Pieces of Memory von Night_Baroness (Gin x Vermouth) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- An dem Morgen, an dem er starb, hatte es geregnet. Obwohl sie schon beim Aufstehen ein schlechtes Gefühl gehabt hatte, hatte sie es nicht über sich gebracht zuhause zu bleiben. Es hätte sie nur unnötig verrückt gemacht. Stattdessen war sie genauso so, wie man es von ihr erwartete beim Filmset erschienen und hatte gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Während die schweren Tropfen gegen die Scheiben prasselten und dabei eine eigenwillige Melodie jenseits jeder Rhythmik erzeugten, hatte sie irgendeine unbedeutende Rolle gespielt. Während sie diese Rolle spielte, war er gestorben. Er war gegangen, ohne ein Wort, ein Tag, nachdem sie ihren Oscar bekommen hatte. Trotz dieser Ehre war sie nicht zuhause geblieben, hatte einfach weitergemacht, in ihrem müden Alltagstrott und einen bitteren Preis bezahlt. Später hatten die Ärzte Gift in seinem Blut nachgewiesen. Zyankali. Wie traurig, dass ausgerechnet ein Exzentriker wie er durch ein Gift sterben musste, dass in jedem dritten Krimi eine Rolle spielte. Sie hatte damals nicht geweint. Bedauert ja, aber getrauert hatte sie nie. Zu viele Fragen waren offen geblieben. Fragen nach Tagen, Monaten, sogar Jahren, in denen er fort gewesen war, nach Anrufen, nach Briefen, E-Mails, SMS, Waffen, schwarzen Anzügen und Koffern. Sie hatte nie eine Antwort erhalten. Zumindest nicht von ihm. Aber es gab ja andere Mittel und Wege, um an Informationen zu gelangen. Als einflussreiche Frau wusste sie das natürlich nur zu gut. Sie ließ die Nachrichten, die an ihren Mann gerichtet waren, zurückverfolgen, stahl seine Kontaktdaten, studierte Name für Name, in der Hoffnung eine Spur zu finden. Dass es letztendlich sogar ihre eigene Tochter sein würde, die sie auf die richtige Spur brachte, hätte sie nie gedacht. Aber jede Wahrheit setzte nun einmal Lügen voraus, Lügen, die die Menschen zweifeln lassen, die sie täuschen und ein Netz aus Halbwahrheiten bilden, in dem wir uns mehr und mehr verfangen. Ein scheinbar belangloses Detail hatte sie damals veranlasst, Chris zu folgen. Zu ihrem Glück, wie sich später herausstellen sollte. Ihr Weg führte sie bis nach Tokyo und schließlich sogar an den Ort, dem ihr Mann all die Jahre seine wahre Aufmerksamkeit und Liebe geschenkt hatte. „Warum bist du mir gefolgt?“ Chris Miene war kalt und versteinert gewesen, als sie sich umgedreht hatte. Natürlich hatte sie sich nicht täuschen lassen. Sie war immer aufmerksam gewesen und schlau, so schlau, dass sie es mitunter als beunruhigen empfunden hatte. „Ich wollte die Wahrheit über deinen Vater herausfinden.“ Antwortete sie schlicht. Sie war nicht hergekommen, um zu streiten. Sie lachte leise. „Die Wahrheit? Was weißt du schon von der Wahrheit? Denkst du nicht, ich weiß längst, dass du es warst?“ Sie zuckte zusammen. „Was meinst du?“ „Du bist nicht hier, um Klarheit über das Leben meines Vaters zu bekommen. Die hast du doch längst. Immerhin hast du all die Jahre brav für ihn gearbeitet und das nur, weil du die Vorstellung nicht ertragen konntest eines Tages deine Schönheit zu verlieren und wie eine welke Rose zu verblühen.“ Ja, so war es mit der Wahrheit. Wenn sie herauskam, tat sie weh. Deshalb war das Schweigen oft auch so viel angenehmer. „Das tut nichts zur Sache.“ Sie ging einen Schritt auf ihre Tochter zu. „Hör mir zu, Chris, egal was ich getan habe, ich will nicht, dass du in diese Sache mit hineingezogen wirst.“ Chris schnaubte verächtlich. „Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du meinen Vater vergiftet hast.“ Ein trockenes Lachen ohne jede Fröhlichkeit entwand sich ihrer Kehle. „Du warst es leid zu warten, nicht wahr? Weil du die ewige Schönheit nicht bekommen konntest, wolltest du niederträchtige Schlange sie mit deinem Gift erzwingen.“ Der Schock über die eben ausgesprochenen Worte legte sich wie ein schauriger Nebel über die beiden Frauen, die sich immer noch anstarrten wie zwei leblose Spiegelbilder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)