne volllaufen ließ, Badezusatz dazukippte und mich schließlich zurücklehnte. Während das Wasser an mir immer weiter nach oben stieg, konnte ich richtig fühlen, wie es sich lindernd auf meine Schmerzen auswirkte. Ich versank so weit, dass nur noch mein Kopf aus dem Wasser ragte und ich ansonsten komplett von wohliger Wärme umhüllt wurde. Hach~ hier würde ich mich für die nächsten Stunden nicht wegbewegen. Ich durfte nur nicht einschlafen. Dazu kam es auch gar nicht, denn sobald ich Ruhe hatte, gingen meine Gedanken wieder auf Wanderschaft. Aber sie wanderten nicht zu irgendwelchen Dates, die ich mal gehabt hatte und noch einmal erleben wollte, wie ich es sonst gern beim Baden tat. Nein, sie klebten sofort wieder an allem, was schiefgelaufen war. Gackt, gestern Abend, dann wieder Gackt, Hayashi und schließlich auch mein körperlicher Zustand. Wenigstens fing ich dabei nicht wieder an zu weinen. Anscheinend war ich über diese Phase hinaus, nachdem ich in den letzten vierzig Minuten mit meiner Grundversorgung beschäftigt gewesen war. Oder es schlummerte nur und wartete auf einen Zeitpunkt, zu dem es mich wieder richtig zu Boden werfen konnte. Jedenfalls, vielmehr versuchte ich, meine Probleme in den Griff zu kriegen und sie zu lösen. Aber dabei drehte ich mich immer wieder im Kreis: Ich musste meine Miete bezahlen, aber das konnte ich nur, wenn Geld hereinkam. Und Geld kam nur herein, wenn ich mich mit jemandem traf, aber dazu war ich im Moment nicht fähig. Um so schnell wie möglich wieder fit zu werden, müsste ich mich von einem Arzt behandeln lassen, aber den müsste ich bezahlen und ich hatte im Moment nicht das Geld dazu. Und wie ich es auch drehte und wendete, ich wusste nicht, was ich mit der Baustelle um Gackt machen sollte. Ich hatte noch nicht einmal einen Lösungsansatz, da er nicht mit mir reden wollte und mich selbst gestern Abend im Stich gelassen hatte. Vielleicht musste es so enden, vielleicht sollte ich die Sache einfach ruhen lassen und ihn vergessen. Und das würde die grausamste Aufgabe überhaupt sein. Ich war doch schon daran gescheitert, wie sollte ich es also jetzt hinbekommen? … Einen Menschen aus deinem Leben zu streichen, den du gern hast, wirklich gern hast. Und egal, was ich tun würde, ich wusste jetzt schon, dass ich ihn sowieso nie aus meinem Leben auslöschen konnte. Ich hatte ihn kennengelernt und er hatte Spuren hinterlassen, an die ich mich immer erinnern würde. Und wenn es nur Kleinigkeiten sein sollten wie den rechten Haken, den ich ihm an unserem allerersten Abend verpasst hatte, die Wette, die er gewonnen hatte, obwohl sie so subjektiv war wie nur irgend möglich, oder die Tatsache, dass er der erste Mann war, mit dem ich getanzt hatte. Oh … jetzt wusste ich ja, wieso er so gut tanzen konnte: Als Kind aus reichem Hause hatte er sicherlich Tanzunterricht und Benimmunterricht und alles mögliche gehabt, was sich in der High Society so gehörte … Ich wollte ihn nicht verlieren. Aber ich würde, denn ich hatte es so oft versucht und er hatte immer wieder abgelehnt. Ich schwamm im Rauch der verbrannten Brücken, die mich einst mit Gackt verbunden hatten. Ich musste da raus, bevor ich daran zugrunde ging, selbst wenn es mich immer trauriger machte und mir wieder unwillkürlich die Tränen kamen. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, wie sehr ich eigentlich an ihm hing. Und hätte ich es zugelassen, auch nur einen Schritt weiterzudenken, wäre ich auch auf den Grund dafür gestoßen. Nur verschloss ich die Augen davor, weil ich Angst hatte, dass es dann kein Zurück mehr für mich gäbe. Ich badete eine ganze Weile. Ein paar Stunden vermute ich, da ich dreimal etwas kalt gewordenes Wasser aus der Wanne heraus- und dafür neues, warmes Wasser nachlaufen ließ. Es war wirklich angenehm … und ich traute mich nicht ganz aus der Wanne raus, weil ich nicht wusste, wie es um meinen Körper stand. Es tat zwar nichts mehr weh, aber das hatte es heute morgen im Bett auch nicht und dann war ich wie mit dem Vorschlaghammer auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Ich musste auch irgendwann raus, denn meine Haut war schon ganz runzelig und wirkte irgendwie aufgequollen – gerade so als hätte sie sich mit Wasser vollgesogen. Die perfekte Gelegenheit bot sich dann, als es an der Tür klingelte. In mir keimte die sinnlose Hoffnung auf, dass es Gackt war, der sich doch noch umentschieden hatte und mir nun helfen wollte. Das verwarf ich aber schnell wieder, denn wie gesagt: Es war eine furchtbar sinnlose Hoffnung. Aki kam mir auch in den Sinn, aber ich hatte erst gestern Vormittag mit ihm telefoniert und ihm versichert, das alles in Ordnung war – das hielt für gewöhnlich für die nächsten Tage vor. Aber wer wusste schon, ob er nicht doch irgendwas mitgekriegt hatte bei unseren Telefonaten oder den letzten Treffen. Ich hatte zwar versucht, das Thema Gackt zu umschiffen und mir nichts anmerken zu lassen, aber vielleicht war doch etwas durchgekommen. Es deprimierte mich, sonst würde ich nicht so viel weinen, das hatte ich schon vor einer gefühlten Ewigkeit begriffen. Ich ließ es dann auf einen Versuch ankommen und stieg vorsichtig aus der Wanne. Und erstaunlicherweise hatte ich weniger Schmerzen als heute Mittag im Schlafzimmer. Das warme Wasser hatte also doch geholfen, wenn auch nur in einem bestimmten Maße. Zumindest schleppte ich mich nicht wieder wie ein alter Mann durch meine Wohnung, sondern hatte einen einigermaßen aufrechten Gang. Mein Bademantel hing auch noch an der Badezimmertür, weil ich ihn gestern Abend nicht gebraucht hatte, und so musste ich nicht extra einen Umweg machen. Ich wollte es nicht übertreiben. Den Postboten ebenfalls ausschließend, kam ich an der Tür an, öffnete einmal mehr ohne den Türspion zu benutzen und sah den, den ich gerade nicht erwartet hatte … oder bewusst verdrängt hatte: Hayashi, mit einer ernsten Miene im Gesicht und einem Aktenordner unter dem Arm. Natürlich … es sank mir erst jetzt richtig ins Bewusstsein … er hatte mir gestern Abend gesagt, dass er heute vorbeikommen wollte, um mit mir über die Wohnung zu sprechen. Und über die Miete. „Guten Tag, Takarai-san“, begrüßte er mich. Als er jedoch registrierte, dass ich im Bademantel vor ihm stand und die Spitzen meiner Haare nass waren, wurde seine Miene etwas weicher. Er entschuldigte sich auch sofort für die Störung, obwohl er sich doch angekündigt hatte: „Oh, es sieht so als als würde ich wieder zum falschen Zeitpunkt kommen. Es tut mir furchtbar leid. Scheinbar sind Sie noch nicht wieder ganz auf den Beinen.“ „Äh …“, machte ich erst einmal nur, weil er einen mit seinen Entschuldigungen manchmal förmlich überrannte. Ich brauchte dann immer einen Moment, um mich um fangen: „Nein, nein, es ist meine Schuld. Sie hatten sich angekündigt. Ich hätte es besser einplanen sollen.“ „Nicht doch, nicht doch“, kam darauf die Erwiderung, „Sie sahen gestern schon angeschlagen aus und müssen erst wieder gesund werden. Ich bestehe darauf.“ „Wenn das so ist …“ Es kam mir eigentlich ganz recht, dass er so hartnäckig war. Ich wollte mich nicht vor ihm erklären müssen – nicht jetzt und nicht später. Ich bedanke mich darum nur noch einmal, verbeugte mich leicht, Hayashi tat es mir gleich und … „Ich würde Sie nur darum bitten, einen Termin für mich zu finden, sobald es ihre Gesundheit erlaubt. Es ist doch recht dringend.“ Er zog eine Visitenkarte aus seiner Tasche seines Sakkos und überreichte sie mir mit dem Kommentar: „Nur für den Fall.“ „Danke sehr“, sagte ich, als ich die Karte entgegennahm. „Auf Wiedersehen und gute Besserung.“ „Danke. Wiedersehen.“ Ich wartete noch eine Sekunde, bis Hayashi sich umgedreht und zum Gehen gewandt hatte, ehe ich die Tür schloss. Dann sah ich auf die Visitenkarte, von denen er mir bestimmt schon ein halbes Dutzend Exemplare gegeben hatte. Immer für alle Fälle, falls sie mal verloren gingen. Und dann bekam ich auf einmal Angst – Angst vor dem, was mir bei dem Termin bevorstehen und was es für mich bedeuten würde. Es konnte einfach nichts Gutes sein, niemand würde mich für besonders freundliche Nachbarschaft auszeichnen und mir deshalb das Apartment schenken. Das Gegenteil würde der Fall sein, nachdem Hayashi gestern Abend die Andeutung auf die Klausel im Mietvertrag gemacht hatte. Ich wusste ja auch selbst nur zu gut, dass ich im Rückstand war und zahlen musste, um nicht rauszufliegen … wenn es nicht sogar schon zu spät war. Jetzt wollte ich mich nicht nur nicht vor Hayashi erklären müssen, sondern ich wollte ihn erst gar nicht wiedersehen. Denn jedes weitere Treffen würde es noch schlimmer machen. Ich hatte mich nicht keinen Millimeter bewegt, seit Hayashi gegangen war, ich hatte sogar noch die Hand am Türknauf. Ich stand dort wie angewurzelt und konnte genau spüren, wie ich eine Panikattacke bekam. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich atmete viel schneller, mir wurde abwechselnd unerträglich heiß und kalt und meine Gedanken steckten bei einer einzigen Frage fest: Wie komme ich da raus? Wie komme ich das raus? Wie komme ich da nur wieder raus?! Doch so klar die Frage auch war, so schwierig war die Antwort. Ich konnte nicht weiterdenken, nicht über den Tellerrand schauen, ich war gefangen und konnte nur zusehen, wie sich das grausame Szenario meiner Zukunft vor mir entfaltete und mich verschlingen würde, bis … oh bitte … bitte, irgendwer, hilf mir! Hilf mir doch! Ich will nicht so enden, ich will mein Leben zurück – mein schönes Leben und nicht dieses abgewrackte Etwas, das es jetzt ist. Ich will … Ich brach zusammen, fiel auf die Knie und kippte nach vorne. Die Hände presste ich fest auf mein Gesicht, als ob das die Lösung für alles wäre. Tränen rannen über sie und liefen an meinen Unterarmen hinunter, bis sie im Teppich versanken. Die Visitenkarte hatte ich fallen gelassen und begrub sie vermutlich gerade unter mir. Aber es kümmerte ich nicht, ob ich sie ramponierte … irgendwie war es mir sogar recht. Ich wollte mich wehren gegen das, was geschehen würde, und wenn ich mich nur an einem Stück Pappe ausließ. Aber was half es schon? Genau, nichts. Absolut gar nichts. Das war also mein erster Nervenzusammenbruch. Ich hatte etwas dieser Art noch nie vorher erlebt, aber diese eine Erfahrung reichte aus, um zu wissen, dass ich es nicht noch einmal durchmachen wollte. Nur leider hatte ich sehr wenig zu melden, wenn das Schicksal mein weiteres Leben auswürfelte. Ich konnte es nur irgendwie überleben und darauf warten, dass ich mich wieder beruhigte. Ich hockte ewig direkt neben der Tür und heulte. Schon bald verließ mich die Kraft erneut und ich kippte komplett auf die Seite, lag teils auf dem normalen Teppich, der in der halben Wohnung auslag, und teils auf dem Läufer, auf dem die Schuhe standen. Noch etwas später verließ mich noch mehr Kraft und ich hörte zu heulen auf und weinte nur noch stumm vor mich hin. Und dann irgendwann schlief ich vollkommen ausgelaugt ein, flüchtete vor der Achterbahn, die mein Leben zur Zeit war und bei der es irgendwie nur weiter nach unten zu gehen schien. Ich wollte gar nicht wissen, wie weit die Abwärtsfahrt noch gehen würde … ich konnte nur noch darauf bauen, dass ich irgendwann einmal am absoluten Tiefpunkt ankam und es wieder nach oben gehen konnte. Doch ich sah es einfach nicht … nirgendwo war das Licht am Ende des Tunnels, das mich vor allem retten konnte, oder der Prinz auf dem weißen Pferd, der seiner Jungfer in Nöten zu Hilfe eilte und dabei sein eigenes Leben riskierte. Alles nur stupide, verkitschte Klischees – die Realität sah ganz anders aus. Wie sollte es auch von jetzt auf gleich besser werden? War ich doch nicht nur gefangen in meinem Leben, sondern jetzt auch in meiner eigenen Wohnung. Und ich sperrte mich selbst dort ein, indem ich irgendwo zwischen Panikattacke und Nervenzusammenbruch beschloss, dass die Welt mir nichts weiter antun könnte, wenn sie mich nicht erwischte. Ich verkroch mich in meiner Wohnung, zusammen mit der festen Absicht, sie nicht zu verlassen, wenn es nicht wirklich, wirklich notwendig war. Dass das dumm war, wusste ich selbst. Und ich merkte es spätestens daran, dass mein Entschluss schon nach kurzer Zeit ins Wanken kam, da der Drang, nach draußen zu gehen, gegen meine Angst aufbegehrte. In einer guten Woche schaffte ich es, mich dutzende Male anzuziehen und mich zum Ausgehen fertig zu machen, nur um dann minutenlang vor der Tür stehen zu bleiben und doch wieder einen Rückzieher zu machen. Ich war kein Mensch, der sich einsperren ließ und dies einfach hinnahm. Ich wollte nicht hier drinnen vor mich hin vegetieren. Ich wollte Spaß haben … oder mich wenigstens von einem Arzt durchchecken lassen. Aber Hayashi konnte mir jederzeit über den Weg laufen und dann wäre alles vorbei. Und selbst wenn ich nicht erwischt wurde … was, wenn ich wieder in so eine Situation geriet wie mit Emiko und ihrem Mann? Denn Emikos Worte wollten mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Flittchen … Flittchen … Sie hatte mich ein Flittchen genannt. Sie sah in mir nicht mehr als ein … Ding, dass sie hernehmen und wieder weglegen konnte, wie sie wollte, denn sie bezahlte mich indirekt dafür. Und das schlimmste an der Sache war, dass es stimmte. Ich wusste es, ich wusste es doch! Es war mir immer klar gewesen und doch hatte ich es nie zugeben wollen. Ich hatte mich immer damit gerechtfertigt, dass ich mir meine Gönner selbst aussuchte und mir nur die herauspickte, die mich ansprachen. Aber so sehr dieses gewisse Interesse am Anfang auch da sein mochte, so schnell verflog es nur zu oft und die Dates wurden zur lästigen Notwendigkeit, um überleben zu können. Ich finanzierte mein Leben, indem ich anderen Leuten schöne Augen machte, sie bei Laune hielt und mit ihnen schlief. Ich war anscheinend wirklich nicht besser als ein besseres Flittchen, das sich anbot und verkaufte. Gackt hatte es mir schon bei unserer ersten Begegnung ins Gesicht gesagt und ich hatte ihm dafür eine reingehauen. Er hatte immer wieder versucht, mir einen anderen – den richtigen – Weg schmackhaft zu machen. Und genau das nagte nun nicht nur an mir, sondern nahm mir gleichzeitig die Illusion, die mein Leben in den letzten Jahren gewesen war. Vielleicht machte ich mir auch noch immer etwas vor, was meinen Wunsch nach Spaß und Gesellschaft anging … nur, um mich nicht leer zu fühlen. Mein momentanes Problem machte es auch nicht lösbarer: Raus wollen und doch nicht raus wollen – es war paradox und die Angst einfach zu stark. Jedes Mal, wenn mein Telefon klingelte, schreckte ich auf und sprang fast einen Meter in die Luft – insofern mein Körper das zuließ. Nachdem ich dabei einmal vom Sofa gefallen und mir den Kopf hart am Couchtisch gestoßen hatte, zog ich den Stecker. Und mein Handy schaltete ich einfach aus, solange ich es nicht selbst brauchte. Wenn jemand an der Tür schellte, schlich ich vorsichtig hin, um bloß nicht gehört zu werden und kontrollierte am Türspion, wer es war. In jedem Fall war es derjenige, den ich auch erwartet hatte: Der Lieferant vom Pizzaservice, vom Sushi-Express, vom Nudelrestaurant oder was auch immer ich bestellt hatte. Ich ging nicht mehr vor die Tür, noch nicht einmal, wenn ich etwas zu essen brauchte. Cornflakes, Kaffee und Tee hatte ich noch genug in der Küche und das sicherte das Frühstück. Mittag bzw. Abendessen orderte ich nur noch. Das ging zwar auf den Geldbeutel, aber ich versuchte, nicht daran zu denken, und außerdem aß ich sowieso nicht sonderlich viel. Stattdessen schlief ich lange, frühstückte irgendwann am frühen Nachmittag, schlief dann wieder, aß halb in der Nacht etwas vom Lieferservice und brachte den Rest des Tages irgendwie herum, ehe ich mich kurz vor Sonnenaufgang wieder in mein Bett verkroch. Mein Tag drehte sich fast komplett um. Aber das ganze Faulenzen, Fernsehen, Lesen etc. hatte zumindest ein Gutes: Ich bewegte mich wenig und meine Blessuren besserten sich. Sie machten sich zwar noch immer dann bemerkbar, wenn ich länger gelegen hatte und aufstehen wollte, aber es dauerte nicht mehr so lange, bis der Schmerz abklang. Ich badete auch öfter, wenn auch nicht so lange wie am ersten Tag. Doch so gut meine Wunden auch heilten und so relaxed mein Tagesablauf auch anmuten mochte, es änderte nichts. Ich lenkte mich nur ab, damit mich meine Sorgen nicht erdrückten. Richtig entspannen konnte ich nicht, denn so gut ich auch alles ignorierte, über das ich nicht nachdenken wollte, es nagte doch an mir – unbewusst. Wäre das nicht so, würde ich nicht hier festsitzen. Ich konnte nicht einfach so tun, als sei nichts geschehen, als sei mein Leben noch das, was es immer gewesen war – dazu war mir die Katastrophe viel zu bewusst, allem voran die zwischenmenschliche. Es ging mir nicht gut, überhaupt nicht. Und hätte man meinem Unterbewusstsein eine Stimme gegeben, hätte es sicherlich so laut um Hilfe geschrien, dass mir die Ohren geblutet hätten. Aber die Angst vor der ungewissen Zukunft zog einen Schleier über all das und versteckte sich gleich selbst dahinter, um nur ab und zu herauszukommen und mich von der 'Dummheit' abzuhalten, mir auch wirklich Hilfe zu suchen und mich den Problemen zu stellen. Aber die Fassade war nicht stabil, sie begann zu bröckeln. Meist schlief ich durch, aber es mischten sich immer mehr Träume in meinen Schlaf – Alpträume von dunklen, kalten Orten, von Abgründen, in die ich zu fallen drohte, und von grauen Menschenmassen, die mich niedertrampelten, während ich wehrlos am Boden lag. Es waren immer die gleichen Träume, die sich nur abwechselten und dafür sorgten, dass ich von kaltem Schweiß überströmt und teilweise aufschreiend aus dem Schlaf hochschreckte. Ich begann sogar zu weinen – aus einem Grund, den ich selbst nicht kannte, denn der Traum war derselbe wie immer gewesen. Mit einem kleinen Unterschied: Eine Glocke hatte geläutet, während die Menschen über mich hinweggelaufen waren und der Himmel am Horizont war schwarz geworden. Als ob das Ende nun doch gekommen wäre. Als ich wacher wurde, registrierte ich, dass ich mir die Glocke nicht eingebildet hatte. Es klingelte tatsächlich an der Tür. Und sofort war die Angst da, die mir sagte, dass Hayashi gekommen war, um mich aus der Wohnung zu werfen und mich auf die Straße zu setzen. Aber … würde er darauf warten, dass ich ihm öffnete und mich fügte, oder würde er sich einfach Zutritt verschaffen? Er war der Vermieter, er hatte alle notwendigen Schlüssel für dieses Gebäude. Ich konnte nur abwarten, was passierte, denn von selbst öffnen würde ich auf keinen Fall. Wenn er wieder ging, hatte ich Glück, wenn nicht … dann würde ich so oder so von hier weg müssen. Ich blieb im Bett sitzen und lauschte, achtete darauf, ob das Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde, erklang, und krallte mich dabei vor Angst und Gespanntheit an der Bettdecke fest. Aber es klingelte nur noch ein paar Mal und dann war Ruhe – minutenlang. Ich atmete tief ein und wieder aus … er war gegangen. Hayashi war wieder gegangen und hatte mich in Ruhe gelassen. Gott sei Dank! Einen Blick auf meinen Wecker werfend, bemerkte ich, dass es halb vier am Nachmittag war, und mein Magen sagte mir, dass er dringend etwas zu essen haben wollte. Wenigstens ein bisschen. Ich stieg also aus dem Bett – ja, mittlerweile konnte man es wieder einigermaßen so nennen – zog schnell frische Shorts und meinen Bademantel an und begab mich in die Küche, um mir dort einen Tee zu kochen. Das Essen musste noch warten, bis der fertig war, und solange der Wasserkocher lief, wollte ich schnell ins Bad. Ich putzte mir die Zähne und dann, gerade als ich zum Kamm griff, klingelte es erneut, diesmal aber energischer. Es ließ mich so dermaßen zusammenfahren, dass mir nicht nur der Kamm aus der Hand rutschte, sondern ich in dem Versuch, ihn wieder aufzufangen, den Flüssigseifenspender und meinen Wasserbecher herunterriss. Den Kamm konnte ich auch nicht retten und er fiel klappernd zu Boden. Hayashi! Er hatte nur die Schlüssel vergessen. Jetzt kommt er wirklich! Und er ist sauer! Am liebsten hätte ich mir in diesem Moment ein dunkles Loch gesucht, in dem ich mich verkriechen konnte, aber es war keins da. Stattdessen verlor ich vollkommen den Kopf. Ich lief zuerst in die Küche zurück und schaltete den Wasserkocher wieder aus. Warum ist das tat und was es bringen sollte, war zweitrangig. Dann rannte ich in mein Schlafzimmer, warf den Bademantel schon unterwegs ab und schlüpfe schnell in die erstbesten Klamotten, die ich finden konnte. Ob sie wenigstens noch einigermaßen sauber waren oder dort schon seit ein paar Tagen lagen und auf eine Wäsche warteten, kümmerte mich nicht. Vermutlich war es das Bestreben, nicht in Bademantel und Unterwäsche auf der Straße zu landen. Und noch während ich mir die zweite Socke anzog und in meinem Kopf bereits eine Liste von Dingen durchratterte, die ich unbedingt retten musste, hielt plötzlich ich inne, als wäre ich zu Eis erstarrt. Ich hatte etwas gehört. Doch es war nicht das Geräusch des Schlüssels, sondern mein Name gewesen. „Hyde?“ Hyde, nicht Takarai-san. Dann klopfte jemand an die Tür, indem er mit der Faust dagegenschlug, und rief dann wieder meinen Namen. „Hyde?! Hyde, bist du da?“ Und als ich die Stimme der Person erkannte, die da Zutritt zu meiner Wohnung wollte, wäre ich fast in Tränen ausgebrochen. Auf alle Fälle verlor ich das Gleichgewicht, stolperte und landete auf dem Fußboden. Doch dort blieb ich nicht. Ich rappelte mich auf, so schnell es ging, und rannte zur Tür. Das Klopfen hatte inzwischen aufgehört und ich bekam kurz Angst, dass ich nicht mehr rechtzeitig kommen würde. „Warte … warte!“, rief ich, während ich mit zittrigen Händen die Tür entriegelte, sie aufriss und hinaus in den Flur stürmte – direkt auf Gackt zu, der überrascht und auch etwas erschrocken aussah. Ich schlang die Arme um seinen Hals und drückte mich an ihn, als hinge mein Leben davon ab … irgendwie tat es das auch, denn er war das Leuchten, das mir in der Dunkelheit den Weg wies, und mich wieder hinausführen würde. Er war- „Hyde … nicht …“ Was? tbc. ~~~ ** + ** ~~~ Wie schreibt man - zumindest mMn - realitätsnah? Wenn man beschreibt, was man kennt und selbst erlebt hat. Sie sahen: einen Nervenzusammenbruch a la Earu. Keine schöne Sache und sich einfach nur auf die Ebene zu begeben, um das alles niederzuschreiben, ist annähernd schlecht. Und Gackt ist wieder da~a! :D Nur was will er dort? Warten da etwa neue Hiobsbotschaften auf Hyde? So langsam hat der Arme doch eigentlich genug durchgemacht, oder? Kapitel 13: When life leaves us blind ------------------------------------- „Hyde … nicht …“ Was? Ich erstarrte schlagartig und spürte die Panik wieder in mir aufkommen. Unausweichlich rollte sie auf mich zu und es fühlte sich an, als würde der Boden unter meinen Füßen weggerissen, als Gackt die Hände auf meine Schultern legte und mich von sich schob. „Nicht so fest, du erdrückst mich noch.“ Um ein Haar hätte ich ihm eine verpasst … oder ihn noch einmal so fest umarmt – ich konnte es nicht genau sagen, beide Bedürfnisse rangen miteinander und keines war eindeutig stärker als das andere. Stattdessen kämpfte sich ein drittes nach oben und zog einfach kampflos an den anderen beiden vorbei. „Bring mich hier weg“, sagte ich gerade heraus, ohne großartig darüber nachzudenken. Wir hatten keine richtige Begrüßung ausgetauscht, kein Wort zu dem gesagt, was vorgefallen war, und dennoch nickte Gackt einfach nur. Ich konnte in seinem Gesicht lesen, dass die Frage nach dem Warum schon auf halbem Wege zu seinem Mund war, aber er sprach sie nicht aus. „Dann lass uns gehen.“ Ich zögerte keinen Augenblick, sondern zog mir nur schnell Schuhe und Jacke an, holte meine Brieftasche, mein Handy und die Wohnungsschlüssel und ging dann einfach – zusammen mit Gackt. Dabei nahm er kurz meine Hand, ließ sie aber nach zwei Schritten schon wieder los und mich zurück mit einem Gefühl der Verwirrung und der stummen Frage, was das gewesen sein sollte. Oder ob mir das unangenehmer war, als wenn er meine Hand weiter gehalten hätte. Ich machte auch selbst keine Anstalten, irgendwie mehr Kontakt zu Gackt herzustellen. Er war da, ja, aber es kam mir trotzdem so vor, als sei er meilenweit weg. Die übermäßige Freude, die mich eben noch wie eine riesige Welle mitgerissen hatte, war wieder abgeebbt und hatte alles so zurückgelassen, wie es vorher gewesen war. Was war nur los? Draußen bemerkte ich, dass sein Fahrrad in einem der Stellplätze vor dem Haus stand, und als ich danach fragte, sagte er nur, dass er nach dem Besuch bei mir eigentlich gleich weiter zur Arbeit wollte. Weiter nichts, den ganzen restlichen Weg nicht mehr. Das Rad ließen wir stehen, gingen stattdessen zum nächsten Taxi-Halt, der nicht weit entfernt war, und fuhren damit zu Gackts Wohnung. Und kaum dass wir sie betreten hatten, fiel alle Scheu, die bis zu diesem Moment noch in mir gesteckt haben mochte, von mir ab – als ob ich in diesen Räumen alles tun und dabei erfolgreich sein könnte. Ich musste etwas riskieren, wenn ich etwas verändern wollte. Ich wartete deshalb gerade noch lange genug, bis Gackt die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, ehe ich ihn abermals umarmte. Diesmal zwar nicht so fest wie vor meiner Tür, aber dennoch bestimmt. Und er nahm mich ebenfalls in den Arm, hielt mich und gab mir die Bestätigung, die ich brauchte: Das hier würde nicht so enden, wie unser letztes Telefonat, er würde nicht wieder einfach so weggehen. „Es tut mir leid“, murmelte Gackt schließlich leise, nachdem wir eine Weile so dagestanden und kein Wort gesagt hatten. „Ich weiß, ich hab ziemlich großen Mist gebaut. Und ich kann nicht verlangen, dass du mir verzeihst, aber ich wäre wirklich froh, wenn du es doch tun würdest. Ich kann dir nicht sagen, wie leid es mir tut, dass ich dich so im Stich gelassen habe … und dass ich so lange gebraucht habe, um mich blicken zu lassen. Ich war so stur und wollte nicht noch weiter … aber gestern hat es mich fast erschlagen und ich konnte nicht mehr. Aber du bist nicht ans Handy gegangen und ich hab mir Sorgen gemacht. Glaub mir, ich bereue wirklich, was ich dir da angetan hab.“ „Es ist egal, ich bin dir nicht böse.“ Er war im Moment das Einzige, das nicht kaputt war … nicht mehr. „Wenn du nicht aufgekreuzt wärst, wäre ich noch komplett durchgedreht.“ „Komplett?“ Gackt lehnte sich etwas zurück, gerade weit genug, um mich ansehen zu können. „Erzählst du mir, was passiert ist?“ „Hm …“ „Diesmal bin ich ganz für dich da, versprochen“, versicherte er mir und gab mir daraufhin einen Kuss auf die Stirn … so, wie er es schon oft getan hatte, ehe er angefangen hatte, mich richtig zu küssen. Es gab mir Kraft, die wie eine Welle durch mich hindurchschwappte. „Ja …“, willigte ich ein und ließ ihn schließlich los, um mir Jacke und Schuhe ausziehen zu können. Die Sachen, die ich noch mitgenommen hatte, nahm ich aus meiner Tasche heraus, um sie mit ins Wohnzimmer nehmen zu können. Gackt tat dasselbe und verschwand dann kurz hinter dem Vorhang, der die kleine Nische von seinem Flur trennte. Nur ein paar Sekunden später tauchte er aber mit ein paar Flaschen im Arm schon wieder auf und bedeutete mir, dass ich vorausgehen sollte. Das tat ich auch und ging zielstrebig direkt auf die Couch zu. Gackt stellte erst noch die Flaschen auf den Tisch und fragte dann: „Willst du was trinken? Ich hab alles da – mit Alkohol, ohne Alkohol und wenn du willst, mixe ich dir schnell was.“ Ich warf kurz einen Blick auf das Sammelsurium an Flaschen auf dem Tisch und entschied schließlich: „Sake? Kalt reicht aus.“ „Geht klar“, war seine kurze Antwort, ehe er in der Küche ein Glas holte und mir etwas eingoss. Dann gesellte er sich wieder zu mir, für sich selbst nur ein Wasser in der Hand, und stieß das Gespräch wieder an: „Also, sag mir, was passiert ist.“ Und dann erzählte ich ihm die Geschichte der letzten gut anderthalb Wochen. Von dem Date mit Emiko, wie ihr Mann uns erwischt und mich verprügelt hatte und dass ich immer noch nicht im Krankenhaus gewesen war. Von den schlechten Nachrichten, die mir Hayashi überbracht hatte, und dem Elend und dem Mist in den Tagen danach. Zwischendurch nippte ich ab und zu an meinem Sake, wenn ich das Gefühl hatte, nicht mehr zu wissen, wie ich weitererzählen sollte. Gackt nickte dabei immer wieder, streichelte meine Schulter und ließ mir ansonsten die Zeit, die ich brauchte. Er unterbrach mich nur einmal, um in der Bar anzurufen und ihnen zu sagen, dass er heute nicht kommen konnte. Ich war froh, dass er das getan hatte, denn auch wenn er nur zur Arbeit gegangen und später wiedergekommen wäre, hätte ich es vermutlich nicht ertragen. Ja, es war selbstsüchtig, und trotzdem schämte ich mich deshalb nicht. Zum Telefonieren war Gackt aufgestanden und kehrte nach dem Ende des Gespräches auch nicht gleich zu mir zurück, sondern holte sich noch etwas zu trinken – ein Bier diesmal, wohl weil er jetzt quasi Feierabend hatte. „Entschuldige“, sagte er, als er sich wieder zu mir setzte, „red bitte weiter.“ „Na ja“, setzte ich an, zuckte kurz mit den Schultern und verzog die Lippen, „ich suche die ganze Zeit schon nach einer Lösung. Aber ich weiß eben nicht genau, wie schlecht es eigentlich steht. Ich habe Hayashi-san ja noch nicht einmal getroffen … aber gut kann es auf keinen Fall sein, so wie er mich angesehen hat. Und dann ist da eben noch diese Klausel im Mietvertrag.“ „Klausel?“, hakte Gackt nach. „Das Haus, in dem meine Wohnung ist, ist ziemlich um seinen guten Ruf bemüht. Deshalb sind einerseits die Mieten nicht gerade billig und andererseits wird auch nicht jeder Bewerber angenommen, selbst wenn er das nötige Startkapital vorweisen kann. Du fliegst da gnadenlos raus, wenn du drei Monate mit der Miete im Rückstand bist. Ich denke, das dient als Abschreckung, damit nur wirklich wohlhabende Leute einziehen, bei denen diese Situation erst gar nicht eintritt. Hayashi-san ist eigentlich ganz nett, aber man merkt, dass er einen gewissen Standard an Mietern haben will. Ich hab die Wohnung ja selbst nur mit Beziehungen bekommen und jetzt bin ich anscheinend im Rückstand … im kritischen Bereich sogar.“ Ich schämte mich eigentlich sehr selten, aber als ich dies zugab, tat ich es doch. Und noch viel mehr, als ich die nächsten Worte aussprach: „Und ich komme da einfach nicht mehr raus, weil ich kein Geld habe. Dabei bräuchte ich es wirklich dringend.“ „Ach, deshalb wolltest du von dort weg“, schlussfolgerte Gackt mit konzentrierter und auch etwas trauriger Miene. „Ja“, konnte ich darauf nur zugeben, „dort wäre mir irgendwann die Decke auf den Kopf gefallen. Hier nicht, hier ist es … viel besser.“ Hier fühlte ich mich wohl und sicher. „Aber ich will meine Wohnung auch nicht verlieren. Ich mag meine Wohnung! Nur nicht, wenn alles so … kompliziert ist.“ Gackt nahm es nickend zur Kenntnis, aber der komische Ausdruck in seinen Augen wollte einfach nicht verschwinden. Ich mochte nicht, was ich da sah. „Also …“, griff er das Gespräch schließlich wieder auf, „… im Grunde musst du nur eine Rate begleichen, um dir mehr Zeit zu verschaffen. Oder musst du gleich alles nachzahlen?“ „Nein, ich denke, eine reicht aus. Aber ich weiß nicht, wie ich da rankommen soll.“ „Verdienen?“, schlug er ganz sachlich vor und überraschte mich dann vollkommen, „ich heiße es sonst zwar nicht gut, wie du an dein Geld kommst, aber kannst du nicht jemanden von deinen Dates dazu bringen, dir was zu geben? Wenn du mehrere fragst, kriegst du es bestimmt schnell zusammen.“ Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, nachdem er sonst immer gewettert hatte, dass mein Lebensstil schlecht sei. Es störte ihn ja sogar so sehr, dass er den Kontakt zu mir abgebrochen hatte. Und jetzt schlug er mir genau das vor, was er sonst verurteilte? „Ich weiß nicht“, wandte ich ein, „es würde zu lange dauern, so viele zu fragen, und …“ Ich zögerte, es auszusprechen. Den Gedanken im Kopf zu haben, war die eine Sache – es laut zu sagen eine andere. Es fühlte sich schon erniedrigend genug an. „Ich kann es dir nicht geben, Hyde“, sagte Gackt dann auf einmal, ohne mich den Satz beenden zu lassen. „Ich müsste zu meinem Vater gehen und vor ihm kriechen. Und ich weiß noch nicht einmal, ob es etwas bringen würde. Es tut mir leid, aber ich muss dich enttäuschen, wenn du gedacht hast, dass sich alle deine Probleme lösen, wenn du mit mir mitkommst.“ „Nein! Nein, Gackt, das ist es nicht!“, widersprach ich ihm jedoch schnell. Denn ich roch förmlich, in welche Richtung seine Gedanken da gerade gingen, und das wollte ich um jeden Preis verhindern. Sonst würde es haargenau so enden wie vor einigen Wochen auf der Party. Dazu musste ich allerdings in den sauren Apfel beißen und auch noch mit dem Rest herausrücken: „Ich kann einfach nicht mehr so weitermachen wie bisher … Ich hab dir erzählt, dass Emiko mich abgeschossen hat, als ihr Mann mit mir fertig war. Aber sie hat noch mehr gesagt. Sie hat gesagt, dass ich nicht mehr bin als ein Flittchen, das sie ganz einfach ersetzen kann … ein Flittchen. Und sie hat Recht damit.“ Ich presste die Lippen aufeinander, als es raus war, und ich fühlte mich sehr seltsam. Mein Gesicht wurde heiß und in meinen Ohren konnte ich meine eigene Stimme hören, wie sie die Worte wieder und wieder sagte. Wie eine Endlosschleife, in der sich alles überlagerte. Gackt antwortete darauf erst gar nicht und dann mit einer Entschuldigung: „Es tut mir leid, Hyde. Es … ich denke nicht, dass sie damit Recht hat.“ In seinem Gesicht konnte ich lesen, dass er es ernst meinte, denn seine Miene hatte sich gewandelt: Sie war nicht mehr konzentriert oder traurig, sondern drückte aus, dass er aufrichtiges Beileid empfand. Ich schüttelte jedoch den Kopf, so sehr ich mich auch über sein Mitgefühl freute. „Sie hat Recht. Du hast doch auch gesagt, dass ich mich prostituiere. Bei unserem ersten Treffen, weißt du noch? Du hast mich genötigt, dir zu erzählen, was an dem Tag mit mir los war. Und als ich dir erzählt habe, wer Taishin und all die anderen für mich sind, hast du gesagt, dass ich mich quasi prostituieren würde, auch wenn ich das nicht so sehe.“ „Ich kannte dich doch damals noch gar nicht“, wandte Gackt darauf ein, rückte ein bisschen näher an mich heran und legte die Hände auf meine Schultern – wie um mich zu beschwichtigen. „Das ändert nichts an den Tatsachen“, insistierte ich weiter und wandte trotzig das Gesicht von ihm ab. Ich wollte mich nicht kleiner machen, als ich war, denn ich sagte diese Worte nicht, um noch mal eine Extraportion Mitleid bei ihm zu erwecken. Nein, ich dachte wirklich, was ich da sagte, auch wenn ich lange gebraucht und erst dieser Mist hatte passieren müssen, um mir die Tatsachen einzugestehen. „Wie du willst“, hörte ich Gackt dann auf einmal sagen, „aber das ist doch jetzt vollkommen egal.“ Er lehnte sich auf ein Stück zur Seite, um wieder in mein Blickfeld zu kommen, das konnte ich spüren. Als das jedoch nicht klappte, drehte er meinen Kopf einfach, indem er mich am Kinn packte und mich mit sanftem Druck festhielt. „Du änderst dich gerade“, erklärte er es mir dann auch, „das heißt, dass du diesen Teil deines Lebens hinter dir lassen willst. Ich bin doch auch kein versnobter Bastard, nur weil ich in einer reichen Familie aufgewachsen bin. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden und wenn du sagst, dass du nicht mehr so weitermachen kannst, dann ist das doch dasselbe.“ Ich antwortete nicht gleich, kaute erst einmal nur unschlüssig auf meiner Unterlippe herum. Ich wollte ihm so gerne einfach nur glauben und es hinter mir lassen. Aber seit ich diese Erkenntnis über mein Leben hatte, ließ sie mich nicht mehr los. Es war, als säße ein kleines Männchen in meinem Ohr, das mir beständig zuflüsterte, dass ich mich freiwillig verkauft hatte. Dass ich mich immer für etwas Besseres gehalten hatte, obwohl ich es niemals wirklich gewesen war. „Gackt …“, setzte ich schließlich doch an, in einem Ton, der ihm schon alles verraten musste. Und das Resultat? Er fiel mir ins Wort: „Ach, hör doch endlich auf! Wo ist der Hyde hin, den ich kennengelernt habe? Der Hyde, der einen Scheiß darauf gegeben hat, was andere von ihm halten, und der keine Skrupel hatte, reiche Geldsäcke zu schröpfen. Du hast einen Schock erlitten, weil dein Weltbild jetzt nicht mehr ganz so sauber ist, und deshalb bist du jetzt down. Aber das ist, verdammt nochmal, kein Grund, sich um 180 Grad zu drehen und komplett zu einer kümmerlichen Heulsuse zu werden! Ja, es ist schrecklich, was dir passiert ist und was du erkannt hast, und genau das musst du jetzt hinter dir lassen und wieder aufstehen. Mein Gott!“ Dann zog er mich fest an sich und schlang die Arme um meinen Oberkörper. Er holte tief Lust und ich dachte schon, dass die Schimpftirade weitergehen würde, aber er sprach ganz ruhig: „Ich werde dir helfen, so gut ich kann. Ich helfe dir, einen richtigen Job zu finden und auch eine neue Wohnung. Und solange bleibst du einfach hier. Wir schaffen das. Du schaffst das, wenn du es wirklich willst. Es macht mir auch nichts aus, wenn du in der nächsten Zeit doch noch mit Dates über die Runden kommst. Aber, bitte, gib jetzt nicht auf, nur weil gerade alles auf einmal über dich herfällt.“ Ich nickte. Und nickte nochmal. Und nochmal. Und legte dann die Hände auf seinen Rücken. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Natürlich könnte ich nicht alles von jetzt auf gleich umsetzen und er würde sicherlich auch nicht erwarten, dass sofort wieder alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre. Ich wusste ebenso selbstverständlich nicht, wie lange ich brauchen würde, um einigermaßen wieder auf die Beine zu kommen, oder wo ich dazu überhaupt anfangen sollte. Aber das war erst morgen und heute konnte ich noch so schwach sein, wie ich wollte. Und Gackt schien es mir auch nicht weiter übelzunehmen, denn er sprach es nicht mehr an. Wir redeten bis spät abends, machten zwischendurch etwas zu essen und Gackt erinnerte mich einmal mehr daran, dass er nicht nur hinter dem Tresen wirklich etwas drauf hatte, sondern auch in der Küche. Um kurz nach Mitternacht holte er auch die Spielekonsole wieder hervor und schloss sie an, falls ich noch eine Runde zocken wollte, denn er wollte so langsam ins Bett. Ich lehnte allerdings dankend ab und schloss mich ihm stattdessen an. Der Tag war anstrengend gewesen und obwohl ich nicht viel getan hatte, fühlte ich mich ausgelaugt. Gackt gab mir daraufhin ein paar Shorts und ein Hemd von sich, das ich übergangsweise anziehen konnte, und breitete den Gästefuton im Schlafzimmer direkt neben seinem eigenen aus. Er versprach mir auch noch, morgen in meine Wohnung zu fahren und ein paar Sachen für mich zu holen. Er musste ja sowieso dorthin, da sein Fahrrad immer noch dort stand. Dann wünschte er mir eine gute Nacht, schaltete das Licht aus und der Tag fand damit sein Ende. * Als ich am nächsten Morgen erwachte, begrüßte mich das Geräusch von rauschendem Wasser. Ich brauchte eine Weile, um erst einmal die Augen richtig aufzukriegen, weil alles so hell war, und dann um mich zu orientieren. Die Tatsache, dass ich sehr nah am Boden und doch auf einer Matratze lag, half mir schließlich auf die Sprünge: Ich war bei Gackt! Er hatte mich gestern abgeholt und bei sich aufgenommen. Ich drehte mich ein Stück um, um nach ihm zu sehen, aber er war nicht da. Der Futon neben mir war leer, die Decke lag platt auf der Matte und war ein bisschen verrutscht. Auf dem Kopfkissen lag nur mein Handy, das ich gestern eigentlich auf mein Kissen gelegt hatte. Es war schon etwas seltsam. Ich streckte meinen Arm danach aus, um zu schauen, wie spät es war, und bemerkte dabei, dass ich ziemlich weit außen auf meinem Futon lag. Ich wollte mich jetzt allerdings nicht bewegen, denn es war gerade so schön warm – der Rest des Futons würde vermutlich total kalt sein. Ich schaltete also das Handy an, um nur einen kurzen Blick auf die Uhr zu werfen, registrierte halb zehn und drehte mich wieder zurück auf den Rücken. Aber dass Gackt nicht da war, wunderte mich schon. Wo war er nur um diese Uhrzeit? Er hätte es mir doch sicherlich gesagt, wenn er früh hätte aufstehen müssen. Dann hörte ich auch schon Schritte, dumpfe Schritte von nackten Füßen auf Teppichboden, und direkt darauf öffnete sich die Tür und Gackt kam herein. Umsichtig schloss er sie wieder und schlich anschließend auf Zehenspitzen zu seinem Futon zurück. Allerdings legte er sich nicht dorthin, sondern schlüpfte einfach zu mir unter die Decke, anscheinend nicht bemerkend, dass ich wach war. Und mir dämmerte es langsam, wieso ich so weit außen war und wieso da mein Handy auf seinem Kopfkissen liegen konnte. Als Gackt dann auch noch einen Arm um meine Taille schlang, machte ich mich doch bemerkbar. „Morgen“, murmelte ich und drehte mich ein Stück zu ihm um. „Oh, guten Morgen!“ Er wirkte ein wenig überrascht, als er den Gruß hastig erwiderte und auch etwas abrückte – wohl um mir den Freiraum zu lassen, den ich brauchte, um mich ganz umdrehen zu können. Aber ich blieb auf dem Rücken liegen. „Hast du gut geschlafen?“, fragte Gackt weiter. „Ich denke schon. Ich kann mich zumindest nicht erinnern, irgendwelchen Mist geträumt zu haben. Mal wieder.“ „Mal wieder?“, hakte Gackt nach und sah mich mit einem Stirnrunzeln an. „Ach, nichts“, winkte ich ab, „Träume eben.“ „Erzähl es mir“, bat er mich darauf. Und ich zögerte auch nicht lange, seufzte nur leise und schenkte ihm ein schwaches Lächeln: „Ich hab von dir geträumt. Du hast mich verprügelt und wolltest nicht damit aufhören. Ich hab um Hilfe gerufen und gebettelt, dass du mir verzeihst, aber du hast mich komplett ignoriert … alle anderen haben mich auch ignoriert. Und noch anderes Zeug … ich weiß es nicht mehr genau.“ „Hyde …“, flüsterte Gackt nach ein paar Sekunden des Schweigens und zog mich an sich, „das tut mir leid.“ „Hä?“, machte ich, als ich den Blick hob und ihn ansah. „Warum tut es dir jetzt leid? Emikos Mann hat mich verprügelt und nicht du. Es waren nur Träume.“ „Aber ich hab dich im Stich gelassen.“ „Dafür hast du dich schon entschuldigt.“ „Es tut mir trotzdem leid“, betonte Gackt noch einmal und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Dazu musste er den Hals etwas strecken, weil wir so nahe zusammen lagen. Sehr nahe. „Hm …“, war das Einzige, was ich dazu tun konnte. Ich wollte nicht diskutieren, wie leid es ihm tat, wenn es mir im Grunde gar nicht mehr wichtig war. Stattdessen schloss ich die Augen wieder – vielleicht, um noch etwas zu dösen oder … was auch immer. „Hyde?“, wurde ich jedoch noch einmal angesprochen, „willst du weiterschlafen?“ „Weiß ich nicht.“ „Na, dann …“ „Hm“, machte ich wieder nur. Und dann küsste er mich erneut, diesmal auf die Wange. Und ein drittes Mal, aber auf den Mund. Und dort blieben Gackts Lippen hängen. Er saugte leicht an meiner Unterlippe, bis ich schließlich nachgab und mit einstimmte, mich ihm entgegenlehnte und eine Hand auf seinen Oberarm legte. Ich dominierte den Kuss sogar, schob meine Zunge zwischen seinen Lippen hindurch in seine Mundhöhle und konnte Pfefferminze schmecken. Mir wurde warm dabei und meine Fußsohlen begannen zu kribbeln, als ich spürte, wie mir Gackts Hand unter das Hemd kroch und an meiner Wirbelsäule entlangwanderte. Ich wollte mehr, ich konnte nicht genug davon kriegen. Ich seufzte genießerisch, als Gackt sich schließlich doch löste und sich räusperte. Seine Hand blieb allerdings da, wo sie war. „Was tun wir hier eigentlich?“, fragte er murmelnd. „Hm?“, erwiderte ich ebenso fragend und öffnete die Augen wieder. „Ich meine das hier. Und damals zum Geburtstag meines Vaters. Was tun wir?“ „Ich hab keine Ahnung. Was denkst du denn?“ „Hm“, machte er nun und schwieg dann kurz, „ich würde sagen, dass wir was füreinander übrig haben.“ „Ja, so weit bin ich auch gekommen, Sherlock“, witzelte ich, „und ernsthaft?“ „Ich meine es ernst, Hyde“, entgegnete Gackt darauf mit einer Miene, die genau das auch ausdrückte. „Und was ist jetzt der Unter- …“ Es dämmerte. Mir dämmerte, was der Unterschied sein könnte bei 'etwas füreinander übrig haben' und 'etwas füreinander übrig haben'. Das Kribbeln an meinen Fußsohlen wurde stärker und mir wurde auf einen Schlag noch wärmer. „So etwas wie …“, brachte ich gerade so hervor. „Ich weiß nicht … vielleicht … ich denke schon“, sagte er, zuckte mit den Schultern und lächelte schwach. tbc. ~~~ ** + ** ~~~ Cliffhanger~~~ ich liebe sie. Als Autor quält man ja nicht nur seine Protagonisten, sondern auch seine Leser, indem man die Schnitte an den richtigen Stellen setzt *hrhr* Aber jetzt geht's endlich so richtig ans Eingemachte, was den Beziehungsstatus der beiden Herren angeht! Und ich kann euch versichern, dass Hyde diesmal nicht wieder so lange auf dem Schlauch stehen wird, denn das nächste Kapitel ist auch schon das letzte - es wird richtig schön lang und Hyde wird definitiv seine Entscheidung fällen. Hier wäre dann auch die letzte Gelegenheit, noch irgendwelche Vermutungen und Hoffnungen über den Ausgang der Story abzugeben, oder mir die Pest an den Hals zu wünschen, weil ich (schon wieder!) cliffhangere x3 Egal, ob's das eine oder andere ist, immer her damit! :3 Kapitel 14: Because it is you ----------------------------- Füreinander übrig … füreinander übrig … Hatten Gackt und ich etwas füreinander übrig? Ich konnte diese Frage nicht beantworten. Für ihn sowieso nicht, aber wenn er es schon ansprach, dann … war da höchstwahrscheinlich was. Doch viel wichtiger: Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, auch nachdem ich mir in den letzten Tagen nichts anderes gewünscht hatte, als dass er endlich wieder mit mir redete. Denn ich hatte mich gegen die Gedanken gesperrt, was dahinterstecken könnte – ich hatte einfach nur zu ihm gewollt. Und seit ich bei ihm war, hatte ich mich auch nicht damit beschäftigt. Ich war einfach nur froh gewesen, dass er da war, für mich da war. Doch nun, da er es so direkt ansprach, war ich ratlos. Und das sagte ich ihm auch – keine Missverständnisse mehr, kein falscher Stolz, den ich hinterher doch nur bereuen würde. „Lässt du mich drüber nachdenken?“, fragte ich und schaute ihn an. „Hm, klar doch“, lautete Gackts Antwort. Seine Mimik sagte allerdings etwas anderes, wenn auch nur kurz. Für einen winzigen Moment presste er die Lippen aufeinander und zog die Augenbrauen etwas zusammen, ehe alles wieder von einem Lächeln überdeckt wurde. Doch es reichte, um zu wissen, dass es für ihn gar nicht so selbstverständlich war. Er wollte, dass ich ihm sofort sagte, was ich dazu dachte, und war enttäuscht, dass ich es nicht tat. Er war enttäuscht und ich konnte es ihm noch nicht einmal verübeln. Aber ich konnte es auch nicht besser machen, denn ich brauchte schlichtweg die Zeit. Keine Missverständnisse mehr. Damit war die morgendlich Idylle jedoch zerstört. Was so angenehm begonnen hatte, fühlte sich jetzt merkwürdig an. Gackt schien dasselbe zu denken, denn keine zwei Minuten später schlüpfte er wieder aus dem Futon, holte ein paar Sachen aus dem Kleiderschrank und zog sich schnell an, während ich noch liegen blieb. „Ich geh jetzt deine Sachen holen“, sagte er schließlich. „Brauchst du außer Klamotten noch was Bestimmtes? Irgendwelche Unterlagen?“ Ich überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf, als mir auf die Schnelle nichts einfiel. Die wichtigsten Ausweise trug ich sowieso in meinem Portemonnaie mit mir herum, die Schlüssel waren auch hier und mein Handy … oh, da war doch etwas! „Das Ladegerät für mein Handy, es liegt im Schlafzimmer auf dem Nachttisch.“ „Geht klar.“ Und zu meiner Beruhigung kam Gackt dann auf mich zu, anstatt sich gleich auf den Weg zu machen, kniete sich neben dem Futon auf den Boden und setzte einen Kuss auf meine Lippen. Für diesen kurzen Moment schloss ich unwillkürlich die Augen und als ich sie wieder öffnete, konnte ich ihn wieder lächeln sehen. „Bis später. Wenn du Hunger hast, dann bedien dich ruhig. Ich war vorgestern erst einkaufen, du findest also bestimmt irgendwas.“ „Danke.“ Als er sich wieder aufrichtete, hätte ich am liebsten nach seinem Kragen gegriffen und ihn wieder zu mir heruntergezogen. Ich unterließ es allerdings und tat stattdessen etwas, was wahrscheinlich noch viel schwerwiegender war. „Bleib nicht zu lange weg“, sagte ich und sah ihn dabei bittend an. Zwar fühlte ich mich mittlerweile besser als gestern und in der ganzen letzten Woche, aber ich war mir nicht sicher, ob ich Einsamkeit jetzt schon wieder verkraften würde. Gackts Lächeln wurde breiter. „Versprochen.“ Dann stand er endgültig auf und verließ das Zimmer. Die Tür ließ er dabei ein kleines Stückchen offen, sodass ich hören konnte, wie er sich auch Schuhe und Jacke anzog und mit den Schlüsseln klimperte. Kurz darauf wurde die schwere Wohnungstür geöffnet und mit einem lauten Klacken auch wieder geschlossen. Und ich war wieder allein. Doch diesmal fühlte es sich nicht so schlimm an wie gestern noch, zumindest im Augenblick. Auch hatte sich noch keins meiner finanziellen Probleme so richtig gelöst und mit dem Gackt-Problem war ich im Grunde vom Regen in die Traufe gekommen, aber ich musste wenigstens nicht mehr permanent Angst haben, dass mir jeden Augenblick komplett der Boden unter den Füßen weggerissen wurde und ich hilflos in einen Abgrund fiel. Ich war in Gackts Wohnung, hier würde mich niemand finden, der mir etwas antun konnte, hier würde ich vor allem beschützt sein, bis ich wieder bereit war, mich den Dingen zu stellen. Und bald würde Gackt auch wieder da sein und ich würde mich noch sicherer fühlen. Und damit war ich auch schon bei dem Thema, dem ich mich in der Zeit, in der Gackt meine Sachen holte, beschäftigen sollte. Damit ich ihm eine Antwort geben konnte, wenn er wieder zurückkam. Also: Hatte ich etwas für ihn übrig, so wie er anscheinend für mich etwas übrig hatte? Ich müsste schon ziemlich dumm sein und mich vor mir selbst verschließen, wenn ich auf diese Frage jetzt noch mit einem klaren Nein antworten wollte. So war es nun wirklich nicht. Aber was war es dann und wie tief reichte es? Ja, ich mochte Gackt. Ja, ich verbrachte gern Zeit mit ihm und fühlte mich –speziell jetzt – sehr wohl in seiner Gegenwart. Und außerdem: Ja, ich ließ zu, dass er mich berührte und küsste, wann und wie er wollte. Doch ganz besonders Letzteres musste nicht viel heißen. Ich mochte viele von denen, mit denen ich im Grunde nur ausging, weil ich sie ausnutzen wollte – wenn sie sich nicht zu sehr aufdrängten und nervten. Und weil ich im Grunde von ihnen abhängig war, akzeptierte ich auch beinahe alles, was sie von mir verlangten. Und doch … es fühlte sich anders an. In Gackts Fall war das Kriterium der Abhängigkeit nie dabei gewesen – ich hatte mich nie mit etwas abfinden müssen, weil es mir nutzte. Eigentlich hatte man ab einem bestimmten Punkt überhaupt nicht mehr von 'abfinden müssen' sprechen können. Es war einfach da gewesen, es war ehrliche Sympathie gewesen. Und dieses Gefühl war sogar so stark geworden, dass ich mich über eine Woche in meiner Wohnung verkrochen und allein vor mich hin gegammelt hatte, anstatt zu anderen Freunden zu gehen, nur weil Gackt mich abgewiesen hatte. Also: Hatte ich etwas für ihn übrig, so wie er anscheinend für mich etwas übrig hatte? Ich dachte- Das schrille Klingeln meines Handys riss mich abrupt aus meinen Gedanken heraus und versetzte mir so einen Schrecken, dass ich mich wahrscheinlich flach auf den Boden geworfen hätte, würde ich nicht ohnehin schon im Bett liegen. Mein Handy … wieso konnte mein Handy überhaupt klingeln? Ich hatte es doch wieder … ein Blick nach rechts zu dem Kopfkissen, auf dem das flötende Gerät lag, verriet mir allerdings, dass ich es eben nicht wieder ausgeschaltet hatte. Ich starrte es noch ein oder zwei Momente lang an, ehe ich die Hand ausstreckte und danach griff. Wenn es Hayashi oder ein unbekannter Anrufer war, konnte ich immer noch nicht rangehen und darauf warten, dass das Klingeln aufhörte – und das Telefon dann wieder ausschalten, um weitere unangenehme Anrufe im Keim zu ersticken. Doch zu meiner Erleichterung stand da AKI auf dem Display, was bedeutete, dass ich das Gespräch gefahrlos annehmen konnte. Nun, vielleicht nicht ganz so gefahrlos, wie ich es mir vorgestellt hatte. „Hyde? Hyde! Gott, geht es dir gut? Was ist passiert? Wo bist du? Ich mach mir Sorgen. Hyde, sag doch endlich was!“, dröhnte es mir wie ein Wasserfall entgegen, kaum dass ich auf die Taste mit dem grünen Hörer gedrückt und „Hallo?“ gesagt hatte. Es war eindeutig Aki und er ließ mir keine Zeit, auch nur auf eine seiner Fragen zu antworten. „Ich hab tausendmal versucht, dich zu erreichen, aber dein Handy war immer aus. Hyde! Ich mache mir Sorgen um dich!“ Und ein schlechtes Gewissen machte er mir mit seiner Hektik und Hysterie außerdem. Meine Antwort begann daher nicht mit „Immer mit der Ruhe“, sondern mit einer Entschuldigung: „Tut mir leid, Aki, ich wollte dich nicht beunruhigen. Bitte sei nicht sauer.“ „Sauer? Sauer?! Dafür ist es jetzt eigentlich zu spät“, kam es auch gleich zurück, mit einem Tonfall, der zwar deutlich angesäuert klang, aber irgendwie auch nicht. Erleichterung und auch immer noch etwas Hektik schwang ebenfalls mit. Und dann konnte ich einen tiefen Seufzer hören. „Was machst du denn nur, Hyde?“ „Tut mir leid“, wiederholte ich darauf und fügte gleich noch etwas hinzu. Denn auch hier galt: Keine Ausflüchte mehr, kein falscher Stolz. „Es lief in letzter Zeit nicht gut mit … allem.“ „Das kann ich mir vorstellen, wenn du einfach so von der Bildfläche verschwindest. Was ist denn passiert?“, fragte Aki mit besorgter Stimme. Noch einmal, er wollte, dass ich die Geschichte, die ich Gackt gestern Abend schon erzählt hatte, auch ihm noch einmal erzählte. Und dann begann ich zu reden, jedoch nur in den groben Zügen: „Ich hatte dir doch letztens gesagt, dass ich abends noch mit Emiko ausgehen wollte …“ „Ich kann mich erinnern“, bestätigte er und schwieg dann wieder. „Am Anfang war alles noch wie immer, aber zum Ende hin lief überhaupt nichts mehr so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ihr Mann hat uns erwischt und ich konnte nicht schnell genug abhauen. Da hat er mich verprügelt und-“ „Was?!“, funkte Aki mir jedoch ganz aufgeregt dazwischen, „wieso … wieso hast du mir denn nichts gesagt? Mensch, Hyde, ich bin dein Freund, ich will so was doch wissen! Geht es dir denn gut? Was hat der Arzt gesagt?“ „Das wollte ich dir eigentlich gerade erzählen“, entgegnete ich und schluckte den dicken Klos, der mir durch Akis Reaktion plötzlich im Hals saß, herunter. „Ich bin nicht zum Arzt gegangen. Keine Sorge, es geht mir im Moment den Umständen entsprechend ganz gut, denke ich. Aber da ist noch mehr passiert und ich konnte nicht hingehen.“ „Noch mehr? Hyde, was machst du nur?“ „Ja, ich weiß … und ja, noch mehr. Ich hab Gackt dann angerufen und ihn um Hilfe gebeten. Aber nach dem, was auf der Geburtstagsfeier seines Vaters passiert ist, wollte er nicht. Er hat wieder aufgelegt und ich hab mir dann ein Taxi gerufen und mich nach Hause bringen lassen. Ich wollte eigentlich nur in mein Bett und alleine sein, aber ich bin meinem Hausverwalter noch über den Weg gelaufen und … ich weiß nicht, was er genau wollte, aber er hat angedeutet, dass ich wohl demnächst aus der Wohnung fliegen würde. Ich bin mit der Miete im Rückstand und die reagieren da ziemlich schnell, weil sie ein gewisses Niveau im Haus halten wollen. Da wollte ich dann erst recht alleine sein und hab mich in meiner Wohnung verkrochen und hatte zu viel Angst, um ans Telefon zu gehen. Ich hab alles ausgeschaltet oder den Stecker gezogen und bin kaum noch zur Tür gegangen, damit ich nicht erwischt werde. Eigentlich wirklich dumm, irgendwann wäre ich sowieso dran gewesen, aber … keine Ahnung. Es hat mir alles ziemlich zugesetzt, die Schläge vom Emikos Mann, die Wohnung und am meisten die Sache mit Gackt, glaube ich. Mich in meiner Wohnung zu verbarrikadieren machte da irgendwie Sinn.“ Da machte ich eine kleine Pause und lauschte, denn ich hatte von Aki nicht einen Ton gehört, während ich erzählt hatte. Zwar wollte ich nicht, dass er alles mit Ja und Amen quittierte, aber ich hatte ihn auch nicht atmen oder schnauben oder sonst ein Geräusch machen hören. „Bist du noch da?“, hakte ich daher nach. „Ja, bin noch hier.“ Und trotzdem klang er etwas abwesend bei seiner Antwort. In solchen Momenten hasste ich Telefonate wie die Pest, denn man konnte nur hören und nicht sehen, was der andere gerade tat. „Ich frage mich jetzt aber wirklich, warum du nicht zu mir kommst, wenn du solche Probleme hast. Es ist doch keine große Sache, dir mit der Miete und der Arztrechnung ein bisschen unter die Arme zu greifen, ich hätte dir auf alle Fälle geholfen! Nur mit Gackt hättest du alles selbst regeln müssen … allerdings würde ich jetzt schon gerne wissen, was bei euch eigentlich alles passiert ist. Du hast schon gesagt, dass du ihn nicht mehr treffen willst, aber so wie du das jetzt erzählt hast, steckt da noch mehr dahinter.“ Ja, ich sollte es ihm wohl tatsächlich erzählen, auch wenn ich keine richtige Ahnung hatte, wie ich ihm die ganze Sache begründen sollte, damit er nicht sauer wurde. Es war ja selbst für mich schwierig einen plausiblen Grund für mein Verhalten der vergangenen Tage zu finden. „Ich weiß nicht genau“, rückte ich schließlich mit der Sprache heraus, „ich wollte dich einfach nicht um Hilfe bitten. Einerseits hab ich immer noch Schulden bei dir.“ Diesmal bekam ich wirklich ein abfälliges Schnauben zur Antwort, das ganz sicher von einem Augenrollen begleitet wurde und sagen sollte, dass ich mir über solche Sachen doch keinen Kopf machen musste. Denn so war Aki – ein richtig guter Freund, der so etwas wie Geldsorgen immer hinten anstellte, wenn jemand in Not war. Dass auch andere ihren Stolz oder ihre Prinzipien hatten, sah er dabei eher selten ein. Und noch bevor er mich tatsächlich unterbrechen konnte, erstickte ich den Keim im Ansatz: „Ich weiß, was du jetzt sagen willst, aber ich wollte wirklich nicht. Und außerdem hatte ich die ganze Zeit nur Gackt im Kopf, weil … der Vollidiot, von dem ich dir erzählt hab – der, mit dem ich auf der Party was hatte, das war Gackt. Er ist einer der Söhne vom alten Camui und war deshalb auch da.“ „Ist nicht dein Ernst!“, schnitt Aki mir dann doch das Wort ab. Allerdings schien ihn die Tatsache, dass Gackt zur Familie des Drachenfürsten gehörte, im Augenblick alles andere verblassen zu lassen. „Und du hast mit ihm geschlafen? Ich wusste doch, dass zwischen euch was läuft! … Oder zumindest lief.“ Und das brachte uns auf direktem Wege zu meinem momentanen Hauptproblem. „Das … ist noch nicht ganz raus“, kommentierte ich Akis kleine Jubelei nüchtern. „Das ist dann wohl das Desaster, von dem du gesprochen hattest.“ „Ja, das Desaster“, bestätigte ich und wischte mir mit der freien Hand über das linke Auge, „er ist dann auf einmal fast ausgeflippt, weil ich was über meine Dates gesagt hab, und am Ende hat er mich vor die Tür gesetzt. Er wollte mich nicht mehr wiedersehen, hat er gesagt. Zwar hab ich am Tag drauf versucht, nochmal mit ihm drüber zu reden, aber er hat dicht gemacht und wollte nicht zuhören. Ich hab dann auch nichts mehr von ihm gehört, bis zu dem Abend, als ich ihn um Hilfe gebeten hab.“ „Als er dich hat hängen lassen“, berichtigte mein Freund am Telefon mich. „So kann man es auch sagen“, musste ich ihm da zustimmen. Allerdings kannte er ja auch noch nicht die ganze Geschichte. Sie war noch nicht auserzählt und war vielleicht auch weit davon entfernt, je nachdem, wie ich mich entschied. „Aber gestern Abend stand er dann vor meiner Tür und hat mich abgeholt. Ich bin im Moment in seiner Wohnung und er holt noch ein paar Sachen aus meiner.“ „Klingt ganz so, als wäre wieder alles in Ordnung zwischen euch beiden. Freut mich wirklich! Und Hyde, wenn er dir Hilfe anbietet, dann sei bloß nicht so dumm und lehn sie ab! Wir reden hier immerhin von einem Camui! Dieser Familie wird es erst recht nichts ausmachen, wenn sie ein paar Monate Miete für dich nachzahlen. Zumal da sowieso genug Geld für wohltätige Zwecke fließt, so weit ich das von meinen Eltern gehört habe.“ „Doch, Aki, denen wird es einiges ausmachen, vermute ich“, entgegnete ich darauf, „Gackt lebt in einer eigenen, winzigkleinen Wohnung zur Miete, weil er sich mit seiner Familie zerstritten hat. Er will mir helfen, aber er kann und wird mich nicht finanziell unterstützen. Das hat er mir schon gesagt. Ich würde es wahrscheinlich auch gar nicht wollen, denn sonst sähe es wieder so aus, als würde ich nur zu ihm gehen, um an das Geld seiner Familie zu kommen. Deshalb haben wir uns auf der Feier seines Vaters schon gestritten und das hat mir gereicht.“ „Und so ist es nicht, nehme ich an“, schloss Aki aus meinen Worten. „Aber was ist es dann?“ „Genau das ist die große Frage! Er hat mir vorhin gesagt, dass er, nein … wir was füreinander übrig hätten, und wollte wissen, wie ich das sehe.“ „Und?“, fragte Aki nach und klang dabei ziemlich gespannt. „Was hast du dazu gesagt?“ „Was schon? Dass ich drüber nachdenke. Ich hab keine Ahnung, was ich darüber denke. Als ich es rausfinden wollte, hast du angerufen.“ Akis Kommentar dazu fiel jedoch etwas anders aus, als ich gedacht hätte: „Wie? Du verarscht mich jetzt doch!“ „Nein. Wieso?“ „Hyde, ein Blinder erkennt, dass du in den Kerl verschossen bist! Wieso ausgerechnet du dann nicht?“ Was? Ich setzte mich auf und biss auf den Daumennagel meiner linken Hand. War es wirklich so? Sah es wirklich jeder, während ich nichts davon merkte? „Hyde?“, hakte Aki nach, worauf ich leicht aufschreckte. „Was macht dich da so sicher?“, fragte ich langsam. „Was dich daran noch zweifeln lässt, frag ich mich viel eher!“ Er schrie fast in den Hörer, als er mir dies sagte. Aus Sicherheitsgründen hielt ich das Handy ein Stückchen von meinem Ohr weg. Ich verstand ihn bei all seiner Aufregung auch so. „Er schmeißt dich raus, weil du was über deine Dates sagst, und du versuchst, es wieder zu kitten – das hab ich dich noch nie tun sehen. Er lässt dich hängen und es macht dir so sehr zu schaffen, dass du dich in deiner Wohnung verkriechst, nachdem du verprügelt wurdest und zum Arzt gehen solltest. Du hast genügend andere, an die du dich wenden könntest – du hast mich –, aber du tust es nicht, weil du nur zu ihm willst. Und der eindeutigste Hinweis: Er kommt dich retten, sagt dir aber gleichzeitig, dass er deine Wohnungsprobleme nicht lösen wird, und trotzdem klingst du, als wäre alles in Butter. Hyde, mach doch die Augen auf! Dass er dich auch erst drauf hinweisen muss, grenzt schon an …“ Den Rest blendete ich aus. Stattdessen schloss ich die Augen und erinnerte mich plötzlich daran, wie Gackt vorhin noch neben mir gelegen und gesagt hatte, dass wir etwas füreinander übrig hätten. Er hatte nicht gesagt, dass nur er sich so fühlte, sondern wir. War es wirklich so offensichtlich? Und was hieß das dann jetzt? Ich hatte mich so lange darauf konzentriert, dass ich des Geldes wegen von anderen Menschen abhängig war, mich quasi prostituierte … selbst wenn mir jemand gefallen hatte, hatte ich die Beziehung immer wie ein Geschäft betrachtet oder sie hatte nicht lange genug gehalten, um zu etwas anderem zu werden. Aber auf Gackt hatte ich mich eingelassen, ohne es zu merken. Weil ich gar nicht erwartet hatte, dass es mal so laufen würde. Er hatte mich vollkommen überrumpelt. Und wenn ich ehrlich war, dann war es jetzt eigentlich schon viel zu spät, um noch auszusteigen – ich steckte bereits mittendrin. Und meine Entscheidung war plötzlich so klar wie lupenreines Glas. „Ich werde es versuchen“, sagte ich schließlich, ohne zu wissen, von was Aki eigentlich gerade redete. „Wie?“, fragte er dann auch gleich nach. „Mit Gackt, ich werd's mit ihm versuchen.“ „Oh, gute Entscheidung!“, gratulierte er mir schließlich, „aber überleg es dir nicht nochmal anders, bevor er wieder da ist.“ „Ich denke nicht, dass das passieren wird. Aber ich werde jetzt aufstehen und mir was zu essen suchen.“ Das war auch nötig, denn mein Magen knurrte nun schon zum dritten Mal. „Mach das mal“, stimmte Aki mir zu, „ich wollte sowieso nur kurz anrufen und fragen, wie es dir geht, und jetzt telefonieren wir schon über eine halbe Stunde.“ „Du hast mir wirklich geholfen, Aki“, gab ich daraufhin zu, „ich weiß nicht, wie ich mich sonst entschieden hätte. Danke dafür.“ „Nichts zu danken. Wenn Gackt wirklich was an dir liegt, hätte er dich auch selbst überzeugt. Und jetzt macht euch nen schönen Tag!“ „Danke. Und man sieht sich.“ „Ja. Tschüss!“ Dann trennte ich die Verbindung, legte das Handy auf den fast unberührten Futon, auf dem Gackt eigentlich hatte schlafen wollen, und stand auf. Jedoch ging ich nicht direkt in die Küche, um mich dort am Kühlschrank zu bedienen, sondern steuerte zuerst das Bad an und putzte mir die Zähne, gefolgt von einer Dusche. Eine halbe Stunde später saß ich, nach Gackts Duschgel riechend und auch in Klamotten von ihm gekleidet, am Küchentisch bei Kaffee und kaltem Gemüsereis mit Sojasoße, der wohl gestern übrig geblieben war. Zumindest hatte ich ihn in einer Schale im Kühlschrank gefunden. Und ich fragte mich, wann Gackt wiederkommen würde, schließlich war er schon vor über anderthalb Stunden aufgebrochen. Allerdings wusste ich nicht genau, wie lange er für den Hin- und Rückweg brauchen würde. Mit dem Taxi dauerte es bestimmt je zehn Minuten, aber vielleicht nahm er ja auch die U-Bahn. Und sein Fahrrad hatte er auch bei mir stehen lassen, also könnte es noch eine ganze Weile dauern. Mein Problem war jedoch, dass ich diese Zeit nicht abwarten wollte, seitdem ich meinen Entschluss gefasst hatte. Aki brauchte wirklich keine Angst haben, das ich mich doch noch umentschied, wirklich nicht. Mit jeder Minute, die verging, wurde mir klarer und klarer, dass ich eine Beziehung mit Gackt haben würde … irgendwie sogar schon hatte. Und dieser Gedanke war nicht unangenehm, sondern stimmte mich geradezu glücklich und die Vorfreude auf Gackts Rückkehr wuchs. Ich schmunzelte kurz, trank den letzten Schluck Kaffee aus und stand dann auf, um mir noch eine Tasse einzugießen. Doch zum Trinken kam ich nicht mehr, denn in dem Moment konnte ich hören, wie ein Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür geschoben und herumgedreht wurde. Ich ließ alles stehen und liegen und begab mich stattdessen in den Flur, um Gackt zu begrüßen. Dabei konnte ich richtig spüren, wie sich wie automatisch ein Lächeln auf meinen Lippen ausbreitete und sich dort auch gleich festsetzen wollte. Allerdings war es nicht Gackt, der den kleinen Flur betrat, sondern ein junger Mann, den ich zuvor nur ein einziges Mal gesehen hatte – auf der Geburtstagsfeier von Gackts Vater. Und er hatte eine dunkle Reisetasche dabei, die für gewöhnlich am Boden meines Kleiderschrankes lag. „Hi!“, begrüßte er mich, direkt nachdem er die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, „ich bin You, Gakus bester Freund. Wir haben uns schon mal gesehen, glaube ich.“ „Ich erinnere mich“, grüßte ich, leicht aus dem Konzept gebracht, zurück. Auch das Lächeln hatte sich mit einem Mal verflüchtigt. „Was ist denn mit Gackt?“ „Der hat noch was zu erledigen, hat er gesagt. Um was es geht, weiß ich aber leider auch nicht. Er hat mir nur die Tasche in die Hand gedrückt und mich gebeten, dir deine Sachen zu bringen. Und schöne Grüße soll ich dir auch ausrichten, er will auf alle Fälle noch mal herkommen, bevor seine Schicht in der Bar anfängt.“ „Äh … danke“, sagte ich und nahm You die Tasche mit den Sachen ab. Ich konnte nicht leugnen, dass ich ein wenig enttäuscht war. Gackt hatte mir gestern Abend noch erzählt, dass seine Schicht um 19 Uhr anfangen und bis Mitternacht dauern würde. Das hieß, dass er im schlimmsten Fall erst in ein paar Stunden wiederkommen und vielleicht auch gleich wieder gehen würde. Gleich der erste Tag würde im Allerwertesten sein, wenn es tatsächlich so kam. Die Reisetasche verstaute ich im Schlafzimmer. Ein kurzer und sehr oberflächlicher Blick in ihr Inneres verriet mir, dass ich nun nicht nur wieder meine eigenen Sachen hatte, sondern auch meine eigene Zahnbürste. Und das Ladekabel meines Handys war dabei, so wie ich es bestellt hatte. Es lag ganz oben drauf. Als ich wieder in den Flur ging, stand You natürlich immer noch da. Und er schien mir am Gesicht ablesen zu können, wie es mir ging. „Du siehst nicht unbedingt glücklich aus“, meinte er und schob die Hände in die Jackentaschen. „Ist es so offensichtlich?“ „Es ist schon ein ziemlicher Unterschied zu dem Gesicht, dass du gemacht hast, als ich reingekommen bin. Gackt wäre dir lieber gewesen, wenn ich das richtig sehe.“ „Hm.“ „Wenigstens etwas.“ „Wie bitte?“, fragte ich ob seiner seltsamen Bemerkung. Auf Yous Lippen breitete sich darauf ein Grinsen aus und er erklärte es mir: „Wenn du dich so auf ihn freust, kann das nur Gutes für ihn bedeuten. Endlich. Er hat sich selbst ziemlich fertig gemacht, als er sich von dir ferngehalten hat.“ „Wirklich?“, hakte ich nach und fühlte, wie meine Handflächen zu kribbeln anfingen. „Hm. Manchmal ist er so ein Idiot. Und furchtbar stur, wenn ihm etwas richtig nahe geht. Aber man wird es ihm wohl nicht austreiben können. Ich kenne ihn fast mein ganzes Leben lang und er war schon immer so. Er kann echt nerven.“ Diese letzte Anmerkung brachte auch mich wieder zum Schmunzeln: „Das hab ich schon gemerkt.“ „Aber er ist auch ein sehr guter Freund.“ „Hm … äh, sag mal, willst du vielleicht einen Kaffee? Ich hab vorhin welchen gekocht.“ „Damit ich ein paar seiner Jugendsünden auspacke, die du dann gegen ihn verwenden kannst?“, flachste You, sah dabei auf seine Armbanduhr und machte einen Schritt nach hinten, „so gerne ich dir auch von seinen Abenteuern beim Knigge-Unterricht, den Tanzstunden oder seiner kleinen Weltreise erzählen würde, aber ich muss eigentlich schon wieder los. Hab grad Mittagspause und noch nichts gegessen, weil Gackt mich überfallen hat.“ „Ach so. Kein Problem, ich frag ihn dann einfach selber darüber aus.“ Schade. Es wäre schön gewesen, ein bisschen Gesellschaft zu haben, wenn Gackt jetzt doch erst später kam. Und dann auch noch welche, die ihm nahestand und die mir mehr von dem Teil seines Lebens erzählen konnte, von dem ich noch nicht allzu viel wusste. Und ja, wahrscheinlich hätte ich das ein oder andere dann später tatsächlich einmal gegen ihn verwenden können. „Ich befürchte, dass er dir leider nicht viel sagen wird“, meinte You außerdem. „Da sind wirklich witzige Sachen passiert. Aber wir werden uns in nächster Zeit wohl öfter sehen, nehme ich an.“ „Ich auch.“ Damit verabschiedeten wir uns, ich schloss die Tür hinter ihm ab und kehrte dann in die Küche zu meiner mittlerweile etwas kühlen Tasse Kaffee zurück. Ich trank sie schnell aus und aß auch die restlichen Körner Reis auf, die noch in der kleinen Schale waren, um mir dann wieder eigene Sachen anziehen zu können. Dabei dachte ich noch immer über Yous letzte Bemerkung nach. Wir würden uns jetzt wohl öfter sehen … weil er Gackts bester Freund war und damit Teil seines Lebens – und bald auch von meinem. Es wärmte mir das Herz, denn mich ergriff wieder einmal die Stimmung, in der man ist, wenn einem etwas besonders klar wird. Aber erst einmal hieß es warten, den ganzen Nachmittag. Die Zeit vertrieb ich mir mit Fernsehen und dem Erkunden von Gackts Wohnung. Viel gab es allerdings nicht zu sehen – ich ging nur zwei oder drei Mal sein Regal mit den DVDs und Büchern durch, in der Hoffnung, dass sich die Lage spontan verbesserte oder mir eine neue Beschäftigung einfiel. Ich schaute sogar mehrmals unmotiviert in den Kühlschrank hinein, ohne wirklich etwas essen zu wollen – einfach nur, weil ich sonst nichts mit mir anzufangen wusste. Immer wieder sah ich auf die Küchenuhr und beobachtete, wie die Zeit unerbittlich langsam dahinfloss. Gegen drei schob ich schließlich eine DVD ein, die mir auch nicht unbedingt zusagte. Gegen vier versuchte ich dann, ein kleines Nickerchen einzuhalten, aber ich war zu aufgekratzt. Gegen fünf wuchs meine Hoffnung wieder, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis Gackt zurückkam, und ich versuchte es mit einem Buch aus dem Regal. Gegen sechs sank meine Laune in den Keller, weil wir – selbst wenn er jetzt durch die Tür kommen würde – nur maximal eine halbe Stunde haben würden. Und um sieben war ich nicht nur enttäuscht, sondern auch sauer auf ihn. Erst hatte er mir versprochen, dass er bald zurück sein würde, nur um dann doch seinen besten Freund zu schicken. Dann hatte er mir ausrichten lassen, dass er auf alle Fälle noch vor der Arbeit vorbeischauen würde. Und jetzt saß ich noch immer allein hier herum. Wenn Aki mich jetzt sehen könnte, würde er mir sicher sagen, dass das nur ein weiterer Beweis dafür war, dass ich in Gackt verschossen war. Ich war wirklich ein Dummkopf gewesen, es so lange zu ignorieren oder mich sogar dagegen zu sperren. Die ganze Woche hatte ich mit einem ähnlich sehnsüchtigen Gefühl dagesessen, immer wenn ich an Gackt hatte denken müssen, und war trotzdem nicht auf das Offensichtliche gekommen. Aber auch wenn Gackt davon noch nichts wusste, hätte ich gedacht, dass er etwas gespannter auf meine Antwort war – er hatte doch heute Morgen danach ausgesehen, als ich ihn um etwas Zeit gebeten hatte. Er hätte wenigstens selbst anrufen können! … Moment – anrufen! Ich rollte mich von der Couch und ging ins Schlafzimmer, wo mein Handy noch immer unberührt auf dem Futon lag. Keine SMS oder Anrufe, die ich überhört hatte. Doch darauf war ich gar nicht aus. Wenn Gackt anrufen konnte, dann galt das für mich auch. Ich kniete mich auf die Matte, wählte seine Nummer und wartete. Es gab ein Freizeichen und klingelte. Und klingelte und klingelte. Und keiner ging ran. Es sprang noch nicht einmal eine Mailbox oder so etwas an. Ein Blick auf Gackts Wecker verriet mir, dass es schon fast halb acht war – vermutlich stand er schon hinter der Bar und arbeitete. Enttäuschter denn je trennte ich den Verbindungsaufbau wieder und ließ das Handy zurück auf den Futon fallen. Saurer als noch vorhin rutschte ich zur Seite und setzte mich im Schneidersitz hin. Vor halb eins würde ich sicherlich nichts von Gackt hören, denn wenn er es bisher nicht für nötig gehalten hatte, sich fünf Minuten Zeit zu nehmen, um kurz anzurufen, dann würde er es sicher auch jetzt nicht tun. Und da er seine Pausen dann machte, wenn es gerade günstig war, hatte ich wenig Hoffnung, ihn zufällig doch noch ans Telefon zu kriegen. Vor halb eins würde ich also nichts mehr von ihm hören. Was sollte ich nur bis dahin- … Moment mal! Wieso benahm ich mich hier eigentlich gerade so wie ein Teenager und schmollte, nur weil der Kerl, in den ich offensichtlich verschossen war, mich versetzt hatte? Das war doch albern! Weil es ein Versprechen gewesen war, war die Antwort. Zwar ging deshalb die Welt nicht unter, denn ich würde mich nur noch vier weitere Stunden lang allein beschäftigen müssen … vier Stunden, nachdem die letzten acht schon gereicht hatten. Im Grunde hatte ich alles Recht der Welt, auf ihn sauer zu sein! Allerdings war ich auch nicht unbedingt scharf darauf, vier Stunden lang zu schmollen. Eine Ablenkung musste her! Das Handy ließ ich verwaist liegen, als ich das Schlafzimmer verließ und ins Wohnzimmer zurückkehrte. Ich nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank, machte den Fernseher wieder an und schaltete auch die Konsole ein, die noch immer hinter dem Flachbildschirm stand. Das beste Mittel gegen miese Laune war, irgendwelchen virtuellen Viechern bei einer Runde TAC ordentlich in den Arsch zu treten. Ich lud meinen Spielstand und machte da weiter, wo ich vor Wochen aufgehört hatte. Dass unter meinem noch ein weiterer war, ein neuer, der gerade mal zweieinhalb Spielstunden anzeigte, ignorierte ich geflissentlich. Oder vielleicht doch nicht ganz, denn ich brauchte eine Weile, um wieder richtig in das Spiel reinzukommen – Monster, die eigentlich keine Gegner für mich sein sollten, brachten mich an den Rand des Game Overs, von dem ich mich nur mühsam wieder wegarbeiten konnte. Aber nach einer Stunde war ich wieder vollkommen drin und legte einen phänomenalen Lauf hin. Ich folgte nicht nur der Hauptstory, sondern erledigte einige Sidequests und arbeitete an meinem Status, um es später einfacher zu haben. Und das in rasant kurzer Zeit – ich schaffte alles wesentlich schneller, als ich gedacht hätte, nachdem ich das Spiel ja seit Jahren nicht mehr gespielt hatte. Vier Dungeons und ein bisschen Kleinkram bis Mitternacht und ich wurde absolut nicht müde! Zwischendurch leerte ich die Bierflasche und auch noch eine zweite und zog mich auch irgendwann für die Nacht um. Und als ich gerade dabei war, mir einen Flugdrachen zu erspielen, der mich schneller durch die Gegend bringen würde, hörte ich die Tür. Allerdings hielt ich nicht an, sondern spielte einfach weiter. Ich war viel zu konzentriert darauf, schließlich spielte ich jetzt schon wieder einige Stunden am Stück und die Welt von TAC war einfach so einnehmend, dass man dabei schnell alles ausblendete – ob man wollte oder nicht. Außerdem war es auch für mich nicht einfach, an dieses blöde Drachenvieh zu kommen; jeder Versuch kostete Geld und ich hatte nicht vor, auch nur einen davon zu vergeuden. Zumal ich meist immer frustrierter wurde, je öfter ich scheiterte, und dann klappte gleich gar nichts mehr und ich musste mich echt zusammenreißen, um den Controller nicht quer durch den Raum zu pfeffern. Und dann betrat Gackt das Zimmer. „Bin wieder da“, begrüßte er mich. „Hi!“, grüßte ich knapp zurück und begann fast im gleichen Moment, auf dem Bestätigungsknopf herumzuhacken, um die lästige Beschreibung des Minispiels, die leider immer gebracht wurde, so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. „Tut mir leid, dass ich so spät komme. Ich hatte noch was zu erledigen“, sagte er darauf mit einem komisch klingenden Unterton und kam noch ein paar Schritte weiter in den Raum hinein. Ich konnte spüren, dass er fast direkt neben mir stand und zuschaute, ließ mich davon aber auch nicht ablenken. Mit ihm kam auch der starke Geruch von Zigaretten. „Musst du die roten Kugeln sammeln?“ „So ähnlich. Äh … ich kann jetzt … äh …“ „Schon gut“, meinte Gackt jedoch, „ich geh kurz duschen. Bis gleich.“ „Hm … … hä?“ Ich drückte nun doch auf Pause, aber Gackt war schon wieder draußen im Flur und zog sich die Jacke aus. Das rechte Bein seiner Jeans war hochgekrempelt, soweit ich es von meinem Platz vor der Couch aus erkennen konnte. Er war also mit dem Fahrrad hergekommen – ich hatte ihn schon einmal so gesehen und da hatte er sich direkt darauf auf sein Rad geschwungen. Allerdings schien er mich nicht gehört zu haben, denn er ließ sich jetzt nicht beirren und verschwand in Richtung Bad. Das metallische Klirren einer Gürtelschnalle und das beständige Rauschen von viel Wasser bestätigte mir kurz danach auch, dass er im Bad war und unter der Dusche stand. Hätte ich mich vielleicht doch weniger auf das Spiel und stattdessen mehr auf Gackt konzentrieren sollen? Es war schon ein seltsames Gefühl, dass er jetzt endlich da war und gleich nach der Begrüßung erst einmal wieder verschwand, selbst wenn es nur für eine Dusche war. Er musste doch wissen wollen, wie ich mich entschieden hatte. Aber … würde er heute überhaupt noch einmal fragen oder morgen oder wartete er darauf, dass ich es von selbst sagte, was ich dachte? Solange er unter der Dusche stand würde ich es jedenfalls nicht erfahren und mindestens ausharren müssen, bis er fertig war. In der Zeit könnte ich genauso gut weiterspielen und sehen, ob ich den bescheuerten Flugdrachen heute noch bekam. So zumindest in der Theorie. Gackt brauchte für seine Dusche wirklich nicht lange, denn zehn Minuten nachdem er gegangen war, kam er schon wieder zurück, die Haare noch nass und mit einem Handtuch über der Schulter. Seine Ausgehsachen hatte er außerdem gegen eine lockere Jogginghose und ein einfaches dunkelgraues T-Shirt getauscht. Den Drachen hatte ich mittlerweile aufgegeben und auf später verschoben, weil ich einfach keine Lust mehr darauf hatte, haufenweise Zeit zu verwenden, ohne auch nur einen Schritt voranzukommen. Und ich hatte mich auch einfach nicht mehr richtig darauf konzentrieren können. Stattdessen ließ ich meine Spielfigur zu Fuß die große Steppe durchqueren, um mich der nächsten Pflichtaufgabe zu widmen. Ich hatte dadurch auch die Möglichkeit, einen Blick auf Gackt zu werfen, weil ich einfach nur laufen und mich ab und zu mit einem kleinen Gegner auseinandersetzen musste – das ging quasi von allein. Er war nicht gleich zu mir in den Wohnzimmerbereich gekommen, sondern hatte einen Abstecher zur Küchenzeile gemacht und wühlte nun im Kühlschrank. Vielleicht war er auf der Suche nach dem restlichen Reis, den ich allerdings schon aufgegessen hatte. Ich konnte zwar nicht sehen, was er da genau trieb, aber ich hörte, wie er Zeug wegschob, Flaschen gegeneinanderstießen und Gackt selbst hörbar ratlos ausatmete. Unverrichteter Dinge machte er den Kühlschrank dann wieder zu und hatte stattdessen eine Packung Butterkekse aus dem Küchenschrank dabei, als er sich hinter mir auf der Couch niederließ und ein Gespräch eröffnete. „Und, wie läuft es mit der Prinzessinnenjagd?“ „Prinzessinnenjagd?“, hakte ich nach. „Die, die du retten musst“, erklärte er mir und riss die Kekse auf. „Ach so“, sagte ich, als mir ein Licht aufging, „das war keine Prinzessin, sondern die Tochter vom Dorfältesten, die entführt wurde. Ist alles schon erledigt.“ „Aha. Und was machst du jetzt noch, wenn sie wieder wohlbehütet zu Hause sitzt?“ „Das ist der Kniff an vielen Rollenspielen: Du ziehst aus, um irgendeine kleinere Aufgabe zu lösen, die nur dich und ein paar andere Leute was angeht, und wenn du das gemacht hast, wirst du plötzlich in was viel Größeres verwickelt und musst am Ende den Weltuntergang verhindern.“ „Verstehe“, meinte er mit einem abschließenden Tonfall und schwieg dann auch für eine Weile. Ich wusste nicht, was das nun werden sollte und beließ es daher dabei, auch wenn ich mich dabei irgendwie unwohl fühlte. Ich wollte wissen, wie es weiterging und trotzdem … es war zum Haareraufen! Einige Minuten später stupste Gackt mich jedoch an. „Mach mal Pause“, sagte er mit leiser Stimme. Er klang müde, aber es war ja auch schon spät und er war vorhin noch arbeiten gewesen. Wahrscheinlich dachte er – in seiner fürsorglichen Art –, dass ich mir eine Auszeit nehmen sollte. „Willst du ins Bett?“, antwortete ich jedoch mit einer Gegenfrage und drehte mich ein wenig in seine Richtung, aber auch nicht ganz, „du klingst müde.“ „Das meine ich nicht.“ „Was dann?“ Er seufzte darauf … oder grummelte leicht … irgendetwas dazwischen, ich konnte es nicht genau benennen. Dann streckte er die Hand aus, legte sie auf meine Wange und brachte mich dazu, den Kopf ganz zu ihm zu drehen, um mir direkt in die Augen zu schauen. „Bist du sauer, dass ich mich nicht gemeldet habe?“ „Ein bisschen, denke ich“, gab ich offen zu und zuckte unentschlossen mit den Schultern, „eher enttäuscht.“ „Tut mir leid.“ „Ich weiß. Das wird schon wieder.“ „Es tut mir leid“, wiederholte er, beugte sich etwas um mich herum und küsste mich. Dabei legte er einen Arm um mich herum und zog mich etwas an sich. Mit der freien Hand nahm er mir den Controller ab und drückte wohl selbst auf die Pause-Taste, denn die Musik des Spiels ging plötzlich aus. Ich ließ ihn für ein oder zwei Sekunden gewähren und schob ihn dann weg. „Gackt, ich meine es ernst“, machte ich noch einmal deutlich und sah ihn auch so an. Aber er blickte nur milde lächelnd zurück, die sanften, braunen Augen unverwandt auf mich gerichtet. Er hatte seine Kontaktlinsen schon rausgenommen. „Ich auch“, wisperte er, „es tut mir wirklich leid, dass ich mein Versprechen gebrochen habe. Ich will, dass du mir vertraust.“ „Hm …“ Ich glaubte es ihm, denn er war nicht wie die Typen, mit denen ich für gewöhnlich ausging. Nicht, dass ich mit Gackt jemals richtig ausgegangen war, aber ich musste schon zugeben, dass ich auffällig oft mit ihm zusammen gewesen war – ob wir nun irgendwo hingegangen waren oder ich einfach nur an der Bar gesessen hatte, während er arbeitete. Seine Gegenwart war einfach angenehm und auch seine Küsse waren angenehm, denn sie schmeckten nicht nach Verlogenheit. Und der Wunsch genau danach keimte gerade in mir auf. Also küsste ich ihn diesmal. Dabei blieb es auch nicht, denn als ich merkte, dass Gackt bereitwillig darauf einging, erhob ich mich langsam, immer darauf achtend, dass wir uns nicht trennten. Ich rückte ihm direkt auf die Pelle, drückte ihn dabei nach unten, sodass er nicht anders konnte, als sich gänzlich auf das Sofa zu legen, und ließ mich vorsichtig auf seinem Schoß nieder. Seine Hände waren fast sofort auf meinem Rücken, fuhren unter das Shirt, das ich trug und streichelten mich sanft. Sie waren kühl und doch schenkten mir diese Berührungen eine Wärme, die meinen ganzen Körper durchflutete. Ein kleines Stimmchen in meinem Ohr sagte mir, dass genau das der Moment war, auf den ich gewartet hatte. Meine Hände lagen auf seiner Brust, sodass ich sein Herz unter meinen Fingerspitzen schlagen spüren konnte. Währenddessen dauerte der Kuss an und an und an und wir teilten neben der Luft zum Atmen auch einige Seufzer. Und mir wurde noch einmal bewusst, dass ich ihn wirklich wollte – nicht auf Distanz, sondern ganz und gar. Und dass ich mich ebenso vollkommen auf ihn einlassen wollte. Es hätte den ganzen Rest der Nacht so weitergehen können, wenn es nach mir gegangen wäre – nur wir beide und ein paar Küsse –, aber der lange Tag forderte seinen Tribut und Gackt musste sich irgendwann doch von mir lösen, als er herzhaft gähnte. Ich schmunzelte und strich ihm durch die Haare. „Rutsch mal“, sagte ich dann, quetschte mich neben Gackt auf die Liegefläche … und fiel von der Couch. „Ah, Scheiße!“, stieß ich aus und rieb mir die Seite, währenddessen die Augen zukneifend und das Gesicht verziehend. Gackt nutzte diesen Moment, um den kleinen Tisch direkt neben mir noch ein Stück weiter vom Sofa wegzuschieben und sich neben mich zu legen. „Hm?“, machte ich, als ich die Augen wieder öffnete und direkt in seine blickte. Er sagte nichts, sondern sah mich einfach nur an und lächelte. Nur für eine Weile, denn dann platzierte er einen Kuss auf meiner Stirn und wand einen Arm um meine Taille. Und ich schmiegte mich wie automatisch an ihn, genoss die Wärme seines Körpers und seiner Gegenwart. Das Gesicht vergrub ich in seiner Halsbeuge, die Mischung aus seinem eigenen Geruch und dem schwachen Duft des Duschgels, das er benutzte, mit einem tiefen Atemzug einsaugend. Ich wollte hierbleiben, genau hier – auf dem Boden in Gackts Armen. Ich schloss die Augen und rutschte noch ein winziges Stück näher an ihn heran, konnte spüren, wie seine Umarmung fester wurde und sein Fuß meinen immer wieder streifte. „Scheint so, als hättest du eine Entscheidung getroffen“, flüsterte er schließlich und hielt mich damit gerade noch davon ab, einfach wegzudösen. Ich lächelte, erst für mich und rückte dann ein kleines Stück von ihm ab – gerade genug, um ihn dieses Lächeln sehen zu lassen. „Hm, scheint so.“ „Ich hab übrigens noch was für dich“, sagte Gackt dann auf einmal, obwohl ich ihn eigentlich hatte küssen wollen. „Was mag das wohl sein?“, entgegnete ich in einem leicht anzüglichen Tonfall, auch wenn ich nicht unbedingt erwartete, dass es tatsächlich in diese Richtung ging. Es war nur eine kleine Spielerei. Und tatsächlich machte Gackt keine Anstalten, irgendwie darauf einzugehen, sondern stand auf und ging in den Flur, wo er an seiner Jacke herumnestelte. Ich setzte mich inzwischen auf. Als er zurückkam, hatte er einen schlichten weißen Umschlag in der Hand, der nur notdürftig geschlossen und nicht richtig zugeklebt war. Den hielt er mir hin und wartete wohl darauf, dass ich ihm den Brief abnahm und las. Erst als ich damit beschäftigt war, das einzelne Blatt Papier aus dem Umschlag zu ziehen, ließ er sich wieder neben mir auf dem Fußboden nieder. Und was ich da las, haute mich beinahe um. „Das ist … eine Kontovollmacht“, sagte ich, noch immer fassungslos, „was hast du …“ „Ich hab noch mal drüber nachgedacht, ob ich dir bei den Problemen mit deiner Wohnung wirklich nicht helfen kann. Das ist das Konto, dass meine Eltern für mich angelegt haben und auf dem einiges mehr drauf ist als auf dem, das ich jetzt benutze. Bei meinem Auszug wurde es gesperrt, sodass ich nicht mehr herankommen konnte. Ich hab dafür gesorgt, dass es wieder frei ist. You musste mir zwar ein bisschen den Kopf waschen, damit ich einsehe, wie lästig Prinzipien manchmal sein können, aber der Gang zu meinem Vater war dann doch nicht so schwer, wie ich gedacht hatte. Ich denke, alles ist einfacher, wenn man es für jemanden tut, den man liebt.“ „Das hast du tatsächlich gemacht? Du wusstest doch noch gar nicht, was ich sagen würde.“ „Ist egal. Ich hätte es auch so gewollt, wenn du Nein gesagt hättest. Es ist leider an ein paar Bedingungen geknüpft, auch wenn meine Mutter versucht hat, ein bisschen zu verhandeln. Sie wirkte so, als wüsste sie schon länger, was los ist.“ „Hm?“ „Die Geburtstagsfeier meines Vaters“, begann Gackt zu erklären, „ich habe nicht gedacht, dass du mich ausnutzen willst wie all die anderen, mit denen du dich verabredest. Aber es hat mir überhaupt nicht geschmeckt, als du gesagt hast, dass du sie nicht aufgeben willst. Es hat mich hart getroffen, weil ich gedacht habe, dass da etwas zwischen uns wäre, und du das … du hast es einfach nicht gesehen. Deshalb hab ich so reagiert und dich gemieden … ich wollte mich da nicht noch weiter reinziehen lassen, wenn es sowieso keine Hoffnung gibt. Aber ich denke, zu dem Zeitpunkt war es sowieso schon viel zu spät.“ Er machte dann eine kleine Pause, in der er wohl darüber nachdachte, wie er fortfahren sollte. Ich nutzte die Gelegenheit aber, um selber noch etwas zu fragen – jetzt, wo sich alles so erschreckend deutlich vor mir ausbreitete: „Was meinst du mit 'zu spät'? Wann hast du dich denn …“ „In dich verliebt?“, vollendete Gackt meine Frage und lächelte dabei schwach. „Weiß nicht genau. Auf alle Fälle hat es sich schon eigenartig angefühlt, nachdem wir miteinander geschlafen haben … nicht viel, aber doch anders als normalerweise nach einem ONS. Irgendwann danach muss es gewesen sein. Spätestens als wir dann bei dir zusammen getanzt haben, da hab ich es dann so langsam gemerkt. Du kannst dir wirklich nicht vorstellen, wie glücklich ich dann war und direkt drauf wieder so enttäuscht.“ Er machte erneut eine Pause, doch diesmal redete ich ihm nicht dazwischen. Ich fühlte mich plötzlich schuldig, dass ich so auf dem Schlauch gestanden hatte. „Meine Mutter hat mich später noch gefragt was los sei. Ich habe ihr zwar gesagt, dass alles in Ordnung ist, und sie hat nicht weiter gefragt, aber ich denke, dass sie es trotzdem bemerkt hat. Meine Mutter ist eine kluge Frau, Hyde. Und sie liebt mich noch mehr als ich sie.“ „Ich verstehe“, meinte ich schließlich und nickte. Gackt hatte mir bereits verziehen, hatte er gesagt. Vielleicht sollte ich … ich wusste nicht, was ich sollte und kam stattdessen auf etwas anderes zu sprechen: „Was sind denn das für Bedingungen?“ „Es sind drei. Ich weiß nicht, ob sie dir alle gefallen werden, oder überhaupt.“ „Spuck's endlich aus!“ „Erstens darf ich das Geld nur für Notlagen verwenden und dir kein Luxusleben finanzieren. Die Wohnung kannst du behalten, dein Mietrückstand ist ausgeglichen und auch die nächsten Monate sind schon bezahlt. Ich hab das alles heute Nachmittag mit deinem Vermieter geregelt, nachdem ich bei meinem Vater war.“ „Ach, deshalb konntest du nicht herkommen.“ Jetzt kam mir meine Schmollerei furchtbar kindisch und albern vor. Ich war sauer auf ihn, obwohl er sich darum gekümmert hatte, dass es mir besser ging. Verdammt! „Ja, genau deshalb. Jedenfalls, du musst dir trotzdem einen Job suchen. Lass dir dabei nicht zu viel Zeit, aber du brauchst auch nicht in Hektik zu verfallen; die Miete wird auf alle Fälle bezahlt. Und zweitens geht das alles auf meine Kappe. Deswegen sollte ich bei dir einziehen, um alles 'überwachen zu können', wie mein Vater sich ausdrückte.“ … „Bei mir einziehen?“, wiederholte ich verwirrt, „jetzt gleich?“ Der Gedanke erschreckte mich ein wenig. Es fühlte sich an wie eine Hauruck-Aktion und bei denen hatte ich eigentlich immer ein schlechtes Gefühl, dass ich nicht alles bedacht hatte und am Ende irgendetwas furchtbar schiefgehen würde. „Wenn du was dagegen hast, können wir auch ein bisschen tricksen. Wir müssen nur dichthalten.“ „Nein“, sagte ich, den Kopf bestimmt schüttelnd. Denn wie erwähnt: Es erschreckte mich ein wenig … und ich schuldete ihm definitiv einiges! „Wir machen das so, du ziehst bei mir ein.“ „Sicher?“ „Sicher.“ Mir flatterten die Nerven, aber es war ein positives Flattern. Es war Aufregung, gemischt mit Vorfreude und nur einem kleinen bisschen Furcht. Meine Handflächen wurden feucht und ich legte die Vollmacht auf den Couchtisch, um sie nicht zu durchnässen. Stattdessen lehnte ich mich nach vorne und umarmte Gackt. Er pflanzte mir einen Kuss auf die Ohrmuschel und drückte mich dann auch an sich. Alles oder nichts – es war purer Nervenkitzel und eigentlich etwas, von dem ich nie gedacht hatte, dass es mir mal passieren würde. Aber es würde passieren und es machte mich glücklich. Gackt machte mich glücklich. tbc. ~~~ ** + ** ~~~ G macht unseren kleinen Haido glücklich. Friede, Freude Eierkuchen? Schluss? Ende? Aus die Maus? Nein! Denn ihr lest richtig: da steht noch ein 'tbc.', hehe x3 Aber keine Angst, ich komme nicht wieder mit der großen Dramakeule um die Ecke. Das hier ist wirklich das letzte Kapitel und es gibt nur noch einen kleinen Einblick in die Zukunft der beiden in einem Epilog. Die beiden haben ja auch wirklich genug gelitten mit ihren ganzen Widrigkeiten, Missverständnissen, Sturheiten und dem ganzen anderen Mist, der ihnen passiert ist, ehe sie endlich zueinanderfinden konnten. Und so düster und ausweglos es auch zwischendurch aussah (und ich schon halb an mir zweifelte), ein Earu kann eben nicht aus ihrer Haut - das Happy End ist also ziemlich wahrscheinlich *hust*wenn ich nicht grad mal wieder auf dem Alles-kleinhauen!!!einself-Trip bin*hust* Eure Meinung zum Ende: Erwartungen erfüllt/übertroffen/grenzenlos enttäuscht? Oder noch irgendwas anderes? Schreibt's mir doch :3 Epilog: So Far Gone ------------------- „Hideto, hast du kurz Zeit?“ „Äh … kommt drauf an, worum es geht. Ich hab jetzt eigentlich Schluss.“ „Du musst nur kurz hierbleiben. Ich soll die Bestellung für Zimmer 14 raufbringen, dauert keine fünf Minuten.“ „Meinetwegen. Aber wirklich nur fünf.“ „Danke dir!“ Damit verschwand Yasu, einer meiner Kollegen, in der Küche und überließ mir die Rezeption. Ja, Kollegen, und ja, Rezeption. Ich war nun schon knapp drei Monate lang mit Gackt zusammen und seit zwei Wochen hatte ich auch einen festen Job. Und zwar in genau dem Hotel, das zum Twenty-Four Seven gehörte. Mein Vorgänger hatte etwas Besseres gefunden und gekündigt; Gackt hatte mir von der freien Stelle erzählt, ich hatte mich darauf beworben und sie auch bekommen. Ich erledigte hier fast alles, was anfiel: Rezeption, Zimmerservice, Hilfskellner in der Bar, und und und. Die Stelle war nicht gerade das große Los, doch besser als nichts und ich war froh, endlich überhaupt etwas bekommen zu haben. Wochenlang hatte ich gesucht und auch ein paar Gespräche geführt, war aber nie angenommen worden. Vielleicht hatte ich diesen Job auch nur gekriegt, weil Gackt ein gutes Wort für mich eingelegt hatte – ich wusste es nicht und es interessierte mich auch nicht. Ich hatte ein festes Einkommen, wir konnten unsere Rechnungen bezahlen, die Arbeit war auch nicht zu schwer und das war absolut genug. Und als netter, kleiner Nebeneffekt kam die Tatsache daher, dass ich in den Pausen bei Gackt vorbeischauen konnte oder er bei mir. Wir sahen uns also mindestens einmal täglich, selbst wenn einer von uns die Tages- und der andere die Nachtschicht abbekommen hatte. Hin und wieder lief mir auch eine meiner alten Affären über den Weg, allerdings taten die meisten dann so, als würden sie mich nicht kennen, und daran hielt ich mich ebenfalls. Was sollte ich mich auch großartig aufspielen? Mal ganz davon abgesehen, dass Gackt sonst sicher wieder eine Nacht auf dem Sofa verbringen würde, wenn er es mitbekam. Ein einziges Mal war das passiert, als mir Taishin zum ersten Mal wieder begegnet war: Wir hatten uns nur ein bisschen unterhalten, während ich ihm ein Zimmer vermittelte, und er hatte mir anschließend ein bisschen Trinkgeld hingeschoben, weil ich armes, kleines Jungchen es jetzt ja so schwer hätte und allein sicher nicht zurechtkommen würde. Ganz Unrecht hatte er damit nicht, denn auf der einen Seite wollte ich unbedingt unsere Wohnung behalten – meine alte – aber auf der anderen reichten unsere Gehälter nicht ganz aus, um Wohnen, Verpflegung und das alles zu bezahlen. Wir lebten deshalb so, dass die Miete von Gackts Familienkonto gedeckt wurde, die Nebenkosten und Versicherungen meinen Lohn komplett auffressen durften und Gackt die wöchentlichen Einkäufe zahlte. Dadurch konnten wir uns dann sogar ab und an mal einen kleinen Luxus leisten – nichts Großes, mal ins Kino oder essen gehen, und auch damit war ich zufrieden. Natürlich vermisste ich es auch manchmal, mir mehr leisten zu können, aber ich zog es dann tatsächlich doch vor, mein Leben mit Gackt zu verbringen. Jedenfalls, irgendjemand (ich spekulierte auf Haru) hatte sich nach meiner Begegnung mit Taishin wohl im Pausenraum darüber ausgelassen, wie ich mit meinem Charme die Gäste einwickelte und eins war zum anderen gekommen. Gackt konnte manchmal wirklich furchtbar eifersüchtig sein, wie sich herausgestellt hatte. Eigentlich hätte mir das auch vorher schon klar sein müssen – schließlich hatte ich das bereits live und in Farbe erlebt, als wir noch nicht zusammen gewesen waren. Na ja, ich wusste mittlerweile, wie ich damit umgehen musste und alles war in Ordnung. Ich war glücklich mit Gackt. Im Moment war nicht viel los, aber da sich bestimmt die Hälfte der Gäste nur stundenweise einmietete, kamen die Stoßzeiten erst in den späteren Abendstunden. Eigentlich hätte ich jetzt gern im Umkleideraum gestanden und mir andere Sachen angezogen. Uniform war hier Pflicht und ich hatte gleich noch einen 'Termin', wie Gackt es gern nannte. Da wollte ich nicht in Weste und Fliege hin, denn meine Anzüge – die, die ich nicht verkauft hatte – sahen einfach viel besser aus als diese Pinguinkluft. Und ich wollte gut aussehen, wenn- „Na, wen haben wir denn hier?“, sagte auf einmal jemand und trat an die Rezeption heran. Ich stapelte gerade Schmierzettel mit irgendwelchen Notizen für Sonderwünsche und sortierte die aus, die nicht mehr gebraucht wurden. Dann schaute ich auf und erblickte Gackt mit einer Tasche über der Schulter und seiner Jacke in der Hand. Er hatte wohl schon früher Schluss gemacht, allerdings dürfte auch drüben bei ihm zu dieser Zeit noch nicht allzu viel Betrieb sein. „Hi!“, begrüßte ich ihn schmunzelnd, stützte mich auf den Tisch und lehnte mich nach vorne, um Gackt einen kurzen Kuss zu geben. „Wollen wir dann los?“, fragte er direkt darauf. „Gleich. Ich muss noch auf Yasu warten und mich umziehen. Er macht nur kurz den Zimmerservice.“ „Ich seh schon. Wir könnten allerdings auch Zeit sparen, wenn du dich nicht umziehst“, schlug Gackt dann glucksend vor. Das passte mir jedoch überhaupt nicht und das wusste er nur zu gut selbst. „Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich so auch nur auf die Straße gehe!“, zischte ich flüsternd. „Wieso nicht? Sieht doch süß aus“, reizte er mich – bewusst! – weiter. „Ha ha“, lachte ich trocken und vor allen Dingen falsch. „Und du? Willst du wirklich so zu deinen Eltern gehen?“ Er trug dunkle Jeans und ein helles, langärmeliges Shirt mit schwarzem Aufdruck. Natürlich sah er darin sehr gut aus, nur vielleicht etwas underdressed für den Anlass. „Jep, sind schließlich meine Eltern; wenn ich deine kennenlerne, zieh ich mich besser an.“ „Wenn ich das gewusst hätte …“ „Ach, mein kleiner Grummelbär, hättest du mein Angebot dann abgelehnt?“ „Hah!“ Es dürfte offensichtlich sein, aber um es nochmal klarzustellen: Nach drei Monaten Beziehung wollten mich seine Eltern dann doch einmal kennenlernen. Das war nämlich die dritte Bedingung gewesen, von der Gackt mir an jenem Abend nichts gesagt und nach der ich im Eifer des Gefechts auch nicht mehr gefragt hatte. Natürlich hätte ich seine Hilfe auch dann nicht ausgeschlagen, wenn ich davon gewusst hätte. Ganz im Gegenteil: Ich hatte das Ganze recht locker gesehen und immer gesagt, dass sie mir nur Bescheid geben sollten, wenn sie mich sehen wollten. Doch jetzt, wo das Treffen direkt bevorstand, wurde ich doch langsam ein bisschen nervös. Es waren immerhin der Drachenfürst und dessen Frau … und Gackts Eltern! Gackt selbst war diesbezüglich auch schon seit Tagen dabei, mich zu beruhigen und mir immer wieder zu versichern, dass sein Vater sich nicht plötzlich umentscheiden und uns die Unterstützung wieder streichen würde. „Wenn du nichts Dummes anstellst“, hatte er allerdings einmal hinzugefügt und seine ganze Überzeugungsarbeit wieder bis zu den Grundmauern niedergerissen. „Hyde“, sprach Gackt mich nun wieder an und versetzte mir einen kleinen Stupser, „mach dir keinen Kopf, es wird alles gutgehen. Sie wollen nur sehen, mit wem ich mein Leben teile, mehr nicht. Ich habe mich für dich entschieden und das akzeptieren sie auch, schließlich bin ich erwachsen. Komm mal her.“ Er winkte mich zu sich und als ich nicht gleich reagierte, legte er mir eine Hand auf die Schulter und zog mich an sich heran, um mich zu küssen. Diesmal aber nicht nur so oberflächlich wie vorhin zur Begrüßung, sondern viel intensiver. Lange blieben wir dafür jedoch nicht ungestört. „Nehmt euch ein Zimmer!“, rief Yasu, als er an die Rezeption zurückkehrte. Ich schielte ihn kurz von der her Seite an und machte dann ungeniert weiter, nur um ihm zu zeigen, wie egal mir seine Anwesenheit war. Bis mir einfiel, dass ich immer noch in meiner Arbeitskleidung an meinem Arbeitsplatz stand. Gackt biss mir vor Schreck fast auf die Zunge, als ich mich ruckartig löste. „Okay, ich bin dann weg“, verabschiedete ich mich noch von meinem Kollegen und machte, dass ich in die Umkleideräume und dort in meinen Anzug kam. Gackt wartete derweil an der Rezeption und schwatzte mit Yasu. Zumindest waren sie noch in ein Gespräch verwickelt, als ich eine viertel Stunde später wieder zu ihnen stieß und die kleine Privatparty auch gleich crashte. Denn kaum dass Gackt mich gesehen hatte, zog er mich fast mit seinen Blicken wieder aus. Ich hatte die – wohl berechtigte – Befürchtung, dass er mir gleich an die Wäsche gehen würde. „Ich hatte ganz vergessen, wie gut du in dem Anzug aussiehst“, sagte er, als er seine Sprache wiedergefunden hatte. Es war das gleiche Outfit, dass ich auch damals zu der Geburtstagsfeier getragen hatte. „Ich fühle mich geschmeichelt.“ Das tat ich tatsächlich. Ich liebte es, von ihm Komplimente zu bekommen. „Ich hoffe nur, dass sie dich dann nicht jedes Mal im Anzug erwarten“, meinte er dann. Und bei mir dauerte es eine Weile, bis die Worte ihre Wirkung fanden. „Jedes Mal?!“, stieß ich schließlich hervor. „Wir werden sie noch öfter besuchen?!“ „Klar, was denkst du denn? Es sind schließlich meine Eltern und du bist mit mir zusammen. Oder liebst du mich doch nicht genug?“ Er legte dabei ein Grinsen an den Tag, in das ich am liebsten reingeschlagen hätte. So wie damals, als wir uns kennengelernt hatten … da hatte ich ihm ja tatsächlich eine verpasst. Und ich spielte wirklich mit dem Gedanken, ob ich es diesmal auch so machen sollte. Aber vielleicht schlief ich dann diese Nacht auf der Couch. „Idiot!“, war meine Reaktion. Ein liebevolles „ebenfalls~“ und ein Kuss die seine. THE END ~~~ ** + ** ~~~ So, damit hätten wir es dann geschafft: FIRE ist zu Ende. Natürlich könnte man hier noch viel weiterspinnen und gucken, was unsere beiden Lieben gemeinsam noch so alles anstellen und wie sie so mit ihrer Beziehung zurechtkommen – besonders Hyde, nachdem der sowohl seinen Lebensstil drastisch ändern musste als auch so dermaßen von der Liebe erwischt worden ist. Aber es wäre mir wohl zu langweilig, die beiden nur noch beim Turteln zu schreiben. Dann nehm ich mir doch lieber ein ganz neues Drama vor und quäle den nächsten Protagonisten, hrhr~ Doch seid euch sicher: Auch wenn es noch keiner von beiden so richtig gesagt hat – sie lieben sich abgöttisch Bei meinen Kommentatoren hab ich mich ja schon immer einzeln bedankt, aber ich möchte es an dieser Stelle gerne nochmal tun und auch alle mit einbeziehen, die die Story auf ihre Favo-Liste gesetzt oder auch nur so gelesen haben: Ein ganz herzliches DANKE, dass ihr dabei wart und euch gemeinsam mit Hyde durch diesen riesigen Haufen Drama gegraben habt, den er durchmachen musste. Wenn's euch gefallen hat, ist das mein größter Lohn :3~ PS: Ich hab auch noch nen kleinen Soundtrack zur Fic. Falls sich jemand angucken will, welche Songs mich zu den einzelnen Kapiteln inspiriert oder zumindest bei der Namensgebung Pate gestanden haben: http://earupp.wordpress.com/2013/03/02/fire-ost ;3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)