Mit Hang zum Plüsch von Zorro-san (Law/Kid) ================================================================================ Kapitel 10: The Return of the Living Dead ----------------------------------------- „Hello Kitty!“ Wenn ich meine Strafakte nicht kennen würde, würde ich tatsächlich fragen, wie um alles in der Welt ich hier her gekommen bin. Dennoch lässt mich eine Frage einfach nicht los: Womit habe ich das alles verdient??! Er ist zurück, der eine, der wahrhaftige, der einzige Idiot, der mutig genug ist, mich so überheblich und sich selbst verherrlichend als seinen Sklaven zu behandeln: der Troll. Vorbei die Zeit, die ruhigen Tage, in denen ich meine Stunden damit absitzen konnte, den menschlichen Antiken Kartenspiele beizubringen und Küchendienst zu erledigen. Macht es gut, Stunden der Wonne, in welchen ich die Sonnenstrahlen genießen konnte, in dem ich so tat, als würde ich auf die Senilen im Garten aufpassen und auf Wiedersehen, Momente der Freude während dem Rasenmähen (was aufgrund Verletzung der Aufsichtspflichten im Garten beinahe schief gegangen wäre). Er ist zurück, bereit, dem Grund für seinen Krankenhausaufenthalt und anschließenden Arbeitsausfall (als ob der Penner seine freien Tage nicht genossen hätte!) gehörig eins auszuwischen: Mir. „Also, alter Freund.“, grinst der Troll selbstgefällig. „Ich bereite jetzt die Pläne vor, währenddessen kannst du mit Dadan schon einmal die Toiletten sauber machen.“ Sein Grinsen wird noch breiter und ich habe alle Mühe, ihm den Wischmopp in meiner Rechten nicht um die Ohren zu hauen! Dadan ist der Hausmeister(in) dieses Seelen-Gefängnisses und sorgt allgemein für Recht und Ordnung. Und er ist verdammt furchteinflößend. „Also Kindchen*, wenn wir fertig sind, ist das reiner als Quellwasser hier, kapiert?“ Seine/ihre raue, verrauchte Stimme ist eisern. Dadan ist der Inbegriff des Mannweibs. „Seit ich hier bin, kommt mir das eher wie ein maroder Sumpf vor.“, meine ich völlig gleichgültig – und es stimmt! Hier muss eher aufgepasst werden, dass nichts Ungewolltes mitgenommen wird! „Hast du ein Problem mit der Hygiene hier, Jungchen?!“ Dadan packt mich am Kragen und plärrt mich mit rauchiger Stimme an. – Zwei Sekunden später stehe ich mit Putzwagen im Besucherklo. Das (geplante) grobe Kehren und Wischen konnte ich allerdings schnell abhaken, da Dadan es sich nicht nehmen ließ, ab und an Kontrollbesuche abzustatten. Als ob ich zu bescheuert wäre, eine Toilette zu putzen! „Ist das hier ein Witz oder was?! Hast du dir schon mal den Urinstein hier drin angeguckt?! Sofort bürsten!“ „Was ist das hier?! Denkst du die Ersatztüten sind hier umsonst?! Die Mülleimer sollen ausgetauscht werden!!“ „Nennst du das Quellwasser-sauber? Kannst du dich etwa im Fußboden spiegeln, hä??!“ „Der verdammte, scheiß Fußboden ist dunkel und matt gefliest!“, werfe ich den Wischmopp quer durch den Raum. „Ich bin hier gerade Mal 5 Minuten zu Gange, du elender Sklaventreiber!!“ …hebe ihn aber schnell wieder kleinlaut auf, als mir die pochende Vene an seiner Schläfe auffällt. (Es reicht, die Chefin und den zuständigen Einweiser gegen sich zu haben, da muss man es sich nicht auch noch mit dem Hausmeister(in) verscherzen…) „Sofort wieder an die Arbeit oder es setzt was!!“ Frustriert (und Schimpftiraden leise murrend) klatsche ich den nassen Mopp erneut auf die Fliesen. Nach zwei Etagen Besucherklos sind nun die Personaltoiletten dran. Auf vier Etagen. „Also Junge, damit das nicht schon wieder so lange dauert (weil ich alles doppelt und dreifach sauber machen musste!), zeige ich dir jetzt wie das funktioniert!“ Wie in einer Putzmittelwerbung zieht er sich die gelben Gummihandschuhe an, schnappt sich Sprühzeug und sprüht damit die Toiletten ein, um sie danach hygienisch-rein zu schrubben. „So.“, nach getaner Arbeit richtet sich Dadan wieder auf. „Kapiert?!“ „Leider konnte ich das nicht so genau sehen. Kannst du mir das noch einmal bei den Pissoirs zeigen?“ Der Lehrer(in) schnaubt widerstrebend „Na schön.“ und macht sich daran, die Prozedur bei einem der Pissoirs zu wiederholen. „Jetzt du!“ Sie hält mir die Sprühflasche hin. Kurz überlege ich. „Wenn du mir jetzt noch zeigst, wie ich den großen (einzigen) Spiegel streifenfrei sauber kriege, schaffe ich das sicher ganz alleine hier.“ Wohl positiv über meinen Enthusiasmus überrascht, macht er sich an dem Spiegel zu schaffen. Zufrieden lehne ich mich an die Wand und gucke zu – das läuft doch wie am Schnürchen hier! „Okay. Jetzt halte dich ran, Kindchen! Wir müssen uns aufteilen, sonst werden wir nie fertig!“ „Gut, aber wie kriege ich denn die Spülbecken richtig sauber?“ „Wie schwer von Begriff bist du eigentlich?! Also, pass auf! – Moment!!“ Er dreht sich wieder zu mir, schnell ändere ich meine lässige Haltung in „interessiert“ und tue so, als hätte ich aufgepasst. Wieder werde ich am Kragen gepackt und angebrüllt: „Du denkst wohl, du bist ein ganz Schlauer was?!! Ab an die Arbeit, aber sofort!!!“ Im nächsten Moment stehe ich mit Mund- und Kleidungsschutz und Handschuhen vor den Toiletten gebeugt und mache sauber – mit dem Ekel im Nacken und der Kotze im Anschlag (und ich bin überzeugt, hier gibt es auch Putzfrauen für sowas, die sich heute wahrscheinlich alle frei nehmen durften!!). „Danach will ich mich im Boden spiegeln können!“ befiehlt der Hausmeister(in) in der Tür über mich Wache haltend. Ich ziehe den Mundschutz runter und plärre nach hinten: „Der verfluchte Toilettenboden ist überall dunkel und matt!!“ Nach über 8 (!) Stunden Toilettenschrubben (und ich schwöre, jetzt sind sie quellwasserrein!), jeglicher Überlebenskämpfe und Gezeter von Dadan räume ich die Putzwagen weg. Mir tut alles weh und ich will nur eins: mich zuhause besaufen und duschen. Und vergessen. So wie jeden Tag. „Kitty! Wo willst du denn hin?“ Das. Ist. Nicht. Wahr!!! „Guckst du eigentlich auch mal auf die Dienstpläne, huh?“ Mein Rücken bringt mich um. Ich habe Hunger. Ich stinke nach Desinfektion und anderen Dingen, von denen ich nichts wissen will und nun das: der Troll hält mich auf, kurz vor dem Ausgang! Du hättest den scheiß Aufzug nehmen sollen! Hast du immer noch nicht kapiert, dass hier drin jede Sekunde zählt (vor allem wenn man zu verbleibende Lebensdauer der Mehrheit hier betrachtet)?! Ich wende mich dem Hobbit zu und knurre missmutig. Er hält den Dienstplan hoch und zeigt auf heute. „Du bist für die Nachtschicht eingetragen.“ Jetzt reicht es aber! „Jetzt reicht es aber!“, ich werde lauter. „Heute Morgen stand davon garantiert nichts drin! Übertreib‘ es nicht, Kobold!“ Er verschränkt selbstsicher die Arme vor der Brust. „Auch wenn es dir nicht passt, Dalton hat sich krank gemeldet und du musst für ihn einspringen.“ Am liebsten würde ich ihm dieses Grinsen aus dem Gesicht prügeln! „Ich bin schon seit heute früh hier! Such dir gefälligst jemand anderen!“ Ich setze schon zum Umdrehen an, als „Schön. Dann fragen wir doch mal Gloriosa, ob sie nicht die Nachtschicht übernehmen will.“ er tatsächlich der Ansicht ist, mir drohen zu können. „Ich scheiße auf die Alte!“ „Welche Alte meinen Sie denn, Kid?“ Wie aus dem Nichts steht plötzlich der (nur körperlich) in die Jahre gekommene Teufel im Gang! Gloriosa funkelt mich an, überbereit, ihren roten Alptraum ins Gefängnis zu verfrachten. Mir hängt ein Kloß im Hals. „Uhm… äh… ich meine die Verrückte, die denkt.. äh.. sie wäre.. nun..“ Ein Räuspern, dann Stille. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich wohl schon tausendfach gestorben – allein in diesem Moment. „Wenn Sie nicht wegen Arbeitsverweigerung im Knast landen wollen, werden Sie gefälligst hier bleiben.“ Sie kommt gemächlich auf mich zu (weil der alte Knochen wohl nicht schneller kann). „Und ich bin mir verdammt sicher, dass Sie sich auch aus dieser Affäre ziehen würden – wie auch immer Sie das jedes Mal anstellen. Deswegen wird Sie die Nachtschicht die ganzen nächsten Wochen erwarten, sollten Sie es wagen, dieses Gebäude auch nur für eine Minute bis morgen früh zu verlassen.“ Sie spricht leise und ernst – nur leider fällt es schwer, jemanden ernst zu nehmen, der einem gerade mal knapp bis zum Knie geht. Eine Stunde später (und einem Telefonat mit Bellemere, die mir versichert hat, dass das legitim ist und ich bloß alles machen soll, was mir hier gesagt wird) hocke ich zusammen mit Jean Bart, einem fleischgewordenen, bärtigen Hünen, dem ich nachts nur ungern begegnen würde (haha, ich werde die ganze Nacht mit ihm verbringen!) und dem Troll im Personalraum. Es wird geplant und erklärt, wie heute Nacht auf die Zombies aufgepasst werden muss. „Also ihr beiden, dann viel Spaß! Ihr teilt euch die Nachtschicht mit Laki und Genbo im oberen Stockwerk.“ Fröhlich, als könnte ihn kein Wässerchen trüben, winkt der Troll zum Abschied (und ich wünschte, es wäre ein Abschied für immer). Vergiss nicht morgen früh wieder da zu sein, Kiddy. Ach warte, den Weg nachhause sparst du dir ja!“ Ich bring ihn um!! Wortlos packt mein Leidgenosse sein mitgebrachtes Lunch aus. Er bemerkt meinen verdutzten Blick. „Hast du etwa kein Frühstück dabei?“ „Frühstück?!“ „Ja. Schläfst du etwa nicht bevor du die Nachtschicht angehst? Da würde ich ja umkommen vor Müdigkeit.“ „Soll das ein schlechter Scherz sein? Ich wusste vor ein paar Minuten noch nicht mal dass ich diese Gott verdammte Schicht habe!“ Ich stehe auf, schnappe mir eine Decke und lege mich auf die Couch. „Ich will nicht gestört werden, gute Nacht!“ Nach einer halben Stunde ohne Einschlafen hocke ich am (zur Überwachung angeschafften) PC und spiele müde Solitär. Hüne Jean scheint ein ruhiger Zeitgenosse (und ein langsamer Esser) zu sein, eine ganze Weile ist es, bis auf sein Schmatzen, still. Doch dann „Stimmt es, dass du jetzt mit Law zusammen bist?“ ersticke ich vor Schock beinahe an den scheiß Gummibärchen! Nach einigem an Röcheln und Husten (natürlich wurde mir nicht geholfen!) habe ich mich wieder im Griff: „WTF?!“ Der Riese schaut mich verwundert, falls diese minimale Regung in seinem Gesicht das ausdrücken soll, an. „Ihr trefft euch doch, oder nicht?“ „Woher zum Geier..?!“ „Ich kenne ihn über Shachi.“ Das ist ja wohl die versteckte Kamera hier!! „Wollt ihr mich hier alle verarschen?!“ „Hast du etwa Probleme mit deiner sexuellen Identität? Ist schon okay, ich bin da sehr offen. Wo die Liebe eben hinfällt.“ Die dunkle, wummernde Stimme kommt so trocken, dass mir die Spucke wegbleibt. Gerade will ich alles abstreiten, als „Sag mal, spielt ihr in euren Blumenkleidchen Tee-Party oder was?!“ eine dunkelhaarige Indianer-Amazone in den Raum stürmt. „Draußen läuft eine Bewohnerin im Nachtgewand herum! Habt ihr keine Augen im Kopf?!“ Alle unsere Blicke wandern zum PC-Bildschirm, auf dem ganz klar im prächtigen Grün Solitär erstrahlt. Dann gehen die Blicke zu mir. Keiner sagt etwas – die Sachlage ist auch so klar. „Das ist ja wohl die Höhe!“ Die Indianer-Lady packt mich und zerrt mich grob auf den Flur. „Los, raus da und bringt sie wieder auf ihr Zimmer!“ Mit Taschenlampen bewaffnet stiefele ich mich mit einem Trinkpäckchen schlürfenden Ungetüm im Rücken durch den pechschwarzen Garten (ein paar Lampen wären ja auch zu viel!) Bis auf das Zirpen und Rascheln unter den eigenen Füßen ist nichts zu hören. „Heeeeeeeey, Zombie!!! Hier ist Frischfleisch, wo bist du??!!“ brülle ich in die Nacht hinein und ernte ein zorniges „Sssshhh!! Du weckst noch die anderen auf (falls sie die Pillendosis für eine gute Nacht nicht umgehauen hat)!“ Als Antwort erntet er ein Murren. Irgendwie muss diese Schrulle ja auf uns aufmerksam gemacht werden! Ich würde lügen, wenn es nicht schon etwas unheimlich ist, über ein stockfinsteres Grundstück zu wandern um eine halbtote im Nachtgewand zu suchen. Und so langsam beschleicht mich das Gefühl, das vielleicht jemand mit Absicht die Tür dieser Verrückten nicht abgeschlossen hat! „Das macht doch keinen Sinn! Wir sollten uns lieber aufteilen, mir ist kalt und wenn die Alte abgehauen ist, finden wir sie eh nicht!“ „Es hat schon einen Grund, weshalb wir zu zweit suchen, Eustass Kid. Und es sollte besonders in deinem Interesse sein, sie auf jeden Fall zu finden.“ Jean legt so viel Intensivität in sein Gelaber, dass ich stutzig werde. Was für einen Grund soll es bitte schön geben, zu zweit eine gebrechliche Frau zu suchen? Dazu ihn zu fragen komme ich nicht, denn die Geräuschkulisse wird von einem lauten Rascheln durchbrochen. „Was war das?“ Ich bleibe stehen und der Riese stellt sich neben mich, leuchtet mit der Taschenlampe in ein Gebüsch. „Es kam von da drüben.“ Ein paar Sekunden passiert nichts. „Willst du nicht vorgehen?“, gebe ich ungeduldig zum Besten. Widerwillig setzt er sich in Bewegung und ich bleibe ihm auf den Fersen (und bin froh, dass er keine Widerworte gibt). Dann ertönt das Rascheln erneut. Als wir näher kommen, kann ich ein leises, fröhliches Summen hören, zusammen mit einem ebenso leisen Lachen. Mir geht heftig die Pumpe, als wir uns in das Gebüsch wagen und Ausschau halten – nichts. Nur ein leerer Platz mit Sitzbänken und Tischen vor dem Zugang zur Küche. „O-okay… du wartest hier und ich schaue nach, ob sie vielleicht irgendwo dort um die Ecke ist.“ Vorsichtig erhebt sich der Koloss und wandert mit Taschenlampe ab, begibt sich vorsichtig in die Dunkelheit, bis er nur noch schemenhaft zu sehen ist. „Hallo? Ist hier jemand?“ Ich hocke brav im Gebüsch und warte ab. So langsam macht das hier echt keinen Spaß mehr! Wenn die Alte weg ist, ist klar, dass mir Shachi das in die Schuhe schieben wird! Dass ich ausgerechnet mit einem Freund von ihm Nachtschicht schieben muss, ist garantiert kein Zufall! Mir ist kalt und ich reibe mir die Arme, dann höre ich ein Knacken und schaue mich um, kann aber nichts erkennen. Nur das Licht von Jeans Taschenlampe, der immer noch den Platz absucht. Ein verächtliches Schnauben von meiner Seite. Dann wieder dieses leise Summen einer Melodie. Oh, oh… „H-hallo?“ frage ich in die Dunkelheit hinter mir und leuchte mit der Lampe, erkenne aber nichts, höre nur diese Stimme. Reiß dich zusammen, Mann! Das ist nur eine alte Frau! Genervt krieche ich aus dem Gebüsch Richtung der Geräusche, die immer lauter werden. Ein paar Mal leuchte ich hin und her, drehe mich im Kreis und dabei erhasche ich etwas Weißes. Ich stocke, lasse den Lichtstrahl langsam wieder ein wenig zurückwandern und für kurze Zeit bleibt mir das Herz stehen: da steht sie, mit ihren langen grauen Haaren, dem weißen langen Nachthemd, völlig dürr und wahrscheinlich blasser als ich erkennen kann. Sie wippt eine leise Melodie summend hin und her, stockt in ihrer Bewegung und lässt ihren Kopf nach oben schnellen. Ihre pechschwarzen Augen starren mich an. Ich schlucke. „J-Jean….?“ Plötzlich schnellt sie auf mich zu. Vor Schreck lasse ich die Taschenlampe fallen „Oh Gott!!!!“ und nehme die Beine in die Hand! Gott sei Dank bin ich schneller als dieser Dämon und kann sie abhängen, drücke mich voller Panik hinter einen Baum und krame eilig mein Handy heraus. „Killer! Es ist dieser Geisterbeschwörerin tatsächlich gelungen mich zu verfluchen! Ein Dämon ist hinter mir her!! Los, du musst sie töten, damit der Fluch gebrochen wird!“ ‚Alter, wenn du ein Problem mit Perona hast, kläre das selbst. Zombie ist auch mein Freund, da hänge ich mich nicht rein. Gute Nacht.‘ „Halt, war-“ tututut. Also hat sie Killer auch schon einer Gehirnwäsche unterzogen! Nach dem Troll ist sie die Nächste! Es gelingt mir, schnell eine Taschenlampen-App herunterzuladen und diese einzuschalten. Dabei bin ich allerdings so vertieft, dass ich nicht merke, wie der Geist in Nachthemd immer näher kommt. Um mir einen Weg zurück ins Gebäude zu suchen, leuchte ich mit dem Handy nach vorne – genau in das eingefallene Gesicht der Frau. In der nächsten Sekunde stürzt sie sich auf mich. „AAAAAAAAAAHHHHHHHHHH!!!“ Es dauert eine Ewigkeit, bis Jean unsere Position anhand meiner Überlebens- und Hilfeschreie ausfindig macht. Schließlich findet er mich mit der Alten kämpfend auf dem Boden. Mein Körper ist so voller Adrenalin gepumpt und auf Überleben eingestellt, dass ich völlig vergesse, dass das da eine alte, gebrechliche Frau ist, die ich gerade zu erwürgen versuche – was auf Gegenseitigkeit beruht. „Spinnst du?! Geh sofort runter von der Frau!!!“ Der Pfleger eilt auf mich zu und zerrt mich von ihr weg. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst warten!“ Mein Herz rast wie wild und ich schnaufe schwer. „Sie hat mich angegriffen, mich verfolgt!! Sie wollte mich töten!!“ Plötzlich rappelt sich die Halbtote blitzschnell auf, fixiert uns mit ihrem Blick und faucht wie ein Dämon (O.M.G!!). Sie macht Anstalten abzuhauen – wird aber von einem Betäubungspfeil niedergestreckt (?!!). Völlig geschockt verfolgt mein Blick die Richtung aus der der Pfeil kam und bleibt schließlich bei gruseligen Riesen hängen, der noch immer mit rauchender Pistole auf die Niedergestreckte zielt. „Genau deswegen gehen wir eine Patientin nie alleine suchen.“ Gelähmt sitze ich vor dem PC und schließe die Ursache allen Übels: das Solitär-Fenster. War das alles gerade wirklich passiert? Hat Jean Beart wirklich mit einer Beruhigungspistole auf die Besessene geschossen, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt? Sie routiniert auf die Schulter gehievt und danach in ihrem Zimmer eingesperrt, am Bett fixiert? Und wieso zum Geier schockt das niemanden sonst?!! „Bist ganz schön still, Rotschopf.“ Laki sitzt lässig in ihrem Stuhl hinter mir und füllt ein paar Zettel aus. „Die Medikamente wirken sehr unterschiedlich auf die Patientinnen, kein Grund zur Panik. Sowas passiert schon mal ab und an.“, meint sie ganz locker. Am Morgen stolzierte der suizidgefährdetste Typ der mir je begegnet ist, fröhlich ein Liedchen trällernd ins Amazon Lily, schlendert gut gelaunt in den Personalraum „Guten Morgen, meine lieben Freunde!“ und macht sich laut an seinem Spint zu schaffen. Erschrocken fahre ich mit übel zerzaustem Haar aus meinem Dämmerschlaf hoch (nach Stunden des Schocks habe ich mich so weit beruhigt, dass die Couch mich ganz locker um den Finger wickeln konnte), registriere wer es wagt, mich zu wecken und plärre mir das linke Auge reibend „Du hast echt Nerven, hier so eine gute Laune zu verbreiten!“ Shachi grinst selbstgefällig. „Hast du gut geschlafen? Das hoffe ich doch sehr, deine Frühschicht fängt gleich an!“ Überaus gereizt und nervlich völlig überspannt, kann ich meine Wut kaum noch im Zaun halten, stehe auf und stapfe auf ihn zu. „Kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen, was ich diese Nacht durchgemacht habe?!!“ Der Troll deutet auf den PC. „Solitär gespielt, anstatt die Überwachungskamera im Auge zu behalten?“ (Mir war langweilig, okay? Eustass Kid lernt nur sehr sporadisch aus Fehlern…) Er zieht seine Sonnenbrille etwas runter und sieht mich herausfordernd an. „Wenn du sonst nichts Schwerwiegendes angestellt hast, bin ich bereit, darüber hinweg zu sehen.“ Dann grinst er und zieht winkend ab. „Du kannst dich etwas frisch machen, dann muss das Frühstück vorbereitet werden.“ Im Bad ziehe ich mir das Shirt aus. An mir haftet der Duft nach Alt und Schweiß. Ich schaue hoch in den Spiegel, erkenne die gebrochene Person darin kaum wieder. Wann ist das aus dir geworden Kid? Wann war der Zeitpunkt, an dem du aufgegeben, deine Prinzipien über Bord geworfen hast? Als Antwort klingelt mein Handy: Trafalgar. Ich bin gefangen in einer Spirale aus Erpressungen, abhängig von der Laune des Todeschirurgen… Widerwillig hebe ich ab. „Ja?“ ‚Guten Morgen, Mister Eustass.‘ Resigniert reibe ich mir die Augen. Kurze Stille. Dann räuspert er sich ungeduldig. Ich verdrehe die Augen. „Ja ja, guten Morgen.“ ‚Wie hat dir die Nachtschicht gefallen?‘ „Woher weißt du davon?!“ Seine Stimme wird zornig. ‚Du hast mich seit unserem Treffen nicht mehr angerufen und auch nicht auf meine Nachrichten geantwortet!‘ „Steckst du etwa dahinter?!“ ‚Als ob ich so einfallslos wäre, dir bloß eine Nachtschicht aufzubrummen! Aber ich könnte dafür sorgen, dass du keine mehr bekommst. Dann schuldest du mir allerdings was.‘ Jetzt ist das Fass voll!! „Es reicht!!!“ Woher ich den Mut nehme, ausgerechnet ihn so anzubrüllen, ist mir schleierhaft, aber der verpasste Schlaf und die Aussicht, gleich noch Frühschicht zu machen, fordern ihren Tribut. „Du kannst deine Hündchen wieder zurückpfeifen, Krankenschwester! Ich brauche dich nicht!! Und hör auf, mich ständig anzurufen! Wir beide sind quitt, hast du kapiert?!! Schönes Leben noch!!“ Das Telefonat wird beendet. Innerlich koche ich vor Wut, schaue wieder in den Spiegel, bemerke die Würgemale an meinem Hals des Geistes, den ramponierten Mann der mir da entgegenblickt und schlage heftig mit der Faust gegen die verschissenen, matten Fliesen (ursprünglich sollte es den Spiegel treffen, aber bei meinem Glück wäre der noch zersprungen und die Konsequenzen wären klar...). Vollgepumpt mit jeglicher Art von Koffein sitze ich später auf den Eingangstreppen. Der Ort, an dem mir eine bestimmte Frau schon oft genug versucht hat, mir ins Gewissen zu reden. „Hey Bellemere, hier ist Kid.“ ‚Was hast du schon wieder angestellt?‘ Dass sie nicht überrascht ist, wundert mich nicht. „Du musst mich hier raus holen, ich glaube, ich habe einen großen Fehler gemacht…“ ‚Hast du jemanden umgebracht??!‘ Beinahe hätte ich gelacht. „Hast du noch einen Scherz auf Lager?! Ich wäre heute fast getötet worden! Die wollen mich fertig machen!“ ‚Kid, weißt du noch als Gloriosa mich das erste Mal angerufen hat? Als du versucht hast, Betäubungsmittel mitgehen zu lassen?‘ Wie könnte ich das vergessen… „Ja..“ ‚Was habe ich dir damals, genau wie all die anderen Male, gesagt?‘ „Dass ich ein hoffnungsloser Fall bin?“ ‚Nein, das andere!‘ Sie wirkt auf einmal etwas lockerer. ‚Amazon Lily ist deine letzte Chance, Kiddo. Im Gefängnis wird es noch sehr viel schlimmer sein. Da wirst du es nicht schaffen, dich mit dubiosen Mitteln und einer korrupten Sozialarbeiterin immer wieder rauszuhauen. Meine Mittel sind begrenzt und mehr als ausgereizt. Denke einfach an deine Zukunft. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir.‘ Irgendwo in meinem Unterbewusstsein dämmert mir, dass sie Recht hat. Aber im Moment gibt es eine Sache, die noch sehr viel wichtiger ist, als meine Zukunft: „Hey, kitty, kitty, koooomm! Miez, miez, miez!“ Rache. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)