Bestie von Karen_Kasumi ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Noch in derselben Nacht begruben sie ihn mit ihren bloßen Händen. Keiner von ihnen sprach ein Wort, keiner von ihnen fragte nach der Zukunft, so sehr waren sie in der Gegenwart verhaftet. Jeder von ihnen dachte eigene Gedanken in den Momenten, in denen sie die bloße Erde mit blutigen Fingerspitzen beiseite scharrten, Gedanken, die sie nie mit jemandem teilten. Takasugi schwor, eines Tages mit eigenen Händen Rache zu nehmen an den Amanto für das, was sie Shoyou und ihnen angetan hatten. Er wünschte sich, stark genug zu werden, um diese Monster wieder aus ihrem Land zu vertreiben. In dieser Nacht starb ein Teil seiner Seele, ohne, dass er sich dessen bewusst gewesen wäre.   Er erinnerte sich kaum an die Tage nachdem sie sein Auge entfernt hatten. Fieberverhüllte Stunden, in denen Vergangenheit mit Gegenwart verschmolz. Manchmal glaubte er, wieder auf dem Schlachtfeld zu sein, er hörte die Schreie, er sah sie alle sterben, wieder und wieder und wieder. Manchmal war Shoyou unter ihnen, manchmal rammte er sein Schwert in einen Amanto nur um festzustellen, dass es die toten Augen von Zura, Gintoki oder Sakamoto waren, die leer zu ihm hinauf starrten. Dann schrie er so laut, dass seine Stimme brach und kämpfte gegen die Hände an, die ihn am Boden hielten, während er versuchte, sich die Bandagen um seinen Kopf herunter zu reißen, um den Schmerz zu stoppen, der wie wahnsinnig durch seinen Schädel tobte.   Er wusste nicht, welche Tageszeit es war, als er das erste Mal wirklich aufwachte, schweißbedeckt, aber bei vollem Bewusstsein. Das Fieber musste zurück gegangen sein, er hatte nicht mehr das Gefühl, von innen zu verbrennen und konnte zum ersten Mal die Kühle des nassen Tuches auf seiner Stirn spüren. Für eine geraume Weile starrte er an die Decke des winzigen Raumes, in dem er lag. Kurz fragte er sich, in welchem Haus sie sich befanden, doch schon bald kam er zu dem Schluss, dass es einfach wieder irgendeines der zahlreichen Landhäuser sein musste, die während des Krieges meist so fluchtartig von ihren Bewohnern verlassen worden waren. Er versuchte, wieder einzuschlafen, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. Manche der Wunden an seinem Körper begannen wieder zu schmerzen, doch am schlimmsten war sein linkes Auge, welches so sehr pochte, dass er meinte, jemand triebe Schlag für Schlag einen Meißel tief in seinen Schädel. Vorsichtig schlug er die Decke zurück und versuchte, sich aufzurichten. Er brauchte lange dazu, länger als sonst. Zusätzlich zu den Schmerzen, die den Raum vor seinen Augen verschwimmen ließen, fühlte er sich schwach wie ein neugeborenes Küken. Er schaffte es nicht, aufzustehen, aber wenigstens konnte er den Kasten mit seiner Pfeife, den jemand neben ihn gestellt hatte, auch so erreichen. Auch um das Kraut in seiner Kiseru zum Glühen zu bringen, brauchte sehr viel länger als sonst – der Verlust seines linken Sichtfeldes ließ alles flach und falsch erscheinen und seine Finger zitterten. Er saß halb aufrecht, sein gesundes Auge geschlossen und den Kopf gegen die Wand gelehnt und genoss den Geschmack des Tabaks, der half, die Schmerzen in seinem Körper zu überdecken, wenn schon nicht sie zu vertreiben. Die Nacht war mondhell und das silberne Licht, das durch das Fenster herein fiel, löste gleichzeitig einen seltsamen Frieden wie auch eine vage Trauer in ihm aus. Er hatte beinahe das Gefühl, die Stimmen der Toten hören zu können, Worte wispernd, die er nicht verstehen konnte und wollte. Sein Kopf und seine Gedanken schwammen und mit einem Mal war er froh über das feste Holz in seinem Rücken, der ihm half, das Gleichgewicht zu halten.  „-en.“ Er hatte nicht einmal bemerkt, dass Gintoki den Raum betreten hatte, eine Schüssel in den Händen. „Was?“ Er versuchte, seine Stirn mit der eigenen Hand zu kühlen, doch sie war wieder heiß und fiebrig geworden. „Ich sagte, du solltest dir mal überlegen, eventuell mit dem Rauchen aufzuhören. Ich glaube nicht, dass das Zeug in deinem momentanen Zustand unbedingt förderlich ist. Außerdem ersticke ich nicht gerne, wenn ich anderer Leute Räume betrete. “ „Idiot, hör auf dich dauernd zu beklagen als wärst du eine alte Frau. Du klingst schon fast wie Zura.“ Trotzdem schüttelte er die Reste des glühenden Tabaks in den Aschebehälter neben sich. „Nein, der hätte dir jetzt schon wieder einen ganzen Vortrag über die Nachteile des Rauchens gehalten. Sag mal, hat dein Verstand vielleicht auch unter der Verletzung gelitten oder wie kommst du eigentlich sonst auf den Gedanken, dass du schon aufstehen kannst?“ Doch anstatt ihn wieder gewaltsam auf den Futon zurück zu befördern, ließ sich Gintoki nur auf dem Boden nieder und stellte die Schale neben sich. Er beobachtete ihn eine Weile, ohne auch nur ein Wort zu sagen, als wartete er darauf, dass er das Gespräch beginnen würde. Takasugi jedoch sah nur weiter auf die bleichen Streifen, die das Mondlicht auf den Fußboden malte, in eigene Gedanken versunken, während er erfolglos versuchte, das Brennen in seinem Kopf abzustellen.  Es dauerte lange, bis Gintoki endlich wieder anhob zu reden. „Na los, frag endlich.“ Überrascht drehte er sich um. „Was?“ „Als ob du das nicht selber wüsstest, Idiot. Und nein, ich werde dir nichts vorenthalten und dich auch nicht schonen.“ Takasugi lächelte leise. Er wusste nicht, seit wann Gintoki ihn so gut kannte, doch anscheinend konnte er zumindest in diesem Augenblick in ihm lesen wie in einem offenen Buch. Den Blick auf die Pfeife in seinen Händen gerichtet, stellte er endlich die Frage, die ihn schon die ganze Zeit, seit er wieder aufgewacht war, gequält hatte. „Wie viele?“ „Insgesamt…wir haben siebzig Mann verloren, einen Teil in der Schlacht, aber auch viele von denen, die krank und verwundet waren und deswegen dem Überfall nicht rechtzeitig entkommen konnten.“ Für einen kurzen Moment flackerte ein Bild in seiner Erinnerung auf: Katsura, wie er verzweifelt versuchte, ihre Kameraden zu verteidigen, nur um sie dann wenige Sekunden später sterben zu sehen. Er schluckte und atmete tief ein. Dann drehte er sich zu Gintoki um, versuchte, ihm in die Augen zu sehen. „Und die…meine Kiheitai?“ Gintoki wandte seinen Blick ab. „Über ein Drittel der insgesamt Getöteten…etwas mehr als 30 Mann.“ Das war mehr als ein Viertel der gesamten Einheit oder besser gesagt: was von ihr noch übrig gewesen war nach den hohen Verlusten der ersten Kämpfe. Mit einem Mal wurde Takasugi kalt. Gesichter schossen durch seinen Kopf, Namen. Wer von ihnen hatte überlebt? „Warum?“ Noch immer schaute Gintoki nicht zu ihm. „Gintoki, sieh mich an, verdammt! Warum? Warum gerade meine Einheit?!“  Warum all die Männer, deren Ausbildung er stellenweise persönlich überwacht hatte? Er schrie beinahe. Und dabei war ihm selbst die Antwort schon klar… „Takasugi…“ „Sag es mir. Du hast versprochen, mich nicht zu schonen. Du bist es mir schuldig! Sag es mir!“ Endlich blickte der Mann, den sie den Weißen Dämon nannten, auf und ihre Augen trafen sich. „Ohne ihren Anführer und dessen Vize…Kusaka ist kurz nach der Explosion schon gefallen und obwohl die Kapitäne versuchten, ihre einzelnen Untereinheiten beisammen zu halten, gab es an einigen Stellen doch Chaos. Sie wussten nicht mehr, wem sie folgen sollten…Zura war verwundet, ich gerade damit beschäftigt, dich in Sicherheit zu bringen und du warst bewusstlos. Ohne Sakamoto wäre es vielleicht noch schlimmer gekommen…“ Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt. Wie hatte er nur so töricht handeln und einfach loslaufen können, ohne zumindest ein paar Befehle zu geben? Und Gensui, sein Vizekommandant, der von Anfang an mit ihm in diesem Krieg gekämpft hatte…er war einer der wenigen Schüler Shoyous gewesen, die bis jetzt überlebt hatten. Seine Hand krampfte sich zusammen, so dass sich Fingernägel in sein Fleisch bohrten. Selbst seine Gedanken schienen mit einem Mal kalt zu werden. „Ich muss zu ihnen.“ Vorsichtig versuchte er, sich aufzurichten, ohne vor Schmerzen den Verstand zu verlieren. „Mach keine Witze!“ Mit einem Mal war Gintoki neben ihm. „Idiot, als ob du in dem Zustand noch irgendwo hin gehen könntest. Sieh dich doch an! Du solltest nicht mal sitzen oder stehen!“ Takasugi versuchte den Arm, den Gintoki ihm unter die Schulter geschoben hatte, wieder abzuschütteln. Doch seine Kraft reichte nicht; mit einem Mal wäre er beinahe zusammen gebrochen ohne die Unterstützung. Die Welt um ihn herum hatte mit einem Mal angefangen sich zu drehen. Trotzdem argumentierte er sinnlos weiter. „Ich muss mit ihnen reden…muss ihnen klar machen, warum…muss ihnen sagen, dass es nicht umsonst war…“ „Gar nichts musst du. Niemandem ist geholfen wenn du jetzt vor aller Augen zusammen klappst. Weder den Lebenden, noch den Toten. Verdammt, du hast wenigstens überlebt, zeig ein wenig Dankbarkeit.“ Dankbarkeit? Wofür? Dass er wieder mehr Familien vergebens auf die Rückkehr ihrer Ehemänner, Väter und Söhne warten würden? Dass einige von ihnen nur wegen seiner Dummheit ihr Leben lassen mussten? Seine Gedanken drehten sich im Kreis und er merkte selbst, dass er selbstständig wahrscheinlich nicht einmal mehr einen Schritt tun konnte. Sein Atem ging schwer und die Schmerzen in seiner linken Gesichtshälfte ließen ihn beinahe wieder aufschreien. Behutsam ließ Gintoki ihn auf seinem Futon nieder, um dann zu der Schale zu greifen, die noch immer auf dem Boden stand. „Hier, das wollte ich dir vorhin eigentlich bringen. Zura meinte, ich solle nachsehen, ob du vielleicht wach bist. Es ist inzwischen wahrscheinlich schon kalt, aber besser als nichts…und du musst etwas in deinen Magen bringen, sonst verlierst du den Kampf vielleicht doch noch.“ Takasugi wehrte sich nicht einmal, auch wenn die kalte Brühe wie erwartet widerlich schmeckte. „Uwah, hat die vielleicht Sakamoto gemacht? Wenn ihr nicht aufpasst, vergiftet er uns noch alle…“ Gintoki war immerhin freundlich genug, den müden Scherz mit einem kleinen Lächeln zu quittieren. Sein Blick strich über sein Gesicht, um dann kurz besorgt aufzuflackern. Takasugi hatte sich gerade wieder hingelegt als sich die Schiebetür erneut öffnete und Katsura ins Zimmer trat – sichtlich blass und mitgenommen, aber nichtsdestotrotz im Großen und Ganzen in Ordnung scheinend. „Gintoki, was-„ „Die Wunde ist aufgebrochen und sein Fieber ist vermutlich auch wieder gestiegen. Am besten fragst du diesen Idioten selbst, warum er nicht auch nur ein paar Tage ohne seine geliebte Pfeife auskommen kann…“ Selbst Takasugi konnte das Flackern echter Sorge in Gintokis Blick sehen, als dieser missbilligend auf ihn herab schaute. „Du hast gut reden.“ Zura ließ sich ebenfalls neben ihm nieder. Sein missbilligender Blick galt offensichtlich ihnen beiden. „Solltest du nicht auch besser im Bett bleiben? Die Wunden, die du beim letzten Mal davon getragen hast, waren keine Kleinigkeiten…und du bist erst heute Morgen wieder aufgewacht, nachdem du die letzten Tage entweder bewusstlos warst oder geschlafen hast.“ Takasugi blinzelte - was wiederum einen erneuten Schauer aus Pein in seinen Kopf schickte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Gintoki nicht seine üblichen Sachen trug und er, zusätzlich zu einer ungesund bleichen Gesichtsfarbe, einen Verband am rechten Arm und noch mindestens einen weiteren um die Brust hatte. „Tut mir Leid Zura, ich wollte nur sicher sein, dass unser Bakasugi hier keine Dummheiten begeht. Aber anscheinend war ich wohl schon zu spät…“ Hätten Blicke töten können, dann wären mindestens zwei Personen in diesem Raum nicht mehr unter den Lebenden. „Nicht Zura, sondern Katsura! Offensichtlich seid ihr beide einer dümmer als der andere. Gintoki, du legst dich sofort wieder hin und ich werde mich um Shinsuke kümmern. Ich wollte sowieso den Verband wechseln…“ „Ja, Mama.“ Ohne einen weiteren Kommentar verließ Gintoki den Raum. „Nicht Mama, son-, ach verdammt, als ob dieser weißhaarige Idiot jemals damit aufhören würde. Und du bist auch nicht viel besser, Shinsuke. Was zum Teufel ist in dich gefahren? Am Fenster sitzen und rauchen? Hast du sie noch alle? Du…“ Fast hätte Takasugi wieder gelächelt. Katsuras ewige Litanei war tatsächlich beruhigender als alles andere und lenkte ihn wenigstens ein wenig von den Schmerzen ab, die sich trotz der sanften Bewegungen, mit denen Zura den blutigen Verband um seinen Kopf abwickelte, zu vervielfachen schienen. „Zura…“ „Was?“ trotz des leicht harschen Tonfalls waren seine Hände ruhig und vorsichtig. „Es war notwendig, nicht wahr? Sie sind nicht umsonst gestorben, oder? Wir werden unser Ziel doch noch erreichen…“ „Was redest du da, Shinsuke?“ Doch sein Bewusstsein war schon wieder entglitten.   In derselben Nacht kam das Fieber wieder in voller Stärke zurück, als hätte es nur auf die Nachricht vom Tod seiner Kameraden gewartet um erneut über ihn herzufallen. Erneut pendelte er hin und her zwischen Bewusstlosigkeit, Wachsein und Schlaf. Doch er kämpfte dagegen an, weigerte sich, ebenfalls zu sterben, weigerte sich, die Träume wiederkehren zu lassen. Er hatte keine Angst vor dem Tod; doch er wollte nicht so vieles in seinem Leben noch unerledigt lassen. Deswegen legte er all seine Kraft darin, zu überleben. Seine Männer und seine Freunde waren fast immer da: Sakamoto mit seinem so charakteristischen, idiotischen Gelächter; Zura, dessen sanfte Stimme ihm Mut zusprach und der die meiste Zeit über nach seinen Verletzungen sah; und Gintoki, dessen dumme Sprüche oft in großem Gegensatz zu der  Sorgfalt standen, mit der er sich um ihn kümmerte. Und all die anderen, die kamen und gingen, so dass er sich bald kaum mehr an die einzelnen Gesichter erinnern konnte. Letzten Endes war es eben so viel Glück wie sein Wille, der ihn überleben ließ. Das Schwert des Amanto hätte beinahe seinen Schädel gespalten, wäre er nicht im aller letzten Moment noch zurück gewichen. Der Schnitt in seinem Gesicht zog sich von der Stirn geradewegs durch sein Auge hinunter auf seine Wange und obwohl sie die Wunde einigermaßen ordentlich vernäht hatten würden die meisten Menschen von nun an bei seinem Anblick zurück zucken. Es dauerte eine Weile bis ihm klar wurde, dass er damit auch sein linkes Auge für immer verloren hatte. Und doch…ein geringer Preis, wenn er darüber nachdachte, wen er dafür hatte töten können. Mit einem Mal fühlte er sich leer, nun, nachdem er Teile des Ziels erreicht hatte, wofür er so lange gearbeitet hatte – den Tod von Shoyou zu rächen und einen seinen Mörder ebenfalls vom Antlitz des Universums zu tilgen. Was blieb nun noch? Er erinnerte sich wieder, erinnerte sich an jene Nacht, in der sie ihn begraben hatten und den Schwur, den er damals geleistet hatte…er würde nicht aufgeben ehe nicht auch der letzte dieser Verräter vom Antlitz dieser Erde getilgt war. Das schuldete er inzwischen nicht nur seinem toten Lehrmeister, sondern auch all den Kameraden, die in diesem Krieg schon ihr Leben hatten lassen müssen. Selbst jetzt starben noch manche an den Folgen ihrer Verletzungen oder bei kleineren Scharmützeln, die immer wieder in der Zwischenzeit stattfanden. Fast erschien es ihm, als würde für jeden Tag, den er wieder stärker wurde, ein anderes Leben erlöschen…   Am Ende waren es gerade noch knapp hundert Mann, die schließlich vor ihm saßen. Hundert Mann, alles, was von seiner Kiheitai noch übrig war… wie viel mehr waren sie doch zu Beginn gewesen. Mehrere hundert waren seinem Ruf gefolgt, hatten zu den Waffen gegriffen um die Amanto wieder aus ihrem Land zu vertreiben. Wie stolz er damals gewesen war, als sie alle vor ihm standen. Ob Samurai oder Schmied, Buchhalter oder Bauer, im Gegensatz zu vielen anderen hatte er keinen Unterschied zwischen den einzelnen Ständen gemacht, sondern lediglich nach Stärke gesucht. Er hatte sie über viele Monate hinweg in westlichen wie östlichen Waffen trainiert und nach und nach eine disziplinierte Truppe geschaffen, deren Name schließlich sogar ihren Gegner ein Begriff geworden war. Kiheitai. Doch nach einem Krieg, der sich nun schon mehrere Jahre hinzog, war selbst die Kiheitai zusammen geschrumpft. Selbst wenn es manchmal nur wenige waren, die gefallen waren, so hatte fast jede Schlacht, jedes kleine Scharmützel dennoch seinen Preis gefordert. Wenn auch nicht immer in Menschenleben, so doch in Schmerz, physischer wie psychischer Natur. Doch diese letzte Schlacht…dank immer neuer Verluste hatte er Einheiten umorganisieren müssen, was zu Lasten der Disziplin gegangen war. Und als dann sowohl er als auch sein Vize mit einem Mal ausgeschaltet  worden waren…die Verwirrung, so kurz sie auch gewesen war, hatte ihren Preis gefordert. Einen Preis, der viel zu hoch gewesen war. Takasugi schauderte, als er in die Gesichter vor sich blickte. In allen las er Hoffnungslosigkeit, Schmerz und Angst. Nur wenige waren noch von dem Eifer beseelt, der sie anfangs so fiebrig angetrieben hatte. Jetzt war es an ihm zu versuchen, ihnen zumindest einen Schatten dieses Feuers wiederzugeben. Und das, obwohl er selbst kaum fähig war, länger als eine Stunde herum zu laufen und seinen Pflichten nachzukommen. Doch er hatte sich dem so schnell wie möglich stellen wollen. Er konnte seine Männer nicht alleine lassen. Nicht jetzt. Was er brauchte, war ein neuer Vizekommandant, jemand, dem er vertrauen konnte und der auch gleichzeitig das Ansehen seiner Männer genoss. In den letzten Tagen hatte er einige Stunden damit verbracht, darüber nachzudenken, wen er berufen sollte. Es war keine leichte Wahl gewesen, doch er hoffte, dass sie trotzdem ihre Zustimmung bei seinen Leuten finden würde. Yasuo. Ein junger, gewöhnlich aussehender Mann, Sohn einer einfachen Bauernfamilie. Er war sanft und hatte schon früher bewiesen, dass er auch in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren konnte. Obwohl er manchmal etwas zu reserviert war und nur wenig über sich verriet, wusste Takasugi, dass seine Leute ihn respektierten und anerkennen würden. Und was noch wichtiger war: er selbst vertraute ihm. Genug, um sicher zu gehen, dass Yasuo, sollte er selbst einmal sterben, die Kiheitai weiter führen und nicht aufgeben würde. Seine Wahl wurde aufgenommen, wie er es erwartet hatte: kaum voller Freude, aber dennoch mit nur wenigen Stimmen, die sich offen gegen ihn aussprachen. Vielen der Männer schien es mittlerweile egal geworden zu sein, wem sie folgten – sie wollten nur noch, dass der Krieg ein Ende hatte und sie nach Hause zurück kehren konnten. Takasugi wusste, dass er den meisten von ihnen den Wunsch nicht würde erfüllen können. Es war grausam, seinen Blick über die Gesichter seiner Kameraden und Soldaten schweifen zu lassen und sich bewusst zu machen, dass nach der nächsten Schlacht wieder ein paar fehlen würden…und bei der darauf folgenden wieder welche, bis kaum noch welche von ihnen übrig bleiben würden. Sie mussten diesen verdammten Krieg gewinnen, und zwar bald.   In den nächsten Tagen verwandten sie viel Zeit darauf, neue Pläne zu schmieden, die sie eventuell ihrem Ziel ein Stückchen näher bringen würden. Doch sie waren sich uneins, welche Strategie sie dabei verwenden sollten: alles in einem einzigen, letzten Aufgebot riskieren oder weiter versuchen, den Feind in vielfache kleinere Kämpfe zu verwickeln und ihn dadurch zu zermürben? Der Angriff auf ihr Hauptquartier hatte sie nicht nur viele Leben gekostet, sondern auch viele ihrer Vorräte, der ohnehin schon knappen Medizin und Waffen. Inzwischen wohnten sie in kleinen Hütten, weit abgeschnitten von der Außenwelt, und der Winter kam. Gleichzeitig hielten Krankheit und Hunger mit ihm Einzug, vor allem jetzt, da die Unterstützung in der Bevölkerung immer geringer wurde und sie kaum weder neue Rekruten noch Materialien und Nahrungsmittel von ihnen bekamen. Nur die Kommandanten selbst und ihre engsten Berater und Stellvertreter waren zu diesem Treffen zugelassen. Katsura brachte eines ihrer größten Probleme schließlich in seiner direkten Art auf den Punkt: „Es gibt nur einen Grund, warum unsere Pläne bisher wieder und wieder zum Scheitern verurteilt zu sein schienen. Es scheint fast, als würde der Feind alle unsere Bewegungen im Voraus erahnen und uns seinerseits Fallen stellen. Dass er den geheimen Weg in das Haus hinein gefunden hat…das war kein Zufall. So ungern ich es auch sage, aber wir haben einen Verräter.“ Stille senkte sich langsam und drohend über das Zimmer nachdem er seine Worte beendet hatte. Keiner wagte es, den anderen in die Augen zu sehen. Takasugi ließ seinen Blick über die versammelten Männer schweifen. Er vertraute jedem einzelnen hier bis zu einem gewissen Grad, jedoch konnte er sich nicht vorstellen, dass auch nur einer von ihnen ein Verräter sein sollte. Und dennoch…die Ereignisse der Vergangenheit schienen kaum einen anderen Schluss zuzulassen. Die Amanto waren ihnen immer einen Schritt voraus gewesen. Und das Schlimmste war: oftmals hatten sie Dinge gewusst, die nur recht wenigen Eingeweihten bekannt gewesen sein konnten. Das Schweigen zog sich in die Länge, schien sich auf jeden einzelnen zu legen und sie alle langsam zu erdrücken. Schließlich ergriff Gintoki das Wort, kurz bevor die ersten den Raum verlassen hätten. „Es bringt jetzt nichts, darüber nachzudenken, wir kommen eh nicht weiter. Das bedeutet dann eben nur, dass wir jetzt eben ein bisschen vorsichtiger sein müssen, wenn wir Pläne machen…und noch weniger Männer darin einweihen sollten.“ Zögernd nickten alle Anwesenden. Keinem von ihnen war der Gedanke geheuer, dass sich der Verräter in eben jenem Raum unter ihnen befand, aber noch war das Vertrauen ineinander stärker als die Angst. Takasugi fragte sich insgeheim, wie lange dem noch so sein würde. Doch Gintoki hatte Recht, sie konnten im Moment kaum etwas dagegen ausrichten. Und so wandte sich das Gespräch schließlich wieder taktischen Fragen zu – der Ort, wo sie die Amanto als nächstes angreifen würden, ihre Gruppenstärke und andere Details. Damit lebte jedoch auch der alte Streit wieder auf: je länger der Krieg andauerte, desto mehr schienen sie sich uneins zu sein, wie sie ihn führen sollten. Letztendlich kreisten sie bei ihren Besprechungen immer wieder um die ewig gleichen Fragen: die volle Stärke ihrer kleinen Armee ausnutzen oder lieber in kleine Gruppen aufteilen? Ein großer Hauptangriff? Wenn ja, wo? Bald schon hatte Takasugi genug und seine Gedanken schweiften erneut ab. Schließlich würden sie wahrscheinlich auch in diesem Gespräch nicht zu einer Einigung kommen. Nach fast einer Stunde sinnlosen Herumredens hatten sie sich jedoch, aller Vorahnungen Takasugis zum Trotz, für so etwas wie eine Strategie entschieden, wenn man sie denn so nennen wollte. „Wir werden uns also den Winter über ruhig verhalten, versuchen, neue Kräfte und weitere Unterstützung bei den Bürgern zu sammeln.“ fasste Katsura das Ergebnis noch einmal zusammen. Takasugi spürte, wie sich seine Hand zur Faust ballte. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Mit einem dumpfen Laut krachte seine Faust gegen die Wand hinter ihm an die er sich gelehnt hatte. Alle Köpfe drehten sich mit einem Schlag zu ihm um und seine Stimme klang gepresst, als er hervor stieß:„Ihr wollt wirklich so lange warten? Mehrere Monate damit verbringen, nichts zu tun? Die Zeit rennt uns davon, während wir hier diskutieren sammeln sich immer mehr und mehr Amanto. Wenn wir erst nächsten Frühling wieder angreifen, werden sie uns überrennen! Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir-“ Einer von Zuras Untergebenen, Yamoto, schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort hab. „Chance? Von welcher Chance redest du? Glaubst du etwa immer noch im Ernst, dass wir sie besiegen könnten? Verdammt, Takasugi, mach die Augen auf! Wir haben diesen Krieg schon verloren, es geht nur noch um die Frage, wie wir am besten davon kommen können!“ Für einen Moment wusste er nicht, was er sagen sollte. Takasugi spürte heiße, blinde Wut in sich aufsteigen und beinahe alles verschlingen. Wie im Rausch schritt er um den Tisch, ergriff Yamoto am Kragen und zog ihn nahe an sich heran. „Und was erzählst du deinen toten Kameraden, wenn du an ihren Gräbern stehst? Dass sie alle umsonst gestorben sind? Dass wir keine Chance mehr haben? Sag mir, was?!“ Die letzten Worte schrie er ihm förmlich ins Gesicht. „Shinsuke.“ Eine Hand legte sich auf seinen Arm. Erst jetzt bemerkte er, wie ihn alle erschrocken anstarrten. Doch das war es nicht, was sich tief in sein Herz zu bohren schien: es war Zura, in dessen Augen, vielleicht zum allerersten Mal Angst lag, als er ihn anblickte. Mehr als alles andere verletzte ihn diese Angst und mit einem verärgerten Schnauben ließ er den verwirrten Yamoto los. Ohne auch nur einem von ihnen in die Augen zu blicken ergriff er sein Schwert, das noch immer an der Wand lehnte ließ bei Verlassen des Zimmers die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zuspringen. Die Wut tobte immer noch in ihm, aber er wusste, dass er für heute verloren hatte. Dennoch konnte er kaum glauben, was er dort soeben gehört hatte. Er wusste selbst, dass es nicht zum Besten um sie stand, aber in seinem hatte er nie auch nur die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sie diesen Krieg aufgeben mussten. Gewinnen oder sterben, das war das einzige, woran er je gedacht hatte. Er konnte es nicht verstehen, warum irgendjemand von ihnen einfach würde aufgeben wollen, nach alle dem, das sie schon miteinander durchgemacht hatten. Er konnte und wollte es nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)