Eye, eye die Russen kommen von Sternenschwester ================================================================================ Kapitel 1: Vienna ----------------- 03.1994-Wien -Wien, du bist ein Sanatorium. Da tanzen die Kranken im Kreißsaal herum. – Das Radio dudelte in gemäßigter Lautstärke vor sich hin, als Roderich, mit einer Zahnbürste im Mund in die Küche betrat. Verschlafen fuhr er sich durchs die ungekämmten braunen Haare und tapste schlaftrunken zur Kaffeemühle. Ungeschickt schaltete er diese ein und stellte den Wasserkessel auf den Herd. Ein leichtes Summen erfüllte den Raum und begleitete das alte Lied der EAV, welches eben im Radio lief. Mit leicht geschlossenen Augen begann Roderich sanft im Takt mit zu wippen. -Der Oberarzt ist ein Geschichtebuch umgeben von süßem Modergeruch. – --------------------------------------------- -Und wenn der Patient mit dem Selbstmitleid ringt vom Stephansturm die Glocke erklingt. – Francis drehte sich noch einmal, halb schlafend um und tastete unter leichtem Grummeln die linke Bettseite ab. Als seine Finger immer noch nicht das Erhoffte ertasten, öffnete er leicht die Augen und blinzelte in das dämmrige Licht, welches trotzig durch die schmalen Spalten der geschlossenen Rollos drang. Sein Liebhaber war schon vor ihm aufgestanden und hatte seine Bettseite in einem unordentlichen Zustand hinterlassen. Seufzend richtete sich der Franzose auf und dachte mit einem leisen Lächeln an die vergangene Nacht. Mit einem leisen Knirschen ging die Tür zum Bad auf und sein Rothaariger schlurfte, noch nicht ganz wach aber gewaschen, heraus. Leicht hilflos versuchte dieser sich seine Krawatte zu binden, von welcher der Blonde immer schon gefunden hatte, dass diese ihn nur unnötig älter erscheinen ließ. Eine Weile schaute er dem Kampf amüsiert zu, bis er den Schotten mit einer lässigen Geste zu sich winkte. Mit schlurfendem Gang schritte dieser auf ihn zu und hob brav den Kopf, damit der Franzose einen ordentlichen Krawattenknoten anbringen konnte. Nachdem er fertig war, gab er dem Schotten einen Klaps auf die Brust. Dieser jedoch hatte seine Aufmerksamkeit auf die Uhr gelenkt. Plötzlich schienen seine Lebensgeister zu erwachen. „Scheiße, ich sollte schon längst unterwegs sein.“, fluchte er noch, bevor er sich umdrehte und mit großen Schritten Richtung Haustür hastete. Im Vorbeigehen griff er noch schnell nach seinem Jackett, während der Franzose ihn leicht pikiert nachsah. Er hasste es, wenn sich sein Liebhaber aus Stress nicht einmal ordentlich verabschiedete. „Und vergiss nicht, dass wir uns in zwei Tagen mit Alfred und Matthew treffen.“, rief der Schotte ihm noch einmal über die Schulter zu, bevor die Türe mit einem Rumps hinter ihm ins Schloss fiel. „Aber natürlich nicht, mon amour.“, flüstere der Blonde, als er mit einem theatralischen Seufzer aufstand. -Als Schrittmacher für's gold'ne Wienerherz im Jugendstilrhytmus friedhofswärts. - --------------------------------------------------- -Wien, du Wunder der Medizin. Exotisch und seltsam sind die Therapien.- Erneut vergewisserte er sich, dass er alles bei sich hatte und fuhr sich nochmals nervös durch die Haare, bevor er aufstand, nach seiner Tasche griff und in Richtung Tür ging.Wenn er es schaffte, alles geschickt einzufädeln, würde er bald seinen kleinen Bruder wieder in Armen halten können. Versonnen trat er auf den Gang hinaus und schloss mit dem Zimmerschlüssel die Türe ab. Ein Zimmermädchen war das einzig lebende Wesen im Hotelflur. Mit eiligen Schritten erreichte er den Lift und drückte auf den Knopf zum Rufen des Fahrstuhles. Die nächsten Tage mussten nach Plan laufen. Für sein Leben und das seines Bruders. -Dein Selbstbewusstsein wird stabilisiert, indem man das Mark der Monarchie injiziert!- ------------------------------------------------- -Die Kulturheilkunde hat viele Facetten. Gegen geistige Blähungen gibts Operetten. – Mit einem Dauergrinsen klebte Alfred seine Nase gegen das Glas. Der Boden kam immer näher und näher. Matthew seufzte schmunzelnd. Obwohl sein Bruder seit beinahe zwei Jahren beim Geheimdienst arbeitete und dort eine steile Karriereleiter erklommen hatte, benahm er sich öfter nicht anders als in ihrer Jugend. „Mattie, wir landen gleich.“ „Ja, ja passt schon Al. Es haben nun auch die Leute in den letzten Reihen mitbekommen, dass wir bald ankommen.“, flüsterte der Blonde schmunzelnd. „Vorausgesetzt sie verstehen Englisch.“ Vorsichtig warf er einen Blick auf ihren dritten Mann im Bunde. Edward von Bocks, war nicht wesentlich älter als sie beide. Da man ihm abgeraten hatte, seinen schweren Laptop im Flugzeug auszupacken, hatte dieser nur mit den Schultern gezuckt und war dann nach kurzer Zeit eingenickt. Matthew bewunderte immer noch die stoische Ruhe, mit welcher dieser junge Mann mit seinem Bruder umging. Egal wie aufgedreht Alfred sein mochte, der Brillenträger ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und wusste sehr wohl, wie er die überschüssige Energie des Amerikaners in produktive Bahnen lenken musste konnte. Behutsam rüttelte der Blondschopf seinen Nachbarn an der Schulter. „Herr von Bocks, wir landen gleich.“ „Das habe ich dank, Ihrem Bruder deutlich vernommen.“, grummelte dieser, ohne die Augen zu öffnen und seufzte theatralisch. Wie sehr hatte er sich nach der Sache in Süditalien auf einen Urlaub gefreut. Dass er aber auch dann noch immer Babysitter für dieses Energiebündel namens Alfred F. Jones spielen musste, hatte ihn zuerst betrübt. Nicht dass er Alfred nicht mochte, schließlich arbeiteten sie tagein, tagaus zusammen. Er hatte wirklich nichts gegen seinen jungen Vorgesetzten, doch er wusste sehr wohl den wahren Grund, weshalb die hören Etagen gerade ihm diesen Ausbund an Übermut zugeteilt hatten. Aber gut, er sollte sich mehr darüber freuen, dass sie jetzt gleich eine ganze Woche frei bekommen hatten und dass dazu der entzückende Bruder des Amerikaners mitgekommen ist. Vielleicht hatte ja dieser einen beruhigenden Einfluss auf den jungen Agenten, auch wenn sich Edward keine großen Chancen ausrechnete. -Das Opernballgeschwür wird nicht operiert, sondern jährlich einmal neu inszeniert. - ------------------------------------------------------- *Vienna, Vienna, nur du allein. Jetzt gemma, jetzt gemma, ins Altersheim. * Leise den Refrain mitsummend, packte sich Roderich schnell ein Packung Mannerschnitten und einen Apfel mit seiner Wurstsemmel in sein Jausensackerl ein. Die Zahnbürste lag neben der Abwasch, nachdem der Braunhaarige dort seine morgendliche Toilette beendet hatte. Mit ungehaltener Minne schlurfte sein Wohnungsgenosse in die Küche und sah sich mit einem „Es ist noch zu früh für alles-Blick“ in der Küche um. *Vienna, Vienna, nur du allein. Jetzt gemma ins Altersheim, ins Altersheim!* ------------------------------------------------ -Der Hausvirus Wiens heisst „Hoffnungslos“. Die Anzahl der Infizierten ist groß. – Ivan sah gelassen, wie der Zug langsam am Bahnsteig 10 anhielt und warf seinem Begleiter sein unheimliches Lächeln zu. Dabei war ihm nicht gerade fröhlich zu Mute. Der Grund, weshalb er mit dem angeblichen Wiener Herz in die Stadt geschickt worden war, gehörte zu denen, welche er am liebsten im Wodka ersäuft hätte. Aber leider gehörte es zu seinen Berufsrisiken und Unannehmlichkeiten. Außerdem musste er das Vertrauen seines Bosses nach der verpatzten Situation in Süditalien wiederherstellen. Er wusste es sehr wohl, dass ihn hier eine Prüfung erwartete und er hatte nicht vor zu versagen, schon alleine um seiner Gesundheit willen. Für den Moment in dem er sich an den jungen Agenten, welche seine letzte Transaktion gestört hatte und somit seine Mission zum Scheitern gebracht hatte, erinnerte, verlor er sein Lächeln. Welches aber langsam wieder zurück kam, als er daran dachte, was er diesem hyperaktiven Blondschopf alles antun würde, sollte er das Glück und der andere das Pech haben, dass sich ihre Wege erneut kreuzten. Toris seufzte nur, als der Wagon unter Quietschen zum Halten kam und der Russe gegenüber von ihm, aufstand. Dabei wedelte dieser mit der Hand, um zu signalisieren, ihm mit den Koffern zu folgen. -Den Seelenkrampf dieser Glücksversehrten löst nur der Wein in den Heurigengärten. - ------------------------------------------------- -Wien, du Mutter großer Ideen, liegst im Wochenbett in den Dauerwehen. – Schwer seufzend stellte der Pole seine morgendliche Tasse Kaffee auf dem Tisch ab und griff nach dem rosa Bleistift, welchen er sich hinters Ohr gesteckt hatte. Mit schnellen Handbewegungen machte er einen weiteren Kringel auf seiner Karte. Die Nacht war zwar nicht so ergiebig gewesen, wie es sich der Blonde gewünscht hatte, aber auch nicht völlig sinnlos. Die wenigen neuen Informationen, welche er die letzten 12 Stunden gesammelt hatte, brachten ihn seinem Ziel ein wenig näher. Noch einmal ließ er seinen Blick über die Karte schweifen. Seit fast einem halben Jahr lebte er schon hier und dennoch verliefen die Nachforschungen so zäh. Dabei hatte er sich auch noch um die anderen Probleme seiner Mandanten zu kümmern, schließlich wollte er auch von etwas leben. Erneut griff er nach der Tasse und nahm die letzten Schlucke des braunen Getränks. Er würde wohl noch ein wenig aufbleiben müssen, ein paar Akten schlichten und Fotos aufwerten. Wenn das alles geschehen war, konnte er sich endlich hinlegen und den Schlaf der Gerechten schlafen. Ein wenig müde torkelte er auf sein Schubladenkasten zu. Ein Foto stand in einem sauberen, wenn auch leicht ramponierten Rahmen dort. Versonnen nahm Felkis es in die Hand und betrachtete die zwei darauf abgebildeten Gestalten. Er grinste sich selbst mit einem breiten Lächeln an, während er die andere Person, welche einen verzweifelten Gesichtsausdruck zur Schau trug, halb im Schwitzkasten ins Bild zerrte. „Bald werde ich dich gefunden haben, Toris.“, murmelte er in die Stille seines Zimmer hinein und stellte den Rahmen wieder ab, bevor er sich streckte, um zu seiner Arbeit zurückzukehren. -Im fruchtbaren Schoß sich die Pläne vermehren. Es fällt dir schwer, Taten zu gebähren. - ---------------------------------------------------------- *Vienna, Vienna, nur du allein. Jetzt gemma, jetzt gemma, ins Altersheim.* „Kannst du nicht mal das Radio abdrehen.“, seufzte Gilbert, als er sich zum nächsten Küchenstuhl geschleppt hatte und sich dort mit einem demonstrativen Grunzn niederließ. Roderich steckte seine Jause in seinen Rucksack. „Nee…“, flötete er im Einklang mit der Musik. „Ich krieg dich ja auch nicht dazu, Rammstein abzumurksen, wenn mir deren Geschrei auf den Wecker geht.“ *Vienna, Vienna, nur du allein. Jetzt gemma ins Altersheim, ins Altersheim!* „Aber oft genug motzt du…“ Missmutig goss sich der Albino den Rest des Kaffees, welchen der Österreicher ihm übrig gelassen hatte, in eine Tasse und grapschte nach der Milch. *Vienna, Vienna, nur du allein. Jetzt gemma, jetzt gemma, ins Altersheim.* Ausgelassen schubste Roderich diese in seine Richtung und schulterte sich seine Rückentüte. „Willkommen in Wien, hier sudert man schon aus Prinzip. Pifke.“ „Ach, halt die Goschen…“ Trotz seiner schlechten Laune stahl sich ein Lächeln auf dessen Lippen. Er mochte seine morgendlichen Streitgespräche mit seinem Wohnungsgenossen. Vor allem weil sie jedes Mal anders verliefen und die Umstände sich immer wieder änderten. *Vienna, Vienna, nur du allein. Jetzt gemma ins Altersheim, ins Altersheim!* „Charmant wie immer. Ach bevor ich es vergesse. Draußen am Kasterl, liegt ein kleines Packerl und ein wenig Geld. Bring es bitte in meinen Namen zur Post. Ich werde heute nicht dazu kommen und Friedensreich erwartet es schon mit Ungeduld.“ Abwarten sah Roderich den Deutschen an, welcher eben versuchte seinen Morgenmuffel im Kaffee zu ertränken. „Gilbert, hast du mich verstanden?“ Ein zustimmendes Gebrummel war die einzige Antwort, welche er erhielt. Roderich zuckte mit den Schultern, ging im Kopf noch einmal alles für den heutigen Tag durch und richtete seine Schritte Richtung Ausgang. Beim Rausgehen konnte er hören, wie Gilbert sich zum Radio geschleppt hat und begann nach einem anderen Sender zu suchen. Doch das störte ihn mäßig. Es war die Streitereien wegen ihrer beider vollkommen verschiedener Musikgeschmäcker gewohnt. Überhaupt überraschte es ihn, wie schnell er sich an seinen Ostdeutschen Kollegen gewöhnt hatte, ihn sogar langsam mehr als nur tolerierte. Als er das alte Treppenhaus runterpolterte, geisterte der Abschluss des Liedes durch seinen Kopf. -Wien, du bist eine Märchenstadt, die sich selber verzaubert hat, die im Dornröschenschlaf ganz vergisst, dass kein Kronprinz kommt, der dich küsst.- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)