Zuckerschnecke von Niekas ================================================================================ Kapitel 3: Geht's auch noch mal raus hier? ------------------------------------------ Noch eine Tür in der Klamottenabteilung Es war ein seltsames Gefühl, eine stillstehende Rolltreppe hinauf zu steigen – Matthew hatte mehr denn je das Gefühl, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, ohne, dass es seine Schuld war. Zu seinem Bedauern gelang es ihm nicht, im höheren Stockwerk ebenfalls einen Lichtschalter zu finden. Kaum hatte er Natalia und den nun beleuchteten Raum hinter (oder unter) sich gelassen, hatte er die soeben erhaltene Taschenlampe bitter nötig. Ein bisschen unwohl war ihm schon, als er den dünnen Lichtstrahl zögerlich über den Boden wandern ließ. Wann immer ein Hindernis ans Licht kam, zuckte er zusammen – dabei war es immer nur ein Ständer mit Hüten oder eine Zwischenwand mit Kleiderhaken. „Wovor hast du Angst, Kleiner? Es ist gar nicht so einsam, wie ich zuerst dachte. Vielleicht laufen hier ja noch mehr drollige Kollegen von dir herum, sodass... hey! Was ist zum Beispiel mit dem da vorne?“ Einige Meter vor ihnen leuchtete ein trübes, grünes Licht, das vermutlich einen Notausgang kennzeichnete. Vor dem Licht sah Matthew im Bruchteil einer Sekunde eine Gestalt vorbei huschen. Sie schien es eilig zu haben, denn sie verschwand sofort wieder im Dunkeln. Die stabile Statur, der selbstsichere Gang und die bizarr abstehende Haarsträhne in den Stirn kamen Matthew nur allzu bekannt vor. War das etwa Alfred? „Frag mich nicht“, knurrte Matt. „Ich kenne keinen Alfred. Glaube ich. Das heißt, vielleicht kenne ich ihn, aber ich kann mir scheiße-schlecht Namen merken, von daher...“ „Ich glaube, es war Alfred.“ Matthew biss sich auf die Lippe. Er versuchte, mit der Taschenlampe die Dunkelheit zu durchdringen, aber der schwache Strahl reichte nicht weit genug. „Du meinst, du hast ihn in dieser Dunkelheit erkannt?“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich eher... gespürt, dass er es war. Aber vielleicht auch nicht.“ „Kannst du dich mal entscheiden? Das ist ja furchtbar mit dir!“ Matthew wurde rot. „Ich habe dich nicht gebeten, in meinen Gedanken aufzutauchen! Wenn ich dir zu anstrengend bin, such dir gefälligst jemand anderen!“ „Hallo?“ Er fuhr zusammen und umklammerte die Taschenlampe. „Ist da jemand?“, rief eine Stimme, die Matthew zu kennen glaubte. Er hörte, wie sich Schritte näherten, und überlegte, ob er das Licht besser ausschalten sollte. „Bringt jetzt auch nichts mehr. Sie kommen hier herüber.“ „Sie?“ „Das sind zwei Paar Schritte.“ „Bela?“, rief eine andere Stimme als die erste, weich und zittrig. „Bist du das?“ Bevor Matthew noch etwas sagen konnte, traten zwei Gestalten in das Licht der Lampe. Ivan blinzelte und hob die Hand vor die Augen. Mit der anderen hielt er die von Yekaterina fest, die noch verstörter wirkte als er. „Wer bist du? Würdest du mir bitte nicht direkt ins Gesicht leuchten? Das ist unhöflich.“ „Verzeihung!“, sagte Matthew hastig und senkte die Taschenlampe auf den Boden. Sich mit Ivan anzulegen, war sicher eine schlechte Idee. „Wie nett, dich hier zu treffen.“ Ivan lächelte ihn an. Vermutlich erinnerte er sich nicht an Matthews Namen, war aber höflich genug, um es sich nicht anmerken zu lassen. „Und wie gut, dass du Licht hast. Wir haben uns bei diesem Stromausfall ganz schön erschreckt, nicht wahr, Katyusha?“ „Wo ist Bela?“, fragte Yekaterina, die Matthew mit großen Augen ansah. „Sie war ein Stück von uns entfernt, als plötzlich das Licht ausgegangen ist, und nun können wir sie nicht mehr finden!“ „Ich habe sie gesehen.“ Matthew lächelte schief und deutete auf die Rolltreppe. „Sie ist unten und sucht ganz gelassen nach Kleidern. Es geht ihr ausgezeichnet.“ „Wirklich? Gott sei Dank!“ „Siehst du, Katyusha“, sagte Ivan und lächelte. „Habe ich dir nicht gesagt, Bela kann schon auf sich selbst aufpassen?“ „Seit wann hat er denn diese Einstellung?“, fragte Matt, der gelinde amüsiert klang. „Welche Einstellung?“, flüsterte Matthew. „Dass diese Natalia auf sich selbst aufpassen könnte. Er weiß doch, dass sie eine totale Heulsuse ist!“ „Ich habe dir doch schon gesagt, du musst da irgendetwas verwechseln. Natalia ist ganz sicher keine Heulsuse.“ „Aber sie war es doch, die Angst vor dem Weihnachtsmann hatte. Und daraufhin hat er hier... Ivan, ja? Daraufhin hat er einen Plan entwickelt, wie man den alten Mann zur Strecke bringen könnte. Du weißt schon, äußerlich markiert er immer den Dicken, aber in Wahrheit könnte er keiner Fliege etwas zu Leide tun...“ „Irgendetwas wirfst du hier gehörig durcheinander, Matt. Ich weiß wirklich nicht, was...“ Ein ohrenbetäubendes Krachen unterbrach ihn. Yekaterina kreischte auf und klammerte sich an Ivans Arm. „Was war das? Was ist passiert?“ „Ich weiß es nicht, Katyusha. Sicher hat nur jemand ihm Dunkeln etwas umgestoßen, oder...“ „Wo ist Bela? Geht es ihr gut?“ „Natürlich geht es ihr gut“, sagte Matthew. „Sie ist doch unten. Der Lärm kam aus einer ganz anderen Richtung, nämlich aus der, in der...“ Er brach ab. „Aus der Richtung, in die Alfred verschwunden ist. Oder derjenige, von dem du glaubst, er könnte vielleicht Alfred sein.“ „Wir müssen nach Bela sehen!“, rief Yekaterina und zerrte an Ivans Arm. „Wir müssen wissen, ob es ihr gut geht!“ „Das müssen wir“, stimmte Ivan zu. Er war ziemlich blass, wie Matthew feststellte. „Du hast gesagt, die Treppe hinunter?“ „Ja. Aber...“ Ohne ihn ausreden zu lassen, packte Ivan Yekaterinas Hand fester und zog sie mit sich zur Treppe. Verwirrt blieb Matthew stehen, die Taschenlampe in der Hand. Wenigstens konnten die beiden im Hellen suchen, dachte er. „Du machst dir vielleicht Gedanken! Willst du nicht nachsehen, was passiert ist?“ „Wieso?“, fragte Matthew schrill. „Weil Alfred etwas passiert sein könnte! Ich merke doch, dass dir mehr an ihm liegt, als du zugeben möchtest.“ „Aber...“ „Kein aber!“, sagte Matt schroff. „Du hast eine Taschenlampe und einen Hockeyschläger, das sind optimale Voraussetzungen! Und jetzt auf!“ Widerwillig setzte Matthew sich in Bewegung. „Ich weiß nicht, ob ich diese Voraussetzungen als optimal bezeichnen würde. Ich meine, ich bin allein, habe keinen Schimmer, was hier los ist, und dunkel ist es auch...“ „Vertraust du meiner Einschätzung etwa nicht?“ „Wie sollte ich denn? Deine Einschätzungen von allen, denen wir bisher begegnet sind, haben kolossal daneben gelegen.“ „Wieso? Ich habe gesagt, Ivan wird auf Natalia aufpassen. Was ist passiert?“ Matthew seufzte. „Also gut. Für dieses Mal hast du gewonnen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)