Das Gedicht von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ron war schon immer eher wortkarg gewesen. Ihm fiel es meist schwer die richtigen Worte zu finden, das spiegelte sich unter anderem auch in seinen Noten wieder. In Deutsch hatte er letztes Jahr eine Fünf kassiert und dieses Jahr mit Ach und Krach eine Vier. Seinen Kumpels war das egal, die legten keinen großen Wert auf Wortgewandtheit oder gute Noten. Er saß im Zug und hatte gerade eine SMS an David versendet, („am we zocken oder disse?"), einen seiner Klassenkameraden. Seufzend drückte er auf 'Senden'. Bisher war er mit seinem Leben, so wie es war ,wirklich zu frieden gewesen. Er lebte von einen Tag auf den anderen, ging feiern ,wenn ihm danach war, oder eben nicht. Er spielte Videospiele, anstatt seine Hausaufgaben zu machen, aber Noten waren ihm eh nie wichtig gewesen. Seit Neustem hatte sich daran allerdings etwas geändert. Am Montag begannen die Herbstferien, in denen er eigentlich mit seinen Kumpels zum Ballermann wollte. Diese Reise würde er absagen, denn er hatte gemerkt, dass er nicht mehr vor seinen Gefühlen davon laufen konnte. Seinen Freunden würde er natürlich andere Gründe nennen, sonst würden sie ihn vermutlich auslachen. Diese Sinneswandlung hatte schon Anfang des Jahres schleichend begonnen, nämlich an dem Tag, als Pia zu ihm die Klasse gekommen war. Schon als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, wusste er, dass sie etwas Besonderes war. Allerdings war sie, im Gegensatz zu ihm, sehr gut in der Schule und vor allem in Deutsch. Die Lehrerin hatte öfter mal erwähnt, dass ihre Aufsätze stets die besten seien. Außerdem war sie sehr hübsch und selbstbewusst. Ron selber war zwar nicht unbeliebt und galt auch eher als cool, aber Pia war dennoch eine Nummer zu groß für ihn. Da sie in seiner Klasse war, bekam sie auch mit, wie häufig er mit den Lehrern aneckte und wie seine Noten im Groben aussahen. Ron befürchtete daher auch, sie würde ihn nicht ernst nehmen, wenn er mit irgendeinem einfältigen Anmachspruch daherkommen würde. Dies war einer der Gründe, weshalb er es bisher komplett unterlassen hatte, sich ihr irgendwie anzunähern. Er hatte zwar schon mal ein paar Worte mit ihr gewechselt, aber nur über Belangloses. Nun allerdings war er fest entschlossen! Er würde die Herbstferien zu Hause verbringen und die perfekte Liebeserklärung formulieren und er hatte sich sogar schon überlegt, wie er das hinbekommen wollte. Zuerst jedoch musste er seinen Kumpels noch sagen, dass sie ohne ihn nach Mallorca fliegen müssen. Während er also weiter seinen Gedanken nachhing, verfasste er eine weitere SMS an Mark, der die Sauftour organisierte (Yo, komme nicht mit nach Malle, meine Alte stresst rum wegen Noten:/ Euch viel Fun :-)). Nachdem er auch diese Nachricht versandt hatte, packte er sich seinen Rucksack und stieg an der Haltestelle in der Innenstadt aus und lief zur Buchhandlung. Seltsamerweise hatte er tatsächlich Angst, einer seiner Kumpels könnte ihn dabei sehen. Hm, dann würde er halt behaupten, er kaufe die Bücher für seine Mutter, überlegte er sich und stand plötzlich schon vor dem Laden. Er hatte gar nicht gemerkt, wie er den Weg zurück gelegt hatte. Er nahm sich vor, schnellst möglich die Bücher, die er brauchte, zu kaufen und dann wieder zu verschwinden, doch das stellte sich als schwerer heraus als er es sich gedacht hatte. Ron hatte noch nie so viele Bücher auf einmal gesehen, wer sollte die denn bloß alle lesen? Noch wichtiger, wie sollte er hier jemals das richtige Buch finden? Langsam schritt er weiter in die Buchhandlung rein und ließ den Blick über die Regale schweifen, ohne dass er sich auch nur einen Titel wirklich genau durchlas. Er merkte schnell, dass er mit diesem Überangebot überfordert war, daher fasste er sich ein Herz und sprach eine Verkäuferin an. „E-entschuldigung?“ stotterte er. Warum war ihm das bloß so unangenehm? Er kannte die Frau doch gar nicht. „Wie kann ich Ihnen denn helfen?“ fragte die Verkäuferin freundlich und lächelte ihn an. „Also ich suche etwas für Mädchen. So mit Romantik und so, “ versuchte er sein Anliegen zu schildern, nicht ohne ein wenig rot zu werden. Die Verkäuferin zog eine Augenbraue hoch. „Da haben Sie hier eine große Auswahl. Wollen Sie denn einen Roman oder einen Gedichtband zu dem Thema?“ fragte sie ihn weiter aus. Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. „Am besten beides…?“ antwortete er unsicher. „Dann folgen Sie mir mal junger Mann.“ Schnellen Schrittes lief die Verkäuferin auf eines der vielen Regale zu und blieb davor stehen, Ron konnte gerade so Schritt halten. „Hier dürften Sie fündig werden“, sagte sie noch und eilte dann zum nächsten Kunden. Mittlerweile gar nicht mehr so überzeugt von seinem Vorhaben, begann Ron sich die Bücher in dem Regal mal näher anzuschauen. Rendezvous, Meine einzige Liebe, Im Sturm erobert, Flammende Küsse und noch viele andere Titel fielen ihm ins Auge. Hm, das waren alles Romane, aber welchen sollte er wählen? Er vertagte die Entscheidung und ging zu den Gedichtbänden über. Da wurde er wesentlich schneller fündig. Er zog Gedichte der Romantik von Wolfgang Frühwald aus dem Regal. Das hörte sich doch endlich mal nach etwas an, das ihm tatsächlich weiterhelfen konnte. Ohne einen Blick hinein zu werfen, entschied er sich dafür es zu kaufen. Nachdem er noch eine halbe Stunde erfolglos bei den Romanen verbracht hatte, gab er auf. Er würde nur die Gedichte kaufen, das würde schon reichen. Also bezahlte er den Gedichtband und verließ die Buchhandlung. Seltsamerweise fühlte er sich erleichtert. Zuhause angekommen, traf er seine Mutter in der Küche an. Sie hatte bereits mit dem Essen auf ihn gewartet. „Wo warst du denn noch?“ fragte sie, während sie den Tisch deckte. „Buchhandlung“, antwortete Ron so knapp wie möglich und hoffte, sie würde nicht weiter darauf eingehen. Er hatte wirklich keine Lust diese peinliche Angelegenheit ausgerechnet mit seiner Mutter zu besprechen. Natürlich ließ sie nicht locker. „Du warst in der Buchhandlung? Verkaufen die neuerdings auch Videospiele?“ fragte sie scherzhaft. „Haha,“ gab er genervt zurück. „Du redest ja heute wieder wie ein Wasserfall. Schön, wenn du nicht drüber reden willst, auch gut. Komm und iss was,“ forderte sie ihn auf und er tat wie geheißen. Während des Essens plauderte seine Mutter wie immer über alle Möglichen Themen. Die Nachbarn, die Arbeit, die schrecklichen Zustände in den öffentlichen Verkehrsmitteln usw. Er kam wie gewohnt nicht zu Wort und das war ihm auch recht so. Als er endlich in ungestört in seinem Zimmer war, widmete er sich wieder seinem Vorhaben. Er nahm sich einen Block und einen Stift, damit er gewappnet war, falls ihm tatsächlich etwas einfallen sollte. Er schlug Gedichte der Romantik auf und sah sich erstmal die vielen Gedichttitel an. Er entschied sich schließlich für Was ist mir denn so wehe von Joseph von Eichendorff. Es liegt ja wie im Traum Der Grund schon, wo ich stehe, Die Wälder säuseln kaum Noch von der dunklen Höhe. Es komme wie es will, Was ist mir denn so wehe - Wie bald wird alles still. Ob es ihr wirklich gefallen würde, wenn er ihr von säuselnden Wäldern erzählte? Er bezweifelte dies stark. Er gab dem Gedichtband noch eine Chance und schlug Der Kuss im Traume von Karoline von Günderrode auf. Es hat ein Kuß mir Leben eingehaucht, Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten, Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten, Daß neue Wonne meine Lippe saugt. In Träume war solch Leben eingetaucht, Drum leb' ich, ewig Träume zu betrachten, Kann aller andern Freuden Glanz verachten Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht. Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen, Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen Und mich verzehren seiner Sonne Gluthen. Drum birg dich Aug' dem Glanze irrd'scher Sonnen! Hüll' dich in Nacht, sie stillen dein Verlangen Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluthen. Mit Busen und Küssen konnte er zwar schon mehr anfangen als mit säuselnden Wäldern, aber ihm wurde schnell etwas klar. Ganz egal wie viele solcher Gedichte er auch lesen würde, selber eines zu verfassen würde ihm trotzdem nicht gelingen. Vielleicht konnte er aber einfach etwas aus verschiedenen Gedichten nehmen und dann etwas daraus basteln. Küssen im säuselnden Wald hörte sich gar nicht so schlecht an. Allerdings wusste er nicht, wie gut sich Pia mit Gedichten auskannte und wenn sie bemerken würde, dass er sich mit fremden Federn schmückte, wäre sie sicher nicht mehr so begeistert. Er wollte aber nicht schon nach zwei Gedichten aufgeben, vielleicht fiel ihm ja doch noch etwas Eigenes ein, wenn er sich noch ein paar weitere durchlas. Schlussendlich las er bis lange in die Nacht Gedichte. Nun war es Montag und die Herbstferien hatten offiziell begonnen. Seine Kumpels hatten sich nicht mehr gemeldet, daher ging er davon aus, dass sie seine Nachricht erhalten hatten und sich nun ohne ihn auf Mallorca befanden. Er war kurz davor seine Entscheidung zu bereuen, da er immer stärkere Zweifel hegte, jemals die passenden Worte zu finden. Eine Erinnerung an Pia reichte jedoch aus, um seinen Ehrgeiz erneut zu wecken. Er brachte also tatsächlich seine wertvollen Herbstferien damit zu, Gedichte zu lesen, sich im Internet weitere Anregungen zu holen und zu schreiben. Etwas, was er immer als langweilig und überflüssig empfunden hatte. Doch je mehr er sich damit befasste, desto besser gefiel es ihm. Er hatte sich bisher auch noch nie so eingehend damit beschäftigt, was Pia eigentlich alles so mochte und was nicht. Um das herauszufinden hatte er ihr Facebook-Profil eingehend studiert. Sie mochte Bücher (was für eine Überraschung!), den Duft von Erdbeeren und sie ging gerne ins Theater sowie ins Kino. Außerdem verbrachte sie offenbar weniger Zeit mit den Mädchen aus seiner Klasse, als er bisher angenommen hatte. Ron fand nämlich ebenfalls heraus, was sie nicht mochte. Dazu gehörte unter anderem auch Schoppen und er wusste, dass die anderen Mädchen das oft und gerne taten. Nachdem die erste Woche der Herbstferien verstrichen war, kam seine Mutter eines Abends in sein Zimmer. „Hallo Schatz“, begrüßte sie ihn und setzte sich zu ihm aufs Bett. „Was gibt’s?“ fragte Ron und ließ den Gedichtband möglichst unauffällig unter dem Kopfkissen verschwinden. „Ähm, also ich wollte mal fragen ob bei dir alles in Ordnung ist? Du gehst gar nicht mit deinen Freunden aus und das wo doch Ferien sind. Hattest du Ärger in der Schule?“ fragte sie besorgt. „Nein alles bestens,“ antwortete er gewohnt knapp. „Hm. Na wenn du es sagst. Komm aber zu mir, wenn du Ärger hast,“ forderte sie ihn noch auf und verschwand dann wieder. Mütter, dachte er nur. Sie machten sich immer viel zu viele Sorgen. Als er sich sicher war, dass sie nicht noch einmal in sein Zimmer kam, widmete er sich wieder seinen Zeilen für Pia, mit denen er immer besser voran kam. Während er immer weiter schrieb, verstrich der Rest der Herbstferien wie im Flug. Ehe er sich versah, stand schon wieder der erste Schultag an. Der Tag der Wahrheit. Er würde gleich heute mit Pia reden, bevor ihn sein Mut verließ. Nachdenklich stand er vor seinem Kleiderschrank. Er wollte heute gut aussehen, daher brauchte er auch im Badezimmer wesentlich länger als sonst. Hätte ihn seine Mutter nicht irgendwann auf die Uhrzeit aufmerksam gemacht, hätte er wohl auch noch den Zug verpasst. In der Schule wurde er sofort von seiner üblichen Clique begrüßt. In der Pause berichteten sie unermüdlich von ihrer Sauftour und zeigten ihm all die lustigen Fotos, die dabei entstanden waren. Doch Ron hörte ihnen nur mit halbem Ohr zu und sein Blick glitt immer wieder zu Pia. Sie war während der Herbstferien noch um einiges hübscher geworden, fand er. „Hey Bro, hörst du mir überhaupt zu?“ fragte David und boxte ihm spielerisch auf die Schulter. „Sorry Alter, ich muss mal eben was erledigen,“ entgegnete er und löste sich von der Gruppe. Seine Beine fühlten sich irgendwie anders an als sonst, er befürchtete schon sie würden schlappmachen, bevor er bei Pia angekommen war. Diese war wie so oft von einer Scharr anderer Mädchen umgegeben. Er fasste sich jedoch ein Herz und sprach sie trotzdem an. „Pia? K-kann ich dich k-kurz sprechen?“ fragte er stotternd. Oh man, dachte er, das läuft ja super. Sie blickte nur verlegen zu ihren Freundinnen und nickte ihm dann zu. Sie suchten sich ein ruhiges Plätzchen und sahen sich dann verlegen an. Komm schon, Mann, leg endlich los, forderte sich Ron gedanklich dazu auf, endlich das Gedicht aufzusagen, welches er für sie geschrieben hatte und extra auswendig gelernt hatte. Seine Lippen blieben jedoch verschlossen, so als wäre er nicht mehr Herr über sie. Scheinbar war er rot geworden, denn Pia lächelte verlegen und wurde ebenfalls rot. „Also ich…wie soll ich sagen…ich glaube ich weiß schon was du…naja also was du mir sagen willst,“ stammelte sie plötzlich los. Pia stammelte? Er verstand die Welt nicht mehr, das war doch für gewöhnlich sein Part. Außerdem schien sie zu wissen, worauf er hinauswollte und versuchte dies frühzeitig zu unterbinden „Oh, also wenn das so ist. Ist schon gut, also dann ge-‚“ setze Ron an, wurde jedoch von Pia unterbrochen. „Nein, ich…“ sie unterbrach sich selbst und schien um Worte zu ringen. Pia, die ein Ass in Deutsch war, so hübsch und klug war, rang tatsächlich um Worte, er konnte es nicht fassen. Sie atmete tief ein und aus und dann sagte sie etwas, das sich viel schöner anhörte, als all die Gedichte die er gepaukt hatte. Nur ein paar Worte, wohl die schönsten die er je gehörte hatte. „I-ich glaube ich habe mich in dich verlieb,“ brachte sie heraus und überschlug sich fast beim Reden. Sie hatte sich in ihn verliebt? Wann war das denn passiert und warum hatte er es nicht bemerkt? In der Hoffnung nicht im nächsten Moment aufzuwachen, versuchte er eine Antwort zu formulieren. „Also, dann könnten wir ja mal zusammen ins Kino gehen oder ins Theater, wenn du möchtest,“ schlug er vor und bemerkte, dass ihm die Worte immer leichter fielen. Denn er hatte etwas gemerkt. Er brauchte sich gar nicht zu schämen, nicht die richten Worten gefunden zu haben, denn in der Liebe fehlten scheinbar jedem die Worte, sogar Pia. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)