Herbstregen von Neronia (Nichts ist für die Ewigkeit (ShikaxIno)) ================================================================================ Prolog: Wie es endete --------------------- Zahlreiche große Wassertropfen zerplatzten auf dem bunten Regenschirm – der scheinbar einzige Farbklecks in dem tristen Grau der Einkaufsstraße. Erbarmungslos prasselte der Regen auf die Erde, während der Rest der Zeit in diesem Moment stillzustehen schien. Nein... nein! Das ist nicht wahr! Die Einkaufstüten entglitten der Hand der jungen Floristin und sanken mit einem Platschen zu Boden. Die Lebensmittel fielen aus der Tüte auf den Asphalt, der mittlerweile eher einem Bach glich. Eine Flasche Mineralwasser rollte aus der Tüte und wurde von einem Fuß in hohen Lederstiefeln gestoppt. Und zu dem Paar dunkler Stiefel gehörte eine elend teure Handtasche und ein triumphierendes Grinsen in einem scheinbar perfekten Gesicht. „Ino-“ Das erstaunte Keuchen eines Mannes durchschnitt die Luft. Vor Ino Yamanaka stand Shikamaru Nara, ihr Lebensgefährte, mitten in der Innenstadt. An sich kein ungewöhnliches Bild, wenn sie wenigstens zusammen in die Stadt gegangen wären und an Shikamarus Seite nicht ihre ehemalige Freundin und Rivalin Temari gestanden hätte. Und auch das war an sich nicht das Problem, sondern, präziser gesagt, eher, dass sie nicht nur neben ihm stand, sondern sich an seinen Arm hängte und den Kopf dreist grinsend auf seine Schulter legte. „Ich glaube, sie ist sprachlos, Shika-lein.“ Ino war eingefroren, starrte die beiden an. „Du mieses, kleines Arschloch!“, platzte es dann plötzlich aus ihr heraus und im gleichen Moment erwachte scheinbar auch Shikamaru aus seiner Starre und riss sich von Temari los. „Ino, das- Es ist nicht so, wie es aussieht!“ Sich die Haare raufend trat er von Temari zurück, blickte sie vernichtend an. „Ach nein, ist es das nicht?“, wetterte Ino und schlug in ihrer Rage mit dem Schirm nach ihrem Freund. Shikamaru wich zurück. „H-hey, Ino, warte, das-“ „Halt einfach nur den Rand! Und du! Was soll das hier? Ich dachte, du wärst meine Freundin!“, keifte Ino nun Temari an, während Shikamaru ungläubig zwischen den Frauen hin und her blickte, als wäre er im falschen Film. Temari hob abwehrend die Hände und wich zurück. „Oh komm schon, wir sind seit der Oberstufe keine Freundinnen mehr, Ino! Erinnerst du dich nicht an unsere Wette, hm?“ Arrogant feixte Temari ihre Gegenüber an. „Du kleine-“ „Temari!“, fluchte Shikamaru und trat dazwischen, weil Ino kurz davor war, auf die Ältere loszugehen. „Hört auf!“ Dabei griff er Inos Arm. „Halt doch deine Fresse!“ Ino riss sich von dem Griff ihres Freundes los und brachte Abstand zwischen ihn und sich. „Ist Temari vielleicht dein Arbeitskollege, mit dem du dich heute treffen wolltest?“, keifte Ino ihn dann an. Entnervt knirschte Shikamaru mit den Zähnen. „Ich wollte-“ „I s t s i e d e i n A r b e i t s k o l l e g e?!“, wiederholte Ino hysterisch und festigte den Griff um den Schirm. „Nein, verdammt! Jetzt lass mich doch ein einziges Mal ausreden! Ich habe Temari zufällig getroffen und-“ „Zufällig! Klar doch! Shikamaru Nara, ich habe dir vertraut! Und du hast nichts Besseres zu tun, als dich hinter meinem Rücken mit Temari zu treffen?! Sag mal geht’s noch?“ Wie blöd bin ich eigentlich?! „Das ist wieder so typisch“, meinte Shikamaru kalt und plötzlich sehr viel ruhiger. „Du hörst mir nie zu!“ „Ich höre dir nie zu? Willst du mich verkohlen? Wer vergisst ständig, wenn ich ihm etwas gesagt habe?! Wer hört wem nie zu?“ „Ino, du bist hysterisch.“ „Du kannst mich mal! Steh wenigstens zu der Scheiße, die du baust!“ „Wovon redest du? Keine Ahnung, was Temari hier für eine Nummer abzieht, aber da ist nichts.“ „Du lügst auch, ohne rot zu werden! Ich hätte auf meine Mutter hören sollen!“ Temari, die das Streitgespräch mit genervtem Gesichtsausdruck zunächst stumm betrachtet hatte, mischte sich nun ein: „Ey, komm, Ino, das war-“ „Quatsch du mich ja nicht wieder so blöd von der Seite an!“, fauchte Ino und unterbrach sie damit. „Dummerweise hast du auf deinen Vater gehört und bist deshalb mit mir zusammen. Tut mir wahnsinnig Leid. Echt, das ist mir zu blöd“, knirschte Shikamaru gestresst und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das war wohl die beschissenste Idee, die er je hatte!“ „Dann geh doch!“ Nun war es Temari, die etwas überfordert eingriff. „Hey, beruhigt euch mal. Ich wollte dir lediglich einen Denkzettel verpassen, weil du damals einfach ohne was zu sagen abgehauen bist, Ino. Als ob zwischen uns was laufen würde. Ich bitte dich.“ Die Floristin, die gerade den nächsten Konter aussprechen wollte, stockte plötzlich. Sie schielte zu Temari und glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. „...Du-“ Ihre Gedanken überschlugen sich, bis es ihr zu viel wurde und sie ihrem Lebensgefährten den Schirm entgegenfeuerte, sich herumdrehte und schnellen Schrittes von ihm und ihrer ehemaligen besten Freundin entfernte. „Ino!!“, brüllte Temari und machte Anstalten, ihr nachzulaufen, aber Shikamaru hielt sie zurück. „Vergiss es! Sie rennt immer weg, wenn sie merkt, dass sie mal wieder überreagiert hat.“ „Seit wann ist sie so...?“ Und obwohl der prasselnde Regen ihre Ohren betäubte, kamen Shikamarus Worte bei ihr an. Sie hatte gehofft, er würde ihr nachlaufen, sie zurückhalten, doch nichts. Er ließ sie einfach ziehen, schon wieder. Wie immer, wenn sie sich gestritten hatten. Er war nie derjenige, der versuchte, es zu klären, nie! Es war ihm wohl zu nervig. Sie war ihm zu nervig! Zur Hölle, wieso hatte er ihr dann diesen gottverdammten Heiratsantrag gemacht? Binnen weniger Sekunden war Ino klatschnass und der dunkle Mantel klebte an ihrem Körper, ebenso wie ihr Rock. Ihre Haare pappten strähnenweise in ihrem Gesicht und mit zitternden, schlanken Fingern strich sie sie hinters Ohr. Sogar die Einkaufstüten hatte sie einfach liegen lassen! Mit Tränen in den Augen blickte sie auf den Ring an ihrer Hand, schloss dann die Finger, wobei sich ihre Nägel in die Handfläche bohrten. Wann war das alles so aus den Fugen geraten? Ständig waren sie am Streiten! Sogar zu der Beerdigung ihres Vaters war Shikamaru zu spät und unabhängig von ihr erschienen, weil sie sich am Vortag wieder gestritten hatten. Er war im Haushalt so stinkfaul, dass es sie regelmäßig auf die Palme brachte! Ständig war er genervt von ihr. Wieso zur Hölle waren sie dann verlobt, wenn ihn sowieso alles stresste? Hatte ihr Vater so lange an ihm herumgequatscht, bis er nachgegeben und ihr den verdammten Antrag gemacht hatte? Ino hatte einen dicken Klos im Hals. Wenn sie an ihren Vater dachte, wurde ihr übel und schwindelig. Papa... Wieder kamen Bilder in ihrem Kopf auf, die sie seit einigen Monaten zu verdrängen suchte. Es war ein Regentag wie dieser gewesen, als Ino ihren Vater zur Arbeit fahren wollte, weil sein Auto in der Werkstatt stand. Sie waren zu spät dran, weil Ino im Bad einmal wieder zu lange gebraucht hatte, weshalb sie viel zu schnell gefahren war. Immer wieder hatte ihr Vater sie gebeten, langsamer zu fahren, dass es nicht so schlimm sei, wenn er zu spät erscheinen würde. Doch sie hatte nicht hören wollen und schlug jede Warnung in den Wind, bis es zu einem regelrechten Streit gekommen war. Sie war sauer, fühlte sich ungerecht behandelt und sagte noch, dass sie Auto fahren könne und es ihr Problem sei, wenn sie geblitzt werden würde... Doch was dann geschah, hatte sie nicht vorausgesehen. Ino sprang ein Reh vors Auto und sie verriss das Lenkrad. Der Wagen verlor die Bodenhaftung und knallte mit der Beifahrerseite in die Leitplanke. Wie durch ein Wunder kam Ino halbwegs glimpflich davon, ihr Vater allerdings starb noch am Unfallort. Bei der Erinnerung brannten Tränen in Inos Augen, flossen dann über ihre regennassen Wangen. Seitdem hatte Ino sich selbst irgendwo verloren. Ihre frühere, so unbeschwerte Art war dabei auf der Strecke geblieben und zurück geblieben war eine Wunde, die sich nicht schließen wollte. Es war ihre Schuld gewesen, egal, wie sehr ihre Freunde und auch ihre Mutter sie zu beruhigen versuchten. Ino war sich sicher, dass ihre Mutter sehr wohl wusste, dass es ihre Schuld gewesen war, egal, was sie sagte... Und wenn sie, so weh es auch tat, nun darüber nachdachte, hatten damit auch ihre Probleme mit Shikamaru angefangen. Die vorherige Hochzeitsplanung wurde vertagt und war seitdem nicht mehr zur Sprache gekommen. Stattdessen hatte Shikamaru täglich mit Inos Schuldgefühlen und Zusammenbrüchen zu kämpfen. Sie verfiel in Depressionen, die sie verleugnete und nicht behandeln lassen wollte. Und das solange, bis sie vollkommen zusammenbrach und Shikamaru vor einigen Wochen den Notarzt rufen musste. Drei Tage war sie im Krankenhaus gewesen, bis sie wieder nach Hause durfte. Shikamaru war mit der Situation vollkommen überfordert gewesen. Und seitdem... stritten sie am laufenden Band wegen den unwichtigsten Dingen. Mit verweinten Augen erreichte Ino das trockene Parkhaus und eilte zu ihrem Wagen, spürte dabei die fragenden Blicke anderer Menschen auf sich. Wie schrecklich musste sie aussehen mit der verlaufenen Schminke und den völlig durchnässten Klamotten? Ino zwang sich, den neugierigen Blicken möglichst schnell zu entgehen und zog den Autoschlüssel schon aus ihrer Jackentasche, bevor sie den Wagen erreicht hatte. Hektisch stieg sie ein und lehnte dann den Kopf nach hinten gegen die Lehne. Wenn er nach Hause kam, musste sie mit Shikamaru sprechen, noch einmal in Ruhe. Sie hatte sich nicht gerade fair verhalten und er hatte Recht zu sagen, dass sie immer weglief, wie sie sich nun eingestehen musste... Am Abend saß Ino in ihrer Wohnung im ersten Stockwerk eines größeren Mehrfamilienhauses am Fenster und starrte nach draußen, die Stirn gegen die kühle Glasscheibe gelehnt. Mit jedem Atemzug hinterließ sie Spuren auf der Fensterscheibe. Unter ihr lag eine ruhigere Straße. Der Regen hatte nicht nachgelassen, war eher noch stärker geworden und draußen herrschte Land unter. Eine der Straßenlaternen flackerte und tauchte die Straße in ein unheimliches Licht. Die Kerze auf dem Esstisch war niedergebrannt und erlosch, ließ Dunkelheit zurück. Das Essen war mittlerweile wohl kalt... Auch egal, sie hatte es sowieso versalzen. Eigentlich hatte Ino damit gerechnet, dass Shikamaru wie montags üblich zu einer festen Zeit nach Hause kommen würde. Normalerweise arbeitete er morgens, traf sich mittags zum Shogi-Spielen und war nachmittags dann in der Uni. Aber wie konnte sie erwarten, dass er nach alledem einfach heimkäme, als wäre nichts geschehen? Und dennoch. Selbst, wenn er sie nicht belogen hatte und Temari ihr wirklich nur eins auswischen wollte – was sie sich, so gesehen, auch ganz gut vorstellen konnte – blieb er ihr immer noch die Erklärung schuldig, was er in der Stadt getan hatte. Über Inos Arme zog sich eine Gänsehaut. Sie fror. War das Heizöl schon wieder alle oder wieso war ihr so kalt? Sich die Arme reibend, stand sie von ihrem Stuhl beim Fenster auf und löste den Handtuchturban von ihrem Kopf, ehe sie ins Badezimmer schlurfte und begann, sich die Haare zu föhnen. Vor einiger Zeit wäre sie vor ihrem eigenen Spiegelbild erschrocken, wenn es so ausgesehen hätte, wie in diesem Moment. Ihre Wangen waren ungewohnt eingefallen, ihre Haut blass und ihre Schlüsselbeine stachen hervor. Sie hatte keine Essstörung, eher ein Appetitproblem in letzter Zeit, dennoch wunderte es sie nicht, dass ihre Mutter sie vor zwei Wochen so wahnsinnig geschockt angeblickt hatte, nachdem sie sie längere Zeit nicht gesehen hatte. Während Ino ihre Haare föhnte, hörte sie das dumpfe Klingeln ihres Handys. Den Föhn ausschaltend, ging sie in den Flur, wo ihr Handy lag. „Eine neue Nachricht.“ Die Nachricht öffnend, erkannte sie, dass sie von Shikamaru war. Sie überfliegend weitete Ino die Augen. Das ist jetzt nicht sein Ernst! Verzweifelt ließ sie das Handy auf die Kommode sinken und rutschte an der Wand hinab auf den Boden, vergrub das Gesicht in den Händen. Ihr Leben entglitt ihr vollends, wenn sie nun auch noch Shikamaru verlor! Was dachte er sich dabei, jetzt mit Temari und Choji essen zu gehen? Der SMS nach zu urteilen, hatten die beiden ihn zwar eher dazu gezwungen, aber dennoch. War er so sauer auf sie, dass er nicht nach Hause kommen wollte und sich einfach so überreden ließ? Er war doch sonst ein so sturer Bock, wenn sie etwas von ihm wollte... und eine Spaßbremse sowieso. Und nun das? Aufgelöst und in ihrer Verzweiflung griff Ino nach dem Telefon und wählte die Nummer ihrer besten Freundin, Sakura. Die Beine an den Körper ziehend und sich über die Stirn reibend, hoffte sie, dass Sakura zu Hause war. „Haruno?“ „Sakura, ich bin's...“, flüsterte Ino mit gebrochener Stimme und der kurze Moment der Stille sagte Ino, dass Sakura sofort merkte, dass etwas nicht stimmte. Mal wieder. „Mittelschwere Katastrophe?“ „Eher schwere“, murmelte die Blonde und fing an, ihrer Freundin von ihrer Begegnung in der Stadt und ihrem Ausbruch zu erzählen. „Ich verstehe einfach nicht, wieso Temari das macht! Sie ist vielleicht manchmal etwas fies gewesen, aber das ist hinterhältig!“ Am anderen Ende der Leitung hörte Ino ein Seufzen. „Vielleicht hättest du dich mal bei ihr melden sollen. Shikamaru und du sind so schnell in die Nähe deiner Eltern umgezogen nach dem Abschluss... immerhin wart ihr doch befreundet.“ „Sakura! Temari war hochgradig eifersüchtig auf mich und hat mir Shikamaru nie gegönnt!“ „Ihr hättet diese bescheuerte Wette nicht machen sollen!“, tadelte Sakura ihre beste Freundin. „Moment! Da wusste ich auch noch nicht, wie sehr ich mich in Shikamaru verlieben würde!“, platzte es aus Ino heraus. „Damit hätte er für Temari tabu sein müssen, egal, was wir gewettet haben.“ Sakura seufzte. „Und du hast gesagt, Shikamaru hat zugestimmt nach der Uni noch mit Choji und Temari was essen zu gehen? Und das nach d e r Aktion?“, fragte Sakura ernst und irgendwie ungläubig. „Mhmh, anscheinend ist er sauerer auf mich, als auf sie“, knirschte Ino gereizt. „Das ist doch ein Witz! Was hätte ich denn sonst denken sollen bei der Aktion eben!?“ „Manchmal schadet es nicht, zuzuhören, Ino-Pig“, stichelte die Rosahaarige am anderen Ende der Leitung. „Danke für deine Hilfe!“, fauchte Ino und spannte sich an. Wenn das so weiter ging, rastete sie noch aus... „Nein, Ino, das meine ich ernst. Vielleicht braucht er etwas Ablenkung und Ruhe, auch wenn es ungewöhnlich für ihn ist, aber irgendwann ist es auch für den Nara zu viel. Du bist ein absolutes Nervenbündel seit dem Unfall.“ Daraufhin schwieg Ino. Sie war so sauer, dass ihr erneut Tränen in die Augen stiegen. Sakura hatte Recht und sie wusste es. Ein Schluchzen entwich ihr und in sich zusammengesackt, versuchte sie einen klaren Gedanken zu fassen, was jetzt zu tun sei. „Ino, weinst du? ...Ich komme rüber.“ „Nein“, entwich es Ino hektisch. „Nein, lass nur.“ Sich ein Lächeln aufzwingend, schnaubte sie. „Kein Kerl ist es wert, dafür verheult auszusehen, richtig?“ Sakura wirkte erleichtert. „Richtig.“ Und einige Worte später legte Ino auf, unter dem Vorwand, müde zu sein. Ja, sie war müde. Aber sie war noch mehr am Ende mit den Nerven, sah selbst nicht mehr, ob sie übertrieb oder allen Grund dazu hatte, so zu reagieren, wie sie es tat. Nicht mal mehr den Ansporn aufbringen könnend, sich die noch feuchten Haare trocken zu föhnen, steckte sie im Badezimmer den Föhn aus, schnappte sich dann eine Wolldecke und legte sich aufs Sofa. Den Fernseher einschaltend und willkürlich durchzappend, schlief sie irgendwann recht unruhig ein. Draußen stürmte es und Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheibe des Wohnzimmers. Rastlos und wirres Zeug träumend wälzte sich Ino auf dem Sofa herum. Im Schloss der Wohnungstüre drehte sich ein Schlüssel. Fast lautlos betrat Shikamaru die Wohnung und schloss die Türe genauso leise wieder. Schon im Flur, als er die Schuhe auszog, erkannte er im fahlen Lichte des Mondes, dass Ino auf der Couch eingeschlafen war. Und er brauchte auch nicht viel näher heran zu treten, um zu bemerken, wie unruhig sie schlief. Leise und mit neutralem Gesichtsausdruck ging er ins Wohnzimmer, erkannte dann aus dem Augenwinkel den gedeckten Tisch und seufzte, kratzte sich am Hinterkopf. „Oh Mann.“ Was war bloß aus ihnen geworden? Etwas melancholisch dachte er daran zurück, als Ino ihm gestanden hatte, dass sie in ihn verliebt war. Damals war er gleichermaßen überfordert, wie auch glücklich gewesen. Und trotzdem. Er hatte ihr diese eine Sache damals nicht gestehen können und nun? War es nun zu spät, die Wahrheit zu sagen? Aber wie konnte er Ino heiraten, wenn er ihr nicht einmal ohne Gewissensbisse in die Augen blicken konnte? Niedergeschlagen setzte er sich an die Seite seiner Verlobten und legte eine Hand auf ihren Arm. Sofort wurde sie sehr viel ruhiger und allmählich wachte sie auf und öffnete langsam die Augen. „Shika, wieso-“ Allerdings stoppte sie, als er ihr einen Finger auf die Lippen legte und fast schüchtern den Kopf schüttelte. Sein Blick fiel aus dem Fenster in die regnerische Nacht, ehe er langsam aus dem Augenwinkel in die fragenden Augen Inos blickte. When I look into your eyes I can see a love restrained But darling when I hold you, don't you know I feel the same? Nothing lasts forever and we both know hearts can change And it's hard to hold a candle in the cold November rain Mit traurigem Blick beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie sanft auf die Lippen. Mit dem Daumen strich er über ihre Wange. In dem Moment vergaß Ino ihre Wut und glaubte, ihm alles verzeihen zu können. Eine Hand in seinen Nacken legend, erwiderte sie den Kuss. Ihr Herz schmerzte und sie wusste, dass es für sie keinen anderen Mann mehr geben konnte. Entweder ihn oder keinen... Shikamaru vertiefte den Kuss, zog Ino zu sich und drückte sie an sich, ehe er aufstand, mit den Armen unter ihren Rücken und die Kniekehlen griff und sie hochhob. Wenige Augenblicke später fand sie sich unter ihm auf ihrer Betthälfte wieder und schaute ihn mit verklärtem Blick fragend an. Doch er ließ es nicht zu, dass sie nachfragte, verschloss ihre Lippen direkt wieder mit seinen und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, sich mit den Unterarmen neben ihr abstützend. Ino konnte nicht verstehen, was in ihn gefahren war und wieso sie das protestlos mit sich geschehen ließ, aber ihr Verlangen nach Liebe war in dem Moment wohl einfach größer als der Drang, sich zu streiten. Und dennoch rollten Tränen über ihre Wangen. Der salzige Geschmack ließ ihren Verlobten die Tränen wegküssen. Wieso tat er das? Er war eigentlich nie... so aktiv. Doch als er sich aufsetzte und mit dem Handrücken über ihre Wangen fuhr, flüsterte er: „Ich will dich nicht mehr weinen sehen“, und wirkte dabei weit hilfloser als einen Moment zuvor. Ino schluchzte kurz und musste dann aber dennoch lächeln, beugte sich nach vorne, um ihm das Haargummi aus den Haaren zu ziehen. Den Augenblick nutzte er, um, über ihr hockend, ihren Rücken mit dem Arm zu stützen und ihren Hals zu küssen, ehe er sie langsam wieder auf die Matratze bettete und fast unerträglich zärtlich mit den Händen unter ihr Shirt strich. Nach unten rutschend, schob er den störenden Stoff nach oben und berührte mit den Lippen ihren freiliegenden Bauch. Einen Arm über die Augen legend, genoss Ino die Liebkosungen, aber wohl wissend, dass es ihm nicht entgangen sein konnte, wie sehr sie abgenommen hatte. Mit den Fingerspitzen fuhr er, mit deutlich traurigem Gesichtsausdruck über ihren Rippenbogen, bevor er erneut nach oben rutschte und sich von ihr sein T-Shirt ausziehen ließ, das Ino achtlos auf den Boden sinken ließ... We've been through this such a long long time just trying to kill the pain Lovers always come and lovers always go and no one's really sure Of letting go today walking away We could take the time to lay it on the line I could rest my head Just knowing that you were mine, all mine Eine ganze Weile später wurde der zuvor mit Keuchen und Stöhnen erfüllte Raum, still. Ino lag in Shikamarus Arm und starrte an die Wand, konzentrierte sich auf seinen noch leicht beschleunigten Herzschlag. Jeder der beiden hing seinen eigenen Gedanken nach und sie schwiegen sich an. War es das, was man Versöhnungssex nannte? Wieso hatte sich ihre Brust dann so schmerzhaft zusammengezogen, als hätten sie erneut gestritten? Langsam blickte Ino zu ihm auf und traf seinen ungewohnt schmerzerfüllten Blick. Nun konnte sie nicht mehr anders, als das Schweigen zu brechen oder ihre Zweifel würden sie zerfressen. „Was hast du?“, fragte sie stimmlos. „Ich liebe dich, Ino.“ Ein Flüstern, doch Shikamarus konnte ihr dabei nicht in die Augen sehen. Es versetzte ihr einen Stich und langsam setzte sie sich auf. „Es gibt ein 'aber', oder? Spuck's aus“, entwich es ihr kälter als gewollt und sie spürte einen ungewollten Zorn auf ihn in sich aufsteigen. Zuerst antwortete Shikamaru nicht, wählte seine Worte mit Bedacht. „Shikamarau Nara, red mit mir, bevor ich explodiere!“ Draußen blitzte es und im nächsten Augenblick folgte der Donner. Zögernd setzte Shikamaru sich auf und schloss die Augen, legte einen Unterarm über sein angewinkeltes Bein. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, Ino. Für mich hat das alles keinen Sinn mehr. Wir sind nur am Streiten und ich kann dir einfach nicht gerecht werden.“ In seiner Stimme lag ein Schmerz, wie ihn Ino noch nie bei Shikamaru erlebt hatte. „Ich kann die Geister, die dich verfolgen, nicht vertreiben, so sehr ich es versuche. Das Loch, dass der Autounfall hinterlassen hat, kann ich einfach nicht füllen.“ Ihm entwich ein ironisches Glucksen. „Sehr literarisch... Hör zu-“ „Shikamaru... ohne dich-“ Inos flehende Stimme zitterte und brach... „Lass mich bitte ausreden, nur dieses eine Mal. Ich habe als dein Verlobter kläglich versagt, verstehst du das? Hast du mal in den Spiegel geschaut? Du bist blass, wie eine gekälkte Wand und stetig am Abnehmen. Ich sehe seit Monaten zu, wie du an deinen Depressionen zugrunde gehst und kann dir einfach nicht helfen.“ „Shikamaru, bitte, ohne dich schaffe ich das nicht!“, flehte Ino nun panisch und suchte seinen Blick, griff nach seiner Hand. „Nein, Ino. Mit mir schaffst du das nicht. Wir drehen uns im Kreis, es hat keinen Zweck mehr.“ „Ich hole mir Hilfe, bitte-“ Inos Stimme brach bei jeder Silbe mehr und sie konnte die erneut aufsteigenden Tränen nicht mehr unterdrücken. Fast, als wäre es ihr letzter Strohhalm, klammerte sie sich an Shikamarus Arm. Zwar ließ er es geschehen, schaute aber nur kurz zu ihren bebenden Händen. „Ich werde dir dabei helfen... Aber ich löse die Verlobung auf. Mir ist heute klar geworden, dass du jemand Besseren verdient hast, als mich.“ „Was, wieso? Shikamaru, ich will aber keinen anderen!“ Ino wurde allmählich ungehalten, wenn nicht sogar cholerisch. Sie zitterte am ganzen Körper und ihr Herz hämmerte so stark, dass es zu bersten drohte. Was sollte das alles auf einmal? „Ich sage nicht umsonst, dass ich dich nicht verdient habe. Ich habe dir die ganzen Jahre über etwas verschwiegen.“ Das erste Mal, dass Shikamaru in einer solchen Situation in ihre Augen blickte. Seine waren halb geschlossen und ihnen lag eine unerträgliche Hilflosigkeit, Ausgebranntheit. Doch machte das die Situation nicht besser, denn langsam aber sicher wurde Ino klar, dass sie nichts mehr schönreden konnte. Die Beziehung war am Ende und Shikamaru so entschlossen, wie sie ihn selten erlebt hatte. Inos Hals schnürte sich zu und ziemlich schnell versiegten die Tränen und wurden durch einen todernsten Blick ersetzt. „Was?“ Ihre Stimme zerschnitt die Luft und sie presste die Zähne zusammen. Vorsichtig löste Shikamaru Inos Hand von seinem Handgelenk, ehe er aufstand und sich durch die offenen Haare fuhr. Resignierend verzog er den Mund. „Kurz bevor wir zusammen gekommen sind, habe ich mit Temari geschlafen.“ Sein Tonfall war leise und beschämt, dennoch legten die Worte bei Ino ein Schalter um. „Du hast w a s?!“ Aufgebracht sprang sie auf. „Erzähl keinen Müll! Das hätte sie mir auf die Nase gebunden!“ Ein erneuter Blitz erhellten den Raum, es donnerte. Dicke Regentropfen hämmerten auf das Dach und gegen die Fensterscheibe. „Hätte sie, wenn ich ihr nicht gesagt hätte, dass sie es nicht tun soll. Ich wollte nicht, dass sie es dir erzählt. Weil... ach Mensch, weil ich dich da schon geliebt habe!“ Sauer auf sich selbst wich er Inos vorwurfsvollem Blick aus und schaute zu Boden. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Das kann nicht dein Ernst sein! Und dann gehst du heute einfach so mit ihr essen, als wäre nichts gewesen... kommst dann nach Hause und hast nichts Besseres zu tun, als mit mir zu schlafen?!“, brüllte sie ihn an. Shikamaru ließ die Vorwürfe über sich ergehen, wohl wissend, dass es sein eigener Fehler gewesen war. „Temari wollte damit den Streit wiedergutmachen, den sie heute ausgelöst hat. Es tut mir Leid“, murmelte er, atmete dann aber tief durch. Dann begann er, seine Kleidung zusammenzusammeln. Er hatte ihr nicht alle Gründe genannt, wieso er nun diesen Schritt tat, aber die, die sie am ehesten würde verstehen können. Ino schaute ihm fassungslos zu. „Es tut dir Leid?!“, schrie sie ihn in einem Ausbruch von Tränen an. „Du scheinst mich ja sehr dringend loswerden zu wollen!“ „Das ist es nicht!“ „Ach nein? Du kannst mir mal den Buckel runterrutschen!“ Hektisch zog sie sich an, während ihr Kopf zu platzen drohte. Zu viel, viel zu viel... Shikamaru überließ sie ihrem Wutanfall und verließ das Schlafzimmer. „Du brauchst dein Zeug gar nicht zu packen! I c h gehe!“, brüllte Ino ihm hinterher und keine zwanzig Minuten später warf sie ihre Reisetasche auf den Beifahrersitz ihres Wagens, stieg ein und fuhr los. Wer brauchte schon diesen Scheißkerl?! Don't you think that you need somebody? Don't you think that you need someone? Everybody needs somebody You're not the only one, you're not the only one Ziellos fuhr sie durch die nassen Straßen der Stadt, das Radio mit ihrer Lieblings-CD voll aufgedreht. Doch dieses Mal waren die Lieder nicht einfach gefühlvoll und entspannend, sondern zogen sie nur noch weiter runter, brachten die Tränen zurück. Ihre Hände klammerten sich fester um das Lenkrad und Inos ganzer Körper begann zu zittern. „Nothing lasts forever and we both know, hearts can change“, sang sie leise mit, bis ihre Stimme versagte und aus dem Singen ein verzweifeltes Schreien wurde. Sie fuhr aus der Innenstadt raus in einsamere Wohngebiete. Unermüdlich tropften Tränen auf ihre Hose, bis ihre Sicht so verschwommen war, dass sie am Straßenrand hielt und, das Lenkrad noch immer umklammert, die Stirn gegen das Lenkrad lehnte. Schluchzend schrie sie in sich hinein. Sie hätte es nie so weit kommen lassen dürfen! Wieso war sie so blöd gewesen? Er hatte mit Temari geschlafen, vor ihrer Zeit, na und? Zum Teufel mit ihrem Stolz! Doch Ino wusste, dass das letzte Wort gesprochen war. Shikamaru würde sie nie im Affekt verlassen, das war nicht seine Art. Das hieß, er musste schon länger darüber nachgedacht haben. Und sie hatte es einfach nicht gesehen. Erbarmungslos wie ihre Tränen, prasselten die Regentropfen auf das Wagendach und die Windschutzscheibe, übertönten fast die Musik, die Ino nur noch lauter drehte. Immer wieder wurde der Himmel von hellen Blitzen und Donnergrollen heimgesucht. Dann aber, während das Lied umsprang und es kurz ruhiger im Auto wurde, hörte Ino das Klingeln ihres Handys, das sie achtlos auf die Beifahrerseite geworfen hatte. Die Fingerknochen zeichneten sich allmählich weiß unter ihrer Haut ab und langsam löste sie die um das Lenkrad verkrampften Hände und griff nach dem Handy. Fröstelnd und schlotternd atmete sie aus und blickte auf den Bildschirm. Sakura. Allerdings gelang es ihr nicht, abzuheben und ein Beben durchfuhr ihren Körper, als der nächste Anflug von Verzweiflung aus ihr herausbrach. Das Handy fest in den Händen, vergoss sie erneut salzige Tränen auf ihre Jogginghose und zog, leicht wippend, die Sweatjacke fester um ihre Schultern. Die Handbremse anziehend und den Gang raus nehmend, kauerte sie sich auf ihrem Sitz zusammen und schaute wimmernd auf ihr Mobiltelefon. 5 Entgangene Anrufe. Vier SMS. Kraft- und mutlos öffnete sie die Nachrichten. 'Ino, Shikamaru hat mich angerufen! Das tut mir so leid! Wo bist du? Sakura.' 'Verdammt, antworte mir! Ich mache mir Sorgen!' 'Ino, bitte... Melde dich! Er ist es nicht wert!' 'BITTE geh ans Handy!' Die Anrufe durchklickend, erkannte Ino, dass sie ebenfalls von Sakura kamen. Für wen hielt Shikamaru sie, dass er direkt Sakura aus dem Bett holte? Es war nun nicht so, als würde sie deshalb gegen den nächsten Baum fahren. So weit käme es noch, dass sie wegen einem solchen Idioten ihr Leben wegwarf! Oder zumindest war das es, was sie sich einredete. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, würde sie am liebsten wirklich gegen den nächsten Baum fahren. Was für einen Sinn machte ihr Leben noch, wenn Shikamaru sie verließ? Müde starrte sie auf ihr Handy, ehe sie nach mehrmaligem über die Tasten fahren und nachdenken eine Nummer wählte. Allerdings nicht Sakuras, sondern Chojis. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich am anderen Ende der Leitung etwas tat, in der Ino das Radio ausschaltete. Der Motor lief immer noch, aber anders wäre sie in ihrem nicht gerade intelligent gewählten Hausanzug wahrscheinlich erfroren. „Ino?“, fragte Choji sofort alarmiert. Und alleine seine besorgte Stimme zu hören, ließ Ino auf dem Sitz zusammensacken. Mit der freien Hand das Lenkrad umklammert, bis die Sehnen und Knochen weiß hervortraten, lehnte sie den Kopf dagegen und schluchzte. „Was ist passiert?“ Choji, der am Anfang noch etwas verschlafen geklungen hatte, war nun hellwach und sie hörte, wie er scheinbar aufstand. Sie wollte etwas sagen, doch ihre Stimme versagte. Zittrig einatmend flüsterte sie tonlos: „Er hat mich verlassen. Er hat einfach Schluss gemacht...“ Dabei brach ihre Stimme mehrfach und es war ein Wunder, dass Choji sie überhaupt verstand. Einen kurzen Augenblick herrschte schweigen, in denen Choji die Worte wohl erst einmal sacken lassen musste: „Shikamaru hat mir dir-?“ Er stockte, dann wandte sich sein besorgter Ton und wurde todernst. „Bei dir ist es so laut... Wo bist du, Ino?“ Wimmernd schlug sie den Kopf gegen das Lenkrad. „Im Auto irgendwo in einem Wohngebiet.“ „Wo genau?“, fragte er sofort und Ino hörte, dass er hektisch irgendetwas räumte, wobei sie vermutete, dass er sich an- bzw. umzog. „Keine Ahnung!“, schluchzte sie fertig mit den Nerven. Ino wusste selbst gerade nicht, was sie von Choji wollte. Das Geraschel in der Leitung stoppte. „Ino...“, ertönte die hilflose Stimme ihres Freundes. „Ich... ich fahre jetzt zum Friedhof“, beschloss sie leise. Sie musste zum Grab ihres Vaters. Was sie nun ritt, gerade jetzt und bei dem Unwetter zum Friedhof zu fahren, wusste der Teufel, aber irgendwie hoffte sie, dort Trost zu finden. „Ich komme dorthin. Fahr bitte vorsichtig.“ Ino biss sich auf die Lippe und schloss die Augen, wobei erneute Tränen sich ihren Weg über ihre Wangen auf ihre Hose bahnten. „Okay...“ Mehr bekam sie nicht mehr raus, ehe sie auflegte. Sie wollte wissen, was beim Essen losgewesen war. Sie musste wissen, was Shikamaru dazu gebracht hatte, sie nun einfach zu verlassen. Choji musste es wissen. Choji war sein bester Freund und auch ihrer! Er musste einfach! Sakura schrieb sie eine knappe SMS, dass sie sich mit Choji treffen würde und fragte gleichzeitig, ob sie danach zu ihr kommen könne. Dabei klang die Nachricht gefasster, als sie wirklich war. Mit noch immer tränenden und schmerzenden Augen löste sie die Handbremse und legte den Gang ein, ehe sie den Wagen wendete und zurück in Richtung des Friedhofs fuhr. Zwanzig Minuten später hielt sie den Wagen vor der Ruhestätte und blickte nur kurz auf ihr Handy, das sich zwischendurch wieder gemeldet hatte. Sakura hatte ihr geantwortet, dass sie zu ihr kommen solle und dass sie sich Sorgen machte. Natürlich, was denn sonst? Mit leerem Blick ließ sie das Handy aus ihrer Hand auf den Beifahrersitz gleiten und stieg aus dem Wagen. Der Boden unter ihren Füßen war aufgeweicht und matschig und Wasser stand auf dem asphaltierten Weg, der zum Tor des Friedhofs führte. Das große metallene Tor wurde von einer verschnörkelten Inschrift geziert, die 'Wir sehen uns wieder', besagte. Toller Spruch, wenn Ino danach zumute gewesen wäre, hätte sie schon bei der Beerdigung darüber gelacht. Hätte sie ihren Schirm nicht wieder aufheben können, nachdem sie ihn Shikamaru am Mittag entgegenworfen hatte? Durch den Matsch stapfend, schlurfte sie zum Tor, die Arme vor der Brust verschränkt und frierend. Binnen Sekunden waren ihre Sweatjacke, ihr Shirt und Ihre Hose vollkommen durchnässt und klebten an ihrem Körper, wie die losen Haarsträhnen in ihrem Gesicht. Doch es interessierte Ino nicht. Das Tor öffnend, betrat sie den Friedhof und steuerte zielstrebig auf die Reihe zu, in der das Grab ihres Vaters sich befand. Und in ihrem Kopf bildeten sich tausend Vorwürfe. An ihn, an Shikamaru, an Temari, sogar an Choji, obwohl sie wusste, dass das nicht gerecht war. Wieso musste sie das durchmachen? Wie konnte man sein Leben nur so in den Sand setzen, wie sie es gerade tat? Der Regen prasselte unermüdlich und erbarmungslos auf die Erde und ihren zierlichen, durchnässten Körper und als sie beim Grab ankam, war ihr alles so egal geworden, dass sie sich verzweifelt davor auf die Knie sinken ließ. „Papa...“ Der Grabstein hatte die Form einer halb ausgerollten Schriftrolle und die geschwungenen Schriftzüge kennzeichneten ihn als den ihres Vaters. Auf dem Grab lagen frische Blumen. Erst am Vortag hatte sie neue eingepflanzt und die Schnittblumen mussten von ihrer Mutter kommen. Nelken, Friedhofsblumen... Mit der Hand fuhr Ino über den hellen Stein, in den das Grab eingebettet war, ehe sie ihre Hand verkrampfte und mit dem Oberkörper weinend daraufsackte. „Wieso musste auch dein Auto kaputt sein!“, schrie sie. „Wieso musstest du mich bitten, dich zur Arbeit zu fahren? Hätte nicht Mama fahren können? Wieso Papa? Wieso!“ Und in ihrem Ausbruch bemerkte sie die Schritte hinter sich erst, als jemand direkt hinter ihr stand. Sofort wurde sie etwas ruhiger und blickte halb hinter sich. Ino brauchte sich nicht komplett herumzudrehen, um zu wissen, wer hinter ihr stand. Einen Schirm über sie haltend, beugte Choji sich nach vorne. „Ino...“ Traurig strich er ihr die Haarsträhnen aus den Augen. „Du bist total durchnässt, du wirst dich erkälten.“ Deprimiert und die Tränen schluckend, blickte Ino zu den Blumen. „Sie lassen mich alle alleine“, entwich ihr deutlich melancholisch. Ihr Körper schüttelte sich und sie legte die Arme schützend um ihren Oberkörper. „Einfach so...“ Doch Choji antwortete nicht, stattdessen spürte Ino seine Hand an ihrem Arm. „Steh auf“, meinte er leise und zog sie hoch und drückte sie an sich. Hätte er sie nicht festgehalten, wäre sie wahrscheinlich einfach zusammengebrochen. Ihre Knie zitterten und gaben nach und überhaupt war sie das letzte Häufchen Elend. Sich an Chojis Jacke klammernd vergrub sie das Gesicht in seiner Schulter. „Wieso, Choji? Warum hat er Schluss gemacht?! Sag es mir!“ Ihr bester Freund jedoch schwieg zunächst und seufzte leise. „Shikamaru hat aufgegeben. Weißt du, er hat so sehr versucht dir zu helfen und trotzdem wurde es immer schlimmer. Außerdem...“ Choji stoppte, schien unsicher, wusste nicht, ob er weitersprechen sollte. „Temari. Er hat ein schlechtes Gewissen wegen damals, ja“, sagte Ino ironisch glucksend und unstetig. Choji blickte zu ihr hinab. „Er hat es dir erzählt?“ „Ja, hat er. Aber das ist doch kein Grund, mich zu verlassen. Ich bin seine Verlobte! Wenn er mich liebt, dann verlässt er mich nicht wegen eines schlechten Gewissens!“ „Tut mir leid Ino, mehr weiß ich auch nicht...“ Entschuldigend legte er auch den zweiten Arm um Inos Schultern, darauf bedacht, den Schirm immer noch über sie zu halten. „Ich hasse diesen Regen“, schluchzte Ino gegen seine Schulter. „Das... das macht mich immer so traurig und...“ Gequält schloss Choji die Augen und legte den Kopf gegen Inos. „Auch wenn es nicht so aussieht, alles wird wieder gut. Irgendwann hört es auch auf zu regnen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)