Von zeitreisenden Preußen, hitzköpfigen Herzögen und launischen Donaufürsten von Sternenschwester (PruAus) ================================================================================ Kapitel 9: Komplizierte Gespräche und Probleme mit nicht anwesenden Brüdern --------------------------------------------------------------------------- „Warum brechen wir jetzt schon wieder auf, Herr? Wir sind doch erst vor zwei Tagen angekommen.“ Valentin trieb ein wenig sein Pferd an, um auf gleicher Höhe zu sein, wie Roderich. „Weil ich großes Interesse daran habe, dass die Burgbesatzung sich nicht mehr an Herrn Gilbert erinnert und jetzt halt endlich die Goschen.“ Nach dem Gesichtsausdruck zu urteilen, fügte sich Valentin nur widerwillig dem Befehl und ließ sich bis zu Gilbert zurückfallen, der die ganze Szenerie mit Belustigung zur Kenntnis genommen hatte. Es amüsierte ihn immer wieder, wie der Junge ruppig von Roderich zurechtgestutzt wurde, wobei Valentin nicht einmal lange beleidigt war, sondern nach kürzester Zeit wieder das Maul offen hatte. Mit diesem Aspekt erinnerte er ihn ein wenig an sich selbst, wobei Gilbert sehr wohl gelernt hatte die Zeitpunkte zu erfassen, an denen Schweigen eine Tugend war. Es stellte sich nur immer wieder die Frage, ob er auch Muße hatte sich daran zu halten. Obwohl man deutlich spüren konnte, dass der Winter im Kommen war, zeichnete sich der Tag als recht angenehm warm und freundlich. Auch wenn Gilbert aus eigener Erfahrung sagen konnte, dass das Mittelalter seinen romantischen Klischeebilder einfach nicht gerecht werden konnte, so musste er sich dennoch eingestehen, dass der Ritt durch diesen Mischwald, welcher durch den Herbst sich in den warmen Braun-, Gelb-, Orange- und Rottönen präsentierte, etwas beschauliches hatte. Wäre da nicht die Gewissheit, dass ihm am Abend das Gesäß einfach nur höllisch schmerzen würde. Es war schon sehr lange her, dass er selbstständig auf dem Pferd gesessen hatte, aber der Muskelkater, welchen man bekam, wenn man das Reiten für eine Zeit unterließ, war nur zu gut in seinem Gedächtnis verankert. Dennoch genoss er es als freier Mann und nicht wie vor kurzem als Gefangener Roderich durch den Wald zu folgen, auch wenn er sich noch nicht sicher war, was er von der Situation, wie sie sich ihm jetzt repräsentierte, halten sollte. Gut, er hatte die versprochene Kleidung noch nicht gereicht bekommen, aber Roderich hatte ihm soweit sein Wort gegeben, dass an ihrem Zielort sich darum gekümmert würde. Wenigstens hatte sich der Österreicher darum bemüht ihm passendere Kleidung zu besorgen. Nun trug er anstatt der alten, ockerfarbenen Tunika, eine etwas besser passende in blau, welche sich durch den feineren Stoff auch nicht wie ein grober Erdäpfelsack auf der Haut anfühlte. Zudem schien dieses gute Stück auch keinen Vorbesitzer gehabt zu haben, dessen Duft an ihr anzuhaften schien. „Ist was?“, bemerkte er gut gelaunt als ihm bewusst wurde, dass Valentin, nun wo Roderich ihn wieder Mals in die Schranken verwiesen hatte, ihn mit unverhohlenem Blick musterte. Der junge Mann schnaubte und richtete wieder seinen Blick nach vorne. „Ich frage mich nur, welches arme Land dich als Repräsentanten hat.“ Der Tonfall in der Stimme klang abfällig und dennoch amüsierte dies Gilbert mehr, als dass sich sein Ego angegriffen fühlte. Seit ihrem ersten Treffen versuchte der Rotschopf ihn mit spitzen Bemerkungen, die sehr nahe der öffentlichen Beleidigungen lagen, ihn aus der Reserve zu locken und ärgerte sich dann, wenn der Deutsche es schaffte ihn verbal auszubooten. „Vielleicht ein Land, das eben dabei ist den Norden neu zu ordnen.“, zischte ihm dann Gilbert mit belustigter Stimme zu, wobei er aus den Augenwinkeln beobachten konnte, dass auch Roderich durch die Art, wie er leicht den Kopf nach hinten wandte, ihnen zuhörte. „Pff, bei deiner kränklichen Gestalt würde es mich wundern, wenn du bei Gott die Wahrheit sagst.“ „Ich wäre an deiner Stelle nicht so abfällig.“ Roderich hatte sein graues Pferd soweit gezügelt, dass er nun leicht schräg vor ihnen ritt, soweit es nun mal der recht schmale Pfad, auf dem sie unterwegs waren, zuließ. „Ich kann mich erinnern, dass István einst erwähnt hatte, dass sein König den Deutschen Orden angeheuert hatte sich um die Situation weit nördlich seines Königreiches zu kümmern.“ „István?“ Gilbert meinte, dass ihm der Name etwas sagte, aber konnte im Moment einfach keinen Bezug dazu aufbauen. „Der Vertreter von Ungarn, der müsst euch doch was sagen?“ Gilbert hätte sich die Hand gegen die Stirn klatschen können, tat es aber seinem Selbstbewusstsein zu liebe nicht. Natürlich, von daher kam ihm der Name so bekannt vor. Schließlich bewegte er sich eben in einer Epoche wo, Ungarn festüberzeugt gewesen war ein Junge zu sein und dadurch sich mit Sicherheit nicht Elisabeth genannt hatte. István, ungarisch für Stephan… Wie hatte ihm das entfallen können, zudem dieser Name eine Teilschuld trug, das er einst auf diese Geschlechtstäuschung reingefallen war. „Sicher, schließlich sind István und ich einander bekannt.“, beeilte Gilbert zu antworten, um nicht weiterhin als unwissender dazu stehen. „Ich lernte sie… äh ich meinte ihn kennen, nur kurz nachdem der deutsche Ritterorden mein Land, für welches ich stand, in Besitzt genommen hatte.“ Zwar war ihm noch rechtzeitig eingefallen, sich mitten im Satz zu korrigieren, aber er sah wie Roderich die Augenbrauen zusammen zog und unwillkürlich fragte der Ostdeutsche sich, ob dem Österreicher bekannt war, das Istvàn eigentlich ein Mädchen war und in ein paar Jahrhunderten, nachdem Sadiq ihr einmal den Kopf gewaschen hatte, auf den Namen Lisi hören würde. Ganz zu schweigen, dass sie für kurze Zeit seine Frau werden würde. Bei diesem Gedanken und auch an die Folgen auf ihre persönliche Beziehung zueinander zog sich sein Magen, ähnlich wie am gestrigen Abend, schmerzhaft zusammen. Doch Valentin riss ihn unbewusst im nächsten Augenblick wieder zurück in die Gegenwart. „Wie kannst du aber gleichzeitig hier und im Norden sein? Das grenzt an Hexerei.“ „Verdammt noch mal, Valentin, wann will das endlich in deine Rübe rein. Du weißt ganz genau, dass es hier… Personen gibt, die sehr wohl in der Lage sind zu solchen magischen Kunststücken. Außerdem, wie oft soll ich dir noch erklären, dieser Herr kommt hunderte Jahre später aus der Zukunft und somit ist es sehr wohl möglich, dass sich unter dieser Sonne zwei Gilberts, welche beide das gleiche repräsentieren, tummeln.“ Valentin wollte dem Gesichtsausdruck nach noch eine Frage einwerfen, doch da kam ihm Gilbert zuvor. „Verzeiht, aber ich fürchte, ich muss euch korrigieren, ich repräsentiere seit geraumer Zeit nicht mehr ganz das Territorium von einst.“ Erstaunt drehte sich Roderich um und betrachtete ihn mit einem musternden Blick, wobei Gilbert sehr wohl wusste, warum ihn der andere mit leichter Furcht in den Augen bedachte. Ein Sprung, wie Ihresgleichen die Neuorientation nannten, löste bei den Repräsentanten, die solches nicht vor sich hatten, Unbehagen aus. Waren doch Springer, wie Gilbert oder August, das personifizierte Sachsen, ein Beweis, wie unbeständig die Welt war und auch sie in ihrem gnadenlosen Handeln treffen konnte. Unsterblichkeit schützte vor vielem aber nicht vor dem Wandel der Welt. „Verzeiht mir ist entfallen, dass Ihr erst kürzlich einen Sprung hinter euch habt.“ Verlegen sah der junge Braunschopf zu Seite. „Was ist ein Sprung, Herr?“ Valentin machte einen eindeutigen verwirrten Eindruck. „Das kann ich dir ein anderes Mal erklären.“ „Ein Sprung hat jemand, der durch Veränderung des Machtgefüges oder im Bewusstsein der Menschen eine neue Stellung als Vertreter übernimmt. Vorausgesetzt seine Person ist soweit gefestigt genug.“ Der junge Mann blickte ihn doch auch nach seiner kurzem Erklärung an und auch Roderich schien über seine schnelle Antwort erstaunt zu sein. „Und was passiert, wenn er es nicht ist?“, fragte der einzige Sterbliche in ihrer Runde, wobei er einen beklemmenden Blick Richtung des körperlich Jüngsten unter ihnen warf. Gilbert seufzte kurz auf und ordnete sich die Wörter zu Recht, doch diesmal kam ihm Roderich mit einer Antwort zuvor. „Wenn der- oder diejenige es nicht schaffen, sich in ihrer neuen Rolle zu Recht zu finden oder es auch keine neue Aufgabe gibt durch die er sich identifizieren kann, verschwinden sie.“ Bitterkeit lag in der Stimme des Österreichers und schnell hatte er sein Gesicht wieder nach vorne gerichtet, wobei Gilbert für einen kurzen Augenblick das Gefühl bekomme hatte, etwas wie Trauer in den feinen Zügen auszumachen. Beklemmend fragte sich der Ostdeutsche, ob Roderich einst das Schicksal eines solchen Repräsentanten miterlebt hatte oder nicht. Er selber hatte einst das Verschwinden seiner beiden Vorgänger erlebt, aber die Erinnerung daran war schwammig und kaum greifbar für ihn. Was bei dem hochgewachsenen, blondhaarigen Kerl daran lag, dass sich dieser kaum um ihn gekümmert hatte und er kaum Chancen gehabt hatte eine gewisse emotionale Bindung zu ihm aufzubauen. Gilbert hatte bei ihm immer das Gefühl gehabt, als stehe sein pigmentloser Fluch, wenn er seine Krankheit so umschreiben konnte, wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen beiden und so im Rückblick konnte es Gilbert dem Mann schlecht verübeln, bedachte man, was es in den Augen der damaligen Völker bedeutete anders als die anderen auf die Welt zu kommen. An das Bild der Frau jedoch, die sich fast bis zum Eintreffen des Deutschen Ordens um ihn wie auch den baltischen Hampelmänner gekümmert hatte, konnte er sich recht gut erinnern, wenn er auch ihr Verschwinden aus seinem Gedächtnis verdrängt hatte. Während er so gedankenverloren in seinen Erinnerungen kramte und über die komplizierten Verwandtschaftsbeziehungen Ihresgleichen sinnierte, kam ihm noch eine Möglichkeit in den Sinn, die der Österreicher nicht genannt hatte. „Oder sie verlieren das Gedächtnis, um ihnen den Sprung zu erleichtern. Das ist, oder besser gesagt das, wird auch noch passieren.“ Diesmal sah ihn Roderich mit großen Augen an, während Valentin es offenbar aufgegeben hatte dem Gespräch zu folgen. Zu spät wurde sich Gilbert bewusst, dass er auch ohne einen Namen zu nennen, eben auf das Schicksal eines Knaben angespielt hatte, welcher in diesen Tagen recht munter durch die deutschen Lande lief, immer beständig darauf bedacht den chaotischen Haufen seiner deutschen Mitnationen unter Kontrolle zu kriegen. Eine quasi unmöglich zu schaffende Aufgabe, an der Karl dann schlussendlich auch gescheitert war. Bitte, Gilbert, denke nach bevor du hier was von dir gibst, flehte er sich an und offenbar war er nicht der einzige mit diesen Gedanken. „Ihr solltet achten was Ihr sagt, Herr Gilbert.“ Roderich Stimme klang kühl und emotionslos. Er hatte sich wieder nach vorne gewendet und trieb sein Pferd wieder ein wenig an, sodass er erneut die führende Position einnahm. Gilbert nickte nur stumm, während Valentins Blick penetrant neugierig an ihm klebte. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen ihnen drei aus, in dem nur das regelmäßige Klackern der Hufe auf den laubbedeckten Waldboden zu vernehmen war. Wenig später kamen sie an eine Y-Kreuzung und Roderich zügelte nur für einen kurzen Augenblick sein Pferd, bevor er dann zielsicher sich für den linken Weg entschied. Aus den Augenwinkeln bemerkte Gilbert, wie Valentin mit einem erstaunten Gesichtsausdruck die Augenbrauen hob. „Herr?“ Hastig trieb er sein breites Reitpferd auf die Höhe des Jungen, sodass Gilbert nichts anderes übrig blieb, als zu ihnen beiden aufzuschließen. „Herr, warum nehmen wir diesen Weg?“, versuchte Valentin erneut die Aufmerksamkeit seines Herren zu erlangen. „Der an der Donau ist doch viel kürzer.“ Roderich drehte den Kopf nur leicht und Gilbert wurde das Gefühl nicht los, dass er ihn dabei ihm Auge behielt. Doch dann ließ er sich zu einer Antwort herab. „Weil ich es vermeiden möchte allzu nah an gewisse Personen oder deren Einflussbereich zu kommen.“ Verärgert runzelte Gilbert die Stirn. Es war nur zu eindeutig, dass hier wieder mal mit Informationen gespart wurde und der Trost, dass auch Valentin ein fragendes Gesicht machte, war recht schwach. Gut, das Misstrauen unter diesen Umständen war soweit berechtigt, soweit stritt Gilbert die Sachlage nicht ab, aber das Wissen, dass sich dies auch in Zukunft nur geringfügig ändern würde, war nicht eben Balsam für seine Seele. Wieder schob er grob die Gedanken beiseite, die ihn die letzte Nacht sehr lange wach gehalten hatten und doch konnte er die Erinnerung nicht völlig abschütteln. Um sich abzulenken, versuchte er auf die gleiche Höhe wie Roderich zu kommen. „Roderich, ich hätte da eine Frage.“ Für einen kurzen Augenblick ließ sich Roderich sein Erstaunen anmerken, bevor er nach gewohnter Manier seine Gedanken hinter einer Maske verschloss. Ein kaum merkliches Nicken ließ Gilbert weitersprechen. „Die Dame Vedunia…“ Nur kurz schob das ehemalige preußische Königreich die Worte in seinen Kopf hin und her, bis er ganz seinem Naturell folgend die einfachste und naheliegenste Lösung nahm, wenn diese auch sehr direkt war. „Wer oder besser was ist sie?“ Mit wachsender Anspannung beobachtete Gilbert, wie Roderich die Stirn in Falten legte und aus den Augenwinkel konnte er sehen, dass Valentin eben den Mund aufmachte, um sich in das Gespräch einzumischen, jedoch von Roderich mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht wurde, bevor auch nur ein Wort seine Lippen verlassen konnte. „Nun…hat sie sich Euch nicht einst vorgestellt?“ Roderichs Stimme klang rau und leicht kratzig, so als wäre es ihm unangenehm darüber zu reden. Seine Verärgerung kaum verbergen könnend, auch wenn sein Unmut nicht seinem zukünftigen Rivalen galt, wandte sich Gilbert wieder der Straße zu. „Verzeiht, wenn ich sage, aber mir wurde seitdem ich in eure Zeit gekommen bin generell wenig erklärt.“ Er konnte von hinten Valentin was unverständliches Murmeln hören, aber zur Schonung seiner Nerven fokussierte er auf dieses Gebrabbel kaum seine Aufmerksamkeit, welche er einstweilen nur dem Österreicher schenkte. Dieser hingegen schien sich wegen einer Antwort zu winden, wenn auch ein leichter Rotstich sich auf den bleichen Wangen ausgebreitet hatte. „Nun…“ Roderich amtete noch einmal tief ein, schien dabei seine Gedanken zu ordnen und erlangte dieses reservierte Verhalten wieder, für das ihn Francis mehr als einmal, ebenso wie Gilbert selbst einen alten Besenschlucker genannt hatte. „Nun ich möchte mich für dieses Verhalten entschuldigen, aber ich fürchte ich kann Ihnen im Moment nicht alles sagen.“ Gilbert wollte eben was einwenden, eine kaum merkliche Handbewegung hielt ihn jedoch davon ab. „Lass mich weitersprechen, ich glaube ein paar Unklarheiten kann ich dennoch beheben.“ Wieder folgte eine kurze Pause und Gilbert wollte eben weiterbohren, doch da nahm Roderich wieder das Wort auf. „Nun das Fräulein Vedunia gehört, wenn man es so bezeichnen kann, auf jeden Fall fällt mir keine bessere Umschreibung ein, einem Volk an, welchem dem Unsrigen sehr ähnlich ist, wenn auch um einiges älter, wenn ich es einst richtig verstanden habe.“ Gilbert warf dem anderen einen verwirrten Blick zu und auch Valentin schien auf einmal für seine Gewohnheiten ungewöhnlich still. Im Schnelldurchgang fasste der Ostdeutsche schnell alle Informationen zusammen, die er bisher über dieses zarte Geschöpf erlangt hatte. Erstens sie war offenbar ebenso langlebig wie er und Roderich, schließlich schien sie den letzten seit seiner Kindheit zu kennen und diese ging erst jetzt allmählich zur neige, wenn er den Blick über den heranwachsenden Körper schweifen ließ. Zweitens war sie jemand dem Roderich Respekt, wenn nicht hohe Anerkennung entgegenbrachte. Drittens war da etwas, was er selber nicht genau benennen konnte, vertraut und unbekannt zugleich. So als hätte er was an ihr übersehen, weil es schon so offensichtlich war, dass man es mit Leichtigkeit überging. „Wie meint Ihr das? Ist sie etwa auch eine Vertreterin?“, fragte er zögerlich, wissend dass besonders die letzte Frage irgendwie ein wenig blöd klang. Er konnte auch keine Antwort oder Reaktion in den violetten Augen suchen, da Roderich starr seinen Blick auf die Straße hielt. Die kommende Antwort jedoch überraschte ihn. „Mhm… so könne man es auch bezeichnen. Seitdem ich mich erinnern kann, gibt es Wesen wie das Fräulein Vedunia in diesen Landen. Sie waren schon hier bevor die Menschen begannen hier das Land unter sich aufzuteilen und ähnlich wie wir, gebieten sie über gewisse Teile des Landes. Unter normalen Umständen jedoch halten sie sich von den Geschehnissen der weltlichen Welt fern, ebenso wie man gut beraten ist sich aus ihren Angelegenheiten raus zuhalten. Nur manchmal ist es nötig Bündnisse einzugehen oder man ist durch andere Umstände sehr an sie gebunden. Kennt ihr eine Agnes?“ Unwillkürlich verzog Gilbert das Gesicht zu einem verzerrten Lächeln. Ob er eine Agnes kannte? Natürlich kannte er diese tirolerische Furie. Nicht nur, dass sein brandenburgischer Bruder regelmäßig mit diesem temperamentvollen Biest aneinander stieß, diese dürre Hexe hatte auch ihn ein ums andere Mal fast verprügelt, dabei hatte er nie viel mit der Politik dieser kleinen alpenländischen Grafschaft zu tun gehabt. Das Bild der hageren Frau mit den langen schwarzen Haaren flog vor sein Inneres Auge und er fragte sich, wie alt wohl die Tirolerin in dieser Epoche wohl aussah? Schließlich meinte Roderich immer sie sei jünger als er. „Mhm mehr oder weniger…“ „Ich selber bin ihr bisher nur selten begegnet, sie nimmt noch nicht langem teil an den Konferenzen des Heiligen Römischen Reiches, aber steht schon jetzt unter ihren Nachbarn im Ruf mit Wesen verbündet zu sein, bei denen es nicht ratsam ist, sie gegen sich zu haben und ebenfalls zu diesem alten Volk gezählt werden.“ Eigentlich wollte Gilbert intuitiv erwidern, dass es schon soundso unratsam war sich persönlich mit Agnes anzulegen, aber da fiel ihm ein Punkt auf, der ihn erstaunte. Also war Agnes noch unabhängig und gehörte nicht zu Roderich. Das war neu für ihn. Schließlich zählte die Tirolerin, seitdem er sich erinnern konnte, zum Haushalt des Österreichers. Wobei… Wenn er so kurz drüber nachdachte, fiel ihm ein, dass Theodor an einem Abend, wo sie beide schon so sehr betrunken waren, dass sie friedlich nebeneinander koexistieren konnten, erwähnt hatte, dass Agnes, wie auch Salvatria und Roderich unter seinem Dach gelebt hatte. Wenn er so zurückdachte, war dies einer der wenigen Augenblicke gewesen, wo er sich mit dem Bayern in freundschaftlichen Banden verbunden gefühlt hatte. Dass sich dann der Brauschopf über das grobe Verhalten der tirolerischen Grafschaft und das eisige Missachten des österreichischen Erzherzogtum ihm gegenüber beim Preußen ausgeheult hatte und ihm noch mit lallender Stimme erklärt hatte, welche Probleme er mit den beiden hatte, war eine ganz andere Geschichte. Wie lange war dieser Abend schon her? Mindestens 200 Jahre und mehr… Vielleicht war es aber auch einfach während des Schlesienkrieges, so genau konnte er dieses Gespräch nicht mehr einordnen. Doch da kam ihm noch etwas in den Sinn, was Theodor an jenem Saufgelage von sich gegeben. Es war nur ein Wort gewesen, welches er mit dem Kontext in dem es gebettet gewesen war, er damals auf den hohen Alkoholpegel zurückgeführt hatte, doch nun wo Roderich darauf anspielte, ergab das Gebrabbel des verhassten Zwangsbruder aus dem Süden plötzlich mehr Sinn. „Meint Ihr Riesen?“ Roderich zügelte augenblicklich sein Pferd und starrte Gilbert misstrauisch an, welcher erst die Zügel nachgreifen musste, um stehen zu bleiben. „Ihr erstaunt mich, Herr Gilbert.“ Das wenige Vertrauen war nicht nur gut hörbar in der Stimme des Jüngeren, mit Schaudern wurde sich Gilbert des forschen Blickes Valentins bewusst, der Lunte gerochen hatte, doch nun doch vielleicht einen Konflikt mit ihm anzuzetteln. „Ich habe mich eben an ein Gespräch mit Theodor erinnert, welcher einst diese Riesen in Kontext mit Anges erwähnt hat.“ Hätte Gilbert gedacht mit dieser Aussage die Wellen zu glätten, war er erschrocken mit welcher Verachtung ihm Roderich entgegen sah. „Theodor also…“, begann er gefährlich und Valentin trabte unverzüglich an seine Seite, wobei er unverhohlen feindlich zu Gilbert blickte. „Nun ja Theodor ist doch eurer Bruder, oder?“, versuchte Gilbert die Situation zu entschärfen und fragte sich im gleichen Moment woher diese Feindseligkeit nur kam. Schließlich verstand sich Theodor mit Roderich beinahe besser, als mit jeder anderer Mitnation des Landes, welches nun in der Gegenwart Deutschland darstellte. Sie waren doch Brüder und auch wenn er aus verschiedenen Quellen wusste, dass es nicht immer rosig in dieser Brüderbeziehung stand, so gab es doch eindeutig andere Geschwister, die schlechter mit einander auskamen. Arthur und seine Sippschaft, um ein nur ein Beispiel zu nennen. „Das schon…“ Nur allmählich legte sich die Anspannung auf dem feinen Gesicht des Österreichers, wenn auch das Misstrauen wie eine trennende Wand zwischen ihnen bestehen blieb. Mit einem Ruck ließ er wieder seinen kleinen Grauen in ein gemütliches Schritttempo fallen, dem sich das Reitpferd von Gilbert augenblicklich anschloss, während Valentin mürrisch das Schlusslicht bildete. „Ich weiß nicht, wie es in euer Zeit ist und ich sollte es auch nicht wissen, aber hier ist mein Verhältnis zu meinem lieben Bruder…“ Die Betonung auf den dem letzten Wort war eisig und abermals fragte sich Gilbert, wie weit es bei Brüdern kommen konnte, dass der eine den anderen mied. Er hatte schließlich nie ein Problem mit Ludwig gehabt und soweit er wusste, dieser auch nicht ihm. „…ist ein wenig angespannt.“ Hinter sich hörte Gilbert Valentin schnauben, war aber sich auch so bewusst, dass Roderich bei der Aussage etwas untertrieb. Das unterkühlte Schweigen hing für einen guten Teil ihres folgenden Weges wie ein Damokles Schwert über ihnen und Gilbert traute sich nicht das Gespräch über die Dame wieder aufzunehmen, um nicht in weitere Fallen zu tappen, die er durch Unwissen und Überforderung aufgrund der Situation, erst dann erkannte, wenn er auf sie trat. Warum fiel es ihm, der ja die Zeit selber erlebt hatte so schwer sich hier zurecht zu finden? Er sprach das altertümliche Deutsch dieser Zeit, er kannte der Theorie nach noch die Gepflogenheiten der Zeit und auch wenn er in diesen Punkten mehr als eingerostet war, so wusste er noch sehr gut, wie man ritt oder ein Schwert schwang. Gut, er werde vielleicht eine Weile brauchen, um wieder so richtig in Schwung zu kommen, aber er war ja das starke Preußen und hatte einst unter dem Deutschen Ritterorden eine der besten kriegerischen Ausbildungen in Europa genossen. Doch warum, fragte sich Gilbert beklemmend, schaffte er es einfach nicht auch als Person Anschluss in die Zeit zu finden und warum trat er weiterhin von einem Fettnäpfchen ins nächste? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)