Die Schönheit der Welt von Niekas ================================================================================ Kapitel 1: Die Schönheit der Welt --------------------------------- Seine Finger zitterten in seinem Schoß. Wütend ballte Arthur die Hände zu Fäusten und versuchte, klar zu denken. Er brauchte einen Plan. Er würde sich niemals aus dieser Lage befreien können, wenn ihm zu viele Dinge im Kopf herumgingen, an denen er ohnehin nichts ändern konnte. Mein Kopf tut weh. Das Blut läuft mir in die Augen. Ich bin nicht gefesselt, aber draußen vor dem Zelt stehen mehrere Dutzend bewaffnete Franzosen. Keine gute Idee, nach draußen zu gehen, um ein wenig Luft zu schnappen. Mein Bogen ist weg, mein Schwert auch. Und meine Finger zittern. Er zuckte leicht zusammen, als er hinter sich das Geräusch hörte, mit dem die schwere Zeltplane beiseite geschlagen wurde. Warum war er so schreckhaft? Er würde niemandem die Genugtuung gönnen, irgendein Zeichen von Schwäche bei ihm zu sehen. Ganz sicher nicht. „Arthur“, erklang Francis' Stimme hinter ihm. „Dass man dich mal wieder sieht.“ „Es heißt Arthur“, knurrte Arthur, die Zunge absichtlich sorgfältig an die Schneidezähne gelegt. „Mit th. Nicht wie Artür.“ „Haarspalterei“, erwiderte Francis überheblich, noch immer außerhalb von Arthurs Blickfeld. „Du weißt doch auch so, wer gemeint ist.“ Schwungvoll streifte er den Mantel ab, den er getragen hatte, und warf den schweren Stoff über die Armlehne des Stuhles, der dem von Arthur gegenüber stand. Ein hübscherer Stuhl als der, den sie ihm gegeben hatten, stellte Arthur fest, ohne eine Miene zu verziehen. Mit einem Seufzen ließ Francis sich darauf nieder, streckte die Beine aus und griff nach einer Flasche, die auf einem kleinen Tisch in Reichweite stand. „Wein?“, fragte er so höflich, dass es an eine Provokation grenzte. „Nein danke“, brachte Arthur zwischen den Zähnen hervor. „Oh, nun komm schon, Arthur. Nehmen wir uns doch ein wenig Zeit für die Schönheit der Welt. Ich weiß, dass du einen guten Wein ebenso zu schätzen weißt wie ich.“ „Es gibt keine Eigenart, in der ich mit dir verglichen werden möchte, Francis.“ Francis verdrehte die Augen. „François“, sagte er und fuhr sich gespielt verzweifelt durch die Haare. „Es heißt François! Komm schon. Dein Französisch ist nicht so schlecht, wie du es alle glauben machen willst.“ „Du weißt doch auch so, wer gemeint ist“, sagte Arthur, ohne mit der Wimper zu zucken. Seufzend griff Francis nach einem Becher auf dem Tisch und füllte ihn halb mit Wein. „Du bist ein hoffnungsloser Fall“, verkündete er Arthur und nahm einen kleinen Schluck. „Was hast du vor, Francis?“, fragte Arthur, bevor er sich daran hindern konnte. „In Hinsicht worauf?“ „In Hinsicht auf mich.“ „Ich hatte eigentlich vor, ein bisschen mit dir zu plaudern, bevor wir zum Geschäftlichen kommen.“ „Warum?“, knurrte Arthur und blinzelte. Er hatte etwas Rotes im Auge. Francis zog die Augenbrauen hoch. „Weil du aussiehst, als könntest du ein bisschen Entspannung gebrauchen, mon ami. Nun beruhige dich erst einmal. Deine Finger zittern ja.“ „Tun sie nicht.“ „Und dieser Schnitt da sieht nicht gut aus“, fuhr Francis fort und deutete mit dem Zeigefinger der Hand, in der er den Becher hielt, auf die blutende Wunde an Arthurs Schläfe. „Was hast du gemacht?“ „Gestolpert und mich gestoßen. Kein Grund zur Sorge.“ Francis schüttelte den Kopf, stellte wortlos das Weinglas ab und zog ein Taschentuch aus seiner Tasche. „Wisch das ab. Es sieht nicht schön aus.“ Arthur wandte das Gesicht ab und rührte sich nicht vom Fleck. Francis seufzte, stand auf und kam mit zwei Schritten zu ihm herüber. „Nimm es“, sagte er deutlich und ließ das Tuch in Arthurs Schoß fallen, bevor er sich wieder auf seinen Platz setzte und sich dem Weinbecher widmete. „Ich kann auf deine Beruhigungen verzichten“, sagte Arthur steif, ohne das Taschentuch anzurühren. „Sag mir lieber gleich, was auf mich zukommt.“ „Gerne“, antwortete Francis süffisant. „Reicht es dir, zu hören, wann die Hinrichtung stattfindet, oder legst du Wert auf all die blutigen Details?“ Das Rot vor seinen Augen wurde immer dichter. Arthur blinzelte hektisch. „Oh du meine Güte“, sagte Francis ungeduldig. „Verstehst du denn gar keinen Spaß? Tu mir einen Gefallen und wisch das Blut ab. Du siehst furchtbar aus.“ Wortlos griff Arthur nach dem Taschentuch und rieb über den breiten Streifen Blut, das aus der Wunde gelaufen waren. Ein Teil des Blutes hatte sich als rötlicher Film über sein Auge gelegt. Er würde sich nicht über die Augen wischen, das würde aussehen, als würde er weinen. Noch dazu, weil seine Finger noch immer zitterten. „Ich denke, deinem König wird einiges daran liegen, dich zurück zu bekommen“, erklärte Francis und betrachtete die Lichtreflexe in seinem Wein, die von den Fackeln am Zelteingang stammten. „Er wird ein hübsches Lösegeld zahlen, das mein König sich nicht wird entgehen lassen. Du weißt so gut wie ich, dass es letztendlich immer ums Geld geht. Also, wovor hast du solche Angst?“ „Ich habe keine Angst!“, fauchte Arthur ihn an und knüllte das Taschentuch in seiner Hand zusammen. Francis betrachtete ihn und rieb nachdenklich über seinen Bart. „Denkst du etwa, dein König wird dich nicht zurückhaben wollen? Wie hieß er noch gleich... Henry? Oh, natürlich, deine Könige heißen seit Generationen Henry. Ihnen fällt einfach nichts Neues ein, oder?“ Arthur starrte ihn finster an. „Also? Hast du dich mit ihm zerstritten, sodass er das Lösegeld nicht zahlen wird? Das würde zugegebenermaßen einige Probleme aufwerfen.“ „Der König und ich verstehen uns sehr gut“, knurrte Arthur. „Ach so? Was ist dann dein Problem?“, fragte Francis und schüttelte den Kopf. „Je nachdem, wie schnell die Situation sich wieder halbwegs beruhigt hat, wirst du bald wieder zu Hause sein. So lange wirst du es eben mit mir aushalten müssen, aber diese Zeit können wir uns sicher angenehm gestalten. Willst du jetzt Wein?“ „Nein.“ Francis seufzte und stellte sein Glas beiseite. „Ich weiß einfach nicht, was ich mit dir anstellen soll, Arthur.“ „Wirklich nicht?“, fragte Arthur. „Ich bekomme das Gefühl, du hättest da schon eine Idee, was ich tun könnte. Wahrscheinlich eine so barbarische, dass ich als Edelmann sie niemals in Betracht ziehen würde. Aber du traust mir einiges zu, nicht wahr?“ Arthur lachte grimmig auf, sagte aber nichts dazu. „Dir ist nicht zu helfen“, sagte Francis seufzend. „Ich habe nichts gegen dich persönlich, Arthur. Abgesehen davon, dass ich diesen sinnlosen und schon viel zu lange dauernden Krieg bald zu beenden gedenke.“ „Dann gedenke du mal“, erwiderte Arthur knapp. „Bisher hast du es ja hervorragend geschafft, dich gegen mich zu behaupten.“ „Die Zeiten ändern sich“, murmelte Francis mit einem nachsichtigen Lächeln. „Früher hattest du vielleicht deine Geheimwaffe, mit der du eine zahlenmäßig überlegene Armee einfach niedermetzeln konntest...“ „Du gibst also zu, dass ich das getan habe. Mehr als einmal sogar. Du wirst diesen Krieg niemals gewinnen, Francis.“ „...aber du hast dich zu sehr auf deinen Lorbeeren ausgeruht“, fuhr Francis unbeirrt fort. „Ich habe auch eine Geheimwaffe entwickelt.“ „Ach ja? Und da du eitel bist und die Bedeutung des Wortes Geheimwaffe nicht verstehst, denke ich, du wirst mir gleich verraten, was das ist.“ „Du erwartest immer das Schlechteste von mir“, sagte Francis und lächelte. „Wenn du nicht willst, werde ich dir selbstverständlich nicht verraten, worum es geht.“ „Nur keine Scheu, plaudere ruhig alles bei einem Glas Wein aus. Das passt doch zu dir.“ „Hüte deine Zunge, Arthur, ich bitte dich. Aber da ich sicher bin, dass ich am Ende ohnehin gewinnen werde, gebe ich dir einen kleinen Tipp.“ „Und der wäre?“ „Schwarzpulver.“ Arthur riss die Augen auf und lachte auf. „Was? Diese neumodische Teufelei, die beim kleinsten Funken explodiert? Sie wird mehr von deinen eigenen Männern töten als von meinen.“ „Natürlich ist es gefährlich“, gab Francis bereitwillig zu. „Aber wenn wir es einmal auf unsere Seite gezogen haben, wird es unser stärkster Verbündeter sein.“ Arthur schnaubte und schüttelte den Kopf. „Für so dumm hatte ich dich nicht gehalten, Francis. Ich bleibe beim guten alten Langbogen, vielen Dank.“ „Das halte ich für eine gute Idee“, erwiderte Francis und lächelte. „Wir haben nach der Schlacht heute nicht wenige deiner Bogenschützen gefangen genommen. Ich bezweifle nur, dass deine Zeit ausreicht, um ihnen beizubringen, ohne Zeige- und Mittelfinger zu schießen.“ Arthur riss die Augen auf und erstarrte auf seinem Stuhl. „Du meinst, du hast nichts davon gehört?“, fragte Francis überrascht. „Ich dachte, die Ankündigung im Vorfeld der Schlacht wäre deutlich genug gewesen.“ Er griff nach der Weinflasche und füllte seinen Becher nach, während Arthur ihn reglos beobachtete. „Jeder gefangene Engländer verliert zwei Finger, um auf Nummer sicher zu gehen. Es ist recht und billig, denke ich. Ich weiß nicht, wieso wir nicht schon viel früher darauf gekommen sind. Besser, als sie gleich alle zu hängen, denkst du nicht auch?“ Irritiert hielt er inne und betrachtete Arthur. „Was ist nur los mit dir? Überrascht dich das so sehr? Entspann dich, Arthur. Du blutest schon wieder, und deine Finger zittern wie...“ Francis brach ab, als sei ihm plötzlich ein Gedanke gekommen. „Hör auf damit“, brachte Arthur hervor. „Hör schon auf. Ich will deinen Wein nicht, ich schaffe das so. Bringen wir es endlich hinter uns.“ Verblüfft starrte Francis ihn an. „Du... du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, ich würde dich behandeln wie irgendeinen dahergelaufenen Gefangenen.“ „Warum denn nicht?“, fragte Arthur und ballte erneut die Hände zu Fäusten, um seine Finger am Zittern zu hindern. „Ich bin Bogenschütze. Du kannst es nicht vergessen haben, so oft, wie dich diese Tatsache schon Kopf und Kragen gekostet hat. Ich bin Bogenschütze, und ich bin stolz darauf!“ Francis schüttelte den Kopf. „Ach, Arthur“, murmelte er. „Und ich brauche dein Mitleid nicht!“, spuckte Arthur aus. „Ich kann darauf verzichten! Lass mich gefälligst in Frieden damit!“ „Das werde ich tun“, erwiderte Francis. „Ich werde dich in Frieden lassen.“ Arthur schnappte nach Luft. „Ich denke, du brauchst einfach ein wenig Entspannung“, erklärte Francis, stand auf und griff nach dem Mantel. „Du kannst hier schlafen. Bis morgen wird dich niemand stören. Versuch bitte nicht, wegzulaufen, die Schwierigkeiten kannst du uns beiden ersparen. Bediene dich ruhig an dem Wein, wenn du willst. Ich werde morgen wieder nach dir sehen. Bis dahin...“ Er lächelte, warf sich den Mantel wieder um die Schultern und ging zum Zelteingang. Arthur saß wie gelähmt auf seinem Stuhl und sah ihm nach. „Warum?“ Es war nicht mehr als ein Flüstern, aber Francis hörte ihn trotzdem. Er sah sich über die Schulter um, strich sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn und lächelte spöttisch. „Ich sehe keinen Sinn darin, dich zu verstümmeln. Dieser Krieg ist so schon hässlich genug. Irgendwo braucht die Welt doch ein wenig Schönheit... glaubst du nicht?“ Er lachte laut, schob die Zeltplane beiseite und ließ sie hinter sich wieder vor den Eingang fallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)