Der Schrein der Zeit von jade18 (Sawako und die Krieger vom Aokigahara) ================================================================================ Kapitel 8: Entscheidendes Geheimnis ----------------------------------- ACHTUNG, ACHTUNG, wichtige Info Am 06.10. habe ich am ersten Kapitel eine inhaltliche Änderung vorgenommen und auch ein paar Sätze in den folgenden Kapis angepasst, die sich darauf beziehen. Für die Leser, die schon vorher dabei waren, fasse ich die Änderung hier kurz zusammen Alle anderen können gleich runterscrollen und weiterlesen. Der Gewinn, den Sawako für ihre Mutter annahm, war keine Bootsfahrt, sondern eine Tempelbesichtigung. Ja richtig, DER Tempel. Dort wird sie genauso plötzlich und unvorhersehbar in die Vergangenheit gerissen und landet zwar wieder im Tempel, aber genau während des Angriffes von Yorinaga. Dadurch wird sie dort sofort gefangen genommen. Vor Ogata und seinen Leuten hält sie die Tatsache, dass sie während des Angriffs dort gefangen wurde, geheim, weil sie befürchtet, es wäre zu verdächtig Also nur die Art, wie sie in der Zeit gelandet ist, wurde umgeschrieben, nicht mehr. Tut mir Leid, wenn die Änderung für Verwirrung sorgt. Aber der Einstieg in die Story gefiel mir nicht so wirklich, er war viel zu losgelöst von der eigentlichen Handlung. Falls Fragen sind, beantworte ich diese gerne. Ansonsten viel Spaß beim Weiterlesen und danke, dass ihr dabei seid. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Überwältigt von Erschöpfung, Erleichterung, Sorgen und allen möglichen Emotionen ließ Sawako sich auf die schwere Leinendecke sinken. Sie strich mit der Hand über den groben Stoff und ließ ihren Blick abwesend durch den kleinen Raum schweifen. Man hatte sie überraschend gut behandelt, und sie war sehr dankbar dafür. Sie hatte die letzten Tage mehrfach ihre Grenzen erreicht, und öfter als ihr lieb war, diese überschreiten müssen. Viel mehr hätte sie kaum ertragen. Als Ogata beschlossen hatte, sie müsse bewacht werden, war sie zutiefst entsetzt. Sie hatte sich schon in einem dunklen Verlies gesehen, angekettet, ohne Tageslicht. Stattdessen war sie in diesen kleinen Raum geführt worden. Ihr wurde ein Schlafplatz hergerichtet, sie bekam eine richtige Mahlzeit und saubere Kleidung. Verstehen konnte sie diese Wendung nicht, aber für den Moment war ihr egal, ob es an ihrem Hinweis mit der Schatulle lag, oder daran, dass Ogata ihr vielleicht glaubte oder was auch immer. Auch wenn dieser Harada damit beauftragt wurde, sie zu bewachen, fühlte sie sich gerade ganz und gar nicht wie eine Gefangene. Vielmehr entschied sie, dass dieses Maß an Gastfreundschaft mehr war, als sie in ihrer Situation zu hoffen gewagt hätte. Ob wohl ein Soldat vor der Tür stand, die in den Garten und damit auch in die Freiheit führte? Sie war nicht in der Stimmung, eine weitere kräftezehrende Flucht zu starten. Wie könnte sie auch, wo hier Essen, ein Dach über dem Kopf und, gerade am überzeugendsten, ein Bett auf sie warteten? Sie wäre wahnsinnig, das in ihrem Zustand zurück zu lassen und sich wieder in einer Wurzelhöhle zu verkriechen. Zwar störte sie der Gedanke, dass sie wahrscheinlich beobachtet und bewacht wurde, aber gut, in Anbetracht dessen, was ihr seit der Tempelbesichtigung widerfahren war, sollte es das geringste Übel sein. Sie legte sich nieder und schlang die Leinendecke eng um ihren Körper. Die Beine hatte sie angewinkelt. Am liebsten würde sie einfach in einen ruhigen, erholsamen und traumlosen Schlaf übergehen. Dennoch schwirrten ihre Gedanken um das Geschehene. Sie versuchte, sich an den Ausdruck auf Ogatas Gesicht zu erinnern. Hatte er sie feindselig angesehen? Nein, nicht wirklich. Er hatte ihrer Geschichte kommentarlos gelauscht und sie hatte ihm wertvolle Informationen liefern können. Vielleicht reichte es, um sich in ein Gefühl von Sicherheit zu wiegen? Nur für diesen Moment. Sie war so erschöpft und gäbe jetzt alles, einfach sorglos einschlafen zu können. Die Augen hatte sie geschlossen, aber der Schlaf wollte und wollte einfach nicht gnädig zu ihr sein. Draußen hörte sie wieder Stimmen. Die Atmosphäre war die ganze Zeit schon hektisch gewesen. Inzwischen hatte sich die Dunkelheit über das Schloss gelegt, doch es kehrte kaum Ruhe ein. Ob Shiba schon aufgebrochen war, um seiner nächsten Mission nachzugehen? Sie hatte nicht mehr mit ihm sprechen können, nachdem Ogata seinen Leuten verschiedene Aufträge erteilt hatte. Zu gerne hätte sie noch ein paar Worte mit ihm gewechselt, wenn auch nur kurz. Er war sehr nett zu ihr gewesen und sie wusste es zu schätzen. Doch daraus wurde nichts, weil jemand anderes seinen Auftrag genauso ernst nahm wie Shiba. Als Ogata seine Leute aus der Audienz entließ, stand Harada sofort neben ihr. Sie hatte sich noch nicht erhoben, daher hatte er riesig gewirkt, wie er neben ihr stand und auf sie herabsah. Seinen Blick hatte sie nicht deuten können, auch sprach er kein Wort, dass etwas über seine Gedanken verraten hätte. Sie hingegen war in dem Moment noch völlig aufgelöst, weil das Bild von ihr im Kerker noch drohend in ihrem Kopf leuchtete wie Neonreklame. Er hatte ihr die Hand entgegengestreckt, und sie fürchtete schon, er würde sie jetzt in den grausigen Kerker schleifen. Sie musste vor Schreck zusammengezuckt sein, denn es hatte ein verwirrter Ausdruck in seinen dunklen Augen gelegen. Erst da realisierte sie, dass er ihr nur aufhelfen wollte. Verdutzt griff sie seine Hand und ließ sich von ihm hochziehen. „Du wirst also eine Weile im Schloss bleiben.“ Er schien in dem großen Raum nach etwas oder jemandem zu suchen. Wie panisch hatte sie überlegt, ob das nun etwas Gutes oder Schlechtes hieß. Ihr Atem ging stoßweise. „Was ist los?“, fragte er. „Du wirkst ja noch ängstlicher als auf dem Weg hierher. Dabei hast du Glück, dass Ogata-sama dir wohlgesonnen ist.“ Wohlgesonnen? Hieß das, lieber im Kerker verrecken als sofort hingerichtet zu werden? Na danke. Aber … seine Worte, oder vielmehr der Tonfall seiner Stimme, straften ihre Befürchtungen lügen. „Ihr werdet mir nichts tun?“, fragte sie vorsichtig. Was für eine dumme Frage, aber sie musste sie einfach loswerden. Harada schien überrascht. „Hast du das geglaubt? Warum sollten wir? Warum sollte Ogata-sama? Es gäbe keinen Grund dafür. Allerdings werden wir dich auch nicht gehen lassen. Aber mach dir keine unnötigen Sorgen. Wenn du wirklich nichts verbirgst, dann wird dir hier kein Leid widerfahren.“ „Oh“, erwiderte sie nur leise. „Dann hab ich mir den ganzen Tag umsonst den Kopf zerbrochen? Ihr hätte ja ruhig ein paar entwarnende Worte geben können.“ Sie war tatsächlich ein bisschen sauer. Unendlich erleichtert, aber sauer. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah stur zu ihm hoch. Er war überrascht von ihrer Reaktion, sie glaubte aber, wieder dieses amüsierte Funkeln in seinen Augen zu sehen. Er machte sich wohl wieder über sie lustig. Warum auch nicht? Sie war ein Wrack, durch und durch. Sehr unterhaltsam. „Nun, ich entwarne jetzt. Und du hast gehört, was Ogata-sama gesagt hat. Ich bin dafür verantwortlich, dass du keinen Unsinn machst. Also erspare dir die Mühe und mir die Umstände und tu einfach, was man dir sagt.“ Der Klang seiner Worte ließ keinen Widerspruch zu, wie zu erwarten von einem Hauptmann, wenn er Befehle erteilte. Sie drehte sich weg, ohne ihm zuzustimmen. Einfach tun, was man ihr sagte? Das würde sie sicher nicht so einfach abnicken. Sie glaubte, ihn entnervt seufzen gehört zu haben. Er schien genauso wenig begeistert wie sie. „Warte hier!“ Er ließ sie stehen und ging zu einem, wie sie glaubte, Bediensteten hinüber. Hatte er danach Ausschau gehalten? Er schien ihm Anweisungen zu geben, der Mann nickte nur, winkte seinerseits weitere Diener heran, sprach kurz zu ihnen, worauf diese in verschiedene Richtungen ausflogen. Dann war er wieder bei ihr. „Sie machen ein Zimmer für dich fertig, und eine Mahlzeit. Du wirst essen, dann schlafen, und morgen reden wir weiter.“ Sie sah ihn entgeistert an. Sie hatte schon deutlich schlimmere Drohungen gehört. Essen und Schlafen war eher eine Verlockung. „Verstanden?“, hakte er nach. Sie wollte die Augen verdrehen, verkniff es sich aber. Ihr war wirklich nicht danach, sich mit einem Krieger zu streiten, auch wenn er gerade nicht bewaffnet zu sein schien. Aber es ärgerte sie, wie er mit ihr sprach. „Also wirklich, ich bin in den letzten zwei Tagen fast erstickt, geschlagen und gefesselt worden, wurde gejagt und gefangen, bin ohne Essen und Trinken durch den Wald geirrt, habe im Dreck geschlafen und so viel Feindseligkeit erfahren, wie noch nie im meinem Leben zuvor. Und wenn mir jetzt jemand Essen und ein Bett anbietet, werde ich bestimmt nichts tun, was mir unnötige Mühe und dir unnötige Umstände bereitet.“ Ihr war bewusst, dass die Antwort ziemlich frech war für jemanden in ihrer Position. Verlor sie sich plötzlich in falscher Sicherheit oder hatte sich ihr Verstand verabschiedet? Sie hätte jede Reaktion erwartet. Dass er sie auslachte, dass er verärgert war, selbst eine Ohrfeige hätte sie kommen sehen. Stattdessen sah er sie ruhig und ernst an. „Ich nehme dich beim Wort.“ Sie zog die Decke über ihren Kopf. Seine Worte waren ihr durch Mark und Bein gegangen. Sie klangen wie ein Versprechen und eine Drohung zu gleich. Fast sogar wie eine Herausforderung. Sollte sie tatsächlich jemals wieder diese kuschelige Decke hinter sich lassen und hier fliehen wollen, hätte sie sicher kein leichtes Spiel. Sie hatte keine Ahnung, was noch auf sie zukäme, aber jetzt musste sie einfach nur schlafen. Über alle ihre Probleme könnte sie auch morgen noch nachdenken. Sie glaubte kaum, dass sie noch genug Glück übrig hatte, dass die Sorgen im Morgengrauen verschwunden wären. Natürlich waren ihre Probleme am nächsten Morgen noch genauso gegenwärtig wie zuvor. Es wäre einfach zu schön gewesen. Aber nun, wo sie sich langsam etwas erholte von den Strapazen, konnte sie alles klarer sehen und genauer darüber nachdenken. Sie fühlte sich zwar weiterhin alles andere als in Topform, da ihre Muskeln schmerzten von all der Anstrengung, jedoch tat ihr Kopf nicht mehr weh und das war schon eine willkommene Verbesserung. Gedankenversunken aß sie den Reis, den man ihr zum Frühstück gebracht hatte. Sie wünschte, man hätte sie ausschlafen lassen, aber die junge Dienerin, die ihr gestern schon alles gebracht hatte, kam gefühlt viel zu früh zu ihr und wuselte durch den Raum. Das Leben hier schien das Wort 'Ausschlafen' nicht zu kennen, eine Schande. Die junge Frau redete nicht viel mit Sawako, nur das Nötigste, und Sawako hatte ihre halbherzigen Versuche, ihr ein Gespräch zu entlocken, schnell aufgegeben. Die Versuchung, sich einfach wieder schlafen zu legen, hatte sie schnell verwerfen müssen. Wer wusste, ob sie nicht wieder von irgendwem befragt wurde oder was man von ihr erwartete, jetzt wo sie die 'Gastfreundschaft' des Schlosses genoss. Sie stand nun vor der Tür, die in den Garten führte und atmete noch einmal tief durch. Sawako war, mit Hilfe der Dienerin, nun komplett zeitgemäß hergerichtet. Ihr Haar war gewaschen, von Dreck und Zweigen befreit und glänzend gekämmt. Auch ihrem Gesicht hatte das kalte Wasser gut getan. Gekleidet war sie in einen schönen, hellen Yukata mit dezentem Muster. Unter normalen Umständen hätte sie so einen gerne zum Sommerfest getragen. Jedoch waren die Stoffe bei Weitem nicht so weich, wie sie es von zu Hause gewohnt war. Auch ihr Bett, das ihr gestern vor Erschöpfung weich wie Wolken erschienen war, kratzte beim Aufwachen doch eher unangenehm. Sie war zu verwöhnt vom Komfort, dachte sie bitter, wenn sich in einer Situation wie ihrer an der Stoffqualität störte. Sie steckte das Thema schnell in die Schublade mit der Aufschrift 'ich habe andere Sorgen'. Auf ihrem imaginären Schreibtisch lag immer noch die Überlebensliste, die sie auf dem Weg zum Schloss zusammengestellt hatte. Punkt Nummer Eins, 'Am Leben bleiben', schien gerade sehr gut zu laufen. Auch Punkt Nummer Zwei, 'möglichst unbeschadet', sah deutlich besser aus als zuvor. Sie konnte sich nun dem nächsten Punkt widmen, und das würde nicht einfach werden: 'Herausfinden, was passiert ist'. Jetzt, wo sie wieder klarer denken konnte, schien ihr eindeutig, wo sie als erstes suchen müsste: Im Tempel, vor allem den Schrein der Zeit sollte sie begutachten. Wenn sie Glück hatte, musste sie dort einfach nur auf die richtige Stelle treten und ein Raum-Zeit-Loch würde sie wieder nach Hause bringen. Wenn sie Pech hatte, wäre mehr nötig, falls sie überhaupt eine Chance hatte. Der Schrein der Zeit, schon der Name klang verdächtig. Shiba hatte davon gesprochen, dass die Menschen an die Magie des Tempels oder die der Götter oder was auch immer glaubten. Vielleicht ruhte dort die Kraft, die sie wieder nach Hause bringen konnte. Ihr Entschluss stand fest, aber es gab da ein ganz entscheidendes Problem, in Form eines gewissen Kriegers, der sie nicht so einfach gehen lassen würde. Es würde wahrlich nicht einfach werden. Aber sie hatte nun ein Ziel, eine Idee, zumindest einen Ansatz, und damit verschwand auch die Hoffnungslosigkeit, die sie zuvor gespürt hatte. Sie öffnete die Tür, blinzelte kurz gegen die Sonne und trat hinaus. Sie blieb auf der Veranda stehen und nahm die Eindrücke auf. Der Hof war voller geschäftigem Treiben. Bedienstete liefen mit Körben und Wäsche umher, Soldaten waren überall zu finden, manche wachsamer als andere, die redeten und lachten. Das Bild war befremdlich, wie eigentlich alles hier, was so typisch dieser Zeit entsprach und Sawako damit so fremd war. Sie wollte die Ruhe nutzen, um einen kleinen Rundgang zu machen und alles zu erkunden. In ihrem jetzigen Outfit fühlte sie sich auch deutlich wohler und unauffällig genug, um zwischen den Ureinwohnern hier entlang zu schlendern. In diesem Yukata stach sie bei Weitem nicht mehr so hervor. Sie hatte kaum einen Schritt gemacht, da hörte sie hinter sich eine Stimme: „Halt!“, rufen. Überrascht drehte sie sich um. Neben ihrer Tür, an die Wand gelehnt, stand einer der Soldaten und sah sie finster an. „Du wirst diesen Raum nicht verlassen, solange niemand dich begleitet und im Auge behält!“ „Aber...“, wollte sie widersprechen, ihr viel jedoch kein besonders schlagkräftiges Argument ein. „Nicht aber. Allein wirst du dich weder durch das Schloss noch durch den Garten bewegen.“ Sie vermutete, dass er die ganze Zeit vor ihrer Tür gestanden hatte. Nun, sie hatte gewusst, dass man sie bewachte. Also schien die Tür zum Hof immer genau im Blick von einem Soldaten zu sein. Zuvor, als Sawako sich gewaschen und herausgeputzt hat, hatte die Dienerin sie durch die andere Tür des kleinen Zimmers, durch das Schloss, nur wenige Flure entlang, geführt. Durfte sie nun nicht einmal alleine aufs Klo, ohne nach der Dienerin zu rufen? Besser als der Kerker, wiederholte sie stumm immer wieder in ihrem Kopf. Besser als der Kerker. Vielleicht würde er sie ja herumführen, wenn sie ihn nett fragte? Ein freudloses Lachen legte sich auf ihre Lippen. Welch absurde Idee, sah er doch so aus, als würde er die lästige Frau am liebsten loswerden, die ihm diese Nachtschicht eingebracht hatte. Kooperationsbereitschaft seinerseits war mindestens genauso unwahrscheinlich wie ein europäischer Gartenzwerg mit roter Mütze in diesem Hof. Er würde sie sicher nur dann irgendwo hinbringen, wenn sie verkündete, sie hätte weitere wichtige Informationen für Ogata, Harada oder sonst wen. Sonst würde sie nun hier festsitzen. Man behandelte sie zwar halbwegs wie einen Gast, aber sie war dennoch eine Gefangene, soviel stand fest. Sollte sie nun den ganzen Tag in ihrem kleinen Zimmer hocken und darauf warten, dass etwas geschah? Eine sehr unangenehme Vorstellung. Wenn sie schon nicht den Garten und das Schloss erkunden konnte, würde sie wenigstens die Leute beobachten. Sie setzte sich auf die Veranda, direkt vor ihrer Tür, und ließ die Füße baumeln. Ihren Kopf drehte sie in Richtung des Soldaten. „Lieber 'vor' meinem Zimmer. Und so hast du mich ja auch bestens im Blick. Ist doch für uns beide angenehmer“, schlug sie vor. Er starrte sie weiter finster an, als wüsste er nicht, ob das nun ein Verstoß gegen seine Anweisungen war oder nicht. Sein Schweigen nahm sie dann aber als Zustimmung hin. Neben der Dienerin war dieser Soldat der nächste, dem kaum ein Wort zu entringen war. Aber gut, so finster und unfreundlich wie er wirkte, machte ihr das nicht viel aus. Oje, dachte sie, wenn nicht bald etwas passierte, könnte es ein furchtbar langweiliger Tag werden. Obwohl, Langeweile war ihr nach all dem eine angenehme Abwechslung. Und wie langweilig es wurde. Der Trubel im Hof hielt nur den Morgen an. Scheinbar wurden alle Aufgaben früh am Tag erledigt und dann kehrten die Bediensteten, zumindest ein Großteil, in ihr Dorf zurück. Auch die Soldaten hatten sich jetzt verzogen. Vereinzelt war mal einer zu sehen, aber die Masse war fort. Vielleicht um das Tor zu bewachen, oder den Tempel. Dumm war nur, dass sie nun niemanden mehr beobachten konnte und der Blick in den Garten zwar zauberhaft war, diesen Effekt aber nicht acht Stunden lang aufrecht erhalten konnte. Sie konnte nicht mehr sitzen, lief im Zimmer auf und ab, setzte sich wieder auf die Veranda, legte sich auf ihre Decke, schritt wieder auf und ab. Sie bewunderte das Durchhaltevermögen des Soldaten. Er hatte sich kaum gerührt. Dieser Mann konnte sie unmöglich die ganze Nacht bewacht haben, denn so lange hielt das doch niemand durch. Entweder gab es am Morgen eine Ablösungen oder nachts lauerte niemand vor der Tür auf sie. Wäre wünschenswert, aber äußerst unwahrscheinlich. Sie seufzte zum wiederholten Mal und setzte sich wieder auf die Veranda. Oder vielmehr legte sich sich, die Augen geschlossen und das Gesicht zur Sonne gewandt. „Du kannst gehen!“, hörte sie eine Stimme plötzlich direkt neben sich. Harada war hier, sie hatte ihn nicht kommen hören. Er musste über das weiche Gras im Hof gekommen sein, sodass seine Schritte keinen Laut hören ließen. Leider waren diese Worte nicht an sie gerichtet. „Hai, Harada-sama“, antwortete der Soldat prompt, verbeugte sich und verschwand. Schnell richtete sie sich auf und sah zu ihm hoch. Sie hatte beschlossen, sich etwas höflicher zu benehmen. Nicht, dass sie es aus Überzeugung tat, aber die Frauen im früheren Japan waren immerhin alles andere als vorlaut. Sie wollte sich so normal wie möglich verhalten, um nicht noch mehr Verdacht zu erregen. „Harada-san“, begrüßte sie ihn höflich mit einer leicht angedeuteten Verbeugung. Er musterte sie verdutzt. „Du siehst … erholt aus“, meinte er. Das überraschte sie, aber gut, ordentlich und zurechtgemacht musste sie nun wirklich ein anderes Bild abgeben als gestern, gezeichnet von der Flucht, schmutzig und zerzaust. „Ja, etwas Schlaf kann immer wieder Wunder bewirken. Obwohl es schon erholsam genug ist, nicht mehr ständig zu fürchten, man würde hingerichtet werden.“ Sie lächelte freundlich, um die Wirkung ihrer Worte zu entschärfen. Ihr Vorhaben, höflich zu sein und ihren Sarkasmus für sich zu behalten, würde sehr, sehr schwierig werden. „Das glaube ich dir ausgesprochen gern.“ Zu ihrer Überraschung setzte er sich neben sie auf die Veranda und sah sie weiterhin durchdringend an. „Ich hoffe, dein Aufenthalt bei uns sagt dir zu?“ Wieder dieser amüsierte Ausdruck in seinen Augen. Er machte sie wahnsinnig. Scherzte er gerade tatsächlich darüber, dass sie hier gefangen war? Gut, das Spiel konnte sie auch spielen. „Abgesehen davon, dass ich permanent überwacht werde, niemand so richtig ein Wort mit mir wechselt, ich insgesamt nicht besonders gut unterhalten werde und mich keine fünf Schritte von diesem Raum entfernen kann, ist das Essen ausreichend und die Aussicht fantastisch, danke der Nachfrage“, sagte sie in weiterhin fröhlichem Tonfall, als würde sie eine Hotelbewertung vorlesen. „Und ich begrüße sehr, dass mich derzeit niemand mit einer Waffe bedroht, ankettet oder versucht zu erdrosseln.“ „Da bin ich aber beruhigt. Schließlich bin ich ja für dein Wohlergehen verantwortlich“, antwortete er genauso locker wie sie. „Tatsächlich? Ich dachte, dich trifft eher die Aufsicht.“ „Das ist richtig. Aber ich dachte, wenn ich es dir etwas komfortabler mache, bist du weniger geneigt, dich davonzuschleichen und wieder einfangen zu lassen.“ „Und ich dachte, ich hätte die Gastfreundschaft Ogata-sama zu verdanken.“ „Das ist ebenfalls richtig. Ich bin für die Ausführung zuständig.“ Inzwischen lag ein Lächeln auf seinen Lippen. Ihm schien ihre Unterhaltung zu gefallen. Auch Sawako musste das Grinsen auf ihrem Gesicht nun nicht mehr stellen. „Viel beschäftigt also. Sag, muss ich meine Beschwerden dann an dich wenden oder direkt an Ogata-sama?“ „Sicherheitshalber erst an mich. Nicht, dass es mich schlecht dastehen lässt.“ „Meine Fragen ebenfalls?“ Vielleicht konnte sie die lockere Atmosphäre nutzen, um ein paar Informationen zu gewinnen. „Fragen, Anregungen, Probleme...“ „Du warst so still auf dem Weg zum Schloss gestern. Kann es sein, dass du nicht gleichzeitig gehen und reden kannst?“ neckte sie ihn, woraufhin er laut loslachte. „Ich kann dir versichern, dass ich dazu durchaus in der Lage bin. Als Hauptmann bin ich nur … etwas ernster, wenn meine Männer um mich herum sind. Sie sollen nicht auf die Idee kommen, ich wäre für den Posten nicht hart genug.“ „Welch abwegiger Gedanke“, stimmte sie ihm schmunzelnd zu. „Vielen Dank“, gab er höflich nickend zurück. Es tat unglaublich gut, so mit ihm zu reden. Sie hätte nie geglaubt, dass sie in ihrer Situation so unbefangen scherzen könnte. Ihr war, als würden tausend Steine von ihrem Herzen fallen. Ein sehr befreiendes Gefühl. Wie schade, dass sie die Stimmung mit ihren nächsten Fragen wohl zerstören müsste. „Schade, dass du der Einzige bist, der sich bemüht, mit mir zu sprechen. Das Dienstmädchen und der Soldat sagen kaum ein Wort. Für was werde ich denn hier gehalten?“ „Nun, sie reden nicht, weil es ihre Aufgabe ist, dich zu bewachen und zu versorgen. Ich bezweifle, dass sie glauben, es stehe ihnen zu, mit dir zu sprechen.“ Die harten Regeln der Hierarchie aus der Sengoku Zeit also. „Und niemand weiß so recht, wie er dich einordnen soll“, ergänzte er. Das Lachen war aus seinem Gesicht verschwunden. 'Niemand' klang wie inklusive Harada und Ogata. „Warum haltet ihr mich hier gefangen?“ Auch sie sah nun ernst zu ihm. Es dauerte einen ganzen Moment, bis er antwortete, als würde er genau überlegen, ob und was er sagte. „Weil es offensichtlich ist, dass du nicht die Wahrheit sagst.“ Sie musste vor Schreck schwer schlucken. Offensichtlich? Jetzt sollte sie genau aufpassen, was sie sagte. „Was lässt euch das glauben?“, den besorgten Blick brauchte sie nicht stellen. „Eine Durchreise aus dem Norden? Die Provinzen Dewa und Mikawa liegen so abgeschottet, durch die dichten Wälder des Aokigahara, dass niemand sich einfach hierher verirrt. Kämest du, wie du behauptest, aus nördlicheren Gebieten des Landes, hätte dein Weg dich über die Hauptstraße vorbei an unseren Provinzen geführt. Denn eigentlich erreicht man diese Ländereien nur vom Süden aus, wo die Wälder nicht so dicht sind und es richtige Straßen gibt. Aus dem Norden führen nur schmale Waldwege zu uns. Keine Strecke, die eine allein reisende Frau wählen würde, die sowieso ohne klares Ziel reist. Und niemand reist in diesen Zeiten durch ein Gebiet, über das er nichts weiß. Wer möchte schon durch ein Schlachtfeld wandern? Und Dewa droht der Krieg, also kommen kaum Reisende zu uns.“ Sawako schlug das Herz bis zum Hals. Was er sagte, machte Sinn und ihr fiel nichts ein, was sie erwidern konnte, um ihre Geschichte zu bekräftigen, außer: „Ich sagte doch, ich war auf der Flucht. Tag und Nacht bin ich umhergeirrt und habe die Hauptstraßen gemieden. Ich fürchtete, mein Mann würde mich verfolgen lassen, also habe ich kaum darauf geachtet, wohin mein Weg mich führt.“ Sie konnte sich aber kaum vorstellen, dass sich jemand auf einer tagelangen Flucht so unklug verhalten würde. Einen Tag, ja, das hatte sie selbst erlebt, aber danach machte man sich doch einen Plan, wenn man nicht völlig von Sinnen war. „Ich bin nicht der, den du überzeugen musst. Ich soll dich lediglich bewachen, bis wir wissen, was du vor uns verbirgst“, stellte er Harada klar und wies damit alle weiteren Ausreden ihrerseits ab. „Also doch keine Entwarnung“, murmelte sie leise. „Das kannst du dir nur selbst beantworten, denn es hängt nur von deinem kleinen oder großen Geheimnis ab.“ Na großartig, dachte Sawako. Ihr eher sehr großes Geheimnis, dass sie aus der Zukunft kam, stellte keine Bedrohung für die Provinz da und würde normalerweise unter die Kategorie 'Entwarnung' fallen. Allerdings konnte sie sich kaum etwas vorstellen, dass weniger wie eine Lüge klang. Wenn sie die Wahrheit sagte, würde man entweder glauben, sie mache sich über sie lustig oder sie wäre die schlechteste, dreisteste, aber kreativste Lügnerin der Welt oder sie wäre vollkommen verrückt. Keiner dieser Möglichkeiten ließ eine Reaktion erwarten, die ihr gefallen hätte. Sie steckte also weiterhin ernsthaft in Schwierigkeiten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)