Pokédex-Einträge von Xanokah (Kurzgeschichten zu Pokédex-Einträgen) ================================================================================ Kapitel 27: #477 Zwirrfinst --------------------------- ZWIRRFINST Ich sah meinen leblosen Körper vor mir liegen. Meine Mutter, mein Vater, mein kleiner Bruder, sie alle saßen um das Bett herum und weinten bitterlich. Mein Körper lag behutsam auf einem in schneeweiß eingehüllten Bett, die Zimmerwände des Krankenhauses waren karg und leer. Blumen standen am Fensterbrett, die Vorhänge waren allerdings zugezogen. Der Raum spiegelte die traurige Stimmung wieder, die auch unter den Leuten herrschte, die dieses Zimmer betraten. Ich sah meinen leblosen Körper vor mir liegen, doch ich selbst - oder mein anderes ich - schwebte durch den Raum, frei von allen Sorgen, ungestört und gelöst. Ich schwebte durch die Wände, sah den Krankenschwestern und Ärzten bei der Arbeit zu, sah, wie Mütter ihren Kindern die Hand hielten und diese in den Operationssaal begleiteten. Ich schwebte durch ein Fenster, sah das große, graue Krankenhaus nun von außen. Die bedrückende Stille wurde nur ab und zu von den klirrenden Sirenen eines Krankenwagens unterbrochen oder von Patienten, die sich im Freien bei einem Spaziergang gedämpft unterhielten. Doch ich blieb nicht beim Krankenhaus, ich flog immer weiter und immer höher durch die Lüfte, erreichte meine Schule und winkte meinen Klassenkameraden zu, die gerade ihre Hände zu einem Gebet gefaltet hatten. Ich erreichte unser Haus und glitt durch die dünnen Holzwände in mein Zimmer, eine dicke Staubschicht bedeckte die Regale und es sah aus, als hätte schon lange niemand mehr den Raum betreten. Ein Wagen fuhr vor das Haus, heraus stieg ein in schwarz gekleidetes älteres Ehepaar, beide die Gesichter tief in Taschentücher versunken. "Großmutter, Großvater, warum weint ihr denn, ich bin doch hier?!", rief ich herab, als ich über die Köpfe der beiden schwebte. Aber sie schienen mich nicht zu hören. Ich flog immer weiter und immer weiter durch die Stadt, beobachtete das Treiben der Leute, bis es allmählich dunkler wurde und die Laternen ihr Licht entfachten. Ich versuchte, zurück zum Krankenhaus zu gelangen, doch plötzlich erkannte ich eine finster aussehende Gestalt unmittelbar vor mir. Ein großes, monströses Wesen war aufgetaucht und streckte seine Hand nach mir aus. Es schwebte ebenfalls in der Luft und ich war überglücklich, endlich jemanden getroffen zu haben, der mich sehen konnte. "Bist du so wie ich?", fragte ich das Wesen flüsternd. Ich musterte das Wesen genauer und bemerkte, dass es nur ein Auge hatte, welches mir unheimlich entgegen starrte. Es nickte als Antwort auf meine Frage und deutete auf seinen Bauch, wo sich ein fies drein blickendes Gesicht verbarg. Ich erschrak und wich zurück, die Kreatur mir gegenüber stieß dabei ein tiefes Lachen aus. Das Wesen drehte sich um und aus der bösen Miene wurde ein lächelndes Antlitz. Es warf mir einen Blick über die Schulter zu und deutete mit seiner Hand, dass ich ihm folgen solle. Wie hypnotisiert von dem freundlichen Gesicht schwebte ich dem Wesen hinterher, wie von Geisterhand gezogen bewegte sich mein Körper willenlos. Das Wesen erhöhte die Geschwindigkeit langsam, wurde immer schneller, die Lichter der Stadt verschwammen unter mir und aus meinen Augenwinkeln konnte ich nur noch erkennen, wie hunderte von Lichtern an uns vorbeizogen. Die Dunkelheit um uns herum wurde immer stärker, die Lichter wurden zu tausenden von Sternen, der Wind blies mir um die Ohren, doch ich spürte ihn nicht. Wir stiegen immer höher und höher, preschten durch die Wolken, doch mir war nicht kalt. Ich wusste nicht, wo mich das Wesen hinführte, doch in dem Moment war es mir egal, ich hörte die Stimmen meiner Familie, ihr Weinen, Klagegesang, doch ich sah nichts weiter, als die Unendlichkeit des Universums vor mir. Ich fühlte nichts und plötzlich war alles still. Das Wesen vor mir hielt an und drehte sich um, fesselte mich mit seinem starren Blick. Das eine Auge ließ nicht von mir ab und ich bemerkte auch wieder das finstere Gesicht auf seinem Bauch. Ehe ich mich versah, öffnete er den Mund dieses Gesichtes, ein gewaltiger Sog entstand, der alles um uns herum einsaugte. In der Luft fand ich keinen Halt mehr und ich bewegte mich langsam auf die Kreatur hinzu. Das letzte, was ich sah, war das rote Auge, welches mit unerlässlich anstarrte. Um mich herum war nichts. Doch es war warm. Pokédex-Einträge von Zwirrfinst: HeartGold/SoulSilver: "Es reist zwischen dem Dies- und dem Jenseits. Die Menschen fürchten es, da es verirrte Seelen aufsaugt." Schwarz/Weiß: "Man sagt, dass es verlorene Seelen in seinem biegsamen Körper nach Hause geleite." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)