Schattenträume von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: suenyo-de-sombras ---------------------------- Die Fahrt dauerte knapp zwei Stunden, da Rions Eltern ein Haus auf den Bergen bauten, weit weg von der Stadt. Während der Fahrt machte ich mir einige Gedanken über die brüderliche Beziehung von Rion und seinem Zwillingsbruder. Ich konnte nicht ganz begreifen, weshalb er mir seinen Bruder nie vorgestellt hatte, obwohl ich ihn öfters mal in seiner Heimat besucht hatte. Nicht einmal seine Familie erwähnte ihn in meiner Gegenwart. Es gab hin und wieder merkwürdige Situationen bei dem „Familien“-Treffen von Rion, jedoch schenkte ich ihnen keine Beachtung. Wer würde schon daran denken, dass der eigene Sohn - oder sollte ich sagen - der Bruder, von der Familie „verstoßen“ wurde. Tief versunken in meiner Gedankenwelt bemerkte ich nicht einmal wie Rion seine Hand auf meine legte. Vor der Einfahrt hielt er den Wagen an. In seinen Augen konnte ich puren Hass gegenüber seinem Zwillingsbruder erkennen. „Du bist hier in Sicherheit. Riko geht die Regeln in unserer Familie. Einmal verstoßen, immer verstoßen“ sagte er mit einer ernsten Stimme. Ich öffnete meine Tür, stieg aus dem Auto aus und knallte die Tür wieder zu. Für einen kurzen Moment erwägte ich den Gedanken nachzufragen, weshalb sein Bruder verstoßen wurde. Aber ich hatte nicht den Mut wie auch den Willen dazu. Leise murmelte ich etwas vor mich hin: „so wie ich…“. Rion stieg ebenfalls aus dem Wagen aus. Er schloss ab. Er legte seine Hand auf meine Schulter. Wütend entgegnete er: „Ich möchte über das Thema nicht reden. Es ist schon schlimm genug was Riko mit dir gemacht hat und was er gemacht hätte, wenn du noch länger dort geblieben wärest. Zum Glück ist dir nichts passiert.“ Ich sah ihn verzweifelt an, konnte kein Wort dazu sagen. Die ganzen Geschehnisse ließen mich immer verrückter werden. Innerlich fragte ich mich, ob ich bereits dem Wahnsinn verfallen sei. „Rion… Ich….“ entwich aus meinem Mund. Ich war nicht bereit mit über zu reden über meine „Familie“, denn wer würde schon einem Straßenkind Glauben schenken? Ehrlich gesagt würde das Niemand tun. Rion blickte mich an: „Hast du etwas gesagt, Kahori?“. Um einem Gespräch aus dem Weg zu gehen schüttelte ich den Kopf. Er nahm seine Hand von meiner Schulter ab, nahm dann meine Hand und schenkte mir ein Lächeln: „Lass uns am besten erst rein gehen. Es war für uns alle ein sehr harter Tag. Das Beste was hilft, schlafen“. Er führte mich durch das Haus. Ich konnte wie bei den Treffen zuvor kein einziges Bild von seinem Zwillingsbruder sehen. Auf dem Familienfoto existierte er nicht. Seine Existenz wurde regelrecht ausgelöscht in der Familie. Plötzlich blieb Rion vor einem Zimmer stehen. Er ließ meine Hand los. „Ich bin dir etwas schuldig“ sagte er. Er öffnete die Tür. Ein kleines Zimmer mit Erinnerungen an Riko versteckte sich hinter der Tür. Gezielt ging er auf ein Foto zu. Ich musterte das Zimmer ab. Überall wo ich hinsah, waren Fotos von den beiden zusehen. Es war klar zu erkennen, dass die beiden eine Seele waren. Bevor er mir das Foto geben konnte, hörte ich etwas Merkwürdiges hinter mir. Das Geräusch konnte ich nicht genau einordnen. Auf einmal berührte mich etwas Kaltes an der Hand. Ich schrak auf. Eine mysteriöse Kraft versteckte sich in diesem Raum. „Rion… lass uns bitte von hier gehen“ waren meine letzten Worte, als ich das Zimmer raus stürmte vor Panik. Ich rannte gegen einen Schrank, fiel zu Boden, versuchte wieder aufzustehen. Jedoch war Rion schneller als ich. Er half mir wieder auf den Beinen. In meiner Panik bemerkte ich nicht, wie er mir hinterher rannte. Aus Angst fing ich an schrecklich zu zittern. Dieses kalte Gefühl weckte Erinnerungen an das leere Zimmer. Rion umarmte mich fest. Strich mit seiner Hand über meinen Kopf, um mich etwas zu beruhigen. Als ich ihm in die Augen sehen wollte, sah ich den Anwalt vor mir. Aus Schutz, stieß ich Rion mit aller Kraft weg. Der stoß war so kräftig, dass er meinetwegen gegen eine Wand knallte und mit seinem Kopf gegen das hängende Bücherregal kam. Ich konnte nur noch die Bücher herunterfallen sehen. In meinem Ohren hörte ich die Stimme vom Anwalt, wie sie zu mir sprach: „Und nun musst du mir verraten, wie du sie umgebracht hast.“ „Rion… ich… ich kann nicht mehr…“ entgegnete ich verzweifelt. Etwas war nicht in Ordnung mit mir. Ich hatte das Gefühl zwischen zwei Welten zu Leben. Jede Sekunde verschlimmerte die Verschmelzung zwischen den beiden Welten. Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun, jemanden ernsthaft zu verletzten. Er fasste sich an den Kopf. Stütze sich ab, lächelte mich kurz an. Wie immer strahlte er eine ruhige Art aus, nur um mich zu beruhigen. „Kahori, ich bring dich besser in dein Zimmer. Und morgenplanen wir dann weiter. In Ordnung?“ fragte er. Ich blickte zur Seite. Meine Antwort darauf war nur: „Was willst du planen? Dein Bruder hat mich schon einmal gefunden. Er wird es wieder können.“ Rasch packte er meine Hand, gab mir das Foto aus dem Zimmer mit den Worten: „schau es dir morgen an. Und sag mir was du darüber denkst. Aber als erstes bringe ich dich in dein Zimmer.“ Erneut führte er mich durch das Haus, diesmal in „mein Zimmer“. Eigentlich war es ein Gästezimmer. Die Familie jedoch sah mich schon fast wie ihre Tochter an, da ich kein Wort über meine Vergangenheit verloren hatte bei allen Treffen. Rion verließ das Zimmer. Ich legte mich auf das Bett und sah auf das Foto. Ich konnte darauf Riko erkennen, wie er stolz mit seiner Arbeit prallt. Im Hintergrund erkannte ich ein kleines Mädchen mit weißen langen Haaren. Sie war mit Kabeln an etwas angeschlossen. Sie schien tief und fest zu schlafen. Beim genaueren betrachten fiel mir auf, dass ich das Mädchen schon einmal gesehen hatte. Ich erkannte das Kleidchen wieder, wie auch ihre Frisur. Das Mädchen auf dem Foto war das kleine Kind aus dem Gerichtsaal, welches neben dem Mann mit dem Smartphone saß. Ich warf erneut einen Blick auf das Dokument, das Riko stolz gegen die Kamera hielt. „Projekt suenyo-de-sombras war ein voller Erfolg“ konnte ich mit Mühe ablesen. „suenyo-de-sombras …“ flüsterte ich leise nach. Ich musste mehr über dieses Projekt erfahren, weshalb ich heimlich mein Zimmer verließ. Mein Orientierungssinn war besonders geschärft wegen meiner Vergangenheit auf der Straße. Nicht umsonst war ich damals bei den anderen Gangs verhasst. Sie nannten mich unteranderem „der schwarze Tiger“, wegen meiner Kleidung und Ausstrahlung bei Nacht. Ich fand das Zimmer von Riko ohne Probleme wieder. Langsam öffnete ich die Tür und schloss sie sofort wieder. Ich holte tief Luft: „ok, Kahori… lass uns etwas mehr über Riko herausfinden“ flüsterte ich leise vor mich hin. Ich widmete mich daher sofort an den Schreibtisch. Plötzlich hörte ich leise Schritte aus dem Flur. Ich packte einen Ordner in meine Hand und war bereit das Zimmer wieder zu verlassen. Die Schritte wurden lauter und kamen näher. Es gab nur eine Fluchtmöglichkeit für mich, direkt durch die Tür. Wieder spürte ich etwas Kaltes an meiner Hand. Diesmal merkte ich, wie es mich in Richtung Wand führte. „Geh durch die Wand“ hörte ich eine Kinderstimme sagen. Mir blieb nichts anders übrig, als den Worten Glauben zu schenken. Ich konnte durch die Wand gegen. Auf der anderen Seite erkannte ich das Labor vom Foto wieder. Ich drehte mich rasch um, hinter mir war ein massiver Computer, der irgendwelche Werte ausspuckte. Aus der Ferne konnte ich einen jüngeren Riko mit dem Mädchen erkennen. Er führte sie an der Hand. „Du weißt noch wie das Spiel geht, nicht wahr?“ fragte er lächelnd nach. Das Mädchen nickte, ging zum Tisch und legte sich hin. Unzählige Kabel wurden an ihr befestigt und mit einem der Computer verbunden. Ich konnte nicht länger zusehen und musste einfach hin rennen. Diebeiden schienen meine Existenz nicht zu bemerken. Ich hörte nur noch die Kinderstimme sagen: „Es hat keinen Sinn. Du bist in meiner Vergangenheit. Sie werden dich nicht sehen, geschweige denn hören.“ Nachdem stand ich da, sah zu wie Riko sein Experiment an ihr fortsetzte. Das Mädchen lag regungslos auf dem Tisch. Von einem Kabel floss eine rötliche Flüssigkeit. Womöglich war es ihr Blut gewesen, welches analysiert wurde. Ein leises Seufzen kam vom ihr: „Onkel Riko… sind wir bald fertig?“ Er schien die Frage nicht gehört zu haben, da er weiter am Notizen schreiben war. Auf einmal verfärbte sich die Flüssigkeit in ein dunkles Lila. Daraufhin brach er das Experiment ab. Er schaltete alle Maschinen ab und befreite das Mädchen von den Kabeln. Er nahm sie fest in die Arme. „Wir haben es endlich geschafft!“ rief er laut in den Raum. Das Mädchen antwortete nur noch: „Onkel… ich kann nicht mehr. Ist es endlich vorbei?“. Er streichelte ihr über den Kopf: „Ja, es ist endlich vorbei“. Blitzartig löste das ganze Labor um mich herum. Erneut konnte ich einzelne Fragmente um mich herum sehen. Ich wollte eines der Fragmente anfassen. Als ich kurz darauf war eines zu berühren, befand ich mich wieder in meinem Zimmer im Haus von Rions Eltern. Ich blickte verwirrt um mich herum. Konnte nicht ganz fassen, dass ich wieder zurück war. Auf den Boden lagen die Unterlagen verstreut, welche ich aus dem Zimmer von Riko geklaut hatte. In meiner linken Hand hielt ich das Foto von Riko und dem Mädchen. Eines der Dokumente auf dem Boden erweckte meine Neugier. Ich bückte mich und nahm das Dokument in meine andere Hand. „suenyo-de-sombras“ stand auf der ersten Seite dick gedruckt drauf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)