Auf Zeit können wir nur hoffen von Scribble ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt, schob Hannah fluchend die anbrennenden Zwiebeln im Topf herum. Multitasking war nichts, womit sie gesegnet war, und ihr Kochtalent war so oder so miserabel. Ihr Bruder unterbrach sich in seiner Erzählung über die Eltern. Hannah hörte selbst durch den Telefonhörer das breite Grinsen auf seinem Gesicht. „Hast du vor, das Essen durch bloße Einschüchterung zu braten?“ Sie knurrte nur vor sich hin, mit dem Gedanken spielend, die ganze Pfanne in die Spüle zu hauen und zu ignorieren. „Braten geht gut. Zu gut.“ Okay, es reichte. Die Zwiebel hatte ihr erst Tränen in die Augen getrieben – und das obwohl sie heute zum ersten Mal kein Gefühl danach gehabt hatte, zu heulen! - und jetzt verbreitete sie diesen beißenden, angeschmorten Gestank. Dann würde Hannah eben verhungern. „Nur, dass das klar ist, sobald Pia nach Hause kommt übernimmt sie das wieder, ich werde es nämlich nie lernen!“ Sie wusste, dass Tom das laute Scheppern im Hintergrund hörte, und sie sah sein Gesicht förmlich vor sich, wie er nur mit Mühe und Not ein Lachen verkneifen konnte. Er war gelernter Koch und hatte schon oft genug versucht, ihr dabei zu helfen, aber immer musste er eingreifen, um das Essen zu retten. Hannah drehte den Herd aus, ließ etwas Wasser in die Pfanne laufen und lief zum Sofa rüber. „Wird wirklich Zeit, dass sie nach Hause kommt.“ Ohne sie war die Wohnung noch immer viel zu leer, viel zu weit. Auch das Chaos konnte keine Lücken füllen, sie höchstens übertünchen. „Hey, sie liegt doch seit heute schon auf der Normalstation, und mit den Tabletten kommt sie auch ganz gut zurecht. Nach der Reha wird praktisch alles so wie vorher.“ Hannah lächelte und nickte stumm vor sich hin. Ja, bald würde alles wieder normal werden. Oder normaler. Nur noch etwas Geduld. „Ich glaube, ich leg auf, Tom. Ich bin todmüde und sollte mich hinlegen bevor mein Magen den Betrug bemerkt und mir Schlaf nur gegen Essenseintausch gewährt.“ „An dir ist eine Geschäftsfrau verloren gegangen.“ „Wenn ich schon nicht kochen kann. Gute Nacht, Tom.“ „Gute Nacht, Schwesterherz.“ Ihre Schritte hallten laut in dem Krankenhausgang. Das taten sie immer, aber jetzt, wo sie beschleunigte, klangen sie irgendwie bedrohlicher. Wobei, das machte nur die Angst. Angst ließ jedes noch so alltägliche Geräusch bedrohlicher klingen. Angst beschleunigte ihre Schritte auch. Ohne noch länger zu warten, rief sie einfach in das Schwesternzimmer: „Wo ist sie?!“ Ihre Stimme klang höher, schriller, als sie erwartet hätte. Sie hatte sich zur Ruhe zwingen wollen, aber war daran gescheitert. Ihre Nerven waren wieder zum Zerreißen gespannt und ließen keinen Platz für Besonnenheit. War es ein Fehler gewesen sich in Sicherheit zu wiegen? Drei Köpfe flogen herum, zwei eher verwirrt, aber eine der Schwestern erkannte sie, sprang auf und kam rasch zu ihr herüber. Hannah biss sich auf die Lippen, um sie nicht anzubrüllen, dass sie gefälligst reden sollte, weil selbst die paar Sekunden zu viel Wartezeit waren. „Frau Roths Zustand hat sich über Nacht extrem verschlechtert. Sie hat Fieber und ist kaum noch ansprechbar, zeigt Anzeichen einer Abstoßung. Früh erkannt lässt sich diese gut behandeln, aber wir sahen uns gezwungen auf Nummer sicher zu gehen und sie zurückzuverlegen.“ Die Schwester versuchte ein Lächeln, aber Hannah konnte es nicht erwidern, sie starrte die Frau einfach nur an, unfähig, die Worte richtig zu begreifen. Sie konnte es nicht fassen. Wieso? Es war doch gestern alles noch gut gewesen! Wieso? Pia lag doch schon auf der Normalstation! Ihr Zustand war stabil! Und nun?! „Wieso – wieso hat mir niemand Bescheid gegeben?!“ Sie hatte doch das Telefon neben ihrem Bett, das erste, was sie morgens machte, war nachsehen, ob sie nicht des Nachts einen Anruf von der Klinik verpasst hatte. Wieso hatte man ihr nicht Bescheid gegeben, wieso hatte man sie in dem Irrglauben hierher fahren lassen, dass alles in Ordnung war?! Und dann das?! „Meine Liebe, sie hätten nichts für sie tun können. Sie hätten sich nur zu Tode gesorgt und die ganze Nacht hier gesessen ohne ein Auge zuzutun.“ „Man hätte es mir doch sagen können!“ Hannahs Stimme brach, sie presste sich die Hände auf die Augen. Nicht weinen, nicht weinen. Es gab keinen Grund zu weinen. Pia lebte doch. So lange sie lebte, gab es keinen Grund zu weinen. „Na, na, mein Kind. Jetzt atmen Sie erst einmal tief durch, und ich mache Ihnen einen schönen, heißen Tee. Und wenn Sie sich beruhigt haben, dann gehen Sie zu ihr.“ Die Frau nahm sie an die Hand als wäre sie ein kleines Mädchen und führte sie zu einer kleinen Gruppe Stühle. Es klang alles so logisch und normal. Zwar teilte die Angst sich den Sitzplatz mit ihr, aber sie war nicht mehr so überwältigend, dass Hannah die Nerven verlor. Den Geschmack des Tees nahm sie kaum wahr, nur die Wärme des Getränks an ihren Händen, und wie es auch ihr Inneres wärmte. Draußen war es gar nicht kalt, aber in ihr selbst ging alles drunter und drüber. Über all das hinweg die Wärme zu spüren war wenigstens ein gutes Gefühl. Sie blieb so lange dort sitzen, bis sie sich in der Lage fühlte, eine blasse und zerbrechliche Pia zu ertragen. In den letzten Tagen hatte sie einen Hauch von Farbe auf den Wangen gehabt, einen Glanz in den Augen. Es war ihr besser gegangen, viel besser. Nun schien alles wieder zum Anfang zurück gerückt. Die Zeit zurückgefallen. Es fühlte sich wieder unwirklich an. Den Weg legte Hannah mechanisch zurück. Sie kannte ihn noch von den ersten Tagen, sie kannte die Handlungsabläufe. Dann trug sie wieder die sterile Kleidung, bekam wieder den Hinweis, dass sie nicht zu lange bleiben durfte. Es gelang ihr kaum, die Tür zu öffnen. Sie hatte Angst davor einzutreten. Wenn sie Pia sah, dann würde es wahr werden. Dann wäre ihr Leben schon wieder am seidenen Faden. Dann könnte Hannah sie abermals verlieren. Nichts schien eine Garantie zu haben. Jedes Gefühl von Sicherheit eine Lüge, der sie glaubte, weil sie es so sehr wollte. Die Atmosphäre im Zimmer war drückend, wie dichter Rauch, in den sie eintrat, der das Atmen erschwerte, der Hannah langsam werden ließ und benommen. Mit unruhiger Hand schloss sie die Tür hinter sich und trat langsam an Pias Bett. Sie war so blass als wäre sie schon tot, die Augen geschlossen, das Gedicht von Schweiß feucht glänzend. Stumm stand Hannah neben ihr, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Nur Gefühle und Fragen stürzten auf sie ein und wirbelten in ihr, pressten ihr schmerzhaft die Tränen in die Augen. Sie konnte nichts tun, sie ließ es geschehen, rührte sich nicht, betrachtete Pias Gesicht. Warum? Alles, was sie wollte, war Zeit. Ein Leben mit Pia. War das denn zu viel verlangt?! Sie wollte keine Millionen, sie wollte doch nur, dass ihre beste Freundin nicht starb, dass die Liebe ihres Lebens nicht plötzlich zu atmen aufhörte. Was wäre diese Welt ohne sie? Nichts, nichts, nichts! Sinnlos. Leer. Zeit war, was sie nicht hatten. Irgendetwas in Hannah schien aufzubrechen. Es schien ihr plötzlich so klar, was sie zu tun hatte, dass sie schon fast darüber lachen musste, es nicht eher getan zu haben. Leise trat sie einen Schritt zurück, sah Pia noch ein letztes Mal an, ehe sie zur Türe schlich, sie hinter sich zuzog. So schnell es ging entledigte sie sich der Kleidung und verließ die Intensivstation. Kaum hatte sie diese hinter sich gelassen, zückte sie noch in den übrigen Krankenhausgängen das Handy und tippte die Nummer, ohne nachzudenken. Freizeichen. Atemzüge. „Schwesterherz? Was gibt’s?“ Sie presste sich die Hand auf den Mund, um sich daran zu hindern loszuschluchzen, und zwang sich dann, mit zitternder Stimme zu sprechen. „Sie liegt auf der Intensivstation, ihr Zustand ist schlecht, sie war nicht einmal wach.“ „Oh mein Gott, Hannah, ich -“ „Tom. Tom, hör mir zu.“ „Ja?“ „Du musst mir Geld leihen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)