Alles wird sich ändern ... von abgemeldet ([Blumen vom Mond]) ================================================================================ Kapitel 1: Neuigkeiten, die eine Sehnsucht weckten -------------------------------------------------- Merits Haare waren zu einem langen Zopf geflochten und zu einem Kranz gewunden. Sie trug ein blaues Kleid mit einem hellgrauen, wollenen Überwurf. Sie rannte wie gehetzt durch die Gänge und stiess Diener und Hofdamen zur Seite. Natürlich war sie wieder einmal zu spät, denn die Knöpfe wollte nicht zugehen, die Haare nicht gekämmt werden, die Schleifen nicht gebunden werden, die Schuhe nicht passen. Aber das interessierte ja doch niemanden. Als sie endlich vor dem Eingang zum Speisesaal ankam, musste sie erst einmal Luft holen, bevor sie eintrat. Als sie den Raum betrat, sassen alle schon zu Tische. Ihr Vater runzelte nur kurz die Stirn, doch er beschäftigte sich nicht weiter damit. Sheritra setzte sich still auf ihren Platz, neben ihrem kleinen Bruder Calen. Wie immer fand Merit den Tisch viel zu gross für nur vier Personen, doch es musste sein. Er war etwas wie ein Statussymbol. Ihr Vater sagte nichts, trotz ihrer Verspätung. Wie so oft schien er sie gar nicht zu bemerken. Pella, ihre Mutter sagte natürlich auch nichts. Nie würde sie es wagen, etwas zu sagen, wenn sie nicht wusste, was ihr Mann dazu sagte. Auch wenn sie es sich nicht anmerken liess, verachtete Merit ihre Stiefmutter. Pella war ein schönes Mädchen, mit braunem, leicht gelocktem Haar, grünen Augen und einem rosigen Gesicht mit Stupsnase. Bauernschönheit, nannte Merit sie im Stillen und das war sie auch. Pella war die Tochter eines Bauern. Eines Vermögenden immerhin, doch trotzdem ein Bauer. Sie war nicht einmal viel älter als Merit und vor wenigen Jahren, dreieinhalb um genau zu sein, war sie als verschüchtertes, tollpatschiges Mädchen angekommen, das laut und vulgär redete und nicht die geringste Form von Anstand oder Bildung besass. Eine Bäuerin eben. Jetzt hatte sie dem König einen Sohn geboren, was Merit noch wütender machte, denn damit war sie dem völligen Vergessen preisgegeben und konnte auf nichts mehr hoffen, als darauf, mit irgendeinem Herzog verheiratet zu werden, um die politische Bindung zwischen dessen Ländereien und dem Reich ihres Vaters zu festigen. Ein Sohn galt vieles mehr als eine Tochter. Er würde König werden und der Erbe des Reiches von Fanelia, das ihr Vater aufgebaut hatte. Wenn das Reich dann überhaupt noch bestand, fügte Merit in Gedanken hinzu. Im Imperium herrschte immer Krieg, da die eroberten Länder sich nur ungern beherrschen liessen. Wer konnte schon sagen, ob ihnen in zwanzig Jahren nicht ein vernichtender Schlag gegen das Königreich gelungen war? Plötzlich trat ein Dienstbote ein. Er kniete vor dem König hin und hielt diesem demütig eine Pergamentrolle entgegen. Merits Vater wischte sich die Hände ab und griff danach. Der Diener zog sich zurück, während der König das Pergament auseinander rollte und es mit gerunzelter Stirn überflog. Dann liess er es abrupt los und das Blatt schnellte zurück. "Die Familie von Fassa wird uns besuchen. In etwa zwei Tagen wird die Handelsflotte ankommen." Mehr sagte er nicht. Auch vom Rest der Familie sagte niemand etwas. Wenn der König gesprochen hatte, war ein Thema abgeschlossen. Merit hätte gerne gewusst, wer genau denn die Familie Fassa war. Sie wusste, dass ihr Vater einmal gut mit ihnen befreundet gewesen war. Das war während des ersten grossen Krieges gewesen. Und vor dem Krieg, der jetzt herrschte. Damals hatten sich viele Verbündete von Fanelia abgewandt. Niemand wollte, dass etwas geschah, wie zur Zeit der Zaibacher. Und Fanelia, ein kleines Land wollte tatsächlich das Reich aufbauen, das die Zaibacher nicht zu errichten schafften. Und doch war es so. Merit konnte sich nicht erinnern, dass jemals kein Krieg herrschte. Auch die Angst war nicht wirklich da. Man lebte damit. Und Fanelia war mächtig. Längst mehr als ein kleines Provinzreich, beherrschte es einen grossen Teil ganz Gaias und die Eroberungen waren immens. Längst spottete niemand mehr. Die Familie Fassa ... Ob sie vermitteln wollten? Doch Merits Vater liess nicht mit sich reden. Merit selbst wusste, dass vom König, selbst in den eigenen Reihen wie von einem Verrückten gesprochen wurde. War er das wirklich? "Merit!" Merit schreckte auf. "Ja, Dame Petronilla?" Petronilla schüttelte den Kopf. "Du bist schon wieder abgelenkt! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dich gerade zu halten hast und dich nicht von der Arbeit hast ablenken zu lassen?" "Niemals mehr, Dame Petronilla." Petronilla verzog das Gesicht. "Das wäre zu schön!" Merit tat einige Stiche an ihrer Stickarbeit, bis Petronilla ihre strengen Augen von Merit ab- und wieder ihrer eigenen Arbeit zugewendet hatte. Sobald sie gewahr wurde, dass die Augen ihrer Kinderfrau nicht mehr auf ihr ruhten, legten sich ihre Hände wieder in den Schoss und hing ihren Gedanken nach. Seit einem Tag hätte diese geheimnisvolle Familie Fassa hier sein sollen, doch weder waren Reiter gesichtet worden, noch hatte jemand ein Flugschiff am Horizont entdeckt. Es war nicht ungewöhnlich, es war tiefer Winter und vielerorts mochten Schneestürme wüten, doch Merit hoffte auf Abwechslung. Es war trist und eintönig den ganzen Tag im Schloss, doch Petronilla beschäftigte Merit pausenlos mit langweiligen Arbeiten, so dass sie nicht einmal die Gelegenheit hatte, sich zwischendurch davonzuschleichen. "Merit!" Petronillas Stimme klang schrill. Merit blickte auf. "Dame Petronilla ... Darf ich eine Frage stellen?" Petronilla schaute überrascht drein. "Stelle sie." "Wer ist die Familie Fassa?" Einen ewigen Augenblick lang schwieg Petronilla. Dann, langsam, wie gewohnt, legte sie die Stickerei weg. "Die Familie Fassa ..." Sie zog das Wort in die Länge. "Die Familie Fassa." "Die Familie Fassa?!", drängte Merit. "Die Fassas stammen aus einem sehr wohlhabenden Kaufmannsgeschlecht", erklärte Petronilla knapp. "Mehr nicht." Doch sie hatte zu lange mit der Antwort gezögert, als dass Merit ihr Glauben schenken mochte. Doch bevor sie eine Frage stellen konnte, schnitt Petronilla ihr das Wort ab, das ihr erst auf der Zunge gelegen hatte. "Und nun mache weiter! Es ziemt sich nicht, neugierig zu sein!" Was ziemt sich schon!, dachte Merit bei sich. Sich nichts denken und tun, als merke man nicht, dass einem die Welt weggeschlossen wird? Verbittert steckte sie die Nadel in das weiche Seidentuch, zog sie wieder raus, steckte sie wieder hinein - und stach sich. Wütend steckte sie den Finger in den Mund. Das Blut war warm und schmeckte salzig. Wie mochte das Blut schmecken, das auf den Schlachtfeldern vergossen wurde? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)