Im Zimmer der Charité von Ney-chan (Kurzprosa in zwei Teilen) ================================================================================ Kapitel 1: Night ---------------- Die Sterne schienen mich zu verspotten. Ich, der ich wie unter Hypnose durch die Straßen wandelte, manchmal strauchelte, taumelte, war mir sicher, ihr Lachen zu hören. Doch vielleicht war es nur das Echo jener Stimmen, die an mir vorüber zogen wie Gespenster. Dabei kam ich mir selbst wie ein Geist vor. Allein das stetige Trommeln meines Blutes erinnerte mich daran, dass ich noch am Leben war. Schwer würgte ich den metallischen Geschmack in meinem Mund hinunter. Eine Hand auf den Bauch gepresst, unterdrückte ich die Übelkeit, die mir die Gedärme zusammenzog. Wenn ich nicht bald einen Arzt fand, würde ich den kommenden Tag nicht mehr erleben. Dunkelheit kam über mich, als ich fiel. Ich war mir sicher, die falsche Richtung eingeschlagen zu haben. Zweifellos war das nicht der Ort, an dem ich sein wollte, noch der Ort, an den ich gehörte. Über diesen Gedanken schlief ich ein. „Hey, du Penner, bleib' hier nicht einfach liegen! Du bist im Weg!“ Etwas Hartes traf meinen Kopf. Mühsam öffnete ich die Augen, blinzelte und erkannte vor mir ein paar Schuhe. Schwarz, wie die Hosenbeine, die von ihnen nach oben führten. Weiter reichte mein Blick nicht. Ein weiterer Tritt gegen meine Stirn zwang mich, den Kopf zu drehen. „Hörst du nicht? Steh auf!“ Ehe ich mich rühren konnte, spürte ich ein Zerren an meinem Arm, der verzweifelte Versuch, mich auf die Beine zu bringen. Wie eine Marionette, die man an ihren Fäden hochzog, richtete ich mich auf. Blind vor Schmerz versuchte ich mein Gegenüber zu erkennen. Er wirkte nicht wie ein Schläger, seinem Anzug nach zu schließen schien er eher Anwalt oder Bänker zu sein. Doch noch immer sah ich nicht ganz klar und so blieb sein Gesicht mir verborgen. „Danke, dass Sie sich um mich sorgen“, sagte ich abwesend. Ich spürte seinen starren Blick auf mir, ehe er seine Hand zurückzog, beide Arme vor der Brust verschränkte und entgegnete: „Red' keinen Quatsch! Wohl zu tief ins Glas geschaut?“ „Möglich.“ Die Dunkelheit vor meinen Augen lichtete sich, allmählich wurde ich meiner Sinne wieder Herr. Was blieb, war der pochende Schmerz hinter meiner Stirn und das Stechen meines Magens. Noch immer schmeckte ich Metall. Ich versuchte, all meine Aufmerksamkeit auf mein Gegenüber zu konzentrieren, kniff die Augen zusammen, beugte mich ein Stück nach vorn. Mein Bemühen gipfelte in einem erneuten Schwächeanfall, der mich gegen den Mann taumeln ließ. Da er nicht zurückwich, lehnte mein Kopf bald an seiner Schulter. „Tut mir leid, ich hab's gleich“, versuchte ich mich zu entschuldigen. „Reiß dich zusammen, Mann!“ Sein Tonfall ließ unterdrückten Zorn erahnen. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Doch so sehr ich mich anstrengte, mein Körper gehorchte mir nicht. Im Gegenteil, ein Zittern schüttelte mich, Kälteschauer rannen über meinen Rücken. Meine Lungen brannten, als ich japsend Luft aus ihnen presste. Ich krümmte mich unter dem stechenden Schmerz in meiner Bauchgegend. Ausgerechnet jetzt! Der Mann wich vor mir zurück und ich ging ohne jeden Halt zu Boden. Mein Körper schien nur noch aus Schmerz zu bestehen, dass ich hoffte, die Dunkelheit möge mich endgültig betäuben. Eine Gnade, die mir Sekunden später zuteil wurde. Allein der Geschmack von Blut begleitete mich ins traumlose Nichts. Ich erwachte in einem weißen Raum, von dem ich nicht die leiseste Ahnung besaß, wie ich dahin gelangt war. Die Fragmente aus hohen Pieptönen, meinen eigenen rasselnden Atemgeräuschen und dem Geruch von Desinfektion setzten sich in meinem Kopf langsam zu einem Krankenzimmer zusammen. In meinem Schädel dröhnte es, als raste ein Güterzug hindurch. Was war mir geschehen? Gemessen an der völligen Taubheit meiner Arme und Beine musste man mir ein starkes Schmerzmittel verabreicht haben. Was nichts an meinen Kopfschmerzen änderte. Vielleicht war ich einfach nur erschöpft. Ich erinnerte mich an den Geschmack von Eisen auf meiner Zunge. An das Blut, das aus meiner Bauchhöhle drang, aufgesogen vom Stoff meines Hemds. Wie um alles in der Welt hatte ich mich mit dieser Wunde eine Straße entlang schleppen können? Dann war da dieser Fremde gewesen. War am Ende er es, dem ich meine Rettung verdankte? „Hey, du Penner, ich weiß, dass du wach bist. Hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ Soweit ich konnte, drehte ich meinen Kopf in Richtung der Stimme. Es vergingen Sekunden, bis es mir gelang die Augen zu öffnen. „Musstest unbedingt den Helden spielen, wie?“ Ich war nicht sicher, ob ich mir die Verachtung hinter seinen Worten einbildete. Meine Stimme verweigerte sich, als ich etwas erwidern wollte, daher nahm ich meine ganze Anstrengung zusammen und wisperte: „Du anscheinend auch.“ Es gelang mir, meine Mundwinkel zu einem Lächeln zu heben, da ich ein erstauntes Stirnrunzeln erntete. Schnell wandelte es sich jedoch in ein breites Grinsen. „Korrekt.“ Sekunden später tauchte mein Geist in schwarzes Miasma, in dem die Wrackteile meiner Gedanken ziellos umher trieben. Ich ergab mich der Müdigkeit und dem Drang, teilzuhaben an der Stille, die diesem kurzen Schlagabtausch folgte. Als ich zum zweiten Mal erwachte, befand ich mich allein im Zimmer. Hatte ich die Anwesenheit des anderen geträumt? Eine Schwester kam herein und überprüfte die Medikation, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Erst, als ich sie ansprach, um mich nach dem fremden Mann zu erkundigen, sah sie mich zweifelnd an. „Der junge Mann ist vor ein paar Stunden gegangen. Er wollte morgen wiederkommen.“ Da fiel mir ein, dass ich noch nicht einmal seinen Namen kannte. Zumindest hatte ich nun Gewissheit, keiner Halluzination erlegen zu sein. Seine rauen Worte geisterten durch meine Erinnerung und brachten mich zum lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)