Rot-Weiß-Rot im Alphabet von Sternenschwester ================================================================================ Kapitel 5: U-Ultimatum ---------------------- Wien - Anfang Oktober 1529 - Stephansdom Missmutig biss Roderich in das harte Stück Brot. Er hielt nun seit Stunden hier oben am Südtrum vom Stephansdom Wacht und war durch die feucht-kühle Luft bis ins Mark durchgefroren. Beißend und kauend überlegte er sich, was nun Sadiq im Heer der Türken wohl machte. Bei der Besprechung einer erneuten Offensive teilhaben oder wie er beim Abendessen? Auf jeden Fall hatte der Osmane einen abwechslungsreicheren Speiseplan als er. Die Türken wüteten nun schon seit Wochen in der Umgebung von Wien und hatten weit über seine Grenzen ihren Schrecken verbreitet. Mit einem Griff neben sich, setzte er sich den Krug gewässerten Wein an die Lippen, um das karge Mahl runterzuschlucken. Sorgenvoll ließ er seinen Blick über seine Stadt schweifen. Unter ihm brachen die Landsknechte, welche ihm sein Herr geschickt hatte, bevor sich dieser mit seiner Familie nach Innsbruck geflüchtet hatte, die Straßen auf. Zwar hatte das türkische Heer seine mauerbrechenden Kanonen auf dem Weg nach Westen wegen der schlechten Wetterlage zurücklassen müssen, doch die Kugeln der kleinen Geschütze prallten vom Pflaster in der Stadt ab und richteten nicht weniger Schaden an. Wenn jedoch die Pflastersteine entfernt wurden, so versanken die Kugeln einfach nur im Schlamm. Überhaupt versank alles in näherer Umgebung im Schlamm. Selbst diese verdammten Türken, dachte Roderich schadenfroh für sich. Ein solch kaltes und schlechtes Wetter hatten sie schon lange nicht mehr gehabt, und dabei stand der Winter erst vor der Tür. Doch wenn es für die Einheimischen ein grausliches Wetter war, wie musste dann die Witterung den Türken zusetzen, welche aus wärmeren und vor allem trockeneren Regionen kamen? Sein Blick wanderte weiter. Vor den Mauern der Stadt hatten die Türken ihrerseits begonnen Schächte zu graben. Lange hatten der Österreicher und seine Landsleute gerätselt weshalb ihre Feinde diesen Aufwand betrieben. Erst durch einen Informanten und dessen nicht sehr zimperlichen Befragung hatten sie erfahren, dass die Türken vorhatten, die meterdicke Verteidigungsanlage der Stadt zu untergraben, um dann unter ihr eine Sprengladung hochgehen zu lassen. Seitdem hielten an mehreren Abschnitten der Mauer Männer mit Wasserkörben Wache, um diese "Maulwürfe" ausfindig zu machen. Seufzend stellte das Erzherzogtum den Krug wieder ab, um sich den letzten Bissen Brot in den Mund zu schieben. Aus einer Laune heraus ließ er den Blick nach Süden gleiten und suchte den Himmel nach einer schwarzen Vogelsilhouette ab. Es war nun schon eine Woche her, dass sein treues Wappentier ihm Kunde von seinen Schwestern gebracht hatte. Hedwig hatte ihm in ihrem letzten Brief versichert, dass sie hinter den schützenden Mauern der Riegersburg Zuflucht gefunden hatte. Außerdem kannte er seine jüngere Schwester. Sie war mit ihm bisher tapfer durch jede Krise gegangen und würde sich sicher nicht von ein paar Osmanen ins Bockshorn blasen lassen. Mit einem süffisanten Lächeln erinnerte er sich an die Zeiten, wo sie in Rüstung und mit einem Schwert in der Hand an seiner Seite in Schlachten geritten war. Es gab auch Zeiten wo sie es sogar war, welche die Führungsposition in ihrer Familie eingenommen hatte. Nein, um Hedwig brauchte er keine Sorge haben. Doch um seine ältere Schwester aus Kärnten machte er sich mehr Sorgen, denn von Katharina hatte er nun seit dem Beginn der Türkeneinfälle keine Nachricht mehr erhalten. Er konnte nur hoffen, dass sie sich auf einer ihrer Burgen verschanzt hatte und wie er auf die Zähigkeit ihrer Landsleute vertraute. Ein leichter Regenschauer ging über die Stadt nieder und überzog das Land mit einem grauen Schleier. Roderichs Gesichtsausdruck verfinsterte sich, als er sich stärker in seinen Wetterfleck einwickelte. Sein kurzer Aufenthalt in Spanien während der letzten Jahre war nicht gerade eine freiwillige Entscheidung gewesen, doch musste er in diesem Moment zugeben, dass es seine Vorteile hatte, unter der warmen Sonne des Mittelmeeres zu leben. Das sonnengebräunte Gesicht des spanischen Königreiches erschien vor seinem inneren Auge. Auch wenn er es nicht eingestehen wollte, so fehlte ihm das sonnige Lächeln des Spaniers. Gerade in einer solch prekären Lage wünschte er sich, dass er sich nicht kühl und distanziert vom Spanier verabschiedet hätte. Ihm nie die Chance zuteil werden ließ, ihn näher kennen zu lernen, außer ein einziges Mal. "Was meinst du damit, du kannst es nicht?", Roderich musste sich beherrschen, die Stimme nicht zu erben. "Das ist keine Frage des Könnens, Antonio. Sondern des Müssens!" Der Spanier wich seinem stechenden Blick aus und begann nervös die Finger ineinander zu verknoten. "Glaub mir, ich würde dir liebend gerne mehr Truppen schicken, doch ich kann nicht so viele Männer von den Fronten abziehen." "Hör mir zu, Antonio. Ich glaube du verkennst den Ernst meiner Lage. Ich würde dich nie um Hilfe bitten, wenn es darum ginge ein Geplänkel wie zwischen dir und Francis auszutragen..." Die Hände des Österreichers hatten sich tief in den Stoff seiner Bluse gegraben. Eine leichte Zornesader hatte sich auf dessen Stirn im Laufe des Gespräches gebildet und begann mit jeder ausweichenden Antwort des Spaniers bedrohlich anzuschwellen. "Das zwischen mir und Francis ist kein Geplänkel sondern ein richtiger Krieg", fiel ihm Antonio ins Wort. "Und mir rennen jeden Augenblick die Türken die Türe ein!", fuhr ihn Roderich an, nun die Beherrschung völlig verlierend. Er hatte sich nicht einmal ordentlich vom Spanier verabschiedet, und wenn er ehrlich zu sich selber war bereute er es. Plötzlich hörte er Getrampel auf der Treppe. Völlig außer Atem, kam ein Landmann zu ihm hinauf. Dieser musste wohl die ganzen Stufen der Wendeltreppe hinauf gesprintet sein. Neugierig, wie auch besorgt, hielt Roderich dem Mann seinen Krug hin, welcher ihn danken annahm, bevor er nach ein paar tiefen Schlucken zu sprechen begann. "Herr, ich habe eine wichtige Mitteilung an euch." Roderich vergrub sich tiefer in seine Decke. Seit der Nachricht vom Aufbruch der türkischen Armee wollte ihn der Schlaf nicht so wirklich heimsuchen. Verärgert warf er die Betttücher von sich und vergrub sein Gesicht in den Händen. Es war nicht die Angst, Sadiqs Horden könnten ihn einfach überrollen. Nein, denn erstens war er durch seine Kindheit gegenüber solchen Übergriffen abgehärtet und zweitens musste der Türke erstmal an Ungarn vorbei. Doch die Tatsache, dass so manche Nation, welche ihm früher äußert nahe stand, ihn mithilfe der Türken von hinten erdolchen wollte, traf ihn tief. Er wusste von den Geldern, welche Bayern den Türken zusteckte, damit diese ihm und Antonio schlaflose Nächte einbrachten. Seitdem er sich vor Jahrhunderten von Theodor politisch losgesagt hatte und seinen ganz eigenen Weg beschritt, lagen sie sich die meiste Zeit nur mehr in den Haaren. Öfters fragte Roderich sich, wo die brüderliche Liebe, welche beide in seiner Kindheit geteilt hatten, geblieben war. Nun fügten sie sich im allgegenwärtigen Ränkespiel der Mächtigen physisch, wie auch psychisch Wunden zu. Das knarzende Geräusch seiner Tür ließ ihn hochfahren, und der unerwartete Lichtschein eines schweren Kerzenleuchters irritierte ihn kurz. Er hörte das leise Tapsen von nackten Füßen auf dem Steinboden, welche in seine Richtung zu steuerten. Plötzlich sah er sich Antonio gegenüber, welcher in der einen Hand den Kerzenständer hielt und in der anderen seine Decke, die er hinter sich her geschliffen hatte. "Tut mir leid, wegen vorhin.", nuschelte der Mediterraner und starrte betreten den Bettpfosten an. Roderich legte den Kopf leicht schief, eine Angewohnheit, welche er sich schon lange abgewöhnt hatte. Dadurch, dass Roderich dem Spanier eine Antwort schuldig blieb, breitete sich eine unangenehme Stille zwischen ihnen aus. Unschlüssig suchte Antonio vorsichtig den Blick des Österreichers. "Kann ich heute bei dir schlafen?", fragte er dann zaghaft und ein leichter Rotschimmer legte sich über seine gebräunten Wangen. Noch immer ohne ein Wort zu sagen rückte Roderich ein wenig nach hinten, um dem anderen Platz zu machen. Ein wenig ungeschickt kletterte Antonio zu ihm ins Bett und legte sich neben ihn, wobei er offenbar einen interessanten Punkt am Baldachin über ihnen gefunden hatte. Roderich hatte sich wieder hingelegt und versuchte angestrengt den Körper neben sich auszublenden. Das leise Ein- und Ausatmen hinderte ihn jedoch daran. Vielleicht lag es aber auch einfach an der Enge, welche nun im Bett herrschte, dass ihn Morpheus nicht so schnell in die Arme nehmen wollte. "Es tut mir leid...", flüsterte Antonio in die Stille hinein. Roderich lachte kurz freundlos in die Ruhe hinein. "Das hast du schon erwähnt. Nur zu dumm, dass ich nicht weiß, was genau dir leid tut...", meinte er dann sarkastisch. Nur kurze Zeit später spürte er, wie sich ein Kopf auf seinem Polster in seine Richtung drehte. Auch wenn er durch die Dunkelheit, welche im Zimmer herrschte, gerade mal die Umrisse des Körpers neben ihm ausmachen konnte, meinte er dennoch den Blick der grünen Augen deutlich wahrzunehmen. "Ich meine natürlich die Konflikte mit deinem Bruder..." Woher wusste der Spanier darüber Beschied? "Woher..." Der Braunhaarige hörte die Bettwäsche rascheln und spürte durch die Einsenkungen der Matratze, dass sich der andere ein wenig aufgesetzt hatte. "Du solltest deine Korrespondenz nicht einfach so herum liegen lassen, sodass sie von zu neugierigen Nasen gelesen werden könnte.", hörte er den Südländer raunen. Roderich ballte die Hände zu Fäusten und schimpfte sich gleichzeitig im Geiste einen Trottel, dass er zu sorglos mit seinen Briefwechseln umgegangen war. Wie sehr er diesen Ort hasste. Er war nicht freiwillig hierhergekommen. Doch im Gegensatz zu einer kriegerisch eingenommen Nation hatte er sich nicht aus Gründen der Unterwürfigkeit dem Haushalt Spaniens anschließen müssen. Nein, sein eigener Herr hatte es von ihm verlangt. Dieser Herrscher, welcher ihm selber, wie auch vielen seiner Landsleute, ein Fremdling war. Ein fremder Herrscher, welcher nun versuchte dem Land seiner Vorfahren den spanischen Stempel aufzudrücken. "Es tut mir auch leid, wegen Francis..." sprach Antonio weiter. "Dass du mir ja wegen eurem Krieg keine Mannen schicken kannst, oder wegen der Tatsache, dass du gegen einen deiner dicksten Busenfreunde ziehst?" Der Österreicher konnte eine leichte Verbitterung in seiner Stimme nicht unterdrücken. Er wusste nicht genau, was da in seinem Inneren so rumorte. Warum er so sensibel auf den Spanier reagierte. Er konnte nicht sagen wann, aber seit geraumer Zeit verlor er immer mehr und mehr von der kühlen Abneigung, welche er der Personifizierung des spanischen Königreiches seit dem Tod Kaisers Maximilians entgegengebracht hatte. "Francis ist mein Bruder, Roderich. Auch wenn wir nicht die gleiche Mutter haben, so bleibt Rom unser beider Vater." Der Spanier stockte kurz. "Oder das, was bei uns Väter sind, da wir ja streng genommen nicht durchs Blut verbunden sind. Und ich liebe diesen Franzosen wie einen Bruder. Gerade du musst das doch verstehen..." In der Stimme des Spaniers lag eine tiefe Traurigkeit. Roderich versteifte sich und schwieg. Das Gesicht Theodors tauchte in seinem Geiste auf. Nicht durchs Blut verbunden, und doch eine Familie. Er wusste nicht, wie er als Roderich in diese Welt gekommen war. Seine ersten Erinnerungen waren durch die unbeschwerten Tage in Norikums Villa geprägt. Die letzten Tage vor den großen Völkerwanderungen... Und obwohl die Anzeichen des drohenden Verfalls sich deutlich in der Zukunft abgezeichnet hatten, so war es für ihn eine unbeschwerte Zeit gewesen, welche er mit Katharina und der Frau, die er immer Mutter nannte, verbracht hatte. Der Bayer war erst dann in sein Leben getreten, als dieser seine Schwester und ihr Reich endgültig mit Gewalt in das deutsche Herzogtum überführt hatte. Ab diesem Zeitpunkt war er am Hof des älteren Herzogtums aufgewachsen, und hatte sich dann Schritt für Schritt von diesem gelöst, als die Babenberger die Herrschaft über ihn übernahmen. Theodor war kein Nachkomme Norikums, und dennoch war es Roderich immer einleuchtend gewesen, in ihm einen Bruder zu sehen. Sie ähnelten sich in Sprache, Kultur und Mentalität. Plötzlich spürte er, wie Antonio sich abermals zu Recht legte und nur kurze Zeit später zog ihn ein Arm kräftig an den warmen Körper neben ihm. Überrumpelt durch den unerwarteten Körperkontakt unterließ es Roderich, sich dagegen zu wehren. "Und es tut mir leid, dass wir noch immer durch eine Wand kalten Eises voneinander getrennt sind.", flüsterte eine warme Stimme in sein Ohr. Langsam drehte sich Roderich mit dem Oberkörper zu Antonio um, den Arm des Spaniers zu seiner Hüfte schiebend. Sah ihm zum ersten Mal richtig in die grünen Augen und erkannte da, trotz der Dunkelheit, eine Ehrlichkeit, welche ihn unangenehm berührte. Er hatte Angst vor dem, was er in den Seelenspiegeln des anderen sah und auch vor dem was sich in ihm verändert hatte, seit dem er im Hause des Spaniers wohnte. Der Mann zupfte sein Barett zu Recht, bevor er weitersprach. "Ein Türke verlangt Sie zu sprechen!" Roderich hob den Kopf und verschränkte die Finger ineinander. "Was für ein Türke? Beschreib mir den Mann.", sagte er gelassen. Der Regenschauer war schon abgeklungen als Roderich mitgeteilt wurde, dass ihn ein gewisser Sadiq von den Türken zu sprechen verlangte. Nun wurden die Stadttore geöffnet und Roderich schlüpfte durch den dünnen Spalt hinaus. Das Umland von Wien sah verwüstet und brach aus. Ohne eine Regung zu zeigen, schritt Roderich auf den Reiter des Schimmels zu. Die anwesenden türkischen Krieger machten ihm respektvoll Platz, beobachteten ihn jedoch mit misstrauischen Blicken. Sadiq stieg nicht ab, als der Braunhaarige nun direkt vor ihm stand. Er schickte jedoch seine Leibwache mit einer Handbewegung fort. Die Krieger nickten nur kurz und marschierten dann in geordneter Formation Richtung Lager. Als auch der letzte der Bewaffneten außer Hörweite war, wendete sich der maskierte Mann seinem Gegenüber zu. Eine Weile sprachen beide kein Wort zueinander. Jeder musterte für sich den anderen, um im Stillen den anderen einschätzen zu können. Keiner von ihnen war sich davor begegnet. Nach einer geschlagenen Weile öffnete der Türke den Mund. Die Stimme klang gar nicht so tief wie der Österreicher sie sich vorgestellt hatte. "Sag deinen Leuten, dass ich ihnen drei Tage Zeit lasse. Drei Tage um sich zu ergeben." Roderich ließ sich Zeit, um zu antworten. Er wusste, warum Sadiq ihnen ein Ultimatum überbrachte. Sollte Wien sich nicht ergeben, und der Sultan gezwungen sein die Stadt mit einem Ansturm zu erobern, dann musste er die Stadt seinen Kriegern und Soldaten für die Plünderung, nach islamischem Recht, freigeben. "Ich werde es den Meinigen sagen. Aber ich würde mir an deiner Stelle keine großen Hoffnungen machen." Der Osmane lächelte spöttisch. "Und mit welcher Armee willst du mich hindern die Stadt einzunehmen, Austria?" Roderich verzog für einen kurzen Moment das Gesicht. Er hasste es, wenn ihn andere in einer solchen prekären Lage von oben herab ansprachen. Doch als er sich eine Antwort zurechtgelegt hatte, war er wieder Herr seiner Mimik. "Es mag vielleicht ein Ungleichgewicht in der Anzahl der Soldaten auf beiden Seiten geben. Doch frage ich dich Sadiq, glaubst du wirklich, dass du eine Belagerung lange genug aufrechterhalten kannst, wenn der Winter unmittelbar vor der Tür steht?" Der Maskierte lachte auf. "Ich glaube du missverstehst mich. Selbst mit den paar Kummergestalten welche dein Herr noch im letzten Augenblick auftreiben konnte, glaubst du allen Ernstes dein kleines Städtchen dahinter kann es mit meiner Armee aufnehmen?" "Wir mögen vielleicht wenige sein, Sadiq. Aber wir sind entschlossen unsere Haut teuer zu verkaufen." Roderich verschränkte trotzig die Arme ineinander. Ja, viele haben Wien in den letzten Wochen verlassen, da sie der Stadt nicht zutrauten gehalten zu werden. Doch auch wenn er nicht die erhoffte Unterstützung gefunden hatte, so waren nun mehr Landsknechte in der Stadt als Bürger und selbst diese Zurückgebliebenen waren entschlossen ihr Heim um jeden Preis zu verteidigen. Spanier, Böhmen und Österreicher, gemeinsam gegen die Osmanen. "Nun, ich stelle euch das Angebot um dieses unnötige Blutvergießen zu verhindern. Kehre zurück und übermittle mein Ultimatum an deine Leute." Sadiq ließ seine Stute wenden und ritt mit einem Grinsen zurück Richtung Lager, ohne sich noch einmal nach Roderich umzudrehen. Nach kurzem Verhandeln ließ man Roderich aus den Stadttoren hinaus. Die prekäre Lage, in welcher sich die Stadt befand, spannte die Gemüter der Bewohner, ob nun Bürger, Landmann oder Flüchtling, auf äußerste und das Erzherzogtum musste einen Teil seiner Autorität in die Waagschale werfen, um ohne Eskorte außerhalb der schützenden Mauern zu kommen. Nach einem kurzem Fußmarsch im Nieselregen und unter den misstrauischen Blicken der Feinde in der Entfernung, erreichte Roderich einen zerstörten Weinberg, ein wenig abseits gelegen vom Kriegsgeschehen. Wie von ihm erwartet, stand dort die weiße Stute der Personifikation des osmanischen Reiches. Als dessen Reiter den Näherkommenden erblickte, lenkte er sein Tier in dessen Richtung entgegen. Als sie sich in der Mitte trafen, musterten sich beide Kontrahenten eingehend. Trotz der Maske und den zusätzlichen Kleidungsschichten konnte der Österreicher mit Genugtuung feststellen, dass sein Feind seit ihrer ersten und letzten Begegnung an Gewicht und Stattlichkeit verloren hatte. "Warum waren deine Leute nicht weise genug mein großzügiges Angebot anzunehmen?", begann der Türke die Konversation, welche schon vor Minuten hätte beginnen müssen. "Warum waren sie dumm genug das Ultimatum, welches wir gestellt hatten, verstreichen zu lassen." Roderich streckte sich, um die verdammte nasse Kälte aus seinen Gliedern zu bekommen. "Sadiq, ich fürchte dir mitteilen zu müssen, dass du derjenige bist, dem das Ultimatum gestellt wurde." Roderich versuchte ein entspanntes Lächeln aufzusetzen. Selbst unter der Maske konnte er den forschen Blick des Türken auf sich spüren. Nach einem Moment des Schweigens bückte sich der Braunhaarige und hob einen Ast auf. Der Frost hatte auf dem noch feuchten Schlamm eine dünne Eiskristallschicht gebildet. Vorsichtig fuhr der Österreicher darüber, bedacht die Kristalle nicht zu zerstören. Dann reichte er sie seinem Begleiter. "Militärisch gesehen läuft dir die Zeit davon, Sadiq. Der Winter wird dieses Jahr früher kommen als geplant. Ihr seid jetzt schon bis auf die Knochen durchnässt, eure Versorgung ist stockend bis gar nicht vorhanden, das Umland ist verwüstet... Sag mir, wie willst du in Zukunft die Belagerung aufrecht erhalten?" Sadiq zügelte sein Pferd, um auf gleicher Höhe mit Roderich zu sein. "Du wirst fallen.", antwortete er dem Österreicher, ohne ihn von der Seite anzuschauen. "Du wirst vor mir ebenso in die Knie gehen, wie all die anderen vor dir." Roderich lachte schallend auf und warf dem Begleiter einen arroganten Blick zu. "Fallen, wie die anderen... Mein lieber Sadiq, dein Problem liegt darin, dass ich nicht bin wie die anderen. Wien ist auch nicht wie die anderen. Was du jetzt versuchst, haben schon viele versucht und beide, Wien und Ich, stehen bis zum jetzigen Tage noch vor dir. Wenn sich Wien nicht von sich aus ergibt, kannst du deine Hoffnung auf einen Erfolg vergessen." Das österreichische Erzherzogtum erhob mit jedem Satz immer ein wenig mehr seine Stimme. "Und bei der Jungfrau und allen Heiligen, Wien wird nicht in die Knie gehen." Er wusste, dass er mit seinem Gerede die Wahrheit zu kaschieren versuchte. Dass die Lage in vielen Punkten gegen sie sprach. Dass so viel an der Messerklinge lag, und trotzdem hatte er keine Wahl. Sie hatten nun schon so lange durchgehalten, länger als ihnen die meisten Zeitgenossen zugetraut hatten. So viele hatten ihren Sturz prophezeit und noch standen beide, er und sie. Wenn sie nur ein wenig länger als die Türken standhielten, konnten sie gewinnen. "Ist das dein letztes Wort, Austria?" Roderich stemmte die Hände in die Hüften und blitzte auffordernd aus den Augen. "Bleib doch hier wenn du dich überzeugen möchtest, und renne weiterhin gegen meine Mauern an. Du wirst derjenige sein, welcher wie ein verprügelter Hund abziehen wird." Sadiq wendete sein Pferd in Richtung Lager und sah noch ein letztes Mal das Erzherzogtum an. "Hoffe Österreich, solange du noch kannst und schau nun, dass du dich zu den deinigen scherst, bevor ich mich meines Wunsches nicht mehr erwehren kann, dich für deine Arroganz in Ketten legen zu lassen." Mit einem Druck auf den Bauch seines Pferdes, trieb er das Tier an. Roderich indes verschwendete keine Zeit, die momentane Sicherheit hinter den Mauern von Wien wieder aufzusuchen, sich fragend wie lange dieser Zustand noch währen wird. Er hatte noch so viel vor. Antonio tauchte abermals vor seinem geistigen Auge auf. Sollte er das alles hier so gut wie möglich unbeschadet überstehen, so wollte er einen Neuanfang in ihrer Beziehung einschlagen. Die Ablehnung und das Misstrauen der letzten Jahre hinter sich lassen. Der Braunhaarige erreichte das massive Stadttor und schlüpfte hastig durch den dünnen Spalt, den man für ihn geöffnet hatte. Nein, um eine neue Chance beim Spanier zu bekommen, musste er sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Bisher war ihm Fortuna hold gewesen, doch wer konnte sagen wie lange Gott seine schützende Hand über seine Stadt halten würde. Und sollte Wien fallen, soweit war sich das Erzherzogtum Österreich sicher, so würde auch er fallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)