Mädchen mit Kater von nurish ================================================================================ Kapitel 1: Die falsche Zutat ---------------------------- Angespannt fuhr sich Yolanda mit der Zungenspitze über die Oberlippe. Zusammen mit den anderen Mägden, die für diesen Abend dem Küchendienst zugeteilt waren, starrte sie mit weit geöffneten Augen auf das Problem: Die Schokoladenküchlein. Allesamt unwiderruflich ruiniert auf dem Boden. Die junge Clementia, die Auffinderin dieser kleinen, doch für alle Beteiligten nichtsdestotrotz verheerenden Katastrophe, rief in die Schreckensstille das hinein, was sich jede andere in diesem Raum dachte: „Was sollen wir jetzt nur tun? Wenn der Herr das erfährt, sind wir dran!“ Ein Raunen brach darauf aus und Yolanda zog stumm und mit düsterem Blick ihre Augenbrauen zusammen. Der Tag hatte doch so vielversprechend angefangen. Dieses Mal war sie sogar früh morgens mit den ganztägig Bediensteten eingetroffen, um mit den Vorbereitungen für diesen Abend zu beginnen. Eigentlich veranstaltete ihr Arbeitgeber einmal im Monat eine derartige Zusammenkunft, für diese musste sie sich natürlich nicht von ihrer anderen Anstellung frei nehmen. Doch diese Zusammenkunft an diesem Abend war anders. Eine machtpolitisch enorm wichtige Person war an diesem Tag unter den Gästen. Und so wurde dieses Anwesen schon den ganzen Tag lang geputzt, umgeräumt, hergerichtet und geschmückt, bevor alle Mägde nach und nach in die Küche verschwanden, um das Essen mit einem ruhigen Lächeln und geordneten Haaren punktgenau auf den langen Tisch ihres Herrn und seiner Gäste stellen zu können. Und jetzt das mit den Schokotörtchen. Yolanda hatte zufällig mitgehört, wie ihr Herr davon getönt hatte, als sie zwischendurch zum Nachschenken von Wein und Wasser durch den Raum geschlichen ist. „Etwas exotisches“, hatte er gesagt, „Etwas wirklich wunderbares“. Ihr Blick verfinsterte sich noch mehr. Nachdem er so sehr davon geschwärmt hatte, konnte das Dessert gar nicht ausfallen. Es wäre eine unbeschreibliche Bloßstellung ihres Herrn. Aus den Satzfetzen, die Yolanda aus dem Gemurmel um sich herum heraushören konnte, dachten alle anderen Mägde dasselbe. Und keine von ihnen war besonders um ihren Job besorgt. Nein, wer als nichtbegabter Bürger einem Magier diente, musste mehr befürchten. Natürlich würde niemand von ihnen in dieser Stadt wieder einen Beruf bekommen, wenn sich das herumspräche. Doch Magier herrschten nicht ohne Grund in dieser Welt. Sie hatten eine Macht, die den übrigen nicht zugänglich war, und nutzten diese aus. Dem Pöbel blieb nur die Möglichkeit, sich zu fügen. „Ah!“, entfuhr Yolanda freudig, als ihr plötzlich eine Idee kam. Die anderen Mägde, immer noch in Schockstarre, drehten sich ihr ratlos zu. Selbstsicher entgegnete sie ihre Blicke: „Ich habe eine Idee! Jemand macht hier bitte die Sauerei weg, die anderen kommen mit. Jetzt muss es schnell gehen.“ Die beiden Aushilfen blieben zum Putzen, während die übrigen Yolanda folgten. „Was hast du vor?“, fragte Clementia zweifelnd. „Wir machen ein anderes Dessert.“ – „Was?“, folgte ein beinahe verzweifelter Aufschrei von den übrigen Mädgen von hinten. „Ja. Der Herr hat vorhin ein riesiges Geheimnis daraus gemacht, was die Nachspeise tatsächlich ist und welche Zutaten sie erhält. Nur der Herr und Derek wissen, abgesehen von uns, davon, was es eigentlich geben sollte. Für die Törtchen reicht weder Zeit noch Vorrat, aber wir haben immer noch genug, woraus wir schnell etwas anderes machen können. Gerade erst ist der Hauptgang raus, wir haben also noch etwas Zeit, wenn wir schnell handeln.“ Langsam wurden die anderen Mägde zuversichtlicher. Yolandas Idee war ihre einzige Chance und Zweifel konnten sie sich nicht leisten, wenn sie diesen Abend heil ins Bett gehen wollten. Leider mit nicht mehr ganz so ordentlichen Haaren und nervösem Lächeln wurde nach dem spontanen Mammuthakt gerade noch rechtzeitig das Ersatz-Dessert an die Runde ausgeteilt. Unter den Bürgern war es ein schnelles Arme-Leute-Essen, doch die Magier-Riege war so fern von dieser Bevölkerungsschicht, dass wahrscheinlich niemand davon jemals etwas gehört, geschweige denn es probiert hat. Zusätzlich trafen darauf alle Beschreibungen zu, mit denen ihr Herr herumgeworfen hatte. Wenn ihr Herr und Derek schnell verstünden, könnten alle mit einem blauen Auge nach Hause gehen. Yolanda seufzte leise, als sie, erschöpft neben den übrigen Mädchen auf dem Boden sitzend, an Derek dachte. Sie schwärmte schon lange für ihn. Die Tatsache, dass sie ihn nie mit einer festen Begleitung gesehen hat und er immer sehr nett zu den Bediensteten war, half nicht gerade dabei, ihre Schwärmerei für den Schönling loszuwerden. Dieses Mal blieb Yolanda sitzen, als einige Mägde aufstanden, um den Nachtisch abzuräumen. Bisher war niemand wutentbrannt in die Küche gestürzt, insofern hatte sich jeder darauf eingestellt, dass der Plan funktioniert hat. Yolanda war unglaublich müde von dem Tag und erleichtert. Ihre Glieder forderten gerade die Ruhe ein, die ihr seit Arbeitsbeginn schon nicht vergönnt war. Sie lehnte sich schief lächelnd an Clementia, die neben ihr saß. „Ich freue mich schon auf die Schelte vom Herrn. Du dich auch, Tia?“ Ihre Freundin entgegnete ihr nur ein trockenes Lachen. „Ich freue mich auf mein Bett.“ Ein Räuspern ließ alle Mägde gleichzeitig hochfahren. In dem Türrahmen stand ein hochgewachsener Mann mit karamellfarbenem Haar und Azur-Augen. Sein süffisantes, aber nichtdestotrotz bedrohliches Grinsen hatte seine beabsichtigte Wirkung. Einige murmelten eingeschüchtert seinen Namen: „Derek!“ Die Entspannung, die sich kurz zuvor breit gemacht hatte, war jäh verschwunden, und Yolanda war mit einem Mal so nervös, dass ihr beinahe schwarz vor Augen wurde. Sie konnte ihn nicht einschätzen; war er gekommen, um sie direkt zu bestrafen? Hätten sie einfach sagen sollen, dass der geplante Nachtisch ruiniert war? Hatte der Runde die Nachspeise geschmeckt? Oder würde Derek sie nun hassen? Ängstlich verzog Yolanda ihren Mund. Auf die folgende unangenehme, gebannte Stille hin lief er langsam in die bis oben verschmutzte Küche, die sie noch nicht gesäubert hatten. „Mädchen, Mädchen, was habt ihr nur getan…“, sagte er langsam, worauf Yolanda heftig und schuldbewusst mit den übrigen Mägden zusammenzuckte. „Ich wusste nicht, dass Schokotörtchen mit frischen Früchten angerichtet werden. Und warm sind. Und keine Schokolade beinhalten.“ Er ließ seinen Blick herausfordernd durch die Runde schweifen, die betreten schwieg. Sie alle würden auch weiterhin schweigen. Sie saßen zusammen im selben Boot und würden niemanden ausliefern. Yolanda ahnte das. Aber…! Yolanda biss sich unentschlossen in die Unterlippe. Das, was Derek da sagte, ließ nicht viel Hoffnung, dass sie alle ihre Anstellungen behalten würden. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit. Zwar war sie nicht für das Törtchenfiasko selbst verantwortlich, dennoch war Plan B auf ihrem Mist gewachsen. Wenn jetzt alle gefeuert würden, dann war das auch Yolandas Schuld! „Verzeihung, junger Herr!“, rief sie Derek mit zitternder, aber entschlossener Stimme zu. „Falls Sie jemanden für das Dessert heute Abend bestrafen wollen, dann bestrafen Sie bitte nur mich.“ Es reichte, wenn sie alleine ihren Lebensunterhalt verlor und nicht auch noch die anderen Mädchen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie in der Gosse landete. Und auch für ihren Kater wäre es nichts neues, war es doch eine abgelegene Seitenstraße gewesen, in der sie ihn gefunden hatte. Ihr Ausruf lenkte Dereks Aufmerksamkeit auf sie. Langsam näherte er sich ihr, sodass sie sogar ihren Kopf in den Nacken legen musste, um den hochgewachsenen Derek direkt ins Gesicht blicken zu können. Sie wäre rot geworden, wenn sie nicht so Angst vor dem gehabt hätte, was er nun sagen würde. „Bist du dafür verantwortlich, dass die Törtchen nicht ausgeteilt worden sind?“, fragte er ruhig, worauf Yolanda angespannt den Kopf schüttelte. „Wir wissen nicht, wie es passiert ist, aber nachdem wir den Hauptgang serviert haben, waren die Törtchen in einem ungenießbaren Zustand. Ich bin dafür verantwortlich, was stattdessen ausgeteilt worden ist.“ Sie schritt zwei Schritte zurück und verbeugte sich tief und schuldbewusst. Auch wenn sie ihm bis eben mit Tunnelblick in die Augen gestarrt hatte, konnte sie nicht einschätzen, was Derek von der Situation hielt. Sie wollte es eigentlich auch gar nicht wissen. Bestimmt war er enttäuscht von ihr. Ihr Herz verkrampfte sich und ihr Gesicht wurde traurig. Zum Glück konnte es niemand sehen. Sie hatte oft daran gedacht, dass Derek endlich mit ihr persönlich reden und all seine Aufmerksamkeit ihr alleine schenken würde. Doch sie hatte nie daran gedacht, dass all das geschehen könnte, weil sie sich dem Befehl seines Vaters widersetzt hatte. „Stimmt das?“, fragte Derek bestimmt in die Runde. Yolanda hörte keine Antwort von den anderen Mägden, da sie immer noch in ihrer Verbeugung verharrte und auf den Boden starrte, doch ein leises Rascheln verriet, dass diese wohl nickten. Sie schloss angespannt die Augen. Am liebsten säße sie jetzt in einem Loch anstatt hier zu sein. Plötzlich fühlte sie eine Hand an ihrem Kinn, die sie mit sanfter Gewalt wieder aufrichtete. „Nachdem ihr die Hauptspeise ausgeteilt habt?“, sagte Derek ruhig, allerdings dröhnten seine Worte schmerzhaft laut in ihren Ohren. Überrascht suchte Yolanda seinen Blick. „J-Ja, Herr.“ Darauf grinste er nur und klopfte Yolanda freundschaftlich auf die Schulter. „Da habt ihr aber ordentlich etwas auf die Beine gestellt. Ich bin erstaunt. Ich werde mit meinem Vater bereden, wie wir euch diese geistesgegenwärtige Tat vergüten können.“ Während allen anderen Mägden ein erleichtertes Seufzen entkam, verkrampfte sich Yolanda und Röte schoss ihr ins Gesicht. Derek hatte sie gelobt! Er hasste sie nicht! Ungläubig lächelte sie ihn an, während bereits bei ihr im Hinterkopf ein Film mit ihr und Derek in der Hauptrolle lief. Derek warf ihr noch ein vielsagendes Lächeln zu, bevor er die Mägde wieder allein ließ. Sobald Derek außer Hörweite war, brachen sie alle in ein Jubeln aus. In dieser Nacht verließ keine von ihnen nicht grinsend das Anwesen durch den Bedienstetenausgang. Clementia und Yolanda liefen zusammen die fast leere Straße entlang. Clementia brabbelte ungläubig, aber glücklich vor sich hin, erzählte Yolanda in allen Einzelheiten den Abend nochmal im Detail, während diese in ihren Träumen mit Derek schwelgte. Clementia bemerkte dies natürlich, wusste auch von Yolandas Schwärmerei und begann bald, sie damit aufzuziehen. „Du meine Güte!“ und „Tia!“, rief Yolanda immer nur peinlich berührt und mit hochrotem Kopf, als ihre Freundin ihre – für eine 18-jährige extrem anzüglichen – Witzchen erzählte. Da die beiden Frauen in demselben Wohnblock wohnten, trennten sie sich erst im Treppenhaus. Schließlich alleine lief Yolanda die letzte Treppe zur ihrer Wohnung nach oben und schloss die heruntergekommene Holztür zu ihrem Reich auf. Dort eingetreten fiel ihr Blick als erstes auf ihren Kater, der bereits geduldig mitten im Flur auf sie wartete. Erfreut ihn zu sehen gab sie ein langgezogenes, hohes „Ohhhhh, mein Kiki!“ von sich und nahm das Tier mit dem weißgelblichen Fell auf den Arm, das sofort genussvoll zu schnurren begann. Sie schmiegte glücklich ihre Wange an dem felligen Kopf des Tieres. „Hast du lange auf mich gewartet?“ Sie setzte ihn schnell wieder ab, schloss die Türe hinter sich ab und lief schnell in die Küche, während ihr Kater um die Beine strich. „Hast du Hunger?“, fragte sie ihn, während sie grinsend etwas Trockenfutter in seinen Napf tat. „Du faules Ding! Jag dir dein Essen selbst. Ich muss auch arbeiten gehen.“ Sie kraulte ihn noch kurz, zog sich dann in der Küche die Dienstuniform aus und erzählte ihm fröhlich von ihrer Begegnung mit Derek an diesem Tag. Es war eine einfache, heruntergekommene Wohnung in einem alten, heruntergekommenen Haus und der größte Luxus darin war der geräumige Giebel mit hohen Glasfenstern in ihrem Schlafzimmer. Da das Wohnhaus am Rande der Stadt lag, gab es einen herrlichen Ausblick. Yolanda genoss diesen Augenblick einen Moment, bevor sie sich ihr Nachthemd überzog. Müde fiel sie in ihr Bett und streckte alle Glieder von sich. Diese Nacht war sowieso zu warm für eine Decke. Kiki sprang zu ihr aufs Bett und kugelte sich auf Yolandas Bauch zusammen. Sie kicherte und streichelte das Tier träge, bis sie in einen tiefen, verdienten Schlaf fiel. Das Leben konnte so schön sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)