Von zeitreisenden Preußen, hitzköpfigen Herzögen und launischen Donaufürsten von Sternenschwester (PruAus) ================================================================================ Kapitel 8: Abendlicher Brei, unangenehme Erinnerungen und geschuppte Gefangenen ------------------------------------------------------------------------------- Abendlicher Brei, unangenehme Erinnerungen und geschuppte Gefangenen „Ihr könnt ruhig zugreifen oder fürchtet Ihr etwa, ich hätte es vergiftet.“ Ungehalten wies Roderich mit der Hand auf die Speisen, die zwischen ihm und Gilbert standen. Es war auch nicht so, dass Gilbert beim Anblick des Angebotenen nicht das Wasser im Munde zusammenfloss, sondern eher die Tatsache, dass er angestrengt über die damaligen Tischsitten grübelte, so dass er nicht zulangte. Irgendwas lief hier verkehrt und aus unerfindlichen Gründen, beschloss Gilbert sich zuerst der Lösung dieses Rätsel zu stellen, bevor er sich der Frage zuwandte, was zu dieser Zeit für gute Manieren gehalten wurde und was nicht. Das Problem war nur, dass er zu jener Zeit einst in den strengen Tagesablauf des Deutschen Ordens gebunden worden war, dessen Tischregeln sich in manchen Punkten von denen der Höfe unterschied. Dort hatte während den Malzeiten ein strenges Schweigegebot geherrscht und mehr als einmal hatte er für die Missachtung dieser Regel Prügel vom Ordensmeister erhalten. Schon als Kind war er jemand gewesen, der im Beisammensein mit anderen schlecht still halten konnte. Plötzlich fiel ihm auf, was ihn an der momentanen Konstellation störte. „Roderich, gestattet mir die Frage, aber warum essen wir hier nur zu zweit, anstatt…“ „Anstatt bei den anderen im Saal zu sitzen. Nun, ich war mir noch nicht sicher ob es ratsam wäre, verzeiht meine Ausdrucksweise, Euch schon jetzt auf die Gesellschaft da unten los zu lassen oder umgekehrt. Außerdem wollte ich Euch noch unter vier Augen sprechen.“ „Was ist mit Valentin?“ Es war nicht so, dass Gilbert diesen misstrauischen Kerl ins Herz geschlossen hatte, aber das letzte Mal, als er mit Roderich alleine in einem Raum gewesen war, hatten sie sich beide durch einen unbedachten Streit auf tiefste verletzt. In Gedanken schüttelte Gilbert den Kopf. Nein, er wollte einfach nicht an diese Szenerie erinnert werden. Vielleicht auch deswegen, da er wünschte die gefallenen Worte von einst für immer aus seinem Gedächtnis streichen zu können. Doch diese Zweisamkeit mit dem Österreicher erinnerte ihn aufs empfindlichste an diesen Zusammenstoß. „Weil ich einen Streit heute Abend vermeiden möchte und mir es nicht so scheint als wäret Ihr Valentin in den letzten Stunden sympathischer geworden.“ Das stimmte soweit, nachdem die Dame sie drei verlassen hatte, war Gilbert von Roderich zurück in den Raum geschickt worden, welchen man ihm als Zimmer zugeteilt hatte, wo er dann die nächsten Stunden damit zubrachte, seine Gedanken zu ordnen und über das vergangenen Gespräch zu grübeln. Sicher, er wusste nun welches Jahr man schrieb und dass offenbar ein paar Leute, einschließlich Roderich, gewisses Interesse daran hatten ihn im Unwissen zu halten. Aber bis auf ein paar Namen, die ihm absolut nichts sagten, der Gewissheit, dass er bald wieder in das längst abgelegte Gewand des Deutschen Ritterordens schlüpfen würde und die Tatsache, dass er eben so klug war wie davor, hatten seine Grübeleien zu keinem befriedigten Ergebnis geführt. Seine Stimmung hatte sich auch nicht wirklich gebessert, als Valentin ihn in seiner unfreiwilligen Einsamkeit störte und ihm eröffnete, dass Roderich angeordnet hatte, dass er ihn zum Abendessen in seinem privaten Zimmer erwartete. Auf den Weg zu den Räumen des Österreichers hatten sie es beide auch nicht unterlassen können, sich mit Sticheleien und groben Gesten das Leben sauer zu gestalten. Dennoch hätte Gilbert in nächsten Momenten lieber die Gesellschaft der Pockennarbe um sich gehabt, als sich nun mit dem unterkühlten Blicks Roderichs, den er offenbar schon in jungen Jahren beinahe makellos beherrschte, auseinander zu setzen. Die Tatsache alleine in der Anwesenheit seines zukünftigen Feindes gelassen zu werden, verschaffte ihm ein ungutes Gefühl in der Magengegend und ruinierte seinen Appetit. Indes wartete Roderich leicht ungeduldig, dass Gilbert ebenfalls den Löffel in den groben Brei tauchte, den ihnen ein Küchenjunge hier nach oben gebracht hatte. Nach einigem Zögern drängte sich auch Gilbert dazu endlich mit dem Essen zu beginnen. Der Brei schmeckte entgegen aller Erwartungen nach den Gewürzen, die Gilbert regelmäßig zwischen den gekleisterten Körnern fand, auch wenn das Geschmackserlebnis sich in Grenzen hielt. Aber immerhin war es geschmackvoller als das Essen, an das er sich erinnern konnte, als der geistliche Orden seine Lande fest im Griff hatten. In der ersten Zeit verlief das Essen schweigend, was auf der einen Seite Gilbert dazu verhalf, sich wieder die alten Tischsitten der Zeit in Erinnerung zu rufen und sich vor allem von den Medien verzerrten Bild der Essensgelage im Mittelalter zu trennen, aber auf der anderen Seite wirkte die ganze Szenerie auf den Ostdeutschen beklemmend. Es war wie das unangenehme Gefühl, wenn man in einem Gespräch festgefahren war und was zu einer peinlichen Stille führte. Zwar brannten Gilbert tausend Fragen auf der Zunge, aber er wusste einfach nicht wie er diese stellen konnte, ohne seine Lage zu verkomplizieren. Roderich hingegen schien ebenfalls seinen Gedanken nachzuhängen und lustlos in seinen Brei herum zu rühren, wobei er regelmäßig ein paar Bissen aus seinem Stück Brot riss. Die Kerzen im grobschlächtigen Ständer zwischen ihnen hüllten den Tisch in ihr warmes Licht und machten gleichzeitig Gilbert nur zu gut bewusst, dass die Dunkelheit sich früh in den Alltag einschlich und wie schnell gerade im zusehens kommenden Winter der Tag zu Ende ging. „Nun…“ Ungewöhnlich vorsichtig hob Gilbert den Kopf und blickte gleich daraufhin in die violetten Augen seines österreichischen Pendants. „Ihr kommt also wirklich aus der Zukunft?“ Ungläubigkeit spiegelte sich in dem jungen Gesicht wieder, und doch konnte Gilbert dahinter gleichzeitig eine gewisse Furcht dahinter erkennen. „Hat Euch die Dame von unserem Gespräch in Kenntnis gesetzt?“ Gilbert fühlte sich seltsam, dass als er sich so distanziert mit Roderich unterhielt. Sicher, sie hatten sich nicht immer mit Samthandschuhen angefasst und nicht all ihre Unterhaltungen waren ohne gröbere Zusammenstöße von statten gegangen, aber nun kam es ihm so vor, als würde er sich mit einem Fremden unterhalten und nicht mit jemanden, den er nun schon seit gut 300 Jahren kannte. Obwohl, wenn er über ihre jetzige Situation nachdachte, musste er eingestehen, dass er sich mit jemanden ihm unbekannten unterhielt. Schließlich kam es erst in dreihundert Jahren zu ihrem ersten richtigen Treffen. Bis dahin würden die deutschen Ordensmeister der Vergangenheit angehören und Roderich schon ein fixer Bestandteil des Habsburgerreiches sein, wenn nicht sogar der Führer der österreichischen Linie. Dabei… „Ja, sie hat mich soweit über ihre Lage aufgeklärt, wenn auch nur in groben Zügen.“ Gilbert nickte und spülte den Brei mit ein wenig Wein nach. Verglichen mit dem, was er aus der Gegenwart gewohnt war, schmeckte dieser gestreckt und enthielt bei weitem nicht den gleichen Alkoholanteil. Was aber vielleicht damit zusammen hing, dass Wein und Bier zu diesen Zeiten das Standartgetränk waren, wenn man keine Vergiftung vom brackigen Wasser riskieren wollte. „Ich hätte auch eine Frage an Euch, Roderich. Welches Geschlecht herrscht eben über Euch?“ Augenblicklich verschloss sich die Mine des Österreichers und Gilbert wurde das Gefühl nicht los, eben einen wunden Punkt getroffen zu haben. Er erinnerte sich an ein Saufgelage mit Antonio, wo dieser ihn über die Zeit an gejammert hatte, in der sich Roderich einst sehr gegen seine beiden Schützlinge Karl und Ferdinand, beides Habsburgersöhne, gesträubt hatte. Vielleicht hatte der Österreicher schon früher Probleme mit seinem Herrschergeschlecht gehabt. Selbst wenn ihm dieser Gedanke ungewöhnlich vorkam, schließlich hatte sich Roderich im Namen der Habsburger öfters gegen ihn gestellt. „Das noble Geschlecht der Popponen steht mir und meiner Schwester vor.“ Gilbert machte sich wenig Mühe das Erstaunen auf seinem Gesicht zu kaschieren. Die Popponen … ach verdammt! Diesen Namen hatte er doch schon irgendwo gehört, in Verbindung mit einem anderen Namen, Babenburcker oder so... Kurz bevor er diese unheilsverkündete Reise angetreten hatte. Vielleicht hatte sie sein Bruder irgendwann mal erwähnt oder er hatte den Namen irgendwo auf der Feier aufgeschnappt. Manchmal bekam er ernsthaft das Gefühl, er solle doch seiner Umgebung mehr Aufmerksamkeit bei Gesprächen schenken. „Ihr wirkt erstaunt, Herr Gilbert.“ Roderich hatte kurz innegehalten und der Löffel schwebte, vollbeladen mit Brei, über dem halbvollen Teller. Das so gut bekannte, distanzierte Misstrauen blitze ihn an und ungewollt zog sich in Gilbert innerlich etwas schmerzhaft zusammen und er musste wieder grob die Gedanken an die letzte Begegnung mit Roderich in der Gegenwart aus seinem Verstand räumen, bevor ihn die Bilder des Geschehens überwältigen konnten. Warum nahm er sich gerade diesen Streit so zu Herzen? Sie hatten sich doch schon öfters böse Sachen an den Kopf geworfen. Also warum hatten ihn eben diese Worte so sehr getroffen? ... Weil sie ehrlich gemeint gewesen waren... Seine Aussagen wie auch die Roderichs und weil sie ihre Beziehung zu einander nur allzu unschön entblößt hatten. „Herr Gilbert?“ Aufgeschreckt aus seinen dunklen Gedanken, sah Gilbert wieder zu seinem Gastgeber, welcher noch immer den vollen Löffel in der Hand hielt und ihn aufmerksam musterte. Bitte sieh mich nicht mit dem Blick an, fehlte Gilbert leise zu sich, erlangte aber nur kurze Zeit später wieder die Kontrolle über seine Beherrschung wieder. „Verzeiht, ich war in Gedanken…“, nuschelte er dann entschuldigend, bevor er sich, um einen Vorwand zu haben den Gesprächsbeginn dem anderen zu überlassen, den Löffel Brei in den Mund stopfte. Roderich nickte, schien jedoch unbedingt eine Sache zur Sprache bringen zu wollen. „Natürlich… aber ich hätte da noch eine Frage an Sie, Herr Gilbert…“ Der Junge schien sich dabei nicht wohl zu fühlen und begann unwillkürlich ein wenig auf seinen Stuhl hin und her zu rutschen. In anderen Zeiten hätte Gilbert über ein solches Verhalten aufgrund Unbehagens seitens Roderichs geschmunzelt und es für seine Belustigung ausgenutzt, aber nun hütete er sich davor, sich darüber lustig zu machen. Schließlich schien der Jüngere Gilberts Antwort nicht mehr abzuwarten zu können. „Mir ist klar, dass wir uns offenbar jetzt nicht bekannt sind… aber ich schien Ihnen nicht unbekannt zu sein… so wollte ich...“ „Fragen, ob wir uns später mal begegnen?“, beendete Gilbert ungewollt den Satz und verhalf somit Roderich aus der Beklemmung. Seine Gedanken überschlugen sich, wie sollte er dieser Frage beikommen, ohne a) zu viel über die Zukunft des Österreichers preiszugeben und b)ihre verzwickte Beziehung zu einander nicht aufzudecken. Die Tatsache, dass sie später auf den politischen Parkett zu erbitterten Rivalen werden würden, könnte sich, nun wo die Meinung des Österreichers über ihn noch unbefleckt von Vorurteilen war, als problematisch erweisen. Für eine Weile drehte Gilbert unablässig die Worte im Kopf hin und her, bis er zu einem halbwegs befriedigenden Ausweg gefunden hatte. „Formulieren wir es mal so…“ Das ehemalige Preußen zeichnete mit seinem Löffel eine Schleife in der Luft. „Wirklich den anderen wahrnehmen werden wir erst in ein paar hundert Jahren.“ Ein ungewohntes Glitzern schlich sich in die violetten Augen und wenn es Gilbert nicht anders beschreiben vermochte, war es Hoffnung. Plötzlich wirkte das Gesicht nicht mehr ganz so blass und hohl, wenn auch ein wenig jünger. „Das heißt, es wird mich unter dieser Form in ein paar hundert Jahren noch geben?“ Autsch… Er hatte es doch geahnt, dass eine Antwort auf solche Fragen verzwickt und tückisch sein konnte. Nicht dass er viel auf den Schund von Filmen aus Amerika gab, aber selbst dort wurde bei Zeitreisen immer gewarnt nicht die Vergangenheit durch unüberlegte Aussagen zu verändern. Ein leichter Rotstich schlich sich auf die blassen Wangen des ehemaligen preußischen Fürstentums. Im Gegensatz zu diesem burgerfressenden Idioten hielt er nicht alles für möglich, was sich dessen hirnverbrannte Traumindustrie ausdachte. Doch nun steckte er in einer Zeitreise fest und alles was er als Anleitung verwenden konnte, waren die dämlichen Ratschläge aus zweitklassigen Filmen oder Serien, made in Amerika. Das nächste Mal sollte es bitte Alfred treffen oder besser noch Ivan oder am besten alle beide. Dann war er von zwei Störenfrieden befreit und müsste sich jetzt nicht mit dem ganzen herum ärgern. „Verzeiht. Ich hätte nicht fragen sollen. Fräulein Vedunia hat mir einst eingeschärft, ich sollte solche Fragen nach Euer Vergangenheit und meiner Zukunft vermeiden.“ Gilbert nickte kurz erneut und musterte den jungen Mann an diesem Tag zum ersten Mal genauer. Auf den ersten Blick war es wirklich Roderich, nur eben jünger als in seiner Zeit. Das Muttermal war an der richtigen Stelle und auch der typische violette Iriston hatte sich nicht im Geringsten geändert. Das braune Harr war ein wenig länger und es fehlte der saubere Schnitt, den der Schnösel als Erwachsener üblicherweise trug. Ebenso wie die eckige Brille, deren Fehlen das Gesicht noch zarter und jünger machte, als es war. „Wie stehen wir dann zueinander?“ Nach einiger Zeit schien dem Österreicher die unverhohlene Musterung unangenehm geworden zu sein oder er konnte diese Frage ebenfalls nicht für sich behalten. Gilbert musste unwillkürlich leicht grinsen. Offenbar konnte sich dieser junge Roderich nicht ganz so hinter seiner distanzierten Fassade verkrümeln, wie sein älteres Ich. Einerseits war das an sich recht niedlich, auch wenn er dies niemals zugegeben würde. Wie kam er bei seiner Großartigkeit dazu? Andererseits, ließ dies Roderich nicht so verstaubt wirken, wie der Roderich den er vor einem Tag in der Zukunft zurückgelassen hatte. „Ich dachte Ihr seid mit der Dame übereingekommen, so was nicht zu fragen.“ Nun war es an Roderich leicht rot auf den Wangen zu werden und erst jetzt wurde sich der Ostdeutsche der Bedeutung der Frage bewusst. Das Lächeln fror auf der Stelle ein. ~„Nein, Roddy, klären wir das hier ein für alle Malle. Was bin ich für dich oder was bin ich für dich gewesen?“~ Er sah ihn wieder vor seinem geistigen Auge und erinnerte sich im Wortlaut an jeden Satz der gefallen war. Wie der Österreicher, gekleidet in dem eleganten dunkeln Anzug, am Fenster in dem dunklen Raum stand, nur erhellt von dem spärlichen Laternenlicht der Straße, welches in den leeren Raum fiel. Wie er die Türe mit einem Krachen ins Schloss fallen hat lassen und sie beide somit von der ausgelassenen Stimmung des Festes ausschloss. Er spürte erneut den aufgeschreckten Blick des anderen auf sich ruhen. Erinnerte sich an den Zorn, mit welchem er den Österreicher zur Rede hatte stellen wollen und mit welcher Sturheit dieser sich dagegen gewehrt hatte. Die ganzen Bilder, vor denen er sich gewehrt hatte, strömten unbarmherzig durch seine Gedanken, so als wäre nun ein Damm gebrochen und sein Appetit, wie auch der letzte Funke guter Laune verschwand zusehends. Sie beide hatten an diesen Abend vieles ruiniert, wenn nicht sogar unwiderruflich zerstört. Roderich schien seine plötzliche aufkommende düstere Stimmung zu bemerken und sich augenblicklich zu beruhigen. Der Jugendliche, welcher für ein paar Momente hinter der Fassade des Österreichers hervorgekommen war, hatte wieder die distanzierte Maske aufgesetzt und war dahinter verschwunden. Doch Gilbert hing nun seinen düsteren Gedanken nach und leerte ohne ein weiteres Wort fallen zu lassen die Schüssel. Das restliche Abendessen verlief schweigend und Gilbert dachte mit Bitterkeit zu sich, dass seine ehemaligen Ordensmeister mit seinem Verhalten zufrieden gewesen wären. ------------------------------------------------------- Schweigend schritt sie immer weiter in die Tiefe, wo Stille und Dunkelheit Einzug gehalten hatten. Allein der Schein der Fackel war ihr ständiger Begleiter und warf obskure Schattenbilder an die steinernen Wände. Die Last in dem Beutel, welcher über einen Riemen auf ihrer Schulter ruhte, wog schwer und doch hatte sie es im Laufe der Jahre gelernt zu ignorieren. Es werde abermals zu wenig sein, das wusste sie nur zu gut, aber mehr konnte sie einfach nicht tragen und jemanden hier in dieses Höhlensystem zu schicken war unmöglich. Vielleicht in Zukunft, vorausgesetzt sie würde jemanden finden, dem sie ebenso vertrauen konnte, wie ihr Bruder sein Vertrauen in diesen Rotschopf setzte, aber bis dahin musste sie die Arbeit hier alleine übernehmen. Sie hatte das Ende der Treppe erreicht und verfolgte weiterhin ihren Weg durch das Geflecht aus unterirdischen Gängen und Höhlen. Diese Welt unter der Erde war bisher den Menschen mit all seinen Schönheiten und Schrecken verborgen geblieben und ihrer Meinung nach, war dies auch gut so. Als sie eine weitere Höhle betrat, fand sie sich endlich dem riesigen Portal gegenüber, zu welchem sie sich aufgemacht hatte. Das Holz war über die Jahre durch die hier herrschende Feuchtigkeit morsch geworden und überzogen von spröden Rissen, die auf den schlechten Zustand des Tores hinwiesen. Besorgt legte sie eine ihrer Hände auf das feuchte Holz und strich einmal die Maserung entlang, immer darauf bedacht sich keinen Schiefer einzuziehen. Ein tiefes Grollen hinter der Tür gab ihr Gewissheit, dass ihre Ankunft nicht unbemerkt geblieben war. Geschickt schlüpfte sie durch einen riesigen Spalt an der rechten Seite des Tores. Die Höhle in der sie sich nun befand, war noch größer als die letzte gewesen und das muntere Plätschern eines kleinen, unterirdischen Baches nur zu gut vernehmbar. Ein paar Kolonien leuchtender Pilze spendeten in der beinahe absoluten Dunkelheit gedämpftes Licht und ließen die gewaltigen Ausmaße dieser Grotte nur erahnen. Sie ging nicht viele Schritte nach innen, sondern blieb bei einem umgefallenen Schemel stehen, den sie nun aufstellte und auf den sie sich hinsetzte. In der Düsternis vor ihr rasselten schwere Ketten über den Boden und das Grollen wurde lauter. „Katharina…?“ Die Stimme hatte etwas Animalisches und rein gar nichts Menschliches. Plötzlich schabten die Ketten in größerer Geschwindigkeit über den steinernen Boden und eine krallenbewährte Tatze schlug ein paar Meter vor der jungen Frau tiefe Furchen ins Gestein, welche unbeeindruckt starr auf dem Schemel sitzen blieb. Die schwere Kette, die sich um die dicke Tatze schlang, war bis aufs Äußerste gespannt und ein boshaftes Lachen erklang aus der Düsternis. „Natürlich, wer sonst würde es sonst wagen mir einen Besuch abzustatten. Liebste Katharina…“ Der Hass in der tiefen Stimme war unüberhörbar und dennoch löste er keine Reaktion mehr bei der Braunhaarigen aus. Warum auch? Wäre sie an seiner Stelle gewesen, sie würde ihn als ihren Kerkermeister ebenso hassen. Wiederum verzog sie das Gesicht, als die Krallen ohrenbetäubend über den Felsen fuhren und ein langgezogenes Geräusch verursachten. Als die Kralle wieder aus dem Schein der Fackel verschwunden war, griff sie nach dem Beutel, welchen sie neben sich abgestellt hatte. Leuchtende, rote Augen, groß wie Servierteller, beobachten jeden ihrer Handgriffe und blitzten sie unheilverkündend an. Lieblos schmiss sie einen großen Brocken Fleisch in die Dunkelheit und mit einem Klatschen landete es in der gewünschten Richtung. „Wie großzügig von dir, liebste Katharina, du hast mir sogar was zu essen mitgebracht.“ „Friss und hör auf mit der Ironie.“, konterte sie emotionslos, während ein Schmatzen die Höhle erfüllte. „Aber, liebste Katharina, als würde ich es nicht ernst meinen… Schließlich ist deine Gesellschaft eine recht nette Abwechslung zu denen von Molchen und Krabbelgetier.“ Sie schwieg dazu und warf das nächste Stück Fleisch in die Dunkelheit. „Nanu… so schweigsam, liebste Katharina… gibt es den rein gar nichts was du mir zu erzählen hast…?“ Die Stimme klang belustigt, wie ebenso lauernd. „Nichts was dich zu interessieren hätte.“ Wieder erklang das amüsierte tiefe Lachen, spöttisch und gleichzeitig abfällig. „Als hätte ich es nicht längst mitbekommen.“ Für einen kurzen Augenblick zog Katharina die Augenbrauen zusammen, um dann wieder die emotionslose Maske aufzusetzen, die sie eigentlich immer trug. „Wovon redest du?“ „Aber kleine Katharina, du willst doch nicht andeuten, dass du von dem nichts wüsstest.“ Sie konnte sehen wie ihr Gesprächspartner im Zwielicht des Fackelscheines seinen riesigen Schädel auf seine Pranken polsterte und sie hämisch beobachtete. „Stimmt… du magst Noriea ziemlich ähnlich sein im Aussehen, aber ihr Blut fließt nur äußerst dünn durch deine Adern.“ „Ziehe Mutter in dem Ganzen nicht rein. Du Wurm!“ „Oh… wenn es um deine Familie geht, dann lässt du deine Fassade aber schnell fallen, liebste Katharina. Aber wird bitte nicht gleich beleidigend. Ich bin ja schließlich kein Erdwurm.“ Spöttisch blitzten die Fangzähne weiß und gefährlich im diffusen Schein der Fackel auf. „Und was Noriea angeht… nun ja, wer die Seinigen verlässt, um sich den Menschen anzuschließen… ach lassen wir die Vergangenheit lieber ruhen. Über Verschwundene soll man bekanntlich nicht lästern. Oder waren es die Toten?“ Er ließ den Satz in der Höhle stehen, wissend dass er mit den Worten bei ihr einen wunden Punkt traf. Die Gewissenbisse, vielleicht der Grund gewesen zu sein, warum Norikum sie und Roderich verlassen hatte, ließen diese offene Wunde in der Seele immer noch nicht heilen. Plötzlich erfüllte das Schleifgeräusch, der über den Boden gezogenen massigen Kettenglieder die Höhle. Schemenhaft konnte sie sehen wie er seinen gewaltigen Körper erhob und hörbar die verkümmerten Flügel spreizte. Sie konnte Gelenke knacken hören, bevor der massige, geschuppte Leib sich wieder zu Boden fallen ließ. „Aber gut sie war nicht die Einzige und wenn ich an den Sohn der Wölfin denke oder diesen blonden, langhaarigen Kerl…. Was mich aber eher wundert ist, wie viele Nachkommen von dieser Brut Schwammerln gleich aus den Boden geschossen sind. Nachkommen wie du… und die kleine Kröte von einem Bruder.“ Ein Schweigen bereitete sich zwischen ihnen aus, da sie sich weigerte dieses Gespräch ausufern zu lassen und er, weil er offenbar seinen eigenen Gedanken nachhing. Sie wollte sich eben erheben und ihm die letzten Stück Fleisch zu werfen, da schien er sich der Stille überdrüssig zu sein. „Ich hörte auch eure Familie hätte Zuwachs bekommen. Wie hieß noch das kleine blonde Mädchen, das dir überall gefolgt ist wie ein Hündchen…Haduwig… oder so? Und das andere Balg von Noriea … diesem kleinen Schützling der Untersberger Zwerge…“ „Meine Familie geht dich nichts an!“, zischte Katharina dann schlussendlich, als ihr das Gespräch zu viel wurde. „Möglich… ich würde trotzdem nur zu gerne wissen, wie sie wohl schmecken würden…“ Das leuchten der roten Augen verschwanden kurz, als das Ungeheuer für einen Moment die Lider schloss. „Aber ich gebe dir trotzdem den Rat in Zukunft ein wenig besser auf deinen kleinen Bruder aufzupassen. Mein Gefühl sagt mir, das Danuvius mit dem ganzen Aufruhr, der nun da draußen, unbemerkt von diesem dummen Menschenpack herrscht, zu tun hat und sollte es so sein, so sollte sich dein Bruder in Acht nehmen. Er hat sich einst mit dem Fürsten angelegt und der Gute verzeiht einem nicht so schnell.“ „Seit wann so zuvorkommend?“ Misstrauisch betrachtete Katharina den Schemen des Ungetüms. Die Augen öffneten sich halb. „Damit wir uns verstehen… Ich hasse dich aus vollsten Herzen und ich bin ebenso nachtragend, wie Danuvius, aber im Gegensatz zu ihm liege ich in Ketten und du weißt nicht was es für eine Qual sein kann, in dieser Dunkelheit, in die du mich hast sperren lassen, mein Leben dahin zu fristen, ohne dabei den Verstand zu verlieren. In diesem Punkt beneide ich die Menschen… Der Wahnsinn wäre als Flucht verlockend, wenn mir dieser Weg nur offen stünde. Wie gesagt Molche und Spinnentiere sind keine geeignete Gesellschaft, außerdem schmecken sie abscheulich. Und nun wirf endlich die letzten Stück Fleisch rüber…“ Wortlos kam sie dieser Bitte oder besser gesagt dem Befehl nach. „Mhm… wie immer zu wenig… aber gut wenigstens ein bisschen Genuss hier unten. Schließlich werde ich nicht verhungern können.“ Die Ironie triefte aus der Stimme und erneut erfüllte ein Schmatzen die Kaverne. Sie wollte sich eben umdrehen, da richtete er noch einmal das Wort an sie. „Du magst mich hier unten von der weltlichen Welt abschirmen können oder die weltliche Welt von mir, wie man es nimmt, aber die Geschehnisse der anderen Welt, die meine Welt ist, kannst du mir selbst hier untern nicht verwehren. Darum pass auf dich auf, kleines Katharinchen… ich habe Zeit und selbst die besten Ketten rosten eines Tages durch.“ Das junge Kärnten war sich des hämischen Grinsen bewusst, als sie sich von ihm abwandte und erneut durch dem Spalt nach draußen schlüpfte, um den Lindwurm wieder der Einsamkeit zu überlassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)