Schritte in der Dunkelheit von Night_Baroness ================================================================================ Kapitel 5: Raubkatzen auf der Pirsch ------------------------------------ Als Vermouth zurückkehrte, stellte sie überrascht fest, dass eine perplexe Stille eingetreten war. Die Ruhe vor dem Sturm. Wie Recht sie doch hatte. Schon einen Wimpernschlag später ging das große Gemurmel los. Was hatte das zu bedeuten? War er wirklich der Täter? Hatte der große Kogoro ihn so schnell überführt? Kogoro lachte. „Sie können sich nicht mehr herausreden, mein Freund. Sie haben Gift in sein Getränk gemischt und ihn umgelegt, nicht wahr?“ Der wohlbeleibte Amerikaner, der mit jedem Wort etwas blasser wurde, meldete sich nun entrüstet zu Wort. „Nein! Also wirklich…Herr Mori!“ Schweiß rann seine Stirn hinab und sammelte sich in der speckigen Falte unter seinem Kinn, welche dieses beinahe übergangslos mit seinem Oberkörper verband. „Das kann gar nicht sein. Sehen Sie, ich stelle jede Stunde volle Gläser dorthin.“ Er zeigte auf eine Bank, auf der penibel gleich volle Gläser fein säuberlich aufgereiht waren. „Jeder kann sich dort bedienen, ich habe also keinen Einfluss darauf, wer welches Glas nimmt. Wie hätte ich da gewährleisten können, dass niemand anderes vergiftet wird?“ Kogoro bewegte den Finger vor der glühend roten Nase des Amerikaners hin und her. „Nein, nein, ganz und gar nicht. Sie könnten ihm das Glas ja gebracht haben.“ Er lachte laut. „Sie sind überführt, geben Sie auf!“ „Aber ich habe doch gar kein Motiv, das ist absurd! Die anderen Mitglieder der Crew werden Ihnen bestätigen können, dass wir uns sehr gut verstanden haben, wir gingen sogar regelmäßig gemeinsam Golf spielen!“ Die Stimme des Mannes wurde erregter und überschlug sich fast, was Kogoro natürlich als Schuldgeständnis interpretierte. Conan war jedoch überzeugter denn je, dass er falsch lag. Zwar hatte er kurz zu hoffen gewagt, Kogoro würde richtig liegen, war aber schnell enttäuscht worden. Der Amerikaner war vielleicht die bequemste Lösung, mehr aber auch nicht. Wenn die Polizei endlich auftauchen würde, würde sich mit ziemlicher Sicherheit herausstellen, dass das Zyankali sich in dem Saft befunden hatte, davon war er überzeugt. Wenn nicht, so würde es am Glas zu finden sein, so glaubte er. Natürlich konnte es sein, dass er das Gift anders aufgenommen hatte, aber solange es keine Indizien dafür gab, musste man erst einmal von diesem Fall ausgehen. Die Frage war also, wie der Täter es geschafft hatte, zu gewährleisten, dass nur Katsuragi das Glas nehmen konnte und niemand sonst. Aber wie hatte er das geschafft? Das Einfachste wäre natürlich gewesen, wenn jemand es Katsuragi gebracht hätte, aber wer nur… Sein Blick wanderte automatisch zu Vermouth, die mit aufgesetzter Unschuldsmine etwas abseits stand und die Arme vor der Brust verschränkt hatte, als wollte sie sich von dem Horrorszenario, das sich bei 30 Grad im Schatten zugetragen hatte, abgrenzen. „Aber, so hören Sie doch!“ Langsam schien der Amerikaner, der sich inzwischen als Bill Peterson herausgestellt hatte, hysterisch zu werden. „Ich meine, na gut, gehen wir davon aus, jemand hätte ihm das Glas gebracht.“ Er räusperte sich kurz und röchelte leicht, um mehr Luft zu bekommen. Sein Kopf war inzwischen angeschwollen und bekam immer mehr Ähnlichkeit mit einer Tomate, die zu viel Sonne abbekommen hatte. „Katsuragi hatte eine Art Tick. Ich bin mir nicht sicher, ober man es überhaupt so nennen kann, aber er war sehr vorsichtig. Er holte sich sein Essen und sein Trinken stets selbst, hatte sein Haus mit vielen Alarmanlagen gesichert und ging nur selten außer Haus, wenn es schon dunkel draußen war. Man könnte ihn vielleicht für paranoid halten. Aber meinen Sie nicht auch, dass so jemand sich sein Glas nicht bringen lässt, sondern es lieber selbst aussucht?“ „Sie waren gute Freunde.“, gab Kogoro zurück, ohne mit der Wimper zu zucken. Peterson riss die Arme theatralisch nach oben, als flehte er zu einem stummen Gott. „Aber er hat mir nicht vertraut, er hat niemandem vertraut!“ Obwohl er nicht aufhörte nachzubohren, wusste Kogoro, dass er sich auf dem Holzweg befand. Auch wenn Peterson das nicht wusste, er war ebenfalls ein guter Freund von Katsuragi und er hatte es bemerkt. Katsuragi hatte sich verändert. Er war immer misstrauisch gewesen, was ja an sich nicht unbedingt etwas Schlechtes war. Was schlecht gewesen war, ja beinahe unheimlich, war seine Paranoia gewesen, die er mit der Zeit entwickelt hatte. Man hatte das Gefühl gehabt, sein ganzes Leben sei von einer Besessenheit, von einem Wahn verschluckt worden, den zu kontrollieren nicht mehr in seiner Macht gestanden hatte. Auf den ersten Blick hatte er vielleicht normal gewirkt, doch innerlich hatte es in ihm stets chaotisch ausgesehen. Ein unbändiger Hurrikane, der ihn in brodelnder Panik weiterjagte, unfähig zu rasten und seine Gedanken zu hinterfragen. Kogoro hatte ihn längst verloren geglaubt, als er ihn zu dem Filmdreh eingeladen hatte, um eine alte Freundschaft wieder aufleben zu lassen. Nun war er tot. Die Polizei kam mit Sirenen, Blaulicht und quietschenden Bremsen zum Stehen, die Ambulanz folgte zugleich. Augenblicklich wurde der Tatort abgesperrt und die Zeugen wurden zur Befragung zum Statistenzelt gebracht, da dort der meiste Platz war und die grausig glühende Hitze langsam aber sicher einem herannahendem Gewitter wich, das drohend seine Finger nach ihnen ausstreckte. Vermouth saß dort auf einer Bank, neben ihrer Managerin und den anderen Mitgliedern der Crew, während auf einer zweiten Bank ihre Gäste und die benötigten Statisten Platz gefunden hatten. Niemanden wunderte es, dass sie blass war und aussah, als würde sie fieberhaft überlegen. Dass sie dabei kaum an den Toten dachte, ahnte niemand. Vermouths tatsächliches Ziel war das, was der Tote mit ziemlicher Sicherheit bei sich getragen hatte, etwas, das der Grund sein musste, wieso er ermordet worden war. Sie hatte zwar keine Gelegenheit bekommen, es zu überprüfen, doch die Polizei bestätigte ihren Gedankengang wenig später mit der beiläufigen Erwähnung, er hätte nichts bei sich getragen. Der Mörder musste es also gestohlen haben. Aber was für ein Interesse besaß er daran? Wusste er was er besaß oder hatte er es rein zufällig mitgenommen, weil es nach etwas aussah, das versprach einen gewissen Wert zu haben? War er ein Profi oder ein Amateur? Ärgerlich kniff sie die Augen zusammen und verscheuchte eine Fliege, die sich auf ihrem Arm niedergelassen hatte und friedlich damit begann, sich zu putzen. Sie wusste, dass sie sich mit ihrem langen Warten in eine prekäre Lage gebracht hatte. Hätte ich nur früher zugeschlagen... Aber jetzt half alles Jammer nichts, sie musste es schaffen das Ding wieder an sich zu bringen, nur wie? Nachdem die Polizei bis auf weiteres nichts hatte feststellen können, waren die Zeugen entlassen. Allerdings waren sie dazu verpflichtet worden, zumindest bis zum nächsten Tag am Set zu bleiben, bis die Ermittlungen abgeschlossen werden konnten, da man sie lästigerweise aufgrund des Gewitters hatte unterbrechen müssen. Natürlich war es ein Ärgernis, jedoch störte es die meisten Mitglieder der Filmcrew nicht weiter, da sie alle noch unter Schock standen und sich müde und willenlos fühlten, fassungslos über das, was ihrem Kollegen angetan worden war. Sonst gab es selbstverständlich auch solche, die in ihrer melodramatischen Weltsicht gleich einen Serienkiller erwarteten, der am liebsten Filmcrews meuchelte und verschanzten sich voller Angst in ihren Zelten, allein mit dem Wissen, das sie sich durch das Lesen zahlreicher Krimis angesammelt hatten. Kogoro Mori gehörte zu keiner der beiden Sorten. Er schlenderte, eine Zigarette im Mund, über den regennassen Platz und dachte immer wieder alle Möglichkeiten durch, die sich ihm im Rahmen des Möglichen boten. Wie war sein Freund getötet worden? Wie von einem imaginären Seil gezogen, ging er zielstrebig in Richtung des verlassenen Tatortes. Vielleicht war es auch seine Intuition, die ihn leitete. Anscheinend war der Polizist, der dafür zuständig war, dass niemand den Tatort veränderte, gerade auf die Toilette gegangen. Neugierig beobachtete Mori die Stelle. Die Absperrung schien rein pro forma zu sein, immerhin war doch klar, wie der Mann ermordet worden war. Auf einmal blitzte etwas. Ungläubig blinzelte er. Doch. Nun war er sich sicher. Etwas hatte das Licht seiner Taschenlampe reflektiert. Vorsichtig bückte er sich und griff unter den Regiestuhl, der direkt neben der Stelle stand, an der Katsuragi zusammengebrochen war. Vollkommen verblüfft betrachtete er das, was er in der Hand hielt. Ein Microchip? Im nächsten Augenblick spürte er einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf und alles um ihn herum versank benommen in tiefer Schwärze. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)