Rot-Weiß-Rot im Alphabet von Sternenschwester ================================================================================ Kapitel 9: H-Hochzeit --------------------- 08.06.1867 - Budapest Nervös näselte Roderich am Kragen seiner Uniform herum. Der oberste Knopf weigerte sich partout ins steife Knopfloch zu schlüpfen und raubte dem Österreicher somit die letzten verbliebenen Nerven. Warum musste ihm das unbedingt heute passieren? Nicht, dass er noch zur Zeremonie zu spät kam. "Man sollte auf seiner eigenen Hochzeit lieber nicht zu spät kommen.", schnarrte eine weibliche Stimme bei der Tür. Erschrocken wendete sich die männliche Nation um. Im Türrahmen stand Hedvika, die Personifikation des Königreichs Böhmen, und bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. Sie trug dem Anlass entsprechend ein passendes ockerfarbenes Kleid, welches sich nach der neuesten wiener Mode richtete. Roderich stutzte. Er hatte ihr zwar eine Einladung geschickt, doch hatte er erwartet, dass sie wie immer den indirekten Befehl zu erscheinen in den Wind schlagen würde. Mit anmutigen Schritten durchquerte sie den Raum. "Es ist keine Hochzeit sondern..." "Nur eine Krönung, ich weiß.", fiel ihm die Böhmin ins Wort. "Aber in den Kreisen, in denen du wie ich uns bewegen, kann ein solcher Anlass als Heirat angesehen werden." Roderich ging nicht weiter drauf ein, sondern sah sie mit einem forschenden Blick an. Noch blieb er misstrauisch. "Ich dachte, du hättest abgesagt zu kommen." "Nun ich fürchte, dass mich gewisse gesellschaftliche Normen zwingen, bei diesem Spektakel dabei zu sein.", meinte sie gelangweilt, als sie sich eine Ziervase aus der Nähe ansah, welche auf einem kleinen zierlichen Tischchen neben der Tür stand. "Außerdem wollte ich mir nicht die Freunde nehmen, zuzusehen wie ausgerechnet du dich in die Fänge dieser Furie begibst. Dabei dachte ich immer, du hängst mehr an deinem Leben." Sie richtete sich wieder auf und sah ihn herausfordernd an. Etwas lag in ihrem Blick und eben dieses "Etwas" riss in Roderich alte Wunden auf. "Weißt du, wenn man mir damals vor 600 Jahren gesagt hätte, dass ausgerechnet du dich in die Arme von diesem Mannsweib schmeißt, hätte ich laut aufgelacht." Langsam näherte sie sich mit stolzem Gang."Aber heute sind mir die Lachtränen vergangen." Sie blieb direkt vor ihm stehen. "Noch dazu unter dem Zeichen der Habsburger." Vorsichtig legte sie die Hände auf seine Brust. Sie wussten beide nicht, wann es das letzte Mal gewesen war, dass sie sich körperlich so nahe gestanden hatten. "Sieh dich doch an, Roderich. Du bist zu dem speichelleckenden Lakaien dieser Inzuchtfamilie verkommen." Mit ein wenig Scheu suchte sie seinen Blick. "Außerdem, warum gerade sie alleine? Warum können wir nicht zu dritt einen Neuanfang für die Monarchie wagen?" Der Österreicher wich ihren grauen Augen aus. "Weil Elizaveta damit nicht einverstanden war.", flüsterte er beinahe entschuldigend. Die Mimik der Böhmin verzog sich zu einer Maske. "Warum hörst du auf dieses Miststück mehr als auf mich? Das bist nicht du! Seit Jahrhunderten sind unsere dreier Schicksale aufs engste verschlungen, und jetzt willst du das meinige hinter dem dieser Hexe zurückstellen? Gibt es für dich auch noch jemand anderen als dieses Mannsweib?" Die Verbitterung war gut heraus zu hören. "Ich liebe sie, Hedvika!", fuhr sie Roderich an und schob sie von sich weg. "Und hör endlich auf, so über sie zu sprechen." Beleidigt kreuzte sie die Arme vor die Brust. "Ach, du liebst sie? Wäre ja mal ganz was neues?" Roderich konnte sehen, wie ihre Augenwinkel feucht wurden. Er musste schlucken. Wie sehr hasste er es, wenn Frauen in seiner Anwesenheit kurz darauf waren zu weinen. "Es gab eine Zeit, wo du mich mit dem gleichen sanften Blick bedacht hast wie sie.", wisperte die Blonde tränenerstickt. Roderich machte eine abwehrende Handbewegung. Vergessene Erinnerungen blitzen vor seinem geistigen Auge auf. "Wir waren zu dieser Zeit fast noch Kinder. Lass die Vergangenheit bitte ruhen. Was geschehen ist, ist geschehen." In seiner Stimme steckte schon beinahe ein Flehen. "Du meinst eher, was nicht geschehen ist.", flüsterte sie leise zu sich selbst. ~*~ -----~*~ Irgendwann im Jahre 1251 - Wien Seufzend legte er die Feder ab und schlug das Buch zu. "Gut, was verschafft mir die Ehre deines Besuches?", resigniert hob er die Hände. Sie überspielte ihre Enttäuschung, dass er nicht aufgestanden war, um sie zu begrüßen. Sie hätte sich gerade von ihm ein bisschen mehr Höflichkeit erwartet. Doch als sie den Raum betrat und dem Schreibtisch näher kam, erschrak sie. Roderich war schon immer ein etwas zarter Junge gewesen, mit seinem zierlichen Körperbau und seiner bleichen Haut. Doch nun sah er richtig dürr und ausgezehrt aus. Unter den violetten Augen zeichneten sich dunkle Augenringe ab und seine Knöchel an seinem schmalen Handgelenk traten noch deutlicher hervor als sie es ohnehin taten. Die letzten vier Jahre, geprägt von Chaos und einer politisch sehr unsicheren Zukunft, hatten dem österreichischen Herzogtum stark zugesetzt. Ein leichtes Lächeln zierte das Gesicht des Jünglings. "Ich möchte mich entschuldigen, wenn dich mein jetziger Zustand derart entsetzt. Komm ruhig näher." Vorsichtig, den Blick noch immer nicht von der Erscheinung des Österreichers abgewendet, schritt sie auf ihn zu. Wie zerbrechlich er doch aussah. "Ich muss mit dir reden, Austria!", versuchte sie mit gefestigter Stimme zu sagen, doch konnte sie sich einen leichten nervösen Unterton nicht verkneifen. Politisch gesehen spielte sie nicht gerade niedrig, wenn sie es schaffte, den Österreicher von ihren Plänen zu überzeugen. Doch auf der anderen Seite war es der Wusch seiner eigenen Adligen welchen sie vertrat, und somit hatte die Böhmin nicht viel zu verlieren, aber genug zu gewinnen. "Ich habe schon vermutet, dass du mich aus politischen Gründen aufsuchst." Auf Roderichs Gesicht war für einen kurzen Moment der Anflug von Trauer bemerkbar, und so kurz der Augenblick gedauert hat, so fühlte sich Hedvika beschämt, ihn in den letzten 4 Jahren nie besucht zu haben. Früher hatte es irgendwie seinen Reiz gehabt, mit dem Österreicher eine verbotene Liebesbeziehung zu führen. Als jedoch der Streitbare, eines ihrer größten Probleme, gewaltsam die Welt verlassen hatte, war ihre persönliche Beziehung zueinander verblasst, ohne dass sie wirklich einen Grund nennen konnte. Es war Roderich gegenüber vielleicht nicht fair gewesen, ihn genau in dem Moment zu verlassen, als er sie psychisch am meisten gebraucht hätte. Um sich Zeit zu geben, sich zu sammeln, ging sie um den Stuhl, auf dem das Herzogtum saß, herum. "Als mein Prinz letzte Woche an unseren gemeinsamen Grenzen unterwegs war, sind ihm manche deiner Leute entgegengekommen. Ich glaube es ist unnötig zu erwähnen, dass es Männer waren, auf dessen Wort man in deinen Landen hohen Wert legt." Der Braunhaarige blieb unverändert sitzen und hatte die Augen geschlossen. Hedvika sprach weiter und ging hinter den Österreicher. "Und er hat deinen Leuten ein sehr interessantes Angebot gemacht." "Ich habe davon gehört.", antwortete Roderich gelassen, selbst wenn es in seinem Inneren zu kochen begann. Es ärgerte ihn, dass die Stände es nicht einmal für Wert befunden hatten, ihn, die Personifizierung ihres Landes, in ihre Pläne einzubeziehen. Hedvika indes war hinter ihn getreten, wobei sie beim Vorbeigehen eine Hand auf seine Schulter gelegt hatte. Ihm fuhr ein wohliger Schauer über den Rücken. Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor, dass sie am Bach, wo eine ihrer gemeinsamen Grenzen verlief, beieinander gelegen hatten. Plötzlich spürte er, wie sie ihre zweite Hand auf seine andere Schulter legte. Erhaben seufzte er, hielt die Augen geschlossen und lehnte sich leicht gegen sie. Wohlig warm spürte er an seinem Hinterkopf die Mitte ihres Körpers. Vorsichtig lehnte sie sich nach vorne, ohne den Körperkontakt zu vermindern. Ihre weichen Lippen streiften seine Haare, als sie ihren Kopf neben seinen runterbeugte. "Die deutschen Fürsten werden niemals Margarete als Alleinherrscherin akzeptieren, oder?", flüsterte sie in sein Ohr. Anstatt zu Antworten murrte der Braunhaarige kurz. "Doch würden sie einen Mann, rechtmäßig angetraut an ihrer Seite, als Herr von Österreich annehmen? Sollte die gute Frau noch einmal heiraten, versteht sich." Hedvika ließ es wie eine Frage klingen, aber beide wussten, dass es Tatsache war. Der Österreicher öffnete wieder die Augen, drehte den Kopf und sah in die Seelenspiegel der Böhmin. Wie oft hatte er sich in ihnen verloren und wie oft waren ihm eben diese Augen in den letzten 4 Jahren in seinen Träumen erschienen. Hedvika lächelte sanft, so wie früher, als sie für ein paar Stunden unbeschwert im Gras gelegen sind und sich mit anderen Dingen beschäftigt hatten als Politik... "Ostarichi, ich möchte dir ein Angebot machen!" Er konnte es sich ausmalen, was hinter seinem Rücken vorbereitet wurde, doch schaute er die Blonde erwartungsvoll an. Diese beugte sich weiter vor und strich ihm liebevoll über die Brust. Seine Gesichtszüge begannen weicher zu werden. Wenn sie ihm so nahe stand konnte er den Duft ihrer Haare riechen. Wieder fühlte er sich an die Zeit am Bach erinnert. Mit leiser, und dennoch fester Stimme führte die Böhmin weiter aus. "Du hast eine Witwe mit einem bedeutsamen Erbe. Sie mag vielleicht nicht mehr die jüngste sein, aber das soll kein Hindernis sein." Ihr Gesicht hatte sich in den letzten Augenblicken dem seinigen genähert. "Ich habe einen jungen Prinzen, welcher politisch geschickt ist und energisch größere Aufgaben bewältigen kann. Er ist bei den deinigen beliebt und was noch wichtiger ist: er ist ledig." "Eine Heirat zwischen der rechtmäßigen Herrin von Österreich und dem Prinz aus Böhmen..." Mit einem ernsten Blick betrachtete er sie. "Hedwig wird das nicht gefallen...", sagte er nach einem Moment langsam. "Sie hat sich mit Gertrud, der Nichte meines verstorbenen Herren, verbündet." Hedvika richtete sich auf und schnaubte kurz. "Das Weib, welches euch damals in Verona sitzen hat lassen?" Langsam nickte Roderich. In seinem Hirn begannen die grauen Zellen zu arbeiten. Eine Liaison mit Böhmen. Die Gründung einer Monarchie an der Donau. Warum nicht. Ein sanftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Langsam stand er auf und drehte sich zur Böhmin um. Mit einer zögerlichen Geste griff er nach den zarten Händen der jungen Frau gegenüber von ihm. Hoffnungsvoll suchte er den Blick Hedvikas. "Einverstanden. Versuchen wir beide es mit einer Monarchie an der Donau. Lassen wir zwischen dem Herzogtum Österreich und dem Königreich Böhmen Hochzeit halten." ~*~------~*~ Vorsichtig trat Roderich auf Hedvika zu und nahm ebenso behutsam die Hände der jungen Frau in die seinen. Wie damals, schoss es ihm bitter durch den Kopf. Wir waren einmal schon so weit. "Böhmen...", begann er zögerlich und verbesserte sich gleich darauf. "Hedvika, wir beide standen schon einmal so weit und..." Er brach ab, versuchte ihren Blick zu erhaschen, doch sie sah ihn weiterhin nicht an, sondern richtete ihre Augen auf einen Punkt zu ihren Füßen. Mit Vorsicht legte er sich die folgenden Worte zurecht. "Und unser Traum hat nach nicht einmal vier Jahrzehnten in Blut geendet." Langsam hob sie den Kopf und fixierte die violetten Augen. "Als wärst du damals ohne mich noch auf die Beine gekommen.", fauchte sie verletzt und wollte zu mehr ansetzen, da legte sich ein Finger auf ihre Lippen. "Ich wollte dir keine Vorwürfe machen, dass unser beider Beziehung nicht so lange gehalten hat. Bei weitem nicht. Es war ein Abschnitt in meinem Leben, den ich gegen nichts in der Welt eintauschen hätte wollen. Aber wir müssen einsehen, dass es nicht so gelaufen ist wie wir es uns vorgestellt haben und es akzeptieren..." "Ja, kuschen und nicken, das kannst du." Roderich ging nicht auf die Beleidigung ein. Du vergisst, dass ich dir damals länger die Treue gehalten habe, als ich hätte sollen, dachte er für sich. Doch sprach der Braunhaarige seine Gedanken, wohlwissend, dass dies einen weiteren Konflikt heraufbeschwören würde, nicht aus. Er wollte sie nicht noch weiter reizen, wollte ihr viel lieber was anderes sagen. "Ich habe dich zu dieser Zeit geliebt und ich glaube zu wissen, dass du mir zu dieser Zeit die gleichen Gefühle entgegengebracht hast. Doch nun bitte ich dich, vielleicht unserer alten Zeit wegen, lass es mich noch einmal versuchen." Unter ihrem zornigen und zugleich traurigen Blick zog sich was in ihm zusammen. "Lass mich gehen, damit ich noch einmal versuchen kann, den Traum einer Donaumonarchie wiederzubeleben." Er drückte ihre Hände ein wenig stärker. "Ich bitte dich Hedvika, lass es mich noch einmal versuchen, auch wenn du nicht mehr der zentrale Teil dieses Traumes bist." Vorsichtig, beinahe zögerlich, zog sie ihre Hände aus den Seinen. Plötzlich hörten beide aus dem Gang das Klappern von hastigen Schritten. "Roderich.", schallte es von draußen. Wie von der Tarantel gebissen, stoben beide auseinander. Nur Augenblicke später steckte das Herzogtum Krain seine lockige, dunkle Haarmähne durch die Türe. "Wo bleibst du, Roderich? Verdammt noch mal. Es geht gleich los, alle sind da." Kurz machte sich Überraschung auf seinem Gesicht breit, als er sich Hedvikas Anwesenheit bewusst wurde. "Böhmen, du auch hier? Ich dachte du wolltest nicht kommen." " Hab offenbar doch noch Zeit gefunden.", sprach sie mit fester Stimme und richtete sich ein wenig auf. "Ich gehe schon vor und geselle mich zu den anderen." Mit leicht wehenden Röcken, rauschte sie an Krain vorbei, welcher ihr verwundert nachsah. "Sag, hab ich was verpasst?", fragte das slawische Herzogtum und sah zum Österreicher rüber. "Oder habe ich mich geirrt, als ich was glitzern sah in ihren Augen?" Roderich stand noch immer mit einem offenen Knopfloch an der gleichen Stelle und hielt sich gedankenverloren die Faust vor den Mund. "Nein, wir haben nur ein paar Worte über die Vergangenheit ausgetauscht. Mehr nicht.", antwortete der Österreicher ein wenig geistesabwesend. "Gut, dann schwing endlich deinen Hintern hier her und knöpf dir endlich deine Jacke fertig." Ungeduldig trat der Dunkelhaarige von einem Bein aufs andere. Ohne die vorigen Mühen schaffte es Roderich, den widerspenstigen Knopf durch sein Loch zu fädeln, strich noch einmal seine Uniform glatt und richtete seine Schritte auf die Tür. Lass es diesmal erfolgreich sein, betete das österreichische Kaisertum stumm, bevor er sich mit eiligen Schritten und gefolgt von der Personifizierung des Herzogtums Krain zur Krönungszeremonie begab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)