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Wintersterne

Ein Panem Adventskalender
von

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Winterfest


 

6. Dezember – Winterfest
 

Primrose Everdeen
 

Katniss Everdeen
 

*
 

 

Leise rieselten die dicken, weißen Schneeflocken dem Boden entgegen und ließen alles Grün unter einer dicken, weichen Decke versinken. Am Horizont dahinter ging langsam die Sonne auf, müde kämpften sich ihre ersten Strahlen durch die Wolkenschichten.

Prim dagegen war keinesfalls noch müde, denn sie wartete bereits seit Stunden auf die Dämmerung. Ihre Steppdecke um die Schultern geschlungen saß sie an ihrem Fenster, beobachtete den Tanz des Schnees und dachte daran, wie schön dieses Jahr alles werden würde. Aufgeregt beobachtete sie jetzt, das Gesicht an die kühle Scheibe gedrückt, wie das Licht langsam auf den frisch gefallenen Schnee fiel und dieser unter dem frischen Licht anfing zu glitzern und strahlen. Mit einem Lächeln ließ Prim sich vom Bett rutschen und schlüpfte in ihre Winterstiefel, die sie bereits vorsorglich vor dem Bett postiert hatte und zog sich ebenso rasch ihre bereitliegende Jacke über.

Ohne sich die Haare zu machen oder sich umzuziehen, nur mit dem Pyjama und in Stiefeln und Jacke lief sie durch das große, stille Haus nach unten, in die im Dunkeln liegende Wohnstube, durch den engen Flur zur Tür.

Einen Moment lang hielt das junge Mädchen mit dem wuscheligen, blonden Haar inne, behielt den Moment der Vorfreude noch ein wenig für sich, dann hielt sie es nicht mehr aus und riss als wohl erste im gesamten Distrikt zwölf die Tür auf. Feinsäuberlich aufgereiht standen dort die Schuhe der Familie Everdeen unter dem Vordach, ein klein wenig von Schnee bedeckt. Lächelnd hüpfte die Jüngste die Treppenstufen zum Haus hinab und beugte sich zu ihren natürlich frisch gewachsten Schuhen hinab.

Nur einen Moment später fing ihr Gesicht an zu leuchten, als sie die Gaben in ihrem prallgefüllten, linken Stiefel entdeckte. Freudig ergriff sie diesen Stiefel und trug ihn ins Innere des Hauses, das sie mit ihrer Mutter und Schwester bewohnte. Energisch schüttelte sie den Inhalt des Stiefels in der Küche auf den Küchentisch. Frische Mandarinen fielen heraus, zwei kleine Äpfel und sogar ein Tütchen mit Lebkuchenstücken und Schokoladenbruch!

Von der winterlichen Weihnachtsvorfreude ergriffen schob Prim sich eines der Schokostücken in den Mund und fühlte sich wie im Himmel, oder zumindest dem Paradies auf Erden. Sie wusste, dass sie all dies nur Katniss zu verdanken hatte – hätte ihre Schwester nicht die Hungerspiele in diesem Jahr gewonnen, dann würde auch Prim jetzt nicht in diesem großen Haus wohnen und sich über Schokolade und Lebkuchen am Nikolaus freuen. Doch jetzt war alles gut, daran glaubte Prim. Dieses Jahr würde fröhlich zu Ende gehen, mit dem ersten richtigen Weihnachtsfest seit Jahren und darauf freute sich die Zwölfjährige wie eine Schneekönigin.

Erst ein verräterisches Knacken der Holztreppe unterbrach Prims seligen Tagtraum.

„Guten Morgen“, gähnte Katniss verwundert, als ihre kleine Schwester sie am frühen Morgen bereits in der Küche erwartete.  

Voller Freude hob Prim ihre Ausbeute in die Höhe:

„Es ist Nikolaustag, Katniss! Wie kannst du das vergessen?“

Lachend schlurfte Katniss an ihr vorbei in die Küche, wo sie ein kleines Feuer auf dem Herd entfachte, um sich und Prim ein warmes Getränk zu machen.

„Natürlich vergesse ich so etwas nicht“, erklärte sie, „ich habe nur nicht gedacht, dass du so früh aus den Federn kommst!“

„Heeey!“, empörte Prim sich, „Du unterschätzt mich!“

Immer noch lächelnd setzte Katniss den Topf mit Wasser auf, während Prim ihre Nikolausüberraschung in eine Schüssel legte und diese auf den Esstisch stellte.

„Willst du nicht gucken, ob du auch etwas in deinem Stiefel hast?“, fragte Prim sie fröhlich.

Mit einem milden Lächeln entgegnete Katniss:

„Ach, ich glaube, dass der Nikolaus eher kleinen Enten wie dir etwas bringt.“

Kritisch zog Prim die Augenbrauen zusammen.

„Katniss, ich weiß, dass es keinen Nikolaus gibt. Außerdem… habe ich da so ein gutes Gefühl!“

„Na, wenn du das sagst, kleine Wahrsagerin“, erwiderte Katniss und hängte einige Teebeutel in das mittlerweile kochende Wasser, „dann muss ich ja mal nachschauen.“

Mit diesen Worten schlüpfte Katniss in ihre dick gefütterten Stiefel und ging hinaus in die eisige Kälte des Morgens. Tatsächlich, als die Siebzehnjährige in ihren Schuh spähte erkannte sie dieselben Überraschung wie in Prims Schuh, sowie einen kleinen Engel aus Nussschalen.

Überrascht nahm sie die selbstgebastelte Winterdekoration in ihre Hände und sah sich dann nach Prim um, die sich in den Türrahmen drückte.

„Ich kann auch Nikolaus sein“, entgegnete diese zufrieden, woraufhin sie von Katniss stürmisch umarmt wurde.

„Ach Prim, vielen Dank“, freute sie sich.

Mit zarter Rötung im Gesicht erklärte Prim, dass sie sich wünsche, dass Katniss ihr Zimmer auch ein wenig weihnachtlicher machen solle.

„Dann lass uns den Engel doch gemeinsam aufhängen gehen!“

Begeistert nickte Prim:

„Ich finde, er würde sich wunderbar an deinem Fenster machen, dann würdest du ihn jeden Morgen sehen, sobald du aufstehst! Vielleicht hättest du dann ja weihnachtlichere Stimmung.“

Einen Moment lang überlegte ihre große Schwester, dann nickte sie und zog sich mit dem Stiefel in der einen, dem Engel in der anderen zurück in das wärmere Haus, um sogleich Prims Nikolausüberraschung aufhängen zu gehen.

Schließlich saßen sie gemeinsam am Esstisch, Mandarinenschnitzchen essend und jeder eine Tasse warmen Apfeltees vor sich stehend.

Vorsichtig am heißen Tee nippend sagte Katniss:

„Ich habe auch noch etwas für dich, Prim.“

Neugierig weiteten sich Prims Augen.

„Was denn?“, fragte die Kleine, doch die Größere schüttelte nur den Kopf und grinste leicht.

„Das erzähle ich dir doch jetzt noch nicht! Zieh die lieber deine Wintersachen an, es geht hinaus.“

So kam es, dass Prim wenig später in kompletter Winterkleidung im Flur stand, bis hin zur großen Pudelmütze auf dem Kopf warm eingepackt.

Katniss dagegen trug dieselben ausgetretenen Stiefel wie immer, nicht die modernen Schuhe des Kapitols, die Cinna ihr hatte schicken lassen.

„Bereit?“, fragte sie ihre kleine Schwester und diese nickte aufgeregt, denn sie fragte sich, was für eine Überraschung ihre Schwester für sie bereithielt. Katniss hatte sicherlich keinen Ausflug zur Bäckerei geplant, um dort eine Weihnachtstorte zu bestellen, auch wenn Prim das schon sehr gefreut hätte.

Gemeinsam wagten sie sich an diesem frühen Morgen des Nikolaustages also hinaus in das weiße Schneewunderland vor ihrer Haustüre.

Mittlerweile fielen nur noch vereinzelte Schneeflocken von dem Himmel und das Morgenrot verblasste immer mehr, der Morgen erweckte langsam zum Leben. Katniss marschierte jedoch immer weiter, vorbei an der großen festlich geschmückten Tanne auf dem Platz vor dem Rathaus, durch das Viertel mit den kleinen Läden, immer weiterhinein in den Saum, ihrem ehemaligen Zuhause entgegen. Es war noch nicht lange her, dass Prim und Katniss hier gelebt hatten, und doch erschien dieser Ort Prim bereits wie ein ganz anderer. Mit großen Augen musterte sie die Häuser der Menschen, die sie eigentlich so gut kannte, wie sie unter der Schneedecke versanken und ihre spärliche Winterdekoration, die größtenteils aus Tannenzweigen bestand, die mit roten Bändern in Kränze geflochten waren. Prim liebte ihr altes Zuhause noch immer, auch wenn das Kapitol ihnen so viele Annehmlichkeiten versprach. Es würde einfach nie dasselbe sein wie ihr Leben vor den Hungerspielen.

Auch an ihrem alten Haus kamen sie vorbei, dass durch die fehlenden Bewohner ganz ausgekühlt war. Nur Katniss kam regelmäßig hierher, um die Winterjacke aus Kapitolstoffen gegen die alte Lederjacke ihres Vaters einzutauschen, die sie so liebte, so wie auch jetzt. Unschlüssig stand Prim derweil in der ehemaligen Küche, die nun leer geräumt war, da alles, was sie hatten nun in dem neuen Haus wartete. Doch das alte Leben, das Leben vor den Hungerspielen, konnte Prim noch immer in dem alten Gemäuer spüren und sie fühlte sich glücklich an die vergangenen Nikolausfeste erinnert, bis zurück zu denen, die sie gemeinsam mit ihrem Vater gefeiert hatten. Doch ihr eigentliches Ziel lag auch nicht hier in ihrem alten Zuhause, sondern noch weiter weg, denn Katniss steuerte auf den Elektrozaun zu, der den Distrikt von der unberührten Winterpracht der Wälder trennte, die sich unendlich in die Ferne erstreckten. Geschickt spähte Katniss aus, ob sich irgendein Friedenswächter so früh des Morgens hierher verirrt hatte, dann überquerte sie vorsichtig mit Prim an der Hand das Feld vor dem Zaun.

„Prim, wie du sicherlich weißt bin ich früher jeden Winter mit unserem Vater in den Wäldern gewesen. Nun wollte ich diese Tradition fortführen… wenn du willst.“

Überrascht blickte das kleine, blondhaarige Mädchen ihre Schwester an.

„Wirklich? Ich darf in die Wälder?“

Katniss lächelte, als sie die angenehme Überraschung Prims sah.

„Ja, aber nur, weil ich gut auf dich aufpassen werde. Die Wälder sind nicht ungefährlich und du musst versprechen, dich nie von mir zu entfernen!“

Sprachlos nickte Prim.

„Also los!“, rief Katniss und hob völlig furchtlos einen lockeren Teil des Zaunes hoch, sodass der Schnee von ihm herab rieselte. Es war tatsächlich so, wie immer beschrieben wurde, der Zaun führte nicht ein bisschen Strom. Eilig krabbelte Prim mit klopfendem Herzen unter dem Zaun durch, Katniss folgte ihr.

Mit traumwandlerischer Sicherheit lief Katniss auf eine Buche zu, griff in ein Astloch und zog wenig später einen Bogen mitsamt Pfeilköcher hervor.

Aufgeregt spürte Prim, wie ihr Herz einen Satz machte. Sie hatte Katniss noch nie in den Wäldern jagen gehen sehen, nur mit dem Pfeil und Bogen in der Arena und dies war doch etwas völlig anderes.

„Wenn du willst kann ich dir eines Tages einmal beibringen, wie man einen Bogen herstellt“, erklärte Katniss, während sie den Bogen in ihren Händen drehte, „man weiß nie, wann man es gebrauchen kann.“

Prim blickte zu Boden.

„Du weißt doch, dass ich so etwas nicht kann…“

Katniss jedoch lachte nur.

„Du weißt es nur noch nicht, kleine Ente“, entgegnete sie und nahm Prim an die Hand.

„Jeden Dezember bin ich mit Vater dem Pfad der Rentiere gefolgt. Sie ziehen durch die Wälder und wann immer wir eines getroffen haben, hatten wir großes Glück. Es sind äußerst scheue Tiere und man darf nicht allzu viel Lärm machen. Vielleicht haben wir ja heute Glück.“

Leise nickte Prim und fasste die Hand ihrer Schwester fester. Es war ganz schon dunkel hier im Wald, aber auch schön. Alles war von unberührtem Schnee bedeckt und sie fühlte sich, als sei sie von lauter Weihnachtsbäumen umgeben.

Eine Weile lang liefen sie stumm nebeneinander durch die stillen Wälder, ohne auch nur einem einzigen Tier zu begegnen. Dennoch war jede Minute aufregend für Prim, denn sie dachte immer daran, was alles passieren könne. Jeder Ast der unter ihren Schuhen brach erschien ihr, als würde er sie verraten.

„Psst“, flüsterte Katniss in diesem Moment und stoppte abrupt ab.

„Da vorne!“

Angestrengt kniff Prim die Augen zusammen und tatsächlich, da zwischen den Bäumen stand ein Rehkitz, seinen Kopf in die kalte Luft erhoben, die Witterung aufnehmend. Mit eleganten Schritten ging es durch den Wald, immer wachsam. Bewundernd schaute Prim dem Tier zu.

„Bitte töte es nicht, Katniss“, bat sie weinerlich, denn sie hatte Angst, dass ihre Schwester das Tier erlegen wolle, doch diese schüttelte nur den Kopf.

„Natürlich nicht. Ich wollte es dir nur zeigen. Pfeil und Bogen brauche ich zur Verteidigung.“

Glücklich lächelte Prim.

„Danke, das ist wunderschön.“

Mit großen Augen beobachtete sie, wie das Reh mit großen Sprüngen zwischen den Bäumen verschwand.

„Komm mit, einen letzten Ort gibt es noch“, erklärte Katniss und führte sie auf eine Lichtung.

„Hier haben Vater und ich immer Rast gemacht.“

Mit diesen Worten wischte sie Schnee von einem großen Steinbock und ließ sich auf die kühle Oberfläche gleitend, einladend neben sich klopfend, also ließ Prim sich neben sie fallen.

Katniss reichte ihr eine Flasche mit noch lauwarmen Tee und ein Stück Lebkuchen aus der Vorratskammer.

„Mit dem Unterschied, dass wir keinen warmen Tee hatten“, murmelte Katniss.

„Ich möchte, dass du verstehst, dass wir nicht alles vom Kapitol nehmen sollten“, erläuterte sie.

„Wir können auch für uns selber sorgen, okay?“

Prim nickte und lächelte.

„Ja.“

Schweigend blickten sie auf die weiße Wunderlandschaft, die sie umgab.

„Das hier ist besser als das Kapitol.“

Katniss lächelte schweigend und kramte in ihrer großen Tasche herum, ehe sie ein kleines Päckchen hervorzauberte.

„Alles Frohe zum Nikolaustag“, scherzte sie.

Prim drückte glücklich das Päckchen an die Brust und gab ihrer Schwester ein Küsschen auf die Wange.



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