Exitus von Flower-chan (Wenn der Feind die Natur ist) ================================================================================ Kapitel 1: Schneekönigin ------------------------ Es hatte geschneit. Eine dünne weiße Schicht Schnee verdeckte das Blut auf dem Boden. Rieselte auf die toten Körper auf der Straße herab und bedeckte ihre ausdruckslosen Gesichter mit weißen Flocken. Es sah fast friedlich aus. Es knirschte leise, als Triels Stiefel auf den Schnee trat. Sie senkte den Blick auf den Boden und ging langsam, jeden Schritt behutsam abwägend, in Richtung Stadttor. Wenn man das so nennen konnte. Die Katastrophe, die die Infrastruktur der Drow so zerstört hatte, war ein Erdbeben gewesen. Es hatte die ehemals unterirdische Stadt an die Oberfläche gedrückt und zerrüttet. Um das, was von ihrer Heimat übrig war, zu schützen, hatten die Drow einen Palisadenwall errichtet. Notdürftig aufeinandergeschichtete Holzstücke hielten wilde Tiere von der Elendssiedlung fern. Triel schnaubte. Als ob das was bringen würde. Sie brauchte nicht einmal das Tor öffnen, um aus der Stadt zu gelangen – der Wall war so niedrig, dass sie einfach drübersprang. Sie fröstelte. Auf ihren Haaren war bereits eine dünne Schicht Schnee und einzelne Flocken hingen in ihren Wimpern. Wie bei den Toten, dachte Triel. Sie schauderte und beschleunigte ihren Gang. Die Landschaft war bereits mit Schnee besprenkelt, deshalb wurde das ganze Ausmaß der Zerstörung nicht ganz klar. Triel hörte etwas und sah gerade, wie sich eine weiße Schnauze in einen Busch zurückzog. Ein Wolf. Womöglich waren die Tiere nicht besser dran als die Zivilisation. Nach Triels Informationen war der gesamte Planet von einzelnen Katastrophen heimgesucht worden. Vulkanausbrüche, Stürme, Flutwellen und Erdbeben hatten die Welt an die Grenze des Erträglichen gebracht. Viele sprachen von Apokalypse. Der Wolf folgte Triel eine Weile, begleitete sie ein paar Meter von ihr entfernt. Triel sah ihn offen an und das Tier fiepte erschrocken, verschwand wieder im Unterholz. Die Wintersonne blendete. Als Dunkelelfe war Triel absolute Finsternis gewohnt, das Licht schmerzte in ihren Augen. Sie lief tagelang durch die Schneelandschaft, rastete in halbverschütteten Höhlen. Irgendwie kam es ihr so vor, als würde der Wolf ihr immer noch folgen. Vermutlich glaubt er, ich sterbe bald und will meine Leiche fressen, schoss es ihr durch den Kopf. Diese makabren Gedanken suchten sie schon seit sie die Stadt verlasen hatte heim. Pessimismus beherrschte ihr Denken und ließ sie beinah verzweifeln. Sie war schließlich aus dem Schneegebiet herausgekommen. Die Winterlandschaft war in einen spärlich besiedelten Wald übergegangen. Die Art, wie die Bäume standen, ließ Triel vermuten, dass sie im reich der Menschen war – nur sie betrieben Forstwirtschaft und kämen auf die Idee, Bäume im geometrisch korrekten Raster anzupflanzen. Ein Stock knackte und Triel fuhr herum. „Eine Dunkelelfe!“ rief jemand. „lasst sie nicht bis zum Dorf vordringen!“ „Dunkle Kreatur! Du wirst deinen Abstecher hier her bereuen!“ kam es aus der anderen Richtung und ein Pfeil schoss haarscharf an Triels Stirn vorbei. Sie griff nach ihrem eigenen Bogen und spannte einen Pfeil ein. „Ich bin auf der Durchreise! Lasst mich passieren, ich will nicht gegen euch kämpfen!“ rief sie, feststellend, dass sie ziemlich heiser war. „Tötet sie!“ Triel wich einem weiteren Pfeil aus und sah ihre Angreifer. Es waren mindestens zwanzig Menschen, bis an die Zähne bewaffnet, die Gesicht vor Angst und hass verzerrt. „Ich habe euch doch nichts getan!“ flehte sie verzweifelt. Sie wusste, dass es den Menschen ähnlich ging wie ihrem Volk und wollte sie nicht verletzen. „Es war doch dein Volk, dass uns dieses Unheil beschert hat, mit eurer schwarzen Magie!“ blaffte einer der Menschen zurück und zog seine Waffe. „Das ist nicht wahr!“ widersprach sie und musste einem Schwerthieb ausweichen. „Stirb, Hexe!“ brüllte ihr Kontrahent und griff wieder an. Triel sah ein, dass gutes Zureden hier keinen Zweck hatte. Sie entschuldigte sich im Geiste bei den Menschen und zog ihre Schwerter. Sie war eine Dunkelelfe und sie war eine Kriegerin. Deshalb wusste sie, dass sie töten musste, um in dieser Welt überleben zu können. Und sie wusste, wenn sie die Hemmschwelle überwunden hatte, gab es kein Zurück. Das war etwas anderes, als die Trainingskämpfe mit ihrem Vater, diese Leute wollten sie um jeden Preis töten. Sie parierte einen Schlag und Stahl schlug klirrend auf Stahl. Ein weiterer Schwerhieb, Triel duckte sich weg und schlug zu. Ihr Schwert traf den Menschen am Bauch und Blut floss über Triels Hand. Sie hatte die Bauchschlagader verletzt. Sie machte einen Satz nach oben, schlug im Sprung noch dem Menschen den Kopf ab. Wutschreie, und alle anderen stürmten auf sie zu. Ihre Hand verkrampfte sich und weitere drei fielen ihrer Waffe zum Opfer. Die Hemmschwelle, sie war gebrochen. Triel tötete sie alle, wiegte sich schon in Sicherheit als ein Pfeil von hinten in ihr Knie einschlug und sie zu Boden sank. Das War’s, dachte sie. Tut mir leid, Mutter. Du hattest Recht. Der Schütze landete vor ihr und zielte mit einem zweiten Pfeil zwischen Triels Augen. Etwas knurrte heiser und etwas Weißes schoss über Triels Kopf hinweg. Ein Wolf. Es war der Weiße Wolf, der ihr gefolgt war. Er knurrte den Menschen an. Irgendetwas Merkwürdiges ging hier vor. Der Bogen schütze ließ seine Waffen fallen und floh. Das Raubtier wandte sich anmutig Triel zu und setzte sich auf das Hinterteil. „Danke...“ flüsterte sie leise. Während des Kampfes war ihr gar nicht aufgefallen, dass sie verwundet war. Sie hatte eine tiefe Wunde an der Seite und spürte, wie der Blutverlust sie langsam das Bewusstsein verlieren ließ... -- Triel erwachte. Der Geruch von gebratenem Fleisch stieg ihr in die Nase und sie schlug die Augen auf. Sie war in einer Höhle und an einem kleinen Feuer kauerte eine junge Frau. Sie hatte genauso helles Haar wie Triel und trug ein abgerissenes braunes Lumpen. Das Licht des Feuers verlieh ihr ein merkwürdig zerbrechliches Aussehen. „Ah, du bist wach.“ Sagte sie, als sie sich umdrehte, bemerkte Triel die spitzen Ohren. Eine Elfe. Eine Oberflächenelfe. Eine Feindin ihres Volkes. Erschrocken tastete Triel nach ihren Schwertern. „Suchst du die?“ fragte die Elfe und hob Triels Waffengürtel an. „Keine Angst. Wenn ich dich töten wollte, hätte ich dich einfach von diesem Menschen abschlachten lassen können.“ Triel verstand nur Bahnhof. Ihre Hand glitt über den Verband an ihrer Seite und an ihrem Knie. „Aber.. der Wolf...?“ fragte sie zögerlich. „War ich.“ Sagte sie Elfe. „Ich hab dich verarztet, die Wunden dürften recht schnelle heilen.“ Triel hatte so viele Fragen, sie verstand gar nichts. Was war nur hier vorgefallen? Die Elfe lächelte zutraulich. „Ja. Ich hab dich gerettet. Ich bin etwas, was man Wolfkatzenelfe nennt.“ Erklärte sie. „ich wurde von einem Werwolf gebissen, als ich ein kleines Mädchen war.“ „Aber... sterben Elfen nicht, wenn sie von einem Werwolf gebissen werden?“ fragte Triel „Ja. Ich aber nicht. Irgendetwas hat die toxische Reaktion des Werwolfgifts mit meinem Blut verhindert. Stattdessen hat es mich verändert, stärker gemacht. Warum weiß ich nicht, hat was mit Genetik zu tun. Wolfkatzenelfen sind selten, nicht zuletzt, weil wir als Kannibalen gefürchtet und gejagt sind, Zu Unrecht, übrigens.“ Erzählte Die Elfe. Triel schwieg betreten. „Als mein Volk bemerkte, was aus mir geworden war, haben sie mich fortgejagt. Ich bin eine Ausgestoßene unter den Elfen aber eine Göttin unter den Wölfen.“ Sie lachte dreckig. „Schon Ironie des Schicksals, dass ich dich vor dieser abgekackten Stadt gefunden hab, was?“ Triel sah sie an. „Das tut mir wirklich leid. Aber warum hast du mich gerettet?“ wollte sie wissen. „Nun, ich habe gehört, wie du von diesen Menschen beschimpft wurdest. Du kannst nichts dafür, sie hätten dich getötet. Bloß dafür, was du bist. Das Gefühl kenne ich nur zu gut.“ Antwortete die Wolfkatzenelfe lächelnd. „Ich kenne doch noch nicht ein mal deinen Namen...“ wand Triel ein. „Eva.“ Antwortete die Elfe. „Aber sie nennen mich auf ‚Schneekönigin’ weil ich in Wolfgestalt weiß bin.“ Kapitel 2: Eva -------------- Eva flies away Dreams the world far away In this cruel children's game There's no friend to call her name Eva sails away Dreams the world far away The Good in her will be my sunflower field (Nightwish – Eva) Triel nickte langsam. „Aber eines muss ich wissen: Weißt du, was passiert ist? Ich meine... Ich dachte, nur meine Heimat ist von der Katastrophe betroffen, aber ich habe bisher nichts als Verwüstung gesehen.“ Wollte sie wissen. Eva schlug die Augen nieder. „Nein, ich weiß nicht, was das hervorgerufen hat. Aber jedes Land und jedes Volk ist davon betroffen. Mein Volk hat mich dafür verantwortlich gemacht, deswegen jagen sie mich wieder.“ Erklärte sie. Triel war auch nicht schlauer als zuvor. Ihr wurde klar, es würde keinen Ort geben, an dem Meera wieder gesund werden konnte. Und je weiter sie sich von ihrer Heimat entfernte, desto schlimmer sah die Landschaft aus, das hatte sie auch bemerkt. „Und die Wölfe? Sind sie genauso übel dran?“ fragte Triel weiter. „Besser als wir.“ Erwiderte Eva. „Aber auf jeden Fall ging es ihnen schon besser. Immerhin lebe ich bei ihnen.“ Triel sah an sich herunter und drückte vorsichtig auf den Verband an ihrer Seite. „Wie schlimm hat es mich erwischt?“ fragte sie. „Deine dritte Rippe von oben ist gebrochen und du hast einige Quetschungen. Die Kniesehne hab ich wieder zusammengeflickt, du dürftest bald wieder auf den Beinen sein. Ich gebe dir fünf Wochen, bis zu wieder kampffähig bist.“ Antwortete Eva und wischte sich eine helle Haarsträne aus dem Gesicht. „Fünf Wochen? So viel Zeit hab ich nicht. Gibt es keine anderen Weg?“ bat sie. „Doch, natürlich. Aber der könnte auch schief gehen.“ „Egal.“ Gab Triel zurück. „Lieber sterbe ich, als dass ich hier fünf Wochen untätig rumliege.“ Eva lachte. „Ich bewundere deinen Enthusiasmus, aber fünf Wochen mehr oder weniger reißen die Welt auch nicht in den Ruin. Du solltest dich ausruhen.“ Triel schüttelte energisch den Kopf. Mit jeder Minute wurde ihre Schwester schwächer, je eher die Gefahr gebannt war, desto eher würde Triel zu ihrer Familie zurückkehren und ihre Schwester heilen können. Wenn sie zeit vergeudete, wäre es vielleicht zu spät für Meera. Eva musterte Triel eine Weile. Es schien fast, als würde sie ihre Gedanken lesen. „Schön. Aber wundere dich nicht, wenn du Nachteile davon trägst.“ Sagte sie und legte eine Hand auf Triels Verband. Ein scharfer Schmerz durchfuhr sie, als ihre Rippe mit Gewalt wieder aneinandergefügt wurde. Eva runzelte konzentriert die Stirn und flickte Gewebe zusammen, verband gerissene Muskelstränge miteinander und heilte so die Verletzung vollständig. Merkwürdigerweise fühlte sich Triel immer noch, als wäre sie verwundet. „Du wirst kämpfen können. Aber ein Teil deiner magischen Energie wird dafür draufgehen, die Wunde zusammenzuhalten, und zwar bis sie natürlich verheilt ist. Ich beherrschte nur diese Heiltechnik, ich bin keine Heilerin. Anders geht es nicht, tut mir leid.“ Erklärte Eva. Triel schwieg betreten. Ihr Vater wäre stolz auf sie. Sie wusste, was Eva unausgesprochen ließ. Die Wunde würde sie beim Kampf nicht behindern, aber trotzdem würde sie die Schmerzen noch spüren müssen. Sie tat das für ihr Volk. Für ihre Familie. Sie musste durchhalten. „Wenn wir zusammenarbeiten, haben wir beide größere Chancen. In dieser Welt ist ein Leben nicht mehr viel wert, zu zweit sind wir stärker.“ Schlug Eva vor, als sie sich wieder dem Lagerfeuer zuwandte. „Gut.“ Meinte Triel und setzte sich auf. Eva war wieder bei ihr. Sie gab ihr eine Schüssel leicht ekelhaft anmutendes Gebräu in die Hand. „Iss. Du wirst deine Kraft brauchen.“ Sagte sie. „Wir werden morgen früh weiterziehen müssen. Das hier ist eine Drachenhöhle, und wenn der Bewohner merkt, dass er Untermieter hat, wird er sauer.“ Triel verschluckte sich an ihrer Suppe. „Hier lebt ein Drache?“ keuchte sie. „Momentan ist er auf der Jagd. Ich kenne seinen Tagesablauf, er wird vor morgen Nachmittag nicht wieder zurück sein.“ Beruhigte sie Eva. Triel erwiderte nichts, trotzdem fühlte sie sich unbehaglich. Sie war eine gute Kämpferin, schön, aber gegen einen ausgewachsenen Drachen würde sie nicht bestehen können, nicht einmal mit Evas Hilfe. Selbige verwandelte sich gerade wieder in den weißen Wolf und rollte sich zum Schlafen in einer Ecke ein. -- Triel wachte früh morgens auf. Die Morgensonne blendete sie. Sie würde wohl noch eine Weile brauchen, bis sie sich an die Helligkeit der Oberfläche gewöhnte. Am Höhleneingang stand Eva, in Wolfsgestalt und scharrte ungeduldig mit den Pfoten. „Ja, ja“ murrte Triel missgelaunt und suchte ihre Sachen zusammen. Kaum stand sie, lief Eva auch schon los, so schnell, dass Triel Mühe hatte, Schritt zu halten. Es war unfair, immerhin hatte sie ein Beinpaar weniger. Eva hetzte Triel den ganzen Vormittag durch die Botanik, ließ keine Pausen zu, es schien, als liefe sie vor etwas davon. Als ein gigantischer Drache über die Köpfe der Beiden hinwegschoss, verstand Triel warum. Die erste Pause gab es erst um drei Uhr nachmittags. Triel ließ sich erschöpft auf den Boden fallen. Als sie den Verband ablöste sah sie unversehrte Haut, so als würde dort nie eine blutige Wunde gewesen. Der Verband war inzwischen schwarzgeblutet und roch etwas streng. Triel wollte ihn wegwerfen, aber Eva hielt sie mit einem empörten Kläffen auf. „Hä?“ fragte sie und Eva verwandelte sich zurück. Sie nahm ihr den Verband ab. „Du kannst den doch nicht hier rumliegen lassen! Bist du verrückt? Da ist dein Blut dran, was glaubst du, was passieren kann, wenn das in die falschen Hände gerät? Du könntest getötet werden, ohne dass man dich berühren muss!“ schimpfte sie und ließ kleine Flammen aus ihren Fingerspitzen sprühen. Sie setzten den Verband in Brand und er verbrannte noch strenger riechend auf dem Boden. „Wie hast du das gemacht?“ fragte Triel überrascht. Normalerweise musste man einen Bannspruch sprechen, wenn man die Elemente beeinflussen wollte. Eva hatte es geschafft, Feuer heraufzubeschwören, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben. Sie lächelte geheimnisvoll. „Es gibt viele Dinge, die du noch von mir lernen kannst, Triel.“ Sagte sie. Triels Brauen zogen sich zusammen. Sie konnte sich nicht erinnern, ihren Namen in Evas Gegenwart auch nur einmal genannt zu haben! Eva lächelte immer noch. Triel nickte nur. Eva... Sie befürchtete, dass diese Wolfkatzenelfe noch einige Überraschungen für sie bereithielt. Aber sie bezweifelte auch, ob es klug war, diesem seltsamen Wesen blind zu vertrauen. Irgendetwas warnte sie vor Eva. Kapitel 3: Die Aquai -------------------- Kapitel 3 – die Aquai Triel beließ es dabei, vorerst. Sie würde Eva im Auge behalten, doch momentan war sie ihre einzige Chance. „Was jetzt?“ fragte sie, nachdem sie ihre Begleiterin eine Weile angestarrt hatte. Eva hatte ihre Blicke nicht bemerkt, da sie sich inzwischen der Bandage an ihrem Handgelenk zugewandt hatte. Erst, als Triel sie wieder angesprochen hatte, sah sie auf. „Wir suchen einen Ort, der sicher ist, oder?“ schlug sie vor. „Ich habe kein Ziel. Aber ich weiß, dass du eines hast, um einen Plan zu entwickeln, brauchst du eine Basis.“ Abermals konnte die Dunkelelfe nur nicken. Eva fuhr fort. „Ich habe Freunde, in einem Gebiet, nicht weit von hier. Bei ihnen könnten wir zumindest Proviant organisieren.“ „Können wir nicht bei ihnen bleiben?“ wollte Triel wissen. „Bedaure.“ Verneinte Eva. „Du wirst sehen, wieso.“ Dass Triel skeptisch die Brauen hochzog, bemerkte Eva schon nicht mehr, denn sie hatte sich umgedreht und war weitergegangen. Triel war ihr äußerst dankbar, dass sie diesmal von ihrer Wolfsgestalt absah, selbst wenn sie so schneller vorangekommen wäre. Dennoch rannten Beide. Eva schien absolut keine Ausdauerprobleme zu haben und wirkte beinahe genervt, wenn Triel keuchend um eine Pause bitten musste. Sie durchquerten das Waldgebiet und erreichten ein weitläufiges Gebirge, aus hellem Gestein, welches beinahe wie Marmor wirkte. Eva nannte diese Gegend „Kristallhöhe“ und begründete es simpel damit, dass Triel schon bald verstehen würde, was es damit auf sich hätte. In der Tat, nachdem sie die Bergwand erklommen hatten, unter anderem mit Hilfe von kräftigen Lianen, die von oben herabbaumelten, fand sich Triel in einem völlig anderem Terrain wieder. Der Gipfel der Kristallhöhe war tatsächlich aus purem, strahlendem Kristall, in Form einer Caldera von gigantischem Ausmaß. Das Gebiet war ein einziger, großer Berg. In der Mitte war ein großer See, dessen Wasser pechschwarz erschien. Um das Ufer herum nahm der Kristall eine bläuliche Färbung an, die von Türkis bis hin zu tiefstem Dunkelblau alle Schattierungen hatte. „Das hier war früher ein Vulkan.“ Erklärte Eva. „Die Magmakammer war an Industrieabfallkanäle der Menschen angeschlossen und diverse Chemikalien haben den Schlot, und das ganze Innenleben des Vulkans mit Kristall ausgekleidet.“ Triel stand mit halboffenem Mund an dem See und hatte fasziniert hineingestarrt. „Wieso ist das Wasser so dunkel?“ fragte sie. „Ist es gar nicht. Eigentlich ist es klar.“ Eva stellte sich zu ihr. „Der Kristall wird nur, je tiefer es hinuntergeht, immer dunkler. Deswegen sieht es so aus. Dieser Vulkan ist riesig. Eine ganze Stadt hätte darin Platz.“ Eva zwinkerte. „Was...?“ murmelte Triel. „Diese Freunde, die du erwähntest...“ „Genau.“ Bestätigte Eva. „Sie leben hier. Früher waren sie Menschen. Aber die Evolution hat sie an das Wasser... nun, sagen wir, angepasst.“ Sie trat auf Triel zu und beschwor eine Luftkugel um deren Kopf, tat dasselbe mit sich selbst. „Komm. Das Wasserdruck wird durch Magie ausgeglichen. Keine Scheu. Spring.“ Zögernd stand Triel am Rand des Sees, der wohl eine Pforte in das Reich von Wassermenschen war, als Eva ihr die Entscheidung abnahm und sie einfach hineinstieß. Sofort wurde sie von einem Strudel erfasst, der sie mit sich riss. Halb panisch, halb begeistert betrachtete sie beim Herabsinken den Kristall an den Wänden. Eva schoss blitzschnell an ihr vorbei. Sie war leichter und deshalb eher vom Strudel mitgerissen als Triel, besonders, da Letztere schwere Waffen trug. Die Strömung beruhigte sich wieder, als sich grünlich blaue Bauwerke aus der ungewissen Schwärze herausschälten. Sie waren filigran gebaut und beim Herangleiten stellte Triel fest, dass sie schwebten. Anmutige Gestalten, noch von der Dunkelheit verschleiert, schwebten auf sie zu, griffen sie leicht an den Armen und zogen sie kopfüber hinab. Eine der beiden Gestalten ließ eine Art Licht in ihrer Hand erscheinen. Es sah aus wie ein Irrlicht, war aber definitiv magisch. Nun erkannte Triel genauer, wer sie da begleitete. Es waren Wassermenschen. Links von sich sah sie eine feingliedrige, recht große – wenn auch Triel sie eher als „lang“ beschreiben mochte, denn in dieser unwirklichen Welt gab es keine Höhe. – Frau, zumindest glaubte Triel, dass das Geschöpf weiblich war, deren Körper vor dunkelgrünen und violetten schuppen bedeckt war, in Mustern angeordnet, leicht schimmernd, wie es bei Fischen oft der Fall war. Ihre Gesichtszüge waren ungewöhnlich, aber dennoch irgendwie schön. Zuerst einmal war das Wesen komplett haarlos. Das Gesicht wirkte scharf, hatte hohe Wangenknochen und war sehr schmal. Die Augen waren eher lidlose, silbrige Kugeln, die unter je einer schräg nach oben verlaufenden Knorpelleiste angeornet waren. Dort, wo die Nase hingehörte, besaß das Wesen nur eine leichte Erhebung mit zwei schmalen, senkrechten Schlitzen und ihr Mund was lippenlos, mit einer gespaltenen Zunge, die immer leicht zischelte. Triel glaubte, dass das Wesen so hörte. Es hatte nur kümmerliche Überreste von Ohren, die fast mit dem Kopf verwachsen waren – das Einzige, was sie noch als ehemalige Menschen auswies. An jeder Seite ihres Halses fanden sich drei gelippte Schlitze, Kiemen. Die waren auch an den Schulten und an der Taille des Wesens zu finden, sowie an den Knöcheln – oder das, was einmal ein Knöchel war. Es hatte Hände, allerdings fehlten die Fingernägel, stattdessen hatte es Schwimmhäute. Die Fingel waren zierlich, wirkten knochig und waren stets leicht gebogen. Ob das an der Anatomie lag, oder daran, dass sie schwamm, vermochte Triel nicht zu sagen. Es hatte keine Füße, sondern zwei kräftige Flossen, auf dem Rücken hatte es merkwürige Fäden, deren Spitzen schwach leuchteten und in der Strömung wogten. Beide Geschöpfe trugen zwei aus Algen gewebte Kleidungsstücke, um die Brust gewickelt, und an der Schulter zusammengehalten von einer knöchernen Spange, ein Tuch und kurze, mit Zickzackmuster versehende Hosen, in dunklen Blau- und Grüntönen gehalten. Das zweite Wesen war fast komplett silberweiß, nur hatte es am Rücken und im Gesicht türkisfarbene Muster, die sich, mit scharfen Linien und kleinen Abzweigungen, ihren Zügen anpassten. Triel war der festen Überzeugung, zwei Weibchen vor sich zu haben, sie schloss darauf, weil die Gesichter dies vermuten ließen. Eine Oberweite, wie andere Humanoide, hatten sie nicht. Wozu auch? Fische stillten ihre Kinder nicht. Die Hände der Wesen an Triels nackten Armen fühlten sich seltsam glatt und kühl an. Sie erinnerten an so glatte Steine, die durch ihre Glattheit beinahe weich wirkten. Nach einer Weile sah sie Eva wieder, die allein schwomm, nur grinsend zu ihr herüber blickte, und ihr den Daumen hoch zeigte. Die Wassermenschen geleiteten sie in einen schwebenen Pavillion und ließen sie los. „Wir sind die Aquai. Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Vertreter deiner Art uns besucht hat.“ Wurde sie begrüßt. Es wunderte sie, dass die Stimme dieses Wesens so weich klingen konnte, mit diesen scharfen Haifischzähnen und der gespaltenen Zunge. Durch die magische Luftkugel waren alle Geräusche etwas gedämpft, aber sie konnte gut hören. „Wir brauchen Hilfe, Zeal.“ Sagte Eva, deren Stimme auch recht gedämpft klang. „Die Obere Welt ist von dem Ende aller Zeit heimgesucht worden und wir brauchen Proviant und Ausrüstung.“ Die Aqaui, Zeal, nickte verstehend. „Gern, ich hoffe nur, du erhoffst dir keine Unterstützung in Kriegsdingen. Wir können das Wasser nicht verlassen.“ „Ich glaube, deine Freundin hier ist ein bisschen überwältigt.“ Entgegnete die andere, mit einer ähnlichen, doch leicht zischelnden Stimme, als sie bemerkte, dass Triel nicht wusste, wo sie zuerst hinsehen sollte – zu den beeindruckenden Bauwerken, den schwebenden Lichtern, dem Kristall oder den majestätisch durchs Wasser gleitenden Aquai? Ertappt schaute Triel zurück zu ihren Gastgebern, zu scheu, etwas zu erwidern, als die Aquai ein wohl nett gemeintes, aber extrem skurril anmutendes Lächeln tat und sie bei der Hand nahm. „Ich heiße Laei.“ Stellte sie sich vor. „Soll ich dich etwas herumführen, während Eva das alles hier regelt? Die Stadt ist sehr groß und sehenswert.“ Triel konnte nur nicken. Sie wollte am liebsten für immer hier bleiben und schwerelos in dieser surrealen Welt herumschweben. Kapitel 4: In die Tiefe ----------------------- Kapitel 4 – in die Tiefe Laei zog Triel einfach hinter sich her. Die Elfe brauchte sich nicht einmal bewegen, auch nicht, um anderen Aquai auszuweichen die an ihr vorbei schossen, teilweise aber auch innehielten, sie neugierig umrundeten und dann weiterschwommen. Endlich traute sich Triel, etwas zu sagen. „Was seid ihr für ein Volk?“ fragte sie und korrigierte sich hastig, als sie bemerkte, was sie gerade gesagt hatte. „Ich meine, ich würde gern mehr über euch erfahren.“ Laei schien zu schmunzeln. Mit ihrer Mimik konnte Triel wenig anfangen, da ihr Gesicht sich einfach zu sehr von den Standarts unterschied, die sie kannte. „Wir waren früher Menschen.“ Sagte Laei. „Aber ich weiß nichts über diese Ära. Meine Urahnen waren es, die von der Jahrtausendflut getroffen wurden und sich an ihre neuen Bedingungen anpassen mussten. Das geschah nicht rein biologisch, sondern magisch.“ „Magisch?“ Laei führte sie unter einer Art Brücke hindurch. Diese Stadt bestand aus etlichen Stockwerken, voller filigraner Bauwerke, denn sie war nicht auf Straßen angewiesen. „Ja. Magier haben mit Zaubern ihre eigene Genetik verändert, um überleben zu können. Nur diese genetisch veränderten Menschen überlebten und konnten sich fortpflanzen. So entstanden wir. Jeder dieser Magier veränderte sich nur minimal. Die Fähigkeit, unter Wasser zu atmen, hatten sie alle, natürlich. Aber zum Beispiel, die Haut vor dem Austrocknen zu schützen war nur eine geringe Priorotät, also gaben sich nur wenige ein Schuppenkleid. Aber dieses Merkmal war somit Teil des Genpools und beeinflusste uns, das Ergebnis dieser Modifikationen.“ Erklärte sie. „Was willst du noch wissen?“ Triels Blick fiel auf die Bauwerke. Das Material, aus dem sie bestanden, sah aus wie Stuck, aber das machte keinen Sinn. Wenn es Stuck wäre, würde es unter Wasser aufweichen. „Womit baut ihr?“ fragte sie. „Oh, das hier?“ Laei klopfte im Vorbeischwimmen an eine Hauswand. „Es ist eine Mixtur aus Fischknochen und Muscheln, beides zerstoßen und vermischt.“ „Augenblick.“ Sagte Triel so plötzlich, sodass Laei ihren Kopf zu ihr umwandte. „Das hier ist doch ein Vulkan, richtig? Wie, in Gottes Namen, seid ihr hier überhaupt reingekommen?“ „Auf dem selben Weg wie du.“ Laeis Mimik verriet, dass sie scherzte. „Nein, im Ernst. Nachdem die Flut vorüber war und das Land bewohnbar, gab es nur noch wenige von uns. Nur Magier, ein geringer Anteil unseres Volkes. Viele hatten sich immer weiter modifiziert, weil sie nicht vorausgeplant haben – sie dachten nicht daran, dass das Wasser irgendwann verschwindet. Wir waren Amphibien, aber hatten uns an das Wasser gewöhnt. Die meisten wollten nicht mehr an Land leben und waren glücklich, so wie sie waren. Sie hatten Glück, unsere Ahnen. Dass sie diesen Ort gefunden haben, meine ich.“ „Zeal meinte, ihr könnt diese Stadt nicht verlassen. Heißt das, ihr seid hier gefangen?“ fragte Triel ohne Umschweife weiter. „Gefangen ist vielleicht das falsche Wort. Es lebt sich ganz bequem hier. Ich kenne nichts anderes, und das will ich auch nicht. Der Kristall schützt die Stadt, und da wir wechselwarm sind, können wir nicht nach oben, ins kalte Wasser. Das Magma unter dem Boden hält uns warm. Das hier ist ein Biotop. Wir betreiben Landwirtschaft mit Algen. Unsere Nahrung und unsere Kleidung. Wir haben was wir brauchen, niemand stört uns, weil kaum jemand weiß, dass wir existieren. Keine Kriege, kein Handel, nichts. Die Außenwelt ist für uns fast ein Märchen. Das hier, das ist unsere kleine Welt, abgeschnitten von allem, sicher und geschützt. Warum sollten wir fortwollen?“ sinnierte Laei, als sie durch einen fein gearbeiteten Tunnel schwommen, durchlässig, mit einem wunderschönen Muster als Wand. „Kein Fernweh? Niemals?“ harkte Triel nach. „Nein. Wie gesagt, ich habe keine Vorstellung, wie es draußen aussieht, und ich will es auch gar nicht wissen. Ich bin glücklich, wie alle hier.“ Meinte Laei. „Wir haben vielleicht nicht viel an Wissen, aber wir wissen alles über dieses Gebiet, unsere Welt. Im Gegensatz zu euch Schuppenlosen verstehen wir unseren Lebensraum absolut. Ihr habt ein breit gefächertes Wissen, das allerdings oberflächlich ist. Ich frage mich, was besser ist.“ „Was ist mit Kunst? Musik? Kultur?“ „Sieh dich doch um! Jedes Bauwerk ist ein Kunstwerk hier. Unsere Architekten sind unsere Künstler und unsere Prominenten. Je detailreicher dein Haus, desto höher dein Ansehen. So ist das hier. Und unsere Mode besteht aus Algen und Muscheln, die eingearbeitet sind. Nun, ich bin ein schlechtes Beispiel, aber mir ist sowas auch nicht allzu wichtig. Ehrlich gesagt, ziemlich egal.“ Erklärte Laei. „Habt ihr eine Religion?“ fragte Triel. „Was ist eine Religion?“ Triel war überrascht. Dieses Volk hatte nichts, woran es glaubte? Schwer vorzustellen für Triel, die aus einem Volk mit vielen, verschiedenen Gottheiten stammte. „Nun,“ begann sie. „Man glaubt an eine Art höheres Wesen, das über alles wacht und das Volk schützt. Man betet und bringt opfer. Die Schöpfer, und alles. Sagt dir das was?“ „Wenn man es so sieht, sind wir unsere eigenen Götter, wir brauchen keine fiktiven Figuren, die wir anbeten. Sieh mal, Elfe, wir sind unsere eigenen Schöpfer, wachen über uns selbst und beschützen einander. Wir brauchen keine Götter. Wir glauben nicht, wir wissen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)