Oni.. von Crystal (Mein Herz erstarrt, mein Atem schwer, Meine Augen verschleiert, meine Welt verblichen,..) ================================================================================ Kapitel 1: Laternen leuchten so hell ------------------------------------ Immer wenn ich nachts von meinem Futon aufstehe, und hinaus in den Garten gehe, denke ich über tausend Dinge nach. Mal über dies. Mal über jenes. Aber eine Frage beschäftigt mich immer und immer wieder: Wieso leben wir eigentlich. Was ist der Sinn des Lebens. Wahrscheinlich sind das dumme Fragen. Fragen, über die man nicht nachdenken sollte. Der Alltag ist immer gleich. Öde und es passiert immer dasselbe. Abwechslung gibt es nur selten. Während ich draußen stehe auf der Veranda und mein Blick über die Gräser schweift, nehme ich den Geruch des Regens wahr. Er prasselt sanft auf die Blätter der Bäume, die langsam anfangen ihre Farbe zu verändern. Es steigt ein leichter Nebel auf. Ein Dunst der durch die Wärme in den Himmel steigt. Es riecht nach Erde. Die Sonne geht langsam auf und ich merke, wie die ganze Welt in ein goldenes Licht getaucht wird. Ich knie mich hin und lasse meine Beine hinab baumeln. Meine Fußspitzen berühren das feuchte Gras. Ich kneife die Augen zusammen denn ich kann in dem heraufsteigenden Dunst eine Gestalt erkennen. Eine Gestalt mit Hörnern. So scheint es jedenfalls. Ich stemme mich vorsichtig auf und rutsche vor schreck auf der nassen Veranda nach hinten aus. Meine Augen weiten sich denn die Gestalt die dort steht, blickt nun zu mir. Auch wenn ich nix erkennen kann, bin ich von ihrem Anblick gefesselt. Wie sie den Anblick der Sonne genießt und deren warme Strahlen. Ich versuche auf die Beine zu kommen und trete vorsichtig einen Schritt zurück. Der Dunst wird stärker. Der Geruch von Wasser und dem nassen Torf wird stärker, die Sonnenstrahlen blenden mich. Mein Auge zuckt zusammen und als ich wieder klar sehen kann, ist die die mysteriöse Gestalt verschwunden. Einbildung?Realität?Traum?. Obwohl ich diesen Moment, der so unendlich lange für mich schien, und doch so kurz wie ein Wimpern Schlag war mich nicht los lässt, gehe ich langsam zurück auf mein Futon zu. Mir brennen die Augen und Morgen oder eher heute ist noch so viel zu tun. Denn in einer normalen kleinen Fischer Familie ist immer was los. Es sind belanglose Dinge, die mich langweilen doch ich kann dem Alltag nicht entfliehen. Mürrisch lege ich mich zurück auf mein Futon, drehe mich zur Seite und schließe die Augen. Denn wenn ich schlafe, vergesse ich alles um mich herum. Dann bin ich in meiner Aufregenden Welt in der ich alles machen kann was ich will. In einer Welt in der ich mich niemanden beugen muss. Einer Welt in der es weder Krieg noch Elend gibt. Es war eine unruhige Nacht und als ich aufwache bin ich immer noch müde. Ich stehe auf, gehe wieder zur Verandera und öffne vorsichtig die Schiebetür. Dort steht niemand. Doch obwohl es früh am morgen ist und wir nun fast Ende September haben, höre ich die Grillen zirpen. Bald wird es ruhiger werden, denn der Herbst kommt mit jedem Tag ein Stück näher und näher. Es ist das Jahr 11 der Ära Enryaku in der der Kaiser Kammu regiert, der die Hauptstadt verlegen will. Der Buddhismus gelangt immer mehr in das Land. In den nahegelegenen Dörfern wird fast Täglich von seltsamen Vorkomissen berichtet. Kobolde nahe der Schreine, Lichter die Nachts immer die gleichen Wege bestreiten und auf Flüchtlinge oder Wanderer treffen oder Flammen die nachts ununterbrochen tanzen. Das was ich aber am aller gruseligsten finde ist etwas ganz anderes. Eine Frau die verschwand, ihre Leiche wurde in einem kleinen Bach von einem Bauern gefunden. Doch sie hatte kein Gesicht mehr. - Eine Gesichtslose Leiche. Der Bauer soll sich von seinem Schock immer noch nicht erholt haben. "Glaubst du an Dämonen oder Geister?" Wieder eine Frage, die vielleicht soger sinnlos ist. Gemunkelt wird viel. Doch ich glaube es erst, wenn ich es mit meinen eigenen Augen sehe. Aufregend wäre es sicher, glaube ich jedenfalls. Während ich vor mit hinträume und an diese unwirklichen Dinge denke, genieße ich den Wind der sanft mein Haar umherwirbelt und meine Wange streichelt. "Hey, was stehst du so rum?" "Es gibt viel zu tun!" Erschrocken drehe ich mich um und verrenke mir dabei den Hals. "Ja ich komme gleich, warte kurz." Wie ich es hasse. Immer dasselbe. Fische fangen mit meinem Vater. Aber etwas anderes kann ich in einer armen Fischers Familie nicht erwarten. Lieber würde ich mehr von der Welt sehen, Schreine besuchen oder das Rätsel um die gesichtslose Frau lösen. Eigentlich würde ich alles lieber machen wollen als das hier. Während ich mich langsam entkleide und in die Arbeitskleidung schlüpfe, höre ich wie mein Vater die Fischernetze holt. Ich binde mein langes Haar zusammen, welches eigentlich immer nur im Weg ist und richte mein Futon zurecht. Da es schwül ist, lass ich die Schiebetür einen Spalt offen und hoffe, dass es ein wenig kühler wird. Als mein Vater und ich das Haus verlassen, merke ich dass der Himmel wolkenlos ist und in einem Wunderschönen hellen Blau erstrahlt. Meine Mutter sagt, dass uns ein harter Winter bevor steht. Das schlimmste ist jedoch, dass unser Haus schon vom letzten Winter großen Schaden genommen hat. Nachts höre ich oft meinen Vater mit meiner Mutter reden über alles Mögliche. Dabei spielen Ängste in unserem Leben die größte Rolle. Denn der Krieg rollt unbarmherzig mit seinen dunklen Schatten über das Land. So kreuzen fast täglich verwundete Flüchtlinge und Wanderer unser Dorf, um zur Hauptstadt zu gelangen. Durch Krankheit geschwächt ist meine Mutter gezwungen das Haus so wenig wie möglich zu verlassen. Alles hängt daher an mir, meinem Vater und dem Fang, der uns über Wasser hält. Richtig gegessen haben wir schon lange nicht mehr. Es gibt meist nur Reis und irgendeine Art von Bohnen. Aber es mangelt nicht nur uns an Nahrung sondern auch den anderen Dorfbewohnern. Während mein Vater und ich mit dem Rollwagen die Fischernetze über die Straßen unseres kleinen Dorfes ziehen, fällt mir sofort auf, dass die Leute unruhig wirken. Kinder rennen durch die engen Gassen und werden von ihren Müttern gerufen nicht herumzutollen sondern still zu sein. Ich höre wie mein Vater knurrt. "Pff, dieses verdammte Dreckspack. Die haben doch Geld ohne Ende und es ist ihnen Egal was aus uns wird." Und als er dies sagt, weiß ich sofort um wen es geht. Ich drehe mich schlagartig um und kann in der Ferne etwas erkennen. Eine Sänfte. Der Kaiser persönlich? Wir rücken beiseite. Als die Sänfte, die wundervoll verziert ist, die Straße entlang gleitet und sich ihren Weg durch die Massen bahnt, kann ich einen Blick durch den Schleier erhaschen. Ein Mädchen?! Gehört sie zur Kaiser Familie?. Sie guckt mir direkt in die Augen während sie anscheinend eine Laterne in der Hand hält, von der ein seltsames Licht ausgeht. Es ist kein abwertender Blick oder einer der mich mustert, den sie mir zuwirft aber ich kann ihn nicht richtig deuten. Sie dreht sich weg und guckt wieder nach vorne. Der Schleier fällt über ihr Gesicht und ihr kann ihrem Blick nicht mehr folgen. Verwirrt drehe ich meinen Kopf zur Seite, und blicke in die Richtung zu der die Sänfte wohl auf dem Weg sein muss. Wer ist sie ? Kapitel 2: Moor und Wasser -------------------------- Der Fang war nicht gerade erfolgreich aber es hat ausgereicht um doch noch etwas Reis auf dem Markt zu kaufen. Heute gibt es wenigstens mal als Beilage nicht nur Bohnen, sondern auch Fisch. Während mein Vater meiner Mutter von den Vorkommnissen des heutigen Tages erzählt, stehe ich auf, räume ab und gehe in mein Zimmer. Es dämmert langsam und die Wolken ziehen sich zusammen. Die Sonne wird bald untergehen und die Nacht wird herein brechen. Der Himmel hat nun die Farben von Purpur, Gelb und Rot. Er sieht einfach wunderschön aus. Langsam beginnt es nach Herbst zu riechen. Ich bin ein wenig stolz, dass der Blick des Mädchens von heute mir galt. Das muss doch etwas besonderes sein, oder ? Wieder eine Frage auf die ich leider keine Antwort habe. Vielleicht ist das aber auch gut so. Ich öffne meine Schiebetür komplett und knie mich auf die Veranda. Den Himmel zu beobachten ist schön. Gerade dann, wenn die Sonne untergeht. Ich springe von der Veranda in das Gras, das noch ganz Warm von der Sonne ist, und laufe zu unserem Kirschblütenbaum. Wegen des merkwürdigen und wechselhaften Wetters, tragen die Bäume noch immer Blüten. Ich knipse eins der Blüten Stängelchen ab. Sakura, Sakura, in den Feldern und Hügeln und den Dörfern So weit das Auge reicht. Wie Nebel, wie Wolken. Duftend und glänzend in der aufgehenden Sonne, Sakura, Sakura Die Blütezeit Ein Teil eines Japanischen Volksliedes. Die andere Strophe weiß ich leider nicht mehr. Aber immer wenn ich die Kirschbäume sehe, spielt diese Strophe in meinem Kopf. Ich mag den Geruch der Kirschblüten. Am schönsten ist es aber wenn die Kirschblüten im Wind des Frühlings und Sommers tanzen. Dann ist alles voll von Glück, Liebe und Fröhlichkeit. Die Leute vergessen dann die schlimmen Momente des Krieges. Ich klemme mir das Blüten Stängelchen hinter das Ohr, schließe die Augen, genieße das sanfte kitzeln der Grashalme unseres Gartens und lausche dem kleinen Bach, der sich seinen Weg durch das Grün bahnt. Ein kleiner Moment in dem Frieden herrscht. Während ich zurück zu unserem Haus laufe, tanke ich noch etwas von der Abendsonne bevor dieser Tag zu Ende gehen wird und ein neuer anbricht. Angekommen in meinem Zimmer schließe ich die Schiebetür und lege mich hin. Ich schließe meine Augen doch es ist zu schwül zum schlafen, und das Essen von heute liegt mir schwer im Magen. So wage ich noch einen Start. Mittlerweile hat sich der Himmel verdunkelt und es ist tief in der Nacht. Ich drehe mich, rolle mich zusammen und merke, dass ich heute nicht mehr zur Ruhe kommen werde. Leicht frustriert stehe ich langsam von meinem Futon auf und zupfe das Band meiner Haare zusammen. Ich öffne die Tür die in mein Zimmer führt, greife mir eine der Laternen die neben dem Zimmer meiner Eltern hängen, schlüpfe in meine geflochtenen Sandalen, die Waraji, und schleiche nach draußen. Zwar habe ich ein schlechtes Gewissen aber zu Hause hält mich nix, solange ich nicht schlafen kann. So schleiche ich über die Straßen. Doch das Geräusch das ich beim Laufen mache, kommt mir vor wie das Trampeln von tausenden Soldaten. Durch das sanfte Licht der Laterne, die bald erlischen wird, sehe ich den Weg, der durch das kleine Wäldchen führt. Angst hatte ich noch nie hier. Ich wüsste auch nicht vor Wem oder Was. Diese ganzen Spuck-Geschichten sind doch eh reiner Blödsinn. Selbst mein Vater sagt dies immer. So laufe ich also nachts in der Dunkelheit durch den Wald. Mein Ziel habe ich bereits gewählt. Der Schrein unseres Schutzgottes. Ich möchte Beten. Dafür, dass es keinen harten Winter geben wird, dafür, dass die Geschichten über Kobolde und die tanzenden Lichter nicht wahr sind und dafür das meine Mutter wieder gesund wird. Auf meinem Weg zum Schrein, trete ich auf kleine Äste und zucke manchmal vor Schreck zusammen. Ein wenig Grinsen muss ich über meine Angst selber. Es sind schließlich nur Äste. Als ich am Schrein ankomme, nehme ich meine Laterne in die rechte Hand und schiebe das Gestrüpp zur Seite um einen Blick hinein zu werfen. Alles so wie immer. Ich lege die Laterne ab, knie mich auf den dreckigen, feuchten Boden und werfe mein Haupt nach vorne. Dabei reißt das Band, das eigentlich meine langen Haare zusammen halten sollte, auseinander. Meine gesamten Haare fallen zu allen Seiten und hängen zum Boden herab. "Schneid deine Haare ab!". Mein Vater sagt das immer. Er meint, meine langen Haare würden mich nur bei der Arbeit stören. Vielleicht hat er recht. Nein, Er hat recht. Doch der Grund der mich hält an ihnen festzuhalten ist ein besonderer. Sind lange Haare nicht schön?. Sie drücken wenigstens nicht aus, dass ich versuche Fische zu fangen und geben mir ein wenig das Gefühl besonders zu sein. So würden nicht alle Leute darauf kommen, dass ich solch eine Aufgabe habe. Die meisten Mädchen in unserem Dorf haben kurze Haare Wegen der Arbeit und sie bewundern meine. Ausserdem liebe ich es, wenn meine Mutter sich sorgsam um sie kümmert und kämmt. Dabei sagt sie mir immer wie wundervoll sie doch währen und das ich so hübsch damit aussehe. Mein Vater verdreht dabei immer nur die Augen. Er ist eh manchmal ein komischer Kautz und ich habe das Gefühl, er interessiert sich nicht für mich und meine Träume. Was soll's. Ich ich werfe meinen Kopf zurück, werfe meine Haare über die Schulter, Blicke zum Schrein und nehme die Laterne wieder in die Hand. Wenn sie ausgeht, finde ich den Weg nicht mehr nach Hause. Meine Mutter wird vor Sorge noch kränker und mein Vater wird vor Wut rot werden. So stehe ich langsam auf und tapse den Weg entlang. Das Rauschen der Blätter wird stärker, da sich der Wind gedreht hat. Mir ist nicht wirklich kalt aber auch nicht warm. Durch die schwüle Luft kleben die meisten Sachen am verschwitzen Körper. Ein unangenehmes Gefühl. Während ich weiter laufe, höre ich am Klang meiner Schritte, dass ich nicht mehr auf Waldboden zu laufen scheine. Es klingt eher nach Holz. Nun höre ich langsam das prasseln von Wasser. Ich drehe mich sofort um und halte die nun fast erloschene Laterne in die Höhe. Bin ich falsch gelaufen? Durch das schlechte Licht der Laterne kann ich fast nix mehr erkennen. Der Klang meiner Schritte auf dem Holz klingt dumpf und hat keine Melodie wie die meisten Holzböden. ich presse meine linke Hand zu einer Faust zusammen, halte mit meiner Rechten die Laterne in die Richtung des Rauschenden Wassers und kann erkennen, dass ich mich auf einer kleinen Brücke befinden muss, die über einen Bach zu reichen scheint. Diesen Teil des Waldes kannte ich noch gar nicht. Ich beiße auf meine Unterlippe und ärgere mich über meine eigne Dummheit, den Weg nicht mehr zu wissen. Das Gebüsch raschelt und ich drehe mich ruckartig um. Mein Puls steigt als ich plötzlich etwas glimmendes aus dem Gestrüpp schweben sehe. Es sieht aus wie ein Licht, das immer auf und ab wippt. Ich trete einen Schritt zurück. Das Licht kommt näher. Ich laufe Weiter instinktiv nach hinten. Schon bevor ich merke, dass ich den halt verloren habe, stürze ich in den Bach. Er ist nicht tief doch hat einen reißenden Strom. Die Laterne erlischt und ich kann nur noch das glimmen des mysteriösen Lichtes erkennen. "Du hast also dafür gebetet, dass wir verschwinden?". Der Klang einer ruhigen Stimme ertönt. Ich weite meinen Mund denn ich kann nicht glauben, was ich hier gerade sehe. Stimmen die Geschichten also doch? Wasser fließt mir in Nase und Mund. Ich stemme meine beine mit voller Kraft gegen den Boden des Baches, krieche aus dem Strom heraus und fange an zu husten. Pitsch nass schaffe ich es noch mich mit letzter Kraft auf das andere Ufer zu gelangen. Plötzlich nehme ich einen Unangenehmen Geruch wahr. Ich kann meine Füße noch schnell aus dem Wasser ziehen. Der Bach verändert seine Farbe und wird Pech Schwarz. Ich kann durch das Leuchten des Lichtes erkennen, wie meine Laterne in der Schwarzen Suppe langsam verschwindet und auch meine, durch den Sturz verlorene Sandale, taucht nicht wieder auf. Das was anstatt meiner Sandale auftaucht schockt mich zutiefst. Knochen, Zerschnittene Fleischklumpen, Haar Büschel, Hautfetzen, Tier Köpfe, abgetrennte Rümpfe, mit Blut verschmierte Arbeitsgeräte von Bauern und Leichen. Leichen ohne Gesicht. Ich halte mir meine Hand vor Mund und Nase und versuche den stechenden Geruch von Tod und Verwesung nicht einzuatmen. Mir wird schlecht und ich bekomme einen Brechreiz. Das Licht ist verschwunden, mein Körper zu schwach zum aufstehen und der Anblick vor mir wird langsam von der Dunkelheit verschlungen. Die nassen Haare kleben an meinem Gesicht und ich bin ausser Puste, weiß nicht was ich machen soll. So krieche ich über das Gras und klappe zusammen. Der stechende Geruch gibt nicht nach. Ich drehe meinen Kopf zur Seite, blicke zum schwarzen Himmel und schließe die Augen vor Erschöpfung. Das Stängelechen des Kirschbaumes fällt von meinem Ohr unsanft in das Gras. Kapitel 3: Das Haus der Götter ------------------------------ Die Sonne blendet mich. Ich öffne die vom Schlaf verklebten Augen und blicke in den wolkenlosen blauen Himmel, der in ein weiches violett getaucht ist. während ich mich mit meinen Händen aufstemme um mich hinzusetzen, fühle ich unter meinen Fingerspitzen feuchte Erde. An was für einem Ort bin ich gelandet? Das laute Rauschen von Wasser lässt mich erraten, das ich nicht mehr im Wald neben dem kleinen Bach liege, sondern in der Nähe von Unmengen an Wasser. Ausser dem Rauschen des Wassers kann ich nichts anderes war nehmen. Weder dem Rascheln der Bäume noch dem Singen der Vögel. Vor mir erstreckt sich ein abgeschlossener, völlig unberührter Ort. Hier gibt es keine Menschen. Die Atmosphäre ist erdrückend, so gewaltig erscheint sie mir. Trotz all dem, fühle ich mich beflügelt. Alles fühlt sich so leicht an und besonders. Ich bin an einem heiligen Ort gelandet, ein heiliger Ort, geschaffen von Göttern. Nachdem ich endlich wieder auf den Beinen bin, erkenne ich erst das komplette Ausmass dieses verzauberten Ortes. Die Luft ist so sauber und rein, das ich keinen Geruch war nehmen kann. Ob hier wohl jemals ein Irdisches Wesen war? Ich klopfe mir den Rest der feuchten Erde von meinen Kleidern und blicke in Richtung des Sees. Die Luft, die am Anfang so ruhig und regungslos war, wird nun stärker und entwickelt sich zu einem Luftstrom der über mich hinweg weht. Es ist kein normaler Wind. Während ich wie versteinert dort stehe, erstreckt sich der See vor mir nun komplett Still. Keine Welle, kein Rauschen. Stille. Die Oberfläche ist nun so glatt, dass sie wie eine Eisfläche wirkt in der sich die Welt spiegelt. Im hinteren Teil des Sees kann ich die Silhouette eines Hauses erkenne, das auf Pfählen aus Holz steht. Völlig unberührt, abgeschlossen von der Welt, wie ich sie kenne. Mein Atem wird schneller. Ich weiß nicht wie ich mich verhalten soll, wo lang ich gehen soll, wie ich wieder zurück komme. ich trete einen Schritt vorwärts und erinnere mich erst jetzt daran, dass das schwarze Moor meine eine meiner Waraji verschlungen hat. Ich überlege kurz, streife die andere Sandale ab und Klemme sie mir zwischen den Obi. Ich laufe vorsichtig zum still gelegten See. Die Oberfläche ist so klar, dass ich jeden einzelnen Stein und jede einzelne Wasserpflanze erkennen kann. Irgendetwas zieht mich zu dem seltsamen Haus in der Mitte des Sees. Wo soll ich auch sonst hinlaufen? So bewegen sich meine Füße wie von allein und ehe ich mich versehe, stehe ich mit meinen Fußspitzen im Wasser. Doch das Wasser macht keine Wellen, sondern bleibt klar und bewegt sich nicht. Ich laufe einen Schritt, noch einen und merke, das ich nicht mehr auf dem Grund des Sees, sondern auf etwas anderem laufe. Verdutzt blicke ich nach unten und erkenne Holz unter meinen Füßen. Langsam hebt sich der Holzboden empor und nimmt die Gestalt einer Brücke an. Ich laufe weiter und genieße den Klang des Holzes, der mit jedem Schritt angenehmer wird und wie der Gesang eines Vogels klingt. Das Holz der Brücke scheint die Feuchtigkeit sofort aufzusaugen, und so bleiben nur winzige Tropfen auf der Oberfläche des Gelb-Goldenen Holzes zurück. Ich komme dem Haus näher. Mit jedem Schritt mache ich mich frei von allen Gedanken die mich so lange gequält haben. Frei von Angst, Hass, Trauer, Wut, Verzweiflung. Ich horche der Melodie des Bodens. Beim verlassen der Holzbrücke trete ich nun auf steinigen Sandboden. Ich befinde mich unmittelbar vor dem Haus, das zu atmen scheint und mich wie durch Zauberhand versucht aufzusaugen. Meine Hand gleitet zur Schiebetür, die den gleichen Farbton der Holzbrücke hat. Langsam und vorsichtig schiebe ich die Tür zur Seite. Ein Windhauch bläst mir entgegen. Der Raum ist vollkommen leer. Der Fußboden ist Mit Bambusmatten übersät. Die Wände sind creme weiß. Ich kann aus den Fenstern zur Weite blicken. Ein Rollbild hängt an der Wand. Darauf die Göttin der Gutmütigkeit zu sehen, Kannon. Als ich mich auf eine der Bambusmatten knie, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Was ist das nur ? Mein Kopf ist so frei, ich denke nicht an das Leid, an die Verzweiflung und die Schmerzen. Es scheint, als hätte ich alle schlechten Gedanken an diesem Ort gelassen und sie wandeln sich um, können mir nie wieder etwas anhaben. Während ich dort knie, schließe ich die Augen. So verharre ich in dieser Position und genieße den Moment der Ruhe und Freiheit. Alles um mich beginnt zu verschwimmen, ist das alles nur ein Traum ? Meine Augen öffnen sich. Ich drehe den Kopf zum Himmel, es wird langsam Tag. Die Blätter der Bäume fallen auf den Boden und ich höre das Rauschen des Baches. Während ich mich aufrichte, halte ich meine Hand gestreckt zum Himmel. Das Licht der Morgensonne fällt auf die Bäume, den Bach, auf mich und wirft weiche Schatten über das Tal. Dieser Traum. Ja, es muss einer gewesen sein. Ich fasse mir mit der Hand an meine Schulter und drücke fest. Meine Gedanken, die mich so quälten, sie sind nicht mehr da. Einfach verschwunden, aufgesaugt von diesem göttlichen Haus. Ich glaube, Gedanken und Gefühle können sehr viel mit einem Menschen anrichten, sowohl Gutes, als auch Schlechtes. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und nehme mir alles zu Herzen, selbst wenn ich es nie zugeben mag. So versuche ich meine Tränen ständig zu unterdrücken. Das fühlt sich so an, als wenn man versuchen würde, einen Reiskloß herunter zu schlucken. Es fällt mir nicht leicht, aber ich tue es um meine Schwäche nicht zu zeigen. Um niemandem Sorgen zu bereiten. Um unerreichbar zu sein. Um jemand anderem das Gefühl zu geben er würde mich kennen, obwohl er gar nichts über mich weiß. Dabei ziehe ich mich zurück, will alleine sein und die Schmerzen selber lindern. Der Versuch mit allem alleine klarzukommen. Dann schäme ich mich. Ich bin gesund, habe alles und dennoch fühle ich so. Dennoch kann ich nichts gegen diese Gefühle tun, gar nichts. Meine Gedanken beeinflussen nicht nur was ich tue, sondern auch, wie ich mich fühle, was ich mache, wie ich mich verhalte. Sie quälen mich. Manchmal versuche ich diese Gedanken einfach abzuwimmeln. Einfach zu verdrängen und nie wieder daran zu denken. Es klappt allerdings nie, alles holt mich wieder ein. Früher oder später. So sammeln sich alle Gedanken und Gefühle und überströmen mich, quellen aus mir heraus, beherrschen mich, lassen mich leiden und fügen mir unendlichen Schmerz zu. Man kann einen Menschen zwar töten, sein Herz endgültig zum Schweigen bringen und ihm körperliche Schmerzen zufügen aber Ich, ich bin schon lange tot. Innerlich tot, zerfressen, Schmerzen die ich täglich aushalte und mit mir herumtrage. Diese Art des Sterbens betrachte ich schlimmer, als die Art des Sterbens, bei der das eigene Herz aufhört zu schlagen. Ich will Herr über meine Gedanken und Gefühle werden. Kalt und ohne Emotionen. Aber sind Gedanken, Gefühle und Emotionen nicht das, was uns Menschen ausmacht ? Dieses Gefühl der Freiheit, das habe ich gebraucht. In dem Moment bin ich dankbar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)