Wintersterne von Coronet (Ein Panem Adventskalender) ================================================================================ Kapitel 10: Winterglanz ----------------------- 10. Dezember – Winterglanz Glimmer Marvel * Es ist alles andere als leicht, immer zu glänzen. Das jedoch war Glimmer, Tochter aus wohlhabendem Hause, nicht bekannt. Das einzige Kind eines Edelsteinminenbesitzers war des festen Ansinnens, dass sie jeden einzelnen Tag noch besser als den vorherigen meistern musste, denn ein Tag, der nicht perfekt war, war kein Tag, so zumindest die Meinung Glimmers. Natürlich war es da keine Frage, dass besonders Tage wie Weihnachten einen hohen Stellenwert bei ihr hatten, denn dies war doch die beste Gelegenheit, perfekt zu sein. In neuen Kleidern und Schuhen zur Kirche zu schreiten gehörte zu den größten Freuden an Weihnachten – bis jetzt, denn nun gehörten elegante Kleider und besinnliche Abende am Christbaum der Vergangenheit an. Zwar war Glimmer selber daran schuld, dass es nun damit vorbei war, doch das brachte sie nicht davon ab, sich lautstark bei ihren Eltern über ihre unglückliche Lage zu beschweren. Seit diesem Jahr ging Glimmer in das örtliche Trainingscamp, wo sie von einigen Größen des ersten Distriktes unterrichtet wurde, vor allem im Schwertkampf, einer Disziplin, die Glimmer, zu ihrem Leidwesen, wohl nie richtig beherrschen würde. Am besten gefielen ihr Pfeil und Bogen, auch wenn sie, wie man mancherorts munkelte, eher weniger talentiert war. Doch Glimmer war sich dessen nicht bewusst, stattdessen trainierte sie, um eines Tages, oder besser bereits im nächsten Jahr, ihren Distrikt stolz zu machen, indem sie die alljährlichen Hungerspiele gewinnen würde. Dafür jedoch musste sie zuvor nun erst einmal die Enttäuschung überleben, nicht wie gewohnt Weihnachten feiern zu können, denn Cashmere, ihre Trainerin, hatte für diese bitterkalten Tage andere Pläne. Obwohl es der 24. war, sollte Glimmer gemeinsam mit den anderen angehenden Tributen an einer Schnitzeljagd durch den dunklen Wald teilnehmen. Um wenigstens ein klein wenig zu glänzen hatte sie sich extra herausgeputzt, was bedeutete, dass sie eine neue Lammfelljacke trug, sowie elegante Schnürstiefel und sich besonders mit ihren lockigen Haaren Mühe gegeben hatte, denn diese hatte sie zu einem kunstvollen Zopf geflochten. So stand sie, die Arme verschränkt, am Waldrand, gemeinsam mit schätzungsweise 20 anderen angehenden Tributen, die allesamt an der Schnitzeljagd teilnehmen würden. „Also, ihr werdet jetzt alle jeweils in Zweiergruppen aufgeteilt, damit ihr auch gleichzeitig ein wenig Teamwork macht, schließlich seid ihr in der Arena immer mehrere Karrieretribute!“ Nach außen hin gelangweilt beobachtete Glimmer das Treiben, doch innerlich hoffte sie, dass man sie mit Miles, dem Coolen und Beliebten paaren würde, doch natürlich war dem nicht so. Stattdessen musste sie hören, dass man sie ausgerechnet mit Marvel zusammen gesteckt hatte, der, wie Glimmer abfällig dachte, ein wirklicher Trottel war. Groß und ungelenk, das war Marvel. Missmutig stapfte Clove zu ihm hinüber, die Hände in den Taschen versenkt und grimmig drein schauend. Marvel jedoch lächelte sie auch noch breit an und ließ es sich nicht nehmen, sie mit einem fröhlichen „Hey Glimmer“, zu  begrüßen. „Im Wald hängen an verschiedenen Stellen Zettel aus, auf denen ein Hinweis steht, der euch zu dem nächsten Ort führt. Am Ende wartet ein Gegenstand, den ihr mitbringen müsst. Wenn ihr so weit seid, dann holt euch ein Übungsschwert hier vorne ab, denn ab dann sind die anderen Paare eure Gegner! Augenrollend folgte Glimmer Marvel zu Cashmere, die ihnen beiden ein hölzernes Übungsschwert reichte. „Viel Erfolg“, wünschte die Trainerin ihnen, dann ging es auch schon auf in den Wald. Das Schwert in eine Hand pendelnd, schob Glimmer Marvel beiseite und trat an den Baum mit dem ersten Hinweisschild heran. Dort, wo Wege sich kreuzen wird der Weg euch gewiesen. „Irgendeine Ahnung?“, wandte sie sich an ihren Partner, von dem sie hoffte, dass er wenigstens hiervon Ahnung hatte, denn sie wollte gerne recht schnell hiermit durch sein, denn im Anschluss stand der Jahresabschlussball des Trainingscenters an, den sie garantiert nicht verpassen wollen würde. Marvel, der bis zu diesem Punkt noch recht stumm gewesen war, warf sein Schwert von einer Hand in die andere und musterte den Zettel. „Damit dürfte die Weggabelung im Osten gemeint sein“, erklärte er, „lass uns einfach da lang gehen!“ Mit dem Schwert wies er wage in eine Richtung, wo das Unterholz nur noch dichter wurde und der Schnee sich zentimeterhoch auf dem Boden auftürmte. Seufzend wandten sie sich der Richtung zu und Glimmer wünschte sich, dass die Arena ihrer Hungerspiele keine Eiswüste sein würde. Sie mochte keine Kälte. Eine Weile lang kämpfte das ungleiche Paar sich stumm durch den Wald, jeder sein Schwert im Anschlag, doch sie begegneten niemand anderem. Die ersten paar Hinweisschilder ließen sich ohne größere Probleme finden, denn Marvel bewies zum ersten Mal vor Glimmer sein können und so kamen sie zügig durch. Erst das sechste Schild, auf dem geschrieben stand Dort wo die Nacht funkelt, wird euer Weg aufgezeigt werden bereitete ihnen größere Probleme, als gedacht. Glimmer war der Meinung, dass es eine Lichtung sein müsse, da man nur von dort nachts die Sterne sehen könne, während Marvel, der Trottel, keinerlei Ahnung hatte. So liefen sie durch den mittlerweile immer dunkler werdenden Wald, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Fluchend krabbelte Glimmer über einige niedrige Brombeerhecken, während Marvel ihr stumm folgte. „Bist du dir sicher, dass du keinerlei Ahnung hast?“, fragte sie, bestimmt nicht zum ersten Mal. Beleidigt erwiderte Marvel: „Herrgott, nein, habe ich nicht!“ Verzweifelt stoppte sie und sah sich um. „Ich weiß nicht einmal, wo wir uns befinden, verdammt!“ „Herzlichen Glückwunsch, da bist du nicht alleine“, ätzte er zurück, mit dem Fuß im Schnee scharrend. Mit der Zeit hatte es angefangen, wieder leicht zu schneien und die Flocken fielen auf sie, nur um direkt auf Haut und Haaren zu schmelzen und sie somit zu durchnässen. Hätte Glimmer jetzt im warmen gesessen, dann hätte sie sicherlich gedacht, dass die Welt draußen ein Winterwunderland war, doch so verwünschte sie den Schnee lediglich, der sich sogar in ihren Wimpern verfing. Es war Weihnachten und sie musste undankbarer Weise mit Marvel, dem Trottel, durch den Schnee kriechen, auf der Suche nach einem bei Nacht glitzerndem Platz. Frustriert klemmte sie sich das Schwert unter den Arm und lief wieder los, ohne Rücksicht auf Marvel zu nehmen, der ihr protestierend folgte. „Glimmer, warte doch mal! Vielleicht sollten wir einfach mal überlegen, anstelle planlos durch die Gegend zu laufen?“ Zornig blieb sie stehen. „Nerv nicht, Marvel! Du hast doch auch keine Ahnung!“ Vor Kälte, als auch Wut zitternd, bahnte sie sich weiter ihren Weg durch das Unterholz und dem Knacken der Äste zur Folge tat auch Marvel das. „Glimmer?“, erscholl es da auch schon fragend von hinten. Doch sie drehte sich nicht um, sondern brummte nur: „Hm?“ „Ich habe überlegt. Eine Lichtung ist unwahrscheinlich. Ich war schon öfter im Wald und vielleicht ist damit der alte Steinbruch gemeint? Schließlich sind wir ja in Distrikt eins und…“ Überrascht drehte Glimmer sich um. „Der alte Steinbruch? Glaubst du? Was sollte daran denn glitzern?“ Dennoch hörte sie ihm zu, als er weiter redete. „Sie haben ihn doch stellenweise abgetragen und dort sind immer noch schimmernde Spuren der Edelsteine zu sehen.“ Glimmers Augen weiteten sich, als die Hoffnung sie ergriff. „Das wäre wunderbar“, murmelte sie und drehte sich wieder um. „Wo ist der Steinbruch?“ Auch Marvel fände es in der Tat wunderbar, wenn sie wieder aus dem Wald hinaus könnten, denn so langsam wurde auch ihm kalt, und das nicht nur, weil Glimmer ihm eben diese Schulter zeigte. Er hatte sich daran gewöhnt, dass die reiche kleine Glimmer nicht viel von ihm hielt. Schließlich konnte nicht jeder Glück im Leben haben. Er lebte zwar in Distrikt eins, aber nicht gerade als einer der reichsten. Deshalb war es sein bescheidener Plan, die Spiele zu gewinnen, um auch zu Anerkennung zu gelangen – einmal wollte auch er glänzen. Nur darum zeigte er Glimmer jetzt den Weg durch den Wald. Auch wenn er sich eigentlich ein wenig mehr Zuwendung von ihr erhofft hätte, und nicht als Trottel abgestempelt im Wald geendet wäre. Schließlich erreichten sie nach einigem Fußmarsch doch noch die alte Miene, die Marvel gemeint hatte und tatsächlich: Ein Hinweisschild hing am Eingang. Erleichtert seufzte Glimmer neben ihm. „Endlich, ich dachte schon, wir finden das nie!“ „Warten wir lieber, was die letzte Aufgabe ist…“, entgegnete Marvel und beugte sich vor, um zu lesen. Euer Ziel wird sein, ein Ort der Eingang und Ende markiert. „Na toll“, stöhnte Glimmer, „das läuft ja wunderbar. Wir sind beim letzten Hinweis und der ist noch dämlicher als alle anderen!“ Ermattet ließ Marvel sich einfach auf einen Stein fallen, während er Glimmers Ausführungen nur halbherzig lauschte. Er wollte es nicht zugeben, aber er war müde und Glimmer, die wieder einmal die Beste in allem sein wollte, strengte ihn noch zusätzlich an. „Glimmer, hör auf damit dich so verrückt zu machen“, murmelte er, während er den Kopf in die Hände stützte, wofür er nur einen verständnislosen Blick erntete. „Ich gehe gleich!“, rief Glimmer ihm zu, doch statt dass Marvel sich ihr unterwarf und ihr weiter folgte, wank dieser nur mit einer Hand ab. Auch Glimmer war ermüdet und hatte keine Lust mehr, durch diesen Wald zu laufen, während das Schneetreiben immer dichter wurde, doch dazu mussten sie zuerst fertig werden. Angespannt umfasste sie ihren Schwertgriff fester, während sie Marvel musterte, wie er entspannt auf dem Stein saß. „Komm schon, Glimmer, stell dich nicht so an. Das hier ist nicht die Arena und wir sind keine Tribute. Es ist einfach nur Weihnachten im Wald.“ Er lachte leise. Wie konnte er das jetzt tun? Fassungslos blickte Glimmer ihn an. In diesem Moment ertönten aus dem Wald Stimmen und kurz darauf brach Miles mit seiner Partnerin durch das Unterholz. „Miles“, rief Glimmer überrascht, doch dieser beachtete sie nicht einmal, sondern zog lediglich das hölzerne Übungsschwert und ging in Angriffsstellung. Nun stand auch Marvel wieder auf und hob das Schwert, während er Glimmer unsanft beiseiteschob. Wenig später gingen die beiden mit erhobenen Schwertern auf einander los, Schnee stob auf und Glimmer stürzte sich ihrerseits lieber auf Miles Partnerin, ein bleiches Mädchen, dass sie mit einigen halbherzigen Schlägen beschäftigte. Die Jungen dagegen wälzten sich förmlich durch den Schnee. Doch schon nach wenigen Minuten lösten sie sich voneinander, Marvel mit einem leicht blutigen Kratzer über der Wange und Miles augenscheinlich unverletzt, der geschickt um Marvel rumlief, den Zettel einfach abriss und dann, ohne Rücksicht auf seine Partnerin, in den Wald flüchtete, woraufhin diese ihm ebenso schnell folgte. „Na super“, sagte Glimmer und musterte Marvel, der auf seinem Hosenboden mitten hier im Wald saß, die Wangen vom Holzschwert zerkratzt und Schnee in seinen braunen Haaren, die wild vom Kopf abstanden, noch mehr als vorhin schon. Auf seine Art sah er lustig aus, so in diesem Moment. „Schwächlinge werden ja eigentlich in der Arena gegrillt“, meinte sie, leicht amüsiert und richtete spielerisch ihr Schwert auf ihn, doch er grinste nur. „Dann habe ich ja unheimliches Glück“, scherzte er, doch blieb sitzen. „Na komm schon, steh auf, wir müssen es vor den beiden schaffen“, forderte sie, doch noch immer blieb er sitzen und blickte sie provozierend an. Frech fragte er: „Wieso?“ Aber Glimmer nahm bereits Schnee in die Hand, formte einen harten Ball und warf ihn nach Marvel, während sie rief: „Weil du ein Trottel bist und wir es ihnen zeigen müssen!“ Mit gespielt weinerlicher Stimme antwortete er: „Nicht, ich bin doch nur ein armer, dummer Trottel.“ Nun lachte auch Glimmer ein wenig, als sie erwiderte: „Das stimmt, aber wir sind trotzdem besser.“ Marvel wischte sich den Schnee aus dem Gesicht, wo ihr Ball ihn getroffen hatte und musterte sie wieder ernster. „Wir können nicht immer mit unseren Leistungen glänzen. Ich bin auch nur so ein Trottel, weil ich nicht immer erster werde. Aber das macht nichts. Überhaupt nichts.“ Doch Glimmer wandte sich bereits wieder von ihm ab und lachte leise auf. „Dann lass uns tolle zweite werden.“ Gemeinsam gingen sie durch den Wald, da sie sich überlegt hatte, dass der Teil des Waldes, der an den großen Zaun grenzte, der den Distrikt von der gefährlichen Umwelt trennte, gemeint sein könnte, da dort ein Ausgang aus dem Wald war und gleichzeitig ein Eingang – je nachdem, auf welcher Seite man stand. Tatsächlich hörten sie kurz vor ihrem Ziel bereits einige Stimmen, Stimmen von anderen angehenden Tributen. „Sieht so aus, als würden wir auch nicht mehr zweite werden“, attestierte Glimmer, doch Marvel lächelte nur. Völlig überraschend legte er die Arme um sie und flüsterte in ihr Ohr: „Wir können ja nicht immer glänzen.“ Dann zog er seine Arme wieder zurück und grinste sie an. „Außerdem siehst du entzückend aus, so eingeschneit. Wie eine Eisprinzessin.“ Mit diesen Worten lief er lachend zum Zielpunkt und ließ sie einfach alleine stehen. Trottel, dachte Glimmer. ~ Später war es so weit, die Festlichkeiten zum Jahresabschluss standen an. Zufrieden drehte Glimmer sich vor dem Spiegel um ihr zartrosafarbenes Kleid zu begutachten, dass sie extra für diesen Anlass erhalten hatte. Ganz wunderbar flog der Saum um ihre Knöchel und sie lächelte, während sie alles noch einmal zu Recht zupfte und schließlich ihr Zimmer verließ. Ihre Eltern und Verwandten warteten bereits und sobald sie am Ende der Treppe erschien, hörte sie, wie sie begeistert klatschten. „Unsere schöne Glimmer!“, riefen ihre Eltern freudig und ein klein wenig errötete sie. Heute Abend würde sie glänzen! Mit diesem Gedanken betrat sie auch den Ballsaal, der sich im Rathaus des ersten Distriktes befand. Alle drehten sich um, als sie erschien und endlich fühlte sie sich wieder in ihrem Element, denn das war ihr Weihnachten, auch wenn es anders als geplant begonnen hatte. Auch Marvel war da, jetzt in einem Anzug. Er prostete ihr aus einer Ecke zu und seine Mundwinkel hoben sich leicht. Für einen Moment blickte sie ihn an und dachte an seine Worte aus dem Wald. Dass sie nicht immer glänzen könne. Sie biss sich in die Wange, doch dann lächelte sie zaghaft zurück. Heute war Weihnachten und deshalb würden sie alle ein wenig glänzen, dachte sie sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)