Der Fluch von Okkasion ================================================================================ Kapitel 1: I ------------ Ich darf mich nicht fürchten. Die Furcht tötet das Bewußtsein. Die Furcht führt zu völliger Zerstörung. Ich werde ihr ins Gesicht sehen. Sie soll mich völlig durchdringen. Und wenn sie von mir gegangen ist, wird nichts zurückbleiben. Nichts außer mir. - Frank Herbert, Der Wüstenplanet Wir befinden uns in der Hauptstadt des Landes Tyrand, Elmenor. Diese Großstadt befindet sich, militärisch günstig gelegen, direkt auf einem Berg, nicht weit entfernt von einem dichten Wald, dem Schwarzen Wald. In der Stadt selbst befinden sich große Handwerkshäuser der Gilden, Geschäfte, Manufakturen, Brauhäuser und die Wohnungen der Stadtbewohner und Arbeiter, allesamt nur durch schmale Gassen getrennt. Bewegten wir uns jedoch näher auf das Zentrum zu, so würden die schmalen Gassen breiten Straßen aus Kopfsteinpflaster weichen und die alten Wohnhäuser würden langsam durch prunkvolle Villen und weitläufige Parks ersetzt. Die Viertel der Gutverdienten und Adligen ranken sich dann direkt um das Stadtzentrum. Genau in besagtem Zentrum befindet sich der Regierungssitz des Königs von Tyrand, ein riesiger Palast, von dessen Türmen aus man ganz Elmenor überblicken kann. Um Elmenor herum erheben sich mächtige Mauern aus massivem Stein, welche die Slums, die, genau wie Pilze an einem Baum, an der Stadtbefestigung kleben, von den Vierteln im Inneren trennen. Kein Bewohner der Slums könnte es schaffen, über die hohen Mauern zu klettern und ebenso wenig würde es einem von ihnen gelingen, durch eines der bewachten Tore in die Stadt zu gelangen. Wenn wir uns noch ein Stück von den schützenden Stadtmauern entfernen, so gelangen wir zu einem wahrhaft wichtigen Gebäudekomplex Elmenors; dem Komplex der Magiergilde. Ebenfalls geschützt von massiven Mauern, umfasst der Gildenkomplex insgesamt vier Hauptgebäude, die weniger Häusern, eher Steinblöcken mit eingelassenen Fenstern gleichen, sowie mehrere kleine Häuser und Wohnheime. Und genau dort, in einem der Haupthäuser, um genau zu sein im Keller des Verwaltungsgebäudes, begann vor einiger Zeit die Geschichte, die Elmenor für immer verändern würde… Liviu rannte so schnell er konnte durch die labyrinthartig verzweigten Gänge des Kellers. Sein schwarzer Langmantel wehte dabei immer um seine Füße, was dazu führte, dass er fast stolperte, als er in einen schmalen Gang einbog. Gerade so gelang es ihm, sich noch an einer Wand abzufangen, bevor er auf den Boden knallte. Liviu seufzte. Er hätte diesen Mantel am liebsten abgestreift und weggeworfen, wäre es nicht seine Pflicht, ihn zu tragen, um ihn als Magier der Gilde identifizieren zu können. Aber er würde es ja bald geschafft haben. Der Magier raffte seinen Mantel und spurtete den Gang hinunter zu einer bereits ziemlich alt anmutenden Tür. Kaum hatte er sie erreicht, riss Liviu die Tür ruckartig auf und schlüpfte in den Raum dahinter. Im Raum hinter der Tür befand sich die alte Bibliothek der Gilde, folglich war das komplette Zimmer voller Bücherregale mit steinalten Büchern. Und inmitten dieser Bücherregale stand Arthur Kirkland, der, genau wie Liviu, in den schwarzen Mantel eines Schwarzmagiers gehüllt war. Auf seiner Brust prangten die Insignien eines Kriegers und eines Reinen Magiers. Dieselben Insignien, die sich auch auf Livius Mantel fanden. „Wie immer zu spät, hm? Von Pünktlichkeit hast du auch noch nie etwas gehört“, lauteten Arthurs Begrüßungsworte. Liviu lachte nervös auf und zog die Tür hinter sich zu. „Tut mir leid, ich… ich hatte noch zu tun.“ „Natürlich, du hattest zu tun. Sicherlich wieder mit Ivan und Natalia.“ Arthur rollte die Augen, bevor er fragte: „Aber Lukas hast du bei deinen Erledigungen nicht zufällig gesehen, oder? Ganz ungewöhnlich, dass er zu spät kommt. Im Gegensatz zu dir.“ Liviu beschloss Arthurs Seitenhieb auf seine Beziehungen und chronische Verspätungen zu ignorieren. „Nein, ich hab‘ Lukas noch nicht gesehen…. Aber hatte er nicht so eine Besprechung mit den Jägern? Du weißt schon, wegen der Angriffe und so weiter.“ Arthur nickte. „Das kann sein. Die Zahl der Angriffe hat zugenommen, nicht? Deshalb wollten die Jäger Unterstützung von uns oder dem Militär. Allistor hat mir davon erzählt. Dabei sollte man denken, dass sie das alleine hinbekommen sollten, wenn sie speziell dafür ausgebildet worden sind…“ Liviu öffnete den Mund, um zu einer Antwort anzusetzen, da flog die Tür hinter ihm auf und ein ziemlich aufgebrachter Lukas stürmte herein, der Liviu sogleich das Wort abschnitt. „Gott, diese Idioten! Dieser Haufen Idioten, der sich als Jäger bezeichnet! Einfach unfassbar…“ Lukas knallte die Tür zu, sodass sein blauer Mantel flatterte. Liviu sah den Beschwörer verdutzt an. Es war ziemlich selten, dass sich der sonst eher kühle Lukas zu Gefühlsausbrüchen dieser Art hinreißen ließ. „Ihr glaubt nicht, wie sich diese… diese Männer, wie sie sich nennen, benehmen! So viel Narzissmus, so viel Selbstverliebtheit auf einem Haufen ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie unorganisiert diese Truppe ist! Oder ein Bild davon machen, wie… wie dämlich sie sind.“ „Ziemlich, deiner Beschreibung nach zu urteilen“, warf Arthur ein. „Ziemlich?“, echote Lukas. „Ziemlich? Was für eine maßlose Untertreibung. Ich will einfach nicht glauben, dass sie unsere Hilfe fordern! Und am Ende auch noch gewährt bekommen. Unfassbar, einfach unfassbar…“ Ein leichtes Lächeln stahl sich auf Livius Gesicht. Er wollte unbedingt erfahren, was oder eher wer Lukas so auf die Palme bringen konnte. Mitten in Lukas andauernde, wüste Beschimpfungen fragte er hinein: „Mit wem hast du denn nun eigentlich gesprochen?“ „Mit den Anführer der Jäger. Obwohl ich mich frage, ob sie mir da ein Kleinkind anstatt ihren Anführer geschickt haben“, erklärte Lukas in genervtem Tonfall. „Meinst du Matthias Kohler? Oder Gilbert Beilschmidt?“, fragte Arthur unbeeindruckt. „Ich frage mich heute noch, wie es die Beiden geschafft haben, eine solch hohe Position bei den Jägern einzunehmen…“ „Das frage ich mich allerdings auch... Ich meinte diesen Beilschmidt. Matthias wäre ja noch schlimmer gewesen. Ein Glück, er ist mit einem anderen Trupp Jäger auf anderer Mission unterwegs“, murrte Lukas, der sich langsam zu beruhigen schien, nun nachdem er seinem Ärger Luft gemacht hatte. Livius Lächeln hatte sich indes in ein breites Grinsen verwandelt. Matthias und Gilbert waren es also, die Lukas so aufregten. Kein Wunder, Lukas hatte schon immer etwas gegen gnadenlose Selbstüberschätzung gehabt. Eine Eigenschaft für die nicht nur Matthias und Gilbert, sondern so gut wie alle Jäger bekannt waren. Sie bildeten einen Sonderzweig der königlichen Armee, speziell ausgebildet, um gegen Monster, andere nichtmenschliche Wesen, sowie feindliche Magier zu kämpfen. Kein Wunder, dass sich die Jäger für etwas Besseres hielten. Allerdings war es in letzter Zeit zu vermehrten Angriffen sogenannter Dunkelelfen aus dem nahen Wald gekommen. Das paradoxe an diesen Angriffen war, dass die Dunkelelfen eigentlich als zurückgezogenes und naturverbundenes Volk beschrieben wurden und die Ursache der Angriffe ungeklärt war. Nur die wenigsten Menschen wagten sich überhaupt in ihren Wald und Wilderer wurden von ihnen äußerst schnell vertrieben. Jedoch war es der Gruppe der Jäger bisher immer gelungen die Angriffe erfolgreich abzuwehren, wenngleich es dabei einige Opfer gab. Ein Schlag, welcher das Ego der meisten Jäger ins wanken brachte und sie an ihrer Unbesiegbarkeit zweifeln ließ. Aus diesem Grund hatten sie sich entschieden, die Hilfe der Magier in Anspruch nehmen zu wollen. Ein weiterer Grund, warum Lukas so wütend auf die Jäger war. Denn sie konnten ja nicht wie „normale Menschen um unsere Hilfe bitten, nein, sie müssen sie fordern, wie als wäre es selbstverständlich, dass wir ihnen helfen würden“, sagte jedenfalls Lukas. Und ausgerechnet besagter Magier hatte nun mit zur Verhandlung um die Unterstützung kommen müssen. „Aber wie ist die Verhandlung nun eigentlich ausgegangen?“, fragte Arthur und setzte sich an einen der Schreibtische der Bibliothek. Nun wurde auch Liviu hellhörig. Hatten die Jäger nun wirklich ihren Willen bekommen? Lukas setzte seine übliche ernste Miene auf. „Natürlich haben die Jäger ihren Willen bekommen. Demnächst werden einige Magier auserkoren werden, die sich mit an die Front gesellen dürfen.“ „Wann werden sie bekannt gegeben?“, fragte Liviu gespannt. Er wollte sich dieses Spektakel eigentlich nicht entgehen lassen. „Du willst da nicht wirklich hin, oder?“, kam Arthurs Gegenfrage. „Doch.“ Liviu zuckte die Schultern. „Ich benutze meine Magie nun auch mal gerne, anstatt tagein, tagaus zu versuchen irgendwelchen Novizen die Schwarze Magie zu erklären.“ Arthur wollte bereits etwas erwidern, da schnitt ihm Liviu auch schon wieder das Wort ab. „Wobei ich eigentlich nicht glaube, dass du einen guten Lehrer abgibst. Bist wahrscheinlich zu drei Vierteln des Unterrichts ohnehin betrunken, nicht?“, stichelte er. Mit Genugtuung bemerkte Liviu, wie Arthurs Gesichtsfarbe langsam von einer schwachen Schamesröte zu einem wütenden Dunkelrot wechselte. „Ich fange wenigstens etwas sinnvolles mit meiner Zeit an, anstatt mich auf irgendwelchen zwielichtigen Beziehungen mit Männern und deren Schwestern einzulassen“, knurrte Arthur. „Es würde dich nicht gerade beliebt machen, wenn jemand davon erfahren würde, was sich nachts in deinem Bett abspielt.“ Das Grinsen des Angesprochenen wurde noch breiter, falls dies überhaupt noch möglich war. Er liebte es einfach zu sehr, Arthur mit seiner Schwäche, gerne mal ein oder zwei Gläser über den Durst zu trinken, aufzuziehen. Aus dem Augenwinkel beobachtete Liviu, wie Lukas still in sich hinein lächelte. „Aber selbst wenn sie es herausfinden würden, könnten sie mich nicht dafür bestrafen. Ganz anders sieht es da bei dir aus…“, meinte der Schwarzmagier schnippisch und deutete auf Arthur, der kurz vor dem explodieren war. „Wenn ich nur noch ein Wort von dir höre, Liviu, dann bist du ein toter Mann…“, knurrte er. Angesprochener zuckte die Schultern. „Das übliche eben.“ Das nächste, was Liviu sah, war eine Kugel dunkler Energie, die schnell auf ihn zuflog. Er feixte und wehrte den schwachen Schlag mit Leichtigkeit ab. Arthur hatte nicht vorgehabt, ihn zu verletzten. Ein Kampf inmitten dieser vielen Bücherregale wäre ohnehin etwas ungünstig gewesen. Lukas klatschte in die Hände und erhob sich von dem Platz, den er eingenommen hatte, um Arthurs und Livius kurzem Wortgefecht zu lauschen. „Nun, da wir das geklärt haben… Um auf deine Frage zurückzukommen, Liviu, die ausgewählten Magier werden in zwei Tagen bekannt gegeben“, erklärte er und fügte leise hinzu: „So lange werden diese Idioten von Jägern ja noch warten können…“ „Ah, danke Lukas! Mit dir kann ich reden!“, bedankte sich Angesprochener, während er Arthur wieder seine vollste Nicht-Beachtung schenkte, wie so oft in der Hoffnung, seine Sticheleien würden abermals auf fruchtbaren Boden treffen. „Hast du nicht noch etwas vor, Liviu?“, war allerdings die einzige Bemerkung, zu der sich der arg entnervte Arthur nun noch hinreißen ließ. „Jetzt, wo du es erwähnst… Ich könnte ja mal nach meinem netten Freund sehen gehen, oder? Was meinst du, Lukas.“ Der Beschwörer lächelte leicht, bevor er antwortete: „Geh’ lieber schnell, bevor unser lieber Freund hier wieder an die Decke geht.“ Er machte eine kurze Kopfbewegung in Arthurs Richtung. Dieser reagierte diesmal sofort. „Was fällt euch eigentlich ein?!“ Von Lukas hätte er so etwas wohl nicht erwartet. „Zu dir fällt mir nichts mehr ein“, stichelte Liviu, bevor er sich schnell mit den Worten „Na, ich muss dann mal eben wieder los…“ verabschiedete, um Arthurs giftigem Blick zu entkommen. Ungeduldig trat Liviu von einem Bein aufs andere, während er wartete, dass ihm jemand die Haustür öffnete. Nach seinem Treffen mit seinen Freunden aus seiner Novizen-Zeit hatte er sich nicht sofort auf den Weg zu seiner Wohnung in den Quartieren der Gilde gemacht, wie er es normalerweise so kurz nach Sonnenuntergang zu tun pflegte, sondern hatte noch einmal die Stadttore Elmenors durchquert, um, wie immer wenn es möglich war, seine beiden Partner zu besuchen. Eine Dreierbeziehung, wie sie sie führten war zwar keineswegs so einfach zu führen, wie Liviu es Arthur unter die Nase gerieben hatte, aber Wert war sie es allemal. Die Tür öffnete sich einen Spalt und eines der Dienstmädchen des Hauses schaute den Magier verwirrt an. „Guten Abend“, grüßte Liviu die junge Frau. Diese schien sich nun auch langsam wieder zu fangen. „Verzeiht, ehrenwerter Magier“, murmelte sie und ließ Liviu nach einer hastigen Verbeugung eintreten. „Wie kommt es, dass Ihr uns noch zu dieser späten Stunde beehrt?“ „Also, ich-“, begann Liviu wurde aber von einer Frauenstimme unterbrochen. „Liviu!“ Sofort wandte Liviu den Blick in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Auf der breiten Treppe im geräumigen Vorraum der Villa erblickte er die Herrin des Hauses, Natalia Braginsky. Liviu stockte der Atem. Er fragte sich, wie es ihm nun, nach zwei Jahren, die er Natalia schon kannte, noch immer die Sprache verschlagen konnte, wenn er sie sah. Sie sah einfach bezaubernd aus. Sie war in ein hochgeschlossenes Kleid mit einem weißen Kragen gewandet. Der glänzende, mitternachtsblaue Stoff ihres Kleides war mit reichen Mustern aus silbernem Garn bestickt. Er glaubte sogar, das Wappen ihres Hauses in den verschlungenen Mustern zu erkennen. Zu ihrem ohnehin schon schönen Kleid trug Natalia ihr langes, weißblondes Haar offen, was ihr eine gewisse Anmut verlieh. Liviu konnte es gar nicht erwarten, über ihr weiches, glattes Haar zu streichen. „Guten Abend, Mylady“, grüßte Liviu erfreut und deutete eine spöttische Verbeugung an. Allerdings schien Natalia nicht sehr zu Scherzen aufgelegt zu sein. Stattdessen raffte sie ihr teuer aussehendes, mitternachtsblaues Kleid und stöckelte rasch die Treppe hinunter. Hoch erhobenen Hauptes ging sie auf Liviu zu und funkelte ihn weiterhin an. „Liviu…“, murmelte sie gefährlich leise, als sie direkt vor ihm stand. „Wo warst du so lange? Du warst seit Tagen nicht mehr hier!“ „Ich hatte eben viel um die Ohren“, antwortete er. „Ach ja?“ Natalia hob skeptisch eine Augenbraue. „Natürlich! Sonst wäre ich ja gekommen.“ Liviu setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. „Verzeihst du mir, Natascha?“ Natalias Wangen zierte ein zarter Rotton, als sie ihren Kosenamen hörte, zu einem richtigen Lächeln ließ sie sich allerdings nicht bewegen. Schlussendlich aber seufzte sie aber und ergriff Livius Hand. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte Liviu einen sanften Kuss auf den Mund, den er hoffnungsvoll erwiderte. Ein enttäuschtes Seufzen verließ seinen Mund, als Natalia den Kuss wieder löste. Sie sah ihm nun wieder fest in die Augen. „Nun gut. Ich verzeihe dir, wenn du mitkommst“, meinte sie und zog Liviu die Treppe hinauf. „In Ordnung…“, murmelte er und meinte den leisen Anflug eines Lächelns auf Natalias Gesicht erkennen zu können. Oben angekommen, schleifte Natalia Liviu sogleich weiter in das geräumige Wohnzimmer, welches mit etlichen bequemen Sesseln und Regalen voller Bücher und Krimskrams dekoriert war. Livius Lächeln wurde breiter, als er erkannte, dass in einem der besagten Sessel, kein geringerer als Natalias Bruder, der Offizier Ivan Braginsky, saß. Mit dem Liviu mehr, als nur beruflich zu tun hatte. Sehr viel mehr. „Ivan… Rate, wer da ist…“, säuselte Natalia, als sie sich, noch immer mit dem Magier im Schlepptau, an Ivan, der mit dem Rücken zur Tür saß, heranschlich. Sie ließ Liviu los und beugte sich über die Lehne, sodass ein paar Strähnen ihrer langen Haare Ivans Gesicht streiften. „Mein hübsche Schwester würde ich sagen“, murmelte Ivan und strich Natalia über das Haar. Natalia lachte leise auf, bevor sie fragte: „Und wer noch?“ „Etwa Liviu?“, fragte Ivan nach kurzer Überlegung und erhob sich, um sich zu vergewissern, ob er richtig lag, aus dem dunkelroten Sessel. „Richtig!“ Liviu grinste Ivan erfreut an. „Schön, dich zu sehen“, sagte er, bevor er einen Schritt auf Ivan zumachte und ihn zu sich herunterzog, um ihn in einen stürmischen Kuss zu verwickeln. Es war schon ewig her, dass er Ivan gesehen hatte, schließlich war Ivan als Offizier ziemlich beschäftigt und in der Öffentlichkeit durften sie beide sich ohnehin nicht zu solchen Dingen erwischen lassen. Entsprechen fiel nun ihre Begrüßung aus. Nach einer Weile merkte er, wie ihn Natalia schon fast ungeduldig am Ärmel seines Mantels zupfte. Das würde sicher eine lange Nacht werden. Als Liviu langsam erwachte, fand er sich, wie erwartet, im großen Himmelbett Natalias wieder. Er blinzelte verschlafen und ließ seinen Blick zu den Personen neben sich wandern. Neben ihm, direkt in der Mitte des großen Bettes, lag Ivan, der allem Anschein nach noch ruhig schlief. Liviu wusste nicht, warum Ivan auf die meisten furchteinflößend oder autoritär wirkte. Eigentlich sah er doch ziemlich friedlich aus. Jedenfalls wenn er schlief. Liviu lächelte unwillkürlich und strich Ivan eine seiner aschblonden Strähnen aus dem Gesicht. Dicht an ihn gepresst lag, wie zu erwarten, Natalia, die wie immer die Nähe ihres großen Bruders suchte. Liviu hatte von Anfang an nie gewusst, was Natalia eigentlich für ihren Bruder empfand, ob es wirklich Liebe oder nur eine ziemlich verquere Form der schwesterlichen Zuneigung war. Nun, allerdings hatte sich das Thema, seit dem sie eine Beziehung führten, aber auch so ziemlich erledigt. Livius Blick wanderte erneut zu Ivan. Er seufzte unwillkürlich. Eigentlich müsste er Ivan von dem Plan der Magier, die Jäger zu unterstützen erzählen, da Ivan, aufgrund einiger Konflikte politischer Natur, nie länger als ein paar Tage in Elemenor blieb und letztendlich auch, weil der Schwarzmagier selbst hoffte, bei der Verteidigung der Stadt mitwirken zu können. Über solche Themen zu sprechen eignete sich aber wiederum nie gut, wenn Natalia anwesend war, da sie ziemlich allergisch darauf reagierte, wenn ihr mitgeteilt wurde, dass einer ihrer Freunde für einige Zeit nicht da sein würde oder sich gar in Gefahr begab. Liviu würde lieber sofort gegen zehn Dunkelelfen auf einmal antreten, als sich auszumalen, was er für eine Standpauke von Natalia gehalten bekommen würde. Sie sorgte sich zwar nur, aber sie tendierte stets dazu, ihre Sorge in Form eines Vorwurfes auszudrücken. Woraufhin sich besagter Freund meist breitschlagen ließ und alles tat, um möglichst schnell wiederzukommen oder am besten gar nicht zu gehen. Wobei letzteres wohl Livius Option war. Für einen Moment schloss er die Augen, um zu überlegen, wann und wie er Ivan am besten erklären sollte, was sich an den Grenzen Elmenors abspielte. Wenn möglich ohne Natalia allzu sehr einzubeziehen. Erneut verließ ein tiefer Seufzer Livius Mund. Er kniff die Augen fester zusammen. Was konnte er tun? Er wurde abrupt aus seiner Überlegung gerissen, als er spürte, wie eine warme Hand über seine Schulter strich und langsam begann, weiter über seinen nackten Oberkörper zu wandern. Sofort schlug Liviu seine Augen auf und sah zu Ivan, der in aus seinen violetten Augen verschlafen anblinzelte. „Morgen…“, murmelte Ivan. „Warum seufzt du so laut?“ „Oh“, sagte Liviu und unterdrückte ein Gähnen. „Ich wollte dich nicht wecken.“ „Hm“, machte Ivan nur und fuhr fort, mit dem Finger Muster auf Livius Körper zu zeichnen. „Schläft sie?“, flüsterte Liviu und nickte zu Natalia. Ivan sah kurz zu ihr, bevor er nickte und fragte: „Ja, wieso?“ Liviu holte noch einmal tief Luft. Besser jetzt als nie. „Na gut… Du hast doch sicher von dieser Angriffen aus dem Wald gehört.“ Ivan nickte in stummer Zustimmung, ohne aufzuhören, Liviu zu bearbeiten. „Nun, es ist so, dass die Magiergilde beschlossen hat, bei der Verteidigung mitzuwirken. Und ich werde wohlmöglich auch bei dem Verteidigungs-Trupp dabei sein. Nur, dass du’s weißt.“ „Und nicht Natascha erzählst, hm?“, fragte Ivan und lächelte schief. Liviu lachte auf. „Ja, so ziemlich.“ „Dafür wird sie danach aber doppelt so wütend sein, dessen bist du dir bewusst, oder?“ „Ja… Aber so spielt das Leben…“ „Na gut. Dann pass dann gut auf dich auf, ja? Ich will dich nicht in Einzelteilen wiederbekommen.“ „Geht klar“, meinte Liviu und setzte sich auf, um Ivan zu küssen. Einen Kuss, den Ivan sofort leidenschaftlich erwiderte. „Mir wird schon nichts passieren.“ Kapitel 2: II ------------- Keine drei Tage später machte sich Liviu, der aufgeregt wie ein Novize vor Schulanfang war, mit Lukas und achtzehn anderen ausgewählten Magiern auf den Weg zum Nordtor Elmenors, um von dort aus zum Lager der Jäger in der Nähe des Schwarzen Waldes zu kommen. Die Freude darüber, tatsächlich ausgewählt worden zu sein, verstärkte seine Vorfreude noch, sehr zum Leidwesen Lukas’. Er konnte diesem Einsatz nach wie vor nichts abgewinnen. So vertrieb er sich die Zeit damit, sich bei Liviu in seinem üblichen kühlen Tonfall, darüber zu beschweren, dass all ihre Mitstreiter eigentlich nicht geeignet waren und hier nichts verloren hatten. Liviu ließ Lukas Analyse über sich ergehen. Er war zu gut gelaunt, um sich wegen der anderen Magier mit Lukas zu argumentieren. Unter besagten Mitstreitern befanden sich neun weitere Krieger, sechs Beschwörer, sowie drei zusätzliche Heiler. Zu letztgenannten gehörte Arthurs einzige Schwester, eine Weißmagiern, die nicht wie Arthur mit reiner Magier, sondern wie Lukas mit Siegeln arbeitete. Sie galt als eine der besten Heilerinnen der Gilde. Überraschenderweise war kein weiterer der begabten Kirklands dabei, was wahrscheinlich daran lag, dass sie, wie Arthur als Lehrer, anderweitig eingebunden waren. Oder aber, weil der Gildenrat ein größeres Zusammentreffen der Kirklands vermeiden wollte. Schließlich würde sie später bei den Jägern auch noch auf den einzigen nicht-magisch begabten Kirkland, Allistor treffen. Wahrscheinlich hatte man wirklich ein Zusammentreffen der Kirkland-Brüder und einen daraus hervorgehenden Wettstreit vermeiden wollen. Was eigentlich recht schade war, denn Liviu hätte, für seinen Teil, eigentlich Arthur gerne dabei gehabt. Einerseits, weil er ein ziemlich talentierter Krieger war, andererseits, weil ihm diese Mission ideal erschien, um Arthur wegen irgendwelcher Nichtigkeiten aufzuziehen. Aber er war ja nicht da. Und sie würden ihr Ziel ohnehin bald erreicht haben. Dann musste Liviu seinen Kopf frei für die folgenden Instruktionen haben. Unaufmerksamkeit konnte er sich dann nicht erlauben. Schon bald erreichten sie das behelfsmäßig errichtete Lager der Jäger am Waldesrand. Das Lager bestand eigentlich nur aus ein paar aufgestellten Zelten, die meisten davon ziemlich groß, sodass viele Männer hineinpassen würden, und zwei kleinere Zelte, sowie eine Feuerstelle in der Mitte des Lagers. Vor einem der größeren Zelte hatte sich bereits die etwa fünfzig Mann starke Gruppe der in Elmenor gebliebenen Jäger versammelt. Liviu und die anderen Magier bahnten sich langsam den Weg durch die Zelte zu der Gruppe, wo sie auch gleich vom stellvertretenden Oberhaupt, Gilbert Beilschmidt, empfangen wurden. „Ah, da sind sie ja, die Magier. Willkommen auf dem Schlachtfeld!“ Liviu runzelte die Stirn aufgrund der theatralischen Begrüßung und erlaubte sich einen Blick hinüber zu Lukas. Er schien Gilbert mit seinen Blicken durchbohren zu wollen... Das konnte noch heiter werden. Liviu wandte seinen Blick wieder zu dem Anführer, der gerade die Magier durchzuzählen schien. Er musste zugeben, dass Gilbert wirklich irgendwie Eindruck auf ihn machte. Er war zwar nicht so eine große imposante Person wie Ivan, aber er trotzdem etwas einvernehmendes. Wie er da lässig stand, alle anderen Jäger hinter ihm, und von einem Kampf sprach, wie als wäre es ein Spaß. Das hatte Liviu irgendwie beeindruckt. Und er musste zugeben, dass er Gilbert auch irgendwie sympathisch fand, einfach weil er den Eindruck machte, das ganze nicht so ernst zu nehmen. Lukas wiederum missfiel das ganz offensichtlich. Bei solchen Sachen verstand er keinen Spaß. Doch Gilbert war noch aus einem anderen Grund eine sehr beeindruckende Person. Nun, da Liviu ihn einmal gesehen hatte, war er sich sicher, er würde Gilbert überall wieder erkennen. Er hatte ganz helle Haut, schlohweißes Haar und rote Augen, was einen interessanten Kontrast zum schwarzen Gewand und den grauen Rüstungselementen der Jäger abgab. So einen Menschen übersah man nicht so leicht. Gilbert schien fertig mit dem durchzählen zu sein und klatschte in die Hände. „Zwanzig Magier wie ich sehe. Krieger, Beschwörer und sogar ein paar Heiler. Das ist gut, wobei ich weit mehr erwartet hätte.“ „Dabei ist aber zu beachten, dass wir um ein vielfaches stärker als normale Soldaten und Jäger sind“, warf jemand aus der Gruppe der Magier ein. „Ja, ja“, meinte Gilbert daraufhin nur und winkte ab. „Das lässt sich nun wohl nicht mehr ändern. Wie dem auch sei. Ich werde euch nun auf den neuesten Stand der Dinge bringen. Hört zu, ich erzähle das nur einmal und wenn einer von euren Leuten das draußen verletzt wird oder stirbt, dann werde ich nicht dafür haften. Nun gut. Wie ihr wahrscheinlich wisst, kämpfen wir gegen eine Gruppe Dunkelelfen aus dem Schwarzen Wald. Die Ursache der Angriffe ist uns noch wie vor schleierhaft. Was wir allerdings wissen ist, dass die Gruppe scheinbar von Mal zu Mal stärker zu werden scheint. Beim ersten Angriff waren es vielleicht an die dreißig Elfen, jetzt müssten es bereits an die Hundert sein. Außerdem greifen nur nachts an, also macht euch darauf gefasst, hier ein paar Nachtschichten schieben zu müssen. So. Die Dunkelelfen sind ziemlich geschickt und schnell. Natürlich nicht besser als wir. Trotzdem ist es schwierig einen in die Finger zu bekommen. Selbst meine Männer haben erst ein paar verwunden oder ganz ausschalten können. Nicht, dass wir schwach wären. Die Waldläufer sind eben nur ein bisschen schneller. Verluste auf unserer Seite gab es ja nach wie vor nicht. Schließlich sind wir großartig. Gut. Gibt es noch Fragen?“ Die Magier antworteten mit einstimmigem Schweigen. „Großartig. Dann könnt ihr euch auf die Suche nach leeren Zelten machen und euch auf die Nacht vorbereiten.“ Gilbert verabschiedete die Magier mit einem Kopfnicken und einer Handbewegung, die ihnen bedeutete zu gehen. Sie taten wie ihnen gesagt wurde und entfernten sich von den Jägern. Gilbert hatte wieder begonnen, den Jägern neue Instruktionen zu geben. Liviu suchte währenddessen ein Zelt für sich und wahrscheinlich auch für Lukas, der mit blasiertem Gesichtausdruck neben ihm herlief. Nicht mal Lukas konnte Liviu nun noch herunterziehen. Er freute sich diebisch auf die Nacht und das Zusammentreffen mit den Dunkelelfen. Schnellen Schrittes lief der Schwarzmagier zur Feuerstelle ihres Lagers. Er war vorbereitet. Den schwarzen Langmantel, den er sonst zu tragen pflegte, hatte Liviu in seinem Quartier zurück gelassen und gegen ein paar dunkler Hosen und robustes, ebenfalls dunkles Hemd getauscht. Die Sachen, die er normalerweise unter seinem Mantel trug. Ein Jagdmesser hing an seinem Gürtel. Dazu ein paar Stiefel, sowie ein paar Arm- und Beinschienen. Mehr würde er nicht brauchen. Ein magischer Schild würde den Rest übernehmen. Kaum war Liviu an der Feuerstelle, an der sich bereits zahlreiche Magier und Jäger versammelt hatten, angekommen, kam auch schon Lukas, der ähnlich wie Liviu angezogen war, auf ihn zu. „Hey, Lukas!“, sagte Liviu und nickte Angesprochenem zu. „Liviu“, meinte Lukas kühl, wie so oft, und nickte ihm ebenfalls zu, bevor er einen Schritt näher an Liviu herantrat. „Ich werde dir deinen Schild anlegen… Achte darauf, dass du ihn dann noch einmal selbst mit deiner Magier verstärkst.“ Liviu nickte und wartete. Lukas hob seine rechte Hand. Sie glühte geradezu, ein Zeichen dafür, dass er seine Magie in ihr konzentrierte. Dann zeichnete er mit einer routinierten Bewegung seines Fingers ein kompliziertes Siegel auf den Brustkorb Livius. Als Lukas fertig war, begannen die imaginären Linien, die er gezeichnet hatte aufzuleuchten. Liviu spürte, wie Wärme seinen Körper durchströmte. Es fühlte sich an, als würde mit der Wärme, die sich immer weiter ausbreitete, sich eine weitere Hülle um Livius Körper bilden. Was, einfach gesagt, auch der Fall war. Liviu testete den Schild kurz mit seiner eigenen Magie aus, nachdem das Glühen aufgehört hatte und begann dann, den Schild zu verstärken. „Keine Probleme mit dem Schild?“, fragte Lukas. „Nein. Jedenfalls noch nicht“, grinste Liviu. „Schön. Ich habe nämlich nicht viel Zeit. Wir müssen noch die Jäger ausrüsten. Zu dumm, dass sie ihren Schild nicht weiter verstärken können. Wie dem auch sei. Die Beschwörer haben alle Hände voll zu tun. Du könnest dich ja mal nützlich machen und zu den Magiern gehen, die gerade den Schild um das Lager aufbauen. Die Beschwörer haben das Grundgerüst zwar bereits gelegt, es muss allerdings noch verstärkt werden…“ „Der Lager-Schild.“ Liviu zuckte die Schultern. „In Ordnung. Kannst du mir noch das Siegel für den Schild geben?“ Lukas nickte und zeichnete mit einer Schnellen Handbewegung ein Zeichen af Livius Hand, das kurz aufglühte und dann verschwand. Jetzt würde er den Schild immerhin ohne Probleme verlassen können. Und auch wieder hineinkommen. „Gut, dann lass ich euch mal wieder allein…“ Er entfernte sich wieder von der Feuerstelle und gesellte sich stattdessen zu ein paar Magiern, die einwenig außerhalb des Lagers standen und den unsichtbaren Energieschild zu verstärken. Liviu tat es ihnen gleich, legte eine Hand an den nicht sichtbaren, aber spürbaren Schild und ließ einen Teil seiner Energie hineinfließen. Er konnte spüren, wie die Energie des Schildes in der Luft zu vibrieren schien. Irgendwann entwickelte jeder Magier ein Gespür für solche Quellen von Energie. Nach einiger Zeit hörte Liviu einen lauten Pfiff über das Lager schallen. Sofort wandte er sich um. „Kommt her!“, hörte er die laute Stimme Gilberts rufen. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf Livius Lippen, als er von dem Schild abließ. Gleich würde es so weit sein. Er und die anderen Magier machten sich wieder auf den Weg ins Lager, dorthin wo sich die Jäger bereits versammelt hatten. „Hört zu!“, begann Gilbert seine Rede. „Ich werde euch nun in Gruppen einteilen, damit das Verhältnis zwischen Magiern und Jägern dann ausgeglichen ist. Wenn ihr eingeteilt, werden einige Gruppen sich am Waldrand postieren, um die Dunkelelfen dort abzufangen; andere Gruppen werden gleich in den Wald ausschwärmen. Sie haben dann die Möglichkeit diesen Waldläufern sofort den gar aus zu machen. Sollte das nicht gelingen, haben wir immer noch die Truppen am Waldrand. So viel dazu. Das Lager ist, wie ihr wisst, von einem Schutzschild umgeben, in den ihr euch zurückziehen könnt. Die Heiler bleiben hier, nur für den Fall.“ Er machte eine kurze Pause. „Und auch, wenn es hier einen Schild und so weiter gibt, will ich es nicht erleben, dass es sich einer von euch erlaubt, sich wie ein Feigling hier zu verstecken! Verstanden?“ Ein einstimmiges „Ja!“ kam von den Jägern, ein paar der Magier nickten stumm. „Großartig. Dann kommen wir nun zu den Gruppen…“ „Jetzt haltet doch mal eure Klappe…“, zischte Allistor dem Krieger und dem Jäger zu, die sich permanent über irgendwelche Nichtigkeiten belegen mussten. Die zwei Störenfriede verstummten und die Gruppe hüllte sich in Schweigen. Liviu war mit einer kleineren Gruppe von zehn Jägern unterwegs, an Magiern waren nur er, der andere Krieger und Lukas mit von der Partie. Unter den Jägern befand sich außerdem Allistor, Arthurs Bruder, der sich irgendwann selbst zum Gruppenführer ernannt hatte und seit sie durch den Wald stapften die Befehle gab. Sie liefen bereits seit einer ganzen Zeit durch den Schwarzen Wald, aber ihnen war noch kein Elf begegnet. Nicht mal irgendein wildes Tier. Einfach nichts. Sie gingen weiter, jegliches Fehlen von normalen nachtaktiven Tieren ignorierend. Langsam wurde es so düster, dass Liviu kaum noch die Männer, die vor ihm liefen, erkennen konnte. Er fragte sich, ob man bei so einer Dunkelheit überhaupt noch kämpfen konnte, begegnete man nun den Dunkelelfen. Allerdings wäre es genauso taktisch unklug gewesen, eine Laterne mitzunehmen, um den Weg zu erhellen. So war es schon besser… „Stopp“, flüsterte Allistor und die Gruppe erstarrte. „Da ist etwas…“ Plötzlich hört Liviu ein Knacken ganz in ihrer Nähe. Da war tatsächlich etwas. Die Spannung stieg. Die Jäger zückten ihre Waffen und die Magier begannen, sich auf ihren Schlag vorzubereiten. Livius Hände kribbelten, als er seine Energie in ihnen konzentrierte. Eine kurze Zeit blieb es still. Dann wieder dieses Geräusch. Das Knacken aus dem Unterholz. Und plötzlich sprangen die Elfen aus ihrem Versteck. Drei aus der vermuteten Richtung und zwei aus der entgegengesetzten. Der erste Jäger wurde niedergerissen, auf einen Angriff aus der anderen Richtung waren sie nicht vorbereitet gewesen. Mit dem Fall des ersten Jägers löste sich die Spannung, jeder ging zum Angriff über. Ohne groß nachzudenken feuerte Liviu einen Strahl dunkler Magie auf den Elf ab, der direkt auf ihn zusprintete. Dem ersten Schlag wich sein Ziel gekonnt aus, der zweite Schlag Livius saß. Sein Opfer wurde ein paar Meter zurück geschleudert, hielt sich aber nach wie vor auf den Füßen und setzte zum Gegenschlag an. Der Elf zückte die Sichel, die an seinem Gürtel gehangen hatte und stürmte direkt auf Liviu zu. Konzentration war gefragt. Der Schwarzmagier wartete ab, konzentrierte seine Energie. Verstärkte seinem Halt auf dem Boden. Dann, knapp bevor der Elf ihn erreicht hatte und bereits zum finalen Schlag mit seiner Sichel ausholte, machte Liviu einen Ausfallschritt nach vorn und stieß dem Elf mit aller Macht seine vor dunkler Energie glühenden Handflächen vor den Brustkorb. Mit einem Mal entlud er die ganze Energie. Liviu spürte, wie die fremde, zerstörerische Energie durch den Körper des anderen floss, ihn wegstieß und letztendlich zu Boden schickte. Er wartete, ob sich der Elf wieder aufrappeln würde. Er tat es nicht. Der Magier grinste. Der erste Elf war ein wirkliches Kinderspiel gewesen. Er sah sich um. Die anderen hatten es nicht ganz so leicht wie er. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie ein einziger Dunkelelf gleich drei der Jäger in Schach hielt, während Lukas versuchte eine Dunkelelfe von sich fernzuhalten. Beschwörer waren einfach nicht für den Nahkampf gemacht. Liviu feuerte einen Schlag auf die Elfe ohne einen weiter zu überlegen und sprintete zu Lukas. Ihre geordnete Gruppe hatte sich über den Angriff immer weiter aufgeteilt, nur noch wenige standen noch an ihrer eigentlichen Position. Lukas schenkte Liviu einen kurzen Blick, dann flüsterte er: „Lenk’ sie noch weiter ab, ich brauche noch ein bisschen Zeit…“ Liviu nickte wissend. Er wusste, was Lukas vorhatte. Der Beschwörer ging in die Hocke und begann Runen auf den Boden unter ihnen zu zeichnen, während Liviu Ausschau nach Angreifern hielt. Der andere Magier war indessen den drei Jägern zu Hilfe gekommen und bekämpfte nun mit ihnen den Elf. Ansonsten war kein weiterer Angreifer zu erkennen. Der Rest der Jäger verfolgte sie vielleicht weiter in den Wald? „Eher nicht…“, knurrte Liviu, als plötzlich gleich zwei Elfen aus dem Gebüsch auf ihn und Lukas zusprangen. Eine davon war die Dunkelelfe, gegen die Lukas eben gekämpft hatte. Er sandte mehrere verhältnismäßig schwache Schockwellen aus, um sie aufzuhalten. Einer der Angreifer begann zu taumeln. „Mist…“ Liviu hatte eigentlich keine Lust, noch mehr Energie zu verschwenden. Lukas würde dann ohnehin den Rest erledigen. Aber er musste irgendetwas gegen diese Waldläufer tun. Liviu entschied sich dafür, eine Reihe kleinerer Angriffe auszusenden. Er würde nicht so viel Kraft verschwenden und die Elfen wären beschäftigt. Die Elfen hatten Lukas und ihn fast erreicht, so begann Liviu schnell, Kugeln voll dunkler Energie auszusenden, wie Geschosse. Erst wichen ihre Angreifer noch aus, doch es gab kein entkommen. Ein Schwall der Angriffe traf die Elfe am Arm, den Elf direkt am Brustkorb. Er taumelte zu Boden, die Elfe hingegen zischte nur und hielt sich den Arm, weiter auf Liviu zukommend. Da begann plötzlich der Boden unter und hinter Liviu hell aufzuleuchten und zu rumoren. Diesen Moment der Ablenkung nutze Liviu, um der Elfe einen weiteren Schlag zu versetzen. Er seufzte erleichtert. Jetzt konnte er sich eigentlich entspannt zurücklehnen, Lukas übernahm ab hier. Aus dem Beschwörungskreis, den Lukas gezeichnet hatte, bildete sich langsam aus der umliegenden Erde und den Steinen ein Golem, ein von einem Beschwörer aus umliegenden Material und seiner Magie erschaffenes Wesen. Lukas hatte ganze Arbeit geleistet; sein Golem wuchs zu einer Größe von über zwei Metern heran. Die Elfen sahen einfach nur wie paralysiert zu, wie der Golem aus dem Boden schoss und sich dann mit großen Schritten auf sie zubewegte. Liviu sah kurz zu dem Beschwörer. Er konzentrierte sich zwar eben auf das Steuern seines Golems, trotzdem meinte Liviu den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht zu erkennen. Er würde sicher nun allein mit den beiden Elfen fertig werden. Der Golem holte nur einmal mit seinem langen Arm aus und ließ ihn auf die Elfen niedersausen. Plötzlich unterbrach ein lauter Schrei das Kampfgeschehen. Der Schrei kam allerdings von keinem Elf, sondern von einem der Jäger, der vollkommen verstört auf Lukas und Liviu zugerannt kam. Als er näher kam, sah Liviu, dass seine Rüstung mit Blut besudelt war. „Was ist passiert?“, fragte Liviu sofort. Der Mann schien zuerst selbst gar nicht zu wissen, was er eigentlich wollte, dann stammelte er: „Schnell, kommt mit, einer… einer unserer Männer… einer unserer Männer ist… Wir brauchen… Wir brauchen einen Heiler!“ Liviu sah kurz zu Lukas. „Du wirst mit den anderen Elfen fertig?“ Lukas nickte nur stumm und lenkte seinen Golem zu einer Gruppe Jäger, die allein gegen einen Elf antraten. „Gut, ich komme. Los, schnell, zeig mir, wo es lang geht!“ Sofort rannte der Jäger tiefer in den Wald hinein und Liviu folgte ihm. Nach ein paar Minuten kamen sie zu einer kleinen Lichtung. Dort auf dem Boden lagen drei der Jäger, die Liviu bei dem Kampf aus den Augen verloren hatte. Livius Augen weiteten sich bei dem Anblick. Jede der Gestalten lag in einer Blutlache. Das hier grenzte schon nicht mehr an einem bloßen Kampf gegen eine Randgruppe, das hier gleichte schon eher einem Krieg. Allistor stand neben ihnen und hielt sich seinen blutenden Schwertarm. Liviu beschleunigte seinen Schritt und kniete sich neben die am Boden liegenden Männer. „Sie sind tot“, sagte Allistor tonlos. „Wie…“, setzte Liviu an, doch Allistor schnitt ihm das Wort ab. „Das war ein Hinterhalt. Die Elfen wollten durch den Angriff unsere Gruppe aufspalten. Sie lockten uns weiter in den Wald. Hier warteten zehn weitere dieser Viecher auf uns. Wir hatten keine Chance.“ „Wo sind sie jetzt?“, fragte Liviu, als er die Lebenszeichen der Jäger prüfte. Sie waren wirklich tot. Allesamt. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. „Weiß nicht. Dachten wahrscheinlich, wir sind alle verreckt und sind wieder abgehauen. Wer weiß.“ Liviu seufzte. „Du hast Recht, sie sind tot. Das einzige, was ich noch tun kann ist eure Wunden zu heilen… Ich bin allerdings kein ausgebildeter Heiler, ihr müsstet später noch mal zu einem der richtigen Heiler…“ Allistor winkte ab. „Eine behelfsmäßige Heilung ist in Ordnung.“ „Gut.“ Liviu erhob sich noch selbst etwas benommen und ging zu Allistor, dessen Arm er sogleich begutachtete. Jetzt galt es zu retten, was noch zu retten war. Jemand hatte Allistors robusten Armschutz regelrecht durchgeschnitten, wahrscheinlich mit einem Messer oder Schwert und die Sehne durchtrennt. Es musste also ein sehr starker Jemand gewesen sein. Ein Wunder, dass Allistors Arm an seinem Platz war. Das Blut floss bereits in Strömen aus der Wunde. Liviu griff mit einigen anfänglichen Schwierigkeiten auf einen kleinen Teil seiner wenigen hellen Energie zurück. Die dunkle Energie, die er zum kämpfen verwendete war zum Heilen ungeeignet. Und es war schon ewig her, dass er das geheilt hatte. Er konnte nur hoffen, dass das gut ging. Liviu wollte gerade seine Hand auf die Wunde legen, da bemerkte er einen Widerstand. Der Schild, de die Beschwörer den Jägern angelegt hatten. Dank Lukas’ Siegel konnte er den Schild durchdringen und heilende Magie durch Allistors Körper fließen lassen, doch trotzdem stellte sich die Frage, wie die Elfen dies geschafft hatten. Ein normaler Schild hielt selbst starken physischen Angriffen stand, auch wenn dies dem Angegriffenen etwas Energie entzog. War der Angriff zu stark, fiel der Schild in sich zusammen. Aber so etwas… Wie hatten es die Dunkelelfen schaffen können, den Schild zu durchdringen, aber nicht zu zerbrechen? Liviu ließ den Kampf im Wald Revue passieren; soweit er sich erinnern konnte, hatte keiner der Jäger trotz des Kampfes irgendeinen Schaden davon getragen. Also waren nicht alle Dunkelelfen in der Lage, den Schild zu umgehen. „Hm…“, machte Liviu und ließ von Allistor ab. „Kannst du den Arm bewegen?“ Allistor bewegte seinen Arm probeweise und verzog das Gesicht. „Es zieht ein bisschen, aber es wird gehen.“ „Äh. Ja…“ Liviu hatte den Arm wohl doch nicht so perfekt geheilt wie er wollte. Aber es schien passabel zu sein. Er wandte sich dem anderen Jäger zu, der einige Meter von ihnen entfernt an einem Baum lehnte. Just in diesem Moment sah Liviu einen Schatten aus dem Gebüsch schnellen. Er konnte erst gar nicht erfassen, was überhaupt passiert war, das einzige, was er jetzt noch sah war, dass dem Jäger eine blutige Klinge aus der Brust ragte. Der Angreifer zog die Klinge wieder aus dem Brustkorb des Jägers, woraufhin dieser in sich zusammen sackte. Ohne zu zögern stürzten Liviu und Allistor auf den Verwundeten zu. Kaum angekommen, ging Allistor auf die Knie, um ihn auf den Rücken zu drehen, Liviu suchte verzweifelt nach seiner hellen Energie. Keine leichte Aufgabe für einen Schwarzmagier. Dann ließ er sich neben Allistor nieder und legte seine Hände auf die blutige Brust des anderen. Doch… „Es ist zu spät, nicht?“, fragte Allistor resigniert. „Ich befürchte es…“, murmelte Liviu und nahm seine blutbeschmierten Hände von dem toten Körper. Es bereitete ihm Sorgen, dass diesmal offensichtlich wieder das Schild irgendwie umgangen worden war. Es war einfach unklar. Er blickte sich um, vielleicht war noch jemand hier, der nicht hier sein sollte. Der Magier ließ seinen Blick durch den dichteren Wald vor sich schweifen. Und plötzlich erblickte er sie. Eine Dunkelelfe, die sie zu beobachten schien. „Da ist sie!“, rief er, sprang auf und sprintete in den Wald hinein. „Halt! Warte…!“, rief ihm Allistor hinterher, doch Liviu ignorierte ihn. Diese Elfe war gefährlich und er würde sie erledigen. Er sprang über eine Wurzel und sah, wie die Elfe sich herumdrehte und ebenfalls losrannte. Sie war schnell, das musste man ihr lassen. Doch Liviu ließ sich nicht abwimmeln. Er verfolgte sie eine ganze Weile, er glaubte ihr näher zu kommen. Doch dann wich sie plötzlich von ihrer sonst eher geraden Strecke durch den Wald ab und verschwand hinter einem Baum. Als Liviu jedoch ebenfalls abbog war sie verschwunden. „Verdammt!“ Er rannte weiter und sah sich um, in der Hoffnung sie noch irgendwo zwischen den hohen Bäumen zu erspähen. Doch da war nichts. Absolut nichts. Plötzlich raschelte es hinter ihm. Liviu blieb abrupt stehen und drehte sich ruckartig um. Und da stand sie. Keine zwei Meter von ihm entfernt. Eine große Frau mit gräulich weißer Haut und langen schwarzen Haaren, die zu einem Zopf gebunden waren. Ihr Gesicht schien ausdruckslos, doch ihre schwarzen Augen blitzten gefährlich auf. Es war die Dunkelelfe. „Hallo“, sagte sie mit starkem Akzent. „Ich bin Bian. Und ich habe auf dich gewartet.“ „Was?“, fragte Liviu und begann wieder, sich auf einen Angriff vorzubereiten. „Ich wollte, dass du kommst. Weil ich wusste, dass du verstehst.“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Liviu reagierte sofort und schleuderte ihr einen machtvollen Angriff entgegen. Sie kümmerte sich gar nicht darum und schlenderte weiter auf Liviu zu. Der Krieger beobachtete mit großen Augen, wie der Schlag an einer unsichtbaren Wand abprallte. Ein magischer Schild, keine Frage. „Glaubt ihr Menschen denn wirklich, dass ihr die einzigen magisch begabten Geschöpfe seid?“ Liviu schluckte. Der Schild erschwerte die Sache maßgeblich. Zwar wusste er, wie man einen Schild brechen konnte, aber dazu musste er zum Nahkampf übergehen. Was ihm nun bei einer Magierin, die Schilde umgehen konnte nun wirklich keinen Vorteil einbrachte. Aber er hatte keine andere Wahl. Liviu zückte sein Messer, doch sein Gegenüber tat es ihm gleich und holte die blutbefleckte Klinge hervor. Vorsichtig machte Liviu einen Schritt nach rechts. Sie fast zeitgleich einen nach links. Ein weiterer Schritt nach rechts, während er einen Teil seiner Energie in der Klinge seines Jagdmessers konzentrierte. Die Elfe machte einen weiteren Schritt nach links. Liviu blieb stehen und holte Luft. Wartete einen Augenblick. Und stürmte dann auf die Dunkelelfe zu. Er holte mit seinem Messer aus und schlug zu. Doch die Elfe blockte seinen Frontalangriff ab und wich nach hinten, allerdings nur um Schwung zu nehmen und ihrerseits einen Angriff zu statten. Mit zwei Sätzen war sie bei ihm, hatte ausgeholt und stach zu. Liviu versuchte gar nicht erst den Schlag abzublocken, sondern duckte sich nur schnell weg. Die Elfe schlug ins Leere. Das war seine Chance. Er schnellte hinauf und versetzte dem Schild der Elfe einen heftigen Schlag mit seinem magisch verstärkten Messer. Sie schwankte zurück. Liviu legte mit zwei magischen Angriffen nach, die sie allerdings wieder abwehrte. Doch das war sowieso nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. Während sie einen weiteren magischen Schlag abwerte, hieb er mit seinem Messer erneut auf den Schild ein. Besagter Schild flackerte auf, ein Zeichen dafür, dass er nicht mehr lange halten würde. Liviu erlaubte sich ein siegessicheres Grinsen. Er wollte mit seinem Messer nachsetzten, doch diesmal war die Elfe schneller und schlug ihm blitzschnell die Waffe aus der Hand. Das kam unerwartet. Diesen kurzen Moment der Verwirrung nutze die Elfe nun ihrerseits aus und schickte Liviu einen starken Angriff entgegen. Liviu schnappte nach Luft, als der Angriff gegen seinen Schild, der glücklicherweise standhielt, prallte. Die Wucht war so groß, dass er nach hinten stolperte und fiel. Er wollte sich aufraffen, doch die Elfe war schneller und sprang regelrecht auf ihn. Ihr Messer hielt sie gefährlich nah an Livius Hals. „Siehst du dieses Messer?“, fragte sie. „Es ist mit Runen versehen, damit es jedes Schild durchdringen kann. Siehst du?“ Das kalte Metall schabte an Livius Hals entlang. Er spürte, wie Blut aus der Wunde an seinem Hals quoll. Kalter Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn. „Was willst du?“, fragte er. Sie lächelte ihn an und entblößte dabei eine Reihe spitzer, weißer Zähne. „Ich will, dass du eine Warnung überbringst“, antwortete sie. „Eine Warnung?“ „Genau…“, hauchte sie und hob das Messer. „Sag ihnen, dass wenn sie weiter machen, ihnen dasselbe passiert wie dir.“ „Wie mir?“, fragte Liviu. Doch anstatt einer Antwort ließ die Elfe nur ihr Messer auf Liviu niedersausen. Liviu schrie auf, bis er merkte, wie um ihn herum langsam alles schwarz wurde. Kapitel 3: III -------------- Benommen schlug Liviu die Augen auf. Wo war er? Was war passiert? Das letzte woran er sich erinnern konnte war, dass er nachts dieser Dunkelelfe begegnet war. „Ah, er ist aufgewacht!“, hörte er jemanden sagen. „Er ist wach? Liviu ist wach? Lasst mich zu ihm, ich muss zu ihm!“, forderte ein eine Frauenstimme. Eine Frauenstimme, die ganz offensichtlich zu Natalia gehörte. Trotz seiner Lage konnte sich Liviu ein Lächeln nicht verkneifen. Es war süß, wie sich Natalia Sorgen um ihn machte. Außerdem bedeutete ihre Anwesenheit, dass er zumindest noch nicht tot war. Immerhin. Er bemerkte, wie sich zwei ihm wohlbekannte Gesichter über ihn beugten. „Wie geht es dir?“, fragte Gwendolyn, die Heilerin. „Ganz gut…“, murmelte Liviu. „Ich bin allerdings ein bisschen verwirrt… Was ist passiert?“ Er richtete sich langsam auf und Schmerz durchzuckte seine Brust. Er keuchte und schlug seine Hand instinktiv an seinen Brustkorb. „Man hat dich nachts fast verblutet im Wald gefunden“, erklärte Natalia und sah ihn mit ernstem Gesichtsausdruck an. Sie sah müde aus. Ihre Augen waren aufgequollen, wie als hätte sie geweint. Doch nicht etwa wegen ihm… „Hast du etwa gewei-“ „Natürlich nicht!“, knurrte Natalia. „Was glaubst du denn…“ Gwendolyn räusperte sich. „Wie Lady Braginsky es bereits sagte, man hat dich nachts blutend im Wald gefunden. Um genau zu sein, hat Allistor dich gefunden. Du hattest eine sehr tiefe Wunde über dem Herzen. Du hast zwei Tage hier gelegen. Ich habe zwar immer versucht, dir heilende Energie einzuflößen, aber trotzdem wusste ich nicht, nein, wussten wir nicht, ob du es schaffst…“ „Oh…“, machte Liviu. Daher kamen also die Schmerzen in seiner Brust. „Oh? Ist das das einzige, was dir dazu einfällt? Ganz zu schweigen davon, dass du mir nicht einmal davon erzählt hast, dass du an dieser Mission teilnimmst?!“, echauffierte sich Natalia. „Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst…“, meinte Liviu entschuldigend. „So habe ich mir aber erst recht Sorgen gemacht, du Idiot!“ „Ja, ja…“ Liviu lächelte müde und zwinkerte Natalia zu. „Wollen wir das nicht woanders besprechen?“ Natalia nickte. „Ich hole nur schnell deine Sachen. Sie hat mir bereits gezeigt, wo sie sind.“ Sie machte eine kurze Kopfbewegung in Richtung Gwendolyn und marschierte dann aus dem Zelt. Liviu sah sich um. Zweifelsohne war dies das Krankenlager. Das Zelt war voll gestellt mit Pritschen, Privatgegenstände waren aber nirgends zu sehen. Niemand anderes war hier, außer ihm und Gwendolyn. „Wo sind die anderen?“ „Die anderen? Liviu, es ist bereits nach Mitternacht. Sie sind alle im Wald unterwegs.“ „Ach… ach so.“ „Wie dem auch sei. Die Wunde in deiner Brust war sehr tief. Auch jetzt, nach der Heilung, ist eine Narbe zurückgeblieben. Auch wenn du nun gehst und dich schonst, kann es passieren, dass sie noch schmerzt. Wenn das passiert, suche einfach einen der Heiler auf.“ Liviu nickte und betrachtete die Narbe auf seiner Brust. Sie war noch rot und erinnerte von ihrer Form her an ein Siegel. Ein Siegel, welches Liviu nicht kannte. Wer weiß, was das zu bedeuten hatte. Als er jedoch seine Narbe betrachtete, kamen ihm gleich wieder die Worte in den Sinn, die er von der Dunkelelfe aus hatte überbringen sollen. „Weißt du, was die Elfe gesagt hat, bevor sie… das mit mir gemacht hat? Sie sagte, dass ich euch warnen sollte. Dass, wenn ihr die Dunkelelfen weiter belästigt, euch dasselbe passieren wird wie mir.“ „Was?“, fragte Gwendolyn ungläubig. Anscheinend konnte sie sich selbst auch keinen wirklichen Reim darauf machen. „Bitte, informier die anderen darüber, Jäger sowie Magier.“ „Natürlich…! Aber was hat-“ Weiter nachfragen konnte Gwendolyn nicht mehr, da Natalia gerade eben mit einem Bündel Sachen auf dem Arm zu ihnen herein gerauscht kam. Hektisch warf sie Liviu die Sachen auf sein Bett. „Können wir nun gehen?“ Bei Natalia angekommen, begaben sich die Beiden sofort in das geräumige Wohnzimmer. Liviu besetzte einen der großen Sessel, Natalia nahm mit ihrem Sofa vorlieb. Lange Zeit schwiegen sie. Liviu wartete eigentlich darauf, dass Natalia etwas sagte, er selbst war zu müde, zu verwirrt, um nun noch einen klaren Gedanken zu fassen. Seitdem er diese Siegel-Narbe gesehen hatte, drehten sich seine Gedanken sowieso nur noch um diese. „Ich habe Ivan kontaktiert“, sagte Natalia und brach so das Schweigen. Sie sah Liviu aus ihren müden, blauen Augen an. „Du hast was?!“, platzte es aus Liviu heraus. „Warum hast du… Warum?“ „Weil ich bis vor zwei Stunden noch dachte, dass du stirbst“, erwiderte sie mit einem bitteren Unterton in ihrer Stimme. „Ja, aber das… Aber.. Das hättest du nicht tun sollen! Wenn du ihn jetzt von der Front wegholst… Was sollen sie denn da denken? Willst du, das unsere Beziehung auffliegt?“ Livius Puls raste. So aufgeregt war er nicht mal im Wald gewesen, als er gegen diese Elfen gekämpft hatte. „Man darf nur in äußersten Ausnahmen die Front verlassen oder, wenn man ein paar Tage Urlaub gestattet bekommt. Was soll Ivan sagen? Also, ich liebe eigentlich Männer und meine Schwester und mein Freund liegt am sterben, deshalb lasst mich gehen? Oh Gott, was ist, wenn das auffliegt…“ Ein unangenehmes Gefühl der Angst machte sich in Livius Brustkorb breit. „Seit wann interessiert es dich eigentlich, ob wir auffliegen? Ich dachte, du nimmst das immer so locker?“, erwiderte Natalia eiskalt. „Nein, natürlich nicht, ich nehme das genauso ernst wie du und er, verdammt!“, meinte Liviu. Das unangenehme Gefühl verstärkte sich. Nichtsdestotrotz hatte sie recht. Warum regte er sich eigentlich so auf? Er hatte noch nie wirklich Angst um sie gehabt, warum jetzt? „Ich habe ihnen natürlich nicht erzählt, was mit dir ist, ich habe etwas anderes erfunden.“ Natalia seufzte. „Beruhigt dich das?“ Langsam ging Livius Puls wieder auf sein Normalmaß zurück und seine Angst ließ ein wenig nach. „Tut mir leid…“, murmelte er. „Tut mir leid, dass ich so überreagiert habe… Ich bin vielleicht etwas müde.“ „Ist schon gut.“ Natalia lächelte leicht und erhob sich. Sie ging hinüber zu Liviu und nahm sein Gesicht in ihre Hände. „Es ist alles in Ordnung. Solange du noch lebst ist alles in Ordnung. In den letzten Tagen ist viel passiert, du bist nur etwas müde.“ „Danke“, sagte Liviu und setzte ein müdes Lächeln auf. Es gab keinen Grund, sich so aufzuregen. Er war wohl wirklich nur ein bisschen geschafft. Natalia beugte sich zu ihm herunter und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Ich bereite das Bett vor. Du weißt ja, wo das Bad ist, nicht?“ Liviu nickte und Natalia nahm seine Hände. „Dann komm.“ Sie zog ihn aus dem Sessel hoch und hinaus aus dem Zimmer. Sie küsste ihn abermals, diesmal auf die Lippen, bevor sie den dunklen Flur hinunter in ihr Schlafzimmer verschwand. Wahrscheinlich würde sie auch gleich das Bad daneben belegen. Liviu ging indes in eines der weiteren Bäder der Villa. Kaum hatte er das Bad gefunden, trat er ein und schloss die Tür hinter sich ab. Langsam ließ er sich auf den Rand der Badewanne sinken. Die Gedanken fuhren in seinem Kopf geradezu Karussell, immer, wenn er eine Weile über das eine nachdachte, so kam ihm plötzlich ein ganz anderer Gedanke, den er weiterverfolgen musste. Nur, dass ihm in diesem Falle nur zwei Fragen durch den Kopf gingen; die Frage, was die Elfe mit ihren Worten gemeint haben könnte und die Frage, was ihn geritten hatte, als er Natalia so angefahren hatte. Letzteres war ohnehin äußerst eigenartig. Beide waren höchst ungewöhnliche Fragen, ein weiterer Zusammenhang ließ sich allerdings nicht erkennen. Liviu stützte den Kopf in die Hände und seufzte resignierend. Es hatte keinen Sinn mehr, zu so einer späten Stunde noch über solche Fragen nachzudenken. Er merkte ja bereits selbst, dass er nicht mehr die Konzentration aufbringen konnte, wenigstens einen Gedanken zu Ende zu führen. In dieser Hinsicht war es aussichtslos. Liviu verharrte noch ein wenig in dieser Position und versuchte wenigstens einen klaren Gedanken zu fassen, bis er für sich entschied, dass es keinen Sinn hatte. Er gab sich einen Ruck und erhob sich von der Badewanne. Vorsichtig zog er sich sein Hemd über den Kopf, er wollte nicht, dass seine erst verheilte Wunde wieder begann zu schmerzen. Nachlässig schmiss er sein Oberteil auf den Boden und besah sich seine Narbe. „Oh Gott. Was zur Hölle…“ Die Narbe sah anders aus. Sehr anders. Wo vor ein paar Stunden nur ein paar rote Striche zu erkennen gewesen waren, zierten nun pechschwarze Striemen Livius Haut. Zuerst konnte er seinen Augen nicht trauen, fuhr selbst noch einmal mit dem Finger über die geschwärzte Narbe. Das war keine Einbildung. Die Schwärze war echt. Allerdings glich sie keiner Entzündung oder Infektion, die Liviu je schon einmal gesehen hatte. Wobei es bei von Magiern geheilten Wunden ohnehin fast nie zu Folgebeschwerden kam. Also was war das? Liviu beschloss, gleich am nächsten Tag einen Heiler aufzusuchen. Wer weiß, wer da an ihm herumgepfuscht hatte. Mit klopfendem Herzen wusch sich Liviu schnell und warf sich sein Hemd wieder über, um dieses Gebilde von einer Narbe nicht mehr sehen zu müssen. Nun konnte er nur hoffen, dass Natalia dieses Ding nicht sah. Am nächsten Morgen machte sich Liviu in aller Frühe auf zur Magiergilde, um einen Heiler aufzusuchen. Er wollte gerade zu Tür hinaustreten, da spürte er, wie jemand eine Hand auf seine Schulter legte. „Wo gehst du hin?“, fragte Natalia noch etwas verschlafen. „Ich schaue nur mal kurz in der Magiergilde vorbei. Arthur besuchen“, erwiderte Liviu. Er wollte Natalia nicht erzählen, dass er zu einem Heiler ging. Er konnte nicht. Sie würde sich nur wieder Sorgen machen. Sorgen um etwas, was eigentlich gar nicht so schlimm war. Jedenfalls hoffte Liviu, dass es nicht schlimm war. „Ach so… Viel Spaß“, meinte Natalia zur Antwort und lächelte dünn. „Äh, ja, wird’ ich haben…“, murmelte Liviu und gab Natalia einen flüchtigen Abschiedskuss. „Bis dann…“ Und mit diesen Worten wandte er sich ab und machte sich auf den Weg zu den vertrauten Gebäuden der Gilde. Im Gilden-Komplex angekommen, machte sich Liviu schnurstracks auf den Weg, zu den Heiler-Quartieren. Schnellen Schrittes rauschte er durch die Tür des Gebäudes und fand sich sofort in einem, ihm durchaus vertrauten, Vorraum des Krankenlagers wieder. Einige weitere Heiler sowie andere Magier standen noch im Raum und unterhielten sich. Etwas hilflos hielt Liviu nach einem Heiler Ausschau, den er fragen könnte, jedoch konnte er auf die Schnelle keinen ausfindig machen. Verdammte Wartezeiten. Er wollte sich gerade auf einen der bereit stehenden Stühle setzen, da sah er, wie ein neuer Heiler den Raum betrat und zielsicher auf ihn zukam. Ein leichtes Grinsen erschien auf Livius Gesicht. Vielleicht würde das hier ja doch nicht so lange dauern. „Sie wünschen?“, fragte der Heiler routiniert. „Ich komme von den Einsätzen im Schwarzen Wald. Ich wurde verwundet und mir wurde gesagt, bei Beschwerden solle ich mich an sie wenden. Deshalb bin ich hier.“ „In Ordnung.“ Der Heiler nickte wissend. „Bitte folgen sie mir.“ Der Heiler geleitete Liviu in einen Nebenraum, das Behandlungszimmer. Der Heiler bedeutete Liviu sich zu setzen, während er selbst auf einem gegenüberliegenden Stuhl Platz nahm. „Um was für eine Art der Verwundung handelt es sich?“, kam die professionelle Frage. Liviu räusperte sich kurz, bevor er antwortete: „Wahrscheinlich eine Stichwunde. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob es eine so einfache Wunde ist, denn die Narbe hat sich… wie soll ich sagen… verfärbt. Ich denke, es könnte sich da vermutlich um einen Fluch handeln… Ich bin mir aber nicht sicher.“ „Ein Fluch?“, echote der Magier. Liviu nickte und hob seine Robe ein Stück, sodass der Heiler einen Blick auf die geschwärzte Narbe erhaschen konnte. Er runzelte die Stirn. „Ich sehe, was sie meinen… Lassen sie mich das überprüfen…“ Liviu nickte und beobachtete, wie der Magier mit seiner Hand ein paar Mal über die Narbe fuhr. Er merkte, wie ihm warm wurde, wie Energie begann, wieder durch seinen Körper zu fließen. Zudem glaubte Liviu, ein leichtes Ziehen in seiner Brust zu spüren. Nach einigen Minuten der Untersuchung aber, lehnte sich der Heiler zurück und sah Liviu ernst an. „Um ehrlich zu sein, habe ich soetwas noch nie gesehen… Doch es scheint nicht bösartig oder gefährlich zu sein. Soetwas hätte ich gespürt.“ „Ist es ein Fluch?“ „Nein, es ist keine dunkle Magie vorhanden“, sagte der Heiler und schüttelte den Kopf. „Das kann unmöglich ein Fluch sein.“ „Liviu! Liviu, wach auf! Liviu!“ Liviu riss die Augen auf. Am Rande seines Bettes saß eine besorgt aussehende Natalia und rüttelte an seinen Schultern. Livius Atem ging flach, seine Hände umklammerten das Bettlaken. Ein dumpfer Schmerz machte sich in seinem Brustkorb breit. Er hatte einen Albtraum gehabt. Schon wieder. „Oh, bloß gut, du bist wach… Hattest du schon wieder einen Albtraum?“ „Ja… Aber es geht schon wieder…“, murrte Liviu noch im Halbschlaf während er sich aufrichtete. Wieder spürte er ein Stechen in seiner Brust und stöhnte. „Sicher?“, fragte Natalia noch einmal nach. „Ja, ja…“, meinte Liviu nur und zwang sich zu einem Lächeln. „Na gut“, sagte sie skeptisch und erhob sich von ihrem Platz am Bettrand. Dann verließ sie ungewohnt still das Zimmer. Liviu war wieder allein. „Verdammter Mist…“, murmelte er und fuhr sich mit einer Hand durch seine verwuschelten Haare. Seit fünf Tagen war er nun bereits hier und jede Nacht hatte er Albträume. Albträume, in denen seine Erlebnisse aus dem Wald Revue passierten oder Vorstellungen, in denen er, Natalia und Ivan für ihre Beziehung exekutiert oder verbannt wurden. Schloss er seine Augen auch nur für einen kurzen Moment hatte er gleich wieder diese Schreckensbilder vor sich. Es war nicht zum Aushalten. Auch seine Narbe machte ihm von Tag zu Tag mehr Probleme. Obwohl kein Heiler irgendetwas an dem schwarzen Mal hatte feststellen können, glaubte Liviu, dass es begann immer mehr zu schmerzen, je mehr Albträume er hatte. Und immer und immer wieder hatte er diese Angstzustände, wie an dem Abend, an dem er Natalia grundlos beschimpft hatte. Sie kamen plötzlich, teilweise ohne ersichtlichen Grund. Manchmal ertappte er sich dabei, Angst zu haben, die Augen zu schließen, aufgrund der Bilder, die er dann sehen würde. Und es war nicht einfach nur ein kleiner Schreck. Jedesmal begann sein Herz wie wild zu klopfen und seine Hände wurden kalt. Plötzlich, ohne Grund. Zweifelsohne hing dies mit den Erlebnissen im Wald zusammen. Allerdings hatte Liviu als Kämpfer bereits weit schrecklichere Dinge gesehen. Ab und an zog er die Narbe als Ursache in Betracht, doch seiner Meinung nach konnte es keinen Zusammenhang geben. Ein Fluch hätte erkannt werden müssen, das war eine gewöhnliche Narbe. Nichtsdestotrotz beschloss er noch einmal nach dem Ding auf seiner Brust zu sehen, da Natalia den Raum verlassen hatte. Er fragte sich, wie lange er das wohl noch vor ihr geheim halten konnte. Liviu zog sein Oberteil hoch und starrte auf das Mal. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Dieses Ding schien irgendwie größer geworden zu sein. Es war größer geworden. Die Schwärze war nun auch auf die anfangs gesunde Haut übergegangen und hatte sich dort festgesetzt. Liviu spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, als er auf das Gebilde auf seiner Brust blickte. Er versuchte sich von dem Anblick loszueisen und zog sein Oberteil rasch wieder über. Er atmete tief ein und wieder aus. Vielleicht war es nur Einbildung gewesen. Vielleicht hatte die Narbe von vorn herein schon so ausgesehen. Vielleicht hatten ihm seine Augen auch nur einen Streich gespielt. Liviu zwang sich, ruhig zu atmen und aufzustehen. Das war nur ein Hirngespinst gewesen. Jedenfalls hoffte er das. Wie in Trance ging Liviu ins Bad, um sich zu waschen und sich seine Magierkluft überzuwerfen. Der Gedanke, dass das, was er gesehen hatte eben kein Hirngespinst gewesen war, ließ ihn dabei nicht los. Als er angekleidet das Bad wieder verließ kam ihm sogleich Natalia entgegen. Sie trug ein langes graues Kleid, welches ebenfalls mit Mustern verziert war, mit einem weißen Latz. Liviu versuchte zu lächeln. „Ivan kommt heute“, teilte sie Liviu ganz unvermittelt mit. „Um genau zu sein, dann gleich.“ Oh, äh, ach so…“ „Es gab eine Verzögerung, deshalb kommt er erst heute. Wir sollten zusammen zum Stadttor gehen, da ist er wahrscheinlich dann schon“, schlug sie vor. Liviu zuckte die Schultern. Ein bisschen Ablenkung konnte ihm ja nicht schaden. Wenn man ihn allerdings zusammen mit Ivan und Natalia sah… „Nun komm schon mit!“, befahl Natalia und zerrte Liviu regelrecht den Flur entlang. „Du kannst ja nicht wieder den ganzen Tag hier versauern…“ „Hm…“, machte Liviu nur. Er sollte endlich aufhören sich über solche Dinge Gedanken machen. Seit wann machte er sich überhaupt solche Sorgen? Das war doch unklar. Letztendlich gab sich Liviu einen Ruck und folgte Natalia hinaus aus ihrer Residenz in die Stadt. Den größten Teil ihres Weges verbrachten Liviu und Natalia schweigend. Liviu war zu aufgeregt, um nun irgendein sinnvolles Gespräch anzufangen und Natalia schien schlichtweg einfach nicht zu wissen, über was sie mit ihrem verwirrten Freund reden sollte. Man konnte es ihr ja auch nicht verübeln. Liviu war in den letzten Tagen sehr still und nachdenklich geworden, er wirkte immer als stünde er unter Stress. Er war nicht mehr der sorglose, frohe Mann, den sie alle kannten, er hatte sich verändert. Und Natalia wusste nicht wirklich damit umzugehen. Liviu wusste ja nicht einmal mehr selbst, wie er damit umzugehen hatte. Liviu seufzte, etwas, was er nun häufiger zu tun pflegte. Gleich würden sie das Stadttor erreicht haben. Er merkte, wie Natalia ihre Schritte beschleunigte und ihn unauffällig am Handgelenk berührte. „Was ist?“ „Siehst du Ivan? Ich glaube da hinten steht er…“ Sie hob ihre Hand und begann zu winken. „Ivan!“ Liviu späte in die Richtung, in die Natalia gezeigt hatte. In der Tat konnte Liviu eine große Gestalt in der ferne erspähen, die sich ein paar Schritte später tatsächlich als Ivan herausstellte. Ivan selbst bemerkte sie nicht und unterhielt weiter mit einer der Stadtwachen. Als Natalia seinen Namen rief wandte er sich um und Liviu meinte, selbst aus dieser Entfernung ein Lächeln auf seinem Gesicht erkennen zu können. Er verabschiedete sich von seinem Gesprächspartner und kam nun ebenfalls auf sie zu. Liviu merkte, wie sein Mund trocken wurde. Seine Hände waren kalt und zitterten. Das Ziehen in seiner Brust verstärkte sich. Das, was er empfand war keine Wiedersehensfreude. Das einzige, was er empfand war Angst, die Angst entdeckt zu werden. Ivan war nun schon fast bei ihnen. Kaum war er angekommen begrüßte er Natalia mit einem Handkuss. „Guten Tag, Mylady.“ Natalia sah ihn sichtlich erfreut an und Ivan lächelte zurück. Dann wandte sich Ivan zu Liviu und umarmte ihn. „Liviu…“, murmelte er. „Mir wurde zwar schon erzählt, dass du noch lebst… Aber hattest du mir nicht versprochen, dass du auf dich aufpassen würdest?“ „Ah, ja, was?“ Liviu schlug das Herz fast bis zum Halse. Was wenn sie jemand sah? „Ja, ich weiß was ich gesagt habe, aber manchmal lässt sich das eben nicht vermeiden…“ Er schob Ivan unsanft von sich weg, was ihm einen verwirrten Blick von Ivan und einen verärgerten von Natalia einfing. Er beschloss beide einfach zu ignorieren. „Nun, da wir wieder alle vereint sind… Wollen wir nicht einfach wieder gehen?“, fragte Liviu hoffnungsvoll. Verwirrt sah Ivan zu Natalia, offenkundig überrascht vom Verhalten seines Partners. Natalia bemerkte Ivans verwirrten Blick an, nicht, sie war viel zu beschäftigt damit, Liviu mit strafendem Blick zu taxieren. Doch Liviu hielt ihrem Blick stand und sie gab mit einem genervten Seufzen nach. „Komm Ivan, lass und gehen…“ Rastlos lief Liviu vor dem Feuer in Natalias Wohnzimmer auf und ab. Nun wohl schon bereits seit einer guten halben Stunde. Er war allein, genau wie er es wollte und dachte nach. Doch wieder ließen ihm seine anderen Überlegungen keine Ruhe und erlaubten es ihm nicht zu einem Schluss zu kommen. Seit dem heutigen Morgen, seitdem er Ivan wieder gesehen und sich wie der größte Idiot von allen verhalten hatte, waren seine Gedanken ohnehin nur noch von der Frage, was mit ihm los sei dominiert. Vielleicht wurde er langsam aber sicher verrückt. Aber vielleicht sollte er doch die Narbe in Erwägung ziehen. Die schwarze Narbe, die sich weiter durch seine Haut fraß. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Das Ding sah wirklich nicht gerade gesund aus. Aber keiner der Heiler hatte etwas dazu gesagt. Kein Fluch, nichts. Vielleicht war dieses vermeintliche Vergrößern der Narbe doch nur eine Einbildung gewesen, aufgrund von Schlafmangel und Angst? Wer wusste das schon? Es schien ihm ja niemand etwas zu der Narbe sagen zu können. Plötzlich ertönte ein Klopfen an der Tür, welches Liviu aus seinen Gedanken riss. Er blieb stehen, antwortete aber nicht. Vielleicht war es nur eines von Natalias Hausmädchen. Die konnte dann auch noch einmal später wiederkommen. Die Tür flog auf. Vor besagter Tür stand allerdings kein Hausmädchen, sondern die Herrin des Hauses höchst persönlich, die nun mit zornigem Blick in das Zimmer stapfte. Die Tür knallte sie hinter sich zu und fixierte Liviu mit giftigem Blick. Natalia baute sich regelrecht vor ihm auf und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Liviu“, begann sie, nicht aufhörend in mit stechendem Blick zu taxieren. „Jetzt ist Schluss mit den Spielchen. Du sagst mir jetzt sofort, was mit dir los ist. Ivan fragt mich die ganze Zeit, ich kann ihm keine Antwort geben. Ganz nebenbei bemerkt halte ich deine Laune auch nicht mehr lange aus. Ich mache mir Sorgen. Ivan macht sich Sorgen. Sag mir jetzt sofort, was los ist.“ „Es ist nichts…“, murrte Liviu und fuhr fort, vor dem Feuer auf und ab zu gehen. „Alles in Ordnung.“ Natalia packte seinen Mantel. „Nichts ist in Ordnung! Hörst du dir eigentlich manchmal selber zu? Sag mir, was los ist!“ „Nein! Wenn etwas wäre, würde ich es doch sagen!“ „Würdest du nicht! Du sagst schon seit Tagen gar nichts mehr! Und ich bin es leid!“, keifte Natalia. „Du benimmst dich so, seit… seit diesem Unfall im Wald! Hätte ich das gewusst, hätte ich…“ Natalia brach ab, ihr fehlten offensichtlich selbst die Worte. Liviu ging nicht auf ihren Ausbruch ein und schwieg ebenfalls. „Sag mal. Wie geht es eigentlich deiner Narbe?“, fragte Natalia nach einer kurzen Pause mit mühsam beherrschter Stimme. „Geht dich nichts an…“, rutschte es Liviu wie einem bockigen Kleinkind heraus. Das brachte das Fass zum überlaufen. „Es geht mich nicht an? Es geht mich nichts an?! Du wärst fast gestorben, natürlich geht es mich etwas an! Seit dem du im Wald verwundet wurdest, verhältst du sich so seltsamen! Also nun zeig schon her!“ Natalia riss Livius Mantel regelrecht beiseite und machte sich daran, an seinem Hemd herumzunesteln. „Hör auf…“, knurrte Liviu und schlug Natalias Hand beiseite. „Nein!“, schrie Natalia nun schon fast und versuchte weiter einen Blick auf die vermeintlich verheilte Wunde zu erhaschen. „Aufhören“, zischte Liviu gefährlich leise und nahm Natalias Handgelenke in seine Hände. „Hör auf, Liviu, das tut weh…“ „Dann hör du auf mich zu belästigen“, knurrte Liviu und übte noch mehr Druck auf Natalias schlanke Handgelenke aus. Er wusste im Moment selbst nicht mehr, was er tat, er tat und sagte nur, was ihm als erstes einfiel, er war wie in Trance. „Belästigen? Was fällt dir ein, ich mache mir nur Sorgen!“, flüsterte Natalia schmerzerfüllt. „Dann hör auf damit.“ Liviu begann langsam eines von Natalias Handgelenken zu verdrehen. Ein unterdrückter Schmerzenslaut entfuhr Natalia. „Was… was machst du da?“ Liviu antwortete nicht, sondern fuhr fort, Natalias Hände in eine unnatürliche Stellung zu biegen. Natalia schrie auf. Lange würde sie das nicht mehr aushalten. „Hörst du dann endlich auf, nachzufragen?“ „Ja…“, brachte Natalia beherrscht heraus. Selbst in dieser Situation wollte sie sich keine Blöße geben. Einfach aufgeben. Flehen. Das würde sie nicht tun. „Gut“, antwortete Liviu, ließ die junge Frau aber weiterhin fest umklammert. Er wollte zu einem weiteren Befehl ansetzten, da flog die Tür erneut auf. Erschrocken wandte Liviu den Kopf. Ivan. An den hatte er ja gar nicht mehr gedacht. „Natalia, ist alles- Liviu, was machst du da?“ Mit drei langen Sätzen hatte Ivan das Zimmer durchquert und stieß Liviu von seiner Schwester weg. Liviu fauchte, ein geradezu animalischer Laut und wollte protestieren Doch Ivan war stärker. Liviu wurde zu Boden gestoßen. Rasch sprang Liviu wieder auf die Füße. Ivan packte ihn daraufhin an den Schultern und schüttelte ihn. „Was in Gottes Namen machst du da, Liviu? Liviu!“ Ein heftiger Schmerz durchzuckte Livius Brust und holte in aus seiner Trance. Es war, wie als würde er aus tiefem Wasser wieder auftauchen. Er nahm seine Umgebung viel klarer war und… Was war los? Was tat er hier? Oder viel wichtiger; was hatte er eben getan? „Ich… ich… ich weiß es nicht…“, stotterte Liviu zusammen. Er wusste selbst nicht, was mit ihm los war, geschweige denn, warum er das getan hatte. „Es… es tut mir leid, ich wollte nicht-“ „Geh“, unterbrach ihn der eiskalte Befehl Natalias. Langsam ließ Ivan ihn los. „Was?“, fragte Liviu verwirrt. „Du sollst gehen!“, fuhr Natalia ihn an. „Gehen sollst du, verstehst du? Abhauen! Verlasse auf der Stelle dieses Haus!“ „Aber, ich kann das erklären, hör zu Natascha-“ „Nenn mich nicht so! Geh einfach!“ Nun gehorchte Liviu und verschwand aus dem Zimmer. Dann rannte er geradezu die Treppen hinunter und verließ die Villa auf dem schnellsten Wege, stürmte hinaus in die kühle Nacht. Draußen angekommen verarbeitete er das Geschehene erst so richtig, alles spielte sich wie ein Film noch mal vor seinem inneren Auge ab. Er erinnerte sich, was er Natalia angetan hatte. An den Beweggrund. Und, dass es nun wohl keinen Zweifel mehr daran gab, dass etwas mit ihm absolut nicht stimmte. Kapitel 4: IV ------------- Nachdem Liviu für eine knappe Stunde ziellos durch die Straßen Elmenors geirrt war, entschied er sich, dass es eigentlich nur einen Platz gab, zu dem er gehen konnte. Nur eine Person, die ihm jetzt nur helfen konnte. Liviu sah sich kurz um, um sich neu zu orientieren und machte sich dann schnellen Schrittes auf zu der Gilde der Magier. Obgleich er sich beeilte, zur Gilde zu gelangen, ging ihm doch mehr Zeit verloren, als erwartet. So einfach war es nun doch nicht, im dunklen durch die nur spärlich beleuchteten Straßen Elmenors zu finden und dann auch noch das Stadttor zu erreichen. Nach einer ganzen Weile aber hatte es Liviu schließlich geschafft die Stadt und die Slums hinter sich zu lassen. Nun konnte er die Häuser der Gilde bereits in der Ferne erkennen. Er begann zu sprinten, die Angst saß ihm noch immer im Nacken. Allerdings war dies die Furcht vor dem, was er war und was er im Stande war zu tun. Ohne einen ersichtlichen Grund. Wenigstens lenkte ihn die Anstrengung vom Laufen teilweise ab. Etwas außer Atem erreichte Liviu die Gilde und verschaffte sich durch den magischen Schild Zugang. Er schlug sich durch den Garten, den die Novizen zusammen mit einigen Heilern angelegt hatten, lief an der Universität vorbei und erreichte schließlich sein Ziel. Die Quartiere der Magier. Um genau zu sein, das von Arthur. Liviu war egal, dass es nun bereits tiefste Nacht war, er begann einfach, sobald er den Eingang zu Arthurs Haus erreicht hatte, wie wild gegen die Tür zu hämmern. Dies war immerhin ein Notfall. Nach kurzer Zeit öffnete ein arg verschlafen aussehender Arthur die Tür. Er hatte sich anscheinend noch schnell seinen Mantel übergeworfen. Als er allerdings Liviu erblickte, weiteten sich seine Augen. „Liviu?“ „Ah, ja… Hallo?“ „Was zur Hölle machst du um diese Uhrzeit noch hier?! Und was fällt dir ein, mich so spät noch zu stören? Ich denke du bist bei deiner Natalia…!“ Die Bemerkung Arturs versetzte Liviu einige Gewissenbisse. Zu was hatte er sich da verdammt noch mal hinreißen lassen? Gut, aber deshalb war er ja hier. Um das zu klären. „Hör zu, Arthur, ich erkläre dir das später, aber kann ich nicht erst einmal herein kommen?“, fragte Liviu im Flüsterton. Arthur stöhnte zur Antwort genervt, ließ Liviu aber eintreten. Eine Stunde später saßen sie zusammen in Arthurs Wohnraum. Liviu hatte bereits alles erzählt, was es zu erzählen gab. Er wartete eigentlich nur auf einen Kommentar Arthurs, doch dieser überlegte schon seit geraumer Zeit, was er antworten sollte. Liviu hoffte, dass der andere Magier dann wenigstens einen guten Rat für ihn hatte. „Also, diese Narbe von der du erzählt hast. Darf ich sie sehen?“ „Nein!“, fauchte Liviu und Arthur schenkte ihm einen skeptischen Blick. Liviu biss sich auf die Lippe. Das war schon wieder so eine vorschnelle Bemerkung gewesen. Er holte tief Luft und sagte: „Na… na gut.“ Arthur ging ein paar Schritte auf Liviu zu, während dieser mit zitternden Händen seinen Mantel beiseite nahm und sein Hemd hochzog. Der Anblick der Narbe verschreckte sowohl Arthur als auch Liviu. Sie war noch größer geworden. Von dem Siegel über seinem Herzen gingen nun schwarze Linien aus, die fast seinen ganzen Oberkörper bedeckten. Wie konnte das in so kurzer Zeit passieren? Erschrocken ließ Liviu sein Hemd wieder über die Narbe fallen. Lange Zeit herrschte Schweigen zwischen den Beiden. Dann blickte Arthur Liviu aus seinen grünen Augen ernst an. „Liviu, weißt du überhaupt, was das ist?“ „Ich habe keine Ahnung. Die Heiler konnten es mir auch nicht sagen.“ „Das ist ein Fluch. Uralte schwarze Magie. Wir unterrichten das gar nicht mehr, weil es verboten ist… Aber da dies hier von einer Dunkelelfe stammt…“ „Aber einen Fluch hätten die Heiler doch bemerken müssen, verdammt!“ „Als du das hast überprüfen lassen, hattest du wahrscheinlich von deiner Heilung, noch so viele fremde Magie in deinem Körper, dass das gar nicht weiter aufgefallen ist.“ „Oh Gott“, war das einzige, was Liviu im Stande war zu sagen. „Das kannst du laut sagen. Aber wir können herausfinden, was das für ein Fluch ist. Dann wissen wir, was wir dagegen tun können.“ Arthur drehte sich um und ging zu einem seiner vielen Bücherregale, wo er ein altes, staubiges Buch herauszog. Arthur war bekannt dafür, eine ganze Reihe an alten und teilweise verbotenen Büchern zu besitzen, die es nicht einmal in der Bibliothek der Gilde zu sehen gab. Er kam damit zurück und schlug es auf. Darin zu sehen waren Abbildungen vieler Siegel und Runen, die Liviu nicht erkannte. „Also gut…“, murrte Arthur und schlug den Index des Buches auf. „Suche das Siegel, dass so aussieht wie deine Narbe.“ Liviu gehorchte und suchte nach dem Zeichen. Da fiel ihm ein verschlungenes Siegel ins Auge, das dem, das er trug sehr ähnelte. Er deutete darauf. „Das müsste es sein.“ „Hm… Ja, es sieht so aus.“ Arthur schlug die Seite auf und begann zu lesen: „Klassischer parasitärer Fluch. Breitet sich unter bestimmten Bedingungen schneller aus und führt zu psychischen und im Endstadium zu physischen Beeinträchtigungen beim Betroffenen. Übersetzt bedeutet das Siegel „Die Angst schwächt den Geist“ und ruft entsprechend des Siegels Angstzustände, verstärkten Stress und zeitweilige Wahrnehmungsstörungen, ähnlich eines Fieberwahns hervor. Gleichzeitig führen Angst und Stress dazu, dass sich der Fluch ausbreitet. Je weiter er sich ausbreitet, desto häufiger kommt es zu Wahrnehmungsstörungen und Affekthandlungen… Und so weiter und so fort. Das passt alles zu deiner Beschreibung. Hier steht noch etwas zu den physischen Auswirkungen, aber soweit ist es ja bei dir noch nicht. Tatsache ist, dass es wie bei den meisten Flüchen so ist, dass der Fluch nur mit einem anderen Siegel gebrochen werden kann. Einem Siegel, dass in diesem Buch wie ich sehe nicht gelistet ist.“ Arthur klappte das Buch zu. „Und da sich niemand mehr mit der Kunst der Flüche auskennt, weil es nicht mehr unterrichtet wird… Müssen wir, wenn du den Fluch wirklich loswerden willst, in den Schwarzen Wald gehen und die Dunkelelfen aufsuchen.“ Liviu lachte bitter auf. „Als ob die mir helfen würden.“ Ein schmales Lächeln erschien auf Arthurs Gesicht. „Es gibt immer Mittel und Wege, Leute dazu zu bringen etwas zu tun, was sie unter normalen Umständen nicht getan hätten.“ „Worauf warten wir dann noch?“, fragte Liviu und erhob sich von seinem Platz. Arthurs Vortrag hatte ihn mit Entschlossenheit erfüllt. Er musste diesen verdammten Fluch loswerden und das möglichst schnell. „Pass auf, nicht so laut…“, flüsterte Arthur, als sie einen Schleichweg durch die Büsche am Lager der Jäger vorbei nahmen. Das letzte, was sie nun gebrauchen konnten waren irgendwelche Jäger, die zu viele Fragen stellten. „Ja, ja…“, murrte Liviu und achtete darauf, nicht wieder auf morsches Unterholz zu treten. Hoffentlich hatte niemand etwas gemerkt. Er betete dafür, dass niemand etwas bemerkt hatte. Er sah sich um. Da war doch jemand. In der Nähe des Lager, dort wo normalerweise der Schild war, ließ sich eine schwache Silhouette erkennen. Und sie kam auf sie zu. „Runter!“, befahl Liviu mit zitternder Stimme und Arthur duckte sich zeitgleich mit Liviu hinter das Gebüsch an dem sie gerade vorbei geschlichen waren. Sie blieben beide vollkommen still. Das einzige, was Liviu noch hören konnte, war ohnehin nur sein rascher Herzschlag und das Rauschen in seinen Ohren. Ein ihm inzwischen wohlbekannter Schmerz durchzuckte seine Brust. Kurz verschwamm die Sicht vor seinen Augen. Wie lange würde er das hier noch durchhalten? Plötzlich raschelte das Gebüsch vor ihnen und ein wohlbekannter Magier kam ihnen entgegen. Lukas, der sie mit skeptischem Blick betrachtete. „Was wollt ihr denn hier?“, fragte er. „Ah, also wir-“ „Kurz; Liviu wurde verflucht und wir müssen zu den Dunkelelfen, um den Fluch aufzuheben. Es wäre schön, wenn du uns weiterlassen würdest, wir haben nicht mehr viel Zeit“, schnitt Arthur Liviu das Wort ab. „Oh, ein Fluch?“ Lukas schien zu überlegen, was er nun am besten sagen sollte. Nach kurzer Überlegung sagte er: „In Ordnung, ihr könnt ruhig weitergehen. Aber ich werde mitkommen. Nur zur Sicherheit.“ „Hast du nicht hier zu tun oder so?“, fragte Arthur. Lukas zuckte die Achseln. „Die werden eine Nacht ohne mich auskommen. So viele von den Jägern gehen hier im Alleingang in den Wald, da wird sich niemand daran stören, wenn ich es ihnen gleich tue.“ „Wenn du meinst“, meinte Arthur und erhob sich. „Dann komm mit.“ Liviu, der sich wieder beruhigt hatte, stand nun ebenfalls wieder auf. Zu dritt setzten sie ihren Weg durch den Wald fort. Während sie sich durch den immer finsterer werdenden Wald schlugen, erzählte Lukas zur Ablenkung, was sie an der Front verpasst hatten. Anscheinend handelte es sich bei den Dunkelelfen um einen kleinen Stamm von Ausgestoßenen oder Elfen, die ihren Stamm freiwillig verlassen hatten. Sie wollten gegen die Menschen vorgehen, da sie der Überzeugung waren, dass Elfen und Menschen nie friedlich koexistieren könnten und sie deshalb gleich den Erstschlag auf das nahe Elmenor hatten wagen wollen, jedenfalls hatten ihnen das ein Elf erzählt, den sie in der dritten Nacht gefangen hatten. Die Jäger und Magier hatten beschlossen dem zu glauben, da es eine recht passable Erklärung für die Angriffe war. Außerdem waren unter der Gruppe der Elfen auch eine magisch begabte Dunkelelfe dabei, die größtenteils mit Runenmagie arbeiteten. Das Oberhaupt der Gruppe bildete wohl eine Elfe namens Kim Bian Yeng, die ebenfalls magisch begabt war. Was für ein Zufall. Nichtsdestotrotz wuchs die Spannung zwischen dem Königshaus und dem Stamm der Dunkelelfen, obgleich sie nichts mit den Angriffen zu tun hatten, sodass sie sich nicht sicher sein konnten, ob der König nicht demnächst gegen alle Dunkelelfen in den Krieg ziehen würde. Lukas erzählte gerade von ihrem Plan, wie sie die Randgruppe eliminieren wollten, da vernahm Liviu ein unheilvolles Rascheln aus dem Geäst. Er zuckte zusammen. „Habt ihr das gehört? Da ist etwas zwischen den Bäumen.“ Arthur und Lukas blieben stehen und sahen in die Richtung, in die Liviu deutete. „Da ist nichts…“, murmelte Lukas. „Das hast du dir eingebildet“, erklärte Arthur. „Wahnvorstellungen, weißt du nicht mehr? Wir sollten uns besser beeilen.“ Lukas und Arthur setzten sich wieder in Bewegung, Liviu starrte weiter in den dunklen Wald hinein. Und da war es plötzlich, ein Schimmern von etwas hellem, ganz wie die Haut von dieser verdammten Elfe. Liviu kniff kurz die Augen zusammen und versuchte sich zu beruhigen. Arthur und Lukas hatten nichts gesehen, warum sollte sie also da sein? Er schlug die Augen wieder auf. Und da war… nichts. Keine Gestalt, einfach nichts. Liviu schüttelte langsam den Kopf. Er wurde tatsächlich verrückt. Rasch drehte er sich um und rannte zu Lukas und Arthur, um den Anschluss nicht zu verlieren. Sie waren noch keine weitere halbe Stunde unterwegs, da hörte Liviu das Geräusch erneut. Er merkte, wie er langsam paranoid wurde. Er drehte sich um. Und plötzlich stand sie da, Bian, ein paar Meter von ihm entfernt, hinter einem Baum. Erschrocken schrie Liviu auf und schleuderte ihr den erstbesten Angriff entgegen. Sie wich aus und grinste. Liviu machte einen Schritt zurück und stolperte über eine Wurzel, fiel rücklings hin. Jetzt war er ihr ausgeliefert. Schon wieder. „Liviu?!“, rief Arthur und Liviu wandte den Kopf. Arthur und Lukas kamen auf ihn zugerannt. Ein Glück. „Was machst du da?“, fragte Lukas und Liviu deutete auf die Elfe. „Seht ihr sie nicht?! Sie ist hier, diese Elfe…“ „Welche Elfe?“, fragte Arthur und sah sich um. Erneut deutete Liviu auf Bian. Doch diese warf nur keck ihren langen Zopf zurück und verschwand wieder hinter dem Baum. „Da! Habt ihr sie nicht gesehen?“ „Liviu, du bildest dir das ein…“, murmelte Arthur beschwichtigend und half Liviu auf. „Das ist der Fluch…“ „Aber das geht nicht, sie war so echt…“ „Lass uns weitergehen.“ Arthur nahm Liviu am Handgelenk und zog ihn weiter mit sich. Oder versuchte es zumindest. Denn Liviu hatte sich aus Arthurs Griff befreit und stieß ihn weg. „Nein, verdammt, sie ist hier und sie sucht mich! Wir können nicht einfach weiter dort entlang gehen, das wäre auffällig.“ „Jetzt stell’ dich nicht so an und komm mit!“, knurrte Arthur. „Es hat keinen Zweck“, erklärte Lukas. „Er ist wahrscheinlich so besessen von diesem Gedanken… Vielleicht würde ihm ein Siegel helfen?“ Arthur nickte. „Gute Idee.“ „Ein Siegel?“, echote Liviu. „Nein, vergesst es.“ Doch Lukas hatte seine Entscheidung bereits getroffen und machte zwei große Schritte auf Liviu zu. Seine Hand glühte wieder vor Magie. Liviu wusste, was nun als nächstes kommen würde. Lukas würde ihn betäuben. Dann würde Bian sie irgendwann wieder finden. Das Blut in Livius Adern begann zu pulsieren. Sie würden ihr schutzlos ausgeliefert sein. „Nein, sagte ich!“, protestierte Liviu, dem die Angst ins Gesicht geschrieben stand und konzentrierte nun auch seinerseits etwas Energie in seinen Fingerspitzen. Doch Lukas ließ sich nicht beirren und streckte langsam seine Hand nach Liviu aus. Dieser reagierte sofort und schleuderte Lukas eine Reihe kleiner Energiebälle entgegen. Liviu sprang zurück, während Lukas überrascht nach Luft schnappte und den Schlag abwehrte. „Was soll das?“, zischte Arthur, der nun Lukas zu Hilfe kam. Liviu sah, wie Lukas einen Schild für Arthur und sich schuf, während Arthur einen Schlag vorbereitete. Liviu schluckte. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Plötzlich feuerte Arthur eine Salve kleiner Angriffe auf Liviu ab. Er duckte sich schnell weg, konnte jedoch nicht verhindern, dass ein paar der Schläge ihn ungewohnt heftig trafen. Da fiel es Liviu glühend heiß wieder ein. Er hatte keinen Schild zur Verteidigung. So schnell wie nur möglich rappelte sich der Schwarzmagier wieder auf und flüchtete sich tiefer in den Wald hinein, gelegentlich Zauber nach hinten abfeuernd, sodass Lukas und Arthur nicht näher kamen. Wer weiß, was die Beiden eigentlich im Schilde führten. Es war bereits verdächtig gewesen, dass Lukas einfach so plötzlich aufgetaucht war und sie hatte passieren lassen. Vielleicht arbeiteten sie mit den Dunkelelfen zusammen. Vielleicht sollten sie ihn ausliefern. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Er schüttelte hektisch den Kopf und schlug einen Haken nach links, um seine Verfolger zu verwirren. Erneut schlug ihm das Herz bis zum Halse, der Schmerz war unerträglich. Doch er musste weiter rennen, durfte nicht gefangen werden. Er bog erneut ab, nur um plötzlich Lukas vor sich stehen zu haben. Abrupt stoppte Liviu und wandte sich um. Hinter ihm kam gerade Arthur hinter zwei Bäumen hervor geschossen. Sie hatten sich aufgeteilt. Und nun war er gefangen. Trotz seiner aussichtslosen Lage, griff Liviu erneut an, schleuderte beiden Magiern eine pure Welle dunkler Magie entgegen. Arthur wehrte den Schlag ab, doch Lukas wankte bereits ein wenig. Gut. Liviu setzte zu einem letzten Schlag gegen Lukas an und versuchte all seine Energie in diesen Angriff zu stecken. Da sah er auf einmal, wie Lukas irgendetwas flüsterte, konnte aber nicht verstehen, was es war. Das nächste was er sah, war eine riesige Wand dunkler Energie, ein machtvoller Schlag, den Arthur wahrscheinlich ausgesandt hatte. Doch Liviu hatte ihn zu spät bemerkt und er traf Liviu mit voller Wucht, was nicht zuletzt daran lag, dass er keinen Schild hatte, der ihn schützte. Benommen ging er zu Boden. Danach sah er nur noch, wie sich Lukas über ihn beugte und eine Rune auf sein Gesicht zeichnete. Er spürte, wie seine Glieder taub wurden. Seine Augenlider begannen zu flattern. Dann wurde er ohnmächtig. Liviu bemerkte, wie etwas sein Gesicht berührte. Plötzlich wieder hellwach schlug er die Augen auf. Und blickte direkt in das Gesicht eines Dunkelelf. Seine Augen weiteten sich, er wollte schreien, doch der Elf legte ihm nur einen Finger auf die Lippen und brachte ihn so zum Schweigen. „Alles in Ordnung“, flüsterte er, ebenfalls mit markantem Akzent, und grinste. „Er ist wach!“, rief er anschließend irgendwem zu. „Na? Ausgeschlafen, Liviu?“, fragte Lukas, der nun zu Liviu trat. Angesprochenem verschlug es glatt die Sprache. Was machte Lukas bei den Dunkelelfen? Kooperierten sie nun etwa? „Was, Lukas, was… Was ist hier los? Was mache ich hier überhaupt?!“ „Ah, wieder ganz der Alte, wie ich sehe. Ich kläre dich auf. Wir sind hier im Lager der Dunkelelfen, allerdings nicht bei denen, gegen die wir kämpfen. Der nette Herr Im Yong Soo hier hat dich übrigens von deinem Fluch entbunden.“ Lukas deutete auf den Dunkelelf, der noch immer vor Liviu hockte. Liviu sah an sich hinunter. Sein Oberkörper war nackt. Und tatsächlich; außer einer ganz normalen Narbe waren keine Spuren mehr auf seinem Oberkörper zu erkennen. Erst jetzt merkte Liviu, dass auch das Ziehen aus seiner Brust verschwunden war, sowie dieses ständige Gefühl der Angst. Eine wahrhafte Erleichterung. „Oh, äh, danke?“ „Keine Ursache“, sagte Yong Soo und stand auf. Er hielt Liviu eine Hand hin. Er ergriff sie dankbar und der Elf half ihm auf. Liviu sah sich um. Er befand sich auf einer Lichtung und ein Stück in der Ferne konnte er ein helles Licht erkennen. „Ist dort das Lager?“, fragte er und deutete auf das Licht. Lukas nickte. „Arthur ist schon dort und unterhält sich mit dem Oberhaupt der Elfen. Wegen Bian.“ „Aha. Wollen wir hingehen?“, fragte Liviu. Lukas nickte und warf Liviu einen Mantel zu. „Aber zieh den hier noch an.“ Geschwind schlüpfte Liviu in seinen Mantel. Anschließend machten sie sich die drei auf den Weg zum Lager. Dort angekommen erspähte Liviu sogleich Arthur. Er stand inmitten einer Gruppe von Dunkelelfen und schien eine Rede zu halten. Neben ihm stand ein weiterer Dunkelelf, der ab und an etwas zu Arthurs Worten sagte. Arthurs Rede handelte von der Zusammenarbeit von Elfen und Menschen, um den gemeinsamen Feind, die Gruppe um Bian, endgültig zu besiegen, damit sie das Verhältnis zwischen dem Königreich und den Elfen nicht mehr gefährdeten und um den Frieden zu wahren. Der Elf neben ihm unterstützte Arthurs These und ermutigte sein Volk ebenfalls, sowohl in der Sprache der Menschen, als auch in der der Dunkelelfen. Liviu hört noch eine Weile gebannt zu, dann fragte er Lukas beiläufig: „Wie lange war ich weg?“ „Ein paar Stunden. Arthur hat in der Zwischenzeit ganze Arbeit geleistet, findest du nicht?“ Ein dünnes Lächeln erschien auf Lukas’ Lippen. „Ja… Aber was hat er eigentlich gemacht?“ „Eigentlich hat er das Oberhaupt der Dunkelelfen, Wang Yao, der da neben Arthur steht, nur über ihre derzeitige Lage aufgeklärt. Wang hat ihm wohl erklärt, dass auch sie Probleme mit den anderen Elfen hatten und so fand eins zum anderen. Tatsache ist, dass wir jetzt eine vertragsgebunde Unterstützung im Kampf von den Dunkelelfen bekommen.“ „Das ist… unglaublich.“ „Ja“, sagte Lukas und nickte. „Ja, das ist es.“ Binnen der nächsten Tage würden sich die Dunkelelfen mit den Menschen verbünden und Kim Bian und ihre Mitstreiter endgültig zurückschlagen. Ganz Elmenor würde die drei Magier Liviu Botrov, Lukas Bondevik und Arthur Kirkland feiern und ihnen dafür dankbar sein, diesen Sieg erst möglich gemacht zu haben. Das Band zwischen Menschen und Elfen würde stärker denn je werden, eine mächtige Allianz würde gebildet werden. Später würden die Geschichtsbücher von eben dieser schreiben und von den drei Magiern, die es möglich gemacht hatten. Was der wahre Grund für ihren tollkühnen Ausflug in den Schwarzen Wald war, würde allerdings nie jemand erfahren. Oder jedenfalls würde es nie in den Schriften erwähnt werden. Doch bis dahin war es ja noch eine lange, lange Zeit… Ein Magier, kein anderer als Liviu Botrov, stand vor einer Villa und trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. Er war müde, es war Mittag und er war gerade erst aus dem Lager der Jäger zurückgekehrt, nachdem er ihnen ihren Plan zur Zusammenarbeit mit den Elfen erklärt hatte. Doch auch die Müdigkeit konnte seine Laune nicht trüben. Um ehrlich zu sein, hatte er sich noch nie so gut gefühlt. Es war ein Segen, dieses bedrückende Gefühl der Angst los zu sein. Alles andere würde sich nun schon finden. Er klopfte erneut an der Tür und nestelte an den Blumen, die er mitgebracht hatte. Die Tür öffnete sich und Natalia sah ihn finster an. Ivan erschien hinter ihr, glücklicherweise nicht ganz so zornig dreinschauend. Liviu reichte Natalia die Blumen. „Hört zu… Natalia. Ivan. Ich wollte sagen, dass es mir leid tut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)