Wintersterne von Coronet (Ein Panem Adventskalender) ================================================================================ Kapitel 4: Winterblüten ----------------------- 4.      Dezember – Winterblüten Annie Cresta Finnick Odair   *   Sie war die Einzige, die den ganzen Tag schon dort saß und wartete. Während alle um sie herum in Bewegung waren und kamen und gingen, saß sie da, seit dem frühen Morgen, wie all die Tage zuvor und wartete. Was sonst hätte sie mit ihrer Zeit auch tun sollen? In dem großen leeren Haus kamen nur wieder die Geister der Vergangenheit zu ihr, die nie ganz besiegt waren. Vielleicht eines Tages, doch nicht jetzt. Also wartete sie, egal wie kalt es war, egal wie viel Schnee fiel. Jeden Tag seit er weg war saß Annie Cresta an der kleinen verschneiten Bahnhofsstation, den gleichen weißen Mantel an, weil er ihn ihr geschenkt hatte. Ihre Hände waren rau und gesprungen von der vielen Kälte und doch hielt sie immer noch ihr Geschenk für ihn in den Händen, unermüdlich, Tag für Tag. Es störte sie nicht, dass sie nie genau wusste, wann er zurückkommen würde, denn das erhöhte die Vorfreude nur, bis er endlich da war – meistens völlig überraschend. Annie sagte sich einfach immer, dass sie wenigstens etwas hatte, für das es sich lohnte zu warten. Wieder fuhr ein Zug in den Bahnhof ein, eine rot-schwarz glänzende Lok des Kapitols, mit dem unmissverständlichen Siegel der Hauptstadt. Die Anspannung des dunkelhaarigen Mädchens erhöhte sich kaum merklich, erwartungsfreudige Röte glitt in ihre Wangen und sie wartete. Unendlich langsam kam der Zug zum Halt, ein quietschendes Geräusch ertönte und er stand. In Annies Brust schlug ihr Herz immer stärker, denn es war kein Frachtenzug, sondern tatsächlich einer der selteneren Fahrgastzüge, die zumeist Besucher wie Betreuer aus dem Kapitol brachten. Nervös befeuchtete sie ihre Lippen, als sich die Türen öffneten und erhob sich, einfach nur… falls er aussteigen würde. Selbst wenn es närrisch war, das immer und immer wieder zu glauben. Zuerst stieg ein Kamerateam aus, das umständlich mit den vielen Taschen und Koffern hantierte, die sie zu transportieren hatten. Bestimmt wollten sie wieder die Sieger beim Weihnachtsbankett filmen. Annie schluckte, denn dies war einer der wenigen Tage, an denen ihr wieder mit aller Eindringlichkeit klar wurde, dass sie für immer die Siegerin bleiben würde, die große Mörderin ihrer Spiele. Schon jetzt fürchtete sie sich vor diesem Tag. Unruhig betrachtete sie die Frau mit den rosafarbenen Haaren, die Zuckerstangen als Ohrringe trug. Etwas Geschmacksloseres konnte sich Annie nun wirklich nicht vorstellen. Sie dachte nur daran, dass sie nicht von ihnen entdeckt werden wollte. Bloß kein Aufsehen erregen, das waren ihre Maxime. Wie Elefanten auf dünnem Eis wankten die schrillen Vögel jetzt zum Ausgang des Bahnhofes. Vergnügt kicherte Annie über die Unbeholfenheit der Gruppe. Mitunter konnten einem die hilflosen Wesen schon leidtun. Ein Ruf durchbrach die weihnachtliche Stille des kleinen Bahnhofes. „Annie!“ Überrascht wirbelte das zierliche Mädchen herum und da war er: Finnick Odair. Er stürmte aus dem Waggon, rannte auf sie zu, während Schnee sich in seinen Haaren verfing. Noch ehe sie einen Schritt tun konnte, hatte er sie bereits erreicht, seine Taschen fielen einfach zu Boden und den letzten Schritt tat er behutsam an sie heran. „Annie“, flüsterte er noch einmal und drückte sie atemlos an sich. Ein glückliches Lächeln stahl sich auf ihr rosiges Gesicht. Am Ende würde sie immer Recht behalten, dachte sie bei sich. „Oh Fin!“, flüsterte sie und drückte ihr Gesicht an seine warme Brust. Wie immer haftete noch ein wenig des flüchtigen Geruches des Kapitols an ihm, doch Annie hatte gelernt, damit umzugehen. Sanft strich er ihr über die Haare und blickte sie dann strahlend an, seine blau-grünen Augen leuchteten förmlich und die wild abstehenden Haare in die weiche Schneeflocken gerieselt waren ließen ihn jünger und unbeschwert wirken. Annie spürte, wie sich ein Glücksgefühl in ihr ausbreitete und sie lächelte, während ihr kleine Tränen in die Augen stiegen – vor Freude. Peinlich berührt errötete sie und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Ich freu mich so“, schniefte sie. Finnick lächelte, sein echtes und warmes Lachen, nicht das, welches er für das Kapitol aufsetzte. Er lächelte sie wirklich glücklich an und nahm sie in die Arme, um sie zu küssen. Innig umarmten sie sich einen Moment lang und genossen ihre Einsamkeit an dem abgeschiedenen Bahnhof, während weiße Flocken auf sie herab fielen und sie langsam durchnässten. Schließlich löste er sich zaghaft von ihr und warf ihr seinen Schal über die Schultern. „Himmel, Annie, du bist völlig ausgekühlt! Ich will gar nicht wissen, wie lange du hier schon wartest…“, bemerkte er besorgt. „Lange genug, um rechtzeitig da zu sein“, entgegnete Annie verschmitzt und wickelte sich enger in den wunderbar warmen Schal ein, der so vertraut roch. Ein klein wenig nervös nestelte sie die Schleife an ihrem kleinen Geschenk zu Recht und sagte dann zögernd: „Ich habe ein Geschenk für dich, Fin.“ Neugierig blickte er sie an, während sie ein wenig schüchtern die Schachtel in ihren Händen zeigte. „Es ist nichts Besonderes“, hob sie an, doch Finnick legte ihr einen Finger auf den Mund und nahm die Schachtel grinsend an sich. „Wenn es von dir kommt, dann ist es etwas Besonderes“, sagte er bestimmt und zog vorsichtig die rote Schleife auseinander. Zwischen zartem Seidenpapier eingewickelt lag eine Muschel in rosiger Färbung, die fein gedreht war und allgemein sehr zerbrechlich aussah. „Du magst diese Art von Muscheln doch so sehr und zuhause sah es so leer aus und ich dachte… du magst vielleicht ein Andenken an den Sommer und das Meer haben“, erklärte sie, den Blick auf den Boden gerichtet. Vorsichtig hob Finnick die Muschel aus ihrer Schale und drehte sie in den Händen. Sie war wirklich wunderhübsch und recht groß für eine derartige Muschel. Doch die größte Überraschung waren die feinen Daten eines Tages, der beiden für immer in Erinnerung bleiben würde, die in die Innenseite der Muschel geschrieben worden waren, ganz fein, nur die oberste Schicht war beschädigt worden, sodass die Schrift weiß im Gegensatz zu dem rosafarbenen Inneren des Muschelgehäuses war. Ein Leuchten erhellte seine Augen und er hob zaghaft Annies Kinn an. „Ich liebe dich.“ Er küsste sie liebevoll. „Du bist die wunderbarste Frau auf Erden.“ Sie lächelte. „Es freut mich, wenn sie dir gefällt.“ Mit der einen Hand hob der ehemalige Sieger sein Gepäck hoch, mit dem anderen umarmte er seine geliebte Annie und er flüsterte amüsiert: „Wie könnte mir etwas von dir nicht gefallen?“ Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück in den Distrikt, zu ihren Häusern im Siegerdistrikt, doch heute würden sie zum ersten Mal seit langer Zeit nicht mehr alleine sein, sondern endlich wieder vereint. Selten nur kam es vor, dass Distrikt vier unter einer Schneedecke versank, doch dieses Jahr war eines dieser Jahre. Alle Häuser im Siegerdistrikt trugen weiße Mützen und Festtagsgirlanden hingen von Haus zu Haus. Ihre Bewohner feierten gerne und nahmen jeden Festtag als willkommenen Anlass, sich von ihrem bisherigen Leben abzulenken und auch Finnick bildete dort keine Ausnahme. Eine einzelne Lichterkette zierte sein Haus, das einzige Eingeständnis an das Kapitol. Jetzt, wo er so in der langsam heraufziehenden Dämmerung mit Annie zu seinem Haus ging, fühlte es sich friedlich an, als wären sie ein Ehepaar, dass von einem langen Ausflug zurückkam in die Geborgenheit des eigenen Heimes, und zumindest für den Moment genoss er die Illusion. Kaum, dass Finnick die Haustüre aufgeschlossen hatte, überwältigte ihn der Duft frischer Plätzchen und eine unerwartete Wärme schlug ihm entgegen. Mit einem schrillen Maunzen schoss sein Kater Sam in Rekordtempo an ihm vorbei in den Wohnraum. Mit einem Seufzen zog Finnick die Tür hinter sich und Annie zu. Er war wieder daheim. Agatha, seine Haushaltshilfe hatte vermutlich wieder einmal den armen Sam ausgesperrt, aber dafür warteten dem Geruch nach sicherlich Zimtsterne in der Küche. Annie grinste, während sie sich aus ihrem Mantel schälte und bemerkte: „Die gute Agatha wird es nie lernen oder? Sam hat sich bestimmt draußen bei dem ganzen Schnee die Pfoten erfroren!“ „Ach, der ist hart im Nehmen, ein wahrer Odair-Kater“, lachte Finnick. Hungrig grummelte schließlich sein Magen und der Bronzehaarige schlich sich in die Küche, wo auf der Anrichte bereits ein großer Teller voll von Agathas Köstlichkeiten wartete. Flinke schnappte er sich einen der Zimtsterne und schob ihn sich in den Mund. Himmlisch! Mit vollem Mund kehrte er so zu Annie zurück, die es sich bereits auf dem Sofa bequem gemacht hatte, den Teller in einer Hand balancierend, mit der anderen verscheuchte er Sam, den ungezogenen Kater, von der Couch. „Du sollst doch nicht naschen!“, rief Annie empört. Finnick zog nur eine Augenbraue hoch und nuschelte mit vollem Mund: „Isch konnt nisch widerstehen.“ Mit diesen Worten drückte er ihr den Teller in die Hand und lief in den Hausflur zurück, wühlte in einer seiner Taschen und kam dann mit einem verschlagenen Grinsen auf dem Gesicht zurück. „Ich habe auch ein Geschenk für dich.“ Überrascht blickte Annie ihn an. „Mehr als das, das du zurück bist?“ Er nickte, während er ihr schweigend einen in Blumenpapier eingewickelten Gegenstand überreichte. Verwirrt machte Annie sich daran, dass mysteriöse Geschenk auszuwickeln. Langsam kam zwischen den roten Schichten des teuren Papiers ein dunkler Ast zum Vorschein. Noch verwirrter blickte sie Finnick an. „Das ist der Zweig eines Kirschbaumes“, erklärte dieser. Da er bereits das Fragezeichen in Annies Gesicht sehen konnte führte er weiter aus: „Er ist Teil eines Brauches. Am vierten Tage des Dezembers stellte man sie schon früher in eine Vase mit Wasser, damit sie, so die Erzählungen, am heiligen Abend erblühten, denn dies soll Glück verheißen. Ich weiß, du magst zwar kaum Dinge, die aus dem Kapitol kommen, doch ich dachte, dir könnte dieser Brauch gefallen. Man hat mir versichert, dass er ganz wunderschöne Blüten haben würde.“ Mit großen Augen musterte Annie währenddessen den unscheinbaren Zweig. „Das ist ein wunderschöner Brauch“, flüsterte sie, „ich gehe kurz eine Vase holen“, fügte sie hinzu. „Aber es gibt noch etwas!“, rief Finnick ihr hinterher, während sie in Richtung Küche verschwand. „Alle unverheirateten Mädchen sollten den Namen ihres Geliebten in den Stamm einritzen, und wenn dieser Zweig erblüht, dann wird ihnen eine Heirat gewiss sein!“ Er hörte, wie sie in der Küche leise lachte. „Ich brauche deinen Namen nicht in den Zweig einritzen, denn schließlich soll er uns beiden Glück bringen. Noch kann man sich selbst nicht heiraten.“, erwiderte sie. Nun lachte er ebenfalls und machte sich daran, ein Feuer in seinem Kamin anzufachen. Wie Recht sie doch hatte. Alles, was sie brauchten, war ein wenig gemeinsames Glück. Er war sich bewusst, wie aussichtslos es um eine Heirat stand, doch solange sie hier zusammen sein konnten, würden sie glücklich sein. Draußen rieselte leise der Schnee weiter, während Annie den Zweig in seiner Vase auf das Fensterbrett stellte und ihn mit einem Lächeln begutachtete. Es wäre wunderbar, wenn sie auch im nächsten Jahr wieder an dem Bahnhof sitzen und auf Finnick warten könne. Dieser schlang von hinten seine Arme um sie und küsste sie zart. Auch er würde sich freuen, wenn er nächstes Jahr wieder in einem Zug daheim sitzen und wissen würde, dass sie ihn erwartete. Vielleicht würden diese Blüten des Winters ihnen ja den Segen geben.   Anmerkung: Den Brauch, der hier beschrieben wird, gibt es wirklich. Am vierten Dezember, dem sogenannten Barbaratag stellte man schon früher Obstzweige in eine Vase, damit diese an Heiligabend blühten um Glück zu bringen. Vor allem in den osteuropäischen Ländern ist dieser Brauch verbreitet, bis hin nach Bayern. Benannt ist der Tag nach der heiligen Barbara von Nikomedien, die vermutlich im dritten Jahrhundert lebte und auf deren Grabe an Heiligabend der Legende nach Blumen gewachsen sein sollen, daher eventuell der Brauch. Ich hoffe wie immer, dass euch der OS gefallen hat und entschuldige mich für die späte Uhrzeit, aber mit der Schule und sonstigen Verpflichtungen ist es nicht immer leicht, den OS so früh wie am Wochenende hochzuladen ;) Liebe Grüße, eure Coronet Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)