Wintersterne von Coronet (Ein Panem Adventskalender) ================================================================================ Kapitel 14: Wintergelächter --------------------------- 14. Dezember - Wintergelächter Hob Reglosigkeit lag über Distrikt zwölf, der unter tiefen Schneemassen versunken war. Keine Menschenseele war zu sehen, lediglich aus manchen Häusern fiel ein warmer Lichtschein auf die vereisten Straßen. Außer dem Rauschen in den Baumkronen war nichts zu hören, der Schnee schluckte jegliche Geräusche. Doch da, am Waldrand, war zartes Gemurmel zu vernehmen. Dunkle Gestalten liefen durch den Schnee, hin zu einem dunklen Gebäude, vor dessen Fenster Bretter geschlagen waren. Insgesamt wirkte das Haus eher bedrohlich und nicht wie ein Ort, an dem man einen der Adventstage verbringen wollte. Aber es schien, als würden diese dunklen Gestalten tatsächlich hier einkehren wollen. Sie schüttelten den Schnee ab und betraten das dunkle Haus. Sobald die Tür aufging fiel jedoch für einen kurzen Moment ein Rechteck aus Licht in den Schnee, doch kurz darauf war es verschwunden als die Tür sich wieder schloss, ebenso wie die Personen. Der unheimliche Ort war eine Scheune am Rande des zwölften Distriktes, in der sich nun der Schwarzmarkt befand. Nur der mutige Teil der Bevölkerung wagte sich hierher, doch das waren nicht gerade wenige. Alle wichtigen Waren für den täglichen Bedarf wurden hier unter der Hand gehandelt und es fand sich des Öfteren auch einmal ein wahres Kleinod an. Selbst die lokalen Friedenswächter kamen hier her, um selber Waren oder auch Nachrichten aus dem Kapitol zu tauschen. An diesem Tage im Dezember war es nicht anders. Eine Menge Leute tummelte sich in der ländlichen Scheune, in der es nach Stroh und Suppe roch. Große Strohballen türmten sich an den Wänden und sorgten so für Schutz vor der Kälte. Trotz des undichten Daches war es also angenehm warm, nicht zuletzt aufgrund der vielen Menschen, die die Luft aufheizten. Zwischen den einfach zusammengebauten Tischen drängten sich die Menschen zusammen. Fast jeder von ihnen hielt einen Teller von Greasy Saes berühmter Suppe in der Hand, die an diesem Tag mit Kaninchenfleisch gekocht worden war. Von den dicken Deckenbalken hing ein großer Reif aus Tannenzweigen, auf den notdürftig die unterschiedlichsten Kerzen gepinnt waren. Zwei von ihnen waren bereits angezündet, eine kleine blaue aus Wachsresten und eine rote, dicke Kerze, und flackerten leicht im Zug des Windes. Sie dienten als Adventskranz, den die Bewohner bis dato nur aus dem Fernsehen gekannt hatten, denn von ihnen hatte niemand genug Geld für so einen Kranz. Also hatten sie alle zusammengelegt, um diesen Kranz zusammen zustellen. Jeder, der konnte, hatte Kerzenwachse mitgebracht und so waren die Kerzen am Hob selber hergestellt worden, ebenso wie der aus Tanne geflochtene Kranz. Sicherlich war er nicht perfekt und hing auch recht gefährlich, doch denjenigen, die mitgeholfen hatten, bedeutete er einiges. Der Raum verströmte eine rustikale Atmosphäre, aber für die Bürger des Distriktes versprach dieser Ort Heimeligkeit. Meist war es hier sogar wärmer, als in ihren eigenen Häusern und im Falle Greasy Saes wurde hier sogar der gesamte Lebensunterhalt bestritten. Wie immer wurde an den einzelnen Ständen gefeilscht und so kleine Gegenstände wie Knöpfe gegen Kartoffeln oder ähnliches getauscht. Für jeden Gebrauch war etwas dabei, wer immer hier auch herkam, der konnte sich sicher sein, dass es zumindest eine warme, reichhaltige Suppe für ihn gab. Mit der Zeit war der Hob für die Bewohner des Distriktes zu einer Art zweitem Marktplatz geworden, auf dem die strengen Regeln des Kapitols außer Kraft gesetzt waren und wo aus den Friedenswächtern normale Menschen wurden, die hier ihr Geld ausgaben oder tauschten. Man kannte einander und es waren rege Gespräche zu belauschen, über die Kinder, die Arbeit und natürlich den massiven Schneefall diesen Winter. Nur ein einziges Gesprächsthema musste draußen bleiben und das waren Gespräche über das Kapitol oder die Hungerspiele. In dieser Atmosphäre, an diesem Ort, da wollte sich niemand an das allgegenwärtige erinnern lassen. Sobald man durch die Tür trat, da war man unter Freunden, alles war einfach. Es gab niemanden, der das in Frage gestellt hätte. „Suppe, heiße Suppe!“ Fröhlich rief Greasy Sae durch die Scheune und füllte den Leuten die sich an ihren Stand drängten etwas von ihrer Suppe auf. Sie war völlig zufrieden mit ihrem Geschäft, auch wenn sie sich dauerhaft vor dem Gesetz verstecken musste. All die Jahre machte sie dies nun und es würde ihr nie langweilig werden, denn es waren die Menschen, die ihren Beruf bereicherten. Die jungen Jäger, die vom Fortlaufen träumten und bei einer guten Suppe über ihre Pläne plauderten, die Friedenswächter, die sich fragten, warum sie diesen Beruf ergriffen hatten und die Verliebten, denen sie Ratschläge gab, all das gehörte zu ihrem Leben. Hatte sie auch keine Blutsverwandten mehr, so war das hier ihre Familie, genauso wie Ripper, die bei einem Minenunglück alles verloren hatte, nur ihre Würde nicht. Jetzt verdiente sie ihr Geld mit selbstgebranntem Schnaps, was in Distrikt zwölf besonders bei den Friedenswächtern und Haymitch Abernathy funktionierte. Heute hatten jedoch alle sich aus einem besonderen Grunde hier versammelt, nicht nur, um Waren zu tauschen und Suppe zu essen. Feierlich würden sie die dritte Kerze entzünden, um den dritten Advent einzuläuten. Bei den ersten beiden Kerzen hatte dies bereits wunderbar funktioniert und so würde es auch heute wieder ein Adventsfest der Sonderklasse geben. Seit dem frühen Morgen hatten sie bereits kleine Loszettel mit Namen gesammelt, um schließlich denjenigen auszulosen, der die Ehre bekam, die dritte Kerze zu entzünden. Wie schon beim letzten Mal hatten sie Katniss, ihrer einzigen weiblichen Siegerin die Aufgabe übertragen, diese Person auszulosen. Zufrieden schüttelte Greasy Sae die kleine verbeulte Schachtel mit den Losen, bereit sie Katniss zu überreichen, sobald diese fertig mit ihrer Suppe wäre. „Alle mal herhören!“, rief Ripper auf Greasys Zeichen hin und läutete die kleine Glocke, die sie extra zu diesem Zwecke angeschafft hatten. „Wir ziehen gleich denjenigen, der die dritte Kerze entzünden wird!“ Freude machte sich unter den Leuten breit, die ihren Namen in die Losschüssel gegeben hatten und alle drängelten sich um Greasys Stand. Milde lächelnd stellte Katniss ihre Schüssel voller Suppe fort und ließ sich die Schüssel reichen. Mit einer gelungenen Imitation von Effie am Erntetag, über die man hier glücklicherweise lachen konnte, zog sie einen klein gefalteten Zettel hervor und faltete ihn auseinander, während es auf dem Hob mucksmäuschenstill wurde, dass man meinen konnte, man würde den Schnee fallen hören. „Valeria Rabelwood!“, rief sie schließlich laut aus. Ein jüngeres Mädchen aus der Menge quiekte erfreut auf und wurde von den älteren nach vorne geschoben. Sie war recht klein und hatte rote, lockige Haare. Vor Begeisterung waren ihre Wangen gerötet und mit zittrigen Händen nahm sie die Schachtel mit Streichhölzern entgegen, die ihr Ripper überreichte, zusammen mit einem freudigen Lächeln. Denn auch wenn ihre äußere Erscheinung furchteinflößend sein konnte, so besaß die Brauerin doch ein gutes und großes Herz, welches sie auch veranlasst hatte, gemeinsam mit der alten Greasy diese Adventsfeste ins Leben zu rufen. Unter dem Jubel des Distriktes stieg Valeria jetzt auf die hölzerne Treppe, die Darius und eine Friedenswächterin, heute sogar einmal in ziviler Kleidung, herbei getragen hatten und erklomm vorsichtig die rauen Stufen. Oben angekommen verharrte sie für einen Moment, nestelte mit den Streichhölzern herum und gerade, als sie ihres entzünden wollte, entglitt dieses ihrem Griff. Freundliches und amüsiertes Gelächter ertönte aus der Menschenmenge, aber es war keineswegs bösartig, denn hier war man eine Gemeinschaft.  Nervös holte sie ein neues hervor und schließlich gelang es ihr doch noch, es zu entzünden. Einen Moment lang blickte sie andächtig die Flamme an, deren zuckender Tanz sich in ihren großen Augen spiegelte, dann lehnte sie sich zu dem Kranz und der darauf befindlichen Bienenwachskerze vor und sagte mit überraschend lauter Stimme: „Wir danken für all die guten Gaben.“ Auch am Boden sprachen alle den rituellen Spruch mit, bei dem jede Kerze entzündet worden war und beobachteten, wie Valeria die Flamme an die Kerze hielt. Flackernd sprangen die Funken über und auch die Kerze brannte nun hell. Alle Anwesenden applaudierten lautstark und die immer noch errötete Valeria stieg zum Boden hinab. Wieder einmal war Weihnachten näher gerückt und damit das von vielen am meisten herbeigesehnte Fest des Jahres. Alleine das war Anlass genug, dass am Hob aus vollster Kehle gesungen wurde, all die Weihnachtslieder, die von Mund zu Mund, von Generation zu Generation in dem zwölften Distrikte Panems überliefert wurden. Man würde bis tief in die Nacht zusammen sitzen, reden und lachen. Es war eine Feier, dass man am Leben war, ein Dankesfest für das Glück und es würde immer, jedes Jahr gefeiert werden, bei dem Schein von Kerzen und einfacher Suppe, während draußen die Flocken fielen.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)