Hoffentlich Hundert von Gam ================================================================================ Kapitel 2: Erschöpfung ---------------------- Es ist still geworden, deine Schreie sind verklungen. Du starrst mich an, so voller Wut. Du siehst aus, als wolltest du mich schlagen. Du warst schon immer die Gewaltbereitere von uns beiden. Ich kann ja keiner Fliege was zu Leide tun. Zumindest nicht körperlich... Allein deine Augen zwingen mich, zu gehen. Ich stehe auf, meine Füße rutschen vom Bett auf den blanken Holzboden. Wie oft hat mir dieses Bett Wärme und Liebe geboten. In diesem Bett hatte ich mein erstes Mal. Doch Zeiten ändern sich, und heute ist der Tag gekommen, an dem ich gehen muss. Betont langsam schlüpfe ich in meine Jacke, ziehe meinen Schal an. Quetsche meine Füße in die weißen Chucks. Ich stehe auf, nehme meine Tasche und sehe dich noch einmal an. Du bewegst dich keinen Millimeter. Nur siehst du mit jeder Sekunde wütender aus. Ich würde dir gerne noch so vieles sagen. Aber ich weiß, wenn ich jetzt den Mund aufmache, schreist du wieder nur. Natürlich, du willst es nicht hören. Wie könnte ich dir das verübeln? Nach allem, was passiert ist. Ich lege die Hand auf die Türklinke und drücke. Du stehst auf. „Ich bring dich noch zur Tür.“ Deine Worte haben etwas endgültiges in ihrer Härte. Nun ist es um mich geschehen, ich fange laut an zu weinen. Du reißt die Tür auf und wir gehen raus auf den Flur, deine Schritte hart und fest, meine vorsichtig, ungläubig, denn ich bin blind von meinen Tränen und höre nichts als mein eigenes Schluchzen. Deine Mutter starrt mich aus dem Wohnzimmer heraus blöd an. Bauerntrampel. Ich heule, aber ich starre zurück. Du öffnest die Tür. Ein letzter Versuch, vielleicht... „Lena...“ „Geh.“ Deine Stimme lässt keinen Widerspruch mehr zu. Du hast genug. Endlich genug von der ganzen Geschichte. „Tschüss...“ Meine Verabschiedung klingt lächerlich, und als ich dich in die Arme schließen will, schubst du mich fast aus der Tür und knallst sie vor meiner Nase zu. Ich starre die hässliche braune Holztür an. Die Schuhe daneben, das Klingelschild. Dein Bett bot mir Wärme, dein Elternhaus tat es nie. Ich verlasse das Treppenhaus und gehe meinen gewohnten Weg – nach rechts, über die überwachsenen Pflastersteine, unter den Wäscheleinen entlang. Da steht dein Vater und glotzt. Ich gehe wortlos weiter. Verdammter Macho. Ich mag ihn nicht, weil er dir nie ein guter Vater war. Er ist genauso verdammt sturköpfig und kritikunfähig wie du. Ich weine den ganzen Heimweg hindurch gegen den Wind an. Laut, ungehemmt. Ich habe alles verloren. Es ist vorbei. Ich weiß, dass hier ist schon öfter passiert. Aber diesmal ist es endgültig. Wirklich. Es gibt kein Zurück... und es ist besser so. Es tut so weh. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Du bist mein Leben, ich sehe dich jeden Tag. Wie soll ich zurecht kommen? Ich habe wirklich nichts mehr... Außer ihn. Natürlich, er. Er ist quasi Schuld an allem. Aber ist das schlimm? Egal wie sehr ich dich jetzt gerade liebe. Er will nur mein Bestes. Er versteht mich... Und er hat seit einem halben Jahr auf diesen Augenblick gewartet. Auch in diesen Momenten zaubert der Gedanke an ihn ein hoffnungsvolles Lächeln auf mein Gesicht. Er ist noch da. Und er wird es bleiben. Er hat so viel, was du nicht hast. Er ist so warmherzig, er schenkt mir mehr Liebe, als du es je getan hast – und er ist nicht mit mir zusammen. Du wirst nie verstehen, warum ich ihn nicht vergessen konnte, obwohl ich dich liebte. Er hat mich glücklich gemacht. Was war unsere Beziehung eigentlich? Fangirl-Träume, Lust, Vertrautheit. Ein gemeinsamer Kampf gegen den Rest der Welt. Du bist faul, starrköpfig, achtest selten auf die Gefühle anderer. Ständig ändert sich deine Stimmung und deine Meinung. Ich musste dir nachrennen. Du sagst mir nie, dass du mich liebst. Oder das ich hübsch bin. Ich weiß nicht, ob ich es bin, zumindest gerade nicht. Ich fühle mich scheiße für das, was ich dir angetan habe. Ich habe dich quasi betrogen. Nicht mit meinem Körper, aber in meinem Kopf. Aber liegt die Schuld allein bei mir? Hättest du mich nicht mehr lieben müssen? Ich wäre doch bei dir geblieben, wenn du auch nur versucht hättest, mich glücklich zu machen. Du bist erst aufmerksam geworden, als ich John mehr Aufmerksamkeit schenkte als dir. Und als ich nur noch von ihm reden konnte. Als die Wochenenden plötzlich ihm gehören sollten. Warum? Weil wir etwas unternahmen, weil wir rausgingen, lachten, uns prügelten, und nachts durfte ich neben ihm liegen, und wir redeten die ganze Zeit. Er vergötterte mich, er las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Er meckerte nie, wenn er für mich kochte. Er mag sogar meine Mutter, stell dir das vor. Sie lachen zusammen. Das habt ihr nie getan. Vielleicht ist er begabt dafür, weil er älter ist. Vielleicht bist du auch einfach nicht sozialisierbar. Das würde vieles erklären. Und vielleicht sollten jemand wie du und ich nicht zusammen sein. Die letzten Monate haben mich verändert, und du mochtest keine dieser Veränderungen. Plötzlich wollte ich lachen, singen und die Welt lieben. Ich wollte etwas von der Welt sehen, spontan sein. Du wolltest mich nicht singen hören, da fiel für dich nämlich nie etwas ab. Dass ich sang, hieß ja, dass du keine Aufmerksamkeit bekamst. Du hast mich immer sofort unterbrochen, aber zusammen singen durfte ich mit dir auch nicht. Alles Augenmerk musste auf dir liegen. Früher dachte ich, du singst schön. Stimmt gar nicht, John singt viel schöner. Er hat mir Lieder gesungen und Bilder gemalt. Wann hast du das jemals getan? Ich habe dir Liebesbriefe geschrieben, und nur ein einziges Mal eine Antwort bekommen, weil ich so gebettelt habe. Warum hast du nie ein schönes Wort für mich übrig? Ich weiß rückblickend nicht mehr, was unsere Liebe war. Vielleicht war es eine jugendliche Schwärmerei, eine Gemeinsamkeit von Interessen, die aus Gewohnheit gehalten hat. Wir hatten ja in der Schule niemanden mehr als uns. Ich weiß rückblickend, dass wir nicht zusammen passen. Das Beste an dir ist, dass du gut aussiehst. Du achtest zu wenig auf dich, kratzt dich zu viel und wäschst dir zu selten Haare. Trotzdem siehst du gut aus, und oft weißt du das gar nicht. Und egal wie oft ich es dir gesagt habe, es hat dir wohl nie gereicht. Drei Jahre sind lang, nun sind sie zu Ende. Und es ist gut so. Wir beide gehen nun getrennte Wege, und manchmal schmerzt mich das. Doch das ist alles vergessen, wenn ich in Johns Augen blicke und sehe, wie sehr ein Mensch mich lieben kann. Und ich ihn in meine Arme ziehe und merke, wie schön es ist, aus vollem Herzen zurück zu lieben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)