Namenlos von Rabenschwarz ================================================================================ Prolog: -------- Die Menge hatte sich um den Hauptplatz versammelt, angefüllt von Gauklern, Händlern und Warenwagen. Die Ankünfte der Karawanen waren schon immer ein großes Ereignis in Tristyn, denn sie brachten neben Vorräten auch zahlreiche Kuriositäten, Spielzeug für die Kinder, Kleider für die Frauen und Waffen und Werkzeuge für die Männer. Vor allem aber brachten sie Neuigkeiten - vom Krieg, der an den nördlichen Grenzen tobte, von der Silbergarde, die sich mutig den nördlichen Barbaren entgegenstürzte und von den Reden und Heldentaten des kühnen Kindskönigs. Das Leben explodierte geradezu auf dem Platz. Jonglierende Schausteller, tanzende Schönheiten und dazwischen die allgegenwärtigen Händler, die ihre Ware anpriesen. Der Junge auf der Turmspitze schnaubte. Die hohe Kirche, die sich unweit vom Hauptplatz steinern in den Himmel schob, lag im Schatten einer Wolke, als wollte sie ihn beherbergen, vor den neugierigen Blicken dort unten bewahren. Vorbei an einer massiven Säule, einer von vier die das Glockenhaus trugen, wanderte der stählerne Blick seiner gräulichen Augen mal hierhin, mal dorthin. Jedoch ließ sein Gesicht keine Freude erkennen, keine Schaulust und keine Freude an dem Spektakel, wusste er doch nur zu gut woher all dieser Reichtum kam. Die Vorräte - armen Dörfern entrissen, die Waffen und Werkzeuge aus Burgen geplündert und für die Kleider und Spielzeuge waren Frauen und Kinder der Habgier und Lust der Armeen des Kindskönigs geopfert worden. Ein Blutjahrmarkt, ja, das war es, was da unten tobte. Sie feierten ihren Reichtum, erbaut auf den Leichen der Nordländer. Ein bitteres Lächeln zuckte auf, als er sah, wie ein Händler in einer großzügigen Geste einem kleinen Straßenkind einen Samtbären und eine warme Kartoffel schenkte. "Ajun!", eine glockenhelle Stimme ließ ihn herumwirbeln. Der lange, schwarze Umhang erhob sich im Wind und offenbarte grobes Leder, die Rüstung eines Wanderers, die den schlanken Körper des Jungen umschloss. An seinem Gürtel waren einige Wurfdolche befestigt und eine in Stoff verhüllte Waffe zeichnete sich an seinem Rücken ab. Er schob die Kapuze zurück und brummte genervt: "Elryn...erschreck mich nicht so. Du solltest doch schauen, wie die Patrouillenwege heute sind." Das schwarzhaarige Mädchen vor ihm fixierte ihn mit einem mysteriösen Blick. Sie war ähnlich gewandet wie er, jedoch hatte sie statt seinen Dolchen lediglich ein kleines Buch an ihrem Gürtel baumeln. Sie machte einige Schritte auf ihn zu und er wich unwillkürlich zurück. Immer noch machten ihn ihre roten Augen nervös, ebenso wie ihr Auftreten. Manchmal meinte er fast, sie würde mit ihm wie mit einer Beute spielen. "Die Wachen sind alle bei der Karawane", sagte sie gleichgültig, "wie er erwartet hat. Wenn wir es wagen wollen, dann jetzt."     --- --- ---   Der Gang war spärlich erleuchtet und die Fackeln ließen die Schatten tanzen. Ihre Schritte hallten gut hörbar und waren wahrscheinlich im gesamten Gewölbe hörbar, doch dies war im Moment egal. Am Ende des vermodernden Steins wartete eine massive Steintür. "Logeum Veneficus" Die Worte prangten ihnen entgegen. Es war die Sprache des Klerus, die kaum einer außerhalb dieser Kirchenmauern sprach, ja kaum welche wussten überhaupt von ihr. Dennoch, auch ohne die Worte zu kennen, wussten die beiden wo sie angekommen waren. "Das Archiv der Zauber...welch häretischer Ort inmitten einer ihrer Kirchen. Aber das macht es einfach. Es sind nicht viele hier, sie würden es nicht wagen die Menge davon wissen zu lassen. Jenseits dieser Tür sind wir vorerst sicher - wenn du sie aufkriegst Elryn." Der leicht spöttische Ton in Ajuns Stimme verfehlte seine Wirkung nicht. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu und trat näher, ihr Buch vom Gürtel lösend. "Diese Tür ist nicht durch normale Schlösser gesichert Ajun, es wird eine Weile dauern die Siegel zu umgehen - sie zu brechen würde uns nur zu schnell verraten. Außerdem, vergisst du nicht etwas?" Ihr Blick deutete in die Kammer neben ihnen, die wohl der Vorraum zu dem Sakrallager war. Lag ihr Ziel auch in den Tiefen des Archivs, so durften sie nicht zu offensichtlich vorgehen. Wenn der Klerus herausfinden würde, was sie gestohlen hatte, würden sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen um sie zu fangen - wahrscheinlich wörtlicher als Ajun lieb war. Er setze sich schief grinsend in Bewegung. Die Sakralkammer beherbergte Artefakte und Heiligtümer von unschätzbarem Wert. Selbst ein einziges davon war mehr als genug Ablenkung um eine falsche Spur zu legen. Diebe, Räuber, Plünderer, ja vielleicht sogar eine Sekte - man würde vieles vermuten und die Wahrheit er viel später entdecken, wenn es schon viel zu spät war.     --- --- ---   Die Klinge sauste so knapp an Ajuns Kopf vorbei, dass er meinte der blutdurstige Sog des Schwertes allein würde ihm einen Keil durch eben jenen treiben. Funken sprühten auf, als das Schwert gegen die steinerne Mauer prallte und der Wächter fluchte laut, als er einige Schritte zurückwich. Auch Ajun zog sich zurück um die Pause zu nutzen sich neu zu formieren. Die Lage war nicht gut. Der einsame Wächter, der ihn in der Sakralkammer erwartet hatte, war auf den ersten Blick nur ein harmloser, alter Mann gewesen. Doch mehr hätte Ajun sich nicht täuschen können - die Bewegungen seines Gegners waren wenn nicht schneller, so wenigstens genau so schnell wie seine. Jeder Hieb, jeder Ausfall, jeder Wurf den Ajun mit seinen Dolchen schaffte, traf auf das unnachgiebige Metall der Rüstung - und wurde jedes Mal von einem Konter seines Gegenübers begleitet. Und dann waren da die Hiebe des alten Mannes selbst. Ajun schauderte leicht, als er die mächtigen Einkerbungen an der steinernen Wand sah, dort wo sein Kopf noch vor Augenblicken gewesen ist. Was immer dieser Kerl war, er würde ihn in Sekunden töten, wenn er nicht höllisch Acht gab. Seine Hand wanderte nervös zum eingeschnürten Paket. Würde er tatsächlich jene Waffe benutzen müssen? Der Wächter lachte grollend. "Du findest das äußerst amüsant, nicht wahr?" Ajuns Stimme klang spöttisch, obgleich im selbst eher klamm zumute war. Ein weiterer Dolch flog, vorbei an dem wegduckenden Gegner, doch war dieser auch nicht das Ziel gewesen. Die Fackel hinter dem Mann explodierte und tauchte den Raum kurz in einen wirren Schattentanz. In dem Moment flogen weitere Dolche und endlich, endlich krümmte sich die Gestalt kurz zusammen und grollte "Auch du bist also nicht unverwundbar, huh?" Die Bluttropfen die zu Boden fielen, waren wie eine erlösende Quelle für Ajun. Sein Gegner war also doch nicht unfehlbar, seine Rüstung, seine Verteidigung, auch diese hatten Schwächen. Von neuem Mut beseelt griff der Junge zu seinem Dolchgürtel, doch seine Hand griff ins Leere. Er hatte soeben seine letzten Dolche geworfen.   --- --- ---   Zaghaft führte Elryn mit der Hand die Symbole an der Tür nach. Immer wieder blätterte sie dabei im aufgeschlagenen Buch. Doch war es kein Wissen, was sie dort in den Zeilen suchte. Jede Seite des Buches war mit Symbolen, komplizierten Zeichnungen und einem kurzen, lyrischen Text versehen. Daneben stand ein einzelnes, verschnörkeltes Wort. Die Seiten schienen heraustrennbar. "Wo ist es nur, ich könnte schwören es wäre...ah, hier!" Endlich hatte sie die Seite gefunden und löste sie geschickt aus dem Buch, um jenes dann in einer knappen Geste am Gürtelhalter zu befestigen. Dann hielt sie die Seite vorsichtig an die Tür und atmete tief durch.   "Gewandung der Ältesten, höre den Ruf In meinem Flehen das dich ereilt, An meine Seite mit eilendem Huf, Uns're Gestallt sich wunderhaft teilt" Kaum hatte sie den Vers vorgelesen, fing die Seite an zu glühen, die Zeichen und Worte so schien es, schlängelten umeinander, als würden sie etwas Neues formen. Nun blieb nur noch ein Wort, ein abschließendes Zeichen um den Zauber auszulösen.   Sanctum Ihre Stimme war nicht laut gewesen und doch halte sie durch den Raum wie das Raunen hunderter Magier. Die Alchemistin hatte ihren Zauber gewirkt. Sanctum, die Zuflucht, die einen zu einem Meister über Barrieren, Mauern, Türen und allem werden ließ, was einen beschützen konnte. Elryn schnaufte zufrieden. Die meisten hätten versucht den Zauber der Tür zu sprengen oder aufzulösen, was die zahlreichen Fallen in ihr ausgelöst hätte. Doch so waren die Waffen des Feindes zu ihren geworden und sollte sie jemand vorzeitig überraschen, würde es mit mehr als nur einem Schrecken bezahlen. Die Tür schwang langsam auf und das Mädchen trat zaghaft hinein. Innen empfing sie die Stille und abgestandene, irdene Luft. So prächtig die Tür und die Gänge bisher waren, so unspektakulär war die irdene Gruft, von der sich zahlreiche Gänge nach Links und Rechts abspalteten. Sie warf einen ungeduldigen Blick nach hinten. Wo blieb Ajun? Sie hatten wahrhaftig keine Zeit zu verlieren.   --- --- --- Schmerz. Wut. Verzweiflung. Die Klinge in seiner Hand fraß all diese in sich hinein und noch viel mehr. Blutige Tränen flossen die Wangen des rotäugigen Kindes hinab, während sich seine Waffe einen Weg zum Gegner bannte. Ein lautes Kreischen, wie der Todesschrei eines Dämons, und die Rüstung des Wächters war zerfallen. Für die gezackte Obsidianklinge war das Metall kaum mehr als Papier. Eine dunkle Blutlache strömte die Rüstung hinab. Der alte Mann taumelte und keuchte auf, vor Schmerz nicht in der Lage einen Ton von sich zu geben. Der Junge stand vor ihm. Seine Kleidung wehte im Zug der kalten Gänge. Das Blut auf der Obsidianklinge währte kaum einen Augenblick, bevor diese es absorbiert hatte. Der Dämon hatte seinen Hunger vorerst gestillt. Auch das Blut auf Ajuns Wangen stoppte. Während der alte Mann auf den Boden kippte, sein Lebenslicht längst verloschen, versiegelte er mit zitternden Händen das Schwert. Das Blut in seinem Gesicht würde er nicht so leicht abkriegen, sodass es sich damit begnügte es zu verschmieren. "Ah....ah.....wenn Elryn mich so sehen würde....würde sie mich dann auch hassen wie die anderen?" Die Dämonenklinge...der verfluchte Träger des Verderbens. Unwillkürlich musste er grinsen. Trotzt all dem Blut, trotz alle dem was eben passiert war. "Ihre roten Augen...wenn ich bin wie jetzt, kann ich nicht umher mich zu fragen...ob sie nicht doch am Ende ist wie ich." Der rote Glanz seines Blickes wich wieder dem monotonen Grau, als der Fluch des Schwertes erlosch. Er schauderte und machte sich auf den Weg tiefer in Kammer. Er musste sich beeilen, sie würde auf ihn warten. Und sie hasste es, wenn man sie warten ließ.     --- --- ---   Die Mauern entlang des Weges, wenn man denn beides so bezeichnen konnte - schließlich war es kaum mehr als herausgehauener Stein und Erde - wurden kaum von den seltenen, bläulich glühenden Steinen erhellt. Magiefeuer. Der Klerus setze diese kleinen Schöpfungen gerne ein um die Dunkelheit an Orten zu vertreiben. Außer dem Licht vertrieb Magierfeuer auch umliegende Seelen und Geschöpfe. In den Gängen war es totenstill. Ajun sah nervös zur Seite. Das Mädchen würdigte ihn keines Blickes. Im Gegenteil, es wirkte beinahe als hätte sie beschlossen seine Existenz für immer zu ignorieren. "Hey...ich sagte doch, es tut mir leid. Ich musste mich schließlich mit einem der Wächter anlegen. Hattest du nicht gesagt, sie wären alle weg?" Das hätte er lieber nicht sagen sollen. Die Gleichgültigkeit wich blankem Zorn, der sich sofort über ihm entlud. "Willst du etwa sagen, es sei meine Schuld? Es ist deine Aufgabe mich zu beschützen, oder etwa nicht? Da sollte eine kleine Wache doch wohl kein Problem sein!" Elryn schnaufte abfällig und Ajun beließ es bei einem tiefen Seufzer. So war sie immer, wenn er mit ihr unterwegs war. Manchmal fragte er sich wirklich, ob sie mit ihm spielte, oder ob etwas an ihren Launen, ihrem Lachen, ihrem Erscheinen wirklich wahrhaftig war. Ihre Existenz entzog sich völlig seiner Welt. Vielleicht war es, weil sie eine Alchimistin war und die Welt anders sah als er. Oder weil sie sich als Kommandantin der Einheit keine Schwäche leisten wollte - obgleich meist er derjenige war, der führte und die Befehle gab. Der irdene Weg endete abrupt und gab den Blick auf eine runde Höhle frei. Auch hier herrschte die Todesstille, wie im gesamten Archiv. Der Raum war angefüllt von Büchern. Hier und da lagen Teller mit Essen herum und Wasserschläuche. Wenn nicht der große Bannkreis und die mächtigen Ketten gewesen wären, hätte man meinen können dies wäre eine Wohnhölle, kein Gefängnis. Dies schien der einzige Insasse ebenso zu sehen, der mit gekreuzten Beinen auf dem Boden saß und die beiden mit unverhohlener Neugierde gepaart mit einer geradezu spürbaren Abscheu betrachtete. "Nun, welch seltener Besuch. Was wünschen die Lakaien Bruders, des Kindskönigs, wohl von mir? Ihr werden mir kaum sagen, dass er nach all den Jahren seine Eliteeinheit Lazarus schickt um mich endlich zu töten?" Ajun blieb vor dem Eingang stehen, währen Elryn einige Schritte auf die Gestalt zumachte. Ihre Stimme klang glockenhell durch den Raum. Und ihre Worte ließen die Gestalt vor ihr erbleichen. "Elric de Austeyn, euer Bruder der König hat uns befohlen euch aus dem Gefängnis zu holen und euch fortan zu begleiten. Er gibt euch eine Aufgabe, einen Befehl, mit dem ihr euch Freiheit verdienen müsst. Ihr seid erwählt, euren Bruder zu töten und seine Tyrannei zu beenden. Ihr werdet der Erlöser sein. Dies ist sein Wille. Dies ist euer Schicksal.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)