Fire von Earu (... in a world of Black Hearts & Dollar Signs) ================================================================================ Kapitel 12: And the tears fall like rain ---------------------------------------- Als ich zum ersten Mal versuchte, das Bett zu verlassen, war es schon fast Mittag. Ich hatte zwischendurch doch noch ein oder zwei Stunden traumlosen Schlafs gefunden, aber beim Aufstehen hatte ich wieder sehr viel weniger Glück. Es war zum Kotzen. Solange ich still dalag und mich nicht rührte, war alles noch ganz okay, aber beim Aufstehen wurde ich schmerzlich daran erinnert, dass ich gestern Abend verprügelt worden war. Mir tat alles weh – ganz besonders der Brustkorb und die Seite, die unfreiwillig und sehr unliebsam Bekanntschaft mit dem Türknauf gemacht hatte. Meine Reaktion darauf war, mich sofort wieder hinzulegen, ohne überhaupt darüber nachdenken zu müssen. Einfach nur liegen und keine Schmerzen mehr empfinden. Doch es war bereits zu spät: Der Schmerz blieb, wenn auch weniger heftig als wenn ich noch weiter versucht hätte, aufrecht sitzen zu bleiben. Und die schnelle Bewegung zurück auf die Matratze war auch nicht besonders gut. Gott, wieso war das erst jetzt so schlimm? Es war doch sogar gestern Abend noch besser gewesen! Ich biss die Zähne zusammen und wischte mir ein paar Tränchen aus den Augen, die sich dort unwillkürlich gebildet hatten. Dabei ballte ich die Hand zur Faust, drückte sie gegen meine Stirn und grub meine kurzen Fingernägel in die Innenfläche meiner Hand hinein. Das war die einzige Möglichkeit, den Schmerz einigermaßen zu ertragen, bis er so weit abgeklungen war, dass ich wieder einfach nur daliegen konnte. Es dauerte ein paar Minuten, in denen ein Hände und Füße anspannte, tief durchatmete und nur daran dachte, dass es gleich vorbei war. Eigentlich wusste ich gar nicht, wieso ich das überhaupt tat, mein Instinkt sagte mir, dass es dann besser werden würde. Vielleicht, weil mein Verstand der Herr über meinen Körper war … Unbewusst fiel mir in dem Moment etwas ein, was ich vor einer Weile im Fernsehen gesehen hatte: ein Typ, der sein Zimmer mit Möbeln verriegelt und verrammelt hatte und dann plötzlich aufs Klo musste. Aber weil er nicht alles wieder hatten umräumen wollen, hatte er dagelegen und immer wieder gemurmelt: „Ich bin der Herr über meine Blase, ich bin der Herr über meine Blase …“ Er war dann sogar noch nach draußen auf den Fenstersims gekrochen, um über das Zimmer seines Mitbewohners ins Bad zu kommen, und wäre dabei fast zig Stockwerke weit nach unten gefallen. Und das alles nur, weil er so stur war. Ich hatte mich fast kaputtgelacht, als er zum Schluss doch nicht mehr Herr über seine Blase gewesen war. Der Gedanke daran entlockte mir auch jetzt wieder ein leises Lachen … das von weiteren Schmerzen begleitet wurde. Bitte, bitte … es sollte endlich aufhören! Aber vielleicht sollte ich doch ins Krankenhaus gehen und mich untersuchen lassen. Auch wenn das eine horrende Rechnung bedeuten würde, die ich nie und nimmer begleichen konnte. Ich musste nur jemanden finden, bei dem ich mir das Geld leihen konnte. Aki würde sicher sofort bei mir sein, wenn ich ihn anrief und ihm erzählte, was vorgefallen war. Er würde mich sogar wieder dazu zwingen, ins Krankenhaus zu fahren, und dann selbst die Rechnung übernehmen – ich kannte ihn doch. Und obwohl ich ihn kannte und ganz genau wusste, dass er nicht Gackt war, schlich sich gleichzeitig die Angst ein, dass auch er mich abweisen könnte. Es sah so aus, als wäre mein Verstand doch nicht der Herr im Haus, sondern Herz und Gefühl. Rationales Denken sagte mir, dass kein Mensch wie der andere war und nicht jeder gleich handelte. Und doch nagte es an mir. Ich schreckte davor zurück, völlig grundlos und obwohl ich Aki vertraute … denn ich hatte auch Gackt vertraut, dass er mein Freund war und ihm etwas an mir lag. Ich hätte nie erwartet, dass er mich so hängen ließ. Verflucht! Gackt, Gackt, Gackt! Da war er schon wieder und ging nicht mehr weg. Er plagte mich und ich konnte nichts anderes tun, als hier in meinem Bett liegen zu bleiben und nachzudenken, weil ich mich nicht bewegen konnte, ohne dass gleich alles höllisch weh tat. Es musste aufhören! Einfach nur aufhören … was genau damit gemeint war, wusste ich jedoch selbst nicht. Zuerst einmal sicherlich die Schmerzen und dann würde ich weitersehen. Aber dazu musste ich aus dem Bett. Ich atmete noch einmal durch, so gut es ging, und richtete mich dann ganz langsam auf. Es dauerte Minuten, bis ich saß und weitere Minuten, ehe ich die Füße auf den Boden gesetzt hatte. Ich hätte jemanden gebrauchen können, der mir half, komplett aufzustehen, aber das ging nicht. Ich war … allein und ich hatte mich selbst dazu entschieden. Es musste seltsam aussehen, wie ich letzten Endes aufstand, wie ich mich von der Matratze hochstemmte und dabei den Nachttisch zu Hilfe nahm, bis ich irgendwie halb aufrecht dastand. Und mein Brustkorb und meine Seite brachten mich fast um und die untere Hälfte meines Rückens half tatkräftig dabei. Ich beugte mich noch etwas weiter vornüber, damit zumindest das Rückenproblem so klein wie möglich wurde. So begab ich mich dann auf den quälenden Marsch zum Bad, wobei ich mich unterwegs an allen Türrahmen festhielt und die Wände und Kommoden als Stütze benutzte. Es war ein beschwerlicher Weg und ich machte zwischendurch sogar einmal Pause, als ich ein starkes Stechen in meiner Seite spüren konnte. Ich fühlte mich wirklich immer mehr wie ein alter Mann, als ich es endlich geschafft hatte und mich erleichtert aufs Klo setzen konnte. Zum Glück hatte ich nichts an und musste so nicht noch umständlich etwas ausziehen. Heute also im Sitzen … ich blieb etwas länger als es eigentlich nötig war, denn auch eine unbequeme Klobrille konnte nicht schlimmer sein als die Schmerzen, die ich hatte, wenn ich mich hinstellte. Ich blickte mich im Bad um und dachte darüber nach, wie es weitergehen würde. Erst einmal nur dieser Tag … über die kommenden würde ich mir Gedanken machen, wenn es so weit war. Eines wusste ich allerdings jetzt schon: Es würde kein Zuckerschlecken werden. Und mein Körper sah auch ganz danach aus – überall waren blaue Flecken und Blutergüsse, besonders da, wo ich Bekanntschaft mit der Türklinke gemacht hatte. Es war schrecklich anzusehen und würde sicherlich jede Menge Zeit brauchen, um komplett zu verheilen. Als ich mich wieder fit genug für die nächste Etappe fühlte, stand ich auf, mich dabei am Waschbecken abstützend, und wusch mir die Hände. Dann nahm ich alles, was ich brauchte, um mir die Zähne zu putzen, und trug es zur Badewanne hinüber. Ich stellte es irgendwo ab, wo es hoffentlich nicht herunterfallen würde und kletterte anschließend umständlich in die Wanne. Dann setzte ich mich hin, drehte ich das warme Wasser auf und … überlegte noch einmal. Besser, ich putzte mir die Zähne jetzt und badete danach erst, sonst würde ich ins Badewasser spucken müssen. Die Tatsache, dass Duschen günstiger für mein Portemonnaie gewesen wäre, ignorierte ich. Für meinen Körper war eine Wanne heißen Wassers wesentlich besser – hoffte ich zumindest. Ich putzte mir dann schnell und vermutlich etwas ungründlich die Zähne, ehe ich die Wanne volllaufen ließ, Badezusatz dazukippte und mich schließlich zurücklehnte. Während das Wasser an mir immer weiter nach oben stieg, konnte ich richtig fühlen, wie es sich lindernd auf meine Schmerzen auswirkte. Ich versank so weit, dass nur noch mein Kopf aus dem Wasser ragte und ich ansonsten komplett von wohliger Wärme umhüllt wurde. Hach~ hier würde ich mich für die nächsten Stunden nicht wegbewegen. Ich durfte nur nicht einschlafen. Dazu kam es auch gar nicht, denn sobald ich Ruhe hatte, gingen meine Gedanken wieder auf Wanderschaft. Aber sie wanderten nicht zu irgendwelchen Dates, die ich mal gehabt hatte und noch einmal erleben wollte, wie ich es sonst gern beim Baden tat. Nein, sie klebten sofort wieder an allem, was schiefgelaufen war. Gackt, gestern Abend, dann wieder Gackt, Hayashi und schließlich auch mein körperlicher Zustand. Wenigstens fing ich dabei nicht wieder an zu weinen. Anscheinend war ich über diese Phase hinaus, nachdem ich in den letzten vierzig Minuten mit meiner Grundversorgung beschäftigt gewesen war. Oder es schlummerte nur und wartete auf einen Zeitpunkt, zu dem es mich wieder richtig zu Boden werfen konnte. Jedenfalls, vielmehr versuchte ich, meine Probleme in den Griff zu kriegen und sie zu lösen. Aber dabei drehte ich mich immer wieder im Kreis: Ich musste meine Miete bezahlen, aber das konnte ich nur, wenn Geld hereinkam. Und Geld kam nur herein, wenn ich mich mit jemandem traf, aber dazu war ich im Moment nicht fähig. Um so schnell wie möglich wieder fit zu werden, müsste ich mich von einem Arzt behandeln lassen, aber den müsste ich bezahlen und ich hatte im Moment nicht das Geld dazu. Und wie ich es auch drehte und wendete, ich wusste nicht, was ich mit der Baustelle um Gackt machen sollte. Ich hatte noch nicht einmal einen Lösungsansatz, da er nicht mit mir reden wollte und mich selbst gestern Abend im Stich gelassen hatte. Vielleicht musste es so enden, vielleicht sollte ich die Sache einfach ruhen lassen und ihn vergessen. Und das würde die grausamste Aufgabe überhaupt sein. Ich war doch schon daran gescheitert, wie sollte ich es also jetzt hinbekommen? … Einen Menschen aus deinem Leben zu streichen, den du gern hast, wirklich gern hast. Und egal, was ich tun würde, ich wusste jetzt schon, dass ich ihn sowieso nie aus meinem Leben auslöschen konnte. Ich hatte ihn kennengelernt und er hatte Spuren hinterlassen, an die ich mich immer erinnern würde. Und wenn es nur Kleinigkeiten sein sollten wie den rechten Haken, den ich ihm an unserem allerersten Abend verpasst hatte, die Wette, die er gewonnen hatte, obwohl sie so subjektiv war wie nur irgend möglich, oder die Tatsache, dass er der erste Mann war, mit dem ich getanzt hatte. Oh … jetzt wusste ich ja, wieso er so gut tanzen konnte: Als Kind aus reichem Hause hatte er sicherlich Tanzunterricht und Benimmunterricht und alles mögliche gehabt, was sich in der High Society so gehörte … Ich wollte ihn nicht verlieren. Aber ich würde, denn ich hatte es so oft versucht und er hatte immer wieder abgelehnt. Ich schwamm im Rauch der verbrannten Brücken, die mich einst mit Gackt verbunden hatten. Ich musste da raus, bevor ich daran zugrunde ging, selbst wenn es mich immer trauriger machte und mir wieder unwillkürlich die Tränen kamen. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, wie sehr ich eigentlich an ihm hing. Und hätte ich es zugelassen, auch nur einen Schritt weiterzudenken, wäre ich auch auf den Grund dafür gestoßen. Nur verschloss ich die Augen davor, weil ich Angst hatte, dass es dann kein Zurück mehr für mich gäbe. Ich badete eine ganze Weile. Ein paar Stunden vermute ich, da ich dreimal etwas kalt gewordenes Wasser aus der Wanne heraus- und dafür neues, warmes Wasser nachlaufen ließ. Es war wirklich angenehm … und ich traute mich nicht ganz aus der Wanne raus, weil ich nicht wusste, wie es um meinen Körper stand. Es tat zwar nichts mehr weh, aber das hatte es heute morgen im Bett auch nicht und dann war ich wie mit dem Vorschlaghammer auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Ich musste auch irgendwann raus, denn meine Haut war schon ganz runzelig und wirkte irgendwie aufgequollen – gerade so als hätte sie sich mit Wasser vollgesogen. Die perfekte Gelegenheit bot sich dann, als es an der Tür klingelte. In mir keimte die sinnlose Hoffnung auf, dass es Gackt war, der sich doch noch umentschieden hatte und mir nun helfen wollte. Das verwarf ich aber schnell wieder, denn wie gesagt: Es war eine furchtbar sinnlose Hoffnung. Aki kam mir auch in den Sinn, aber ich hatte erst gestern Vormittag mit ihm telefoniert und ihm versichert, das alles in Ordnung war – das hielt für gewöhnlich für die nächsten Tage vor. Aber wer wusste schon, ob er nicht doch irgendwas mitgekriegt hatte bei unseren Telefonaten oder den letzten Treffen. Ich hatte zwar versucht, das Thema Gackt zu umschiffen und mir nichts anmerken zu lassen, aber vielleicht war doch etwas durchgekommen. Es deprimierte mich, sonst würde ich nicht so viel weinen, das hatte ich schon vor einer gefühlten Ewigkeit begriffen. Ich ließ es dann auf einen Versuch ankommen und stieg vorsichtig aus der Wanne. Und erstaunlicherweise hatte ich weniger Schmerzen als heute Mittag im Schlafzimmer. Das warme Wasser hatte also doch geholfen, wenn auch nur in einem bestimmten Maße. Zumindest schleppte ich mich nicht wieder wie ein alter Mann durch meine Wohnung, sondern hatte einen einigermaßen aufrechten Gang. Mein Bademantel hing auch noch an der Badezimmertür, weil ich ihn gestern Abend nicht gebraucht hatte, und so musste ich nicht extra einen Umweg machen. Ich wollte es nicht übertreiben. Den Postboten ebenfalls ausschließend, kam ich an der Tür an, öffnete einmal mehr ohne den Türspion zu benutzen und sah den, den ich gerade nicht erwartet hatte … oder bewusst verdrängt hatte: Hayashi, mit einer ernsten Miene im Gesicht und einem Aktenordner unter dem Arm. Natürlich … es sank mir erst jetzt richtig ins Bewusstsein … er hatte mir gestern Abend gesagt, dass er heute vorbeikommen wollte, um mit mir über die Wohnung zu sprechen. Und über die Miete. „Guten Tag, Takarai-san“, begrüßte er mich. Als er jedoch registrierte, dass ich im Bademantel vor ihm stand und die Spitzen meiner Haare nass waren, wurde seine Miene etwas weicher. Er entschuldigte sich auch sofort für die Störung, obwohl er sich doch angekündigt hatte: „Oh, es sieht so als als würde ich wieder zum falschen Zeitpunkt kommen. Es tut mir furchtbar leid. Scheinbar sind Sie noch nicht wieder ganz auf den Beinen.“ „Äh …“, machte ich erst einmal nur, weil er einen mit seinen Entschuldigungen manchmal förmlich überrannte. Ich brauchte dann immer einen Moment, um mich um fangen: „Nein, nein, es ist meine Schuld. Sie hatten sich angekündigt. Ich hätte es besser einplanen sollen.“ „Nicht doch, nicht doch“, kam darauf die Erwiderung, „Sie sahen gestern schon angeschlagen aus und müssen erst wieder gesund werden. Ich bestehe darauf.“ „Wenn das so ist …“ Es kam mir eigentlich ganz recht, dass er so hartnäckig war. Ich wollte mich nicht vor ihm erklären müssen – nicht jetzt und nicht später. Ich bedanke mich darum nur noch einmal, verbeugte mich leicht, Hayashi tat es mir gleich und … „Ich würde Sie nur darum bitten, einen Termin für mich zu finden, sobald es ihre Gesundheit erlaubt. Es ist doch recht dringend.“ Er zog eine Visitenkarte aus seiner Tasche seines Sakkos und überreichte sie mir mit dem Kommentar: „Nur für den Fall.“ „Danke sehr“, sagte ich, als ich die Karte entgegennahm. „Auf Wiedersehen und gute Besserung.“ „Danke. Wiedersehen.“ Ich wartete noch eine Sekunde, bis Hayashi sich umgedreht und zum Gehen gewandt hatte, ehe ich die Tür schloss. Dann sah ich auf die Visitenkarte, von denen er mir bestimmt schon ein halbes Dutzend Exemplare gegeben hatte. Immer für alle Fälle, falls sie mal verloren gingen. Und dann bekam ich auf einmal Angst – Angst vor dem, was mir bei dem Termin bevorstehen und was es für mich bedeuten würde. Es konnte einfach nichts Gutes sein, niemand würde mich für besonders freundliche Nachbarschaft auszeichnen und mir deshalb das Apartment schenken. Das Gegenteil würde der Fall sein, nachdem Hayashi gestern Abend die Andeutung auf die Klausel im Mietvertrag gemacht hatte. Ich wusste ja auch selbst nur zu gut, dass ich im Rückstand war und zahlen musste, um nicht rauszufliegen … wenn es nicht sogar schon zu spät war. Jetzt wollte ich mich nicht nur nicht vor Hayashi erklären müssen, sondern ich wollte ihn erst gar nicht wiedersehen. Denn jedes weitere Treffen würde es noch schlimmer machen. Ich hatte mich nicht keinen Millimeter bewegt, seit Hayashi gegangen war, ich hatte sogar noch die Hand am Türknauf. Ich stand dort wie angewurzelt und konnte genau spüren, wie ich eine Panikattacke bekam. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich atmete viel schneller, mir wurde abwechselnd unerträglich heiß und kalt und meine Gedanken steckten bei einer einzigen Frage fest: Wie komme ich da raus? Wie komme ich das raus? Wie komme ich da nur wieder raus?! Doch so klar die Frage auch war, so schwierig war die Antwort. Ich konnte nicht weiterdenken, nicht über den Tellerrand schauen, ich war gefangen und konnte nur zusehen, wie sich das grausame Szenario meiner Zukunft vor mir entfaltete und mich verschlingen würde, bis … oh bitte … bitte, irgendwer, hilf mir! Hilf mir doch! Ich will nicht so enden, ich will mein Leben zurück – mein schönes Leben und nicht dieses abgewrackte Etwas, das es jetzt ist. Ich will … Ich brach zusammen, fiel auf die Knie und kippte nach vorne. Die Hände presste ich fest auf mein Gesicht, als ob das die Lösung für alles wäre. Tränen rannen über sie und liefen an meinen Unterarmen hinunter, bis sie im Teppich versanken. Die Visitenkarte hatte ich fallen gelassen und begrub sie vermutlich gerade unter mir. Aber es kümmerte ich nicht, ob ich sie ramponierte … irgendwie war es mir sogar recht. Ich wollte mich wehren gegen das, was geschehen würde, und wenn ich mich nur an einem Stück Pappe ausließ. Aber was half es schon? Genau, nichts. Absolut gar nichts. Das war also mein erster Nervenzusammenbruch. Ich hatte etwas dieser Art noch nie vorher erlebt, aber diese eine Erfahrung reichte aus, um zu wissen, dass ich es nicht noch einmal durchmachen wollte. Nur leider hatte ich sehr wenig zu melden, wenn das Schicksal mein weiteres Leben auswürfelte. Ich konnte es nur irgendwie überleben und darauf warten, dass ich mich wieder beruhigte. Ich hockte ewig direkt neben der Tür und heulte. Schon bald verließ mich die Kraft erneut und ich kippte komplett auf die Seite, lag teils auf dem normalen Teppich, der in der halben Wohnung auslag, und teils auf dem Läufer, auf dem die Schuhe standen. Noch etwas später verließ mich noch mehr Kraft und ich hörte zu heulen auf und weinte nur noch stumm vor mich hin. Und dann irgendwann schlief ich vollkommen ausgelaugt ein, flüchtete vor der Achterbahn, die mein Leben zur Zeit war und bei der es irgendwie nur weiter nach unten zu gehen schien. Ich wollte gar nicht wissen, wie weit die Abwärtsfahrt noch gehen würde … ich konnte nur noch darauf bauen, dass ich irgendwann einmal am absoluten Tiefpunkt ankam und es wieder nach oben gehen konnte. Doch ich sah es einfach nicht … nirgendwo war das Licht am Ende des Tunnels, das mich vor allem retten konnte, oder der Prinz auf dem weißen Pferd, der seiner Jungfer in Nöten zu Hilfe eilte und dabei sein eigenes Leben riskierte. Alles nur stupide, verkitschte Klischees – die Realität sah ganz anders aus. Wie sollte es auch von jetzt auf gleich besser werden? War ich doch nicht nur gefangen in meinem Leben, sondern jetzt auch in meiner eigenen Wohnung. Und ich sperrte mich selbst dort ein, indem ich irgendwo zwischen Panikattacke und Nervenzusammenbruch beschloss, dass die Welt mir nichts weiter antun könnte, wenn sie mich nicht erwischte. Ich verkroch mich in meiner Wohnung, zusammen mit der festen Absicht, sie nicht zu verlassen, wenn es nicht wirklich, wirklich notwendig war. Dass das dumm war, wusste ich selbst. Und ich merkte es spätestens daran, dass mein Entschluss schon nach kurzer Zeit ins Wanken kam, da der Drang, nach draußen zu gehen, gegen meine Angst aufbegehrte. In einer guten Woche schaffte ich es, mich dutzende Male anzuziehen und mich zum Ausgehen fertig zu machen, nur um dann minutenlang vor der Tür stehen zu bleiben und doch wieder einen Rückzieher zu machen. Ich war kein Mensch, der sich einsperren ließ und dies einfach hinnahm. Ich wollte nicht hier drinnen vor mich hin vegetieren. Ich wollte Spaß haben … oder mich wenigstens von einem Arzt durchchecken lassen. Aber Hayashi konnte mir jederzeit über den Weg laufen und dann wäre alles vorbei. Und selbst wenn ich nicht erwischt wurde … was, wenn ich wieder in so eine Situation geriet wie mit Emiko und ihrem Mann? Denn Emikos Worte wollten mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Flittchen … Flittchen … Sie hatte mich ein Flittchen genannt. Sie sah in mir nicht mehr als ein … Ding, dass sie hernehmen und wieder weglegen konnte, wie sie wollte, denn sie bezahlte mich indirekt dafür. Und das schlimmste an der Sache war, dass es stimmte. Ich wusste es, ich wusste es doch! Es war mir immer klar gewesen und doch hatte ich es nie zugeben wollen. Ich hatte mich immer damit gerechtfertigt, dass ich mir meine Gönner selbst aussuchte und mir nur die herauspickte, die mich ansprachen. Aber so sehr dieses gewisse Interesse am Anfang auch da sein mochte, so schnell verflog es nur zu oft und die Dates wurden zur lästigen Notwendigkeit, um überleben zu können. Ich finanzierte mein Leben, indem ich anderen Leuten schöne Augen machte, sie bei Laune hielt und mit ihnen schlief. Ich war anscheinend wirklich nicht besser als ein besseres Flittchen, das sich anbot und verkaufte. Gackt hatte es mir schon bei unserer ersten Begegnung ins Gesicht gesagt und ich hatte ihm dafür eine reingehauen. Er hatte immer wieder versucht, mir einen anderen – den richtigen – Weg schmackhaft zu machen. Und genau das nagte nun nicht nur an mir, sondern nahm mir gleichzeitig die Illusion, die mein Leben in den letzten Jahren gewesen war. Vielleicht machte ich mir auch noch immer etwas vor, was meinen Wunsch nach Spaß und Gesellschaft anging … nur, um mich nicht leer zu fühlen. Mein momentanes Problem machte es auch nicht lösbarer: Raus wollen und doch nicht raus wollen – es war paradox und die Angst einfach zu stark. Jedes Mal, wenn mein Telefon klingelte, schreckte ich auf und sprang fast einen Meter in die Luft – insofern mein Körper das zuließ. Nachdem ich dabei einmal vom Sofa gefallen und mir den Kopf hart am Couchtisch gestoßen hatte, zog ich den Stecker. Und mein Handy schaltete ich einfach aus, solange ich es nicht selbst brauchte. Wenn jemand an der Tür schellte, schlich ich vorsichtig hin, um bloß nicht gehört zu werden und kontrollierte am Türspion, wer es war. In jedem Fall war es derjenige, den ich auch erwartet hatte: Der Lieferant vom Pizzaservice, vom Sushi-Express, vom Nudelrestaurant oder was auch immer ich bestellt hatte. Ich ging nicht mehr vor die Tür, noch nicht einmal, wenn ich etwas zu essen brauchte. Cornflakes, Kaffee und Tee hatte ich noch genug in der Küche und das sicherte das Frühstück. Mittag bzw. Abendessen orderte ich nur noch. Das ging zwar auf den Geldbeutel, aber ich versuchte, nicht daran zu denken, und außerdem aß ich sowieso nicht sonderlich viel. Stattdessen schlief ich lange, frühstückte irgendwann am frühen Nachmittag, schlief dann wieder, aß halb in der Nacht etwas vom Lieferservice und brachte den Rest des Tages irgendwie herum, ehe ich mich kurz vor Sonnenaufgang wieder in mein Bett verkroch. Mein Tag drehte sich fast komplett um. Aber das ganze Faulenzen, Fernsehen, Lesen etc. hatte zumindest ein Gutes: Ich bewegte mich wenig und meine Blessuren besserten sich. Sie machten sich zwar noch immer dann bemerkbar, wenn ich länger gelegen hatte und aufstehen wollte, aber es dauerte nicht mehr so lange, bis der Schmerz abklang. Ich badete auch öfter, wenn auch nicht so lange wie am ersten Tag. Doch so gut meine Wunden auch heilten und so relaxed mein Tagesablauf auch anmuten mochte, es änderte nichts. Ich lenkte mich nur ab, damit mich meine Sorgen nicht erdrückten. Richtig entspannen konnte ich nicht, denn so gut ich auch alles ignorierte, über das ich nicht nachdenken wollte, es nagte doch an mir – unbewusst. Wäre das nicht so, würde ich nicht hier festsitzen. Ich konnte nicht einfach so tun, als sei nichts geschehen, als sei mein Leben noch das, was es immer gewesen war – dazu war mir die Katastrophe viel zu bewusst, allem voran die zwischenmenschliche. Es ging mir nicht gut, überhaupt nicht. Und hätte man meinem Unterbewusstsein eine Stimme gegeben, hätte es sicherlich so laut um Hilfe geschrien, dass mir die Ohren geblutet hätten. Aber die Angst vor der ungewissen Zukunft zog einen Schleier über all das und versteckte sich gleich selbst dahinter, um nur ab und zu herauszukommen und mich von der 'Dummheit' abzuhalten, mir auch wirklich Hilfe zu suchen und mich den Problemen zu stellen. Aber die Fassade war nicht stabil, sie begann zu bröckeln. Meist schlief ich durch, aber es mischten sich immer mehr Träume in meinen Schlaf – Alpträume von dunklen, kalten Orten, von Abgründen, in die ich zu fallen drohte, und von grauen Menschenmassen, die mich niedertrampelten, während ich wehrlos am Boden lag. Es waren immer die gleichen Träume, die sich nur abwechselten und dafür sorgten, dass ich von kaltem Schweiß überströmt und teilweise aufschreiend aus dem Schlaf hochschreckte. Ich begann sogar zu weinen – aus einem Grund, den ich selbst nicht kannte, denn der Traum war derselbe wie immer gewesen. Mit einem kleinen Unterschied: Eine Glocke hatte geläutet, während die Menschen über mich hinweggelaufen waren und der Himmel am Horizont war schwarz geworden. Als ob das Ende nun doch gekommen wäre. Als ich wacher wurde, registrierte ich, dass ich mir die Glocke nicht eingebildet hatte. Es klingelte tatsächlich an der Tür. Und sofort war die Angst da, die mir sagte, dass Hayashi gekommen war, um mich aus der Wohnung zu werfen und mich auf die Straße zu setzen. Aber … würde er darauf warten, dass ich ihm öffnete und mich fügte, oder würde er sich einfach Zutritt verschaffen? Er war der Vermieter, er hatte alle notwendigen Schlüssel für dieses Gebäude. Ich konnte nur abwarten, was passierte, denn von selbst öffnen würde ich auf keinen Fall. Wenn er wieder ging, hatte ich Glück, wenn nicht … dann würde ich so oder so von hier weg müssen. Ich blieb im Bett sitzen und lauschte, achtete darauf, ob das Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde, erklang, und krallte mich dabei vor Angst und Gespanntheit an der Bettdecke fest. Aber es klingelte nur noch ein paar Mal und dann war Ruhe – minutenlang. Ich atmete tief ein und wieder aus … er war gegangen. Hayashi war wieder gegangen und hatte mich in Ruhe gelassen. Gott sei Dank! Einen Blick auf meinen Wecker werfend, bemerkte ich, dass es halb vier am Nachmittag war, und mein Magen sagte mir, dass er dringend etwas zu essen haben wollte. Wenigstens ein bisschen. Ich stieg also aus dem Bett – ja, mittlerweile konnte man es wieder einigermaßen so nennen – zog schnell frische Shorts und meinen Bademantel an und begab mich in die Küche, um mir dort einen Tee zu kochen. Das Essen musste noch warten, bis der fertig war, und solange der Wasserkocher lief, wollte ich schnell ins Bad. Ich putzte mir die Zähne und dann, gerade als ich zum Kamm griff, klingelte es erneut, diesmal aber energischer. Es ließ mich so dermaßen zusammenfahren, dass mir nicht nur der Kamm aus der Hand rutschte, sondern ich in dem Versuch, ihn wieder aufzufangen, den Flüssigseifenspender und meinen Wasserbecher herunterriss. Den Kamm konnte ich auch nicht retten und er fiel klappernd zu Boden. Hayashi! Er hatte nur die Schlüssel vergessen. Jetzt kommt er wirklich! Und er ist sauer! Am liebsten hätte ich mir in diesem Moment ein dunkles Loch gesucht, in dem ich mich verkriechen konnte, aber es war keins da. Stattdessen verlor ich vollkommen den Kopf. Ich lief zuerst in die Küche zurück und schaltete den Wasserkocher wieder aus. Warum ist das tat und was es bringen sollte, war zweitrangig. Dann rannte ich in mein Schlafzimmer, warf den Bademantel schon unterwegs ab und schlüpfe schnell in die erstbesten Klamotten, die ich finden konnte. Ob sie wenigstens noch einigermaßen sauber waren oder dort schon seit ein paar Tagen lagen und auf eine Wäsche warteten, kümmerte mich nicht. Vermutlich war es das Bestreben, nicht in Bademantel und Unterwäsche auf der Straße zu landen. Und noch während ich mir die zweite Socke anzog und in meinem Kopf bereits eine Liste von Dingen durchratterte, die ich unbedingt retten musste, hielt plötzlich ich inne, als wäre ich zu Eis erstarrt. Ich hatte etwas gehört. Doch es war nicht das Geräusch des Schlüssels, sondern mein Name gewesen. „Hyde?“ Hyde, nicht Takarai-san. Dann klopfte jemand an die Tür, indem er mit der Faust dagegenschlug, und rief dann wieder meinen Namen. „Hyde?! Hyde, bist du da?“ Und als ich die Stimme der Person erkannte, die da Zutritt zu meiner Wohnung wollte, wäre ich fast in Tränen ausgebrochen. Auf alle Fälle verlor ich das Gleichgewicht, stolperte und landete auf dem Fußboden. Doch dort blieb ich nicht. Ich rappelte mich auf, so schnell es ging, und rannte zur Tür. Das Klopfen hatte inzwischen aufgehört und ich bekam kurz Angst, dass ich nicht mehr rechtzeitig kommen würde. „Warte … warte!“, rief ich, während ich mit zittrigen Händen die Tür entriegelte, sie aufriss und hinaus in den Flur stürmte – direkt auf Gackt zu, der überrascht und auch etwas erschrocken aussah. Ich schlang die Arme um seinen Hals und drückte mich an ihn, als hinge mein Leben davon ab … irgendwie tat es das auch, denn er war das Leuchten, das mir in der Dunkelheit den Weg wies, und mich wieder hinausführen würde. Er war- „Hyde … nicht …“ Was? tbc. ~~~ ** + ** ~~~ Wie schreibt man - zumindest mMn - realitätsnah? Wenn man beschreibt, was man kennt und selbst erlebt hat. Sie sahen: einen Nervenzusammenbruch a la Earu. Keine schöne Sache und sich einfach nur auf die Ebene zu begeben, um das alles niederzuschreiben, ist annähernd schlecht. Und Gackt ist wieder da~a! :D Nur was will er dort? Warten da etwa neue Hiobsbotschaften auf Hyde? So langsam hat der Arme doch eigentlich genug durchgemacht, oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)