OS-Sammlung von Jeschi ================================================================================ Kapitel 3: XXI. Die Welt [Tala x Ian] ------------------------------------- Manchmal wusste Ian nicht weiter. Stellte sich Tala so eine Beziehung vor? Stundenlanges Training mit den Blitzkriegboys, während Ian zu Hause wartete und sich mit Hausaufgaben ablenkte, die sie gar nicht aufhatten, sondern die er sich freiwillig auflastete, um etwas zu tun zu haben. Wenn er Tala darauf ansprach, dann winkte dieser nur ab und schlug sogar vor, Ian könnte wieder als aktiver Teil im Team anfangen. Aber Ian wollte nicht. Nach all der Zeit in der Abtei hatte er eingesehen, dass es Zeit war, ein neues Leben zu beginnen. Er hatte mit dem Profibladen aufgehört und holte jetzt lieber sein Abitur nach. Danach könnte er studieren oder eine gute Ausbildung in Angriff nehmen. Das waren seine Ziele. Aber Talas Ziele waren immer noch die gleichen, wie vor Jahren. Er konnte es nicht ertragen, erneut von Tyson bei der Weltmeisterschaft geschlagen worden zu sein. Das zweite Mal jetzt schon. Für ihn reichte es. Was Boris ihm immer wieder eingetrichtert hatte, war in seinen Gedanken zu verwurzelt, um einfach so verdrängt werden zu können. Gewinnen! Gewinnen, gewinnen, gewinnen! Um jeden Preis. Ganz lange hatte auch Ian dieses Ideal angestrebt. Bis ihm irgendwann klar geworden ist, dass es mehr gab, als nur Gewinnen. Oder auch andere Formen von Gewinne. Sein Ziel war es, sein Leben zu gestalten, wie er es mochte. In seinem Leben voran zu kommen. Erfolg zu haben. Beruflich, privat. Und bisher war er damit gut gefahren, hatte es umsetzten könne. Er hatte gute Noten in der Schule, würde sicher eine gute Abschlussarbeit schreiben. Er hatte eine Beziehung mit Tala. Etwas, was er sich nie hätte träumen lassen. In seiner Vorstellung waren Tala und Kai immer ein ideales gewesen. Sie hingen in der Abtei schon ständig zusammen, kannten sich gegenseitig besser, als jeder andere. Wahrscheinlich kannten sie sogar den anderen besser, als sich selbst. Deshalb war es für Ian nur eine logische Schlussfolgerung, dass aus ihrer engen Freundschaft, ihrer tiefen Verbundenheit, irgendwann Liebe werden würde. Aber dann lernte Kai ein Mädchen kennen und war hin und weg und Ian wurde klar, dass tatsächlich niemals eine Beziehung aus dieser Freundschaft entstehen würde. Was ihm nur Recht kam. Denn er fand Tala schon immer toll. Als Kind hatte er seinen Teamleader angebetete. Wie er all die Schikanen Boris’ einfach einsteckte, ohne sich zu beschweren. Wie er stundenlang trainierte, ohne Pause zu machen, und dennoch nicht erschöpft war. Wie er mit stoischer Ruhe in den Kampf schritt und meist so schnell den Gegner besiegte, dass dieser gar nicht merkte, dass der Kampf schon begonnen hatte. All das hatte Ian bewundert. Und als er größer und reifer wurde, da merkte er, dass auch Tala selbst, nicht nur sein Verhalten, ihn faszinierte. Wie er sprach, wie er ging. Seine harten Ansagen, hinter denen man doch etwas wie Zuneigung zu seinem Team entdecken konnte. Und als sie dann letztlich freie Menschen waren, nicht mehr unter der Fuchtel der Abtei, da war Ian sich sicher: Er liebte Tala. Denn nichts war für ihn schlimmer, als die Vorstellung, dass mit dem Ende der Abtei auch das Ende ihrer Freundschaft angebrochen war. Doch das Team blieb bestehen, sie zogen sogar in eine WG. Natürlich taten sie das. Sie hatten ihr halbes Leben miteinander verbracht. Alleine irgendwo in einer Wohnung zu hausen – unvorstellbar! Und dann… ja dann hatte Ian es irgendwann einfach nicht mehr länger ausgehalten. Und an einem Abend, als er alleine mit Tala war und sie sich gerade eine dämliche Soap im Fernsehen rein zogen, da platzte es einfach aus ihm heraus: „Ich liebe dich.“ Die Worte hingen im Raum und Ian weiß noch genau, wie Tala ganz langsam den Kopf zu ihm drehte und ihn spöttisch anblickte. „Du liebst mich also?“, hatte er gefragt und Ian hatte genickt. Und dann hatte Tala ‚Okay’ gesagt und sich wieder dem Fernseher zugewendet. Ian hatte die Luft angehalten, bis er kaum noch Sauerstoff in den Lungen hatte. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“, fragte er dann bissig, weil er nicht fassen konnte, dass Tala keine anderen Sachen dazu einfielen Der Rotschopf sah ihn nicht mal an, sondern blickte weiterhin auf die Mattscheibe. „Von mir aus können wir es probieren,“ sagt er dann jedenfalls, „Aber du musst dich anstrengend, mich zu überzeugen, nur dich zu lieben und niemand anderen.“ Und diese Aufforderung hatte Ian sofort in die Tat umgesetzt. Und seiner Meinung nach lief es auch ganz gut. Er zeigte Tala ständig, wie sehr er ihn liebte. Und er hatte das Gefühl, Tala liebte ihn auch. Irgendwie zumindest. Aber es gab etwas, was Tala mehr liebte, als ihn: Das Gewinnen! Seufzend legte Ian seinen Bleistift beiseite. Er saß in der Küche der WG, an dem großen Esstisch, an dem sie immer alle saßen und ungenießbaren Fraß aßen, den Spencer voller Inbrunst gekocht hatte, und machte Hausaufgaben. Mathe. Er mochte Mathe. Es war leichter, als all die anderen Fächer. Ein Schema, mit dem man zum Erfolg kam. Wenn man es richtig anstellte, war die Lösung immer richtig. Viel einfacher, als es das reale Leben war. Denn egal, wie Ian versuchte, zur Lösung seines Problems mit Tala zu kommen – er schaffte es nicht. Tala war wie die Variable in einer Gleichung. Abgesehen davon, was man einsetzte, kam auch etwas anderes heraus. Ian blickte zur großen Küchenuhr. Ein hässliches Erbstück von Bryans Großmutter. Darauf abgebildet war die hässlichste Matroschka, die Ian je gesehen hatte. Ihr Lächeln wirkte wie eine grimmige Fratze und ihre Augen schienen wie leblos, wie die von Puppen. Ian mochte keine Puppen. Der tote Ausdruck in ihren Augen machte ihm Angst. Er glaubte, sich selbst zu verlieren, wenn er zu lange in die Augen blickte. Das hässliche Bild ignorierend, beobachtete er, wie die Zeiger immer weiter vorrückten. Von Tala und den anderen fehlte noch immer jede Spur. Schien, als wenn ihr Teamleader mal wieder keine Ruhe fand und vom Erfolg getrieben war. Ian seufzte, stand auf und packte seine Sachen zusammen. Dann kehrte er in das Zimmer zurück, dass er sich seit einiger Zeit mit Tala teilte. Ungeachtete dessen, dass etwas kaputt gehen konnte, warf er sein Schulzeug einfach in eine Ecke und schmiss sich aufs Bett. Das Bett, in dem er so viele glückliche Stunden mit seinem Freund verbrachte und das so herrlich nach diesem roch. Er vergrub die Nase darin und irgendwann schlief er ein. Ian wachte auf, als zarte Finger über seinen Nacken strichen. Ein wenig nur drehte er den Kopf zur Seite und blickte in Talas eisblaue Augen, die er schon immer so unglaublich schön fand. „Da bist du ja endlich,“ wisperte er und genoss die seltenen Streicheleinheiten seines Freundes. Der rothaarige Russe war nicht gerade ein Meister darin, seine Gefühle irgendwie deutlich zu machen oder gar zu sagen. Deshalb waren es diese seltenen Momente, die Ian sagten, dass er Tala nicht gänzlich egal war. Und weil er das wusste, waren diese Momente dann auch umso schöner. „Hat ein wenig länger gedauert,“ nickte sein Freund und untertrieb dabei maßlos, wie Ian feststellte. Es war ein Uhr nachts. Was war los mit ihm, dass er solch utopische Trainingszeiten anschlug? Tala schien seine Gedanken zu erraten, denn er meinte: „Wenn wir jetzt hart trainieren, dann könnten wir die BBA Revolution endlich schlagen.“ Ian erwiderte darauf nichts. Er hatte schon zu oft gesagt, was er davon hielt. Und er war dessen müde. Tala war einfach das genaue Gegenteil von ihm. So leicht es ihm fiel, mit etwas abzuschließen, so schwer war dies für Tala. Den Ehrgeiz, mit dem der Russe seine Ziele verfolgte, hatte Ian immer bewundert und an ihm lieben gelernt. Und er glaubte, dass sie deshalb auch gut zusammenpassten. Tala motivierte ihn, eine Sache nicht aufzugeben, wenn ihm die Lust verging – und er half diesem im Gegenzug, das ein oder andere endlich abzuschließen. Und eigentlich funktionierte dies aus immer sehr gut. Nur mit dieser Sache nicht. Denn diese Sache belastete Tala zu sehr – auch, wenn er das nicht zugeben wollte -, als wenn irgendwelche Überredungskünste daran etwas ändern könnten. Aber Ian war damit nicht glücklich. Er wollte sein Leben genießen, mit Tala. Und das ging nur, wenn diese Scheiße endlich ein Ende hatte! Und deshalb, so wurde es ihm klar, musste er die Sache selbst in die Hand nehmen. Diesen Entschluss fassend, beugte er sich über Tala, der neben ihm lag, und küsste in sanft. Er würde ihm helfen, damit er Frieden fand – und damit Ian selbst Frieden fand. „Was soll das, Ian? Du weißt genau, dass Bryan und Spencer auf mich warten!“ Tala verschränkte genervt die Arme vor der Brust, ließ sich aber dennoch von Ian an seinem Pullover durch die Gänge der größten Trainingshalle Moskaus schleifen. Die Halle wurde meist als Stadion umfunktioniert, weil sie einige Bereiche hatte, in denen große Zuschauertribünen aufgebaut warten. Deshalb nutze man diese als Stadion, während in den kleineren Nebenzimmern und Arenen Trainingsgeräte und Trainingsbowles zu finden waren. Hier trainierten auch die Blitzkriegboys oft, hatten sogar einen eigenen Raum gemietet, damit niemand sie stören oder ausspionieren konnte. „Ich hab doch gesagt, ich habe eine Überraschung für dich,“ erwiderte Ian und lächelte leicht. Und was für eine Überraschung. „Die da wäre?“, fragte Tala, der Überraschungen eben gar nicht vertrug. Wieder so ein Gegensatz. Ian liebte es, überrascht zu werden, und er liebte es, andere zu überraschen. Tala hingegen hatte die Sachen lieber unter Kontrolle und diese verlor er nun mal, wenn er nicht wusste, was geschehen würde. Aber da musste er jetzt durch! „Was ist das für ein Lärm?“, fragte Tala, als sie der größten Arena immer näher kamen und Ian seufzte und wusste, er würde es nicht länger verbergen können. „Fans,“ meint er deshalb knapp. „Fans?“, wiederholte Tala. Er blieb abrupt stehen und sah Ian tadelnd an: „Sag mir endlich, was hier los ist.“ Also sah sich Ian gezwungen, ihm alles zu erzählen. Das die BBA Revolution wegen eines PR-Termins in Moskau war und er Mr. Dickenson gebeten hatte, ein kleines Benefizturnier zu veranstalten. Tala gegen Tyson. „So hast du die Möglichkeit, ihn zu besiegen. Vor Publikum. Bei einer offiziellen Veranstaltung!“ Und dann kannst du endlich aufhören, so verbissen zu trainieren, fügte Ian in Gedanken hinzu. Sein Freund war nicht begeistert, der felsenfesten Überzeugung, nicht gut genug zu sein, um Tyson zu besiegen. „Du hast im letzten Jahr mehr trainiert, als damals in der Abtei. Wenn du jetzt nicht gewinnst,“ und Ian sagte das wirklich ungerne, „Dann wirst du nie gewinnen.“ Mit diesen Worten schubste er Tala hinaus und nahm ihm damit die Möglichkeit zur Flucht. Nun musste er antreten. Und weil es für den Russen eh nicht in Frage kam, zu kneifen, tat er, was er tun musste. Es war ein langer Kampf und die Kontrahenten schenkten sich nichts. Ian stand am Rand und beobachtete alles mit Argusaugen. So zögerlich Tala am Anfang auch war, so verbissen und stark war er jetzt. Er gab Tyson keine Möglichkeit, ihn wirklich zu schwächen; aber auch Tyson schenkte Tala nichts. „Und du glaubst, dass es ihm helfen wird?“, fragte Bryan, der plötzlich neben Ian aufgetaucht war und interessiert den Kampf musterte. „Ich hoffe es. Sonst würde mir nichts mehr einfallen.“ Bryan nickte und wechselte einen Blick mit Spencer, der ebenfalls zu ihnen gestoßen war. „Du musst ihn ja echt lieben, dass du das für ihn tust,“ stellte dieser fest. „Red keinen Unsinn. Er tut das nur für sich,“ wehrte Bryan ab, dem die Vorstellung, man könnte selbstlos etwas für einen anderen tun, gar nicht logisch erschien. „Ihr liegt Beide falsch,“ erwiderte Ian, „Ich tue das für uns Beide.“ Und in dem Moment, in dem er es dies sagte, schaffte Tala es, einen wahrhaftig atemberaubenden, komplizierten Move hinzubekommen, an dem er nun schon seit Monaten feilte. Und urplötzlich war der Kampf zu essen, er hatte sein Ziel erreicht: Tyson war besiegt. Ian lächelte und trat zu Tala, kaum war der größte Wirbel vorbei: „Du hast es geschafft, du hast ihn besiegt. Kannst du es nun endlich auf sich beruhen lassen?“ Tala grinste und wog ab, dann nickte er: „Weniger Training.“ Ian strahlte. „Aber nicht viel… Die nächste WM kommt bald.“ Sein Freund zwinkerte ihm zu und der kleine Russe wusste, wie er es zu nehmen hatte. Er würde Tala nie ganz das Training austreiben. Aber solang ihre Beziehung nicht länger darunter litt, würden sie beide damit leben können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)