Schokoladendiebe von FreeWolf (Ein Adventskalender (2012)) ================================================================================ Kapitel 21: Sternennacht ------------------------ Sternennacht „Was machst du so spät noch hier draußen?“, Mao lehnte sich an den Rand ihres schmalen Balkons und lehnte sich nach hinten, blickte über den dürftigen Sichtschutz vorbei in Richtung ihres Nachbarn, „Kannst du nicht schlafen?“ Ihr Nachbar war gerade bloß eine dunkle Silhouette, bloß der Stummel seiner Zigarette leuchtete hin und wieder im Dunkel auf und erleuchtete seine Mundpartie und eine Strähne, welche sich wohl aus seiner Frisur gelöst hatte. Immerhin, es war Nacht. Er paffte, das erkannte sie daran, dass die Spitze der Zigarette im Dunkel aufleuchtete, ohne groß weiter abzubrennen, und Mao beobachtete den hellen, rot glühenden Punkt, während das kalte Metall des Geländers in ihren Rücken drückte und sie daran erinnerte, dass das Thermometer eigentlich Minusgrade angezeigt hatte, und sie barfuß in ihrem Schlafanzug hier draußen auf dem kalten Betonuntergrund des Balkons stand. „Ich schlafe nie“, erwiderte ihr Nachbar irgendwann, als sie ihre Frage schon beinahe vergessen hatte, und Mao schreckte aus ihrer Starre. „Ach so?“, erwiderte sie, „Avancierst du jetzt zum Vampir?“ - „Müssen Vampire nicht auch schlafen?“, kurz blitzte ein Grinsen zu ihr herüber, welches sie in gleicher Manier zurückgab. Sie verharrten im Schweigen, und Mao fühlte hin und wieder einen Schauer über ihren Rücken jagen. Kam dies von der Kälte oder begann sie bereits Blicke von anderen physisch zu fühlen? Oh je, sie hatte in letzter Zeit definitiv zu viel Zeit auf Rais Comics verwandt und nicht auf anständige Bücher.. „Was machst du dann bei Minusgraden halb nackt hier draußen?“, fragte sie schließlich, weil sie nicht mehr an diesen einen, leicht seltsamen Comic denken wollte, welchen sie sich letztens angesehen hatte. Eines war trotzdem gewiss: sie würde sich niemals wieder diese Haarreifen mit Katzenohren ansehen können. Oder Rentier-Geweihe zum Aufsetzen. Mao schauderte. „Dasselbe könnte ich dich fragen“, kam es von hinter dem Sichtschutz, und Mao streckte der brennenden Zigarettenspitze die Zunge heraus, „Willst du dem Spanner von Gegenüber das Nasenbluten seines Lebens verpassen?“ Ein leises Lachen war zu hören, und Mao erstarrte. „Wir haben einen Spanner gegenüber? Ernsthaft?“, sie gab einen erschrockenen Laut von sich und blickte sich hektisch um, überlegte zugleich, wann sie zum letzten Mal nackt durch die Wohnung spaziert war. Die Zigarettenspitze wippte in der Salve unterdrückten Gelächters, und Mao wollte nichts lieber, als ihren Nachbarn erwürgen. Obwohl sie noch nicht einmal seinen Namen kannte – dabei fanden sie sich oft in solcherlei Situationen wieder. „Sieh mal nach oben“, ertönte da plötzlich die Stimme, und Mao hob ihren Kopf, und staunte. Über ihnen funkelte die Milchstraße, wenn auch etwas abgedämmt von den Lichtern, welche von der Straße zu ihnen heraufdrangen, waren die Sterne doch klar und deutlich erkennbar. „Aber wie-?“, Mao wusste nicht, wann sie zum letzten Mal die Sterne gesehen hatte. Hier in Beijing war es eine Seltenheit, wenn überhaupt der Abendstern irgendwo zu sehen war, und sie wohnte nun seit gut zwei Jahren hier. Mao hatte beinah vergessen, wie der Nachthimmel mit Sternen aussah. Neben ihr lachte es leise. „Ich denke, das ist die Magie der längsten Nacht des Jahres“, erklärte Maos Nachbar, „Vielleicht ist es etwas dunkler als sonst, vielleicht sind auch einfach weniger Menschen auf den Straßen unterwegs. Ich liebe diese Nacht, weil sie die Sterne zum Leuchten bringt“ Mao benetzte sich die Lippen, nickte abwesend, und vergaß, dass ihr Nachbar sie durch den Sichtschutz nicht sehen konnte. Sie verharrte ruhig, staunend, und nahm sich vor, viel öfter in den Himmel zu sehen. Mao räusperte sich, hoffte, dass ihr Nachbar noch nicht wortlos verschwunden war. „Danke“, meinte sie ins Blaue, und zu ihrer Überraschung war er noch da, auch wenn der rot glimmende Punkt inzwischen verschwunden war. Mao zögerte einen Moment, ehe sie noch hinzufügte. „Wie heißt du überhaupt?“ - „Rei. Freut mich, Miss Chou“, ein Lächeln schwang in der Stimme ihres Nachbarn – Rei – mit. Mao verdrehte die Augen. „Da hat jemand das Klingelschild richtig gelesen“, erwiderte sie trocken, „Meine Freunde nennen mich Mao.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)