Edelstein von Sakuma (Gilbert/Roderich) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Edelstein „Er schickte mich auf eine Odyssee über den schmalen Grad zwischen Himmel und Hölle. Segen oder Sünde, das wusste ich selbst nicht mehr.“ Ich hatte nie viel übrig für Musik und derartiges gesellschaftliches Amüsement. Trotz meiner Aversion gegen solche prunkvollen Anlässe, besuchte ich widerwillig die kostenspieligen Feste, die meine verehrte Mutter ausrichtete. Gesellschaftlich war unsere Familie sehr angesehen. Wohl aufgrund des hiesigen Erbes das mein Vater uns hinterlassen hat. Gott habe ihn wohl. Mir scheint es als würden seit seinem Tod noch mehr Menschen heranströmen um sich im Prunk dieser Anlässe zu sonnen. Kaum witterten diese Adligen zweiter oder dritter Klasse Geld kommen sie in Scharen heran geschwirrt wie die Moskitos. Wirklich widerlich. Ich seufzte und mir stahl sich ein schwaches Lächeln auf die Lippen. Das grazile läuten eines Glöckchens riss mich aus meinen Gedanken und verriet mir, dass es an der Zeit war in den Konzertsaal zurück zu kehren. Meine Mutter schwärmte schon seit Wochen von dem neuen Pianisten, den sie für diesen Anlass lud. Er war noch nicht sehr bekannt, wohl eher ein Geheimtipp. Ein junger Österreicher aus der Wiener Provinz, aber er schien jetzt schon bei den Frauen sehr beliebt zu sein. Ich lauschte den angeregten Tuscheleien der anwesenden Damen und er war wirklich in aller Munde. Man könnte meinen er würde mir den Rang ablaufen wollen, obwohl er nicht mal anwesend war. Es begann mich wirklich zu interessieren was das für ein Typ war. Also nahm ich in einer der vorderen Reihen platz. Die Lichter wurden langsam gedämpft, damit eine angenehme Atmosphäre entstand, während hingegen auf der Bühne einige Kandelaber entzündet wurden. Langsam und elegant schritt der brünette Pianist über das dunkle Parkett. Von seiner Grazilität und Eleganz konnte sich sogar manche Dame noch etwas abschauen, aber ich musste zugeben, man hatte nicht übertrieben. Er war wirklich eine wahre Schönheit. Die Haare leicht zurückgekämmt. Und die Augen leuchteten wie zwei Amethysten. Wahrlich eine Ironie, denn er trug den Namen Edelstein. Bekleidet war er mit einem braunen Frack und einer ebenso braunen Hose, die weiße Schleife an seinem Kragen verlieh dem Allen noch das gewisse Etwas. Ich hörte neben mir meinen kleinen Bruder Ludwig hart schlucken, bei diesem Anblick durchaus nicht verwunderlich. Ich musste leise lachen und stupste ihn leicht mit meinem Ellbogen an, worauf er mich erst ertappt und dann etwas verstört ansah. Als der junge Österreicher dem Piano die ersten Töne entlockte horchten wir auf und wandten uns wieder der Bühne zu. Meiner Kehle entglitt ein Seufzer und ich ließ mich tiefer in meinen Stuhl sinken, den grazilen Pianisten nicht aus den Augen lassend. Obwohl ich die klassische Musik an sich nicht wirklich genießen konnte, so nahm mich jedoch sein Spiel sofort in Beschlag. Er spielte sanft und romantisch, wie der junge Mozart selbst, dennoch passagenweise so energisch wie der cholerische alte Zausel Beethoven. Von Satz zu Satz wechselte die Stimmung. Mal sanft, mal aggressiv, dann auf einmal sehr traurig und betrübt wie Chopin zu spielen pflegte. Mir wurde mit einem Mal heiß und ich fragte mich wirklich ob das an der Präzision der Klänge lag, die mir in diesem Moment den Verstand vernebelten. Er schaute mich an. Nein. Er starrte mich förmlich an. Es war als ob mir die Musik eine Welt weit außerhalb des Realen eröffnete. Griechische Tempel, nackte Männer, die einander liebkosten und auf einmal die sengende Hitze der Hölle. Tod. Verzweiflung. Licht. Erlösung. Die Eindrücke fielen über mich herein wie die dunklen Wellen der See. Man hätte es auch eine wahre Reizüberflutung nennen können. Zu schnell war alles wieder vorbei gewesen. Zu schnell holte mich die Realität wieder ein und ließ die Mausern meiner Visionen zusammenbrechen und wusch die weg wie eine flüchtige Erinnerung. Der Verursacher dieses Schauspiels zwischen Himmel und Hölle verneigte sich dem applaudierendem Publikum und verschwand wieder hinter den scheren pur pur Vorhängen. Ich musste hier raus. Als Erster sprang ich auf um in den Salon zurück zu kehren. Dort angekommen ließ ich mir von einem Butler ein Glas Champagner reichen und nahm einen großen Schluck des prickelnden alkoholischen Getränks. Ich lehnte mich leicht an eine der blanken Marmorsäulen, die dem Saal einen französischen Touch verliehen, und atmete tief ein und wieder aus. „Gilbert, mon chére. Du wirkst blass…zumal du von Natur diese ungesunde Blässe hast, aber-„ „Francis“, ermahnte ich meinen Kindheitsfreund in einem genervten Ton und nippte ein weiteres Mal an meinem Glas. „Wieso so gereizt? Du brichst mir das Herz“, gab er überzogen zurück und ließ es sich nicht nehmen das mit einem theatralischen Seufzer zu unterstreichen. Francis Bonnefoy war ein junger Franzose, mitte zwanzig, adliger Abstammung, der sein Leben einzig und alleine der Liebe widmete, in welcher Form sie auch immer auftrat. Er war wohl das was man in unserer Gesellschaft als einen Sodomiten bezeichnen würde. Ganz gleich ob er auch Frauen zugetan war. Ich wusste von seinen ausgelassenen Festen, die überwiegend unter Ausschluss der Damenwelt stattfanden. Er war wirklich ein Paradebeispiel für Unzucht und Perversion, aber in gewisser Weise fand ich seinen Lebensstil sehr anziehend, da ich seit je her weniger dem „hübschen Geschlecht“ zugetan war. Nach dem Francis sich zu mir gesellt hatte folgten ihm weitere, die sich üblicherweise meiner Gesellschaft bemächtigten. Die meisten sind Männer mittleren Alters, Freunde meines verstorbenen Vaters, aber ich störte mich nicht an ihnen. Sie vertieften sich schnell wieder in ihre üblichen Gespräche über junge, hübsche Frauen, fragten mich zwischendrin ob ich ihrer Meinung sei, was ich mit einem Kopfnicken quittierte. Mein Verstand rotierte noch immer und es wurde nicht besser als ich eben jenen Brünetten entdeckte, der mich auf eine Odyssee über den schmalen Grad zwischen Himmel und Hölle schickte. Einer der Herren, die mich umgaben, winkte den Pianisten zu sich. Er schien ihn wohl persönlich zu kennen. „Meine Freunde! Ich möchte euch gerne einen Bekannten vorstellen“, verkündete er freudig und gestikulierte wild herum, wie er es immer zu tun pflegte. „Roderich Edelstein. Sehr erfreut“, stellte sich Angesprochener doch selbst vor und deutete eine leichte Verbeugung an. Dabei schaute er mich wieder sehr durchdringend an. „Ich hoffe den Herren hat mein bescheidenes Spiel gefallen“ Ich merkte sofort, dass das kein Akt heuchlerischen Erhaschens eines Lobes war, sondern er wirklich bodenständig war. „Ach seien Sie doch nicht so bescheiden. Die waren brillant“, ermahnte ihn der kleinere Herr und schaute erwartungsvoll in die Runde, worauf ihm alle beipflichteten. „Danke. Es lässt sich viel einfacher Spielen, wenn man weiß, dass man einen besonderen Zuhörer hat“, antwortete er und wandte sich zu mir, „Aber mein Lieber! Jeder im Saal hat Ihren besonderen Klängen Gehör geschenkt, besonders die Damen“, war die prompte Antwort des etwas schroffen Herren. Danach driftete das Gespräch wieder in Richtung Frauen und deren, pardon, wohlgeformten Schößen ab, „Darf ich auch Ihren Namen erfahren?“, fragte mich der junge P-, nein Roderich Edelstein, und legte dabei den Kopf etwas schief, was ihn doch sehr feminin wirken ließ. „Gilbert Beilschmidt“, gab ich trocken zurück. „Vielen Dank, dass Sie mir so aufmerksam zugehört haben“, bedankte er sich und ich war mir nun sicher, dass ich dieser besondere Zuhörer gewesen sein muss. Ich sagte ihm, dass mich sein perfektes Spiel wirklich gefesselt hatte. Er quittierte es mit einem Lachen und einem „Dachte ich es mir doch“ und konnte mir erschreckend genau das beschreiben, was die Klänge in meinem Verstand erschaffen hatten. Die Stunden vergingen und ich hatte mich dazu entschlossen in die Villa einzukehren. Er ließ es sich nicht ausreden und bestand darauf mich noch bis zur Kutsche zu begleiten. Draußen angekommen fuhr mir leicht die milde Abendbrise durch meine silbernen Haare. Ich setze gerade an um etwas zu sagen, als er sich mit einem Mal an meine Brust drängte. Verblüfft sah ich ihn an, nicht fähig etwas zu sagen. Ehe ich reagieren konnte fühlte ich seine weichen Lippen auf den meinen. Der Kuss war sehr zaghaft, aber ich hatte trotzdem den Eindruck mein Gegenüber ganz genau wusste was er wollte. So plötzlich wie er mich geküsst hatte, so schnell war es auch wieder vorbei. Er nestelte etwas an meinem Jabot rum und schaute mich wirklich verboten an. „ich hoffe Sie werden auch meine nächsten Konzerte besuchen, Herr Beilschmidt“, hauchte er, ließ von mir ab und verschwand wieder in dem hiesigen Gebäude. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)