Von Dämonen, Monstern und Geistern von Pumpkin_Queen (Herbstspiele) ================================================================================ Kapitel 2: Menschenfresser -------------------------- Für Florance Heimlich liefen die letzten zehn Halloweennächte immer gleich ab: Sie kostümierte sich ein wenig und verbrachte die Nacht damit Süßigkeiten an die Kinder zu verteilen, die vorbei kamen. Und zwischendurch sah sie sich den einen oder anderen Horrorfilm an. Den Drang, mit gleichaltrigen durch die Straßen zu ziehen, unterdrückte sie jedes mal aufs Neue, denn sie wusste genau, was passieren würde, wenn sie zu Halloween durch die dunklen Straßen lief. Sie würde in jedem Schatten und an jeder Ecke ein Monster sehen... Und zwar nicht die kleinen harmlosen Exemplare mit denen sie jeden Tag zu tun hatte – sondern die mit scharfen Krallen und spitzen Zähnen, die am liebsten Jagd auf Menschen machten. Tief Atmete Florance die kalte Nachtluft ein. Dutzende kleine Steine und spitze Äste bohrten sich durch ihr Sweatshirt bis tief in ihre helle Haut, doch das spürte sie kaum noch. Genauso wenig wie die unzähligen Schnitte in ihrem Gesicht, die von den Dornenbüschen stammten, in denen sie sich versteckte. Seit sie diesen Friedhof betreten hatte, wusste sie, dass es eine bescheuerte Idee war! Einen kurzen Augenblick lang glitten ihre Gedanken zum Anfang dieses Alptraumes: Wie jedes Jahr wollte sie die Nacht zu Halloween damit verbringen, sich einige Filme anzuschauen. Doch dann hatte eine Klassenkameradin sie per Facebook gefragt, ob sie nicht Lust hätte, zu einer Party zu kommen. Natürlich hatte Florance sich über diese Einladung gefreut. Sie war erst in diesem Schuljahr dazu gestoßen und hatte noch keine Freunde in ihrer neuen Schule gefunden und daher sah sie diese Gelegenheit als eine Chance, Freundschaft mit einigen Leuten zu schließen. Also ignorierte sie die nervige kleine Stimme in ihrem Kopf, die sie zu warnen versuchte. Versuchte ihr klar zu machen, dass das nicht mir rechten Dingen zugehen konnte. Wieso sollte das beliebteste Mädchen ihrer Klasse ausgerechnet eine stille und unscheinbare Leseratte wie Florance zu einer Party einladen? In freudiger Aufregung vergaß Florance sogar, ihrer Tante und ihrem Onkel Bescheid zu sagen, bei denen sie lebte, solange ihre Eltern auf Forschungsreise waren. Sie war einfach nur froh, endlich Anschluss an andere Jugendliche zu finden. Zu spät erkannte Florance ihren Fehler. Als sie den alten Friedhof an der Stadtgrenze erreicht hatte, stellte sie fest, dass niemand sonst dort war. Sie stand alleine vor dem rostigen Tor, dass unerwünschte Besucher vom verlassenen Friedhof fernhalten sollte. Langsam sickerte die Erkenntnis, dass sie verarscht wurde, durch den Schleier der Verwirrung und hinterließ nichts als maßlose Enttäuschung und Trauer. Wie konnte sie nur so dumm sein und glauben, Freunde finden zu können? Und dann bemerkte sie es. Sie bemerkte, wie die Sternenklare Nacht sich langsam zurück zog und einer kalten Dunkelheit platz machte – die Monster hatten sie bemerkt. Schwer schluckte Florance, als sie spürte, wie die ersten Tränen sich ihren Weg über ihre verletzten Wangen suchten. Das erste Mal, dass sie so etwas erlebt hatte, war in der Halloweennacht nach ihrem sechsten Geburtstag. Sie war mit ihren beiden Cousinen Alea und Destina von einer erfolgreichen 'Süßes sonst gibt’s Saures'-Tour zurück und lief mit ihnen durch eine leere Straße, als die Dunkelheit die drei überraschte. In dieser Nacht lernte Florance, dass es Momente gab, in denen man sich Angst nicht erlauben durfte. Zitternd presste sie ihren Körper so nah wie möglich auf den Boden. Egal wie groß ihre Schmerzen waren, egal wie gerne sie in diesem Augenblick laut Aufschreien und Heulen würde, sie durfte nicht. Wenn sie den Sonnenaufgang noch erleben wollte, musste sie ruhig bleiben. Sie wusste, sie durfte keine Geräusche machen. Würden diese Kreaturen sie bemerken, wäre das ihr Ende. Ein rascheln lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf den verwilderten Weg vor ihr. Der Menschenfresser schlich langsam an den Büschen entlang – Florance war sich sicher, dass dieses Ungetüm nicht mehr lange brauchen würde, um sie zu bemerken. Sie hatte schon oft von diesen Kreaturen gelesen. Über ihre endlose Blutgier, ihren unbändigen Hunger und ihren unaufhaltsamen Drang. Ihre Beute zu hetzen und zu töten. Doch niemand wusste, wie man diese Monster tötete – so weit, war noch nie jemand gekommen. Die einzige Möglichkeit zu überleben, bestand darin, die nächstbeste Gelegenheit zu nutzen und zu fliehen! Ein letztes Mal atmete Florance tief ein. Der Menschenfresser war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt. Florance war sich sicher, dass das ihr Ende war. Wieso hatte sie nicht auf Alea gewartet? Ihre Cousine hätte sicherlich einen Ausweg gewusst. Sie hätte in wenigen Augenblicken einen Fluchtplan zur Hand gehabt und im Notfall hätte sie immer noch Daemonicon, den Tigerdämonen rufen können! Im Vergleich zu ihrer Cousine, war Florance ein Schwächling. Ein Angsthase, der nichts zu Stande brachte und sogar auf eine falsche Party-Einladung herein fiel! Kräftig stieß Florance sich vom Boden ab und rannte den überwucherten Weg entlang. Der Menschenfresser dicht hinter ihr. Vielleicht war sie nicht so stark wie Alea oder so talentiert im Umgang mit Magie, wie Destina. Aber sie würde auf keinen Fall kampflos aufgeben und sich ohne Gegenwehr fressen lassen. Florance war sich sicher, dass sie dem Menschenfresser nicht entkommen konnte, aber sie würde den Teufel tun und es ihm leichter machen! Plötzlich wurde sie niedergerissen. Hart schlug sie auf den Boden auf und etwas großes beugte sich über ihren schmerzenden Körper. Im ersten Augenblick dachte sie, dass der Menschenfresser sie erwischt hätte, es dauerte einige Augenblicke bis sie realisierte, dass es etwas anderes war. Entsetzt blickte Florance in die schmalen Augen des jungen Drachen, der sie neugierig musterte. Das wütende Brüllen des Menschenfressers hallte in sicherer Entfernung wieder. Florance erinnerte sich, dass sie irgendwann einmal gelesen hatte, dass Drachen die einzigen Feinde der Menschenfresser waren. Müde ließ Florance sich auf ihr breites Bett fallen. Die heiße Dusche hatte ihr gut getan und nicht nur den Dreck sondern auch einige ihrer Schmerzen davon gespült. Sie musste unbedingt ihrem Onkel erzählen, dass ein Menschenfresser in der Nähe des alten Friedhofs lebte. Immerhin war er ein Magier. Florance war sich sicher, dass er wusste, was zu tun war. Umständlich wickelte sie sich in ihre Decke ein und drehte sich auf die Seite. Schweigend beobachtete sie den Drachen, der friedlich neben ihrem Bett lag und genüsslich vor sich hin döste. Eines ihrer alten Stofftiere – ein Bär – lag zwischen den Klauen des Drachen. Wie sollte sie nur ihrer Tante erklären, dass sie ab sofort eine Eidechse von der Größe eines Kalbes mit durchfüttern musste, die eine auffällige Vorliebe für weiche Sachen hatte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)