Bora - Stein der Winde von Scarla ================================================================================ Kapitel 12: Rise ---------------- Ein sanftes, seidiges Zischen erklang, als Sally die Bogensehne losließ. Der Pfeil traf die Mitte der Zielscheibe, während das Mädchen schon weiterging und den nächsten Pfeil von der Bogensehne schnellen ließ. Insgesamt fünf Pfeile schoss sie so ab und jeder traf sicher ins Schwarze. »Zielsicher wie eine Elbe«, kommentierte Jack. Dann wandte er sich Justin zu, er wirkte dabei, als hätte er heftige Zahnschmerzen. »Du bist dran.« Der Rotschopf seufzte, legte den Pfeil an und spannte die Sehne. Er zielte und ließ los, wusste dabei schon, dass er auch dieses Mal das Ziel nicht treffen würde. Und er behielt recht. Er war einfach kein Schütze. »Du triffst auf zehn Meter kein Scheunentor«, kommentierte Sally mit einem grinsen. »Ich habe andere Talente«, fand Justin und wusste, dass es stimmte. Bisher hatte er keine Sprache dieser Welt gehört, die er nicht verstanden hätte. Niemand wusste, woran das lag, aber es gefiel ihm. In dem Augenblick landeten Melody und Timo an ihrer Seite. Die Elbe elegant und sanft, der Chito hart und unbeholfen. Natürlich, Timo wusste noch lange nicht so gut mit seinen Flügeln umzugehen, wie die Herrin des Nordenreiches es vermochte, doch er lernte und er lernte schnell. »Wir bekommen Besuch«, erklärte Melody und trat gemessenen Schrittes an ihnen vorbei zu Jack. »Gib in der Küche bescheid und lass die Zimmer vorbereiten.« »Jawohl, Herrin«, antwortete der Elb und ging. Justin schaute ihm nach, war erleichtert, dass das Bogenschießen für diesen Tag beendet war, doch seine Neugierde war groß. »Wer kommt?«, wollte er wissen. »Ich weiß es nicht. Es waren mehrere Reiter und ihr Anführer ritt ein schwarzes Pferd.« »Meinst du, es könnte Jason sein?«, wollte Sally wissen. »Möglich, aber dann kommt er nicht alleine. Und ein Kind habe ich nicht bei ihnen gesehen, also wird Janne wohl nicht bei ihnen sein.« »Melody? Wer sind die Reiter?«, wandte sich Justin direkt der Elbe zu. Die wirkte so unbeteiligt und emotionslos wie immer. Zwei Wochen waren sie jetzt hier und Justin hatte sie, abgesehen von ihrem ersten Abend, in der Zeit weder lächeln noch weinen sehen. Sie stellte immer dieselbe nichtssagende Mimik zur Schau, wirkte unbeteiligt, desinteressiert, ja fast gelangweilt. Anfangs hatte es ihn irritiert, beunruhigt, er hatte sich gefragt, ob alle Elben so waren, denn auch Jack ließ selten durchblicken, was er dachte, oder was er fühlte. Doch so leer ihm die Feste im ersten Augenblick erschien, so voller Leben war sie doch in Wirklichkeit und all die Diener, Dienstmägde, Köche, Zofen und was sonst noch alles herumlief, war zwar eindeutig elbischer Herkunft, doch sie lachten und tanzten und lebten. Melody dagegen wirkte, als wäre sie gefangen in einem Traum. Doch Justin hatte bemerkt, dass er in ihren Augen lesen konnte, wie in einem offenen Buch. Ihre Augen verrieten sie immer. Sie verrieten ihre Wut, ihre Angst, und manchmal, ganz selten nur, verrieten sie auch ihre Freude. Jetzt konnte ihren Unwillen lesen, als sie antwortete. »Wir werden sehen«, sprach sie und ging weiter. »Ist es Jason? Oder sollten wir uns sorgen machen?« Justin lief ihr nach, er wollte eine Antwort haben, doch sie ignorierte ihn einfach. Sie ging gemessenen Schrittes in eine weitere Halle aus Eis, während der Rotschopf und seine Freunde ihr nachliefen. Diese Halle schien so etwas wie der Thronsaal zu sein, denn hier stand ein großer Thron aus Eis auf einem Podest. Die Herrin des Nordenreiches setzte sich, drapierte ihr Kleid und ihre Flügel und starrte dann die große Flügeltür an. Sie wirkte wie eine Puppe, eine Marionette, die so perfekt wie möglich aussehen sollte. Justin verstand nicht, warum sie das mit sich machen ließ, aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, um sie zu fragen. Stattdessen setzte er sich auf eine der Stufen und wartete. Timo stellte sich schräg hinter ihm auf, er konnte das Rascheln der Lederflügel hören, während es sich Sally unterhalb der Stufen bequem machte. Es dauerte noch einige Augenblicke und Justin begann sich zu fragen, ob die Reiter vielleicht gar nicht hierher unterwegs gewesen waren, da traten vier Personen ein. Einer von ihnen war Jason, er trug dieses Mal schwarze Kleider mit dem Pferd in den Farben des Feuers. Außerdem war da noch ein Elb mit silbernen Haar und lila Augen, gekleidet in der typischen Kleidung der Elben. Sie waren grün, als Wappen trug er einen silbernen Baum. Zudem war da noch eine Frau mit dunkler Haut, schwarzen Augen und blauen, fremdartige Kleider. Auch ihre Lippen waren blau und Justin fragte sich, ob es Lippenstift war oder die natürliche Farbe. Der Letzte war ebenfalls ein Mann, Justin schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Sein Auge war von einem so stechenden Blau, das die Farbe auch auf die Entfernung gut zu erkennen war, das andere war blind, es war milchig trüb. Seine Kleider waren in einem dunkeln Blau gehalten und ein kupferroter Falke war als Wappen darauf gestickt. Das Gesicht zierten einige große Narben und, wie sollte es anders sein, sein Haar war feuerrot. Justin wusste sofort, dass er noch öfter mit diesem Mann zu tun haben würde und dazu hätte es seiner Reaktion nicht bedurft. Als der Mann nämlich in ihre Richtung schaute, blieb er stehen und starrte ihn verwirrt und entsetzt an. »Was tut er hier?«, fragte er Jason scharf, mit einem leichten Zittern in der Stimme und in einer bisher unbekannten Sprache, doch auch diese verstand Justin. »Was meinst du?« Jason wirkte verwirrt. »Jason hat erzählt, dass der Junge hier sein würde, erinnerst du dich nicht?«, mischte sich die Frau in Blau mit starkem Akzent ein. »Du sagtest aber nicht, dass er es sein würde!«, widersprach der Fremde heftig und starrte Justin an, als wäre er der leibhaftige Dämon. »Er versteht uns übrigens«, bemerkte Jason, verstand offensichtlich das Entsetzen des anderen Mannes nicht. Justin hätte sich in dem Moment auf die Zunge beißen mögen. Hätte er Janne gegenüber nur den Mund gehalten, vielleicht hätte er jetzt endlich einmal mehr erfahren können. »Er ist es!« Der Andere ignorierte die Worte des jüngeren Mannes einfach und jetzt verstand scheinbar auch Jason. Seine Augen weiteten sich und er starrte Justin an, sein Blick war dabei nicht zu deuten. Er machte eine Bewegung, als wollte er wieder hinauseilen, doch der Elb griff nach ihm, ohne ihn zur berühren. »Jetzt ist der falsche Zeitpunkt, um sich darüber zu unterhalten. Wir sind nicht grundlos hier und es zeugt nicht gerade von Höflichkeit, unsere Gastgeber ungegrüßt zu lassen«, fand er. »Gut. Du sagst nichts, bis wir das besprochen haben, bitte«, bat Jason und wandte sich schweren Herzens den vier jungen Erwachsenen zu. Er kam gemessenen Schrittes bis an die Treppe heran, warf noch einen schnellen, nicht deutbaren Blick auf Justin, dann verneigte er sich tief vor Melody. »Ich sehe den Baum des Silberwaldes, eine Lady aus den Feuerlanden und ein Gesicht, das mir gänzlich unbekannt ist. Ich grüße euch«, sprach die. Justin derweil hielt Blickkontakt mit dem fremden Rothaarigen, der scheinbar eine weitere Person war, die mehr über ihn wusste, als er selbst. »Das sind meine Freunde und Begleiter. Die Lady Esperanza, wie Ihr richtig erkannt habt, von den Feuerinseln stammt. Sie ist die Gesandte des Lord Cetus. Der Elb Silvan aus dem Silberwald als Gesandter der Elben und mein Mentor, Rise.« »Ich grüße Euch in meinem Haus, Verbündete. Zimmer für euch sind vorbereitet und auch ein Mahl wird nicht mehr lange auf sich warten lassen«, erklärte Melody, ganz wie es das Protokoll verlangte, doch Jason schüttelte den Kopf. »Es gibt Wichtiges zu besprechen, Melody. Wir sind nämlich nicht grundlos hier.« Jason bot ihr die Hand an. Sie legte ihre hinein und ließ sich von ihm dorthin führen, wo auch immer er sie haben wollte. Justin und seine Freunde folgten hinter Jasons Verbündeten, wobei Justin etwas zurückblieb, um seine Gedanken zu sortieren. »Was haben sie besprochen?«, wollte Timo leise wissen, der ebenfalls langsamer ging, genauso wie Sally. »Wenn ich das wüsste. Scheinbar kennt mich Rise, ich weiß aber nicht, woher. Ich denke zumindest, dass ich mich an diese Narben erinnern würde, hätte ich ihn schon mal gesehen. Wobei ich das Gefühl habe, das er kein Unbekannter sein soll. Ein bisschen wie bei Jason, nur … anders. Ich weiß es nicht«, antwortete Justin. »Egal was er zu Jason gesagt hat, danach sah er aus, als hätte er einen Geist gesehen«, fand Sally. »Ja, das ist mir auch aufgefallen«, stimmte Timo leise zu. »Es passt aber nicht zu dem, was sie davor sagten. Rise meinte, das Jason zwar sagte, dass jemand hier sein würde, aber nicht, dass ich es bin und dann hat er noch mal darauf beharrt, dass ich es bin. Und dann wollte Jason gehen.« »Seltsame Geschichte«, fand Timo mit gerunzelter Stirn. Dann schauten sie wieder nach vorn und sahen, das sie beobachtet worden. Während Jason leise mit Melody sprach, sahen seine Begleiter immer wieder zu ihnen zurück. »Er hat deine Augen«, fand Timo plötzlich. »Was? Wer?«, fragte Justin verwirrt. »Nicht du. Sally, der Elb, er hat deine Augen. Die Farbe ist etwas anders, aber ansonsten sind sie wie deine«, antwortete Timo. »Vielleicht bin ich ja in Wirklichkeit auch aus dieser Welt. Eine Elbe zu sein ist bestimmt toll«, überlegte Sally. »Dafür fehlen dir die langen spitzen Ohren und einen Elben mit so dunklen Haaren hab ich auch noch nicht getroffen«, fand Justin. »Ich weiß, das war auch nur ein Scherz. Wer will auch schon weiße Haare haben. Ich mag mein blond«, grinste sie. Justin grinste zurück, doch insgeheim musste er Timo recht geben. Die Augen des Elben und die von Sally waren sich sehr ähnlich und er kannte nur wenige Menschen, die so treffsicher waren, wie seine Freundin. Es war nicht auszuschließen, dass sie elbische Vorfahren hatte. Doch Rise beschäftigte ihn nach wie vor viel mehr. Rise blickte abermals über die Schulter zurück und Justin fühlte sich seltsam unbehaglich unter diesem Blick. Als wenn da etwas war, was er wissen müsste und Rise wartete nur darauf, dass er es aussprach. Er wich dem Blick aus und schaute den restlichen Weg stur den Boden an. Jason führte sie in einem Raum, den Justin bisher nicht kannte. Er lag unweit von seinem Turmzimmer im steinernen Teil der Feste. Hier wartete auch Janne, sie stand auf einem Stuhl und verteilte hölzerne Figuren auf einer Karte. Melody schien zu ahnen, worauf sie hinaus wollten, denn ihr Blick verdüsterte sich, doch sie sagte nichts, stellte sich stattdessen an den Tisch. Janne und Justin, sowie seine Freunde nickten sich grüßend zu, dann gruppierten sie sich ebenfalls um die Karte. Justin konnte mit der wiederum nichts anfangen, doch die Figuren und ihre Verteilung ließen ihn ebenfalls den Grund erahnen. »Ich hoffe, es ist nicht das, was ich denke«, begann Melody, doch Justin brauchte nur Jason ansehen, um zu wissen, dass es genau das war. »Ich fürchte doch. Wir wollen Theo das Schwert abnehmen«, erklärte der. »Damit dem Feind zumindest der Wind komplett verschlossen bleibt«, fügte Esperanza hinzu. »Ihr habt keine Chance gegen die Drachen«, antwortete Melody kühl. »Ein weiser Herrscher hört erst und urteilt dann«, bemerkte Silvan. »Ein weiser Herrscher beschützt sein Volk und wirft ihn nicht den Drachen zum Fraß vor«, antwortete Melody kalt. »Wir benötigen Euer Einverständnis nicht, Mylady«, mischte sich Rise ein. »Die Sache ist bereits beschlossen. Es ist mehr gedacht, Euch darüber in Kenntnis zu setzen. Und den, der das Schwert besitzen soll.« Justin horchte auf. Wen genau meinte Rise damit? Er schaute zwischen dem narbengesichtigen Mann und Jason hin und her, doch die schauten Melody an und ließen nicht durchblicken, was sie dachten oder sagen wollten. Der Elbe dagegen war anzusehen, wie sie nachdachte. Sie raschelte leise mit den Flügeln, dann senkte sie den Blick. »Ich höre zu.« Darauf erläuterte Rise einen Plan, den Justin nicht so ganz verstand, dafür fehlten ihm einfach zu viele Informationen über die örtlichen Begebenheiten und vor allem über die Denkweise der Drachen und Theo. Melody jedoch schien zu verstehen und wirkte interessiert und positiv überrascht. Rise endete damit, dass man sich wieder in der Elbenfeste treffen würde. Melody nickte bedächtig. »Es kann dabei eine Menge schief gehen.« »Sollte es dazu kommen, werden wir sofort umdrehen. Wir werden kein unnötiges Risiko eingehen.« »Ich nehme an, es ist schon beschlossene Sache, wer der Schwertträger sein soll?« Jason nickte und wandte sich an Justin. »Der Wächter von Bora.« »Nein«, antwortete Justin sogleich. »Ich mach da nicht mit.« »Erläutere uns deine Gründe«, bat der Elb Silvan. »Zuerst einmal wäre es sehr nett gewesen, mich vorher zu fragen. Wisst ihr, ich wäre eindeutig kooperativer, wenn ihr einfach mal fragen würdet«, begann er bissig. »Außerdem wäre es sehr nett, wenn ich endlich auch mal ein paar Informationen bekommen würde. Wer gewisse Leute hier so sind zum Beispiel. Immerhin ist ein Kampf immer gefährlich und ich werde nicht mein Leben für ein paar Leute riskieren, die nicht einmal dazu bereit sind, mir ein paar einfache Fragen zu beantworten. Außerdem gehört der Stein nicht mir, sondern Melody. Sie hat ihn mir nur zur Aufbewahrung gegeben.« »Elben tragen keine Schwerter«, hatte Silvan dazu zu sagen. »Ich denke, es geht nur darum, das Schwert und den Stein zu besitzen, nicht darum, es einzusetzen«, bemerkte Sally dazu spitz. »Hört auf zu streiten. Justin, das Schwert muss in deinen Besitz gehen«, sagte Jason in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ, doch so leicht ließ sich Justin nicht kleinkriegen. »Nein«, antwortete er stur. »Willst du es wirklich Melody in die Hand drücken?«, erkundigte sich Jason. »Nein, aber euch. Dort würde ich es eindeutig lieber sehen, als in meinen Händen«, fauchte der Rotschopf zur Antwort. »Aber du hast den Stein.« Justin zog die Kette, an die der Stein befestigt war, hervor und zerriss die dünnen Kettenglieder. Er warf den Stein auf den Tisch und wandte sich um. »Bitte. Ich will ihn nicht und das Schwert auch nicht«, knurrte er, verließ den Raum und ging mit ausgreifenden Schritten in sein Zimmer. Er war wütend, dass man ihm schon wieder keine Wahl ließ, doch er war fest entschlossen, dass er es diesmal nicht mit sich machen ließ. Er stürzte in den oberen Teil seines Zimmers und schmiss sich dort auf die gepolsterte Bank, wälzte sich auf den Rücken und betrachtete die Lichter über sich. Eine ganze Weile lag er so da, schwieg und hasste für diesen Augenblick einfach alles, vermisste seine alten Freunde so sehr. Sie hätte ihn verstanden, sie hätten geholfen und sich für ihn eingesetzt, statt einfach nur still danebenzustehen, wie Sally und Timo es taten. Doch nachdem sein erster Zorn verraucht war, verstand er, dass er den beiden unrecht tat. Sie konnten schließlich nichts dafür, dass Jason einfach nicht mit der Sprache rausrücken wollte. Außerdem war das ja nicht einmal der wahre Grund gewesen, aus dem er nicht mitmachen wollte, wie er sich jetzt eingestehen musste. Lange lag er da und dachte nach, fragte sich schlussendlich, ob er vielleicht sogar überreagiert hatte, ob die Sache doch vielleicht ganz anders lag und ob es doch einen guten Grund gab, warum sie ihn das Schwert geben wollten, statt es selbst zu nutzen. Schließlich wurden die, die zu viel Macht besessen, oft genug wahnsinnig, während die, die die Macht gar nicht wollten und sie dennoch bekamen, meist besser dabei wegkamen. Irgendwann hörte er, wie unten die Tür aufging und er erwartet fast, Timo oder Jason zu sehen, wie sie die Treppe hinaufliefen und schon stieg wieder der alte Zorn in ihm auf, doch es war Rise und das erstaunte ihn. »Meine Antwort lautet noch immer nein«, erklärte er dem Mann kühl. »Deswegen bin ich gar nicht hier«, knurrte der mit einem freudlosen Lächeln. »Sondern?« »Um dir etwas zu geben, das dir gehört«, antwortete Rise und hielt die Kette mit dem vermaledeiten Stein empor. »Und wenn ich das Ding auch nicht will?« »Dann ist das nicht mein Problem. Ich weiß nur, das es dir gehört.« »Tut es doch gar nicht. Bora gehört Melody.« »Die Wächter bewachen den Stein, ja, aber ihren Träger suchen sie sich selbst aus. Und der Wind hat dich ausgesucht, weiß der Teufel warum.« Rise legte den Stein auf dem Tisch ab. Justin schaute den Mann misstrauisch an. Warum versuchte der nicht, ihn zu überreden? War das nur ein Trick? »Wer bist du?«, fragte er. »Ich? Ich bin ein armer alter Mann, der sein Wissen weitergeben will, bevor er dahinscheidet.« »Das beantwortet meine Frage nicht.« »Sollte sie auch gar nicht.« Rise stellte sich an die Brüstung und schaute über das weite, weiße Feld. »Ja, wie immer«, knurrte Justin frustriert. Einige Augenblicke schwiegen sie. Justin wartete darauf, dass Rise zu dem eigentlichen Grund seines Hierseins kam. »Ich habe einen Sohn, er ist in deinem Alter. Ein mutiger, aber auch starrköpfiger junger Mann. Du erinnerst mich ein wenig an ihn, er hat auch rote Haare und blaue Augen und lässt sich genauso ungern Befehle erteilen, wie du«, begann Rise schließlich. »Mein Vater ist tot«, antwortete Justin leise. »Ich weiß. Moritz war ein guter Mann, aber zu freundlich. Wie schade, dass er sterben musste«, seufzte Rise. Jetzt horchte Justin auf. »Du kanntest meinen Vater?« »Ja. Hast du etwa geglaubt, er wäre freiwillig gegangen?« Rise lachte freudlos. »Er hat dich und deine Schwester geliebt. Mehr als du dir vorstellen kannst. Er war nicht bereit euch aufzugeben, zu keiner Sekunde. Das hat ihn letztlich das Leben gekostet.« Ein seltsames Gefühl der Leere breitete sich in Justin aus. Es war eine Sache, wenn man glaubte, etwas zu wissen, jedoch etwas ganz anderes, wenn man es letztlich wirklich wusste und er hatte keinen Grund, an den Worten des narbegesichtigen Mannes zu zweifeln. »Als ich dich gesehen habe, wusste ich sofort, dass du sein Sohn bist. Jason sagte, dass du aus seiner Welt stammst, aber er sagte nicht, wer genau du sein würdest«, sprach Rise unbeirrt weiter. »Wer hat meinen Vater getötet?«, wollte Justin leise wissen. »Spielt es jetzt noch eine Rolle? Sein Leben ist zu Ende und du solltest dich nicht in einen Rachefeldzug flüchten. Es reicht, wenn Jason das tut und dabei völlig vergisst, wer er ist.« »Ich will es nur wissen. Sagen wir, aus Interesse.« »Ja, natürlich«, grinste Rise freudlos. »Und ich bin ein Elb.« »Du wirst es mir also nicht verraten?« »Damit dein Vater umsonst gestorben ist, weil du unbedacht dein Leben aufs Spiel setzt? Gewiss nicht. Ich bin lediglich froh, dass du dich unserer Sache nicht angeschlossen hast, das erspart es mir, es dir wieder auszureden.« »Und wenn ich es doch tun will?« »Dann benimmst du dich nicht viel anders, als ein kleines Kind. Glaubst du wirklich, dass du einen Menschen töten könntest? Dass du damit leben könntest?« Rise lachte. »Der Tod bringt zwar das Schwert und Drachenwind wird noch dazu einen schnellen Tod bringen, aber dennoch wärst du es, der es führt und du bist kein Mörder. Das ist die Aufgabe anderer.« »Jason würde behaupten, dass ich mich vorher kindisch benommen habe.« »Jason weiß nicht, was er sagt und tut. Er hat mir einen Krieger versprochen und das bist du nicht.« »Ihr kennt mich doch gar nicht«, warf Justin ein. »Weder du noch Jason.« »Ich weiß, dass du Angst vor einem Schwert hast. Das verrät mir mehr über dich, als du glaubst.« »Ich habe keine Angst vor einem Schwert.« »Du hältst weiter daran fest, dass du dich verweigerst, weil keiner mit dir spricht?« Rise lachte. »Gut, dann ist es eben so.« Justin blitzte ihn wütend an, musste sich aber eingestehen, dass Rise recht hatte. Er hatte Angst vor dem Schwert. Er konnte spüren, welche Kraft Bora innewohnte und er konnte auch spüren, dass die Steine immer den positiven, lebensnotwendigen Teil eines Elementes symbolisierten, während die Schwerter dazu da waren, zu vernichten. »Ich denke, ich sollte jetzt gehen. Ich würde mich gerne noch etwas länger mit dir unterhalten, aber ich fürchte, die Höflichkeit gebietet es, das ich jetzt mit der Herrin des Hauses speise. Doch es würde mich freuen, wenn wir morgen einen gemeinsamen Ausritt oder dergleichen unternehmen würden.« Rise ging zur Treppe, schaute ihn jedoch noch einmal fragend an. »Wenn ihr mir da mehr über meinen Vater erzählen wollt, gerne«, antwortete Justin. »Selbstverständlich«, antwortete Rise und ging, ließ Justin alleine mit seinen Gedanken und Erinnerungen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)