Invisible Sin von F ================================================================================ Kapitel 1: Kaptel 1. -------------------- Der Anruf war mitten in der Nacht gekommen und hatte Daniels geregelte Leben auf den Kopf gestellt. Bereits zehn Stunden später hatte er im Flugzeug von London nach Tokyo gesessen und versucht zu verarbeiten, was seine Stiefmutter ihm am Telefon mitgeteilt hatte. Sein Vater war gestorben und obwohl Daniel nie einen besonders enges Verhältnis zu ihm gehabt hatte, war die Nachricht ein Schock gewesen. Am morgen hatte er bei seiner Arbeit in der Bank angerufen und sich Urlaub genommen, um dann den erstbesten Flug nach Japan zu nehmen. Während des Fluges hatte er sich so manche Gedanken darüber gemacht, dass es falsch gewesen war, ständig seinen Urlaub bei der Familie zu verschieben und zu verschieben und nun war es zu spät. Sein Vater war tot und Daniel hatte seine Chancen verpasst, die er sechs Jahre hatte nicht haben wollen. Nun würde er nur noch sein Grab sehen können. Solche und ähnliche Gedanken gingen Daniel durch den Kopf, als er vor dem Haus seiner Familie in der Nähe von Tokyo ausstieg. Der hohe Holzzaun verbarg das dahinterliegende Haus nicht vollständig, aber Daniel brauchte nur über die Schwelle zu treten, um von glücklichen und weniger glücklichen Momenten seiner Kindheit eingeholt zu werden. Es hatte eine Zeit gegeben, da war das Glück in diesen Mauern zu Haus gewesen, aber irgendwann hatte sich das geändert und Daniel hatte nie gewusst warum. Nun stand er vor der Haustür und wünschte, dass er nicht klopfen müsste, dass er nicht in diese bedrückte Stimmung würde eintreten müssen, die durch den Grund seines Besuchs, noch mehr wachsen würde. Dennoch zwang er sich auf die Türklingel zu drücken und nur wenige Augenblicke später wurde ihm auch schon geöffnet. Die Frau die Daniel öffnete war Mariko, die erste Frau seines Vaters und seine eine Stiefmutter. Daniel kam es vor, als hätte sie sich nicht verändert. Als wäre ihre angedeutete Schönheit und die weißen Strähnen in ihrem aufgesteckten Haar, schon immer da gewesen. Ihre höfliche Miene fiel für einen Moment auseinander, bevor sie die Arme nach Daniel ausstreckte und ihn ganz vorsichtig drückte. „Daniel, wie schön, dass du so schnell gekommen bist.“ Ihre Stimme klang rau und sehr leise. Daniel wusste, dass sie ihn nur deswegen umarmte, weil er in ihren Augen noch immer ein Ausländer war. In ihren Augen war es einerlei, dass sein Vater Japaner war, sie sah in ihm nur seine englische Mutter und das würde sich nie ändern. „Komm doch rein. Du musst müde von der Reise sein“, sprach sie weiter und Daniel war dankbar, dass sie das Reden übernahm, weil er nicht wusste, was er hätte sagen sollen. Aber was sagte man auch nach sechs Jahren der Abwesenheit, in welchen man den Kontakt zu der Familie nach und nach verloren hatte? Im Innern des Hauses hatte sich nichts verändert. Die Flure waren noch immer im dunklen Holz gehalten und die Luft war stets eine Spur kühler, als sie es draußen war. Daniel wurde ins Wohnzimmer geführt, wo er seine Reisetasche abstellte und sich kurz umsah. Es hatte sich nichts verändert. Die Einrichtung, welche sein Vater vor Jahren für seine zweite, ausländische Frau gekauft hatte, stand noch immer dort wohin sie gehörte. „Es hat sich fast nichts verändert“, sagte Daniel und warf einen Blick zu Mariko, die am Sofa stehen geblieben war und die Arme um sich geschlungen hatte. Sie sah klein und zerbrechlich aus, dass Daniel sich für einen Moment wunderte, wie sie es geschafft hatte, zwei spätere Ehefrauen seines Vaters zu überleben. „Dein Vater wollte nichts verändern. Er meinte, dass das Haus sich langsam an die Moderne gewöhnen sollte, die Draußen herrscht“, sagte Mariko mit der Überzeugung einer Frau, die sich den Wünschen ihres Mannes vollkommen unterwarf. Sie lächelte zurückhaltend und blickte sich um, als würde sie nicht wissen, wie sie das nächste sagen sollte, was ihre auf der Zunge lag. „Bitte setz dich doch, ich werde dir Tee holen. Kenko ist noch nicht zurück, aber er wird zum Abendessen sicherlich wieder da sein. Ich werde gleich anrufen und ihm bescheid sagen, dass du gekommen bist.“ Ihre Worte perlten wie Regentropfen von ihren Lippen, die sie kurz zusammenpresste, um dann den Raum zu verlassen. Daniel blieb alleine zurück und ließ sich aufs Sofa fallen. Er schloss die Augen und versuchte Herr über die Kopfschmerzen zu werden, welche ihn seit seiner Ankunft quälten. Nichts hatte sich in der Umgebung oder der Optik des Hauses verändert und dennoch spürte Daniel sehr genau, dass er nicht mehr hierher gehörte. Aber hatte er jemals hierher gehört? Er dachte an seine Kindheit, als er mit Kenko, seinem Stiefbruder und Marikos Sohn, durch den Garten getobt war. Ihr Vater hatte sie von seinem Arbeitszimmer manchmal beobachtet und stolz gewirkt, ungeachtet dessen, dass sein Zweitgeborener das Kind einer Ausländerin war. Daniel hatte nie nachvollziehen können warum sein Vater sich nach der Scheidung von Mariko, ausgerechnet eine blonde Engländerin zur Frau genommen hatte. Er kannte seine Mutter nur von Bildern, da sie bei seiner Geburt gestorben, und auf diesen hatte sie stets in die Kamera gelacht. Selbst bei Familienfotos hatte sie wie ein zu bunter Punkt, inmitten von schwarz-weißen Personen gewirkt. Sie hatte ein wenig wie ein Störfaktor gewirkt. Als er ein Geräusch von der Tür hörte, öffnete er den Blick und sah eine Dienerin vorbei huschen. Ein so großes Haus konnte unmöglich nur von einer einzigen Person in Ordnung gehalten werden und Daniel erinnerte sich, dass es noch zwei Dienerinnen gab und einen Gärtner, welcher sich um die ansehnliche Anlage, rund ums Haus kümmerte. Vielleicht hätte er sich den Garten genauer ansehen sollen, aber eigentlich war er viel zu müde dazu. Die Zeitverschiebung zerrte an seinen Kräften und am liebsten hätte er die Augen geschlossen, um etwas zu schlafen. Ob sein altes Zimmer für ihn hergerichtet worden war? Nach so vielen Jahren und abgesagten Besuchen, hätte er es Mariko nicht verübelt, wenn sie seine Sachen auf den Dachboden gebracht hätte. „Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat“, sagte Mariko als sie zurückkehre und sich vor dem Couchtisch hinkniete, um Daniel Tee einzuschenken. „Es gibt noch soviel zu tun und ständig rufen Leute an oder es werden Kondolenzschreiben abgegeben. Da bleibt nicht einmal Zeit in Ruhe Tee zu bereiten.“ Sie hob den Kopf und lächelte flüchtig, während sie Daniel seine Teetasse reichte. Das Lächeln erreichte ihre Augen nicht und war so höflich und nichtsagend, als wenn sie zwei Fremde wären. Erst nachdem sie auch sich selbst Tee eingeschenkt hatte, stand sie auf und setzte sich in einen der massigen Sessel, ohne jedoch die Tasse in ihren Händen zu beachten. Ihr Blick lag auf Daniel, der sich von ihren Augen regelrecht durchbohrt fühlte. „Schon in Ordnung. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist. Es ist ja ganz plötzlich gekommen, oder war Vater in der letzten Zeit schon krank?“ Daniel erkundigte sich all diese Dinge und merkte selbst, dass er nach und nach den Kontakt zu seiner Familie verloren hatte. Er hatte keine Ahnung davon, ob sein Vater krank gesundheitliche Problem gehabt hatte oder ob der Tod plötzlich gekommen war. Irgendwie war es ihm peinlich, doch als er sah wie Marikos Hände sich um ihre Teetasse schlossen, wusste er, dass etwas nicht stimmte. „Was ist passiert?“ fragte er angespannt und stellte seinen Tee zurück auf den niedrigen Tisch, bevor er sich vorlehnte und die Hände ineinander faltete. Er sah seiner Stiefmutter an, dass sie ihm etwas nicht gesagt hatte, etwas was er noch erfahren würde müssen. „Daniel“, begann sie mit brüchiger Stimme zu sprechen und mühte sich deutlich ab, den Blick von Daniels Gesicht nicht zu nehmen. „Der Tod deines Vaters war nicht natürlich.“ Sie sagte es so behutsam, als würde sie einem Kind erklären wollen, dass es nun wirklich ins Bett gehen müsste und das kein Bitten und Betteln mehr helfen würde. „Wie meinst du das?“ hörte sich Daniel neutral fragen, obwohl sein Herz in der Brust so heftig und schnell begonnen hatte zu schlagen, dass Daniel fürchtete, Mariko würde es hören. Doch seine Stiefmutter zögerte noch immer, seufzte dann und schlug die Augen nieder, als hätte der Tee in ihrer Tasse eine Antwort darauf, wie sie um eine weiter Erklärung kommen könnte. „Wie ist er gestorben“, forderte Daniel schneidend zu wissen und wunderte sich selbst über seine scharfe Stimme, obwohl seine Kehle sich bereits zuzuziehen begonnen hatte. Mariko sah ratlos zu ihm und schließlich öffneten sich ihre Lippen. „Dein Vater ist ermordet worden, Daniel. Er wurde mit einem Brieföffner erstochen. Vor Saruji.“ Ihre Worte trafen Daniel wie ein Blitzschlag und für einen Moment versuchte er ihre Worte in einen logischen Zusammenhang zu bringen, aber er konnte es nicht. Nichts auf der Welt hätte ihn dazu gebracht sich vorstellen zu können, wie sein jüngster Halbbruder, Saruji, ihren Vater mit einem Brieföffner erstach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)