Mädchenherz♥ von Jitsch (Ein unfreiwilliger Geschlechterwechsel für Jûdai und seine Folgen) ================================================================================ Kapitel 3: Mädchen kennen Tränen -------------------------------- Johan hat mir bis heute nicht erzählt, was genau er in der darauf folgenden Nacht geträumt hat. Ich weiß nur, dass er irgendwann mitten in der Nacht aus einem Traum erwachte, den er nicht noch einmal haben wollte. Deshalb blieb er den Rest der Nacht wach, bis ihn, als die Dämmerung über der Insel einsetzte,  dann doch die Müdigkeit übermannte.   Davon hatte ich natürlich keine Ahnung. Dass etwas nicht stimmte, fiel mir erst im Laufe des Tages auf.   Kapitel 3. Mädchen kennen Tränen   Ich hatte auch eher schlecht geschlafen, weil ich in der Nacht dreimal von der geheimnisvollen Stimme geträumt und danach aufgewacht war. Asuka kannte allerdings kein Erbarmen: Sie weckte mich pünktlich, weil sie keine Lust darauf hatte, im Unterricht wie am Vortag mein lautes Magengrummeln ertragen zu müssen. Das Frühstück schaufelte ich mir im Halbschlaf in den Mund.   „Seltsam, Johan ist gar nicht da“, bemerkte Asuka, als wir den Speisesaal von Osiris Red verließen. Rei war noch in der Küche, da sie einem Mitschüler eine Lunchbox zubereiten wollte. Ich blinzelte trägeins Morgenlicht. „Vielleicht hatter auch verschlaf‘n“, murmelte ich. Ich war zu müde, um mir jetzt mehr Gedanken darüber zu machen. Asuka sah auf die Uhr ihres Duel Pagers. „Wir sollten los. Johan wartet wahrscheinlich am Hauptgebäude“, vermutete sie und ging los. Ich stapfte ihr hinterher.   Johan wartete nicht am Hauptgebäude, also gingen Asuka und ich gleich weiter zum Vorlesungssaal. Dort war Johan auch nicht, aber wahrscheinlich würde er bald kommen. Ich setzte mich auf meinen Platz und legte den Kopf aufs Pult. Noch bevor der Unterricht anfing, war ich eingeschlafen.   Erst als die Schulklingel das Ende des Unterrichts verkündete, wachte ich wieder auf. Als erstes drehte ich mich nach rechts, wo normalerweise Johan saß, doch sein Platz war seltsamerweise leer. „Falls du Johan suchst, der war den ganzen Vormittag nicht da“, sagte Asuka, die in der Reihe hinter mir saß. Ich sah sie verblüfft an. „Dann muss er ja wirklich müde gewesen sein“, stellte ich fest. Sie hob die Augenbrauen. „Nur weil du müde bist, muss das nicht für ihn gelten. Ich hoffe, ihm ist nichts passiert“, meinte sie und klang dabei irgendwie besorgt. „Was meinst du?“, hakte ich nach. Asuka schüttelte den Kopf. „Nein, nichts, schon gut. Wahrscheinlich hat er verschlafen und wollte nicht mittendrin in den Unterricht reinplatzen.“ Ich sprang auf. „Das wird es sein. Am besten gehe ich gleich mal zu ihm und frage!“ „Weißt du überhaupt, wo Johans Zimmer ist?“, fragte Asuka, als ich schon am Ende der Bankreihe angekommen war. Ich schüttelte den Kopf. „Kein Problem, Jucchi! Ich bringt dich sofort zu seinem Zimmer!“, mischte sich Fubuki ein, der neben Asuka saß und bis dahin schweigend zugehört hatte. „Au ja, danke!“, rief ich und strahlte ihn an. Er zwinkerte mir mit einem breiten Grinsen zu. „Einer hübschen Dame wie dir helfe ich doch immer gern“, verkündete er.  Asuka verdrehte die Augen.   Als wir die Obelisk Blue Jungenunterkunft betraten, fiel mir auf, dass ich noch nie dort gewesen war. Ich kannte nur die Fassade, die natürlich auch schon beeindruckend war und aussah wie die eines europäischen Schlosses. Der Eingangsbereich ließ mich dann aber doch erstmal beeindruckt stehenbleiben und mich umsehen. Die Bodenfliesen waren so sauber, dass man sich in ihnen spiegeln konnte. Durch die großen Frontfenster fiel goldenes Sonnenlicht in die Halle und brachte die pompösen Kronleuchter zum Glitzern, die an der Decke hingen. Rechts und links führten zwei gewundene Treppen ins nächste Stockwerk, das sich in einer Galerie einmal um die Halle zog. „Hier würde die Osiris Red Unterkunft ja dreimal reinpassen!“, stieß ich aus. Fubuki lachte. „Das könnte sein, aber wir haben ja auch viel mehr Schüler als Osiris Red“, bemerkte er. „Ist trotzdem groß“, sagte ich und folgte Fubuki, der in Richtung Treppe schlenderte und nebenbei ein paar Schüler freundlich grüßte, die ihm entgegenkamen. Er führte mich in den zweiten Stock, wo wir einem mit blauem Teppich ausgelegten Gang folgten, von dem in recht großen Abständen Türen aus dunklem Holz abgingen. Die Zimmer der Austauschschüler lagen recht weit weg vom Haupteingang am Ende eines Flurs.    Einer der Austauschschüler, Amon Garam, kam uns gerade entgegen als wir dorthin abbogen. „Hey, kannst du uns sagen, welches das Zimmer von Johan Andersen ist?“, fragte Fubuki. Amon blieb stehen und rückte seine Brille zurecht. „Ihr wollt ihn besuchen? Das ist aber nett von euch. Es scheint ihm nicht gut zu gehen, er hat das Zimmer heute noch nicht einmal verlassen“, erklärte er besorgt und deutete auf die hintere linke Tür. „Danke, nett von dir“, sagte ich. Amon lächelte. „Ist doch selbstverständlich“, bemerkte er und  machte sich dann davon. Fubuki klopfte mir auf die Schulter. „Ich geh dann auch mal“, sagte er und wandte sich zum Gehen. „Wieso das denn? Willst du gar nicht wissen, wie es Johan geht?“, fragte ich verwirrt. Fubuki winkte ab. „Sprich du mal mit ihm, da freut er sich sicher drüber! Bis später, Jucchi!“ Damit folgte er Amon. Ich sah ihm noch nach, bis er um die nächste Ecke gebogen war und ging dann zu Johans Zimmertür.   Mit einem lauten „Huhu, Johan!“, stieß ich die Tür schwungvoll auf. Das Zimmer war finster. Die Vorhänge waren zugezogen und die Lampen aus, sodass das einzige Licht durch die Tür kam und lediglich meinen Schatten eingerahmt von einem hellen Rechteck auf den Boden warf. „Johan?“, fragte ich. In der rechten Zimmerhälfte nahm ich eine Bewegung wahr. Dann erkannte ich Johans Silhouette. „Jûjika? Kannst du nicht wenigstens anklopfen?“, fragte er. Ich wunderte mich etwas, dass er mich mit meinem Mädchennamen ansprach, aber vielleicht hatte er nicht gleich gesehen, dass ich alleine war. Ich schloss die Tür hinter mir und ging erstmal an den undeutlichen Schemen von ein paar Möbeln vorbei, um den Vorhang vor einem der beiden Fenster zu öffnen. Die Mittagssonne flutete sofort mit voller Strahlkraft in den Raum. „Was hockst du denn hier im Dunkeln?“, fragte ich und drehte mich zu Johan um. Jetzt konnte ich alles besser erkennen: Er stand neben einem kleinen Sofa, das zusammen mit einem niedrigen Tisch in einer Hälfte des Zimmers stand. Am Körper trug er nichts als eine Boxershorts. „Sag du mir lieber, warum du hier bist“, erwiderte er und setzte sich wieder auf das Sofa. Ich verstand ihn nicht so recht. „Na, du warst heute gar nicht im Unterricht, da wollte ich mal sehen, wie es dir geht!“ Johan seufzte. „Ich habe doch gesagt, dass er genau das tun wird“, meldete sich eine Frauenstimme zu Wort. Es war Johans Monster, Edelstein-Bestie Amethyst Cat, das in seiner geisterhaften Gestalt neben dem Sofa erschien. Die Raubkatze ging auf mich zu und musterte mich scharf. „Du hast keinen guten Zeitpunkt erwischt“, erklärte sie mir. „Wie meinst du das?“, fragte ich und ging zu der Sitzgruppe herüber, wobei ich im Vorbeigehen einen bewundernden Blick auf den riesigen Flachbildfernseher warf, der in der Zimmerecke stand. Johan bedeckte seine Augen mit einer Hand und senkte den Kopf. „Was ist, geht es dir nicht gut? Ist dir schlecht?“, fragte ich und beugte mich über den kleinen Tisch hinweg zu ihm. Er machte eine abwehrende Handbewegung. „Mir geht’s gut, ich brauch nur ein bisschen Ruhe“, murmelte er ohne mich anzusehen.   „Er hat schlecht geschlafen“, mischte sich eine weitere seiner Edelstein-Bestien ein: Sapphire Pegasus, ein weißes, geflügeltes Pferd mit einem langen, dunkelblauen Horn auf der Stirn. „Ach so, also ist alles halb so wild“, stieß ich erleichtert aus. „Aber ich kann mir schönere Plätze zum Schlafen vorstellen als ein dunkles Zimmer. Lass uns raus gehen, wir können uns doch unter den Baum an der Klippe legen.“ Johan schüttelte den Kopf. „Ich möchte hierbleiben. Geh bitte.“ Das konnte ich so nicht stehen lassen. Ich setzte mich schräg gegenüber von Johan auf das Ecksofa und verschränkte die Arme. „Ich will aber den Nachmittag mit dir verbringen!“ Johan stöhnte auf.  „Ich hab’s dir gleich gesagt“, sagte Amethyst Cat spitz. „Wenn du nicht raus willst, kann ich auch hier bleiben“, bot ich an. Johan schüttelte den Kopf. „Was denn nun?“, fragte ich verwirrt.   „Wie schwer von Begriff kann man eigentlich sein?“, mischte sich die Raubkatze wieder ein, während sie auf mich zu tapste. „Johan will jetzt einfach nicht mit dir zusammen sein.“ Das fühlte sich an wie ein Messerstich in die Brust. „W- was soll das heißen?“, stammelte ich und sah hilfesuchend zu Johan. „S- stimmt das?“ Er sackte ein wenig zusammen. Den Kopf hatte er so tief gesenkt, dass seine Haare die Augen komplett bedeckten. Kein Wort kam über seine Lippen. „Johan!“, flehte ich. Er sollte irgendwas sagen!   Johans rechte Hand ballte sich zur Faust und er drückte sie zitternd ins Sofa. „Er will nicht mit dir reden, Kleine!“, verkündete das dritte seiner Monster. Cobalt Eagle, der Raubvogel mit dem großen Edelstein auf der Brust materialisierte sich direkt neben Johan auf der Sofalehne und plusterte sein Gefieder auf, um größer zu wirken. „So leicht wirst du mich nicht los! Fehlt dir irgendwas? Hast du ein Problem? Ich könnte dir helfen!“, sagte ich und schob halb im Stehen den Oberkörper auf Johan zu.   „Nein“, sagte er. „Was nein?“ „Du kannst mir nicht helfen“, sagte er leise. „Du kannst ihm nicht helfen“, wiederholte Amethyst Cat mit Nachdruck. Ich richtete mich auf und breitete aufgebracht die Arme aus. „Woher wollt ihr das so genau wissen? Ich hab’s doch noch nicht mal versucht! Und wenn ihr mir nicht sagt, was das Problem ist, kann ich das auch nicht!“   „Das Problem ist etwas, über das er mit dir nicht reden kann“, meldete sich Amber Mammoth, das größte von Johans Monstern mit seiner tiefen Stimme zu Wort. Das Mammut erschien zwischen Bett und Fenster, wo es den Freiraum fast komplett ausfüllte. „Dann soll er mir das selber sagen!“, rief ich aufgebracht und sah Johan auffordernd an. Er wich meinem Blick immer noch aus. „Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen, wenn ich dich darum bitte?“, fragte er gequält. Ich stemmte die Arme in die Hüften. „Weil wir Freunde sind, verdammt!“, rief ich. Johan zuckte zusammen. „Und Freunde helfen sich gegenseitig, wenn sie in Schwierigkeiten sind!“   Er schüttelte den Kopf, den er jetzt mit dem Gesicht in beide Hände gelegt hatte.   Ihn so zu sehen, tat weh. Irgendwas machte ihn doch unglücklich, aber ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was. Vorsichtig streckte ich die Hand nach ihm aus. „Lass mich wenigstens versuchen, dir zu helfen, okay? Wir schaffen das schon.“ Als ich seine Schulter berühren wollte, schlug er meine Hand weg. Ruckartig stand er auf. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, weil das Sonnenlicht, das ihm genau in den Rücken schien, es in tiefe Schatten tauchte. Dann begann er zu reden, und mit jedem Wort wurde seine Stimme lauter und schriller.   „Du kannst mir aber nicht helfen, verdammt! Nicht du! Wenn du nicht wärst, würde es mir jetzt viel besser gehen!“   Das saß.   Ich wollte etwas sagen, aber in meiner Kehle hatte sich ein dicker Kloß gebildet. Ein, zweimal öffnete ich den Mund, ohne dass ich auch nur den kleinsten Laut herausbrachte. Als ich blinzelte, merkte ich, dass meine Augen feucht wurden.   „Geh jetzt“, sagte Johan. Es klang, als hätte er Schmerzen, aber das war mir jetzt egal. Ich wollte sowieso nur noch weg.   Ich fand den Weg zur Tür, riss sie auf und rannte den Gang herunter. Erst, als ich abgebogen war, hörte ich seine Zimmertür hinter mir ins Schloss fallen, aber das nahm ich nicht mehr bewusst wahr. Mein Blick verschwamm immer mehr, während ich ziellos durch die Gänge rannte. Einmal lief ich fast einen Jungen um, der gerade aus seinem Zimmer kam, aber ich musste weiter. Mehr und mehr Tränen bahnten sich den Weg über meine Wangen.   Irgendwie fand ich den Weg zurück ins Foyer, wo auf einmal Fubuki vor mir stand. „Meine Güte, Jucchi! Was ist passiert?!“, rief er entsetzt. „J- Johan… hat…“, war das einzige, was ich hervorbrachte, bevor mir die Stimme versagte und ein neuer Schwall Tränen aus mir hervorbrach. „Komm mit“, sagte Fubuki und legte mir einen Arm um die Schulter.   Kurze Zeit später saß ich auf einem der Sessel in unserem Zimmer und klammerte mich an eine Tasse Tee. Ich weinte immer noch. Meine Wangen waren komplett nass. Und jedes Mal, wenn ich das Gefühl hatte, dass die Tränen langsam versiegten, hallten wieder Johans Worte durch meine Erinnerung und der Schmerz schoss wieder wie ein Pfeil durch meinen ganzen Körper. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals zuvor so geweint zu haben.   „Ich…“, brachte ich schließlich unter Tränen hervor, „ich weiß nicht, was ich machen soll…“ „Möchtest du mir erzählen, was überhaupt passiert ist?“, fragte Rei, die mir gegenüber auf einem zweiten Sessel saß. Fubuki hatte mich zu ihr gebracht und uns dann rücksichtsvoll alleine gelassen. Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, wenn Rei auch gegangen wäre, aber das kam für sie scheinbar nicht in Frage. Und irgendwie hatte ich, jetzt wo sie fragte, tatsächlich den Bedarf, irgendwem davon zu erzählen. Da meine Monster ausfielen, die immer noch in einer Schublade im Büro von Herrn Samejima lagen, musste es wohl sie sein. Mit zitternden Fingern hob ich die Teetasse und nahm einen Schluck. Die Flüssigkeit fühlte sich angenehm an in meiner Kehle. Heiß war sie mittlerweile auch nicht mehr. „Ich… Johan… er…“, setzte ich an. Ich wusste einfach nicht, wo ich anfangen sollte. Rei legte mir die Hand auf den Oberarm. „Ganz ruhig. Alles der Reihenfolge nach. Johan war heute nicht im Unterricht, richtig?“ Ich nickte. „D- Deshalb bin ich… bin ich ihn besuchen gegangen…“, begann ich.   Es dauerte ziemlich lange, bis ich Rei unser ganzes Gespräch geschildert hatte, weil ich zwischendurch immer wieder in Tränen ausbrach und mir dann die Stimme versagte. Als ich Amethyst Cat erwähnte, fragte sie einmal verblüfft nach, aber im weiteren Gesprächsverlauf nahm sie die Existenz der Edelstein-Bestien so hin. Schließlich endete ich: „Und dann hat er gesagt… dass… dass … er … dass es ihm besser gehen würde, wenn ich nicht wäre!“ Sofort schossen wieder Tränen aus meinen Augen und tropften über mein Kinn in die mittlerweile fast leere Teetasse.   „Das hat er gesagt?“, fragte Rei betroffen. Alles, was ich jetzt noch zustande brachte, war ein Nicken. „Okay, das ist hart“, gab sie zu. „Ich… ich habe einfach keine Ahnung, warum er das gesagt hat“, murmelte ich. „Warum würde es ihm dann besser gehen? Heißt das, ich hab irgendwas Schlimmes getan und deshalb ist er so komisch drauf?“ Hilfesuchend blickte ich Rei an. Sie versuchte zu lächeln. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Das müsstest du doch wissen.“  Ich stellte meine Tasse zur Seite. Mittlerweile waren nur noch ein paar Schlucke darin, und die schmeckten salzig von meinen Tränen. „Ich weiß nicht, wie ich ihn verletzt haben könnte! Aber so wie er es gesagt hat, bin ich Schuld!“ Rei seufzte. „Ehrlich gesagt klingt das ziemlich rätselhaft. Aber du hast ihm nicht mit Absicht wehgetan, deshalb solltest du dir auch nicht die Schuld geben.“ „Mit Absicht? Natürlich nicht!“, stieß ich aus. „Er ist doch mein Freund… ich meine… ich…“ Da waren die Tränen wieder. Eigentlich müssten sie mir längst ausgegangen sein. „Ich… ich will doch nicht, dass es ihm schlecht geht“, schluchzte ich. „Ich… ich liebe ihn doch.“   Ich hob den Kopf und sah Rei mit Tränen in den Augen an. „Was soll ich denn jetzt machen?“, fragte ich hilflos.   Rei schloss die Augen und wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Johan dich nicht mag“, erklärte sie dann. „Was auch immer sein Problem ist, vielleicht kannst du wirklich nichts daran ändern.“ „Aber er hat gesagt, dass ich dafür verantwortlich bin!“, widersprach ich. Sie zog die Beine an und stützte den Kopf auf ihre Knie. „Wenn er ein Problem mit dir hat, dann kann das auch an ihm liegen. Vielleicht erinnerst du ihn an Jûdai-sama und er vermisst ihn…“ „Glaube ich nicht“, widersprach ich sofort. Johan wusste schließlich, wer ich war. Rei zuckte die Achseln. „Ich finde trotzdem, du solltest erstmal ein paar Tage abwarten. Vielleicht kann Johan sich demnächst dazu durchringen, dir doch noch zu erklären, was mit ihm los ist. Oder, wenn es an ihm liegt, findet er selbst eine Lösung.“ Ich lehnte mich im Sessel zurück und ließ meinen Kopf in den Nacken fallen. „Dann kann ich ja gar nichts machen. Wie blöd.“ Rei lachte. „In dem Punkt bist du deinem Bruder dann doch ziemlich ähnlich“, stellte sie fest. Ich richtete mich wieder auf. „Was für ein Punkt?“ „Dass du es nicht leiden kannst, irgendwo herumzusitzen und zu warten. Wenn es ein Problem gibt, musst du es einfach anpacken. So ist Jûdai-sama jedenfalls…“ Reis Wangen röteten sich auf einmal. „Hach, Jûdai-sama… kaum bin ich an der Schule, verschwindet er einfach…“ Ach ja, sie war ja auch irgendwie in mich verliebt gewesen.   Auch wenn ich mich nun nicht mehr so fühlte, als müsste ich jeden Moment wieder in Tränen ausbrechen, blockte ich ab, als Rei fragte ob ich nicht mit ihr zur Ra Yellow Unterkunft gehen und einen Freund von ihr besuchen wollte. So ging sie schließlich alleine, riet mir aber, mich irgendwie abzulenken. Das war leichter gesagt als getan. Unter normalen Umständen hätte ich mich jetzt irgendwohin zurückgezogen und mich mit meinen Monstern unterhalten. Das Problem war nur, dass Johans Schmetterlinge sich mir einfach nicht als Duellgeister zeigen wollten. Also musste ich jetzt doch zu Herrn Samejima gehen und mir mein Deck wiederholen.   Ich kam nicht weit. Als ich gerade das Gebäude verlassen wollte, kam mir Manjôme entgegen, der sogar irgendwie grimmiger aussah als sonst. Vielleicht lag das an den Ojama-Brüdern, die um seinen Kopf Ringelrein tanzten und dabei sagten: „Du vermisst Jûdai, du vermisst Jûdai!“ Dieser Anblick entlockte mir irgendwie ein Grinsen. „Was glotzt du so blöd?“, pampte mich Manjôme dafür auch prompt an. „Du vermisst ihn also?“, fragte ich neckend. Manjôme kniff die Augen zusammen. „Kannst du diese Störenfriede etwa sehen?“ Die „Störenfriede“ brachen natürlich sofort in Panik aus. „Sie kann uns sehen!“, quäkte Ojama Yellow. „Oh-oh, so können wir uns doch keiner Dame zeigen“, jammerte Ojama Green mit Blick auf die rote, gelb geblümte Badehose, die er genau wie seine beiden Brüder trug. Alle drei stießen spitze Schreie aus und gingen augenblicklich hinter Manjôme in Deckung. Ich lachte. „Deine Duellgeister sind witzig.“ „Sind sie nicht“, widersprach Manjôme sofort. „Ich würd sie dir sofort abgeben.“ „Waaas!?“, riefen die drei Quälgeister sofort synchron und stoben auseinander. „Das kannst du nicht machen, Aniki!“ Manjôme ballte die Fäuste in der Luft. „Ach, haltet einfach alle die Klappe!“, rief er und wollte an mir vorbei zur Sitzecke gehen, als ihm etwas auffiel.   „Sag bloß, du hast geheult?“, fragte er. „Sieht man das etwa?“ Der Schwarzhaarige verdrehte die Augen. „Deine Augen sind komplett rot und geschwollen. Ist schwer zu übersehen.“ Er kratzte sich am Hals, schaute kurz weg und dann wieder zu mir. „Wer… hat dich denn so zum Weinen gebracht?“ Ich musste grinsen. Manjôme war immer so herrlich lustig, egal ob er sich total übertrieben aufregte oder versuchte, nett zu sein ohne dabei nett rüberzukommen. Doch eine Frage hatte ich.  „Warum willst du das wissen? Willst du ihm dann eins auswischen, indem du ihn im Duell besiegst oder so?“ Manjôme verschränkte die Arme. „So ein Quatsch. Es interessiert mich halt… einfach so…“ Ich boxte ihm spielerisch gegen den Arm. „Du kannst einfach nicht ehrlich sein“, lache ich. „Halt die Klappe! Und tu nicht so, als würdest du mich so gut kennen“, schnauzte mich Manjôme an. Dann setzte er endlich das Vorhaben in die Tat um, an mir vorbeizugehen und sich in der Sitzecke mit ausgestreckten Armen auf eines der Sofas zu setzen. Ich folgte ihm und setzte mich ihm gegenüber. „Wollen wir uns duellieren? Mir ist etwas langweilig.“ Manjôme zog die Augenbrauen hoch. „Mit mir? Was ist mit deinem Lover, dem Lila-Hemden-Träg-   … oh.“ Seine Gesichtszüge hellten sich für wenige Sekunden ein wenig auf, dann sprang er auf und knallte seine rechte Hand mit voller Wucht auf die Tischplatte und sah mich siegesgewiss an. „Er hat dich zum Weinen gebracht, richtig? Der blöde Austauschschüler, der sich für was Besseres hält, weil er von seinen ach-so-tollen Edelstein-Bestien-Karten ausgewählt wurde?“ „Bravo, Aniki! Du bist ein Meisterdetektiv!“, rief Ojama Yellow und applaudierte. „Wir haben dich auch ausgewählt“, wollte Ojama Black dagegen loswerden.   „Er hält sich doch nicht für was Besseres“, widersprach ich hingegen Manjômes Aussage. Manjôme schüttelte den Kopf. „Oh nein, ich habe ihn durchschaut. Immer tut er so freundlich, als könnte er kein Wässerchen trüben, und in Wahrheit ist er ein elender Heuchler, der Mädchenherzen bricht, ohne mit der Wimper zu zucken!“, rief er und stellte sogar seinen Fuß auf den Tisch, um noch größer zu wirken. „Das stimmt doch gar nicht! Johan ist ein sehr netter Mensch“, protestierte ich und sprang auf. „Ein netter Mensch bringt aber keine hübschen Mädchen zum Weinen“, konterte Manjôme. „Ich finde, allein dafür hat er es verdient, dass ich ihn vernichtend schlage! Der kann sich auf was gefasst machen!“ Damit sprang er auf und wollte eilig den Raum verlassen, aber ich konnte ihm gerade noch folgen und ihn am Arm packen. „Bitte, lass Johan in Ruhe!“ Manjôme wand sich eilig aus meinem Griff: „Und wieso?“ Ich ballte die Fäuste. Johan hatte irgendein Problem, das hatte ich deutlich gesehen. Ich wusste zwar nicht, warum es an mir lag, aber eins war klar: Es würde das Problem nicht lösen, wenn Manjôme sich mit Johan duellierte. „Ich… das hat er nicht verdient!“, rief ich. Manjôme verzog das Gesicht. „Er hat dich zum Weinen gebracht. Das ist einfach nur erbärmlich.“ „JOHAN IST NICHT ERBÄRMLICH!“, schrie ich ihm so laut ins Gesicht, dass er sich verschreckt zusammenkauerte. Schon kamen die Tränen wieder und kullerten mir übers ganze Gesicht. „Johan ist der netteste Mensch, den ich kenne! Er ist aufmerksam, schlau, witzig und vor allem liebt er Duel Monsters mehr als alles andere!“ Ich holte tief Luft.   Manjôme rappelte sich auf. „Ich…“, setzte er an, doch weiter kam er nicht, weil in dem Moment die Tür aufging. „Was ist denn hier los?“, rief Fubuki empört, als er uns beide sah. Eilig rannte er zu mir und legte mir die Hände auf die Schultern, dann drehte er sich zu Manjôme um. „Hast du sie etwa zum Weinen gebracht?“, fragte er lauernd. Manjôme trat entnervt mit einem Bein auf. „Mir reicht’s, ich helfe gar keinem mehr“, verkündete er und verließ mit stampfenden Schritten den Raum. Fubuki und ich sahen zu, wie die Tür ins Schloss fiel. Dann reichte mir Asukas Bruder ein Taschentuch, mit dem ich mir über die Augen wischte. „Danke“, murmelte ich. Er lächelte mich großzügig an. „Weißt du, was du jetzt brauchst? Eine große Portion Eis. Komm mit“, verkündete er und setzte sich mit mir in Bewegung.   Ich glaube, das Eis war das einzige Gute an diesem verkorksten Tag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)