Bewusstsein von Shizana ================================================================================ One Shot -------- Wieder diese Stimme. Wie ein hohes Fiepsen. Es hatte etwas Melodisches an sich. Diese Stimme. War es ein Rufen? Ein Locken? Wollte sie ihm etwas sagen? Wann immer Mewtu die Augen wieder aufschlug, vermochte er es nicht zu sagen. Da war nur diese Erinnerung, die mit jeder weiteren Sekunde, in der seine Sinne wieder wacher wurden und er zu sinnen begann, immer mehr verblasste. Da war stets nur diese Stimme, an die er sich noch eine Zeit lang erinnern konnte. Für wenige Sekunden nur. Ein vertrautes Lied, welches sich wieder und wieder in seinem Kopf abspulte wie bei einer alten Schallplatte. Mal war es klarer, mal klang es schwächer. Mal war es beinahe greifbar und mal erschien es wie in weiter Ferne. Ein verschwommenes Bild verabschiedete diese schwache Erinnerung, jedes Mal. Was war es, was er in diesem letzten Moment sah? War es ein Pokémon? Oder war es gar ein Mensch? Noch ehe er diese Frage richtig abwägen konnte, wurde das Bild farblos, formlos, bis es sich wie ein dünner Nebel zu Nichts auflöste. Und das Letzte, was ihm schlussendlich immer blieb, war ein einfaches Wort: „Lebe!“   Wie jedes Mal blinzelte das Pokémon kurz. Einmal, zweimal. Bis er wusste, dass er wach war. Dass es wieder einmal überstanden war. Aber was eigentlich? Mewtu regte sich kaum, als er seinen Blick über die weite Fläche vor sich schweifen ließ. Über das satte Grün der Wiese, die sich im warmen Sonnenlicht badete. Das durchwachsene Gras wiegte sich tänzelnd im Wind, was er selbst von seinem Platz aus noch sehr gut sehen konnte. Nur unweit grasten einige seiner Freunde. Sofern es Freunde waren, wie er abermals im Stillen für sich bedachte. Doch einfach nur Leidensgenossen waren sie auch nicht. Sie waren anders als er, und doch waren sie gleich. Freunde. So hatte dieser Mensch sie genannt, dessen Macht er damals entkommen konnte. Nun, vielleicht waren sie das in der Tat für ihn. Immerhin war er bereit gewesen, bis zum Letzten für ihre Freiheit zu kämpfen. Sie waren ihm wichtig, doch wieso war das eigentlich so? Oft fragte er sich, während er die anderen Klon-Pokémon still beobachtete, ob er überhaupt das Recht hatte. Zu allem. Ob er sie nun wirklich schützen oder einfach nur halten wollte. Hatte er das Recht dazu? Und hatte er das Recht,  sie Freunde zu nennen? Immerhin war er es gewesen, der sie zu diesem Dasein verdammt hatte. Er hatte sie geschaffen, wie Menschen einst ihn geschaffen hatten. Aus purem Egoismus heraus und ohne jeglichen Skrupel. Er hatte ebenso wenig darüber nachgedacht, wie man es bei ihm getan hatte. Das machte ihn letztlich nicht besser als jene Menschen, die er für ihren Machtwahn verurteilte und noch immer tief in seinem Innersten verabscheute. Er hatte nicht weiter darüber nachgedacht. Verletzt und von Hass erfüllt, hatte er es einfach getan. Um sich an den Menschen zu rächen, so glaubte er. Um für Gerechtigkeit zu sorgen, ein Gleichgewicht herzustellen.  Um den Menschen zu zeigen, dass sie nicht das Recht hatten, sich über alles andere zu stellen. Schon gar nicht über das Leben. Vielleicht hatte er es aber auch nur deswegen getan, um sich so seinen Platz in der Welt zu schaffen, den er so nicht gehabt hatte. Oder war es doch nur der stupide Wunsch gewesen, nicht allein auf dieser Welt zu sein? Schließlich war er nicht wie all die anderen; weder Mensch noch Pokémon. Doch so war er nicht mehr allein. Dennoch, war das fair? War das alles rechtens? Durfte er es sich überhaupt anmaßen, über Schutz und Gefahr für die anderen Klone entscheiden zu können, nachdem er ihnen all das angetan hatte? Obgleich sie ihn nicht für seine Taten verurteilten und an seiner Seite geblieben waren, es nagte an ihm. Immerzu. Mit dem, was er getan hatte, war er nicht besser als jene Menschen. Hatte er sich geirrt?   Er lehnte sich weiter zurück, bis er den kräftigen Stamm entgegen seinem Rumpf spürte. Sein Blick suchte in dem hellen Blau des Himmels nach Antworten, von denen er inzwischen wusste, dass er sie dort nicht finden konnte. Zu oft schon hatte er den vorbeiziehenden Wolken zugesehen und sich still gefragt, wohin sie wohl der Wind mit sich führen mochte. Doch das Flüstern des Windes war wortlos. Er überbrachte ihm keine Antwort, doch es musste sie geben. Irgendwo dort draußen. Vielleicht hatten sie sie schon gefunden. Jene seiner Freunde, die sich mit der Zeit entschlossen hatten, ihr wahres Leben irgendwo in der weiten Welt zu suchen. Vielleicht hatten sie inzwischen ihre wahre Bestimmung gefunden. Er wünschte es ihnen zumindest von ganzer Seele. Möglicherweise war es das, was auch er tun sollte. Gehen. Alles einfach hinter sich lassen, wirklich vergessen. Doch was würde dann aus jenen, die geblieben waren? Konnte er sie sich selbst überlassen? Konnte er nochmals so egoistisch mit ihnen umgehen und einfach handeln, ohne dabei auch an sie zu denken? Niemals. Er hatte ihnen genug Unheil zugefügt. Und im Gegensatz zu ihnen, von denen er nicht einmal ihre Treue ihm gegenüber erwartet hätte, blieb er ihnen immer etwas schuldig. Vermutlich konnte er seine Schuld nie wieder gutmachen – es sei denn, vielleicht, wenn sie glücklich leben würden. Leben. Dieses Wort hatte großes Gewicht für ihn. Auch jetzt hallte es ihm durch den Kopf. Undefiniert und vielmehr gefühlt als gehört, doch er wusste, dass es jenes Wort war. Diese Stimme … wieder und wieder. Vertraut … und fremd zugleich. Lebe! ‚Wo bist du?‘, fragte er sich im Stillen und suchte abermals den weiten Horizont ab. Doch wonach suchte er dort eigentlich? Nicht einmal das wusste er. Jemand näherte sich ihm, wie er sehr wohl bemerkte. Doch das lenkte seine Gedanken nicht wirklich ab. Sein Blick blieb verloren in dieser Ferne. „Nyaa nyanya.“ „Ich weiß, dass der Mond nicht scheint“, gab er ruhig zur Antwort auf das vertraute Maunzen des kleinen Freundes, der sich neben ihn gesetzt hatte. Es bedurfte nicht einmal eines prüfenden Blickes, damit Mewtu wusste, dass Mauzi seinem Blick gefolgt war. „Es ist Tag.“ „Nyanya nya nyanya.“ „Am Tag schläft der Mond, meinst du?“ Kurz überlegte er diese Aussage des kleinen Freundes. „Nyaa nya?“ „Träumen?“, wiederholte Mewtu und sah nun doch auf die geklonte Katze hinunter. „Was meinst du damit, ob der Mond wohl träumt?“ „Nyanyanya nya.“ „Jeder träumt, wenn er schläft?“ Mauzi nickte daraufhin einmal und Mewtu überlegte kurz. „Was ist das, träumen?“ „Nya nyanyanya nya nyanya.“ „Hm … Sehen, während man schläft.“ „Nya nya?“ Mewtu deutete ein Kopfschütteln. „Nein, ich sehe nichts, während ich schlafe.“ „Nya nya.“ „Trotzdem träume ich?“ Erneut nickte die Katze und lächelte zu ihm hoch. Doch Mewtu konnte es ihm nicht erwidern. „Woher bist du dir so sicher, dass ich träume?“ „Nyaa nya nya.“ „Jedes Lebewesen mit einer Seele träumt, hm …“ Mewtu wandte seinen Blick von dem Katzen-Pokémon ab und sah stattdessen unbestimmt zu Boden. War es das womöglich? War diese Stimme ein Traum? Auf gewisser Weise erschloss sich ihm das sogar zu einem Sinn. Solange er wach war, konnte er diese Stimme nicht hören. Nichts war zu hören, außer dem Rauschen des Windes. Und er sah auch nichts. Seine Sinne waren immerzu geschärft und nichts verschwamm. Doch wenn er schlief, war es anders. Dann war diese Stimme also wirklich ein Traum? Oder war sie vielmehr eine Erinnerung? Wieso nur konnte er sich daran nicht erinnern? Es war ihm ein Rätsel. Wie so vieles. Das ganze Leben erwies sich ihm Tag für Tag als ein einziges unlösbares Mysterium. Voller Wunder und mit vielen Dingen, von denen er nichts ahnte und von denen er stetig mehr lernte. Wie viel mochte es wohl zu entdecken geben? Und wollte er all das überhaupt je erfahren? Nicht alles war gut. Mit diesem Wissen war er quasi „geboren“ worden. Doch dass auch nicht alles schlecht war, hatten ihm die verschiedensten Wesen gezeigt. Vorbeiziehende Vogel-Pokémon sangen davon. Es stand auf den friedlichen Gesichtern der anderen Pokémon geschrieben. Und jener Junge von damals hatte es ihm bewiesen. So war es wohl, das Leben. Gutes und Schlechtes zu erfahren gehörte wohl dazu. Es gab so viel, was er noch lernen musste. „Woher weißt du das alles?“, kam es ihm plötzlich in den Sinn und er richtete seinen fragenden Blick auf die Klonkatze neben ihm. Und jene erwiderte mit einem ebenfalls fragenden Ausdruck in den großen Augen. „Nya?“ „Das mit dem Träumen meine ich. Woher weißt du das, Mauzi?“ Die Katze legte den verhältnismäßig großen Kopf schief, ehe es seine Aufmerksamkeit wieder dem weiten Horizont zuwandte. Ein, zwei Mal wippte sein Schweif hin und her. Schließlich legte sich ein breites, zufriedenes Lächeln über sein Gesicht. „Nyanyanya nya, nyaa.“ „Hm.“ Mewtu folgte dem Blick des kleinen Freundes und sah ebenfalls für einige Zeit nachdenklich zu jener Stelle, wo des Nachts der Mond in seiner Pracht verweilen würde. „Manche Dinge weiß man wohl einfach. Vielleicht stammt dieses Wissen ja von ihm.“ „Nyaa“, kam die maunzende Befürwortung. Es entlockte dem größeren Pokémon ein kleines Lächeln. ‚Ich weiß nicht viel über das Leben. Ich kenne auch nicht meine Bestimmung. Aber etwas sagt mir, dass das Leben ein Geschenk ist. Und es ist egal, von wem man es erhalten hat. Das musste ich erst erfahren, ebenso wie du.‘ In seiner kurzen Gedankenpause suchte Mewtu ein weiteres Mal den blauen Himmel ab. Er lauschte in den schwachen Wind. Nichts, wie nicht anders zu erwarten. Trotzdem, sein Lächeln schwand dieses Mal nicht. ‚Du bist da draußen. Ich weiß es. Und du weißt, dass ich hier bin. Irgendwann werden wir einander wieder gegenüberstehen. Wir wissen es beide. … Ich warte.‘ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)