Bleeding Hearts von RubyRose (Bis(s) dass der Tod uns nie mehr scheidet) ================================================================================ Kapitel 1: Das fängt ja gut an ------------------------------ Der erste Tag im neuen Schuljahr. Ich freute mich nicht wirklich darauf. Ich hasste die Schule. Vermutlich lag es einfach daran, dass ich kein besonders beliebtes Mädchen war. Ich weiß nicht wieso, aber ich schaffte es einfach nie Freundschaften zu schließen. Na gut, bis auf ein paar Ausnahmen vielleicht. Meine beste Freundin hatte ich. Aber mir gingen ganz andere Gedanken durch den Kopf, als ich das Schulgelände betrat. Es war Sommer, aber heute hatten wir schlechtes Wetter erwischt, es regnete. Hier in dieser Gegend regnete es oft, und im Winter war immer alles unter einer dicken Schneedecke begraben. Was ich nicht gerade schlecht fand, denn ich liebte Schnee. Aber jetzt regnete es, immerhin nicht sehr doll, so dass ich nicht allzu nass geworden war auf meinem Weg zur Schule. Viele meiner Mitschüler wurden am ersten Tag von ihren Eltern gebracht oder fuhren mit dem eigenen Auto vor. Nicht so ich. Mein Dad hatte keine Zeit um mich zur Schule zu bringen, mal ganz abgesehen davon, dass er fand, dass ich dafür auch schon zu alt sei. Immerhin war ich schon 16 Jahre alt. Aber es lohnte sich auch nicht mit dem Wagen zur Schule zu fahren, denn ich wohnte nur 10 Minuten zu Fuß von hier entfernt. Da konnte ich auch genau so gut laufen. Ich hatte mir die Kapuze meines Pullovers über den Kopf gezogen, damit meine Haare nicht nass würden. Ich hatte mich an einer neuen Frisur versucht, denn am ersten Schultag musste man ja gut aussehen. Ich hatte sie mir über Nacht geflochten, und so wogten sich heute sanfte Wellen haselnussbraunen Haares um meine Schultern. Sofern die Kapuze nicht alles plattdrückte. Meine Klamottenwahl heute war eigentlich so wie immer. Eine enge Jeans, ein kariertes Hemd unter dem Pullover, bequeme Schuhe. Ich ging nie mit der Mode, ich hatte da einfach kein Händchen für, geschweige denn Geld. Vermutlich noch ein Grund, warum ich in der Schule nicht sehr beliebt war. Beliebt waren nur die Mädchen, die sich schminkten und schicke Klamotten trugen, und da gehörte ich definitiv nicht zu. Aber vielleicht wurde dieses Jahr ja alles besser. Ich hoffte es jedenfalls, so wie ich es jedes Jahr hoffte. So wie ich jedes Jahr hoffte, dass ich endlich richtige Freunde finden würde. Und vielleicht sogar einen festen Freund, denn einen Freund hatte ich noch nie gehabt. Mich sah ja nie ein Junge an, zumindest nicht so, als ob er Interesse an mir hätte. Und wenn er es doch hatte, dann war es immer irgendein Spinner, der ich der Schulhierarchie noch weiter unten stand als ich, und das meist zurecht. Jungs, die nichts von Körperhygiene hielten, oder die so wirkten, als wären sie geistig zurückgeblieben. Ich war zwar verzweifelt, was Liebesdinge anging, aber doch nicht SO. Auch ich hatte Ansprüche, auch wenn ich mit den Jahren langsam zu der Überzeugung kam, dass ich die wenigen Ansprüche, die ich noch hatte, doch noch ein wenig herunterschrauben sollte, wollte ich jemals einen Freund finden. Vor mir lag also ein neues Schuljahr, eine neue Chance sich zu beweisen. Ich musste es optimistisch angehen, sonst würde das ja nie etwas werden. Also richtete ich mich gerade auf, Brust raus, Bauch rein, und spazierte mit festem Blick durch die Eingangstüren. Dieses Jahr wollte ich gleich von Anfang an alles richtig machen und wenigstens so tun als hätte ich Selbstbewusstsein. Und hoffentlich würde sich das dann positiv auf meine Ausstrahlung auswirken. Leider achtete ich nicht auf das, was vor meinen Füßen lag. Prompt stolperte ich über die Kante einer Gummimatte und fiel auf den harten Fußboden. Nun hatte ich das erreicht, was ich beabsichtigt hatte, wenn auch auf anderem Wege. Ich hatte die volle Aufmerksamkeit der anderen Schüler um mich herum. Alle starrten mich an, fingen an zu reden und zu kichern. „Na, zu blöd zum Laufen“, hörte ich von irgendwo her. Ich spürte Hitze in meinem Gesicht aufsteigen, vermutlich lief ich gerade knallrot an. Das war ja auch peinlich! Eben noch habe ich versucht so selbstbewusst wie möglich zu wirken, und im nächsten Moment lag ich vor allen anderen auf dem Fußboden, der feucht war vom Regen, den die anderen mit ihren Schuhen hineingetragen hatten. Ich hätte im Erdboden versinken können! Das fing ja gut an. Konnte es denn noch peinlicher werden? Ja, konnte es. Das stellte ich fest, als sich eine Hand in mein Sichtfeld bewegte. „Komm, ich helf dir.“ Ich kannte die Stimme und brauchte eigentlich gar nicht mehr den Blick zu heben, aber ich tat es trotzdem. Vor mir stand Nick. Nick Kesey. Er ging in meine Klasse und war schon seit Jahren in mich verknallt, wie er immer beteuerte. Aber mir ging das auf den Keks. Ich wollte ihn nicht, aber egal wie oft ich auch versucht hatte ihm das klar zu machen, er hatte es bis heute noch nicht kapiert. Eigentlich hätte ich froh sein können, dass sich jemand für mich interessierte, aber doch nicht Nick! Er war einer von diesen Strebern, die lieber ihre Nase in Büchern steckte oder den ganzen Tag vor dem Computer saß. Seine Klamotten waren einfach furchtbar, so schlabberig. Kaum zu fassen, aber Nick hielt noch weniger von Modetrends als ich. Und er hatte einfach eine unangenehme Art an sich, ich konnte das nie gut beschreiben. Jedenfalls jagte es mir jedes mal Schauer über den Rücken, wenn er mich ansprach, und falls es mal dazu kam, dass er mich berührte, dann hatte ich immer das Bedürfnis mich zu schütteln. Nick war einer der größten Loser unserer Schule, und es war mir peinlich mit ihm gesehen zu werden. Ich stand eh schon nicht hoch im Kurs bei den anderen, und mit Nick zusammenzuhängen wertete mich noch mehr ab. „Nein danke, ich schaff das schon“, erwiderte ich schlecht gelaunt und erhob mich wieder. Ich bedachte Nick keines weiteren Blickes, obwohl er versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln. Ich hörte gar nicht hin, sondern hielt den Blick starr auf den Boden gerichtet und marschierte schnell in Richtung Mädchentoiletten. Alles, was ich hörte, war das Gekicher und die hämischen gezischten Kommentare meiner Mitschüler, die Zeuge meines Sturzes gewesen waren. Im Bad stellte ich mich vor ein Waschbecken und wusch mir erst einmal die Hände, die dreckig geworden waren. Auch meine Hose hatte an den Knien ein paar Flecken abbekommen, aber da war erst einmal nichts zu machen. Auch kein Drama, das würde wieder trocknen. Ich schlug meine Kapuze zurück und betrachtete mich. Das war also ich, Stella Elizabeth Amaryllis Deer, 16 Jahre alt. Mittellange Haare, die den Farbton von Haselnüssen hatten. Grüne Augen wie Smaragde. Ziemlich schlank. Die Wangen immer noch ganz rot vor Aufregung. Ich hatte mich nie als hübsch empfunden, im Gegenteil. Ich fand mich ziemlich hässlich, obwohl mein Dad immer sagte, dass ich hübsch sei. Und auch Nick sagte mir immer wieder, wie schön er mich fand, aber das war mir egal. Die beiden sagten das doch bestimmt eh nur, damit ich mich etwas besser fühlte, aber es funktionierte nicht. Ich wusste doch, dass die Wahrheit ganz anders aussah. Aber was sollte ich da schon machen? Nicht einmal meine Haare sahen noch gut aus, ich hätte das mit der Kapuze sein lassen und einen Regenschirm benutzen sollen. Das hatte ich jetzt davon, ich sah aus wie eine Vogelscheuche. Ob man das noch irgendwie retten konnte? Ich wurschtelte solange an meinen Haaren herum, bis die Schulglocke ertönte und ich in meine Klasse musste. In aller Hast blieb mir nichts anderes übrig als einfach einen Pferdeschwanz zu binden. Das war es wohl mit besonders gut aussehen heute, ich war wieder bei der Frisur gelandet, die ich auch sonst so gut wie jeden Tag trug. Der erste Schultag verlief nicht besonders spannend. Wir bekamen unsere neuen Bücher, neue Lehrer stellten sich vor, es war so wie jeder andere normale erste Schultag auch. Mein einziger Lichtblick an diesem Tag war die Pause, in der ich mit meiner besten Freundin Lilly in der Cafeteria saß und an einem Sandwich kaute. Das Essen war hier nicht besonders gut, aber immerhin besser als nichts. Gelangweilt saß ich auf meinem Stuhl, die Ellbogen auf dem Tisch. Es gab nicht viel, das ich Lilly hätte erzählen können, denn schließlich waren wir so gut wie Nachbarn, sie wohnte nur ein paar Häuser weiter, und wir sahen uns fast täglich. Also war sie stets auf dem neusten Stand, was mein langweiliges Leben anging. Während der Sommerferien hatte ich eigentlich nichts erlebt. Ich hatte in einem Café gejobbt, um mir ein wenig Geld zu verdienen. Taschengeld bekam ich nicht, das konnte Dad sich nicht leisten. Wenn ich etwas brauchte, klar, dann bekam ich Geld dafür, aber auch nicht immer. Also musste ich neben der Schule arbeiten, wenn ich etwas Größeres haben wollte. Aber dieses Jahr war es einfach nur so gewesen, um etwas zu haben, falls ich mal Geld brauchte, und Dad mir nichts geben konnte, was öfter mal vorkam. Wir waren eben nicht reich. Lilly war anscheinend nicht so langweilig wie mir. Sie beobachtete jeden einzelnen Jungen in der Cafeteria, ob jemand Neues dazugekommen war, oder sich jemand in den Ferien positiv verändert hatte. Lilly liebte es zu flirten und stets auf dem neuesten Stand zu sein was das Angebot an flirttauglichen Jungs an unserer Schule anging. Sie war in Liebesdingen wesentlich erfolgreicher als ich selbst. Sie hatte auch schon hin und wieder versucht mich zu verkuppeln, aber es hatte nie geklappt. Meistens hatte der Junge, den sie sich für mich ausgeguckt hatte, kein Interesse an mir, oder sie wollte ihn lieber für sich selbst. Derzeit hatte sie keinen festen Freund, mit dem letzten hatte sie vor kurzem Schluss gemacht, nach 2 Monaten Beziehung. Er hatte zu sehr geklammert, hatte sie behauptet. Ich musste gestehen, dass ich immer ein wenig eifersüchtig auf Lilly war. Sie sah auch viel hübscher aus als ich mit ihren roten Locken und den blauen Augen. Ich war ganz in Gedanken versunken, als sie mich anstieß. „Da sind sie!“ Ich wusste sofort wen sie meinte. Es waren Victor und Jason Blackraven. Die beiden waren vor einem Jahr hierher nach Moores Mill gezogen und hatten sofort alle Schüler für sich eingenommen. Obwohl sie Zwillinge waren, waren sie, zumindest was das Aussehen anging, unterschiedlich wie Tag und Nacht. Victor war derjenige der beiden, der sofort auffiel. Er hatte etwas längere hellblonde Haare, die im Sonnenlicht wie Gold glänzten. Jedes Mädchen konnte neidisch sein auf seine Mähne. Seine Augen waren eisblau, genau so wie strahlende Saphire. Er hatte einen so stechenden Blick, der mir immer durch und durch ging. Ich musste gestehen, dass ich nie nie einen so gut aussehenden Jungen gesehen hatte. Fast alle Mädchen der Schule waren hinter ihm her, und Victor schien das auch immer sehr zu genießen von ihnen umgarnt zu werden. Ich jedoch hatte für ein solches Verhalten nicht viel Verständnis übrig. Ich würde mich niemals so benehmen, dachte ich. Wie die anderen Mädchen förmlich an seinen Lippen hängen und am liebsten noch den Boden küssen auf dem er wandelte. Einfach völlig übertrieben. Aber trotzdem... Ja gut, ich musste es mir eingestehen, dass er schon etwas hatte, und dass sogar ich am Anfang, als er noch neu an der Schule war, irgendwie verknallt in ihn gewesen war. Aber ich hatte von Anfang an gewusst, dass ich sowieso niemals eine Chance haben würde. Ich hatte mir also niemals Hoffnungen gemacht, dass da jemals auch nur irgend etwas laufen könnte. Victor war einfach viel zu cool für ein Mädchen wie mich. Eigentlich war er viel zu cool für jeden, das wusste er, und das zeigte er auch. Sein Bruder Jason war da etwas anders. Jason hatte zwar ebenso blaue Augen wie sein Bruder, aber lange und schwarze Haare, die er meistens zu einem Zopf gebunden trug. Er war zwar auch irgendwie cool, aber anders. Er war der ruhigere von den beiden und hielt sich lieber etwas mehr im Hintergrund auf. Trotzdem war es unmöglich ihn zu übersehen, denn er hatte eine ebenso starke Ausstrahlung wie sein Bruder Victor. Aber Victor war ganz eindeutig der interessantere und beliebtere der beiden Brüder, daran hatte niemand auch nur den geringsten Zweifel. Lilly setzte sich aufrecht hin und in Pose, wobei sie stets darauf achtete den Blickkontakt zu Victor nicht zu unterbrechen. „Irgendwann kriege ich ihn noch“, prophezeite sie, ohne mich auch nur anzusehen. „Ach ja“, kam meine missgelaunte Antwort. „Das denken sich alle anderen Mädchen bestimmt auch. Du weißt doch, dass er sich noch nie eine Freundin gesucht hat.“ Nicht offiziell. Natürlich hatte Victor irgendwelche Geschichten am Laufen, dauernd gab es irgendwelche neuen Gerüchte, aber nie hatte man ihn je mit einem Mädchen länger als 1 oder 2 Tage am Stück gesehen. „Ach, jetzt lass mich doch.“ Ich sah, dass Lilly versuchte nicht zu schmollen. Ich wusste, dass sie das in diesem Moment liebend gern getan hätte, immerhin kannte ich sie schon als wir beide noch zusammen im Sandkasten gespielt hatten. „Man wird doch wohl noch träumen dürfen.“ „Wenn du meinst.“ Ich war davon nicht sehr überzeugt, dass Lilly oder irgendwer sonst jemals Erfolg bei Victor haben würde. Ich kaute weiter an meinem Sandwich, das mit Putenbrust und Salat belegt war, herum, und überlegte, wie ich den Rest des Tages, die ganze Woche und überhaupt das ganze Schuljahr überstehen sollte. Plötzlich zog Lilly scharf die Luft ein und murmelte halb aufgeregt halb panisch vor sich hin. „Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott, er kommt her!“ Zuerst wusste ich gar nicht was los war, bis ich meinen Blick von meinem nicht gerade wohlschmeckenden Pausenessen abwandte und in die Richtung blickte, in die Lilly sah. Victor kam direkt auf uns zu! Zuerst nahm ich an, dass er einfach an uns vorbeigehen würde. Im Leben hätte ich nicht damit gerechnet, dass er uns seine kostbare Aufmerksamkeit schenken könnte, aber trotzdem passierte es. Er ging zwar an uns vorbei, schaute mich dabei aber an, lächelte und grüßte mich. „Hey, Stella. Alles klar?“ Und schon war er an meinem Tisch vorbeigerauscht, seinen Bruder Jason und einige seiner engsten Freunde und Bewunderer im Schlepptau. Lilly starrte ihm mit aufgerissenem Mund und Augen nach. Ich hatte kurz den Geruch seiner Lederjacke in der Nase, dann war alles auch schon wieder vorbei. „Ich fasse es nicht.“ Lilly blickte dem Trupp nach, bis sie aus der Cafeteria verschwunden waren. „Er hat dich gegrüßt. DICH! Und er weiß sogar deinen Namen!“ Ja, er hatte mich gegrüßt. Erst jetzt fiel mir auf, wie komisch das eigentlich war. Ich, Stella Elizabeth Amaryllis, die Außenseiterin. Und der coolste Junge der Schule hatte mich gegrüßt. Und sogar meinen Namen gewusst! Ich war ebenso sprachlos wie Lilly, die erst mal nichts weiter sagte, obwohl sie sonst eine furchtbare Quasseltante sein konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)